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Ludwig Tieck's Schriften. Achter Band - 17

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  seiner Seele und stellten sich lächelnd vor jede traurige Erinnerung,
  -- als nach und nach der Mond erblich und über die fernen Hügel das
  erste graue Licht des Tages zitterte.
  Plötzlich war der schöne Schleier zerrissen, der seine Schläfe so sanft
  umfing, alle Täuschungen der Phantasie sanken plötzlich unter. Die
  Sterne verloschen, die Nachtigall verstummte, eine heilige Stille in
  der Natur -- und er fand sich und seine Verzweiflung wieder. Mit dem
  Tage kehrten alle Gefühle des Schmerzes in seine Seele zurück. Alle
  Phantasien entflohen, die Freuden sanken mit dem Monde unter und der
  kalte Morgenwind wehte ihm die schreckliche Überzeugung zu: Du bist
  unglücklich!
  Wie oft habe ich sie nicht unter jenem Baume gesehn, -- dachte er jetzt,
  -- ich werde sie dort nicht mehr sehn! Mein erster Gedanke beim Erwachen
  war sie, wie freudig sucht' ich den ersten Blick ihrer Augen! -- jetzt
  wird der bleiche Gram an meinem Lager sitzen, und mir bei meinem Erwachen
  die dürre Hand entgegenstrecken. -- Ach, Emma! wirst du mich vergessen?
  -- O noch einmal wünsch' ich sie zu sehn, sie an das Versprechen ihrer
  Treue zu erinnern. -- Werde ich sie noch einmal sehn? Sie schläft
  vielleicht noch und ahnet nicht, daß sie meinen Abschied auf ewig
  verschläft. -- Emma! Soll ich fortgehn ohne wenigstens aus ihrem Munde
  ein süßes: Lebewohl! mitzunehmen?
  Er verzögerte seine Abreise, er hoffte noch immer, daß sie bei seinem
  Zimmer vorbeirauschen würde, wie sie oft am Morgen that; er horchte
  aufmerksam auf jeden Zug des Windes. -- Schon hundertmal hatte er die
  Thür geöffnet und hundertmal trat er wieder in das Zimmer zurück; es
  fiel ihm jedesmal ein, daß er auf _ewig_ Abschied nehme, daß er, wenn
  er aus der Thür getreten sei, vielleicht eben so aus dem Leben gehe,
  ohne sie wiederzusehen. -- Eine Stunde nach der andern eilte hinweg,
  sie kam nicht, -- da stieg die Sonne düster hinter schwarzen Wolken
  empor -- wüthend öffnete er die Thür, schlug sie heftig zu und ging.
   * * * * *
  Adalberts Sinne waren verschlossen, er verließ die Burg wie ein
  Träumender. _Kurd_, ein Diener Friedrichs, kam ihm mit einem Pferde im
  Hofe entgegen und fragte ihn, ob er nicht aufsitzen wolle; aber Adalbert
  wies ihn mit bitterm Hohn zurück: Friedrichs Rosse sind zu edel für den
  Knappen Adalbert, ich bin kein Bettler, um ein Geschenk von ihm
  anzunehmen.
  Seufzend schaute er nach Emma's Fenster empor, sein Blick haftete brennend
  auf der Stelle, wo er sie sonst so oft gesehen hatte; es war ihm, als
  müßte er sie wenigstens jetzt noch einmal sehen: er sah sie nicht. Schon
  kehrte er sich ungewiß wieder nach der Burg um, als ihm sein treuer
  Jagdhund entgegen kam und wedelnd zu ihm hinaufsprang. -- Halb wider
  seinen Willen stieß er ihn zornig mit dem Fuße zurück. Der Hund legte
  sich traurig und schmeichelnd nieder und blickte bittend zu seinem Herrn
  empor. -- Kann die Verzweiflung den Menschen so sehr verzerren? rief
  er aus; ja du treuer Gefährte, du sollst mich auf meiner Pilgerschaft
  begleiten; ich will ein Wesen neben mir haben, dem ich traurig in's Auge
  sehen kann, du sollst meinen Schmerz theilen, dich liebe ich noch, du
  bist kein _Mensch_!
  Etwas leichter ging er über die Zugbrücke durch das äußere Thor.
  Er stand auf dem Wall und sah gedankenvoll und schweigend nach der
  Burg zurück. Der Himmel hing düster und schwarz über der Gegend, ein
  kalter Wind knarrte mit der Wetterfahne, die Wellen des Burggrabens
  plätscherten schwermüthig gegen die Mauer und sonderbar traurig tönte
  aus den Regenwolken der frohe Gesang einer Lerche herab. Mit wehmüthigem
  Vergnügen suchte Adalbert die Plätze auf, wo er als Knabe mit dem alten
  Wilibald gespielt, wo Friedrich ihn von der Erde emporgehoben hatte, wo
  er mit der kleinen Emma so oft herumgeschwärmt war, -- wie war das jetzt
  alles so verändert! damals schien die Sonne so heiter, die Zukunft lag
  wie ein goldner Maihimmel ausgespannt vor ihm, -- und jetzt! -- Er
  dachte an Emma's Ahnungen, schwermüthig sah er nach jenem verdorrten
  Baum hin, dem traurigen Sinnbilde seines Lebens.
  Einige Landleute zogen am gegenüberliegenden Berge zu ihrer Arbeit
  hinauf. Die Stiere keuchten unter dem drückenden Joch, und schleppten
  den heiserknarrenden Pflug hinter sich. Armseliges Menschenleben! rief
  Adalbert aus. Ein Tag kriecht hinter dem andern verdrossen einher, jeder
  Morgen röthet sich zur Arbeit; unglückliche Menschen! die bloß heute
  leben, um morgen eben so wie heut für einen andern Tag zu sorgen, die
  das unerbittliche Schicksal fest hält, dieses langweilige Spiel zu
  spielen.
  Er eilte hinweg und stand nach langer Zeit an einer Waldecke plötzlich
  still, denn er erinnerte sich, daß man von hier aus die Gegend der Burg
  zum letztenmale sähe. Er blickte noch einmal mit der wehmüthigsten
  Empfindung zurück, alle Freuden seiner Kindheit und Jugend schienen ihm
  jetzt gestorben und hundert wohlbekannte Bäume und Felsen standen wie
  Leichensteine auf ihren Gräbern. Nach langem Hinstarren wandte er sich
  und ging, er kehrte sich noch einmal um; aber sie war verschwunden, der
  Wald hatte sich wie ein schwarzer Vorhang vorgezogen.
  Adalbert vermied auf seiner Reise den Anblick der Menschen, er bahnte
  sich Wege durch einsame Wälder und wildes Obst und Waldwurzeln mußten
  seinen Hunger befriedigen. Er wollte niemanden Dank schuldig sein. Der
  Unglückliche glaubt sich so gern von der ganzen Menschheit gehaßt, er
  findet Trost in diesem Wahn und in der Freude die ganze Menschheit zu
  verachten. Diese Verachtung war die Begleiterin Adalberts und er reiste
  mehrere Tage ohne einen Menschen zu sehn oder ihn zu vermissen.
  Die Sonne ging unter, ihre blassen Strahlen fielen gebrochen durch
  das grüne Dunkel und flimmerten sterbend auf den Wellen eines kleinen
  rieselnden Bachs. Adalbert setzte sich an das Ufer des Baches und dachte
  an die Vergangenheit. Der Wind spielte mit dem grünen Bande Emma's,
  das an seinem Arme flatterte. -- Ha! du willst zu ihr zurück! rief er
  aus. -- Nein, du mußt bleiben, denn deine Farbe ist ja die Farbe der
  Hoffnung. Wo die Blume der Hoffnung welkt, da sproßt der Schierling
  der Verzweiflung. Du bist das _letzte_, das _einzige_, was mir von
  Emma übrig blieb; wenn ich dich verliere, worauf kann ich _dann_ noch
  rechnen? -- Die erste Thräne seit seiner Verbannung fiel auf das grüne
  Band. -- Unglückliche Vorbedeutung! fuhr er mit gepreßter Stimme fort.
  -- Nur auf Thränen soll ich rechnen? Thränen sollen meine ganze Erndte
  sein. -- Er trocknete sie ab, sie hatte den Ort gebleicht, wo sie
  hingefallen war. -- Emma! rief er plötzlich aus, -- die Farbe der
  Hoffnung schwindet! -- Wenn du mich je vergessen könntest!
  Er lehnte sich an eine Birke, die über ihm säuselte; die einförmige
  Melodie des Baches wiegte ihn mitleidig in einen leichten Schlummer, aus
  welchem ihn das Klirren von Schwertern wieder weckte. -- Das graue Licht
  des Abends flatterte ungewiß um die Wipfel der Bäume und furchtbar tönte
  das Waffengeräusch durch die Einsamkeit.
  Er sprang auf und zog sein Schwert, indem er dem Schalle folgte. Ein
  kleiner Fußsteig führte ihn auf einen freien Platz des Waldes, wo er
  drei Männer gegen einen Ritter kämpfen sah, der unerschrocken und kalt
  mit einem Heldenblick unter allen Gefahren dastand. Er stürzte hervor
  und schlug den nächsten Räuber mit aufgehabenem Schwerte nieder; in
  eben dem Augenblicke fiel der zweite von der Hand des fremden Ritters,
  zitternd warf der dritte sein Schwert von sich und entfloh in die Nacht
  des Waldes.
  Willkommen! mein Erretter, rief der fremde Rittersmann, indem er
  Adalberts Hand herzlich schüttelte; seid mir willkommen! Euch verdank'
  ich mein Leben!
  _Dafür_ will ich Euch den Dank erlassen, antwortete Adalbert
  bitterlächelnd.
  Bist du so mit dem Schicksal zerfallen? -- fragte der Fremde, -- daß das
  Leben seinen Werth bei dir verloren hat?
  _Adalbert._ Verschont einen Unglücklichen; ihn um sein Unglück fragen,
  heißt ihm einen Schlag auf seine frische Wunde geben.
  Der Fremde erhob das Visier des Räubers, den Adalbert erlegt hatte.
  -- Ha! _Manfred_! rief er aus.
  Manfred? schrie Adalbert. -- Ja, bei Gott! Mußtest du mir hier deine
  Schuld bezahlen? -- Nun wirst du nicht mehr die Veste Friedrichs berennen
  wollen. --
  Kommt mit mir, junger Held, sprach der Fremde, begleitet mich zu meiner
  Burg, ich bin der Ritter _von Löwenau_, wenn euch mein Name nicht
  unbekannt sein sollte.
  Sie gingen. -- Ich kenne ihn, begann Adalbert, der schändliche Manfred
  hatte während Eures Aufenthalts in Palästina eure Ländereien in Besitz
  genommen.
  Ja, und als er vernahm, daß ich zurückgekehrt sei, legte er sich mit
  seinen Gesellen in das Dickicht dieses Gebüsches, weil er wußte, daß
  mich meine Straße hindurchführte. Wir sind meiner Veste nahe, ich
  schickte daher mein Gefolge voraus und setzte allein meinen Weg fort.
  Ich ward überfallen und wäre ohne Euren tapfern Beistand verloren
  gewesen.
  Sie traten aus dem Wald heraus und die Burg lag vor ihnen. Adalbert
  wollte gehn. Wohin? fragte Wilhelm von Löwenau.
  Wo ich keinen Menschen, wo ich keinen Glücklichen sehe, antwortete
  Adalbert. Warum sollte meine Traurigkeit eure Freude stören?
  _Löwenau._ Bist du ein Verbrecher? -- Er ließ seine Hand fahren.
  _Adalbert._ Nein, dem Himmel sei Dank!
  _Löwenau._ Und willst doch der Verbrecher Schicksal theilen? Willst dich
  wie ein Vatermörder in Wälder und dunkle Hölen verkriechen? Willst den
  Anblick der Menschen fliehen, wie einer, den sein Gewissen auf die
  Folter spannt? -- Der Unglückliche darf kühn emporblicken, die Schläge
  des Verhängnisses geben ihm ein Recht, allenthalben Liebe zu fordern.
  -- Zögre nicht, wenn ich dich für einen braven Rittersmann halten
  soll. --
  Adalbert bedachte sich noch; aber der Gedanke, für einen Frevler zu
  gelten, trieb ihn an, dem Ritter zu folgen.
   * * * * *
  In der Burg setzten sich beide an den Tisch und Löwenau beobachtete
  seinen Gast genau.
  Fremdling, begann er, als ihre Mahlzeit geendigt war, ich habe dir viel
  zu danken, du scheinst ein edler Mann zu sein, nimm meine Freundschaft,
  meine Brudertreue an, und sage mir, kann ich etwas von meiner großen
  Schuld abtragen, kann ich dir helfen?
  _Adalbert._ Du mir? -- O Wilhelm, was kann menschliche Hülfe dem nützen,
  auf dem das Schicksal zürnt?
  _Löwenau._ Das Schicksal? -- Daß der Unglückliche doch so gern so stolz
  ist sich von der Gottheit verfolgt zu glauben! -- Sei aufrichtig gegen
  deinen Freund. -- Vielen ging dadurch alle Hülfe verloren, daß sie
  sich dem Freunde nicht vertrauten, und doch klagen sie nachher: ich
  bin verloren, Niemand will mir helfen! oder sie seufzen gar über ihr
  Schicksal, da sie doch selbst die Zügel ihres Lebens in den Händen
  halten. Glaube meiner Überzeugung, wir selbst regieren unser Schicksal,
  wir müssen nur nicht unthätig die Zügel fahren lassen, und sie voll
  Trägheit einer fremden Macht übergeben wollen. -- Noch immer so stumm?
  Ich will sprechen, antwortete Adalbert, denn du bist ein edler Mann,
  du denkst nicht wie die meisten Menschen, und darum will ich mich dir
  vertrauen, ob ich gleich vorher weiß, daß du mir nicht helfen kannst.
  -- Er erzählte ihm die Geschichte seines Unglücks und schloß mit diesen
  Worten: Sieh, Freund, so elend hat mich die Liebe gemacht, durch sie bin
  ich verwaist und ohne Vaterland. Die Freude hat für mich ihre Thür auf
  ewig verschlossen; was hinter mir liegt ist Sonnenschein, vor mir dehnt
  sich eine unendliche Nacht aus. Die Welt ist für mich todt und ich
  bin der Welt gestorben, sie ist mir ein öder Strand, an den mich ein
  unglücklicher Schiffbruch warf; die einzige Hoffnung, die mir aus diesem
  Sturme übrig blieb, -- ist das Grab, und diese Hoffnung kann mir, dem
  Himmel sei Dank, durch nichts entrissen werden, diese Zuflucht ist dem
  Unglücklichen gesichert.
  _Löwenau._ Sollte sich aber ein so mannhafter Ritter, wie du, so
  unumschränkt von der Liebe beherrschen lassen?
  _Adalbert._ O Ritter, nimm mir meine Liebe und du nimmst mir alles,
  was nicht an mir verächtlich ist. -- Nur sie rief mich zur Tapferkeit,
  zur Menschlichkeit, in diesem reinen Feuer wurden alle meine Gefühle
  geläutert, und alle meine Tugenden sind nur der Widerschein der Liebe.
  Geht diese Sonne unter, so flieht auch der letzte erborgte Schimmer von
  dem Abendgewölk. Mit meiner Liebe stirbt alles in mir, was Mensch heißt.
  _Löwenau._ Ich will dir glauben, denn ich habe noch nie geliebt, seit
  meiner Kindheit leb' ich im Geräusch der Waffen; ein schönes Pferd war
  für mich das Meisterstück der Natur, und ich verstand die Schönheit nur
  an Harnischen zu bewundern, -- und du glaubst gewiß, daß es für dich in
  dieser Welt kein andres Glück als die Liebe giebt. --
  _Adalbert._ Keines! versagte mir die Liebe ihren Kranz, so sind für mich
  alle Blumen in der Natur gestorben.
  _Löwenau._ Und Emma ist das einzige Mädchen, das du je lieben kannst?
  _Adalbert._ Ich würde mir selbst verächtlich sein, wenn ich sie nicht
  mehr lieben könnte.
  _Löwenau._ Sie muß sehr schön sein. -- Adalbert, ich will dir einen
  Vorschlag thun, den du aber nicht zurückweisen mußt. Schon während
  deiner Erzählung faßte ich einen Gedanken, der gewiß, so sonderbar er
  ist, auszuführen wäre. -- Doch noch vorher ein Wort. -- Du nanntest mir
  in deiner Erzählung den Namen Konrad von Burgfels; ich kann dir gewisse
  Nachricht geben, daß er in Palästina geblieben ist. Er fiel im Kampf an
  meiner Seite. Wie, wenn du jetzt, da dieses Hinderniß aus dem Wege
  geräumt ist, zu Friedrich von Mannstein gingest, und von neuem um seine
  Tochter anhieltest?
  _Adalbert._ Um von neuem schimpflich zurückgewiesen zu werden? -- Mein
  Stolz verbietet es, Emma auf diesem Wege zu suchen. -- Deinen andern
  Vorschlag, er mag so sonderbar sein, als er will. --
  _Löwenau._ Nun so will ich dir meinen ganzen Entwurf mittheilen, aber du
  mußt mich nicht unterbrechen, ehe ich geendigt habe. -- Du bleibst hier auf
  meiner Burg und lebst in einiger Verborgenheit. -- Ich will zu Friedrich
  von Mannstein reisen und um seine Tochter anhalten; er schlägt sie mir
  gewiß nicht ab, denn er kennt mich als einen der reichsten Ritter dieses
  Landes, auch ist mein Name in Schlachten nicht ganz unberühmt -- Auf
  meine Ritterehre! auf meine Brudertreue! ich reise dann mit ihr hieher,
  wie ich sie aus der Hand ihres Vaters empfange; du bewohnst mit ihr dann
  diese Veste, oder eine andre, sie ist heimlich bis zum Tod ihres Vaters
  deine rechtmäßige Gemalin, nachher magst du sie auch öffentlich dafür
  erkennen. -- Wende mir nichts ein, zu viel kann ich für dich nie thun.
  -- Ich weiß, tausend Freunde an meiner Stelle würden nicht so handeln,
  und hundert Liebhaber würden sich bedenken, ihre Einwilligung zu geben;
  aber wenn du sie so liebst, wie du sagst, wenn Emma dich wirklich wieder
  liebt, so müßt ihr beide meinem sonderbaren Entwurf keine Bedenklichkeiten
  in den Weg legen, Ängstlichkeit darf kein Menschenglück verhindern. --
  _Adalbert._ O wie soll ich dir danken? -- Er umarmte ihn rasch und drückte
  ihn heftig an seine klopfende Brust. -- Bruder, du bezahlst, wie man
  einem Bettler eine Wohlthat vergilt. -- Wie wenig ist ein Leben ohne
  Liebe gegen die Krönung der feurigsten Wünsche?
  _Löwenau._ Du traust doch meiner Redlichkeit?
  _Adalbert._ Verdiente ich sonst wohl den Namen deines Freundes?
  _Löwenau._ Auch keiner meiner Blicke soll sich feurig zu deiner Emma
  verirren.
  Beide waren so munter, daß sie sich nicht schlafen legen mochten; sie
  tranken die Nacht hindurch und überdachten noch mehr ihren Entwurf.
  Adalbert lächelte wieder und Löwenau versprach alles für seinen Freund
  zu unternehmen.
  Als die Morgenröthe durch die Bogenfenster dämmerte, ließ sich Wilhelm
  ein Roß satteln, und sprengte davon. Adalbert sahe ihm lange nach, bis
  der Ritter mit seinem Knappen in einen Wald verschwand.
   * * * * *
  Der Liebende, der noch gestern das Schicksal anklagte, und sich den
  Unglücklichsten aller Sterblichen nannte, eilte froh so in die Burg
  zurück, als wenn sein Glück schon entschieden wäre. Er sahe wieder die
  Möglichkeit, glücklich zu werden, und eine kühne Hoffnung riß ihn um so
  höher wieder empor, je tiefer ihn vorher das Unglück gestürzt hatte. Er
  athmete wieder frei und unbesorgt, und dachte an den morgenden Tag mit
  eben der Unbefangenheit, mit der ein Knabe an ihn denkt, der vom Spiele
  auszuruhen kömmt.
  Er ging durch die Burg, um sich mit allen Zimmern bekannt zu machen, er
  dachte sich schon Emma in die Säle, setzte sich in einen Sessel, und
  träumte sich Emma in den neben ihm stehenden. In jedem Gemälde suchte er
  mühsam die Züge zusammen, die auch nur die entfernteste Ähnlichkeit mit
  dem Gesicht seiner Emma hatten. Nur selten und schwach stieg der Zweifel
  an der glückliche Ausführung des Entwurfs seines Freundes in seiner
  Seele auf; er schien so unbesorgt, als wenn er mit dem Schicksal einen
  Vertrag geschlossen hätte.
  Die Welt trat wieder aus dem Schatten hervor, die Natur blühte für ihn
  von neuem, ein neuer Frühling sank aus dem Morgenhimmel der Hoffnung
  nieder, und goß um jede Pflanze einen goldenen Schimmer; tausend schöne
  Träume tanzten um ihn her und reichten ihm ihren Nektarbecher; alle
  seine Sinne waren dem Gefühl der Freude aufgeschlossen.
  Wie ein Genesender die Rückkehr seiner Kräfte fühlt, wie ein sanfter
  Purpur wieder über die bleichen Wangen schleicht, in den erstorbenen
  Augen das erste Feuer zuckt, so fühlte sich Adalbert jetzt wieder mit
  der Welt, mit allen Menschen ausgesöhnt; er empfand, daß er itzt Niemand
  hasse, oder auch nur hassen könne; in jedem Wesen ahnete er den Geist
  der Liebe, er hätte die ganze Natur an sein Herz drücken mögen.
  So schwelgte er in den Armen der Hoffnung, er verlebte an dem Busen der
  holden Betrügerin Stunden, die unendlich mehr Freuden gewähren, als die
  Stunden des Genusses. -- Der Knabe steht vor einer grünen Anhöhe, die ein
  goldnes Morgenroth beglänzt, durch die grünen Büsche funkelt freundlich
  der Flammenschein; er ersteigt den Berg, in die bezaubernde Gegend zu
  kommen, -- aber die Sonne ist indeß heraufgekommen, der lockende Schimmer
  verschwunden.
  Adalbert wäre auch ohne Emma nie unglücklich gewesen, wenn er nur immer
  so hätte hoffen können.
   * * * * *
  Friedrich von Mannstein hatte indeß in einer traurigen Einsamkeit gelebt.
  An jenem Morgen schon, an welchem Adalbert die Burg verließ, war es sein
  erster Gedanke, seine Verbannung zu widerrufen; aber Niemand wußte,
  welchen Weg Adalbert genommen hatte. Emma war untröstlich, als sie seine
  Abreise erfuhr.
  Sie hatte sich so an Adalbert gewöhnt, daß sie sich ohne ihn ihr Dasein
  gar nicht denken konnte: er war der Gespiele ihrer Kinderjahre gewesen,
  sie hatte nur immer für ihn gelebt; seit sie gewünscht hatte, war er
  das Ziel aller ihrer Wünsche, denn in der Einsamkeit erzogen, hatte sie
  nie einen schönern Mann gesehen. -- Sie dachte sich alles zurück, was
  sie mit Adalbert genossen und gelitten hatte, sie hatte so süß geträumt
  und unbarmherzig hatte sie das Unglück aus allen goldnen Phantasien
  gerissen, und vor ein wüstes Meer gestellt, in dem sich nichts als
  schwarze Wolkengebilde spiegelten. -- Sie fiel nach und nach in eine
  Art von Betäubung, aus der sich der Geist zur Verzweiflung oder zur
  Versöhnung mit der Welt ermannt. Bei dem Mädchen, deren jugendliche
  Phantasie vor dem Bilde des Todes zurückschauderte, war das letzte der
  Fall, so sehr sie auch anfangs dagegen kämpfen wollte; aber der Schmerz
  hatte sie ermüdet, sie hatte das Maas der Traurigkeit erschöpft. Ihr
  Gram ward gemäßigter und sie fing ihre weiblichen Arbeiten wieder an,
  mit dem Vorsatz, ihren Kummer auf andre Stunden zu verschieben. Zwar
  flossen noch ihre Thränen sehr oft, wenn sie auf die Erinnerung Adalberts
  geleitet ward, aber es waren nicht mehr die heißstürzenden Thränen, die
  die Kinder des tauben Schmerzes, der Verzweiflung sind, bei denen der
  Leidende in der Natur nichts als sich und sein Unglück sieht; es waren
  die Thränen der Wehmuth, die auch oft nach Jahren noch fließen. Als sie
  zum erstenmal wieder lächelte, zürnte sie heftig auf sich selbst; das
  zweitemal zürnte sie nicht, aber sie nahm sich vor nicht wieder zu
  lächeln, und nachher glaubte sie, man könne doch trauern, ohne im Äußern
  die Zeichen der Traurigkeit anzunehmen. Friedrich schien den Kummer
  seiner Tochter nicht zu bemerken, und dies war eine Ursach mehr, die
  sie bewegte, ihn zu unterdrücken. Hätte er von Adalbert gesprochen,
  so hätte sie Muth gefaßt, ihm ihre Liebe zu gestehn, und sie hätte
  einen Theilnehmer, einen Vertrauten ihres Schmerzes gefunden. -- So
  verwandelte sich Emma's Gram nach und nach in Wehmuth. So steigt die
  Leidenschaft vom höchsten Gipfel der Leiter eine Stufe nach der andern
  herab, bis dahin, wo sie nicht mehr Leidenschaft ist. Emma wehklagte
  nicht mehr über den Verlust eines Geliebten, sie war nur noch wegen
  eines abwesenden Freundes bekümmert.
  Sie fühlte lebhafter, aber nicht so tief als ihr Vater; dieser war daher
  am ersten Tage nicht so traurig, als an den folgenden. Sein Kummer nahm
  fast in eben dem Grade zu, in welchem der Gram seiner Tochter sich
  milderte; denn er empfand itzt erst, wie viel er an Adalbert verloren
  habe. Ihm war ein Sohn abgestorben, und diesen vermißte er weit mehr,
  als er je vorher würde geglaubt haben. Er war jetzt stets allein, wenn
  er nicht in Emma's Gesellschaft war, denn Konrad von Burgfels hatte ihn
  noch nicht wieder besucht.
  So stand die Veste Mannsteins einsam und verlassen, seit dem Tode der
  Mutter Emma's war diese Gegend nicht so öde und still gewesen. Dieser
  Einsamkeit überdrüssig, beschloß daher Friedrich ein kleines Fest
  anzustellen, welches ihn wieder an die Thaten seiner Jugend und seines
  männlichen Alters erinnerte. Er lud mehrere Ritter aus der Nachbarschaft
  ein, ließ einen grünen Platz vor der Burg zu einem Turniere einrichten,
  und Schranken setzen. Ein Paar goldene Sporen waren der Dank des Siegers,
  Emma sollte ihn überreichen.
  Am Tage des Turniers erschien Konrad von Burgfels auf Friedrichs Veste,
  aber stiller und verschlossener als je. -- Was ist dir, Konrad? fragte
  Friedrich ihm entgegeneilend. -- Bist du krank?
  Wollte Gott, ich wär' es! antwortete Konrad.
  _Friedrich._ Was fehlt dir Freund? Dir ist ein Unglück begegnet. --
  _Konrad._ Ach! Friedrich! -- siehst du, ich hatte wohl Recht; falle
  nieder und danke, daß dir kein Sohn geboren ist, -- ich hatte Recht.
  _Friedrich._ Dein Sohn --
  _Konrad._ Schläft in Palästina den eisernen Schlaf. -- Friedrich, nun
  werden die Fahnen meiner Burg _ewig_ »Karl« rufen, und trauriger als je,
  -- mein Geschlecht ist ausgestorben. -- Nun werde ich nicht mehr nach
  jenen Berg hinblicken, denn _ihn_ werde ich nie heruntersprengen sehn
  mit einer erbeuteten Fahne; -- mußte _er_ gerade fallen? -- Der einzige
  Sohn, der einzige Trost eines alten Vaters? Mußte _ihn_ gerade der
  schadenfrohe Tod erwürgen? -- Nun kann ich ihn nicht anders als in
  meinen _Träumen_ sehn.
  _Friedrich._ Tröste dich. Wer kann wider den murren, der das Leben giebt
  und nimmt? -- Laß ihn, wer als Jüngling stirbt, der hat nur das Schöne
  dieser Welt genossen, alle ihre Leiden sind ihm vorübergegangen. Wie
  viele Greise wünschen nicht, als Jünglinge gestorben zu sein. -- Zu viele
  Klagen über seinen Tod ist Gotteslästerung. --
  _Konrad._ Wie gut doch die Reichen immer über Ertragung der Armuth zu
  predigen wissen! -- Du bist noch im Besitz deiner Schätze, du ersteigst
  einen Hügel, auf dem die Aussicht umher immer schöner und schöner wird,
  oben entschlummerst du vom Strahl eines schönen Abends beleuchtet in den
  Armen deiner Kinder und Enkel; -- ich gehe den Berg hinab, einsam und
  ohne Gefährten, in das enge schwarze Thal des Todes.
  _Friedrich._ Auch _ich_ habe einen Sohn verloren.
  _Konrad._ Du?
  _Friedrich._ Adalbert. -- Er erzählte ihm die Geschichte seiner
  Verbannung.
  Friedrich, begann Konrad, als der Ritter geendigt hatte, -- rufe ihn
  zurück, mache ihn durch Emma glücklich, mache dich selbst in der Freude
  deiner Kinder glücklich. Ich habe nie so lebhaft gefühlt, _was_ das
  eigentliche Glück des Lebens sei, als itzt, da ich keine Rechnung mehr
  darauf machen darf. Ach! Freund, Ehre, Geburt, Schätze, -- betrügerische
  Schatten die uns necken, indeß das wahre Glück mitleidig lächelnd hinter
  unsern Rücken entflieht. -- Wie gern möcht' ich mir durch meine Burgen,
  meine Ahnen, meinen Ruhm einen Sohn erkaufen können! unberühmt, arm und
  ohne Ahnen würd' ich mich doch von der ganzen Welt beneidet glauben.
  -- Friedrich, folge meinem Rathe.
  _Friedrich._ Wenn er hier wäre! -- Niemand weiß, wohin er sich gewandt
  hat. --
  Indeß waren die geladenen Ritter angelangt und Emma trat in ihrem
  festlichen Schmucke zu ihnen. Sie schien sich selbst zu gefallen.
  Alles schickte sich zum Turnier an, die Ritter begaben sich in
  die Schranken und eine Menge Zuschauer aus der benachbarten Gegend
  versammelte sich. Emma saß auf dem Altan der Burg, die Kampfrichter
  gingen zu ihren Sitzen und zu diesen schlichen sich auch Konrad und
  Friedrich, unwillig daß ihren Armen die Schwerter und Lanzen zu schwer
  geworden.
  Die Trompete des Herolds erschallte und das Turnier nahm seinen Anfang,
  als auf einem schwarzen muthigen Rosse sich ein stattlicher Ritter den
  Schranken näherte. Er ward eingelassen und zog sogleich die Augen aller
  Anwesenden auf sich -- Emma verglich ihn in Gedanken mit Adalbert, der
  weniger groß, nicht diesen majestätischen Anstand hatte. Sie gestand
  sich, der Fremde sei schöner als Adalbert und alle ihre Wünsche erflehten
  ihm den Sieg. -- Konrad dachte an seinen Sohn und seufzte.
  Der fremde Ritter schwang seine Lanze mit einer Leichtigkeit, welche
  zeigte, daß ihm dieses Spiel nicht unbekannt sei. Er betrachtete Emma
  genau, er hatte sie sich dem allgemeinen Rufe nach schöner gedacht, ja
  eine vollkommene Schönheit erwartet; er fand sich sehr getäuscht; aber
  doch zog ein unbeschreibliches Etwas ihres Gesichts seine Blicke stets
  wieder nach ihr zurück, er fing an zu glauben, daß eine vollkommene
  Schönheit für das Herz selten so gefährlich sei, als ein anziehender
  Blick und ein Mund, um den Gram und Heiterkeit stets zu kämpfen scheinen.
  -- Emma schlug einigemal die Augen nieder und erröthete. --
  Das Turnier war geendigt, dem fremden Ritter ward einstimmig der Dank
  zuerkannt, er kniete nieder und empfing ihn aus der zitternden Hand des
  Fräuleins. -- Er öffnete sein Visir, es war _Wilhelm von Löwenau_.
  Emma's Blicke trafen auf die schwarzen feurigen Augen des Ritters und
  sanken in eben dem Augenblick beschämt auf ihr Busentuch; sie fühlte, daß
  in diesen Blicken etwas mehr als Neugier gelegen habe, aber doch konnte
  sie sich nicht enthalten, die Augen noch einmal aufzuschlagen, um den
  Anblick der vollkommnen männlichen Schönheit zu genießen. Löwenau kniete
  noch immer zu ihren Füßen und verschlang sie mit seinen Augen; das
  Geschmetter der Trompeten weckte ihn endlich aus seinem süßen Rausch und
  er erhob sich.
  Friedrich eilte auf ihn zu und umarmte ihn, auch die übrigen Ritter
  begrüßten ihn und man begab sich zur Tafel.
  Wilhelm von Löwenau saß als Sieger obenan und ihm gegenüber die
  schüchterne Emma, die jeden Gedanken an Adalbert zu verbannen suchte.
  -- Löwenau aß und trank nur wenig, er schien unruhig und nachdenkend.
  Jeden Blick Emma's begleitete er und verweilte mit seinen Augen oft
  lange auf ihr. -- Das Mahl war geendet, Emma ging in ihr Gemach und
  man brachte den Rittern die Pokale. Löwenau stand auf und ging in den
  Burggarten.
   * * * * *
  Mit niedergesenktem Haupte und verschlungenen Armen ging er hastig auf
  und ab, als ob er einen verlornen wichtigen Gedanken wiedersuche. -- Er
  stand still, lehnte sich an einen Baum, und sahe mit einem wehmüthigen
  Blick nach den Fenstern der Burg hinauf, auf denen schon der sanfte
  Schimmer des Abends zitterte. Emma stand von ohngefähr an ihrem Fenster
  und ging wieder zurück, als sie den Ritter erblickte.
  War das nicht _Emma_? rief er aus. -- Warum klopft mein Herz ungestümer
  bei dem Gedanken? -- Emma. -- Wie gleichgültig tönte mir noch gestern
  
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