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Ludwig Tieck's Schriften. Achter Band - 18
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dieser Name! Welche verborgene Zauberei hat sich in den Klang gemischt,
daß heut mein Blut ihm schneller hüpft? Ist dieß Liebe, Wilhelm?
Nein, nein, sie ist die Verlobte meines Freundes, meines Erretters.
-- Es kann nicht Liebe sein. Liebe, sagt Adalbert, macht menschlicher,
wohlwollend gegen jedes Geschöpf, und ist mir doch, als ob ich den
Namen Adalbert haßte seit ich den Namen Emma liebe! -- Nein, es ist
nur Zuneigung, nur der erste starke Eindruck, den jeder neue Gegenstand
macht. -- Zuneigung? Mehr nicht? Und warum konnt' ich es nicht über mich
gewinnen, ein Wort mit dem Ritter zu sprechen, der neben ihr saß? Wie
konnt' ich ihn beneiden, daß ihn der Saum ihres Kleides berühre? Warum
haßte ich jeden, den nur einer ihrer holdseligen Blicke traf? Was machte
mich glühend heiß, wenn ihr Auge auf mir verweilte? -- Freundschaft ist
dieß Gefühl nicht, wenn es nicht Liebe ist, so bin ich wahnsinnig! -- ist
es aber Liebe, so soll Adalbert sehen, wie ein Mann eine Leidenschaft
besiegt.
Besiegt? als ob hier schon etwas zu besiegen wäre. -- Als ob es schon
ausgemacht wäre, daß _ich sie_ liebte! -- Es kann, es darf nicht sein.
Ich will mich mit aller meiner Männlichkeit panzern; sie gehört Adalbert,
er liebt sie, sie ihn, ich habe sie ihm versprochen, -- ein Mann, ein
Ritter muß auf sein Versprechen halten und wenn er selbst darüber zu
Grunde ginge.
Er eilte in die Burg zurück, und freute sich dieses Sieges.
* * * * *
Emma hatte sich indeß einigemal wieder dem Fenster genähert, ohne von
Löwenau bemerkt zu werden. Sie konnte den schönen Mann nie ohne eine
gewisse Theilnahme sehn und diese Theilnahme ging sehr bald in den Wunsch
über: wenn _dieser_ dich liebte! Ohne es selbst zu wissen, spann sie
denn diesen Traum weiter aus, und die spielenden Phantasieen schlossen
mit der Frage: Du liebst ihn also?
Sie erschrak nicht mehr über diese Frage, schon während der Mahlzeit
hatte sie sich an diesen Gedanken gewöhnt. -- Ganz leise fing ihr Herz
an diese Frage mit Ja zu beantworten; sie hatte ihn schon geliebt, ehe
sie noch die Möglichkeit dieser Liebe dachte, itzt gab sie erst zu dieser
Liebe nur noch ihre Einwilligung. Dieß war der erste Augenblick, in
welchem sie eine Art von Freude darüber empfand, daß Adalbert nicht
in der Burg zugegen sei, das Andenken seiner Liebe lebte nur noch ganz
schwach in ihrer Seele, nur wie die Erinnerung des gestrigen Abendmahls
beim majestätischen Aufgang der Sonne. Sie fühlte, daß sie ihren Adalbert
noch lange nicht so geliebt habe, als sie lieben könne, ja sie fing so
gar an, sich ihre Gefühle abzustreiten, er war wie sie jetzt glaubte,
nur ihr Freund gewesen. Durch die Erscheinung Löwenau's war überhaupt
auf sein Bild jener Schatten der Gleichgültigkeit zurückgeworfen, aus
dem die Liebe den geliebten Gegenstand an das hellste Licht hervorzieht.
Alle Vollkommenheiten, die sie einst an Adalbert bewunderte, fand sie
ungleich vollkommner an Löwenau wieder und jener behielt am Ende nichts
als seine Fehler, die sie sonst immer zu seinen Vorzügen gerechnet hatte;
und da man auch andre gern seiner eignen Fehler wegen anklagt, so
glaubte sie darin, daß er nicht wenigstens Abschied von ihr genommen
habe, einen Beweis zu finden, daß auch er sie nie geliebt habe. -- In
dieser Voraussetzung fand sie sehr viel Beruhigendes, und darum ward sie
endlich Überzeugung.
Die Liebe stimmt die Empfindung feiner und roher, erhabner und niedriger;
den vorher gemeinen Menschen erhebt sie oft zum Edelmuth; der Edle sinkt
zum Gemeinen hinab, ein und ebenderselbe Gesang, der auf jedem Instrument
in andern Tönen lebt. Was Emma sonst immer mit Verachtung angesehn hatte,
schien ihr itzt wichtig; der geschmückte Löwenau gefiel ihr um ein großes
Theil mehr als er ihr ohne Schmuck würde gefallen haben, sie gestand
sich dieß Gefühl, und beschloß von jetzt an auch auf ihren Putz mehrere
Aufmerksamkeit zu wenden. Sie sahe sogar die Erinnerung an Adalbert
darum etwas gleichgültiger an, weil er nur ihres Vaters _Knappe_ gewesen
war.
Löwenau wollte eben durch den großen Gang in die Versammlung der Ritter
gehn, als Emma, vielleicht zufällig, vielleicht mit Vorsatz, weil sie
ihn hatte zurückkommen sehn, aus dem Gemache trat.
Ihr hier, Fräulein? rief Löwenau etwas hastig.
Sie wurde roth, denn sie glaubte in diesen Worten und in der Art, wie er
sie sprach, einigen Unwillen des Ritters zu entdecken, oder den Gedanken,
sie sei seinetwegen gekommen. -- Um in den Garten zu gehn, antwortete sie,
indem sie rasch vorbeihüpfen wollte. --
Ihr flieht mich? sprach der Ritter.
Euch fliehen? Dann müßtet Ihr nicht der Ritter Löwenau sein. --
Sie waren beide an ein Bogenfenster getreten und der Schein des Abends
überflog mit freundlicher Röthe das Gesicht des Mädchens. --
Fräulein, -- fing der Ritter nach einigem Stillschweigen an, die Sonne
nimmt durch einen holdseligen Kuß von Euch Abschied, um Euch morgen
wieder mit einem Kusse zu wecken. -- Um Euer Antlitz zittert ein blasser
Flammenschein, man sollte Euch für eine Heilige halten.
Daß Ihr nur nicht in die Versuchung kommt, mich anzubeten, erwiederte
Emma schalkhaft.
_Löwenau._ Und wenn ich nun in die Versuchung käme? -- Würdet Ihr mein
Gebet erhören, schöne Emma? --
_Emma._ Ich müßte erst wissen, um was Ihr mich bitten wolltet. -- Sie
sprach diese Worte leise und mit zitternder Stimme, denn sie fürchtete
und hoffte viel.
So bitt' ich Euch, sprach Löwenau, nicht so schnell von mir in den
Garten zu eilen.
Nicht mehr als das? rief Emma schnell, und mit einem kleinen Unwillen
über ihre getäuschte Erwartung. --
_Löwenau._ Wenn Ihr so gütig seid, mein Fräulein, so werdet Ihr mich
leicht zu einem ungestümen Bitter machen.
_Emma._ Was könntet Ihr noch mehr wünschen? --
_Löwenau._ Euch sehen und nicht wünschen? --
_Emma._ Ihr sprecht in Räthseln.
_Löwenau._ Daß Euer Herz sie verstehen _wollte_!
Emma sahe starr vor sich hin. Löwenau's Augen wurzelten auf ihrem
Antlitz, er zitterte, eine niegefühlte Empfindung bebte durch seinen
Körper, wie mit Ketten riß es ihn zu Emma hin, er umarmte sie plötzlich
und sprach mit leiser unterdrückter Stimme: Emma, ich liebe dich! --
Betäubt hing er an ihrem Halse, Emma sprach nicht, eine von seinen
Händen lag in der ihrigen, sie drückte sie schweigend.
Liebst du mich? rief er, wie aus einem Traum erwachend. -- Ein leises
flüsterndes »Ja,« nur der Liebe hörbar, flog ihm entgegen.
Sein Gesicht sank auf das ihrige, er drückte einen brennenden zitternden
Kuß auf ihre Lippen, -- kein Gedanke, kein Gefühl, keine Erinnerung trat
vor seine Seele, als daß er _sie_ in seinen Armen halte; selbst daß sie
ihn liebe, hatte er vergessen. --
Emma erholte sich zuerst aus ihrer Betäubung, noch einen Kuß drückte sie
auf seine Lippen, und flohe dann zitternd in ihr Gemach, wo sie sogleich
athemlos auf einen Sessel niedersank, als würde sie von einem Ungeheuer
verfolgt. Löwenau starrte ihr nach, bis der letzte weiße Schimmer ihres
Gewandes verschwand; lange noch blieb sein Auge unbeweglich auf einen
Punkt geheftet, als wäre ihm ein Gespenst begegnet.
Endlich ging er in den Saal, wo alle Ritter noch fröhlich bei den
Pokalen saßen; selbst Friedrich und Konrad hatten ihre verlornen Söhne
vergessen.
Löwenau wandelte wie im Traum und beantwortete jede Frage nur
unvollständig. -- Friedrich glaubte, er sei von der Reise und vom
Turnier ermüdet und ließ ihn durch einen Diener auf sein Zimmer führen.
Auch die übrigen Ritter gingen aus einander. -- Löwenau entschlief, als
sich seine Phantasie müde geschwärmt, und seine Leidenschaften in
Erschöpfung gekämpft hatten.
* * * * *
Als er am Morgen erwachte, war Adalbert und sein Versprechen sein erster
Gedanke. Furchtbar trat diese Erinnerung auf ihn zu, und mahnte ihn
schrecklich, auf dem Wege nicht fortzuwandeln, den er zu betreten
angefangen habe. -- Aber wie war es möglich rückwärts zu gehn? Er hatte
ihr seine Liebe gestanden, und sie, daß sie ihn wieder liebe. Wenn dieß
Geständniß nicht über seine Lippen geschlüpft wäre, so hätte er gegen
seine Leidenschaft noch kämpfen können; jetzt aber würde er sich und
Emma zugleich unglücklich gemacht haben. -- Er überließ sich und sein
Schicksal endlich ganz und gar der Zeit, wenigstens verschob er alles
Nachsinnen, alle Entschlüsse bis auf jene Stunde, in welcher er bei dem
Vater um sie anhalten wollte. -- Weiß ich doch noch nicht gewiß, ob sie
mir der Vater nicht abschlägt; geschieht es nicht, nun so kann ich ja
auch dann noch immer für Adalbert handeln. -- Mit diesen Täuschungen
beruhigte er die Vorwürfe, die er in dem Innern seiner Seele fühlte.
Emma und Wilhelm waren sich bald nicht mehr fremd, das vertrauliche Du
verdrängte bald die fremde steife Höflichkeit; denn Löwenau verachtete
alle Zurückhaltung, alles Verschließen in sich selbst; er glaubte, es
zieme dem Mann, stets gerade und offen zu handeln, keinem ungeprüft zu
mißtrauen, von jedem Unbekannten das Beste zu denken, und ihn als Freund
zu behandeln. So war Wilhelm der Freund der ganzen Welt. -- Emma,
die nie die Burg ihres Vaters verlassen hatte, die fast immer nur
mit Geschöpfen ihrer Phantasie umgegangen war, besaß noch weniger
Zurückhaltung; sie äußerte sich ganz so, wie sie war, kannte Verstellung
kaum dem Namen nach, und traute jedem offenen Gesichte.
Er sprach itzt zuweilen von Adalbert, und sie gestand ihm, daß sie ihn
nie geliebt habe. Sie glaubte es jetzt. -- Löwenau fühlte sich durch
diese Erklärung glücklich. -- Beide waren sich bald unentbehrlich, und
Löwenau gab den Einladungen Friedrichs, da die übrigen Ritter die Burg
verließen, sehr gern Gehör. Wenn er jetzt nicht bei Emma war, war er
sich selbst zur Last; jede Beschäftigung machte ihm Langeweile, und doch
verlegte er die Stunde immer von einem Tag zum andern, in welcher er bei
Friedrich um sie anhalten wollte; denn er fühlte sich in der Täuschung
etwas beruhigt, daß er noch immer nicht gegen Adalbert handle.
Emma war jetzt liebenswürdiger als je; der leichte Gram um Adalbert hatte
ihr manches von ihrer Lebhaftigkeit genommen, sie war jetzt mehr eine
stille, leidende Schönheit, die sich um so reizender an den stärkern
Mann anschließt und hinter seiner Brust einen Schirm gegen alle Stürme
des Schicksals sucht. Ihre neue Liebe hatte ihr einen seelenvollen Blick
gegeben, in welchem ein schönes Feuer brannte. -- Der heftige Löwenau
liebte sie bis zur Anbetung, denn es war seine erste Liebe. --
Endlich aber fand er doch diese Lage peinlich, er beschloß noch heute
mit sich und Adalbert Abrechnung zu halten, noch heute bei dem Vater
um sie zu werben. Er ging zum alten Friedrich, den er in einem Sessel
nachdenkend im Saale fand. -- Woran denkt Ihr, Ritter? redete er ihn an.
_Friedrich._ Bei mir ist ja leider die Zeit gekommen, wo ich nur noch in
der Erinnerung leben kann; die Zeit der Thaten ist verschwunden.
_Löwenau._ Aber könnt Ihr nicht auch in der Zukunft leben?
_Friedrich._ In der Rückerinnerung lernen wir mehr, nur Thoren sind in
der Zukunft zu Hause. -- Wenn man seinen ganzen Reichthum anwendet, in
jenem goldnen Lande Palläste aufzubauen, und _ein_ Windstoß sie alle
niederreißt: wohin soll dann der verarmte Pilger fliehen? -- Über dem
Lande der Zukunft liegt ein dicker Nebel; oft scheint uns aus der
Entfernung etwas ein Schloß zu sein, und wenn wir näher kommen, ist
es eine überhangende Klippe, die sich im nächsten Augenblick auf unser
Haupt herabwirft. --
_Löwenau._ Ihr wollt also nicht hoffen?
_Friedrich._ O ja, aber die Hoffnung, jene Betrügerin, nicht zu meiner
täglichen Gesellschaft machen. Das größte Glück erscheint klein, neben
dem Bilde, das uns die Hoffnung vorhielt.
_Löwenau._ Die Hoffnung trägt für Euch die Gestalt Emma's, und eine
solche Tochter -- --
_Friedrich._ Je besser sie ist, desto mehr hab' ich zu fürchten, und je
mehr ich sie liebe, je mehr verlier' ich in ihr. Alles wär' mit ihr
dahin! Ich wünsche nichts, als sie glücklich zu sehn; dann werde ich es
auch sein.
_Löwenau._ Habt Ihr noch auf keinen Eidam gedacht?
_Friedrich._ Er schläft in Palästina, Konrad von Burgfels, ihr mußt ihn
gekannt haben, -- ein anderer, -- o ich mag nicht gern daran denken!
-- ein gewisser Adalbert liebte sie, ich schlug sie ihm ab; wäre er jetzt
hier, sie wäre sein. --
Löwenau schwieg, und sahe düster vor sich nieder. Ein gewisser -- Wollt
Ihr sie keinem Ritter von berühmtem Hause geben? fragte er endlich.
_Friedrich._ Wer weiß ob sie mit einem solchen glücklich wäre?
_Löwenau._ Wenn er sie, wenn sie ihn liebte?
_Friedrich._ Dann würd' ich mich keinen Augenblick bedenken.
Löwenau kämpfte jetzt einen schweren Kampf, sein Edelmuth und seine
Liebe rangen hartnäckig mit einander; oft wollte er den Namen Adalbert
aussprechen, aber der Name starb auf den Lippen bei dem Gedanken an
Emma. -- Die Liebe blieb Siegerin. -- Würdet Ihr mich als Eidam
verschmähen, Ritter?
_Friedrich._ Euch? -- Ist das Euer Ernst?
_Löwenau._ Könntet Ihr mir jetzt wirklich Scherz zutrauen?
_Friedrich._ Sie ist Euer, wenn sie Euch liebt.
_Löwenau._ Dafür kann ich Bürge sein. --
_Friedrich._ Nun so darf ich doch endlich hoffen, ein glücklicher Vater
zu werden; ich zweifelte schon daran, denn man muß sich gewöhnen, an
allem in dieser Welt zu zweifeln, was dem Glücke ähnlich sieht.
_Löwenau._ Ihr seid heute besonders traurig gestimmt. --
_Friedrich._ Ich will es nicht länger bleiben, mein Eidam muß nicht
glauben, daß er an mir einen mürrischen Vater erhält.
Die Ritter sprachen noch lange zusammen; Friedrich ward sehr heiter,
Löwenau ging endlich spät in sein Schlafgemach.
Sie ist mein! rief er aus. -- Unwidersprechlich mein. -- Itzt sei es
fest beschlossen. -- Sie ist mein, Adalbert! und sollt' ich darüber mein
Leben, welches ich dir danke, gegen dich auf's Spiel setzen müssen.
Die Freundschaft sterbe für die Liebe. Sie liebt ihn nicht; sie wäre
unglücklich, und -- bei allen Heiligen! -- sie verdient es nicht zu
sein. Auch er wird sie vergessen, -- oder mein Leben -- ein nichtiges
Geschenk ohne sie, zurückfordern. Mag er! ich werde es vertheidigen,
denn jetzt ist es Emma's Eigenthum. Der große Vertrag mit seinem Gewissen
war bald von der Leidenschaft abgeschlossen; ihre Sprache hielt er für
die Stimme der unpartheiischen Wahrheit, und schlief zu glücklichen
Träumen ein.
* * * * *
Emma! du bist mein! dein Vater hat dich mir zugesagt, du mein! ich dein!
so rief Löwenau als er in Emmas Zimmer trat und in ihre Arme eilte.
-- Jetzt kann uns nichts in der Welt von einander reißen.
_Emma._ Ich dein? du mein? --
_Löwenau._ Nur etwas mangelt unserm Glück und dieses Wort umfaßt noch
mehr.
_Emma._ Was könnte dieses Etwas sein?
_Löwenau._ Daß Adalbert alle seine Rechte auf dich aufgiebt; so lange
wir noch fürchten müssen, daß er zwischen unsre Umarmungen tritt, so
lange sind wir nur halb glücklich. -- Emma, ich weiß den Ort seines
Aufenthalts, schicke ihm durch einen Bothen nur wenige Worte, die ihm
sagen, daß du ihn nicht mehr liebst, daß er jeden Gedanken an dich
vergessen solle, daß du mein seist. -- Ich bitte dich darum, Emma.
Dann wollen wir uns ohne alle Besorgnisse ganz dem Glück unsrer Liebe
überlassen, dann soll keine ängstliche Furcht uns nahe treten, dann will
ich es trotzig mit der Zeit aufnehmen, ob sie durch unzählige Jahre im
Stande sei, meine Liebe zu schwächen.
Emma gab sehr leicht ihre Einwilligung, auch Löwenau setzte sich und
schrieb diesen Brief:
_Adalbert!_
Mein Versprechen ist gebrochen! rechte mit dem Schicksal und nicht
mit mir! Ich bin unschuldig. -- Engel gaben der Versuchung nach und
verspielten ihr ewiges Glück; ich bin nur ein schwacher Mensch, mag der
Verlust Deiner Freundschaft meine Schwäche bestrafen. -- Emma gehört Dir
nicht mehr, sie ist mein, mir von ihrem Vater und der Liebe zugesagt.
Zweifle nicht Adalbert, sie liebt Dich nicht, sie hat Dich nie geliebt.
Alle Deine Hoffnungen sind durch mich gemordet; ermorde mich, wenn Du
Dich rächen mußt; aber ihren Besitz wirst Du mir nie streitig machen.
Gieb sie verloren Adalbert, sie kann in Ewigkeit nicht die Deinige
werden. Ich bin der Hüter dieses Schatzes; wer ihn erlangen will, muß
mich erst tödten.
_Löwenau._
Emma hatte indessen einige Worte geschrieben, die sie ihm gab. Er legte
sie in seinen Brief und siegelte ihn.
_Ritter_,
Vergeßt mich, so wie ich Euch vergessen will, denkt an mich stets wie
an einen verstorbenen Freund; ich bin die Verlobte eines Ritters und
darf mich daher nicht mehr nennen:
Eure Emma.
Löwenau gab die Briefe seinem Knappen Franz, der ihn nach Mannstein
begleitet hatte. Dieser ritt noch an eben dem Tage fort, um so früh als
möglich auf der Burg Löwenau's anzukommen.
Friedrich und Löwenau dachten itzt nur an das Vermählungsfest, welches
sie recht glänzend zu machen beschlossen. Emma war in den Armen ihres
Geliebten so glücklich, als man es auf dieser Welt sein kann.
* * * * *
Adalbert lebte während dieser Zeit noch immer unter seinen schönen
Hoffnungen und erwartete täglich die Bothschaft seines Glücks. Sein
vergebliches Warten machte ihn nicht traurig, nur verdrüßlich, denn
dieser Aufschub schien die Hoffnung von dem glücklichen Fortgang des
Unternehmens zu bestätigen. Er war oft auf die Jagd gegangen, hatte die
schönen Gegenden in der Nähe besucht und dachte jeden Abend bei der
Heimkehr, einen Bothen seines Freundes zu finden.
Er war von einem seiner Spaziergänge zurückgekommen und stand an eine
Buche gelehnt, das Wolkenspiel im Abendroth zu betrachten, als er in der
Ferne einen Reuter erblickte, der sich dem Schlosse näherte. Er erkannte
bald in ihm Franz, den Knappen Löwenau's. -- Schnell eilte er mit der
Frage auf ihn zu: ob ihn der Ritter gesendet habe. -- Franz antwortete
mit Ja und überreichte ihm den Brief Löwenau's. --
Adalberts Herz klopfte heftig als er den Brief und die Aufschrift
betrachtete, er zögerte ihn zu erbrechen. -- Unaussprechliches Glück,
oder Tod springt mir entgegen, -- noch, noch darf ich hoffen, noch bin
ich glücklich. -- Die Sonne war untergegangen, er ging auf sein Zimmer,
den Brief beim Schein eines Lichtes zu lesen. Dieser Augenblick war ihm
feierlich, eine heilige Stille schwebte längst den Wänden des Gemachs,
eine Grille zirpte leise und eine ferne Glocke tönte über den Berg
herüber. -- Er lößte das Siegel.
Emma's Brief fiel ihm zuerst auf, er kannte die Hand und küßte das
Pergament. -- Er las -- und ward bleich, -- er las von neuem und schaute
wild mit weit geöffneten Augen empor, alle seine Gedanken verirrten sich,
er wußte nur, daß er elend sei, kalt und fürchterlich faßte ihn diese
Überzeugung an; was sein Elend sei, war aus seiner Seele geschwunden.
Emma! rief er endlich mit fürchterlicher Stimme, indem seine Besinnung
zurückkehrte. -- Er wagte es, noch einmal zu lesen, dann las er den
Brief Löwenau's. -- Seine Augen schlossen sich, wie von einer zu großen
Helle geblendet, krampfhaft schlug er die Zähne zusammen und hing kalt
und starr wie eine Leiche in dem Sessel. -- _Das_ hatte er nicht
erwartet.
Er sprang nach einer Stille auf und brüllte wie ein Rasender: Fluch über
alle, die in dieser Stunde glücklich sind! Fluch über alle Elende! -- Ja,
ich fluche mir selbst, ich fluche mir und ihr -- o ihr Verzweifelten!
kommt zu mir her an meine Brust und helft mich verfluchen! _Eure_ Emma?
_Eure_ Emma? -- Du lügst Meineidige! so hast du dich nie genannt! --
Mir hat noch keine Hoffnung Wort gehalten, keine Seligkeit der Erde hat
mich Freund genannt. Mein Leben ist ein schwarzes Gewebe von Unglück,
wie von einem Feind werd' ich vom Elend verfolgt, durch tausend Quaalen
jagt es mich in den Rachen des Todes. _Meinetwegen_ wird ein zärtlicher
Vater grausam, _meinetwegen_ ein edler Freund ein Ungeheuer, -- ich gebe
die Hoffnung, ich gebe das Schicksal auf. Ein blindes Ohngefähr würfelt
mit Glück und Unglück, -- gut, so will ich denn auch handeln, so lange
ich noch handeln kann, -- ich will zu ihnen, sie sollen aus ihren
Umarmungen zurückstürzen, als hätten sie den Schuppenhals eines Drachen
berührt. -- Ich will nicht _allein_ unglücklich sein, die _Liebe_ haßt
mich, der _Haß_ soll mich itzt glücklich machen.
_Eure_ Emma? -- Konnte deine Hand diese Worte schreiben? Dieselbe Hand,
die mir so oft den Schweiß des Kampfes von der Stirn trocknete, dieselbe
Hand, die so oft in der meinigen lag und mich deiner Liebe versicherte
-- o Himmel! was für ein armseliges Ding ist die Tugend, wenn sich
in wenigen Wochen der Mensch so ganz umschaffen kann! Richtet keinen
Bösewicht mehr hin, er ist in wenigen Tagen vielleicht ein Muster für
seine Richter! -- Tugend? -- Für mich ist keine Tugend, kein Gott mehr,
denn sie, das Unterpfand für beide, ist mir verloren.
Er drückte knirschend Löwenaus Brief zusammen, sein Athem drängte sich
schwer durch seine Kehle, tausend Centner waren auf seine Brust gewälzt.
-- Sein Blick fiel auf Emma's grünes Band nieder, das er auf seiner
Brust immer als eine Reliquie getragen hatte, er riß es wüthend herab.
Das Pfand ihrer Treue! ihrer Liebe! -- -- Sie will mich vergessen. -- Ich
kann sie nie vergessen, und warum sollt' ich es auch? -- wenn ich sie
vergessen könnte, dann könnte ich einst wieder lächeln -- aber das werd'
ich nie wieder.
Er schwieg und lehnte sich in eine Ecke des Zimmers, alles war still wie
eine Todtengruft.
Du hast mir mein Leben gestohlen, Emma, sprach er leise, um die tiefe
Einsamkeit nicht zu stören; ich werde bald sterben und habe umsonst
gelebt, von mir darf Niemand Rechenschaft dort jenseits fordern, nur
über Jammer kann ich Red' und Antwort geben, -- Emma, ich weise den
fürchterlichen Richter an dich, und an dich Wilhelm!
_Eure_ Emma! -- Hättest du mir doch wenigstens das armselige »Du« übrig
gelassen, -- aber _nichts_ sollte mir übrig bleiben. -- Gut, setzte er
mit schrecklicher Kälte hinzu, auch dies Band will ich dir zurückbringen.
Er glaubte einigemal, Emma und sein Freund hätten nur auf eine grausame
Art mit ihm scherzen wollen, um seine Liebe auf die Probe zu stellen;
er dachte, er hätte in seiner Wuth einige Ausdrücke zu stark empfunden,
er suchte dann nochmals in den Briefen nach und quälte sich den
fürchterlichen Sinn zu mildern, -- aber umsonst! der kalte, gefühllose
Buchstabe blieb derselbe, und seine Pein fand keine Linderung.
Der Ritter durchlebte eine fürchterliche Nacht, er konnte nicht
schlafen, aber auch nicht wachen; tausendmal stand sein Verstand
vor dem fürchterlichen Thor des Wahnsinns, er sahe tausend Gestalten
vorüberziehn, die ihn bald mit Entsetzen, bald mit Wonne erfüllten;
in dem einen Augenblick lag er in den Armen Emma's, alles war nur
ein fürchterlicher Traum gewesen; er drückte sie an sein Herz,
und das Knistern des Briefs, den er noch immer in seiner Hand fest
eingeschlossen hielt, weckte ihn wie durch schadenfrohen Zauber aus
seiner Trunkenheit. Bald kämpfte er mit Löwenau um Tod und Leben und sah
ihn unter seinen Streichen fallen; bald verschlang alles um ihn her eine
große wüste Leere, er stand mit seinem Schmerz allein in der tauben
ausgestorbenen Wildniß, von einer unendlichen Nacht umfangen; Geister
fuhren auf fernen Donnern und schwache Blitze spalteten das ungeheure
Reich der ewigen Öde.
Er fühlte, wie seine Kräfte merklich schwanden. Gott! rief er, wenn ich
diese Nacht sterben müßte! ohne sie noch einmal zu sehn! -- Mein Geist
muß von meiner gestorbenen Emma Abschied nehmen, ich _muß_, ich muß sie
sehn.
Er wartete ängstlich auf den Anbruch des Morgens, die Nacht schien ihm
Hohn zu sprechen, der Morgen kam immer noch nicht. -- Endlich zitterte
der erste graue Streif des Tages empor und Adalbert sprang schnell auf,
riß ein Roß aus dem Stalle, und sprengte hinweg. Sein treuer Hund, der
ihm oft auf der Jagd gefolgt war, begleitete ihn.
Er jagte rasch der Sonne entgegen, er spornte sein Roß unaufhörlich,
denn die größte Eile war ihm zu langsam.
Eine drückende Hitze zog herauf und sein Roß war schon ermüdet, als er
einen Ritter einholte, der auch diese Straße zog. -- Wohin? fragte er
diesen. -- Nach Mannstein, war die Antwort, zur Hochzeit des edeln
Löwenau und der schönen Emma. -- Adalbert lachte wild auf. -- Worüber
lacht Ihr? -- Voll Freude, daß wir einen Weg haben. -- In eben dem
Augenblicke gab er von neuem dem Rosse die Sporen und sprengte wie
rasend hinweg. -- Warum eilt Ihr so? rief ihm der Ritter nach. -- Seht
Ihr nicht, schrie Adalbert zurück, wie mir der bleiche Tod nachjagt?
-- Er war ihm bald aus den Augen.
Das grüne Band war um seinen Arm gebunden und flatterte ihm nach;
Todtenblässe hatte sein Gesicht überzogen, sein Roß keuchte und sein
treuer Hund lief ihm oft voraus, und sah ihn winselnd an, -- aber ohne
Bewußtsein jagte er immer wieder in neuer Wuth weiter. -- Am Abend
stürzte der Rappe todt nieder, der Hund war fort, als er sich nach ihm
umsah. -- Auch er hat mich verlassen, dachte Adalbert; aber der treue
Gefährte lag schon weit hinter ihm sterbend am Wege.
Adalbert reiste zu Fuß die ganze Nacht hindurch, seine Kräfte schienen
übermenschlich, tausend Schrecken schienen ihn unermüdet vor sich hin
zu jagen. -- Am Mittag des andern Tages entdeckte er in einem kleinen
versteckten Thale eine Schäferhütte, sein Gaumen war von der Hitze
aufgeschwollen, er trat in die Hütte und begehrte von einem Greise, den
er dort fand, eine Schale Wasser. -- Ihr sollt kühle Milch bekommen,
sagte dieser, und gab seiner Tochter den Auftrag eine Schale voll zu
holen. -- Das kleine Mädchen eilte willig hinweg und Adalbert stand
düster an die Thür gelehnt. -- Das Mädchen verweilte etwas lange. Wo
bleibst du, Emma? rief der Alte. Adalbert fuhr auf, das Mädchen trat in
eben dem Augenblick herein und bot ihm freundlich lächelnd die Schale.
Statt sie an den Mund zu setzen, warf er sie wüthend auf den Boden, daß
sie in tausend Scherben zersprang; dann eilte er wie ein Wahnsinniger
weiter.
Die Sonne ging schon unter, als er auf der Grenze des Horizonts einen
Thurm erblickte, der ihm bekannt schien; -- tausend Erinnerungen kamen
in seine Seele zurück, -- es war die Burg Mannstein.
* * * * *
Er stand still und sahe mit langem Blick nach der wohlbekannten
väterlichen Gegend, und in seine Verzweiflung mischten sich einige
Tropfen der Wehmuth, sie _so_ wiederzusehn. Die Burg stand zaubervoll
da in einem rothen Flammenschein. Die Sonne ging blutig unter.
Er eilte weiter. Der letzte Streif des Tages verschwand hinter einen
grünen Berg; der Mond brach hervor, und glänzte durch die zitternden
Tannenzweige. Schon unterschied er die erleuchteten Fenster der Burg,
schon erblickte er in ihnen Schatten, die ungewiß hin und wieder
schwebten, schon hörte er immer näher und näher das Tönen der Trompeten
und den Donner der Pauken, -- tausend brennende Dolche fuhren durch
seine Brust.
Jetzt war er an die Burg gekommen. Er ging durch das offne Thor, das
frohe Getümmel der Gäste lärmte ihm entgegen, er hätte gern geweint,
aber seine Augen waren trocken. Er schlich sich in den Burggarten und
setzte sich in eine kleine Laube, welche ein Fliederbaum bildete; bald
sahe er still und mit anscheinender Ruhe durch die monderhellte Gegend,
bald nach der geräuschvollen Burg. -- Alle seine Empfindungen wurden
nach und nach abgespannt; er war betäubt, als er zwei Gestalten auf sich
zukommen sah, -- es waren Löwenau und Emma. --
Löwenau hatte sich in sich selbst geirrt, er hatte sich für stärker
gehalten, als er wirklich war, die Stimme seines Gewissens war nur
unterdrückt gewesen, sie fing itzt um so lauter an zu sprechen. Er
begann zu ahnen, daß er in Emma's Armen nie recht glücklich sein würde,
aber ohne Emma lag ein grenzenloses Elend vor ihm. Er war am Abend still
und nachdenkend gewesen, und wollte itzt mit Emma einen Spaziergang
daß heut mein Blut ihm schneller hüpft? Ist dieß Liebe, Wilhelm?
Nein, nein, sie ist die Verlobte meines Freundes, meines Erretters.
-- Es kann nicht Liebe sein. Liebe, sagt Adalbert, macht menschlicher,
wohlwollend gegen jedes Geschöpf, und ist mir doch, als ob ich den
Namen Adalbert haßte seit ich den Namen Emma liebe! -- Nein, es ist
nur Zuneigung, nur der erste starke Eindruck, den jeder neue Gegenstand
macht. -- Zuneigung? Mehr nicht? Und warum konnt' ich es nicht über mich
gewinnen, ein Wort mit dem Ritter zu sprechen, der neben ihr saß? Wie
konnt' ich ihn beneiden, daß ihn der Saum ihres Kleides berühre? Warum
haßte ich jeden, den nur einer ihrer holdseligen Blicke traf? Was machte
mich glühend heiß, wenn ihr Auge auf mir verweilte? -- Freundschaft ist
dieß Gefühl nicht, wenn es nicht Liebe ist, so bin ich wahnsinnig! -- ist
es aber Liebe, so soll Adalbert sehen, wie ein Mann eine Leidenschaft
besiegt.
Besiegt? als ob hier schon etwas zu besiegen wäre. -- Als ob es schon
ausgemacht wäre, daß _ich sie_ liebte! -- Es kann, es darf nicht sein.
Ich will mich mit aller meiner Männlichkeit panzern; sie gehört Adalbert,
er liebt sie, sie ihn, ich habe sie ihm versprochen, -- ein Mann, ein
Ritter muß auf sein Versprechen halten und wenn er selbst darüber zu
Grunde ginge.
Er eilte in die Burg zurück, und freute sich dieses Sieges.
* * * * *
Emma hatte sich indeß einigemal wieder dem Fenster genähert, ohne von
Löwenau bemerkt zu werden. Sie konnte den schönen Mann nie ohne eine
gewisse Theilnahme sehn und diese Theilnahme ging sehr bald in den Wunsch
über: wenn _dieser_ dich liebte! Ohne es selbst zu wissen, spann sie
denn diesen Traum weiter aus, und die spielenden Phantasieen schlossen
mit der Frage: Du liebst ihn also?
Sie erschrak nicht mehr über diese Frage, schon während der Mahlzeit
hatte sie sich an diesen Gedanken gewöhnt. -- Ganz leise fing ihr Herz
an diese Frage mit Ja zu beantworten; sie hatte ihn schon geliebt, ehe
sie noch die Möglichkeit dieser Liebe dachte, itzt gab sie erst zu dieser
Liebe nur noch ihre Einwilligung. Dieß war der erste Augenblick, in
welchem sie eine Art von Freude darüber empfand, daß Adalbert nicht
in der Burg zugegen sei, das Andenken seiner Liebe lebte nur noch ganz
schwach in ihrer Seele, nur wie die Erinnerung des gestrigen Abendmahls
beim majestätischen Aufgang der Sonne. Sie fühlte, daß sie ihren Adalbert
noch lange nicht so geliebt habe, als sie lieben könne, ja sie fing so
gar an, sich ihre Gefühle abzustreiten, er war wie sie jetzt glaubte,
nur ihr Freund gewesen. Durch die Erscheinung Löwenau's war überhaupt
auf sein Bild jener Schatten der Gleichgültigkeit zurückgeworfen, aus
dem die Liebe den geliebten Gegenstand an das hellste Licht hervorzieht.
Alle Vollkommenheiten, die sie einst an Adalbert bewunderte, fand sie
ungleich vollkommner an Löwenau wieder und jener behielt am Ende nichts
als seine Fehler, die sie sonst immer zu seinen Vorzügen gerechnet hatte;
und da man auch andre gern seiner eignen Fehler wegen anklagt, so
glaubte sie darin, daß er nicht wenigstens Abschied von ihr genommen
habe, einen Beweis zu finden, daß auch er sie nie geliebt habe. -- In
dieser Voraussetzung fand sie sehr viel Beruhigendes, und darum ward sie
endlich Überzeugung.
Die Liebe stimmt die Empfindung feiner und roher, erhabner und niedriger;
den vorher gemeinen Menschen erhebt sie oft zum Edelmuth; der Edle sinkt
zum Gemeinen hinab, ein und ebenderselbe Gesang, der auf jedem Instrument
in andern Tönen lebt. Was Emma sonst immer mit Verachtung angesehn hatte,
schien ihr itzt wichtig; der geschmückte Löwenau gefiel ihr um ein großes
Theil mehr als er ihr ohne Schmuck würde gefallen haben, sie gestand
sich dieß Gefühl, und beschloß von jetzt an auch auf ihren Putz mehrere
Aufmerksamkeit zu wenden. Sie sahe sogar die Erinnerung an Adalbert
darum etwas gleichgültiger an, weil er nur ihres Vaters _Knappe_ gewesen
war.
Löwenau wollte eben durch den großen Gang in die Versammlung der Ritter
gehn, als Emma, vielleicht zufällig, vielleicht mit Vorsatz, weil sie
ihn hatte zurückkommen sehn, aus dem Gemache trat.
Ihr hier, Fräulein? rief Löwenau etwas hastig.
Sie wurde roth, denn sie glaubte in diesen Worten und in der Art, wie er
sie sprach, einigen Unwillen des Ritters zu entdecken, oder den Gedanken,
sie sei seinetwegen gekommen. -- Um in den Garten zu gehn, antwortete sie,
indem sie rasch vorbeihüpfen wollte. --
Ihr flieht mich? sprach der Ritter.
Euch fliehen? Dann müßtet Ihr nicht der Ritter Löwenau sein. --
Sie waren beide an ein Bogenfenster getreten und der Schein des Abends
überflog mit freundlicher Röthe das Gesicht des Mädchens. --
Fräulein, -- fing der Ritter nach einigem Stillschweigen an, die Sonne
nimmt durch einen holdseligen Kuß von Euch Abschied, um Euch morgen
wieder mit einem Kusse zu wecken. -- Um Euer Antlitz zittert ein blasser
Flammenschein, man sollte Euch für eine Heilige halten.
Daß Ihr nur nicht in die Versuchung kommt, mich anzubeten, erwiederte
Emma schalkhaft.
_Löwenau._ Und wenn ich nun in die Versuchung käme? -- Würdet Ihr mein
Gebet erhören, schöne Emma? --
_Emma._ Ich müßte erst wissen, um was Ihr mich bitten wolltet. -- Sie
sprach diese Worte leise und mit zitternder Stimme, denn sie fürchtete
und hoffte viel.
So bitt' ich Euch, sprach Löwenau, nicht so schnell von mir in den
Garten zu eilen.
Nicht mehr als das? rief Emma schnell, und mit einem kleinen Unwillen
über ihre getäuschte Erwartung. --
_Löwenau._ Wenn Ihr so gütig seid, mein Fräulein, so werdet Ihr mich
leicht zu einem ungestümen Bitter machen.
_Emma._ Was könntet Ihr noch mehr wünschen? --
_Löwenau._ Euch sehen und nicht wünschen? --
_Emma._ Ihr sprecht in Räthseln.
_Löwenau._ Daß Euer Herz sie verstehen _wollte_!
Emma sahe starr vor sich hin. Löwenau's Augen wurzelten auf ihrem
Antlitz, er zitterte, eine niegefühlte Empfindung bebte durch seinen
Körper, wie mit Ketten riß es ihn zu Emma hin, er umarmte sie plötzlich
und sprach mit leiser unterdrückter Stimme: Emma, ich liebe dich! --
Betäubt hing er an ihrem Halse, Emma sprach nicht, eine von seinen
Händen lag in der ihrigen, sie drückte sie schweigend.
Liebst du mich? rief er, wie aus einem Traum erwachend. -- Ein leises
flüsterndes »Ja,« nur der Liebe hörbar, flog ihm entgegen.
Sein Gesicht sank auf das ihrige, er drückte einen brennenden zitternden
Kuß auf ihre Lippen, -- kein Gedanke, kein Gefühl, keine Erinnerung trat
vor seine Seele, als daß er _sie_ in seinen Armen halte; selbst daß sie
ihn liebe, hatte er vergessen. --
Emma erholte sich zuerst aus ihrer Betäubung, noch einen Kuß drückte sie
auf seine Lippen, und flohe dann zitternd in ihr Gemach, wo sie sogleich
athemlos auf einen Sessel niedersank, als würde sie von einem Ungeheuer
verfolgt. Löwenau starrte ihr nach, bis der letzte weiße Schimmer ihres
Gewandes verschwand; lange noch blieb sein Auge unbeweglich auf einen
Punkt geheftet, als wäre ihm ein Gespenst begegnet.
Endlich ging er in den Saal, wo alle Ritter noch fröhlich bei den
Pokalen saßen; selbst Friedrich und Konrad hatten ihre verlornen Söhne
vergessen.
Löwenau wandelte wie im Traum und beantwortete jede Frage nur
unvollständig. -- Friedrich glaubte, er sei von der Reise und vom
Turnier ermüdet und ließ ihn durch einen Diener auf sein Zimmer führen.
Auch die übrigen Ritter gingen aus einander. -- Löwenau entschlief, als
sich seine Phantasie müde geschwärmt, und seine Leidenschaften in
Erschöpfung gekämpft hatten.
* * * * *
Als er am Morgen erwachte, war Adalbert und sein Versprechen sein erster
Gedanke. Furchtbar trat diese Erinnerung auf ihn zu, und mahnte ihn
schrecklich, auf dem Wege nicht fortzuwandeln, den er zu betreten
angefangen habe. -- Aber wie war es möglich rückwärts zu gehn? Er hatte
ihr seine Liebe gestanden, und sie, daß sie ihn wieder liebe. Wenn dieß
Geständniß nicht über seine Lippen geschlüpft wäre, so hätte er gegen
seine Leidenschaft noch kämpfen können; jetzt aber würde er sich und
Emma zugleich unglücklich gemacht haben. -- Er überließ sich und sein
Schicksal endlich ganz und gar der Zeit, wenigstens verschob er alles
Nachsinnen, alle Entschlüsse bis auf jene Stunde, in welcher er bei dem
Vater um sie anhalten wollte. -- Weiß ich doch noch nicht gewiß, ob sie
mir der Vater nicht abschlägt; geschieht es nicht, nun so kann ich ja
auch dann noch immer für Adalbert handeln. -- Mit diesen Täuschungen
beruhigte er die Vorwürfe, die er in dem Innern seiner Seele fühlte.
Emma und Wilhelm waren sich bald nicht mehr fremd, das vertrauliche Du
verdrängte bald die fremde steife Höflichkeit; denn Löwenau verachtete
alle Zurückhaltung, alles Verschließen in sich selbst; er glaubte, es
zieme dem Mann, stets gerade und offen zu handeln, keinem ungeprüft zu
mißtrauen, von jedem Unbekannten das Beste zu denken, und ihn als Freund
zu behandeln. So war Wilhelm der Freund der ganzen Welt. -- Emma,
die nie die Burg ihres Vaters verlassen hatte, die fast immer nur
mit Geschöpfen ihrer Phantasie umgegangen war, besaß noch weniger
Zurückhaltung; sie äußerte sich ganz so, wie sie war, kannte Verstellung
kaum dem Namen nach, und traute jedem offenen Gesichte.
Er sprach itzt zuweilen von Adalbert, und sie gestand ihm, daß sie ihn
nie geliebt habe. Sie glaubte es jetzt. -- Löwenau fühlte sich durch
diese Erklärung glücklich. -- Beide waren sich bald unentbehrlich, und
Löwenau gab den Einladungen Friedrichs, da die übrigen Ritter die Burg
verließen, sehr gern Gehör. Wenn er jetzt nicht bei Emma war, war er
sich selbst zur Last; jede Beschäftigung machte ihm Langeweile, und doch
verlegte er die Stunde immer von einem Tag zum andern, in welcher er bei
Friedrich um sie anhalten wollte; denn er fühlte sich in der Täuschung
etwas beruhigt, daß er noch immer nicht gegen Adalbert handle.
Emma war jetzt liebenswürdiger als je; der leichte Gram um Adalbert hatte
ihr manches von ihrer Lebhaftigkeit genommen, sie war jetzt mehr eine
stille, leidende Schönheit, die sich um so reizender an den stärkern
Mann anschließt und hinter seiner Brust einen Schirm gegen alle Stürme
des Schicksals sucht. Ihre neue Liebe hatte ihr einen seelenvollen Blick
gegeben, in welchem ein schönes Feuer brannte. -- Der heftige Löwenau
liebte sie bis zur Anbetung, denn es war seine erste Liebe. --
Endlich aber fand er doch diese Lage peinlich, er beschloß noch heute
mit sich und Adalbert Abrechnung zu halten, noch heute bei dem Vater
um sie zu werben. Er ging zum alten Friedrich, den er in einem Sessel
nachdenkend im Saale fand. -- Woran denkt Ihr, Ritter? redete er ihn an.
_Friedrich._ Bei mir ist ja leider die Zeit gekommen, wo ich nur noch in
der Erinnerung leben kann; die Zeit der Thaten ist verschwunden.
_Löwenau._ Aber könnt Ihr nicht auch in der Zukunft leben?
_Friedrich._ In der Rückerinnerung lernen wir mehr, nur Thoren sind in
der Zukunft zu Hause. -- Wenn man seinen ganzen Reichthum anwendet, in
jenem goldnen Lande Palläste aufzubauen, und _ein_ Windstoß sie alle
niederreißt: wohin soll dann der verarmte Pilger fliehen? -- Über dem
Lande der Zukunft liegt ein dicker Nebel; oft scheint uns aus der
Entfernung etwas ein Schloß zu sein, und wenn wir näher kommen, ist
es eine überhangende Klippe, die sich im nächsten Augenblick auf unser
Haupt herabwirft. --
_Löwenau._ Ihr wollt also nicht hoffen?
_Friedrich._ O ja, aber die Hoffnung, jene Betrügerin, nicht zu meiner
täglichen Gesellschaft machen. Das größte Glück erscheint klein, neben
dem Bilde, das uns die Hoffnung vorhielt.
_Löwenau._ Die Hoffnung trägt für Euch die Gestalt Emma's, und eine
solche Tochter -- --
_Friedrich._ Je besser sie ist, desto mehr hab' ich zu fürchten, und je
mehr ich sie liebe, je mehr verlier' ich in ihr. Alles wär' mit ihr
dahin! Ich wünsche nichts, als sie glücklich zu sehn; dann werde ich es
auch sein.
_Löwenau._ Habt Ihr noch auf keinen Eidam gedacht?
_Friedrich._ Er schläft in Palästina, Konrad von Burgfels, ihr mußt ihn
gekannt haben, -- ein anderer, -- o ich mag nicht gern daran denken!
-- ein gewisser Adalbert liebte sie, ich schlug sie ihm ab; wäre er jetzt
hier, sie wäre sein. --
Löwenau schwieg, und sahe düster vor sich nieder. Ein gewisser -- Wollt
Ihr sie keinem Ritter von berühmtem Hause geben? fragte er endlich.
_Friedrich._ Wer weiß ob sie mit einem solchen glücklich wäre?
_Löwenau._ Wenn er sie, wenn sie ihn liebte?
_Friedrich._ Dann würd' ich mich keinen Augenblick bedenken.
Löwenau kämpfte jetzt einen schweren Kampf, sein Edelmuth und seine
Liebe rangen hartnäckig mit einander; oft wollte er den Namen Adalbert
aussprechen, aber der Name starb auf den Lippen bei dem Gedanken an
Emma. -- Die Liebe blieb Siegerin. -- Würdet Ihr mich als Eidam
verschmähen, Ritter?
_Friedrich._ Euch? -- Ist das Euer Ernst?
_Löwenau._ Könntet Ihr mir jetzt wirklich Scherz zutrauen?
_Friedrich._ Sie ist Euer, wenn sie Euch liebt.
_Löwenau._ Dafür kann ich Bürge sein. --
_Friedrich._ Nun so darf ich doch endlich hoffen, ein glücklicher Vater
zu werden; ich zweifelte schon daran, denn man muß sich gewöhnen, an
allem in dieser Welt zu zweifeln, was dem Glücke ähnlich sieht.
_Löwenau._ Ihr seid heute besonders traurig gestimmt. --
_Friedrich._ Ich will es nicht länger bleiben, mein Eidam muß nicht
glauben, daß er an mir einen mürrischen Vater erhält.
Die Ritter sprachen noch lange zusammen; Friedrich ward sehr heiter,
Löwenau ging endlich spät in sein Schlafgemach.
Sie ist mein! rief er aus. -- Unwidersprechlich mein. -- Itzt sei es
fest beschlossen. -- Sie ist mein, Adalbert! und sollt' ich darüber mein
Leben, welches ich dir danke, gegen dich auf's Spiel setzen müssen.
Die Freundschaft sterbe für die Liebe. Sie liebt ihn nicht; sie wäre
unglücklich, und -- bei allen Heiligen! -- sie verdient es nicht zu
sein. Auch er wird sie vergessen, -- oder mein Leben -- ein nichtiges
Geschenk ohne sie, zurückfordern. Mag er! ich werde es vertheidigen,
denn jetzt ist es Emma's Eigenthum. Der große Vertrag mit seinem Gewissen
war bald von der Leidenschaft abgeschlossen; ihre Sprache hielt er für
die Stimme der unpartheiischen Wahrheit, und schlief zu glücklichen
Träumen ein.
* * * * *
Emma! du bist mein! dein Vater hat dich mir zugesagt, du mein! ich dein!
so rief Löwenau als er in Emmas Zimmer trat und in ihre Arme eilte.
-- Jetzt kann uns nichts in der Welt von einander reißen.
_Emma._ Ich dein? du mein? --
_Löwenau._ Nur etwas mangelt unserm Glück und dieses Wort umfaßt noch
mehr.
_Emma._ Was könnte dieses Etwas sein?
_Löwenau._ Daß Adalbert alle seine Rechte auf dich aufgiebt; so lange
wir noch fürchten müssen, daß er zwischen unsre Umarmungen tritt, so
lange sind wir nur halb glücklich. -- Emma, ich weiß den Ort seines
Aufenthalts, schicke ihm durch einen Bothen nur wenige Worte, die ihm
sagen, daß du ihn nicht mehr liebst, daß er jeden Gedanken an dich
vergessen solle, daß du mein seist. -- Ich bitte dich darum, Emma.
Dann wollen wir uns ohne alle Besorgnisse ganz dem Glück unsrer Liebe
überlassen, dann soll keine ängstliche Furcht uns nahe treten, dann will
ich es trotzig mit der Zeit aufnehmen, ob sie durch unzählige Jahre im
Stande sei, meine Liebe zu schwächen.
Emma gab sehr leicht ihre Einwilligung, auch Löwenau setzte sich und
schrieb diesen Brief:
_Adalbert!_
Mein Versprechen ist gebrochen! rechte mit dem Schicksal und nicht
mit mir! Ich bin unschuldig. -- Engel gaben der Versuchung nach und
verspielten ihr ewiges Glück; ich bin nur ein schwacher Mensch, mag der
Verlust Deiner Freundschaft meine Schwäche bestrafen. -- Emma gehört Dir
nicht mehr, sie ist mein, mir von ihrem Vater und der Liebe zugesagt.
Zweifle nicht Adalbert, sie liebt Dich nicht, sie hat Dich nie geliebt.
Alle Deine Hoffnungen sind durch mich gemordet; ermorde mich, wenn Du
Dich rächen mußt; aber ihren Besitz wirst Du mir nie streitig machen.
Gieb sie verloren Adalbert, sie kann in Ewigkeit nicht die Deinige
werden. Ich bin der Hüter dieses Schatzes; wer ihn erlangen will, muß
mich erst tödten.
_Löwenau._
Emma hatte indessen einige Worte geschrieben, die sie ihm gab. Er legte
sie in seinen Brief und siegelte ihn.
_Ritter_,
Vergeßt mich, so wie ich Euch vergessen will, denkt an mich stets wie
an einen verstorbenen Freund; ich bin die Verlobte eines Ritters und
darf mich daher nicht mehr nennen:
Eure Emma.
Löwenau gab die Briefe seinem Knappen Franz, der ihn nach Mannstein
begleitet hatte. Dieser ritt noch an eben dem Tage fort, um so früh als
möglich auf der Burg Löwenau's anzukommen.
Friedrich und Löwenau dachten itzt nur an das Vermählungsfest, welches
sie recht glänzend zu machen beschlossen. Emma war in den Armen ihres
Geliebten so glücklich, als man es auf dieser Welt sein kann.
* * * * *
Adalbert lebte während dieser Zeit noch immer unter seinen schönen
Hoffnungen und erwartete täglich die Bothschaft seines Glücks. Sein
vergebliches Warten machte ihn nicht traurig, nur verdrüßlich, denn
dieser Aufschub schien die Hoffnung von dem glücklichen Fortgang des
Unternehmens zu bestätigen. Er war oft auf die Jagd gegangen, hatte die
schönen Gegenden in der Nähe besucht und dachte jeden Abend bei der
Heimkehr, einen Bothen seines Freundes zu finden.
Er war von einem seiner Spaziergänge zurückgekommen und stand an eine
Buche gelehnt, das Wolkenspiel im Abendroth zu betrachten, als er in der
Ferne einen Reuter erblickte, der sich dem Schlosse näherte. Er erkannte
bald in ihm Franz, den Knappen Löwenau's. -- Schnell eilte er mit der
Frage auf ihn zu: ob ihn der Ritter gesendet habe. -- Franz antwortete
mit Ja und überreichte ihm den Brief Löwenau's. --
Adalberts Herz klopfte heftig als er den Brief und die Aufschrift
betrachtete, er zögerte ihn zu erbrechen. -- Unaussprechliches Glück,
oder Tod springt mir entgegen, -- noch, noch darf ich hoffen, noch bin
ich glücklich. -- Die Sonne war untergegangen, er ging auf sein Zimmer,
den Brief beim Schein eines Lichtes zu lesen. Dieser Augenblick war ihm
feierlich, eine heilige Stille schwebte längst den Wänden des Gemachs,
eine Grille zirpte leise und eine ferne Glocke tönte über den Berg
herüber. -- Er lößte das Siegel.
Emma's Brief fiel ihm zuerst auf, er kannte die Hand und küßte das
Pergament. -- Er las -- und ward bleich, -- er las von neuem und schaute
wild mit weit geöffneten Augen empor, alle seine Gedanken verirrten sich,
er wußte nur, daß er elend sei, kalt und fürchterlich faßte ihn diese
Überzeugung an; was sein Elend sei, war aus seiner Seele geschwunden.
Emma! rief er endlich mit fürchterlicher Stimme, indem seine Besinnung
zurückkehrte. -- Er wagte es, noch einmal zu lesen, dann las er den
Brief Löwenau's. -- Seine Augen schlossen sich, wie von einer zu großen
Helle geblendet, krampfhaft schlug er die Zähne zusammen und hing kalt
und starr wie eine Leiche in dem Sessel. -- _Das_ hatte er nicht
erwartet.
Er sprang nach einer Stille auf und brüllte wie ein Rasender: Fluch über
alle, die in dieser Stunde glücklich sind! Fluch über alle Elende! -- Ja,
ich fluche mir selbst, ich fluche mir und ihr -- o ihr Verzweifelten!
kommt zu mir her an meine Brust und helft mich verfluchen! _Eure_ Emma?
_Eure_ Emma? -- Du lügst Meineidige! so hast du dich nie genannt! --
Mir hat noch keine Hoffnung Wort gehalten, keine Seligkeit der Erde hat
mich Freund genannt. Mein Leben ist ein schwarzes Gewebe von Unglück,
wie von einem Feind werd' ich vom Elend verfolgt, durch tausend Quaalen
jagt es mich in den Rachen des Todes. _Meinetwegen_ wird ein zärtlicher
Vater grausam, _meinetwegen_ ein edler Freund ein Ungeheuer, -- ich gebe
die Hoffnung, ich gebe das Schicksal auf. Ein blindes Ohngefähr würfelt
mit Glück und Unglück, -- gut, so will ich denn auch handeln, so lange
ich noch handeln kann, -- ich will zu ihnen, sie sollen aus ihren
Umarmungen zurückstürzen, als hätten sie den Schuppenhals eines Drachen
berührt. -- Ich will nicht _allein_ unglücklich sein, die _Liebe_ haßt
mich, der _Haß_ soll mich itzt glücklich machen.
_Eure_ Emma? -- Konnte deine Hand diese Worte schreiben? Dieselbe Hand,
die mir so oft den Schweiß des Kampfes von der Stirn trocknete, dieselbe
Hand, die so oft in der meinigen lag und mich deiner Liebe versicherte
-- o Himmel! was für ein armseliges Ding ist die Tugend, wenn sich
in wenigen Wochen der Mensch so ganz umschaffen kann! Richtet keinen
Bösewicht mehr hin, er ist in wenigen Tagen vielleicht ein Muster für
seine Richter! -- Tugend? -- Für mich ist keine Tugend, kein Gott mehr,
denn sie, das Unterpfand für beide, ist mir verloren.
Er drückte knirschend Löwenaus Brief zusammen, sein Athem drängte sich
schwer durch seine Kehle, tausend Centner waren auf seine Brust gewälzt.
-- Sein Blick fiel auf Emma's grünes Band nieder, das er auf seiner
Brust immer als eine Reliquie getragen hatte, er riß es wüthend herab.
Das Pfand ihrer Treue! ihrer Liebe! -- -- Sie will mich vergessen. -- Ich
kann sie nie vergessen, und warum sollt' ich es auch? -- wenn ich sie
vergessen könnte, dann könnte ich einst wieder lächeln -- aber das werd'
ich nie wieder.
Er schwieg und lehnte sich in eine Ecke des Zimmers, alles war still wie
eine Todtengruft.
Du hast mir mein Leben gestohlen, Emma, sprach er leise, um die tiefe
Einsamkeit nicht zu stören; ich werde bald sterben und habe umsonst
gelebt, von mir darf Niemand Rechenschaft dort jenseits fordern, nur
über Jammer kann ich Red' und Antwort geben, -- Emma, ich weise den
fürchterlichen Richter an dich, und an dich Wilhelm!
_Eure_ Emma! -- Hättest du mir doch wenigstens das armselige »Du« übrig
gelassen, -- aber _nichts_ sollte mir übrig bleiben. -- Gut, setzte er
mit schrecklicher Kälte hinzu, auch dies Band will ich dir zurückbringen.
Er glaubte einigemal, Emma und sein Freund hätten nur auf eine grausame
Art mit ihm scherzen wollen, um seine Liebe auf die Probe zu stellen;
er dachte, er hätte in seiner Wuth einige Ausdrücke zu stark empfunden,
er suchte dann nochmals in den Briefen nach und quälte sich den
fürchterlichen Sinn zu mildern, -- aber umsonst! der kalte, gefühllose
Buchstabe blieb derselbe, und seine Pein fand keine Linderung.
Der Ritter durchlebte eine fürchterliche Nacht, er konnte nicht
schlafen, aber auch nicht wachen; tausendmal stand sein Verstand
vor dem fürchterlichen Thor des Wahnsinns, er sahe tausend Gestalten
vorüberziehn, die ihn bald mit Entsetzen, bald mit Wonne erfüllten;
in dem einen Augenblick lag er in den Armen Emma's, alles war nur
ein fürchterlicher Traum gewesen; er drückte sie an sein Herz,
und das Knistern des Briefs, den er noch immer in seiner Hand fest
eingeschlossen hielt, weckte ihn wie durch schadenfrohen Zauber aus
seiner Trunkenheit. Bald kämpfte er mit Löwenau um Tod und Leben und sah
ihn unter seinen Streichen fallen; bald verschlang alles um ihn her eine
große wüste Leere, er stand mit seinem Schmerz allein in der tauben
ausgestorbenen Wildniß, von einer unendlichen Nacht umfangen; Geister
fuhren auf fernen Donnern und schwache Blitze spalteten das ungeheure
Reich der ewigen Öde.
Er fühlte, wie seine Kräfte merklich schwanden. Gott! rief er, wenn ich
diese Nacht sterben müßte! ohne sie noch einmal zu sehn! -- Mein Geist
muß von meiner gestorbenen Emma Abschied nehmen, ich _muß_, ich muß sie
sehn.
Er wartete ängstlich auf den Anbruch des Morgens, die Nacht schien ihm
Hohn zu sprechen, der Morgen kam immer noch nicht. -- Endlich zitterte
der erste graue Streif des Tages empor und Adalbert sprang schnell auf,
riß ein Roß aus dem Stalle, und sprengte hinweg. Sein treuer Hund, der
ihm oft auf der Jagd gefolgt war, begleitete ihn.
Er jagte rasch der Sonne entgegen, er spornte sein Roß unaufhörlich,
denn die größte Eile war ihm zu langsam.
Eine drückende Hitze zog herauf und sein Roß war schon ermüdet, als er
einen Ritter einholte, der auch diese Straße zog. -- Wohin? fragte er
diesen. -- Nach Mannstein, war die Antwort, zur Hochzeit des edeln
Löwenau und der schönen Emma. -- Adalbert lachte wild auf. -- Worüber
lacht Ihr? -- Voll Freude, daß wir einen Weg haben. -- In eben dem
Augenblicke gab er von neuem dem Rosse die Sporen und sprengte wie
rasend hinweg. -- Warum eilt Ihr so? rief ihm der Ritter nach. -- Seht
Ihr nicht, schrie Adalbert zurück, wie mir der bleiche Tod nachjagt?
-- Er war ihm bald aus den Augen.
Das grüne Band war um seinen Arm gebunden und flatterte ihm nach;
Todtenblässe hatte sein Gesicht überzogen, sein Roß keuchte und sein
treuer Hund lief ihm oft voraus, und sah ihn winselnd an, -- aber ohne
Bewußtsein jagte er immer wieder in neuer Wuth weiter. -- Am Abend
stürzte der Rappe todt nieder, der Hund war fort, als er sich nach ihm
umsah. -- Auch er hat mich verlassen, dachte Adalbert; aber der treue
Gefährte lag schon weit hinter ihm sterbend am Wege.
Adalbert reiste zu Fuß die ganze Nacht hindurch, seine Kräfte schienen
übermenschlich, tausend Schrecken schienen ihn unermüdet vor sich hin
zu jagen. -- Am Mittag des andern Tages entdeckte er in einem kleinen
versteckten Thale eine Schäferhütte, sein Gaumen war von der Hitze
aufgeschwollen, er trat in die Hütte und begehrte von einem Greise, den
er dort fand, eine Schale Wasser. -- Ihr sollt kühle Milch bekommen,
sagte dieser, und gab seiner Tochter den Auftrag eine Schale voll zu
holen. -- Das kleine Mädchen eilte willig hinweg und Adalbert stand
düster an die Thür gelehnt. -- Das Mädchen verweilte etwas lange. Wo
bleibst du, Emma? rief der Alte. Adalbert fuhr auf, das Mädchen trat in
eben dem Augenblick herein und bot ihm freundlich lächelnd die Schale.
Statt sie an den Mund zu setzen, warf er sie wüthend auf den Boden, daß
sie in tausend Scherben zersprang; dann eilte er wie ein Wahnsinniger
weiter.
Die Sonne ging schon unter, als er auf der Grenze des Horizonts einen
Thurm erblickte, der ihm bekannt schien; -- tausend Erinnerungen kamen
in seine Seele zurück, -- es war die Burg Mannstein.
* * * * *
Er stand still und sahe mit langem Blick nach der wohlbekannten
väterlichen Gegend, und in seine Verzweiflung mischten sich einige
Tropfen der Wehmuth, sie _so_ wiederzusehn. Die Burg stand zaubervoll
da in einem rothen Flammenschein. Die Sonne ging blutig unter.
Er eilte weiter. Der letzte Streif des Tages verschwand hinter einen
grünen Berg; der Mond brach hervor, und glänzte durch die zitternden
Tannenzweige. Schon unterschied er die erleuchteten Fenster der Burg,
schon erblickte er in ihnen Schatten, die ungewiß hin und wieder
schwebten, schon hörte er immer näher und näher das Tönen der Trompeten
und den Donner der Pauken, -- tausend brennende Dolche fuhren durch
seine Brust.
Jetzt war er an die Burg gekommen. Er ging durch das offne Thor, das
frohe Getümmel der Gäste lärmte ihm entgegen, er hätte gern geweint,
aber seine Augen waren trocken. Er schlich sich in den Burggarten und
setzte sich in eine kleine Laube, welche ein Fliederbaum bildete; bald
sahe er still und mit anscheinender Ruhe durch die monderhellte Gegend,
bald nach der geräuschvollen Burg. -- Alle seine Empfindungen wurden
nach und nach abgespannt; er war betäubt, als er zwei Gestalten auf sich
zukommen sah, -- es waren Löwenau und Emma. --
Löwenau hatte sich in sich selbst geirrt, er hatte sich für stärker
gehalten, als er wirklich war, die Stimme seines Gewissens war nur
unterdrückt gewesen, sie fing itzt um so lauter an zu sprechen. Er
begann zu ahnen, daß er in Emma's Armen nie recht glücklich sein würde,
aber ohne Emma lag ein grenzenloses Elend vor ihm. Er war am Abend still
und nachdenkend gewesen, und wollte itzt mit Emma einen Spaziergang
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- Ludwig Tieck's Schriften. Achter Band - 02
- Ludwig Tieck's Schriften. Achter Band - 03
- Ludwig Tieck's Schriften. Achter Band - 04
- Ludwig Tieck's Schriften. Achter Band - 05
- Ludwig Tieck's Schriften. Achter Band - 06
- Ludwig Tieck's Schriften. Achter Band - 07
- Ludwig Tieck's Schriften. Achter Band - 08
- Ludwig Tieck's Schriften. Achter Band - 09
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- Ludwig Tieck's Schriften. Achter Band - 18
- Ludwig Tieck's Schriften. Achter Band - 19