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Ludwig Tieck's Schriften. Achter Band - 06
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Welcher Wurm kann sich ohne Flügel zum Glanz der Sonne aufwärts schwingen?
Ein Strahl zittert auf ihn hernieder und er glaubt sie steige auf sein
Gebot zu ihm herab und spiele neben ihm im Grase, aber es ist nichts, als
ein Tropfen Thau's, in welchem ihm ihr Bild aus einem kleinen Spiegel
entgegenlächelt. Die Hand des Menschen wird nie in ewige Gesetze greifen
und ihnen Stillstand gebieten; wer würde noch zum Allmächtigen beten,
wenn der Hauch des Staubes die Weltendonner seiner Sprache überschrie,
wenn ein Sonnenstaub sich seinem Willen entgegenwürfe und das große
Gewebe sperrte? -- Nein Abdallah, du _glaubst_ zu sehen, was du nicht
sehen kannst, in dir selber schlägst du die Töne an, die du aus den
Wolken zu hören glaubst, die Unendlichkeit steht deinem Lehrer nicht zu
Gebot, aber deine schwachen Sinnen vermag er zu beherrschen, das große
Geheimniß, vor dem du verehrend zurückschauderst, ist nichts, als ein
gemeiner Betrug, den du an einem armseligen Künstler verachten würdest.
Darum höre mich und sei was du warst, verliere den Freund und gewinne
dich selber der Verrätherei wieder ab, sprich das belebende Wort über
die Leichen aus und laß aus ihrem Grabe die Seligkeiten wiederkommen,
die du selbst ermordet hast; laß das schlachtende Messer inne halten
und binde sorgsam die letzte Rose auf, die schon in der Sonnenhitze
verschmachten will. --
Mein Name ist _Nadir_, ich trete mit dem morgenden Tage in mein
achtzigstes Jahr, traue meinem Alter, das mich bald vor den Thron des
Richters bringen wird, wo man mir jede Lüge aufbewahrt. -- Seit meiner
Kindheit brannte in mir eine unauslöschliche Ungeduld, alles zu erfahren
und zu wissen, was nur in der Seele des Menschen Raum fände; als Jüngling
schweifte ich bald mit meinen Gedanken über die Gränze hinaus, die eine
gütige und grausame Hand unserm vorwitzigen Geiste gesetzt hat. Mein
Verstand wollte das Unendliche umspannen und das Undurchdringliche
durchdringen, die Schwäche der Menschheit hielt ich nur für die Schwäche
_meines_ Geistes, meine Sinne schweiften durch alle Regionen der kühnsten
Zweifel und der verwegensten Irrthümer, ich riß alles um mich her aus,
und bepflanzte die leere Schöpfung dann mit den Wesen meiner Einbildung,
ich glaubte nichts, um alles zu glauben. Alle meine Kräfte bot' ich zum
Kampfe auf und fühlte mitten im Streit meine Schwäche, ich hatte durch
meine Kühnheit Gott und das Schicksal verloren und doch genügte ich
mir nicht selbst in der traurigen Einsamkeit, ich hatte die Vorsehung
geläugnet und fing nun an, an die Macht fremder Wesen und Dämonen zu
glauben; Aberglaube und Nichtglaube berühren sich unmittelbar auf der
Gränze, aus einem Feinde der Andacht ward ich ein Schwärmer. Von itzt
lebte ich unter Wundern und Unbegreiflichkeiten, zu denen ich mich
hinandrängen wollte, die Ähnlichkeit der Gottheit schien mir darin zu
liegen, die geheimen Winke der Natur zu verstehn, und das Unmögliche
möglich zu machen, ich taumelte auf einem schmalen gefährlichen Wege
durch das Gebiet des Wahnsinns, von blendenden Hoffnungen begleitet.
Auf dem Gipfel des Caucasus, hört' ich, wohne der weise _Achmed_, der
die große Auflösung zu den Millionen Räthseln gefunden habe, den Stab,
mit dem er an die Sonne und die Sterne reichen könne und dem sich die
Zukunft aufthue. Ich verließ mein Vaterland, um diesen Gott zu sehen
und sein Schüler zu werden, wenn er mich für würdig erklärte. Er nahm
mich auf und ich überstand fünf harte Probejahre, in denen er mich
durch tausend Mühseligkeiten zurück zu schrecken versuchte, aber meine
Wißbegierde ertrug alle Lasten leicht und tröstete meine Ungeduld, die
zuweilen erwachte, mit dem herrlichen Augenblick, in welchem meinen
Augen der ewige Vorhang niederfallen würde. -- _Omar_ war wie ich ein
Schüler Achmeds, -- der erharrte Tag erschien endlich und ich ward in
den schwarzen Bund aufgenommen. -- Wir mußten beide dem edeln Achmed
mit einem heiligen Eide schwören, nur durch unsre Macht Glück und Freude
zu verbreiten, dem Elenden beizustehn, den Schändlichen zu strafen und
so dem Ewigen ähnlich zu werden. -- Wir schwuren es und Achmeds Gewalt
war die unsrige.
Nun erst sah ich ein, daß meine Wünsche jenseit der Schranken der
Menschheit lagen, daß das, was ich verloren gegeben hatte, mehr werth
sei, als mein Gewinnst. Alle meine großen Hoffnungen waren hintergangen,
ich war im Begriff mich selbst zu verachten. Tausendmal wünscht' ich
die Vergangenheit zurück, in der ich noch nicht an die Gränze der
menschlichen Kraft gekommen war, wo mich eine unbarmherzige Schrift
höhnend zu den Thieren des Feldes zurückwies. Ich hatte gehofft, daß
sich mir die Ewigkeit aufschließen würde, wo ich im Heiligsten die
Gottheit schaute und den großen Plan der Welt sähe, den sie gezeichnet
hat -- und ich ward vor einem Spiegel geführt, in dem ich nun meine
eigne Verächtlichkeit sahe und eine Kunst war mir verliehen, die mir
durch armseligen Betrug den großen Verlust nicht ersetzen konnte, eine
Macht, die Niemand an dem Besitzer beneiden würde, wenn er nur _einen_
Blick durch den blendenden Glanz zu werfen vermöchte.
Omars Freundschaft tröstete mich in meiner Trostlosigkeit und versöhnte
nach und nach mein Mißvergnügen, wir tauschten unsre Seelen gegen
einander aus, und ein jeder gewann, wir schlossen einen heiligen Bund
und jeder Gedanke, jedes Gefühl floß in das Wesen des Freundes hinüber.
Endlich trennte sich Omar von mir und ich blieb allein bei meinem
Lehrer, und lebte in einer stillen Einsamkeit und Ruhe, von der Welt
und ihren Geschäften geschieden, in steten Betrachtungen der Natur und
der Weisheit Gottes. Ich dachte oft an meinen Freund Omar und wünschte
ihn zu mir zurück. Zwanzig Jahre waren so verflossen, als ich von meinem
Lehrer Achmed den Auftrag erhielt, ihn aufzusuchen, denn meine Reise
setzte er hinzu, könnte wichtige Folgen haben.
Ich durchreiste Arabien und Persien vergebens und fand ihn endlich hier
wieder, an jenem Abend, als du unter einer Cipresse eingeschlafen warst
und ein brausender Sturm dich aus deinen Träumen weckte. -- Er eilte in
meine Arme, es war eine wonnevolle Stunde des Wiedersehens; wir
erzählten uns unsre Schicksale und Omar sprach also:
»O! daß der Mensch in Seinem Busen einen unversöhnlichen Feind mit sich
herumtragen muß, der ihn unabläßig quält! daß dies heillose Drängen unsrer
Seele, dies Streben gegen die Unmöglichkeit uns den Genuß unsers Daseins
raubt und uns gegen uns selbst verderbliche Waffen in die Hand giebt!«
Wir hatten uns weiter hinein in den Busch entfernt, die Nacht sah
schweigend auf uns herab, die Bäume wiegten sich leiserauschend und Omar
fuhr also fort:
»Wir sprachen schon damals, Nadir, als wir beide noch den Unterricht des
weisen Achmeds genossen, von jenem Sturm, der unaufhörlich in dem Baum
unsers Geistes wüthet und ihn zu zerstören droht. Kaum hatte ich von dir
Abschied genommen, so verfolgten mich alle meine Wünsche mit erneuerter
Wuth, mein brennender Durst war nicht gestillt, sondern durch Achmeds
Kenntniß nur von neuem angefacht, mein Vordrängen war vergebens gewesen,
denn noch in dichtem Nebel eingehüllt lag der große Felsen in der Ferne,
hinter welchem die Sonne wohnte, die ich suchte. Ich fühlte mich
eingeengt und gepreßt und war unglücklicher als ich je gewesen war.«
»Furchtbare Gedanken standen itzt leise in meiner schwarzen Seele auf wie
Verbrecher, die die Ketten von sich streifen und sich frech im düstern
Kerker erheben. _Weisheit_ war mir der edelste, der einzige Zweck des
Menschen, die einzige Krone, die seine Stirn schmücken könnte, ein
Zweifel an alle Tugend machte mir diese gepriesene Gottheit verächtlich
-- und ich wagte endlich vermessen einen Schritt, von dem ich vorher
wußte, daß sich hinter mir ein Abgrund reissen würde, um mir den Rückweg
ewig unmöglich zu machen.«
Omar hielt ein und mit gespannter Aufmerksamkeit horchte ich auf seine
Rede. -- Mein Freund fuhr fort:
»Am Ende der Welt, in einem fürchterlichen Schlund, der sich zwischen
die Klippen des Atlas wirft, an einer Stelle, wohin noch kein Menschenfuß
sich verirrte, wo zwischen ewig einsamen Felsenwänden das Grausen wohnt
und kaum ein verirrter Wind mit seinem Fittig gegen die hohen Steinmauern
streift, dort, -- so sagte eine alte Sage, -- wohne seit Jahrtausenden
ein furchtbarer Sterblicher, der hier im kalten Haß der Ewigkeit
entgegenharre, von Menschen und Engeln losgerissen, ein Wesen, einzig,
ohne je ein Leben zu finden, dessen Seele mit der seinigen gleichgestimmt
sei. -- Greise erzählten mir unter Schaudern, daß er ein höherer Geist
gewesen sei, der sich vom Ewigen losgeschworen und in die leere Wüste
der Strafe der Allmacht entronnen sei, _Mondal_, so nannten sie den
Schrecklichen und sagten, daß der große Verworfene keine Strafe bedürfe,
denn er selber sei seine Verdammniß. Man sprach von den Wundern die er
ehedem gethan und denen die Völker in Demuth erzittert wären, von
gräßlichen Strafen, mit denen er sich an seinem Feinde gerächt, sein
Name war die Loosung zum Schrecken.«
»_Ihn_ wollt' ich aufsuchen und mich an seine fürchterliche Größe drängen,
hier die Flammen meines Busens kühlen, oder ein unausbleibliches Verderben
finden. -- Ich wanderte durch die Wüsten von Afrika, ich ging über die
hohen unermeßlichen Gebirge und näherte mich endlich der langerhofften
Gegend. Das Gebirge lag fürchterlich aufgethürmt, wie die Mauer der Welt
vor mir, die Wolken des Himmels schienen scheu um den Fuß zu flattern
und frech hoben sich die Spitzen des Klippengebirges in die unendliche
Leere des Äthers, immer höher und höher aufgewälzt und immer furchtbarer
und kühner aufgethürmt.«
»Ich bestieg die untersten Gebirge, die sich nur wie Hügel an die
unbegränzte Felsenmauer lehnten. Die Erde lag unter mir mit allen ihren
Schätzen und Städten ausgebreitet und schien mir Lebewohl zu sagen, das
Meer unermeßlich ausgegossen tief unter mir. In tausend Herrlichkeiten
winkte mich die Sterblichkeit zurück, sie streckte die Arme liebevoll
nach ihrem verlornen Sohne aus und rief mich mütterlich an ihren Busen
hin, an dem ich in der Kindheit meines Geistes mit so inniger Liebe
gehangen hatte. -- Aber ich ging vorwärts und ließ hier meine Menschheit
zurück, ich warf alles von mir ab, was der Endlichkeit gehörte, ich riß
auf ewig das große Band entzwei, das mich an die Schöpfung hielt, ich
setzte den Fuß vorwärts, von diesem Augenblick ganz mein eigen, die
Menschheit hinter mir auf ewig zugeschlossen, ich auf ewig in die
Unendlichkeit des Meeres hinausgewiesen, von keinem Ufer jemals wieder
angewinkt zu werden.«
»Mein Pfad wand sich immer steiler die Felsen hinan, immer unfreundlicher
die Natur umher, die Bäume starben aus, die Sträucher, und endlich
erlosch auch der letzte Schimmer des grünen Grases unter meinen Füßen.
-- Itzt lag die Erde und das Meer in eins verschwommen ungewisser
wie ein Nebel unter meinem Blicke, wie in einen schwarzen Schleier
eingewickelt; so weit mein schwindelnder Blick sich wagte, über mir und
unter mir und neben meinem Schritte die unendliche gedankenlose Leere.
-- Bei jedem Schritte zog sich ein härterer Panzer um meine Brust, keine
meiner vormaligen Empfindungen wagte es, mir in den eisernen Aufenthalt
zu folgen, nur von nackten Felsen und dem Himmel umgeben hatt' ich schon
vergessen, daß ich einst ein Mensch gewesen sei.« --
»Ich kam in Gegenden, die die Natur zuletzt in ihrer Ermüdung geschaffen
zu haben schien, kein Leben, kein Moos, das die Felsen hinaufkroch,
erinnerte mich an die Welt, die ich verlassen hatte. Hier schien der Tod
seine Behausung zu haben, eine Welt schien hier einst untergegangen und
dies ihre schauderhaften Ruinen zu sein. Ein kaltes Grauen begleitete
mich, immer größere Furchtbarkeiten kamen mir entgegen, alle meine Gefühle
gingen nach und nach in meiner Brust unter, und nichts als mein Vorsatz
und das Bewußtsein meines Daseins blieb mir übrig.«
»Itzt stand ich auf einer Felsenspitze, die in ein Thal hinabsahe, das
rings von kahlen schwarzen Klippen eingeschlossen war, ein Schauder
brütete über diesem Schlund, in den sich tausend Höhlen rissen und ein
verworrenes Gebäude bildeten, kein Luftzug rauschte durch die Felsenwüste,
kein Ton, der ein Leben verrieth, schlich hervor; die gespaltenen Klippen
grinßten mir aus dem Abgrund entgegen, die Vernichtung sahe sich hier
selbst mit Wohlgefallen an und behorchte sich in der schauderhaften
Stille.«
»Dies ist seine Behausung! rief ich unwillkührlich aus und der erste
Klang warf sich zerschmettert die gewundenen Klippen hinab, ich selber
fuhr erschrocken zurück und der Ton verlor sich winselnd in den fernsten
Schlünden.«
»Die letzte Furcht faßte mich zweifelhaft an. -- Soll ich hinuntersteigen?
fragte ich mich leise. -- Noch, noch steht mir der Rückweg offen! Noch
darf ich selber über meinen Willen gebieten. -- Doch was soll ich in der
Welt? -- Ein Engel darf, ein Mensch mag ich nicht sein, nur die Hölle
bleibt den Unbefriedigten übrig, -- ich kann nicht anders, ich würde
nichts vom Menschen wieder rückwärts bringen: -- und zugleich stieg ich
in das fürchterliche Thal hinab.«
»Wie mit tausend kalten Armen hielt es mich eingeklammert, wie in den
unerbittlichen Tod schritt ich hinunter.
»Plötzlich fuhr ich bebend zurück. -- In einer halb dunkeln Grotte saß ein
Greis und lächelte mir mit einer Freundlichkeit entgegen, die mehr dem
Zähngeknirsch eines Ungeheuers glich. Ein weißer Bart sank bis auf seine
Füße hinab und deckte sein Gesicht. Ein fremdes mir unbegreifliches Wesen
sahe aus seinen wilden Augen, er hatte bloß das Ansehn eines Menschen,
um die Menschheit von sich zurückzuscheuchen. -- Sein Anblick hatte mich
bis in das Innerste meiner Seele erschüttert und ich wagte es nicht,
die Augen zum zweitenmal auf ihn hinzuwerfen: ich hatte allen sanften
Gefühlen Abschied gegeben und die Schauder vertraulich in meinem Busen
aufgenommen, -- aber hier fand ich ein Wesen, vor dem meine Frechheit
Demuth ward, alle meine Verwegenheit sich in banges Grauen auflöste.«
»Wer bist du? rief er mir in Tönen entgegen, wie ohne Klang und Athem;
sie kamen zu mir, wie aus einer fernen Welt und sprachen in Accenten,
von denen kein sterbliches Ohr eine Ahndung hat und haben kann.«
»Ein Wesen, schrie ich ihm entgegen, das sich selber nicht begreift!
Meine Menschheit hab' ich jenseit diesen Klippen ausgezogen! -- Das
Leben hat keinen Reiz für mich, ich will in der Wildniß meine Freude
suchen.«
»Mondal schwebte mir entgegen und stierte mich mit einem Blicke an, der
meine Seele mit Riesenkräften zusammendrückte.«
»Du bist das erste Wesen, sprach er, das mein Angesicht sieht, ich sitze
hier und faste der Ewigkeit entgegen und noch kein Staubgeborner hat es
gewagt, mich in meinem Hause zu besuchen, wo ich mit dem Grausen spiele
und Schauder mir die Zeit verkürzen. -- Was suchst du hier?« --
»Was ich hier oder nirgends finde, antwortete ich zitternd, ich schäme
mich ein Mensch zu sein, nimm du mich in deine Gesellschaft auf und
vergönne, daß ich deinen Geist begreife und dir ähnlich werde.«
»Er sahe mich an und lachte fürchterlich auf, daß die Felsen umher in
ihren Wurzeln wankten. -- Vermessener! rief er dann: -- Du verläugnest
die Menschheit und doch zeigen deine Worte, daß du ihr noch zugehörst.
_Ein_ Funke, der von mir zu dir herüberleuchtete, würde dein Wesen
zersprengen. Dank' es meiner Verachtung, daß mein Anblick dich nicht
tödtet!«
»Nun dann, sprach ich mit knirschender Verzweiflung, so bleibt mir keine
Hoffnung übrig, als meine Vernichtung!«
»Vernichtung? antwortete der Furchtbare und zog den Mund zum Grinsen, so
kalt und todt wie die Felsen umher. Was _ist_, kann nicht vernichtet
werden, die Ewigkeit hält dich fest, so lange die Zeit dauert, dauerst
du selbst. Du kannst dich tödten und in eben dem Augenblick stehst du
ein neues Wesen in deiner eignen Verdammniß wieder da, -- so hat es der
Gütige dort gewollt, der alles mit seiner Milde umfängt. O! wenn
_Vernichtung_ möglich wäre, wenn wir uns selber angehörten und
beherrschten -- o dann wäre noch Glück in seiner Schöpfung!« --
»Ich fuhr mit Entsetzen zurück. -- Voll Frechheit kömmst du hierher,
sprach Mondal weiter, und bedachtest nicht, daß dein Wesen sich nie dem
meinigen nähern könne. -- Nein, Sterblicher, ganz kannst du mich nicht
verstehen, denn tausend Naturen stehen zwischen uns; die Gedanken,
die die du begreifst, sind nicht meine Gedanken, unser Urstoff ist
verschieden, wir können uns in keiner Empfindung begegnen.«
»Wo find' ich dann, rief ich mit bitterm Unwillen aus, ein Wesen, das
mich versteht? Mir ist alles verschlossen, in der ganzen Schöpfung kein
Laut, der in mir denselben anschlüge. Vernichte dies Streben in meiner
Brust, das mich durch alle Welten drängen würde, du verwirfst mich als
deinen Schüler, erniedrige mich bis zum Wurm, der sich dumpf und ohne
Bewußtsein zu deinen Füßen windet.«
»Ich verwerfe dich nicht, sagte Mondal, deine Natur hält dich gefangen!
Ich will dir geben, was ich kann, -- aber du wirst meine Bedingung nicht
erfüllen.«
»Alles, alles, sprach ich hastig, -- nur reiß mich aus diesem peinvollen
Dasein, mach, daß ich mich nicht verachten muß, sollt' ich mich auch
dafür verabscheuen!« --
»Mondal schwieg eine Weile, dann sagte er: Ich stehe nicht über der
Menschheit, ich bin nur ein fremdartiges Geschöpf, dessen Gedanken und
Gefühle Strahlen sind, die nie mit denen der Menschen in ein Licht
zusammenfließen, sondern sich ewig zurückstoßen. Die Menschen haben von
ihrem Gotte jenen Trieb, alles zu ordnen und in ein Ganzes zu bringen,
_meine_ Freude ist Zerstörung. Ihrem Triebe genug zu thun, arbeiten sie
in einer ewigen Thätigkeit an Ordnung und Harmonie, Sklaven eines Herrn,
dem sie dadurch schmeicheln wollen, Schönheit und Tugend nennen sie das
Gebäude, das sie aufführen, für mich giebt es keine Tugend als ihre
Laster. -- Kannst du deine angeborne Menschheit bis auf die letzte
schwächste Ahndung ablegen und mir voll Vertrauen die Hand reichen, kann
ein heiserer Mißklang dir eben so viel Freude geben, als jener Wohlklang
dort unten, verlierst du nichts an jenem Gott dort oben, so bist du
mein!«
»Ich reichte ihm mit erzwungener Festigkeit die Hand.«
»Zerstörung! rief er mit wilder Freude, dein Hauch sei Vernichtung,
jeder Pulsschlag ein Verbrechen, verfolge ihre Tugend und sei der Freund
des Bösen, kehre in die Welt zurück und zerreiß das Gewebe, mit dem sie
sich an ihre Gottheit knüpfen wollen, dies beschwöre mir mit einem
großen Eid und unter diesen Bedingungen will ich zeigen, was kein Auge
sieht. Fern ist noch der letzte Tag, wir wollen wirken, bis die Zeit zum
Greise wird.« --
Omar hielt hier in seiner Erzählung ein. -- »Und du schwurst den Eid?«
rief ich erschrocken aus. --
»Ich schwur ihn,« antwortete er langsam und sprach dann weiter: »Es war
ein Schwur, o, mehr ein Fluch, unter dem sich die geängstigte Erde hätte
bäumen mögen, ich wag' es kaum, ihn in Gedanken zu wiederholen.« --
»Wie ein Vorhang fiel es vor meiner Seele hinweg, alle meine Gedanken
waren zu Riesen aufgewachsen, die gegen den Himmel anstürmten, meine
vorige Frechheit schien mir itzt Feigheit, alle meine Gefühle waren
ehern, mein Busen Diamant.«
»Ich ward in seine fürchterlichen Geheimnisse eingeweiht, Flüche
segneten mich ein, Grausen stieg mir aus den unendlichen Labyrinthen
entgegen und Schauder waren meine Erfrischung. Meine Gedanken dachten
das Ungedachte, ich war über den fernsten Gränzstein der Menschheit
hinausgeschritten und wandelte nun, ein fremder Pilger, jenseit dem
Leben auf der dürren Haide. -- Die Vergangenheit kam meinem Ruf zurück,
die Zukunft schloß sich meinem Blicke auf. -- Mondal zeigte mir ein
ungeheures Buch, in welchem auf jedem seiner Millionen Blätter tausend
Punkte gezeichnet waren. -- Dies ist mein Almanach, sagte er lächelnd,
so viel Punkte du ausgelöscht siehst, so viele Tage hab' ich durchlebt,
die übrigen sind die Tage, die noch bis zum letzten Tage übrig sind,
ihre Zahl ist unzählbar; aber endlich nutzt sich nach und nach die Zeit
ab, auch der letzte Punkt wird ausgelöscht und die neugeborne Ewigkeit
wandelt über den Ruin der Welten. Bis dahin sieht mein Auge; was dann
sein wird, ist ein Geheimniß, das ich schon seit Jahrtausenden zu
enthüllen strebe.«
»Mein Geschäft war nun geendigt und ich ging in die Welt zurück, nicht
um zu leben und zu genießen, sondern um Genuß und Leben zu zerstören.
Alle meine vormaligen Freuden kamen mir wie eben so viele Feinde
entgegen, ich zerstörte und vernichtete, so weit nur meine Gewalt
reichte, Jammergeschrei folgte meinen Schritten und Flüche der Wittwen
und Waisen, mein Weg war mit Thränen benetzt und Grabhügel waren die
Denkmale, die von meiner Durchreise sprachen. -- Der Ewige hatte mich in
ein Leben verwiesen, das ich verachtete und ich sättigte mich im Genuß
der Rache, ihn selber konnte mein Arm nicht erreichen, aber seine
Geschöpfe mußten meinem Zorne büßen! Das Dasein quälte mich, wie eine
Gewissensangst, Vernichtung war nicht möglich, Flüche nicht genug, ich
mußte ihn _strafen_.« --
»Ich kam in mein Vaterland und der Sultan _Ali_ ward mein Freund, er
war im Begriff, seinen Unterthanen ein guter Fürst zu werden, aber
ich lehrte ihn die Menschheit und ihre Tugend verachten und so kam er
endlich zu jener kalten Grausamkeit, die seinen Namen zum Schrecken des
Landes gemacht hat. Durch mich ließ er tausend Schlachtopfer fallen und
tausend eine Beute des Mangels werden, unter diesen war auch _Selim_;
Ali nahm ihm seine Schätze, Selim entflohe mit seiner Gattin und einem
kleinen Sohne, auch die Gattin mußte sterben und ihn sein Sohn nur
noch gewaltsam in ein quaalvolles Leben zurückhalten. -- Ich ging unter
den Menschen in einer ewigen Einsamkeit, wie dienstbare Henkerknechte
liefen Schrecken vor mir her und schlugen gewaltsam jedes Gefühl, jeden
Menschengedanken von mir zurück, -- so fand ich den armen, vormals
glücklichen Selim, weinend auf dem Grabe seiner Gattin sitzend, -- da
flog mir wie ein ferner Schein der Wunsch vorüber, wieder in den
entweihten Menschenorden zu treten. -- In diesem unseligen Augenblick
vergaß ich meines Amts und meines Herrn und ließ den trauernden Selim in
den Schooß des Glücks zurückkehren, meine Macht ließ ihn einen Schatz
finden, der ihm dreifach ersetzte, was er verloren hatte. -- O wie hab'
ich Jahrelang diesen einzigen Augenblick verflucht, wie gern hätt' ich
ihn zurückgenommen und Selim's Glück mit neunfachem Jammer ausgetauscht,
wenn es dem Zauberer vergönnt wäre, sein eigen Werk wieder zu vernichten.«
»Unaufhaltsam jagte es mich seit dieser Zeit zu Mondals Wohnung zurück,
ich sträubte mich vergebens gegen die drängende Macht. -- Mondal trat
mir entgegen. Schon so früh kömmst du wieder? sagte er mit gräßlichem
Hohnlächeln, -- du hast deine Menschheit abgeschworen, dein Vertrauen
war so frech -- und doch kömmst du selber zurück, dich anzuklagen? Stumm
ging er mit mir zu einem fernen, verzackten, einsamen Klippenmeer, er
spaltete einen Felsen und warf mich bis an die Hüften in die Öffnung,
die donnernd wieder zusammensprang.« --
»Mich zermalmten unaussprechliche Martern. Eine heiße Gluth webte sich
am Tage um mich her und nagte und saugte an meinen Gebeinen, Flammen
bohrten sich glühend in mein Innres und in der Nacht jagten sich kalte
Nordwinde um mich her und bliesen mich mit ihrem Athem an, ein Panzer
von Eis umgab meinen Körper und zerschmolz wieder an der Gluth des
Morgens. Siedende Waldströme stürzten brausend auf mich herab und
schmetterten spielend mein Gebein gegen hervorragende Felsenspitzen.
Mein Geheul erklang fürchterlich den Abgrund hinab, und sprang von
Klippe zu Klippe, eine taube stumme Einsamkeit lag kalt und ohne Mitleid
um mich her. -- So brüllte ich vier Jahr meine Flüche und meine Bitten
dem unerweichlichen Mondal entgegen, aber er hörte mich nicht; zuweilen
flog er auf einer braunen Wolke über mein Haupt, sahe höhnisch auf mich
herab, freute sich meiner Quaalen und überließ mich dann von neuem den
unerbittlichen Martern. -- Endlich schien er gerührt, oder der alten
Ergötzung überdrüssig, denn welches Mitleid sollte diese steinerne Brust
bewohnen? -- Ich will dich von deiner Kette losnehmen, rief er und
neigte sich wie ein Gewitter weiter auf mich herab, aber nur unter einer
schweren Bedingung geb' ich dich frei.« -- -- -- --
Abdallah wollte unter Schaudern weiter lesen, als sich ein lautes
Getümmel im Hofe des Pallastes erhob. -- Bestürzt eilte er an's Fenster
-- und die furchtbaren Palmblätter entsanken seiner Hand. --
Viertes Kapitel.
Säbel glänzten im Schein der Sonne und leuchteten Abdallah wie Blitze
entgegen; in einem fürchterlichen Getümmel kämpften Selim's Sklaven mit
der Leibwache Ali's, sein Vater stand in der Mitte des Gefechts, mit
entblößtem Säbel stürzte er hinaus.
Ein wildes Geschrei flog über den Hof des Pallastes, Ali's Sklaven
wütheten gegen Selims bewaffnete Freunde, das Geklirre der Säbel an die
Schilder geschlagen, rasselte furchtbar. Abubeker lag mit seinem weißen
Barte vor ihm, in seinem Blute gewälzt, das Geschrei und der Klang der
Waffen schlug gegen die Mauern des Pallastes, Blut floß in Strömen,
einige Sklaven flohen, andre stürzten todt nieder, -- und itzt sahe
Abdallah auch seinen Vater unter einem Säbelhiebe sinken.
Er stürzte sich wüthend in das Gedränge und metzelte um sich her, eine
blinde Wuth gab ihm Riesenkräfte, er fühlte die leichten Wunden nicht,
die er erhalten hatte und tobte wie ein Rasender in dem Gewühle auf und
ab, -- eine bekannte Stimme rief seinen Namen aus, -- es war sein Freund
_Raschid._ -- Auch du? rief Abdallah wüthend, -- auch du bist mit meinem
Elende einverstanden? -- Nur wider meinen Willen, antwortete Raschid und
gab ihm die Hand; rette nur deinen Vater, setzte er leise hinzu, sieh'
er lebt noch.
Abdallah blickte nieder, sein Vater lag zu seinen Füßen und sahe ihn mit
einem matten Blicke an; Abdallah ergriff ihn stark und trug ihn aus dem
Getümmel, Raschid begleitete ihn und half den verwundeten Selim aus dem
Hofe des Pallastes führen, alle Krieger machten dem bekannten Raschid
Platz, weil sie den Verwundeten für einen Diener Ali's hielten; so
brachte Abdallah seinen Vater aus dem Pallast und durch das Thor der
Stadt.
Selim war stumm und in sich selbst verschlossen, heftige Gedanken
schienen ihn zu beunruhigen, nur zuweilen stahl sich ein Seufzer aus
seiner Brust, den er aber seinem Sohne zu verbergen suchte.
Ich kann nicht weiter, sagte er endlich und setzte sich auf einen
Erdhügel am Wege. Sein Gesicht war bleich, seine Wunde, die Abdallah
verbunden hatte, fing von neuem an zu bluten. -- Warum hast du mich
nicht sterben lassen? sagte er dann, da das Schicksal auf mich zürnt?
-- Du hättest mich jenen Dolchen lassen sollen, denen du mich entrissest,
denn ich gehörte ihnen an, von Verrätherei dem Tode verkauft. --
Abdallah kam itzt erst aus seinem Staunen, seiner Wuth und Angst nach
und nach zurück. Er war bis itzt in eine unwillkührliche Thätigkeit
geworfen, er hatte nicht empfunden und nicht gedacht, über die Gefahr
seines Vaters hatte er sich selbst vergessen. -- Vater! rief er aus,
-- o daß ich dich habe retten können, daß ich dich aus dem Gemetzel
herausriß und dem Leben wiedergab, -- o das ist das erstemal, daß dein
Sohn dir etwas mehr als Dank sagen kann, -- eine Stunde, wo ich dir
durch Thaten meine Liebe zeigen könnte, habe ich so lange gewünscht,
-- ach! und sie mußte so schrecklich, so unvermuthet kommen!
Abubeker, sagte Selim, der redliche Greis ist todt, mein großer Entwurf
ist dahin! -- deine Ahndung, alter wackerer Mann, hatte Recht, warum
hörten wir nicht auf deine Stimme? Wozu leb' ich noch, da die schönste
Hoffnung meines Lebens umgesunken ist? -- Ich habe ein großes Spiel
gewagt, ich setzte verwegen mich und Ali dem Verderben zum Pfande aus
-- und das Schicksal rief _Selim_!
Schmerzt dich deine Wunde, Vater? fragte Abdallah.
O ich weiß kaum, daß ich verwundet bin! rief Selim unwillig aus, ich
weiß nur, daß ich habe entfliehen müssen. -- O warum kann ich nicht der
verächtliche Hund jenes müden Wanderers sein, der den Berg herunterzieht?
Er ist freier und glücklicher als ich! --
Dann ging Abdallah mit seinem Vater langsam weiter. Oft ließ er ihn
Ein Strahl zittert auf ihn hernieder und er glaubt sie steige auf sein
Gebot zu ihm herab und spiele neben ihm im Grase, aber es ist nichts, als
ein Tropfen Thau's, in welchem ihm ihr Bild aus einem kleinen Spiegel
entgegenlächelt. Die Hand des Menschen wird nie in ewige Gesetze greifen
und ihnen Stillstand gebieten; wer würde noch zum Allmächtigen beten,
wenn der Hauch des Staubes die Weltendonner seiner Sprache überschrie,
wenn ein Sonnenstaub sich seinem Willen entgegenwürfe und das große
Gewebe sperrte? -- Nein Abdallah, du _glaubst_ zu sehen, was du nicht
sehen kannst, in dir selber schlägst du die Töne an, die du aus den
Wolken zu hören glaubst, die Unendlichkeit steht deinem Lehrer nicht zu
Gebot, aber deine schwachen Sinnen vermag er zu beherrschen, das große
Geheimniß, vor dem du verehrend zurückschauderst, ist nichts, als ein
gemeiner Betrug, den du an einem armseligen Künstler verachten würdest.
Darum höre mich und sei was du warst, verliere den Freund und gewinne
dich selber der Verrätherei wieder ab, sprich das belebende Wort über
die Leichen aus und laß aus ihrem Grabe die Seligkeiten wiederkommen,
die du selbst ermordet hast; laß das schlachtende Messer inne halten
und binde sorgsam die letzte Rose auf, die schon in der Sonnenhitze
verschmachten will. --
Mein Name ist _Nadir_, ich trete mit dem morgenden Tage in mein
achtzigstes Jahr, traue meinem Alter, das mich bald vor den Thron des
Richters bringen wird, wo man mir jede Lüge aufbewahrt. -- Seit meiner
Kindheit brannte in mir eine unauslöschliche Ungeduld, alles zu erfahren
und zu wissen, was nur in der Seele des Menschen Raum fände; als Jüngling
schweifte ich bald mit meinen Gedanken über die Gränze hinaus, die eine
gütige und grausame Hand unserm vorwitzigen Geiste gesetzt hat. Mein
Verstand wollte das Unendliche umspannen und das Undurchdringliche
durchdringen, die Schwäche der Menschheit hielt ich nur für die Schwäche
_meines_ Geistes, meine Sinne schweiften durch alle Regionen der kühnsten
Zweifel und der verwegensten Irrthümer, ich riß alles um mich her aus,
und bepflanzte die leere Schöpfung dann mit den Wesen meiner Einbildung,
ich glaubte nichts, um alles zu glauben. Alle meine Kräfte bot' ich zum
Kampfe auf und fühlte mitten im Streit meine Schwäche, ich hatte durch
meine Kühnheit Gott und das Schicksal verloren und doch genügte ich
mir nicht selbst in der traurigen Einsamkeit, ich hatte die Vorsehung
geläugnet und fing nun an, an die Macht fremder Wesen und Dämonen zu
glauben; Aberglaube und Nichtglaube berühren sich unmittelbar auf der
Gränze, aus einem Feinde der Andacht ward ich ein Schwärmer. Von itzt
lebte ich unter Wundern und Unbegreiflichkeiten, zu denen ich mich
hinandrängen wollte, die Ähnlichkeit der Gottheit schien mir darin zu
liegen, die geheimen Winke der Natur zu verstehn, und das Unmögliche
möglich zu machen, ich taumelte auf einem schmalen gefährlichen Wege
durch das Gebiet des Wahnsinns, von blendenden Hoffnungen begleitet.
Auf dem Gipfel des Caucasus, hört' ich, wohne der weise _Achmed_, der
die große Auflösung zu den Millionen Räthseln gefunden habe, den Stab,
mit dem er an die Sonne und die Sterne reichen könne und dem sich die
Zukunft aufthue. Ich verließ mein Vaterland, um diesen Gott zu sehen
und sein Schüler zu werden, wenn er mich für würdig erklärte. Er nahm
mich auf und ich überstand fünf harte Probejahre, in denen er mich
durch tausend Mühseligkeiten zurück zu schrecken versuchte, aber meine
Wißbegierde ertrug alle Lasten leicht und tröstete meine Ungeduld, die
zuweilen erwachte, mit dem herrlichen Augenblick, in welchem meinen
Augen der ewige Vorhang niederfallen würde. -- _Omar_ war wie ich ein
Schüler Achmeds, -- der erharrte Tag erschien endlich und ich ward in
den schwarzen Bund aufgenommen. -- Wir mußten beide dem edeln Achmed
mit einem heiligen Eide schwören, nur durch unsre Macht Glück und Freude
zu verbreiten, dem Elenden beizustehn, den Schändlichen zu strafen und
so dem Ewigen ähnlich zu werden. -- Wir schwuren es und Achmeds Gewalt
war die unsrige.
Nun erst sah ich ein, daß meine Wünsche jenseit der Schranken der
Menschheit lagen, daß das, was ich verloren gegeben hatte, mehr werth
sei, als mein Gewinnst. Alle meine großen Hoffnungen waren hintergangen,
ich war im Begriff mich selbst zu verachten. Tausendmal wünscht' ich
die Vergangenheit zurück, in der ich noch nicht an die Gränze der
menschlichen Kraft gekommen war, wo mich eine unbarmherzige Schrift
höhnend zu den Thieren des Feldes zurückwies. Ich hatte gehofft, daß
sich mir die Ewigkeit aufschließen würde, wo ich im Heiligsten die
Gottheit schaute und den großen Plan der Welt sähe, den sie gezeichnet
hat -- und ich ward vor einem Spiegel geführt, in dem ich nun meine
eigne Verächtlichkeit sahe und eine Kunst war mir verliehen, die mir
durch armseligen Betrug den großen Verlust nicht ersetzen konnte, eine
Macht, die Niemand an dem Besitzer beneiden würde, wenn er nur _einen_
Blick durch den blendenden Glanz zu werfen vermöchte.
Omars Freundschaft tröstete mich in meiner Trostlosigkeit und versöhnte
nach und nach mein Mißvergnügen, wir tauschten unsre Seelen gegen
einander aus, und ein jeder gewann, wir schlossen einen heiligen Bund
und jeder Gedanke, jedes Gefühl floß in das Wesen des Freundes hinüber.
Endlich trennte sich Omar von mir und ich blieb allein bei meinem
Lehrer, und lebte in einer stillen Einsamkeit und Ruhe, von der Welt
und ihren Geschäften geschieden, in steten Betrachtungen der Natur und
der Weisheit Gottes. Ich dachte oft an meinen Freund Omar und wünschte
ihn zu mir zurück. Zwanzig Jahre waren so verflossen, als ich von meinem
Lehrer Achmed den Auftrag erhielt, ihn aufzusuchen, denn meine Reise
setzte er hinzu, könnte wichtige Folgen haben.
Ich durchreiste Arabien und Persien vergebens und fand ihn endlich hier
wieder, an jenem Abend, als du unter einer Cipresse eingeschlafen warst
und ein brausender Sturm dich aus deinen Träumen weckte. -- Er eilte in
meine Arme, es war eine wonnevolle Stunde des Wiedersehens; wir
erzählten uns unsre Schicksale und Omar sprach also:
»O! daß der Mensch in Seinem Busen einen unversöhnlichen Feind mit sich
herumtragen muß, der ihn unabläßig quält! daß dies heillose Drängen unsrer
Seele, dies Streben gegen die Unmöglichkeit uns den Genuß unsers Daseins
raubt und uns gegen uns selbst verderbliche Waffen in die Hand giebt!«
Wir hatten uns weiter hinein in den Busch entfernt, die Nacht sah
schweigend auf uns herab, die Bäume wiegten sich leiserauschend und Omar
fuhr also fort:
»Wir sprachen schon damals, Nadir, als wir beide noch den Unterricht des
weisen Achmeds genossen, von jenem Sturm, der unaufhörlich in dem Baum
unsers Geistes wüthet und ihn zu zerstören droht. Kaum hatte ich von dir
Abschied genommen, so verfolgten mich alle meine Wünsche mit erneuerter
Wuth, mein brennender Durst war nicht gestillt, sondern durch Achmeds
Kenntniß nur von neuem angefacht, mein Vordrängen war vergebens gewesen,
denn noch in dichtem Nebel eingehüllt lag der große Felsen in der Ferne,
hinter welchem die Sonne wohnte, die ich suchte. Ich fühlte mich
eingeengt und gepreßt und war unglücklicher als ich je gewesen war.«
»Furchtbare Gedanken standen itzt leise in meiner schwarzen Seele auf wie
Verbrecher, die die Ketten von sich streifen und sich frech im düstern
Kerker erheben. _Weisheit_ war mir der edelste, der einzige Zweck des
Menschen, die einzige Krone, die seine Stirn schmücken könnte, ein
Zweifel an alle Tugend machte mir diese gepriesene Gottheit verächtlich
-- und ich wagte endlich vermessen einen Schritt, von dem ich vorher
wußte, daß sich hinter mir ein Abgrund reissen würde, um mir den Rückweg
ewig unmöglich zu machen.«
Omar hielt ein und mit gespannter Aufmerksamkeit horchte ich auf seine
Rede. -- Mein Freund fuhr fort:
»Am Ende der Welt, in einem fürchterlichen Schlund, der sich zwischen
die Klippen des Atlas wirft, an einer Stelle, wohin noch kein Menschenfuß
sich verirrte, wo zwischen ewig einsamen Felsenwänden das Grausen wohnt
und kaum ein verirrter Wind mit seinem Fittig gegen die hohen Steinmauern
streift, dort, -- so sagte eine alte Sage, -- wohne seit Jahrtausenden
ein furchtbarer Sterblicher, der hier im kalten Haß der Ewigkeit
entgegenharre, von Menschen und Engeln losgerissen, ein Wesen, einzig,
ohne je ein Leben zu finden, dessen Seele mit der seinigen gleichgestimmt
sei. -- Greise erzählten mir unter Schaudern, daß er ein höherer Geist
gewesen sei, der sich vom Ewigen losgeschworen und in die leere Wüste
der Strafe der Allmacht entronnen sei, _Mondal_, so nannten sie den
Schrecklichen und sagten, daß der große Verworfene keine Strafe bedürfe,
denn er selber sei seine Verdammniß. Man sprach von den Wundern die er
ehedem gethan und denen die Völker in Demuth erzittert wären, von
gräßlichen Strafen, mit denen er sich an seinem Feinde gerächt, sein
Name war die Loosung zum Schrecken.«
»_Ihn_ wollt' ich aufsuchen und mich an seine fürchterliche Größe drängen,
hier die Flammen meines Busens kühlen, oder ein unausbleibliches Verderben
finden. -- Ich wanderte durch die Wüsten von Afrika, ich ging über die
hohen unermeßlichen Gebirge und näherte mich endlich der langerhofften
Gegend. Das Gebirge lag fürchterlich aufgethürmt, wie die Mauer der Welt
vor mir, die Wolken des Himmels schienen scheu um den Fuß zu flattern
und frech hoben sich die Spitzen des Klippengebirges in die unendliche
Leere des Äthers, immer höher und höher aufgewälzt und immer furchtbarer
und kühner aufgethürmt.«
»Ich bestieg die untersten Gebirge, die sich nur wie Hügel an die
unbegränzte Felsenmauer lehnten. Die Erde lag unter mir mit allen ihren
Schätzen und Städten ausgebreitet und schien mir Lebewohl zu sagen, das
Meer unermeßlich ausgegossen tief unter mir. In tausend Herrlichkeiten
winkte mich die Sterblichkeit zurück, sie streckte die Arme liebevoll
nach ihrem verlornen Sohne aus und rief mich mütterlich an ihren Busen
hin, an dem ich in der Kindheit meines Geistes mit so inniger Liebe
gehangen hatte. -- Aber ich ging vorwärts und ließ hier meine Menschheit
zurück, ich warf alles von mir ab, was der Endlichkeit gehörte, ich riß
auf ewig das große Band entzwei, das mich an die Schöpfung hielt, ich
setzte den Fuß vorwärts, von diesem Augenblick ganz mein eigen, die
Menschheit hinter mir auf ewig zugeschlossen, ich auf ewig in die
Unendlichkeit des Meeres hinausgewiesen, von keinem Ufer jemals wieder
angewinkt zu werden.«
»Mein Pfad wand sich immer steiler die Felsen hinan, immer unfreundlicher
die Natur umher, die Bäume starben aus, die Sträucher, und endlich
erlosch auch der letzte Schimmer des grünen Grases unter meinen Füßen.
-- Itzt lag die Erde und das Meer in eins verschwommen ungewisser
wie ein Nebel unter meinem Blicke, wie in einen schwarzen Schleier
eingewickelt; so weit mein schwindelnder Blick sich wagte, über mir und
unter mir und neben meinem Schritte die unendliche gedankenlose Leere.
-- Bei jedem Schritte zog sich ein härterer Panzer um meine Brust, keine
meiner vormaligen Empfindungen wagte es, mir in den eisernen Aufenthalt
zu folgen, nur von nackten Felsen und dem Himmel umgeben hatt' ich schon
vergessen, daß ich einst ein Mensch gewesen sei.« --
»Ich kam in Gegenden, die die Natur zuletzt in ihrer Ermüdung geschaffen
zu haben schien, kein Leben, kein Moos, das die Felsen hinaufkroch,
erinnerte mich an die Welt, die ich verlassen hatte. Hier schien der Tod
seine Behausung zu haben, eine Welt schien hier einst untergegangen und
dies ihre schauderhaften Ruinen zu sein. Ein kaltes Grauen begleitete
mich, immer größere Furchtbarkeiten kamen mir entgegen, alle meine Gefühle
gingen nach und nach in meiner Brust unter, und nichts als mein Vorsatz
und das Bewußtsein meines Daseins blieb mir übrig.«
»Itzt stand ich auf einer Felsenspitze, die in ein Thal hinabsahe, das
rings von kahlen schwarzen Klippen eingeschlossen war, ein Schauder
brütete über diesem Schlund, in den sich tausend Höhlen rissen und ein
verworrenes Gebäude bildeten, kein Luftzug rauschte durch die Felsenwüste,
kein Ton, der ein Leben verrieth, schlich hervor; die gespaltenen Klippen
grinßten mir aus dem Abgrund entgegen, die Vernichtung sahe sich hier
selbst mit Wohlgefallen an und behorchte sich in der schauderhaften
Stille.«
»Dies ist seine Behausung! rief ich unwillkührlich aus und der erste
Klang warf sich zerschmettert die gewundenen Klippen hinab, ich selber
fuhr erschrocken zurück und der Ton verlor sich winselnd in den fernsten
Schlünden.«
»Die letzte Furcht faßte mich zweifelhaft an. -- Soll ich hinuntersteigen?
fragte ich mich leise. -- Noch, noch steht mir der Rückweg offen! Noch
darf ich selber über meinen Willen gebieten. -- Doch was soll ich in der
Welt? -- Ein Engel darf, ein Mensch mag ich nicht sein, nur die Hölle
bleibt den Unbefriedigten übrig, -- ich kann nicht anders, ich würde
nichts vom Menschen wieder rückwärts bringen: -- und zugleich stieg ich
in das fürchterliche Thal hinab.«
»Wie mit tausend kalten Armen hielt es mich eingeklammert, wie in den
unerbittlichen Tod schritt ich hinunter.
»Plötzlich fuhr ich bebend zurück. -- In einer halb dunkeln Grotte saß ein
Greis und lächelte mir mit einer Freundlichkeit entgegen, die mehr dem
Zähngeknirsch eines Ungeheuers glich. Ein weißer Bart sank bis auf seine
Füße hinab und deckte sein Gesicht. Ein fremdes mir unbegreifliches Wesen
sahe aus seinen wilden Augen, er hatte bloß das Ansehn eines Menschen,
um die Menschheit von sich zurückzuscheuchen. -- Sein Anblick hatte mich
bis in das Innerste meiner Seele erschüttert und ich wagte es nicht,
die Augen zum zweitenmal auf ihn hinzuwerfen: ich hatte allen sanften
Gefühlen Abschied gegeben und die Schauder vertraulich in meinem Busen
aufgenommen, -- aber hier fand ich ein Wesen, vor dem meine Frechheit
Demuth ward, alle meine Verwegenheit sich in banges Grauen auflöste.«
»Wer bist du? rief er mir in Tönen entgegen, wie ohne Klang und Athem;
sie kamen zu mir, wie aus einer fernen Welt und sprachen in Accenten,
von denen kein sterbliches Ohr eine Ahndung hat und haben kann.«
»Ein Wesen, schrie ich ihm entgegen, das sich selber nicht begreift!
Meine Menschheit hab' ich jenseit diesen Klippen ausgezogen! -- Das
Leben hat keinen Reiz für mich, ich will in der Wildniß meine Freude
suchen.«
»Mondal schwebte mir entgegen und stierte mich mit einem Blicke an, der
meine Seele mit Riesenkräften zusammendrückte.«
»Du bist das erste Wesen, sprach er, das mein Angesicht sieht, ich sitze
hier und faste der Ewigkeit entgegen und noch kein Staubgeborner hat es
gewagt, mich in meinem Hause zu besuchen, wo ich mit dem Grausen spiele
und Schauder mir die Zeit verkürzen. -- Was suchst du hier?« --
»Was ich hier oder nirgends finde, antwortete ich zitternd, ich schäme
mich ein Mensch zu sein, nimm du mich in deine Gesellschaft auf und
vergönne, daß ich deinen Geist begreife und dir ähnlich werde.«
»Er sahe mich an und lachte fürchterlich auf, daß die Felsen umher in
ihren Wurzeln wankten. -- Vermessener! rief er dann: -- Du verläugnest
die Menschheit und doch zeigen deine Worte, daß du ihr noch zugehörst.
_Ein_ Funke, der von mir zu dir herüberleuchtete, würde dein Wesen
zersprengen. Dank' es meiner Verachtung, daß mein Anblick dich nicht
tödtet!«
»Nun dann, sprach ich mit knirschender Verzweiflung, so bleibt mir keine
Hoffnung übrig, als meine Vernichtung!«
»Vernichtung? antwortete der Furchtbare und zog den Mund zum Grinsen, so
kalt und todt wie die Felsen umher. Was _ist_, kann nicht vernichtet
werden, die Ewigkeit hält dich fest, so lange die Zeit dauert, dauerst
du selbst. Du kannst dich tödten und in eben dem Augenblick stehst du
ein neues Wesen in deiner eignen Verdammniß wieder da, -- so hat es der
Gütige dort gewollt, der alles mit seiner Milde umfängt. O! wenn
_Vernichtung_ möglich wäre, wenn wir uns selber angehörten und
beherrschten -- o dann wäre noch Glück in seiner Schöpfung!« --
»Ich fuhr mit Entsetzen zurück. -- Voll Frechheit kömmst du hierher,
sprach Mondal weiter, und bedachtest nicht, daß dein Wesen sich nie dem
meinigen nähern könne. -- Nein, Sterblicher, ganz kannst du mich nicht
verstehen, denn tausend Naturen stehen zwischen uns; die Gedanken,
die die du begreifst, sind nicht meine Gedanken, unser Urstoff ist
verschieden, wir können uns in keiner Empfindung begegnen.«
»Wo find' ich dann, rief ich mit bitterm Unwillen aus, ein Wesen, das
mich versteht? Mir ist alles verschlossen, in der ganzen Schöpfung kein
Laut, der in mir denselben anschlüge. Vernichte dies Streben in meiner
Brust, das mich durch alle Welten drängen würde, du verwirfst mich als
deinen Schüler, erniedrige mich bis zum Wurm, der sich dumpf und ohne
Bewußtsein zu deinen Füßen windet.«
»Ich verwerfe dich nicht, sagte Mondal, deine Natur hält dich gefangen!
Ich will dir geben, was ich kann, -- aber du wirst meine Bedingung nicht
erfüllen.«
»Alles, alles, sprach ich hastig, -- nur reiß mich aus diesem peinvollen
Dasein, mach, daß ich mich nicht verachten muß, sollt' ich mich auch
dafür verabscheuen!« --
»Mondal schwieg eine Weile, dann sagte er: Ich stehe nicht über der
Menschheit, ich bin nur ein fremdartiges Geschöpf, dessen Gedanken und
Gefühle Strahlen sind, die nie mit denen der Menschen in ein Licht
zusammenfließen, sondern sich ewig zurückstoßen. Die Menschen haben von
ihrem Gotte jenen Trieb, alles zu ordnen und in ein Ganzes zu bringen,
_meine_ Freude ist Zerstörung. Ihrem Triebe genug zu thun, arbeiten sie
in einer ewigen Thätigkeit an Ordnung und Harmonie, Sklaven eines Herrn,
dem sie dadurch schmeicheln wollen, Schönheit und Tugend nennen sie das
Gebäude, das sie aufführen, für mich giebt es keine Tugend als ihre
Laster. -- Kannst du deine angeborne Menschheit bis auf die letzte
schwächste Ahndung ablegen und mir voll Vertrauen die Hand reichen, kann
ein heiserer Mißklang dir eben so viel Freude geben, als jener Wohlklang
dort unten, verlierst du nichts an jenem Gott dort oben, so bist du
mein!«
»Ich reichte ihm mit erzwungener Festigkeit die Hand.«
»Zerstörung! rief er mit wilder Freude, dein Hauch sei Vernichtung,
jeder Pulsschlag ein Verbrechen, verfolge ihre Tugend und sei der Freund
des Bösen, kehre in die Welt zurück und zerreiß das Gewebe, mit dem sie
sich an ihre Gottheit knüpfen wollen, dies beschwöre mir mit einem
großen Eid und unter diesen Bedingungen will ich zeigen, was kein Auge
sieht. Fern ist noch der letzte Tag, wir wollen wirken, bis die Zeit zum
Greise wird.« --
Omar hielt hier in seiner Erzählung ein. -- »Und du schwurst den Eid?«
rief ich erschrocken aus. --
»Ich schwur ihn,« antwortete er langsam und sprach dann weiter: »Es war
ein Schwur, o, mehr ein Fluch, unter dem sich die geängstigte Erde hätte
bäumen mögen, ich wag' es kaum, ihn in Gedanken zu wiederholen.« --
»Wie ein Vorhang fiel es vor meiner Seele hinweg, alle meine Gedanken
waren zu Riesen aufgewachsen, die gegen den Himmel anstürmten, meine
vorige Frechheit schien mir itzt Feigheit, alle meine Gefühle waren
ehern, mein Busen Diamant.«
»Ich ward in seine fürchterlichen Geheimnisse eingeweiht, Flüche
segneten mich ein, Grausen stieg mir aus den unendlichen Labyrinthen
entgegen und Schauder waren meine Erfrischung. Meine Gedanken dachten
das Ungedachte, ich war über den fernsten Gränzstein der Menschheit
hinausgeschritten und wandelte nun, ein fremder Pilger, jenseit dem
Leben auf der dürren Haide. -- Die Vergangenheit kam meinem Ruf zurück,
die Zukunft schloß sich meinem Blicke auf. -- Mondal zeigte mir ein
ungeheures Buch, in welchem auf jedem seiner Millionen Blätter tausend
Punkte gezeichnet waren. -- Dies ist mein Almanach, sagte er lächelnd,
so viel Punkte du ausgelöscht siehst, so viele Tage hab' ich durchlebt,
die übrigen sind die Tage, die noch bis zum letzten Tage übrig sind,
ihre Zahl ist unzählbar; aber endlich nutzt sich nach und nach die Zeit
ab, auch der letzte Punkt wird ausgelöscht und die neugeborne Ewigkeit
wandelt über den Ruin der Welten. Bis dahin sieht mein Auge; was dann
sein wird, ist ein Geheimniß, das ich schon seit Jahrtausenden zu
enthüllen strebe.«
»Mein Geschäft war nun geendigt und ich ging in die Welt zurück, nicht
um zu leben und zu genießen, sondern um Genuß und Leben zu zerstören.
Alle meine vormaligen Freuden kamen mir wie eben so viele Feinde
entgegen, ich zerstörte und vernichtete, so weit nur meine Gewalt
reichte, Jammergeschrei folgte meinen Schritten und Flüche der Wittwen
und Waisen, mein Weg war mit Thränen benetzt und Grabhügel waren die
Denkmale, die von meiner Durchreise sprachen. -- Der Ewige hatte mich in
ein Leben verwiesen, das ich verachtete und ich sättigte mich im Genuß
der Rache, ihn selber konnte mein Arm nicht erreichen, aber seine
Geschöpfe mußten meinem Zorne büßen! Das Dasein quälte mich, wie eine
Gewissensangst, Vernichtung war nicht möglich, Flüche nicht genug, ich
mußte ihn _strafen_.« --
»Ich kam in mein Vaterland und der Sultan _Ali_ ward mein Freund, er
war im Begriff, seinen Unterthanen ein guter Fürst zu werden, aber
ich lehrte ihn die Menschheit und ihre Tugend verachten und so kam er
endlich zu jener kalten Grausamkeit, die seinen Namen zum Schrecken des
Landes gemacht hat. Durch mich ließ er tausend Schlachtopfer fallen und
tausend eine Beute des Mangels werden, unter diesen war auch _Selim_;
Ali nahm ihm seine Schätze, Selim entflohe mit seiner Gattin und einem
kleinen Sohne, auch die Gattin mußte sterben und ihn sein Sohn nur
noch gewaltsam in ein quaalvolles Leben zurückhalten. -- Ich ging unter
den Menschen in einer ewigen Einsamkeit, wie dienstbare Henkerknechte
liefen Schrecken vor mir her und schlugen gewaltsam jedes Gefühl, jeden
Menschengedanken von mir zurück, -- so fand ich den armen, vormals
glücklichen Selim, weinend auf dem Grabe seiner Gattin sitzend, -- da
flog mir wie ein ferner Schein der Wunsch vorüber, wieder in den
entweihten Menschenorden zu treten. -- In diesem unseligen Augenblick
vergaß ich meines Amts und meines Herrn und ließ den trauernden Selim in
den Schooß des Glücks zurückkehren, meine Macht ließ ihn einen Schatz
finden, der ihm dreifach ersetzte, was er verloren hatte. -- O wie hab'
ich Jahrelang diesen einzigen Augenblick verflucht, wie gern hätt' ich
ihn zurückgenommen und Selim's Glück mit neunfachem Jammer ausgetauscht,
wenn es dem Zauberer vergönnt wäre, sein eigen Werk wieder zu vernichten.«
»Unaufhaltsam jagte es mich seit dieser Zeit zu Mondals Wohnung zurück,
ich sträubte mich vergebens gegen die drängende Macht. -- Mondal trat
mir entgegen. Schon so früh kömmst du wieder? sagte er mit gräßlichem
Hohnlächeln, -- du hast deine Menschheit abgeschworen, dein Vertrauen
war so frech -- und doch kömmst du selber zurück, dich anzuklagen? Stumm
ging er mit mir zu einem fernen, verzackten, einsamen Klippenmeer, er
spaltete einen Felsen und warf mich bis an die Hüften in die Öffnung,
die donnernd wieder zusammensprang.« --
»Mich zermalmten unaussprechliche Martern. Eine heiße Gluth webte sich
am Tage um mich her und nagte und saugte an meinen Gebeinen, Flammen
bohrten sich glühend in mein Innres und in der Nacht jagten sich kalte
Nordwinde um mich her und bliesen mich mit ihrem Athem an, ein Panzer
von Eis umgab meinen Körper und zerschmolz wieder an der Gluth des
Morgens. Siedende Waldströme stürzten brausend auf mich herab und
schmetterten spielend mein Gebein gegen hervorragende Felsenspitzen.
Mein Geheul erklang fürchterlich den Abgrund hinab, und sprang von
Klippe zu Klippe, eine taube stumme Einsamkeit lag kalt und ohne Mitleid
um mich her. -- So brüllte ich vier Jahr meine Flüche und meine Bitten
dem unerweichlichen Mondal entgegen, aber er hörte mich nicht; zuweilen
flog er auf einer braunen Wolke über mein Haupt, sahe höhnisch auf mich
herab, freute sich meiner Quaalen und überließ mich dann von neuem den
unerbittlichen Martern. -- Endlich schien er gerührt, oder der alten
Ergötzung überdrüssig, denn welches Mitleid sollte diese steinerne Brust
bewohnen? -- Ich will dich von deiner Kette losnehmen, rief er und
neigte sich wie ein Gewitter weiter auf mich herab, aber nur unter einer
schweren Bedingung geb' ich dich frei.« -- -- -- --
Abdallah wollte unter Schaudern weiter lesen, als sich ein lautes
Getümmel im Hofe des Pallastes erhob. -- Bestürzt eilte er an's Fenster
-- und die furchtbaren Palmblätter entsanken seiner Hand. --
Viertes Kapitel.
Säbel glänzten im Schein der Sonne und leuchteten Abdallah wie Blitze
entgegen; in einem fürchterlichen Getümmel kämpften Selim's Sklaven mit
der Leibwache Ali's, sein Vater stand in der Mitte des Gefechts, mit
entblößtem Säbel stürzte er hinaus.
Ein wildes Geschrei flog über den Hof des Pallastes, Ali's Sklaven
wütheten gegen Selims bewaffnete Freunde, das Geklirre der Säbel an die
Schilder geschlagen, rasselte furchtbar. Abubeker lag mit seinem weißen
Barte vor ihm, in seinem Blute gewälzt, das Geschrei und der Klang der
Waffen schlug gegen die Mauern des Pallastes, Blut floß in Strömen,
einige Sklaven flohen, andre stürzten todt nieder, -- und itzt sahe
Abdallah auch seinen Vater unter einem Säbelhiebe sinken.
Er stürzte sich wüthend in das Gedränge und metzelte um sich her, eine
blinde Wuth gab ihm Riesenkräfte, er fühlte die leichten Wunden nicht,
die er erhalten hatte und tobte wie ein Rasender in dem Gewühle auf und
ab, -- eine bekannte Stimme rief seinen Namen aus, -- es war sein Freund
_Raschid._ -- Auch du? rief Abdallah wüthend, -- auch du bist mit meinem
Elende einverstanden? -- Nur wider meinen Willen, antwortete Raschid und
gab ihm die Hand; rette nur deinen Vater, setzte er leise hinzu, sieh'
er lebt noch.
Abdallah blickte nieder, sein Vater lag zu seinen Füßen und sahe ihn mit
einem matten Blicke an; Abdallah ergriff ihn stark und trug ihn aus dem
Getümmel, Raschid begleitete ihn und half den verwundeten Selim aus dem
Hofe des Pallastes führen, alle Krieger machten dem bekannten Raschid
Platz, weil sie den Verwundeten für einen Diener Ali's hielten; so
brachte Abdallah seinen Vater aus dem Pallast und durch das Thor der
Stadt.
Selim war stumm und in sich selbst verschlossen, heftige Gedanken
schienen ihn zu beunruhigen, nur zuweilen stahl sich ein Seufzer aus
seiner Brust, den er aber seinem Sohne zu verbergen suchte.
Ich kann nicht weiter, sagte er endlich und setzte sich auf einen
Erdhügel am Wege. Sein Gesicht war bleich, seine Wunde, die Abdallah
verbunden hatte, fing von neuem an zu bluten. -- Warum hast du mich
nicht sterben lassen? sagte er dann, da das Schicksal auf mich zürnt?
-- Du hättest mich jenen Dolchen lassen sollen, denen du mich entrissest,
denn ich gehörte ihnen an, von Verrätherei dem Tode verkauft. --
Abdallah kam itzt erst aus seinem Staunen, seiner Wuth und Angst nach
und nach zurück. Er war bis itzt in eine unwillkührliche Thätigkeit
geworfen, er hatte nicht empfunden und nicht gedacht, über die Gefahr
seines Vaters hatte er sich selbst vergessen. -- Vater! rief er aus,
-- o daß ich dich habe retten können, daß ich dich aus dem Gemetzel
herausriß und dem Leben wiedergab, -- o das ist das erstemal, daß dein
Sohn dir etwas mehr als Dank sagen kann, -- eine Stunde, wo ich dir
durch Thaten meine Liebe zeigen könnte, habe ich so lange gewünscht,
-- ach! und sie mußte so schrecklich, so unvermuthet kommen!
Abubeker, sagte Selim, der redliche Greis ist todt, mein großer Entwurf
ist dahin! -- deine Ahndung, alter wackerer Mann, hatte Recht, warum
hörten wir nicht auf deine Stimme? Wozu leb' ich noch, da die schönste
Hoffnung meines Lebens umgesunken ist? -- Ich habe ein großes Spiel
gewagt, ich setzte verwegen mich und Ali dem Verderben zum Pfande aus
-- und das Schicksal rief _Selim_!
Schmerzt dich deine Wunde, Vater? fragte Abdallah.
O ich weiß kaum, daß ich verwundet bin! rief Selim unwillig aus, ich
weiß nur, daß ich habe entfliehen müssen. -- O warum kann ich nicht der
verächtliche Hund jenes müden Wanderers sein, der den Berg herunterzieht?
Er ist freier und glücklicher als ich! --
Dann ging Abdallah mit seinem Vater langsam weiter. Oft ließ er ihn
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