Meister Autor; oder, die Geschichten vom versunkenen Garten - 08

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auf morgen abend zum Tee eingeladen, und daß ich dem Zaubermohr Signor
Ceretto Wichselmeyer aus Bremen versprochen habe, zu kommen.
Eine ziemliche Zeit saßen wir einander nun stumm gegenüber, die alte Frau
und ich, und horchten den keuchenden Atemzügen des Verwundeten. Dann
flüsterte die Greisin:
»Und den Kunemund versteh' ich doch nicht. Jetzt müßte er doch Ihren Brief
längst erhalten haben.«
Ich konnte nur die Achseln zucken:
»Man weiß eben nie, was anderen Leuten passierte, während das Schicksal
einem selber in das Nackenhaar griff. Wenn der Meister morgen nicht kommt,
werde ich zu ihm gehen.«
»Oh, Herr, wenn Sie das tun wollten!« rief die Alte. »Sie verdienten sich
einen Gotteslohn an uns. Wenn einer dem armen Karl noch ein gutes Wort
sagen könnte, so ist das der Autor Kunemund. Nach uns Weibern hat der Junge
von keinem Menschen soviel in seiner Abwesenheit gesprochen, als von dem
Kunemund. Sehen Sie, es ist so gut von Ihnen, daß Sie doch ganz von selber
darauf gekommen sind, -- von meiner Seite wäre es zu unverschämt gewesen,
Sie darum anzugehen.«
Ich wies diese gute Meinung natürlich mit Wort und Gestus weit von mir.
»Dick mit Regen! wenn es gegen Abend nicht abklart, kriegen wir eine harte
Sturmböe dicht vor dem Ankerplatz; -- werden uns dem Hafenmeister mit allen
Segeln in Fetzen präsentieren!« rief der Steuermann, und die Alte mit dem
Schürzenzipfel wieder vor den strömenden blauen Wunderaugen flüsterte:
»Da spricht er wieder von mir! O Gott, zu solchem Elend so alt werden zu
müssen!«
Ich ging bald, und saß den Abend noch eine Stunde im Theater und sah den
geharnischten Geist des alten Dänemark über die Bretter schreiten, hörte
das: Sein oder Nichtsein -- sah die Komödie in der Komödie, aber sie
spielten und sprachen alle mit falschem Pathos und verrenkten Gliedmaßen,
und die ganze Geschichte kam mir entsetzlich einfältig vor. Wer hebt die
Gärten, die uns versinken, wieder herauf aus der Tiefe? --


Zwanzigstes Kapitel.

Also die Hexe -- die Hexe im Märchen, die junge schöne Witwe eines wahrlich
nicht sehr jung gestorbenen Ogers oder kleinstaatlich juristischen
Menschenfressers freute sich auf mein Kommen!? Sie, die den Vetter Vollrad
herbeschieden hatte, um ihren letzten Fang, das dumme Gänschen Trudchen
Tofote und die Erbschaft Mynheers van Kunemund zu heiraten.
Der Mohr hatte es gesagt, und mir träumten in der Nacht, die diesem
Teeabende voraufging, fast ebenso sonderbare Dinge wie dem Steuermann
Schaake in seinem Wundfieber; ich werde mich aber wohl hüten, das, was ich
sah, hörte und sagte, hier der Welt kundzumachen. Als die Hexe noch eine
Jungfrau war, kaum aus dem Backfischalter herausgewachsen, war sie mir
schon einmal quer über den Weg gelaufen; und gute Gesellen, treue
Kameraden, die sie damals bereits besser kannten, als ich heute, hatten
mich natürlich weniger vor ihr gewarnt, als ihren Spaß an der Verzückung
gehabt, in welche sie mich versetzte.
Und neulich hatte sie ebenso selbstverständlich nicht das mindeste von mir
gewußt, hatte sich meinen Namen nennen lassen, und nur durch eine dem
ganzen übrigen Universo unverständliche Fächerbewegung merken lassen, daß
-- sie mich sehr wohl kenne, daß ich ein guter alter Bekannter von ihr sei.
Die schöne Sonne des neuen Sommertags war wiederum untergegangen, und ich
verfügte mich nach der Höhle der Hexe, die natürlich nicht in der Mitte des
Zauberwaldes der alten Stadt gelegen war, sondern in ihrem modernsten
Quartiere.
Ich hatte aber die alte Stadt zu durchschreiten, und da mich mein Weg an
dem Cyriacushofe vorüberführte, so trat ich auch jetzt ein, um wenigstens
an der Tür Erkundigung über den Kranken einzuholen. Ich traf den Wundarzt
an der Tür, und er strich auf meine Frage glatt vor sich hin durch die
Luft, was soviel heißen sollte, als: O, er ist auf gutem Wege, unter den
irdischen Behörden kennen wir vom Fach keine, die ihn aufhalten könnte; der
Stadtphysikus ist ganz meiner Meinung.
Dabei fühlte der Mann nach seinem Handwerkszeug in der Brusttasche und
ging: ich aber hörte von der Tür -- wie gesagt -- aus, wie der Steuermann
mit klarer Stimme rief:
»Da haben wir die rote Tonne!« und dann den Lotsengruß:
»Willkommen in See!«
Ich wich zurück, ohne die Base Schaake begrüßt zu haben; ich traute mir
nicht recht, ihr in meinem Gesellschaftsanzuge die Hand zu geben. Ich kann
nicht sagen, ob ich mich richtig und verständlich ausdrücke; aber die
Sorgfalt, die ich auf meine Toilette verwendet hatte, hinderte mich: ich
kam mir zu gleicher Zeit abgeschmackt und allzu begräbnismäßig frisiert
vor. In ziemlich unbehaglicher Stimmung rief ich eine Droschke an und fuhr
weiter, von nun an mich ein wenig mehr mit der Tochter des Försters Arend
Tofote als mit der Frau Christine von Wittum beschäftigend -- wenigstens
bis zum Anhalten des Wagens und während des ersten Teiles des Abends.
Es sahen mir sehr hell erleuchtete Fenster in der Abenddämmerung entgegen,
und das erhob auch meine Lebensgeister wieder etwas; da jede veränderte
Dekoration und vor allem eine ins Freundliche und Helle veränderte
Bühnenbekleidung in Verbindung mit Zeit- und Ortswechsel auf das
vergrillteste Gemüt Wunder zu wirken vermag, -- was ich übrigens hier
durchaus als keine ganz neue Erfahrung vorführe.
Auf dem Balkon stand eine hellgekleidete Dame, die jedoch zurückwich, als
ich aus dem Wagen stieg. Auf der Treppe wurde ich von meinem alten
schwarzen Freunde begrüßt.
»Da sind Sie also! Na, dann gehen Sie nur hinein; Sie kommen früh, und das
ist recht hübsch von Ihnen. Das Kind finden Sie in einer merkwürdig weichen
Stimmung; aber die andere in ihrer richtigen Laune.«
Er war mir voran gewatschelt, hatte mir die Tür geöffnet, und nach einem
Augenblick stand ich abermals vor der Tochter des Försters Tofote in einem
ziemlich geräumigen, glänzenden, von einer Gaskrone tageshelle erleuchteten
Gemache. Ganz reizend sah das junge Mädchen in ihrer bunten, blendenden,
aber durch das verschiedenartige Grün vieler kunstvoll zusammengestellter
künstlicher Gärtnergewächse gesänftigten Umgebung aus, und einen Moment
lang verstand ich einmal wieder den Meister Autor, der sie doch auch wohl
in einer solchen Umgebung gesehen hatte, nicht mehr.
»Dieser Herr Vollrad von Wittum wär ein Urnarr, wenn er nicht bleiben
würde,« sagte ich in der Tiefe meiner Seele, als das Fräulein mir
entgegentrat, mir die Hand bot und sagte:
»Es ist sehr freundlich, daß Sie meine -- unsere Einladung nicht
ablehnten.«
»Haben Sie das glauben können, gnädiges Fräulein?«
Es war eine etwas heiße Hand, die sich in die meinige legte, und das Kind
sah ein wenig angegriffen aus; auch ein etwas unbehagliches Zucken spielte
durch das Lächeln, in welchem Gertrude meinte:
»Man hat jetzt so wenig Zeit. Jedermann ist so sehr beschäftigt -- so sehr
in Anspruch genommen. Nur wir -- haben immer Zeit.«
»Wer wir, mein Fräulein?«
»Ich!« sagte das Waldfräulein. »Ich habe Zeit -- o, ich habe viele Zeit!«
»In diesem bunten Dasein?«
»Ja, in diesem bunten Dasein. Wollen wir uns nicht setzen? wir sind noch
allein, -- die übrigen Herrschaften, welche die Freundin lud --«
Die Elfe vollendete ihren Satz nicht, und wir setzten uns, und zwar in
einen weich ausgepolsterten Winkel eines zierlichen Nebengemaches, das nur
durch eine einzige aus einem Lilienkelche züngelnde Flamme erhellt wurde.
Da fand ich denn bald im Laufe des Gespräches, daß sie beide lebten wie sie
mußten -- der Meister Autor Kunemund sowohl wie Gertrud Tofote, und daß der
Garten versunken war, wie die Gärten eben versinken; der Garten Mynheers
van Kunemund ganz beiseite gelassen. --
Wir unterhielten uns über dieses und jenes, und da das Trudchen schon seit
längerer Zeit daran gewöhnt war, von den Herren unterhalten zu werden, so
tat auch ich das Meinige, leider jedoch ohne sie zu dem gewöhnlichen
Gesellschaftslächeln bringen zu können. Ich erzählte von meinem Briefe an
den Oheim Autor, und wie es uns so sonderbar erscheinen müsse, daß wir bis
jetzt noch keine Antwort darauf erhielten. Ich berichtete, daß ich nunmehr
morgen selber zu dem Meister fahren werde, um mich persönlich nach den
Gründen seines sonderbaren Betragens zu erkundigen, und die Elfe sagte:
»Er hat vielleicht wieder etwas übelgenommen!«
»Den angenehmen Zug kenne ich noch gar nicht an ihm,« erwiderte ich
hierauf. »Nimmt der gute Mann wirklich so leicht irgend etwas übel,
Fräulein?«
»O -- nein,« stotterte die Waldelfe, »andern Leuten nicht; aber -- aber
mir. Er weiß sich so schwer in die selbstverständlichsten Dinge zu finden,
und wenn das auch nicht ganz seine Schuld ist, so kann ich doch auch nicht
einzig und allein dafür. O Gott, ich wollte gleichfalls, es wäre manches
anders in der Welt!«
»Wer wünschte das nicht, mein Fräulein?« rief ich höflich, und dann wurden
wir sehr philosophisch und trugen uns einander die tiefsten Wahrheiten, die
urälteste Kinderweisheit der Welt in den urältesten Fassungen,
Redewendungen und Sprichwörtern vor, bis uns auf einmal aller fester Boden
unter den Füßen weg und abhanden gekommen war, und wir die See -- den
Himmel und das Wasser um uns hatten, wie der Steuermann Karl Schaake in
seinen Fieberphantasien.
»Ja, es war ein guter Junge, und ich hatte ihn sehr gern!« flüsterte
Trudchen Tofote. »Er war zu Hause mein bester Spielkamerad, und er tut mir
so leid, so sehr leid! Wäre ich auch ein Junge gewesen, so hätte ich mit
ihm aufs Schiff gehen können; aber wir machen uns ja nicht selber, und
jetzt bin ich in einem eben solchen Wirbel, wie er, wenn er von einem
seiner schlimmsten Wirbelwinde und Stürme erzählte, wenn er nachher vom
Schiffe einmal wieder zu uns nach Hause in den Wald kam.«
Es kam mir vor, als spüre ich einen Hauch aus dem Walde im Gesicht und auf
der Brust. Die Frau Christine würde die Ausdrucksweise ihrer jungen
Schutzbefohlenen wahrscheinlich nicht ganz haben gelten lassen; aber ich
entnahm daraus einige Erfrischung, indem ich mir jetzt mit einem schwülen
Seufzer sagte:
»Ja, was kann denn das Kind eigentlich dafür? Wer will denn grade von
diesem kleinen Mädchen verlangen, daß es das Universum über den Haufen
werfe, indem es ein Glied in der Kette seiner Entwicklung überspringe?«
Wir sprachen nun davon, wie liebenswürdig und gutmütig die Frau Christine
von Wittum sei, und was alles das Trudchen ihr zu verdanken habe; von dem
Vetter Vollrad sprachen wir freilich nicht. So tief waren wir in unserm
Schlupfwinkelchen nach und nach in unser Gespräch hineingeraten, daß wir
gar nicht gemerkt hatten, wie sich die Gemächer jenseits des purpurnen
Türvorhanges allmählich mit den übrigen Gästen gefüllt hatten, und daß
unter denselben der Vetter wahrscheinlich auch bereits wieder gegenwärtig
war.
Wir sollten aber jetzt darauf aufmerksam gemacht werden; denn eben hatte
ich gesagt: »Aber mein Fräulein -- mein liebes Kind, weinen Sie doch nicht!
ich bitte Sie dringend, weinen Sie doch nicht so sehr!« als der rote
Vorhang plötzlich zurückgeschoben wurde, die schöne, schlimme, lustige Hexe
-- die gnädige Frau in einer Flut von blendendem Licht, begleitet von dem
lustigsten Stimmengewirr, auf der Schwelle erschien und fröhlich rief:
»Ich habe es wahrhaftig lange genug ertragen, aber jetzt ist meine Geduld
zu Ende, und ich ertrage es nicht länger. Ich habe euch Zeit gelassen, euch
gegeneinander auszusprechen, doch jetzt beanspruche auch ich mein Recht.
Ja, mein Herr, wir wollen auch unser Recht haben, -- wir!«
Ich war mit einer Verneigung aufgesprungen, und sie, die Hexe, lachte und
sah wundervoll aus in ihrer üppigen, reifen Schönheit. Das bleiche,
nachdenkliche Liebchen, das bis jetzt neben mir gesessen hatte, hatte aber
das Taschentuch auf das Gesicht gedrückt und war hastig durch eine
Seitenpforte entschlüpft. Was blieb mir übrig, als der Frau Christine den
Arm zu bieten und mit ihr in den mit fast sämtlichen geladenen Gästen
angefüllten Salon zu treten? Es war ein in seiner Raschheit etwas
peinlicher Übergang aus der Dämmerung in die glänzendste Helle; aber es war
doch ein Vergnügen -- ein gar nicht zu verachtender Genuß.
»Es ist zu drollig,« lachte die Hexe, »da sitzen sie wie ein Liebenspaar,
diese zwei Menschen, zwischen denen ein Ozean von Langeweile fließt! Was
haben Sie denn eigentlich miteinander gemein, Sie und mein Töchterchen?
Etwa die nämliche Anlage zum kläglichen oder verlegenen Anstarren des
Lebens? Ja, ja, wir andern harmlosen Wesen treiben uns um, wie wir können,
und nehmen jedes Ding und jegliche Bedeutung der Dinge, wie sich das
augenblicklich geben will; aber diese beiden behandeln jeden Stuhl,
Blumentopf, Glockenzug und Bedienten symbolisch und knüpfen eine Parabel
daran, selbst auf die Gefahr hin, sich nachher selber aufzuhängen; -- o,
ich kenne das. Nicht wahr, mein melancholischer tiefsinniger Ritter, es war
die höchste Zeit, daß wenigstens für diesen Abend eine verständige Frau dem
Trübsal ein Ende machte?«
Wenn ich das rechte Wort zur Hand gehabt hätte, würde ich es nur zu gern
hingegeben haben, -- aber sie hatte recht, die Hexe -- in diesem Moment
gaffte ich in der Tat die Welt in einiger Verlegenheit an, und so verbeugte
ich mich wiederum mit einem freundlich zustimmenden Lächeln, bot der Dame
den Arm, und wir traten in das Gesellschaftszimmer.
Darin war es recht lebendig, und wenn man eben noch nichts zu sagen gewußt
hatte, so konnte man wirklich sich um so mehr darüber verwundern, wieviel
doch Tag für Tag auf Erden vorging, worüber sich reden ließ. Selbst
diejenigen, welche sich gleichfalls stumm verhielten, hielten den Mund nur
in der festen Überzeugung, daß sie sich nur deshalb still langweilten, weil
sie eben noch Mehreres und Wichtigeres als die übrigen Herrschaften erlebt
und tiefer darüber nachzudenken hätten.
Ach, die Frau Christine von Wittum war eine ausgezeichnete Wirtin, sie
wußte es so ziemlich allen ihren Gästen behaglich zu machen, und mir machte
sie es sogar gemütlich. Gertrud Tofote blieb verschwunden; aber Herr
Vollrad von Wittum war vorhanden, und erwies sich als gar kein übler
Mensch, -- wenigstens was die Hauptsachen, das Gemüt und das Herz anbetraf.
Seinen Geist nahm die Hexe klugerweise selber durchaus nicht in Schutz.
»Was wollen Sie?« sagte sie. »Kann er denn etwas dafür, daß er noch nicht
Geheimer Rat ist und es wahrscheinlich auch nie wird?«
Dagegen ließ sich wiederum nicht das geringste einwenden, doch diesmal
mußte ich bereits laut und herzlich lachen; und die Hexe, die schöne,
ebenfalls lachende Hexe meinte:
»Sehen Sie, ich habe es gewußt, daß es Ihnen endlich bei mir gefallen
würde! =Duc ad me! Duc ad me! Duc ad me!= Sie wissen doch, daß das eine
griechische Beschwörung ist, um Narren in einen Kreis zu bannen? Seinerzeit
gebrauchte sie der melancholische Jacques gegen die Herren des vertriebenen
Herzogs im Ardennenwalde mit Erfolg, heute benutze ich sie. Wissen Sie,
Herr von Schmidt, der Zauber ist eben unter uns Frauen leise von Mund zu
Munde gegeben worden, und so bis auf den heutigen Tag und diese Minute
gekommen: =Duc ad me!=«
Wenn ich das nicht gewußt hatte, so mußte es mir jetzt ganz und gar klar
werden. Und sie spann ihre Gespinste schnell, schnellstens weiter -- die
golddurchwebten Purpurfäden, die sich um die Seele legen, leise,
unmerklich, einer nach dem andern, bis die arme =animula=, die =vagula=,
=blandula= kein Glied mehr regen kann, die prächtige Blutsaugerin nach Muße
und Appetit das Ding aussaugen mag, um nach Belieben die leere Hülse im
Busch und Gewebe hängen zu lassen, daß eine neue Schmetterlingsgeneration
in einem neuen Frühlinge sich über sie verwundere und lache.
Von Zeit zu Zeit ging der Schwarze, der vor so manchem Meßraritätenzelt in
die Trompete gestoßen oder durch das Sprachrohr gebrüllt hatte, durch den
Saal, oder schielte um eine Ecke oder hinter einem Vorhang hervor. Er
grinste jedesmal, wenn mein Auge das seine traf, und ich vermied das
zuletzt soviel als möglich. Da wendete er denn ein ander Mittel an, und als
die gnädige Frau sich wieder einmal in einer andern Ecke des Gemaches sehr
liebenswürdig zeigte, brachte er einen Präsentierteller mit irgendeinem
angenehmen Getränke und flüsterte mir dabei zu:
»Nun? haben Sie es ihr gesagt?«
»Ich glaube wohl,« murmelte ich, eines der Gläser nehmend, um es ihm
»symbolisch« an den schwarzweißen Wollkopf zu werfen.
»Haben Sie es beiden gesagt?«
»Nun, eine von ihnen hat es mehr mir gesagt!« murmelte ich weiter, »und --«
»Sehen Sie wohl! Was habe _ich_ Ihnen gesagt?« flüsterte Signor Ceretto
entzückt über seine geistige Begabung und scharfsinnige Lebensauffassung,
während ich lächelnd mich immer heftiger über die Impertinenz des schwarzen
Gesellen ärgerte, der doch nur ein einfacher, zum Bedienten avancierter
Meßfratz war und sich doch herausnahm, mich, seine Herrin, seine beiden
schönen weißen Herrinnen -- uns alle zu übersehen.
Da sich Gertrud noch immer nicht wieder blicken ließ, so mischte ich mich
nunmehr auch mehr in das Kreisen der Gesellschaft, begrüßte und unterhielt
mich aufs freundlichste mit Herrn Vollrad von Wittum, und erlebte noch
etwas höchst Sonderbares.
Man unterhielt sich natürlich über mancherlei; außer den Tagesneuigkeiten
wurden Politik, Wissenschaft und Kunst herangezogen und manchesmal sogar an
den Haaren. Vorzüglich hielt ein ältlicher, behäbiger Herr stets einen
Kreis von Zuhörern und Interlokutoren in gespannter Aufmerksamkeit um sich
fest, und auch ich trat zu diesem Kreise, nachdem mir eben die Frau
Christine zugerufen hatte:
»Ich muß mich doch wohl einmal nach meinem Kinde umschauen. Sie scheinen
ihr böse Dinge gesagt und ihr die Stimmung recht gründlich verdorben zu
haben, mein Herr.«
Ich hatte die Achseln gezuckt, und sie war entrauscht; aus der Mitte des
Ringes aber, der sich um jenen Herrn gebildet hatte, rief Herr Vollrad von
Wittum:
»Das ist in der Tat außerordentlich interessant!« --
Was war interessant? Mir alles, was dem Herrn Vollrad außerordentlich und
außergewöhnlich erschien, und so sah ich denn ebenfalls, einer
wohlbeleibten Dame über die Schulter blickend, meinerseits das an, was eben
unter den Damen von Hand zu Hand ging, und unterdrückte mit Mühe einen
hellen Ausruf des heftigsten Erstaunens:
»Der Stein der Abnahme!«
Bei allen Göttern und Göttinnen, Geistern und Geistinnen der Unterwelt und
des Zwischenreiches, da war es wieder, dieses geheimnisvolle Amulet, das
einst der Leichtmatrose Karl Schaake im Hause Mynheers van Kunemund in der
Hand gehalten, mir gedeutet und auf meinen Rat und meine Verantwortung aus
dem Fenster ins Wasser geworfen hatte! Da war es wieder, und mir war's, als
gehe ein unheimlich fahler Schein von ihm aus; und sein jetziger Besitzer
nannte es, wie Herr Vollrad von Wittum: ungemein interessant und seinen
Fundort fast noch interessanter, und das war er auch, das letztere freilich
mehr für den augenblicklichen Inhaber.
»Dieser Gegenstand, meine Herrschaften, ist kürzlich, das heißt vor einigen
Jahren beim Bau einer neuen Straße unserer Stadt in einem trockengelegten
Wassertümpel gefunden worden,« erzählte der glückliche Besitzer und
Sachverständige, »und mir in mehr als einer Beziehung ungemein wichtig.
Erstens wie kommt dieses seltene Artefakt gerade dorthin -- an diesen
seinen jetzigen Fundort?«
Die Damen wußten es nicht, die Herren auch nicht, gaben sich jedoch die
Mühe, nachdenklich auszusehen; was mich anbetraf, so hielt ich mich
selbstverständlich ruhig und ließ die Gesellschaft raten.
»Es bezeugt unbedingt, wie so manches andere, den weitesten Weltverkehr
unseres Gemeinwesens im Mittelalter,« sprach triumphierend bescheiden der
archäologische Sachverständige. »Aus den Händen hanseatischer Schiffer ist
es jedenfalls einmal in den Besitz und die Sammlung irgendeines
kunstsinnigen Patriziers der Stadt übergegangen, und --«
»Dem einmal gestohlen, oder aus dem Fenster in den Teich gefallen,« meinte
Herr Vollrad von Wittum.
»Wahrscheinlich,« erwiderte der Besitzer etwas trocken, »lassen wir das
doch dahingestellt sein; denn zweitens ist der Gegenstand auch schon an und
für sich sehr merkwürdig. Die Hand, welche diesen Stein modellierte,
stellte das Produkt unbedingt nicht als ein Objekt des Handels oder
Tausches her, sondern --«
»Sondern?« rief ich im höchsten Grade auf die Erklärung gespannt.
»Sondern wir haben es hier mit einem sozusagen streng
hieratisch-domestikalen Amulet -- arabisch =hamala= -- zu tun.«
»Was Sie sagen?!« rief ich unwillkürlich über die Schulter der noch immer
vor mir stehenden und sich gleichfalls wundernden Dame.
»Gewiß, mein Bester! Es ist ein streng domestikal-hieratischer Zauber --
ein glückbringender Zauber, den die Braut dem Bräutigam am Polterabend --
auch dort und damals kannte und kennt man den Polterabend, meine Damen --
in die Tasche schiebt, und den der Ehemann nachher bei Tage und bei Nacht
unter seinem Kopfkissen verwahrt, oder in gefahrdrohenden Zeiten im
verstecktesten Winkel seines Hauses -- seiner Bambushütte. Sie nennen das
den Apfel des Glückes, und ich jedenfalls bin glücklich, ihn in meinen
Besitz gebracht zu haben, meine Herrschaften.«
»Und bitte, Herr Professor,« fragte die vor mir stehende Dame lächelnd, »da
Sie ja auch verheiratet sind, so werden Sie diesen eigentümlichen Zauber
jetzt wahrscheinlich auch in Ihrem eigenen Hauswesen benutzen, -- nicht
wahr? Wie geht es denn unserer guten Charlotte? ich habe mich den ganzen
Abend vergeblich nach ihr umgesehen.«
»Abhaltung, meine Gnädige -- eine sehr große Wäsche, und sonstiger
mannigfaltiger häuslicher Verdruß,« stotterte der Gelehrte, und jetzt
lächelte der ganze Kreis, und trotz allem konnte ich nicht umhin, mit zu
lächeln.
»Mein verehrter Herr,« wendete sich Herr Vollrad an den Besitzer des
Apfels des Glückes. »Sie legen einen großen Wert auf dieses geheimnisvolle
Amulet und das mit vollem Rechte, aber wenn Sie ahnen könnten, welchen Wert
ich unter Umständen darauf legen könnte, so würden Sie gewiß nicht
anstehen, mir es abzulassen oder auszutauschen. Sie wissen, daß ich als
Erbe eines verrückten, gleichfalls archäologischen Onkels in den Besitz
einer Kollektion von Intaglien gekom --«
»Ich weiß das freilich, aber ich muß in diesem Falle doch herzlich und
freundlich danken,« erwiderte der würdige Inhaber des Apfels des Glücks ein
wenig sehr verdrießlich und sich dabei hastig nach der Hand umsehend, in
welcher sich sein Schatz augenblicklich befand. Die gutmütige, behagliche
Dame, die sich soeben so teilnehmend nach dem Befinden und Verbleiben der
Frau Professorin erkundigte, hatte das Ding, ohne es viel zu betrachten,
mir gereicht, und ich hielt es und besah es von neuem sehr genau. In
demselben Augenblick schritt die Hexe wiederum durch den Saal, trat in
einiger Aufregung an mich heran und flüsterte mit hastig-energischer
Betonung:
»Es ist eigentümlich, und ich verstehe das nicht recht, so viele Mühe ich
mir geben mag. Sie ist nirgends zu finden, und der Bediente sagt, man habe
ihr ein Billett gebracht, worüber sie heftig erschrocken sei, und dann habe
sie in großer Bewegung mit dem Neger, dem Ceretto, hin und her verhandelt,
und in seiner Begleitung das Haus verlassen! Wie weit fühlen Sie sich für
diese Vorgänge mir verantwortlich, mein Herr?«


Einundzwanzigstes Kapitel.

Ich gab rasch den Apfel des Glückes zurück in die Hand des Professors, der
ihn schnell, zärtlich und vorsichtig wieder in seine Hülle von Seidenpapier
einwickelte und in der Brusttasche seines Frackes barg. Der würdige
gelehrte Herr hatte uns seinen Vortrag gehalten, wußte ganz genau, was das
Ding bedeute, und mochte also die Folgen seines Besitzes tragen.
»Sie haben die Hand in alledem! leugnen Sie es nicht!« flüsterte mir die
schöne Hexe scharf zwischen den Zähnen durch ins Ohr, und ich hatte mich zu
sammeln, ehe ich imstande war, es unter nachdrücklichstem Kopfschütteln in
der Tat zu leugnen.
»Dann begreife ich nichts davon!« rief die Frau Christine. »Aber wenn ich
nicht dieses dumme Volk, das ich mir jetzt zu meinem Verdruß auf den Hals
geladen habe, anzulächeln und zu unterhalten hätte, so wüßte ich wohl, was
ich tun würde.«
»Und was würden Sie tun, Gnädigste?«
»Ich würde einen Mondscheinspaziergang wie die alberne Dirne, das Trudchen,
die Gertrud machen, und -- Sie zur Begleitung mit mir nehmen.«
»Ach! würden Sie?... Ja, aber beste Frau, dann bitte ich doch meinerseits
um Aufschluß über das Verschwinden unserer kleinen Freundin. Gnädigste, Sie
wissen es, wohin das Kind gegangen ist, seinerseits meinen Freund, Ihren
Mohren Ceretto, als Begleiter mit sich führend.«
»Wohin Sie es doch geschickt haben!« zischelte die Hexe böse, wendete sich,
trat zum Professor und bat lieblichst lächelnd:
»Teurer Freund, was habe ich versäumen müssen? Ist es gar nicht möglich,
daß ich es noch nachhole? O bitte, bitte, jetzt lassen Sie mich doch auch
betrachten, was Sie vorhin den Herrschaften zeigten. Wahrhaftig,
Doktorchen, ein Kreis, der Sie nicht in sich schließt, entbehrt seiner
besten Zierde, wie ein Kranz, in dem die Rose fehlt.«
Es war ein Glück, daß »unsere gute Charlotte«, durch ihre große Wäsche im
Hause festgehalten, das wonnige Lächeln nicht sah, mit welchem der Gelehrte
sich vor seiner schönen Wirtin neigte, das selige Behagen, mit welchem er
seinen hieratischen Glücksapfel von neuem aus der Fracktasche und dem
Seidenpapier hervorholte. Ich aber verlor mich aus dem zierlichen Getümmel,
nachdem ich mich möglichst in demselben verloren hatte. Ich machte den
Mondscheingang, den die wundervolle Hexe leider oder auch vielleicht
glücklicherweise anzutreten nicht imstande war -- weil -- sie ihre Gäste
anzulächeln hatte. --
Er war den Gaskronen und den aus Glaslilienkelchen leuchtenden Flammen zum
Trotz aufgegangen, der Mond, der deutsche Mond, und schien voll und rund
auf die Dächer und in die Gassen der alten Stadt, sowie auf ihre neuen,
modernen Teile. Daß das Haus der Hexe in der allermodernsten Vorstadt lag,
verstand sich von selber, und jetzo lag es auch hell im hellsten
Mondenschein, oder wenn man will, romantisierten Sonnenschein: es mußte ein
ausgezeichnet verständiger, klarer Tag auf dem Monde herrschen und das
Wetter dort himmlisch vernünftig sein. Die andere Seite der
»Promenadenstraße« lag natürlich tief im Schatten, und ich trat schnell in
diesen Schatten hinein, sah auf die roten Fenstervorhänge in der Höhe,
schüttelte den Kopf und seufzte:
»Und es ist doch eines der herrlichsten Weiber, welches je einen Ballsaal
verzaubert, einen alten Ehemann begraben und einen vernünftigen Menschen in
den besten Jahren gründlich um seine Kaltblütigkeit und alle ruhige
Überlegung gebracht hat!« Ich hätte beinahe hinzugesetzt »unglücklich
gemacht hat«, erfaßte jedoch glücklicherweise im letzten Augenblick noch
einen Binsenhalm und versank wenigstens nicht in diesen Abgrund der
Lächerlichkeit, entfernte mich jedoch mit den weitesten Schritten eilig von
seinem Rande.
Ich lief durch das Gebüsch und um die Blumenbeete der städtischen Anlagen
bis dahin, wo sich die begleitenden Häuserreihen dem Bahnhofe zu
erstrecken.
Es war noch ein später Zug angelangt. Gasthofswagen und Droschken rollten
an mir vorbei; Reisende in Gruppen oder einzeln wanderten mit ihrem Gepäck,
ohne solches, oder in Begleitung von Packträgern in die Stadt hinein. Die
Nacht schien von Minute zu Minute lieblicher werden zu wollen, und um das
letzte Rasenrund und Blumenbeet am Eingange der eigentlichen Straßen
biegend, traf ich auf den letzten Reisenden, der in der soeben
geschilderten Weise mit der Eisenbahn gekommen war und dem Weichbilde
zuwanderte, nämlich auf den Meister Autor Kunemund.
Er sah mich natürlich nicht. Er wollte hastig an mir vorüber. Er schien es
jetzt sehr eilig zu haben, er, der uns so lange auf eine Antwort hatte
warten lassen, und selbstverständlich packte ich ihn sofort fest am Oberarm
und hielt ihn auf.
»Alle Hagel! was soll -- was ist -- ja, Herr, sind Sie denn das?« rief er
anfangs erschreckt und zornig und dann um so freudiger. »Sind Sie es
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