Meister Autor; oder, die Geschichten vom versunkenen Garten - 01

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Wilhelm Raabe
Bücherei
Erste Reihe
Band 14

Wilhelm Raabe
Bücherei
Erste Reihe:
Kleinere Erzählungen
Vierzehnter Band
Berlin-Grunewald
Verlagsanstalt für Litteratur und
Kunst/Hermann Klemm

Wilhelm Raabe
Meister Autor
oder
Die Geschichten vom versunkenen Garten
Dritte Auflage
11.-16. Tausend
Berlin-Grunewald
Verlagsanstalt für Litteratur und
Kunst/Hermann Klemm

Gedruckt bei G. Kreysing in Leipzig
Einbandzeichnung entworfen von Bernhard Lorenz
Den Einband fertigte H. Fikentscher in Leipzig


Meister Autor
oder
Die Geschichten vom versunkenen Garten


Erstes Kapitel.

Wann und unter welchen Umständen der Meister Kunemund den Ausspruch tat,
weiß ich nicht mehr; aber daß er ihn tat, weiß ich.
Er sagte nämlich:
»Ich verstehe die Welt wohl noch, aber sie versteht mich nicht mehr, und so
werden wir wohl nie mehr so zusammenkommen, wie damals, als wir beide noch
jünger waren. Na, mir ist's zuletzt einerlei; ja, Herr, es kitzelt einen
sogar dann und wann, wenn man bei sich überlegt, daß man im Grunde der
Jüngere von zweien geblieben ist. Laß sie alt werden, die Welt; was
kümmert's mich!«
Nun sehe ich ihn doch wieder ganz genau vor mir, wie er dasaß und das Wort
sagte. Es ist ganz richtig, er saß auf seiner Schnitzbank und fuchtelte mir
mit seinem Schnitzmesser bedenklich vor der Nase herum, bedenklich,
obgleich dieses Messer ein ganz guter, alter Bekannter von mir war. Es war
ein berühmtes Messer und war aus fernster Volksurzeit von Hand zu Hand bis
in die Hand des Meisters herabgelangt, und er wußte gerade so gut damit
umzugehen, wie alle, die es vor ihm geführt und sich damit gewehrt hatten.
Mündliche Tradition, Schreiberkunst und Druckerkunst geben uns recht:
»Da ging der Junge vor den König und sprach: Wenn's erlaubt wäre, so wollte
ich wohl drei Nächte in dem verwünschten Schloß wachen. Der König sah ihn
an, und weil er ihm gefiel, sprach er: Du darfst dir noch dreierlei
ausbitten, aber es müssen leblose Dinge sein, und darfst das mit ins Schloß
nehmen. Da antwortete er: So bitt' ich um ein Feuer, eine Drehbank und eine
Schnitzbank mit dem Messer.«
Nun wissen wir alle, was für Ungetüm und Gespenstertum der Junge in den
drei Nächten sich vom Leibe zu halten hatte, wie er mit den Katzen Karten
spielte und wie ihm halbe Menschen durch den Schornstein herunterfielen, --
halbe Menschen, zu denen er sich erst die andere Hälfte ausbitten mußte,
ehe er imstande war, mit ihnen Kegel zu schieben. Wir haben manchmal, --
manch liebes Mal unser Vergnügen an der Unbefangenheit des Jungen gehabt
und vielleicht ihn auch dann und wann um sie beneidet: von diesem Jungen
aber stammte der Meister Kunemund in gradester Linie ab und war insofern
mit den berühmtesten Leuten im deutschen Volke verwandt, und nicht allein
im deutschen Volke. --
Doch da hat mich das Anfangen sofort weit in die Mitte meines Berichtes
hineingerissen, und das zeigt einmal von neuem, daß es immer ein gewagtes
Unterfangen ist, große Herren und Damen, bedeutende Menschen, eigentümliche
und selbständige Charaktere mit der Federspitze anzutupfen.
Glücklicherweise aber gelingt es mir dieses Mal noch zur rechten Zeit, mich
zu besinnen: ich hebe von neuem an, zu erzählen.
Wir kamen über ihn von Kneitlingen aus; jung und alt, Männlein und
Weiblein, eine Auswahl und Auslese feiner, liebenswürdiger und gebildeter
Gesellschaft deutscher Abstammung und Zunge -- was die Abstammung anbetraf
natürlich unter dem dazu gehörigen Vorbehalt. Wir kamen über ihn, Leute von
guten Mitteln: junge Herren, die ihre drei Examina vollgültig bestanden
hatten, zierliche Fräulein aus den höchsten Töchterschulen, gediegene und
wohlgediehene Väter und Mütter, Onkel und Tanten. Wir kamen recht lebhaft
und sehr heiter angeregt über ihn; denn wir machten von Schöppenstedt aus
eine Vergnügungsfahrt in den Elmwald, hatten Schöppenstedt vermittelst der
Eisenbahn erreicht und das berühmte Dorf Kneitlingen und den Wald
vermittelst zweier Bauerwagen, auf denen mit Hülfe von Brettern und
Strohbündeln eine genügende Anzahl zweckdienlicher Sitze für uns
hergerichtet worden war.
Nun liegt hier vor mir ein anderes Dokument, und zwar in Folio: -- Merians
Topographia und Beschreibung der vornehmsten Städte, Schlösser, auch
anderer Örter im Herzogtum Braunschweig und Lüneburg. Auf der Kupfertafel,
welche den nicht unberühmten Platz und Ort Schöppenstedt darstellt, zieht
sich im Hintergrunde gleichfalls natürlich der Elm hin, und über einigen
Hausdächern, die am Rande des Waldes aus dem Gebüsch hervorragen, lesen wir
die Legende:
Kneitlingen, allwo das fromme Kind Eulenspiegel geboren wurde.
Wir erreichten den Elm über Kneitlingen hinaus. --
Über Kneitlingen hinaus, linksab, unbestimmt tief in den Wald hineinwärts,
da wohnte der Meister Kunemund, den die Welt nicht mehr so recht verstand,
weil er ihr zu jung geblieben war. Da wohnte er ziemlich verborgen, daß
heißt er hatte sich einem Förster in die Kost und unter Dach getan; und da
machte ich seine Bekanntschaft und er die meinige, was unter Umständen
nicht sich von selber versteht, oder besser gesagt, nicht dasselbe ist.
Wir führten in mehreren Körben einen genügenden Vorrat von Lebensmitteln
sowie auch eine erkleckliche Anzahl Flaschen mit allerlei Getränk mit uns
und konnten also recht vergnügt sein. Unter der Leitung eines jungen
Forstmannes im grünen Rock und mit einem papiernen Hemdkragen frühstückten
wir mitten im im Quincunx gepflanzten Musterforst, wie die bessern Stände
auf ihren Ausflügen in die freie unverfälschte Natur zu frühstücken
pflegen. Nachher spielte man, wiederum unter der Leitung des eben erwähnten
jungen Forstmanns, Blindekuh und sonstige unschuldige Spiele, was sehr
hübsch war, aber auch den Höhepunkt des Vergnügens bildete; denn im Grunde
mißlang jeder spätere Versuch, sich noch höher und tiefer in das volle
Naturbehagen hinauf- und hineinzuschrauben, vollständig. Daß ein jeglicher
in der Gesellschaft die Schuld an der von Viertelstunde zu Viertelstunde
mehr einreißenden Langeweile und Verdrießlichkeit nicht sich selber zumaß,
war unter diesen Verhältnissen natürlich: das Gefühl, mit dem linken Fuße
zuerst und noch dazu viel zu früh aus dem Bette gestiegen zu sein, wurde
allgemein.
Der junge Grünling mit dem Papierkragen war der letzte, dessen
Lebensgeister sanken; aber auch ihm sanken sie. Er fing an, uns eine frisch
von der Forstakademie mitgebrachte wissenschaftliche Abhandlung über
moderne Waldwirtschaft zu halten und setzte dadurch dem Vergnügen freilich
die Krone auf.
Mit der Mißachtung selbst der jungen Damen beladen, verlor er sich für ein
geraume Zeit in einer jungen Schonung und kam erst dann wieder zum
Vorschein, als die Gesellschaft den Versuch, im Walde Mittagsruhe zu
halten, durch Ameisen, Kopfweh, Waldspinnen und Gliederschmerzen gehindert,
aufgegeben hatte. Der holde, wolkenlose Tag übte immer sonderbarere Wirkung
auf die Teilnehmer und Teilnehmerinnen an dem Vergnügen. Begrabene, mehr
oder weniger tief zugedeckte Feindschaften und Feindseligkeiten wühlten
sich mit überraschender Schnelligkeit von neuem ans Licht. Wer etwas gegen
seinen Nachbarn oder seine Nachbarin im Grase auf dem Herzen hatte, der
fühlte einen unwiderstehlichen Kitzel, es von demselbigen los zu werden,
und zwar auf die anzüglichste, unangenehmste Weise. Und da wieder wurden
vorzüglich die Damen scharf, sowohl die jungen wie die ältern, sie
pflückten füreinander kuriose Sträuße unter den Büschen, und es wurde die
höchste Zeit, daß irgend jemand sich begütigend dreinlegte.
Dieser jemand war ich, und ich warf den Vorschlag in die allgemeine
Verbitterung, alle Streitigkeiten für jetzt beiseite zu schieben und sie
für die Heimfahrt, für das trauliche Beieinandersitzen auf den zwei
Leiterwagen und im Eisenbahnwagen aufzusparen.
Da man mich nur von der Seite ansah, so erweiterte ich meinen Vorschlag
dahin, daß man, um den Tag ganz auszunutzen, einem Försterhause, das ich
eine halbe Stunde weiter in den Wald hineingelegen wußte, einen Besuch
abstatten solle. Sauere Milch wirke kühlend und erfrischend, und der Tag
sei noch sehr lang.
Nun sah man sich an, und der Vorschlag fand genügende Unterstützung.
»Tofote heißt der Förster dort,« sagte der junge Herr von Müller. »Es ist
eine eigentümliche Wirtschaft dort. Bei der Forstbehörde ist der Kerl grade
nicht zum besten angeschrieben, aber das braucht uns freilich nicht
abzuhalten, ihm eine Visite zu machen. Die Idee ist gut, überfallen wir den
Burschen! Wenn die Herrschaften erlauben, werde ich den Weg andeuten.«
Nun waren alle Lebensgeister auf einmal wieder wach, und wir im nächsten
Augenblick auf dem Marsche durch den Elm zum Förster Arend Tofote. Die
jungen Leute stimmten ein Waldlied von Eichendorff an, welches sehr hübsch
und romantisch unter den hohen Buchenwölbungen klang; und wer uns nun
wieder sah und hörte, der war verpflichtet, ohne Widerstand und Widerrede
verpflichtet, uns für das zu nehmen, was wir schienen, nämlich
waldfröhliche, hübsche, vergnügte Kinder der Natur, junge sowohl wie alte.


Zweites Kapitel.

Ich heiße Schmidt. Mein Name ist drolligerweise sogar _von Schmidt_. Es
ist beängstigend aber wahr, ich gehöre dem Adel der deutschen Nation an,
und ich habe sogar meinen Vater noch in Verdacht, sich etwas darauf zugute
getan zu haben. Bei welchem Märchenkönig der Ahnherr meines Geschlechtes
Kanzler oder lustiger Rat war, habe ich nie herausbekommen können; aber daß
wir ein altes Geschlecht sind, das weiß ich; und daß wir selten unseres
Glückes Schmiede waren, das weiß ich leider auch. Seit ich den Meister
Autor Kunemund kennen gelernt habe, bilde ich mir ein, daß unsere Bezüge
mehr als tausend Jahre alt sind, und es würde mich gerade nicht wundern,
wenn der Ahnherr derer von Schmidt im geheimen Rate jenes braven Jungen
gesessen hätte, der König wurde, weil's ihm nicht gruselte, und dem das
Gruseln erst längere Zeit nach seinem Regierungsantritt durch seine Frau
gelehrt wurde.
Dieses beiläufig, jedoch nicht ohne Grund. -- Wir zogen also durch den
Wald, den Förster Arend Tofote zu besuchen, und wir stießen zuerst auf den
Meister Autor.
Wir kamen über ihn an einem Bache, dem die Begünstigung, durch den
Musterforst rieseln zu dürfen, noch nicht von der Oberforstbehörde genommen
worden war, und wir faßten ihn eigentlich in einer für das Gefühl der Damen
etwas fraglichen Situation ab. Seine Schuhe standen neben ihm, seine Füße
standen im Wasser, braun und knochig; Füße, auf denen er länger als ein
halbes Jahrhundert herumgelaufen war. Der Tag war heiß, und der Meister
Kunemund nahm ein Fußbad.
»Hol' mich der Teufel!« sagte er, als wir plötzlich durch das Gebüsch
rauschten und auf sein Behagen hereinbrachen. Er ist immer ein höflicher
Mann gewesen, denn wer hätte es ihm verdenken können, wenn er gerufen
hätte: »Hole euch alle insgesamt, -- hole euch ohne jegliche Ausnahme der
Teufel! --?«
Er war nicht allein, als wir ihn überraschten. Er hatte auch seine
Gesellschaft bei sich: einen schiefbeinigen, sagenhaft aussehenden
Dachshund und ein kleines zehnjähriges Mädchen. Der Dachshund saß neben
ihm, dicht an seiner Seite. Das kleine Mädchen saß ihm gegenüber am andern
Rande des Bachs, von Sonne und Blätterschatten umspielt. Es saß, den Rücken
an einen Baum gelehnt, die Arme kindlich über der Brust ineinander gelegt,
das Mäulchen gespitzt, wie zu einem Pfiff oder Kuß. Wenn man ihr den
letztern gegeben haben würde, und sie hätte das Näschen gerümpft, so würde
man vollkommen in seinem Recht gewesen sein, wenn man gerufen hätte:
»Jetzt nimmt sie es gar noch übel!« --
Als wir da waren, das heißt als der Alte uns herankommen hörte, sah er sich
um; und das Kind stand auf. Der Dachs stand auch auf, wenn man bei solchen
Beinen das so nennen wollte, und bellte wie ein Hund aus den Gebrüdern
Grimm. Unsererseits sprach der junge Forsteleve von Müller:
»Guten Tag, Herr Kunemund. Da sind wir, wie ich es dem Herrn Förster
versprochen habe. Guten Tag, Fräulein Gertrud, ist der Vater zu Hause und
sonst alles wohl?«
»Guten Tag!« sagte das kleine Waldfräulein, ohne sich auf weiteres
einzulassen. Aber der Meister Autor erhob sich jetzt ächzend von seinem
Sitz und nahm eine Handvoll feuchtsaftigen Mooses und einiges Blätterwerk,
das er dem Boden im Sich-Aufrichten entrissen hatte, mit sich in die Höhe
und behielt es während der folgenden Unterhaltung, wie eine Art Trost- und
Stärkungsmittel im Verdruß, in der geballten Rechten. Widerwillig reichte
er die Linke unsrem freundlichen Fröhlichkeitsordner und brummte:
»Richtig, da sind die Herrschaften. Na, der Alte wird sich denn ja wohl
auch freuen, und wenn ihr die Alte dazu in guter Laune trefft, so soll es
mir angenehm sein. Lustig, Trudchen, sieh doch die Damen nicht so dumm an!
Lauf vorauf und bereite sie auf die Ehre und das Vergnügen vor, auf daß
ihnen der freudige Schrecken an der Gesundheit keinen Schaden tut.«
Daß dieser Empfang sehr höflich gewesen sei, konnte die Gesellschaft nicht
finden. Aber unser Führer hatte uns bereits darauf vorbereitet, und so
nahmen wir mit ziemlich gutem Humor den Gruß des Alten hin.
»Seien Sie nicht zu grob, Kunemund,« sagte der Herr von Müller lachend.
»Daß _Sie_ sich über unseren Besuch freuen, weiß ich ja doch zu genau.
Fräulein Julie, Fräulein Minna, laufen sie dreist mit dem Kinde voran! Wir
kommen im feierlichen Zuge augenblicklich nach und haben doch noch unsern
Spaß heute.«
Gertrud Tofote sah sich noch einmal einen langen Augenblick hindurch die
Gesellschaft an; dann drehte sie sich auf den Hacken, tat einen Sprung über
den Bach und schoß wie die Lieblichste der Elfen durch den Wald davon; und
selbst die jüngsten Damen unserer Gesellschaft, die hinter ihr drein
liefen, gaben es bald auf, gleichen Schritt mit ihr zu halten, oder sie nur
im Gesicht zu behalten. Wir älteres Volk setzten uns schwerfällig von neuem
in Bewegung, den Meister Autor Kunemund in unserer Mitte.
Wir können es nicht genug wiederholen, daß der Elm ein Musterforst ist.
Auf den Wanderversammlungen der grünröckigen Herren pflegt viel von ihm die
Rede zu sein. Seine Kultur ist durch die fachwissenschaftlichen Blätter
weit über die Grenzen Deutschlands berühmt geworden, und seine Bäume
bekommen ihre Blätter trotz alledem in jedem neuen Frühjahre wieder. Sie
bleiben auch gewöhnlich bis in den Herbst hinein grün, »was eigentlich ein
Wunder ist«, wie der Meister Autor sagte, nachdem er und ich bessere
Bekannte geworden waren und gegeneinander nur selten noch ein Blatt vor den
Mund nahmen; -- großer Gott, wie geistreich man doch auf solch einer
Vergnügungsfahrt ins Grüne und Blaue hinein wird! Selbst wenn man Jahre
lang nachher darüber schreibt, ist das Salz davon noch nicht dumm geworden,
welches ohne allen Zweifel ein Wunder ist. -- Wir zogen also durch diesen
im Quincunx gepflanzten Musterforst der Amtswohnung des Försters Arend
Tofote zu, und der Dachshund watschelte uns voran, von Zeit zu Zeit stehen
bleibend und seine Verwunderung über uns durch ein bedenkliches
Hauptschütteln und einen fragenden Blick auf seinen Herrn kundgebend. Der
Herr selber aber ging mit uns, wie gesagt, und hatte sich, wahrscheinlich
um seinen Jubel zu verbeißen, sein Moosbüschel in den Mund gestopft. Seine
Schuhe trug er jetzo an den Füßen, aber den linken Strumpf anzuziehen,
hatte er in der Hast und Aufregung vergessen und trug ihn zusammengeballt
in der Faust. Wir gingen fröhlich ihm nach und um ihn her; sämtliche
gelehrte Stände gegen wärtig und vorhanden. So kamen wir beim Försterhause
an, und der Leiter unserer Vergnügungspartie stellte uns dem Förster vor,
und der Förster Arend Tofote erschien hierbei als der Verlegenste seines
ganzen Haushaltes. Nichtsdestoweniger war er aber gern bereit, zu unserer
Lust beizutragen, was ihm nur irgend möglich war. Mit Speisen und Getränken
wartete er nach besten Kräften auf und jagte die Alte, d. h. seine alte
Haushälterin, und sein junges Kind nicht wenig. Unsere Damen waren
natürlich entzückt über das Kind und die Verpflegung, und bei den Herren
wachten Hunger und Durst merkwürdig lebendig von neuem auf. Es wurde sehr
behaglich, sehr gemütlich; und unsere Gemütlichkeit erlitt auch dann kaum
einen Abbruch, als das liebe, einfache Waldkind, die Gertrude, ihrerseits
gleichfalls ihr möglichstes zu derselben beitragen wollte, und plötzlich
und unvermutet ihre Spielgenossen auf uns los ließ. Wie wir über das stille
Haus im Walde gekommen waren, so kamen die guten Kameraden über uns. Zwei
reizende, schneeweiße Ferkelchen, zwei muntere, doch etwas mutwillige
Ziegen, deren eine den jungen Herrn von Müller und Fräulein Amalie durch
zwei unvermutete Kopfstöße von hinten beinahe zum Fall auf die Nasen
gebracht hätte -- erheiterten die Gesellschaft sehr. Weniger vermochte das
ein etwas stachlichter Igel, den Amalias Mama auf ihrem Stuhle fand, als
sie sich aus Schreck über die Gefahr der Tochter ein wenig hastig auf ihm
niederließ. Sie kreischte laut auf, und mehrere Damen versetzten sich ganz
in ihre Situation und schrieen hell auf. Der Zwischenfall wäre sicherlich
noch länger und lebhafter besprochen worden, wenn er nicht sofort durch
einen zweiten abgelöst worden wäre. Diesmal war die Reihe an der
Geistlichkeit. Mit einem Schreckensruf fuhr der Herr Pastor zusammen und
empor. Unter seinem Stuhle hatte es sich plötzlich geregt, und weich und
verstohlen hatte es sich zwischen seinen Schenkeln emporgeschoben: es war
aber nur Meister Reinecke der Fuchs, und zwar der zivilisierte, der
gezähmte Fuchs, der einen günstigen Augenblick benutzte, um die Kirche zu
kränken und dem geistlichen Herrn zierlich, aber ungeladen, ein delikates
Stück Schinken vom Teller zu nehmen. Das Verbrechen war begangen, das
Sakrilegium vollendet wie geplant, und frivolerweise lachte die
Gesellschaft ebenso herzlich über das Gesicht des Herrn Pastors wie über
den schlauen Dieb und seinen eiligen Rückzug mit der guten Beute.
Noch einiges andere Getier erlaubte sich seinen Spaß mit uns; aber im
ganzen fanden wir uns doch harmlos genug darein und waren recht vergnügt.
Wir fingen sogar an, von neuem zu singen, und zwar wiederum allerhand
Volkslieder, wie sie jetzt gedruckt in den Büchern stehen und meistens
reizend von den geschicktesten und naivsten Künstlern mit den hübschesten
Holzschnittillustrationen verziert werden. Wir konnten wirklich noch ohne
Noten singen, und es klang wiederum recht gut -- sogar sehr gut -- im
Walde. Herrn Kunemund bekam ich an diesem Tage nicht mehr zu Gesichte; doch
die Gesellschaft vermißte ihn durchaus nicht, und so sehe ich keinen Grund
dafür, weshalb gerade ich mich an dieser Stelle über sein Verschwinden
wundern sollte.


Drittes Kapitel.

Am Spätnachmittag zogen wir wieder ab, wie wir gekommen waren. Daß ein
jeder Teilnehmer an der fröhlichen Fahrt ins Grüne ihrer mit Vergnügen
gedachte, steht zu hoffen; was mich persönlich anbetrifft, so war ich am
Spätabend herzlich froh, alles vollendet zu haben und wieder zu Hause zu
sein. Die Lust des Tages war mir doch ein wenig auf die Nerven gefallen,
und es bedurfte längerer Zeit, ehe ich mich so weit erholt hatte, um an den
Meister Kunemund, den Förster Arend Tofote, sein Försterhaus und sein
Töchterlein ohne Widerwillen denken zu können. --
Wie gesagt, ich heiße von Schmidt, habe außerdem den Bergbau studiert,
wurde für längere Jugendjahre durch ein schlagendes Wetter an meiner
Gesundheit geschädigt, erholte mich, verließ den Staatsdienst und bin jetzt
meines Zeichens ein beschäftigungsloser Liebhaber wohlfeiler ästhetischer
Genüsse. Recht niedliche Novellen aus meiner Feder sind in verschiedenen
Blättern abgedruckt worden. Einige wurden mir auch als unbrauchbar
zurückgesendet; ich halte dieselben für die bessern Erzeugnisse meines
Geistes und benutze diese Gelegenheit, um sie den verehrlichen Redaktionen
nochmals zur Verfügung zu stellen. Mein Vater war ein wohlhabender
Domänenpächter, der das Glück hatte, fast ein Menschenalter hindurch lauter
»gute Jahre« zu haben. Er starb als ein, nach deutschen Verhältnissen,
wohlhabender Mann, und ich bin sein einziger Erbe, und er starb früh genug,
um mir auf meinem Lebensgange und bei meinen Liebhabereien nicht hindernd
in den Weg treten zu können. Natürlich verwendete ich auch das Försterhaus
in Elm novellistisch; jedoch ohne viel Freude an der Leistung zu erleben.
Sie schien sich auf keine Weise von meinem Schreibepult trennen zu können;
mit überraschender Schnelligkeit langte sie von jedem Ausflug in die Welt
wieder zu Hause an. Kaum daß ich sie glücklich wie aus der Seele so vom
Halse losgeworden zu sein glaubte, war sie in ihrer ganzen tauigen,
waldduftigen Frische wieder da. Ja, die waldfrischesten, tauduftigsten
Redaktoren und Redaktionen schickten sie mir umgehend wieder zu. Eine ganze
Literatur von Begleitschreiben sammelte sich um das unglückselige Kunstwerk
an, bis ich zuletzt wütend den Deckel des Pultes über ihm zuschlug, den
Kasten verschloß und den Schlüssel verlor. Nachher hatte ich Ruhe. --
Ich hatte Ruhe durch den Winter, und im nächsten Frühjahre stattete ich dem
Förster Tofote, dem Herrn Kunemund und der Gertrud einen zweiten Besuch ab;
jedoch diesmal allein. Das war an einem einundzwanzigsten Mai, und seit
diesem Tage verging selten ein Jahr, in welchem ich nicht mehreremale den
Besuch wiederholte. Was aber diese vorliegende Schrift anbetrifft, so wurde
dieselbe wenigstens im Anfange einzig und allein nur deshalb unternommen
und abgefaßt, um von dem Besuche zu handeln, den _mir_ der Meister Kunemund
abstattete. Daß ich aber am Schlusse heirate, beweist wieder einmal, daß
man niemals weiß, wie's endet, wenn man in irgendeiner Weise anfing. --
Ich saß, beide Ellenbogen auf die solide aus Eichenholz herausgearbeitete
Klappe gestützt, unter welcher ich alle meine besten lyrischen, epischen
und dramatischen Gefühle und Empfindungen unter Schloß und Riegel zu halten
pflege. Gähnend, aller Langweiligkeit des Daseins voll, saß ich, als es an
meiner Tür pochte und blöde sich hereinschob ins Zimmer, nachdem ich
mürrisch, ohne mich umzuwenden, die Störung aufgefordert hatte,
heranzukommen. Offen gestanden traute ich meinen Augen dann gar nicht, und
rückte den Stuhl mit solchem Nachdruck herum und dem Besucher entgegen, daß
das Möbel darüber durchaus aus dem Leime ging.
»Ja, ich bin es; nehmen Sie es nur nicht zu sehr übel!« sagte der Meister
Autor, als ich ihn an beiden Seiten gepackt hielt und die Trümmer des
Sitzgerätes mit einem Fußtritt hinterwärts aus dem Wege stieß.
»_Das_ war es, was anklopfte?... Gütiger Himmel, willkommen, Herr Kunemund!
O Meister, Meister, welches Vergnügen!... Gottlob, daß Sie selber keine
Ahnung davon haben, welches Behagen Sie unsereinem geben und welche Ehre
Sie uns durch einen solchen Besuch antun!«
»Lieber Herr --«
»Liebster, bester Freund, seien Sie herzlichst gegrüßt! Was Sie auch
herführen mag, mir bringen Sie alles mit, was ich eben ganz notwendig
brauchte.«
»Lieber Herr --«
»Was macht der Alte? was macht die Alte? was treibt das Kind -- das
Fräulein, das Waldfräulein? Wahrhaftig, ich könnte noch nach hundert guten
Bekannten fragen und fragte den Kreis nimmer aus. Bis auf die Fliegen an
der Wand ist mir das Haus im Elm ins Herz gewachsen.«
Wie das fromme Kind aus Kneitlingen in seinen fröhlichsten Momenten, tanzte
ich um den alten Mann herum und merkte erst lange nachdem ich ihn durch den
überwältigenden Wortschwall und Ausbruch meiner Gefühle betäubt hatte, daß
ich ihn betäubt habe. Da mäßigte ich mich denn, nahm ihm den Hut aus den
Händen, drückte ihn auf den bequemsten Stuhl nieder, strich sämtliche
Papiere vom Tische vor ihm und riß den Klingelzug ab, im hellen Eifer, ihm
ein Frühstück zu schaffen. Er aber lächelte verlegen ob all der Aufregung
und all des Umstandes -- er verlegen!... er, der Meister Autor Kunemund!
Ach, er hatte keine Ahnung davon, wie sehr ich mich schämte, _ihn_ in
Verlegenheit setzen zu können, und wie ich grade deshalb in fieberhafter
Hast mich bestrebte, ihn auf den richtigen Fuß und Schick zu bringen. Aber
ich sollte sogleich noch mehr Grund finden, mich in meinem Sein und
Für-mich-sein beunruhigt und ungemütlich zu finden -- kurz mich zu schämen;
denn es stellte sich bald heraus, daß der Herr Autor Kunemund mir trotz der
jetzt ziemlich langen Bekanntschaft noch lange nicht recht trauete. Er
brachte mir nämlich einen Brief mit, und zwar einen Empfehlungsbrief vom
Pastor zu Ampleben (Amt Lehen sagt das Volksbuch), dessen geistlicher und
leiblicher Vorfahr vor mehr als fünfhundertneunzig Jahren die
welthistorische Ehre gehabt hatte, oben beregtes frommes Kind Till
Eulenspiegel, Sohn von Klaus desselbigen Namens und dessen ehelich
getrauetem Weibe, Anna, geborener Weibikin mit dem Sakrament der heiligen
Taufe zu versehen. Da kam es heraus, daß der Meister Kunemund, trotzdem er
um Rat zu mir kam, nicht das geringste Vertrauen zu mir hatte; sondern daß
er mich leider ganz ruhig für einen Menschen hielt, wie ein Stück von den
vielen Dutzenden, deren Bekanntschaft er in seinem Leben gemacht hatte.
Ich nahm den Brief des Pastors, wie er mir gegeben wurde, und ich las ihn
auch. Ich las ihn, doch ich behielt während des Lesens meinen Besucher im
Auge; ich sah verstohlen über den Rand des Schreibens nach ihm hinüber. Der
Pastor wußte im Grunde nichts Übles und Nachteiliges über den Herrn
Kunemund mitzuteilen, und so frühstückten wir denn vor allen Dingen
wirklich miteinander, und während des Frühstücks suchte _ich_ ihn
auszuholen, und unterließ und vollführte in Wort und Tat nichts, was mir
meinerseits ihm gegenüber zur Empfehlung dienlich sein konnte.
Ich hatte hart zu kämpfen. Wie alle seinesgleichen wurde er durch eine für
den die Welt bedeutenden Teil der Menschheit sehr lächerliche Schämigkeit
behindert, sein Inneres einem doch verhältnismäßig fremden Menschen
aufzuschließen und sich in seinen Gedanken, Überlegungen, Wünschen und
Hoffnungen so nackt und bloß hinzulegen. Er hatte noch nie etwas drucken
lassen; er war sehr blöde und die beste Beute für jeden, der in dem
gewöhnlichen Sinne ein Interesse an ihm nahm und ihn gebrauchen konnte. Als
ich endlich heraus hatte, was ihn in die Stadt führte, und was er überhaupt
bei mir wollte, und wie er das, was er wünschte und zu tun hatte, ansah,
und zwar von den verschiedensten Seiten, und wie seine Hausgenossen das
Ding betrachteten, und zwar ebenfalls von mehreren Seiten: da hatte ich
eine Schwergeburtshülfe an ihm vollendet, deren ich mich wohl rühmen
durfte.


Viertes Kapitel.

Ich habe drucken lassen; bin auch sonst gar nicht blöde, halte es aber doch
nicht für paßlich, das Publikum noch einmal an den Mühen der Entbindung von
Wort zu Wort, Seufzer zu Seufzer, Ächzen zu Ächzen, teilnehmen zu lassen.
Ich werde den Meister Autor seine Geschichte und vor allen Dingen seine
Vorgeschichte, wenn auch nicht ohne Farbe und Rundung, so doch bündig und
ohne meine hundert notwendigen Zwischenfragen, Ermutigungen, Anfeuerungen
und Nötigungen vortragen lassen. Wie mehrere andere Leute lasse ich sonst
nicht gern jemand das Wort. Ich behalte es lieber selber und bitte, mir die
heutige Selbstentäußerung für eine künftige Gelegenheit gut zu rechnen. Es
folgt also an dieser Stelle
Das,
was der Meister Autor Kunemund
mir zu sagen hatte.
»Sehen Sie, Herr, da Sie es nicht übelgenommen haben, daß ich Ihnen hier
heute so auf den Hals gefallen bin, so will ich denn auch weit genug
ausholen, um den Keil in den Stamm zu treiben, nämlich ganz von vorn, oder
von hinten, wie Sie es nehmen wollen. Nämlich das ist nicht so, daß man
einfach denkt, es verstehe sich von selber, daß man sich in der Welt finde,
mit seinen Augen sehe, mit seinen Ohren höre und seine Kinnbacken und Zähne
gebrauche, wenn man etwas dazwischen zu nehmen habe. Herum mit dem Karren
-- ganz im Gegenteil! es versteht sich dieses gar nicht von selber, und man
braucht nur anzufangen, darüber nachzudenken, um bis an seinen Tod kein
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