L'Arrabbiata - 1

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Paul Heyse
Novelle (1853)

Die Sonne war noch nicht aufgegangen. Über dem Vesuv lagerte eine
breite graue Nebelschicht, die sich nach Neapel hinÜberdehnte und die
kleinen Städte an jenem Küstenstrich verdunkelte. Das Meer lag still.
An der Marine (2) aber, die unter dem hohen Sorrentiner Felsenufer
in einer engen Bucht angelegt ist, rührten sich schon Fischer mit
ihren Weibern, die Kähne mit Netzen, die zum Fischen über Nacht
draußen gelegen hatten, an großen Tauen ans Land zu ziehen. Andere
rüsteten ihre Barken, richteten die Segel zu und schleppten Ruder und
Segelstangen aus den großen vergitterten GewÖlben vor, die tief in
den Felsen hineingebaut über Nacht das Schiffgerät bewahren. Man sah
keinen müßig gehen; denn auch die Alten, die keine Fahrt mehr machen,
reihten sich in die große Kette derer ein, die an den Netzen zogen,
und hie und da stand ein Mütterchen mit der Spindel auf einem der
flachen Dächer, oder machte sich mit den Enkeln zu schaffen, während
die Tochter dem Manne half.
{ed. (2) Küste }
Siehst du, Rachela, da ist unser Padre Curato, sagte eine Alte zu
einem kleinen Ding von zehn Jahren, das neben ihr sein Spindelchen
schwang. Eben steigt er ins Schiff. Der Antonino soll ihn nach
Capri hinüberfahren. Maria Santissima, was sieht der ehrwürdige Herr
noch verschlafen aus!--Und damit winkte sie mit der Hand einem
kleinen freundlichen Padre zu, der unten sich eben zurechtgesetzt
hatte in der Barke, nachdem er seinen schwarzen Rock sorgfältig
aufgehoben und über die Holzbank gebreitet hatte. Die andern am
Strand hielten mit der Arbeit ein, um ihren Pfarrer abfahren zu sehen,
der nach rechts und links freundlich nickte und grüßte.
Warum muß er denn nach Capri, Großmutter? fragte das Kind. Haben die
Leute dort keinen Pfarrer, daß sie unsern borgen müssen?
Sei nicht so einfältig, sagte die Alte. Genug haben sie da und die
schönsten Kirchen und sogar einen Einsiedler, wie wir ihn nicht haben.
Aber da ist eine vornehme Signora, die hat lange hier in Sorrent
gewohnt und war sehr krank, daß der Padre oft zu ihr mußte mit dem
Hochwürdigsten, wenn sie dachten, sie übersteht keine Nacht mehr.
Nun, die heilige Jungfrau hat ihr beigestanden, daß sie wieder frisch
und gesund worden ist und hat alle Tage im Meere baden können. Als
sie von hier fort ist, nach Capri hinüber, hat sie noch einen schönen
Haufen Dukaten an die Kirche geschenkt und an das arme Volk, und hat
nicht fort wollen, sagen sie, ehe der Padre nicht versprochen hat,
sie drüben zu besuchen, daß sie ihm beichten kann. Denn es ist
erstaunlich, was sie auf ihn hält. Und wir können uns segnen, daß
wir ihn zum Pfarrer haben, der Gaben hat wie ein Erzbischof und dem
die hohen Herrschaften nachfragen. Die Madonna sei mit ihm!--Und
damit winkte sie zum Schiffchen hinunter, das eben abstoßen wollte.
Werden wir klares Wetter haben, mein Sohn? fragte der kleine Priester
und sah bedenklich nach Neapel hinüber.
Die Sonne ist noch nicht heraus, erwiderte der Bursch. Mit dem
bißchen Nebel wird sie schon fertig werden.
So fahr zu, daß wir vor der Hitze ankommen.
Antonino griff eben zu dem langen Ruder, um die Barke ins Freie zu
treiben, als er plötzlich innehielt und nach der Höhe des steilen
Weges hinaufsah, der von dem Städtchen Sorrent zur Marine hinabführt.
Eine schlanke Mädchengestalt ward oben sichtbar, die eilig die Steine
hinabschritt und mit einem Tuch winkte. Sie trug ein Bündelchen
unterm Arm, und ihr Aufzug war dürftig genug. Doch hatte sie eine
fast vornehme, nur etwas wilde Art, den Kopf in den Nacken zu werfen
und die schwarze Flechte, die sie vorn über der Stirn umgeschlungen
trug, stand ihr wie ein Diadem.
Worauf warten wir? fragte der Pfarrer.
Es kommt da noch jemand auf die Barke zu, der auch wohl nach Capri
will. Wenn Ihr erlaubt, Padre--es geht darum nicht langsamer, denn
's ist nur ein junges Ding von kaum achtzehn Jahr.
In diesem Augenblick trat das Mädchen hinter der Mauer hervor, die
den gewundenen Weg einfaßt. Laurella! sagte der Pfarrer. Was hat
sie in Capri zu tun?
Antonino zuckte die Achseln.--Das Mädchen kam mit hastigen Schritten
heran und sah vor sich hin.
Guten Tag, l'Arrabbiata! riefen einige von den jungen Schiffern. Sie
hätten wohl noch mehr gesagt, wenn die Gegenwart des Curato sie nicht
in Respekt gehalten hätte, denn die trotzige stumme Art, in der das
Mädchen ihren Gruß hinnahm, schien die Übermütigen zu reizen.
Guten Tag, Laurella, rief nun auch der Pfarrer. Wie steht's? Willst
du mit nach Capri?
Wenn's erlaubt ist, Padre!
Frage den Antonino, der ist der Patron der Barke. Ist jeder doch
Herr seines Eigentums und Gott Herr über uns alle.
Da ist ein halber Carlin (3), sagte Laurella, ohne den jungen
Schiffer anzusehen. Wenn ich dafür mit kann.
{ed. (3) Carlino: alte neapolitanische Münze }
Du kannst's besser brauchen, als ich, brummte der Bursch und schob
einige Körbe mit Orangen zurecht, daß Platz wurde. Er sollte sie in
Capri verkaufen, denn die Felseninsel trägt nicht genug für den
Bedarf der vielen Besucher.
Ich will nicht umsonst mit, erwiderte das Mädchen und die schwarzen
Augenbrauen zuckten.
Komm nur, Kind, sagte der Pfarrer. Er ist ein braver Junge und will
nicht reich werden von deinem bißchen Armut. Da, steig ein--und er
reichte ihr die Hand--und setz dich hier neben mich. Sieh, da hat er
dir seine Jacke hingelegt, daß du weicher sitzen sollst. Mir hat
er's nicht so gut gemacht. Aber junges Volk, das treibt's immer so.
Für ein kleines Frauenzimmer wird mehr gesorgt, als für zehn
geistliche Herren. Nun nun, brauchst dich nicht zu entschuldigen,
Tonino. 's ist unsers Herrgotts Einrichtung, daß sich gleich zu
gleich hält.
Laurella war inzwischen eingestiegen und hatte sich gesetzt, nachdem
sie die Jacke ohne ein Wort zu sagen beiseit geschoben hatte. Der
junge Schiffer ließ sie liegen und murmelte was zwischen den Zähnen.
Dann stieß er kräftig gegen den Uferdamm und der kleine Kahn flog in
den Golf hinaus.
Was hast du da im Bündel, fragte der Pfarrer, während sie nun übers
Meer hintrieben, das sich eben von den ersten Sonnenstrahlen lichtete.
Seide, Garn und ein Brot, Padre. Ich soll die Seide an eine Frau in
Capri verkaufen, die Bänder macht, und das Garn an eine andere.
Hast du's selbst gesponnen?
Ja, Herr.
Wenn ich mich recht erinnere, hast du auch gelernt, Bänder machen.
Ja, Herr. Aber es geht wieder schlimmer mit der Mutter, daß ich
nicht aus dem Hause kann und einen eignen Webstuhl können wir nicht
bezahlen.
Geht schlimmer! Oh, oh! Da ich um Ostern bei euch war, saß sie doch
auf.
Der Frühling ist immer die böseste Zeit für sie. Seit wir die großen
Stürme hatten und die Erdstöße, hat sie immer liegen müssen vor
Schmerzen.
Laß nicht nach mit Beten und Bitten, mein Kind, daß die heilige
Jungfrau Fürbitte tut. Und sei brav und fleißig, damit dein Gebet
erhört werde.
Nach einer Pause: Wie du da zum Strand herunterkamst, riefen sie dir
zu: Guten Tag, l'Arrabbiata! Warum heißen sie dich so? Es ist kein
schöner Name für eine Christin, die sanft sein soll und demütig.
Das Mädchen glühte über das ganze braune Gesicht und ihre Augen
funkelten.
Sie haben ihren Spott mit mir, weil ich nicht tanze und singe und
viel Redens mache, wie andere. Sie sollten mich gehen lassen; ich tu
ihnen ja nichts.
Du könntest aber freundlich sein zu jedermann. Tanzen und singen
mögen andere, denen das Leben leichter ist. Aber ein gutes Wort
geben schickt sich auch für einen Betrübten.
Sie sah vor sich nieder und zog die Brauen dichter zusammen, als
wollte sie ihre schwarzen Augen drunter verstecken. Eine Weile
fuhren sie schweigend dahin. Die Sonne stand nun prächtig über dem
Gebirg, die Spitze des Vesuv ragte über die Wolkenschicht heraus, die
noch den Fuß umzogen hielt, und die Häuser auf der Ebene von Sorrent
blickten weiß aus den grünen Orangengärten hervor.
Hat jener Maler nichts wieder von sich hören lassen, Laurella, jener
Napolitaner, der dich zur Frau haben wollte? fragte der Pfarrer.
Sie schüttelte den Kopf.
Er kam damals, ein Bild von dir zu machen. Warum hast du's ihm
abgeschlagen?
Wozu wollt' er es nur? Es sind andere schöner als ich. Und
dann--wer weiß, was er damit getrieben hätte. Er hätte mich damit
verzaubern können und meine Seele beschädigen, oder mich gar zu Tode
bringen, sagte die Mutter.
Glaube nicht so sündliche Dinge, sprach der Pfarrer ernsthaft. Bist
du nicht immer in Gottes Hand, ohne dessen Willen dir kein Haar vom
Haupte fällt? Und soll ein Mensch mit so einem Bild in der Hand
stärker sein als der Herrgott?--Zudem konntest du ja sehen, daß er
dir wohlwollte. Hat er dich sonst heiraten wollen?
Sie schwieg.
Und warum hast du ihn ausgeschlagen? Es soll ein braver Mann gewesen
sein und ganz stattlich und hätte dich und deine Mutter besser
ernähren können, als du es nun kannst mit dem bißchen Spinnen und
Seidewickeln.
Wir sind arme Leute, sagte sie heftig, und meine Mutter nun gar seit
so lange krank. Wir wären ihm nur zur Last gefallen. Und ich tauge
auch nicht für einen Signore. Wenn seine Freunde zu ihm gekommen
wären, hätte er sich meiner geschämt.
Was du auch redest! Ich sage dir ja, daß es ein braver Herr war.
Und überdies wollte er ja nach Sorrent übersiedeln. Es wird nicht
bald so einer wiederkommen, der wie recht vom Himmel geschickt war,
um euch aufzuhelfen.
Ich will gar keinen Mann, niemals! sagte sie ganz trotzig und wie vor
sich hin.
Hast du ein Gelübde getan, oder willst in ein Kloster gehen?
Sie schüttelte den Kopf.
Die Leute haben recht, die dir deinen Eigensinn vorhalten, wenn auch
jener Name nicht schön ist. Bedenkst du nicht, daß du nicht allein
auf der Welt bist, und durch diesen Starrsinn deiner kranken Mutter
das Leben und ihre Krankheit nur bitterer machst? Was kannst du für
wichtige Gründe haben, jede rechtschaffene Hand abzuweisen, die dich
und die Mutter stützen will? Antworte mir, Laurella!
Ich habe wohl einen Grund, sagte sie leise und zögernd. Aber ich
kann ihn nicht sagen.
Nicht sagen? Auch mir nicht? Nicht deinem Beichtvater, dem du doch
sonst wohl zutraust, daß er es gut mit dir meint? Oder nicht?
Sie nickte.
So erleichtere dein Herz, Kind. Wenn du recht hast, will ich der
erste sein, dir recht zu geben. Aber du bist jung und kennst die
Welt wenig, und es möchte dich später einmal gereuen, wenn du um
kindischer Gedanken willen dein Glück verscherzt hast.

Sie warf einen flüchtigen scheuen Blick nach dem Burschen hinüber,
der emsig rudernd hinten im Kahn saß und die wollne Mütze tief in die
Stirn gezogen hatte. Er starrte zur Seite ins Meer und schien in
seine eignen Gedanken versunken zu sein. Der Pfarrer sah ihren Blick
und neigte sein Ohr näher zu ihr.
Ihr habt meinen Vater nicht gekannt, flüsterte sie, und ihre Augen
sahen finster.
Deinen Vater? Er starb ja, denke ich, da du kaum zehn Jahr alt warst.
Was hat dein Vater, dessen Seele im Paradiese sein möge, mit deinem
Eigensinn zu schaffen?
Ihr habt ihn nicht gekannt, Padre. Ihr wißt nicht, daß er allein
schuld ist an der Krankheit der Mutter.
Wie das?
Weil er sie mißhandelt hat und geschlagen und mit Füßen getreten.
Ich weiß noch die Nächte, wenn er nach Hause kam und war in Wut. Sie
sagte ihm nie ein Wort und tat alles, was er wollte. Er aber schlug
sie, daß mir das Herz brechen wollte. Ich zog dann die Decke über
den Kopf und tat als ob ich schliefe, weinte aber die ganze Nacht.
Und wenn er sie dann am Boden liegen sah, verwandelt' er sich
plötzlich und hob sie auf und küßte sie, daß sie schrie, er werde sie
ersticken. Die Mutter hat mir verboten, daß ich nie ein Wort davon
sagen soll; aber es griff sie so an, daß sie nun die langen Jahre,
seit er tot ist, noch nicht wieder gesund worden ist. Und wenn sie
früh sterben sollte, was der Himmel verhüte, ich weiß wohl, wer sie
umgebracht hat.
Der kleine Priester wiegte das Haupt und schien unschlüssig, wie weit
er seinem Beichtkind recht geben sollte. Endlich sagte er: Vergib
ihm, wie ihm deine Mutter vergeben hat. Hefte nicht deine Gedanken
an jene traurigen Bilder, Laurella. Es werden bessere Zeiten für
dich kommen, und dich alles vergessen machen.
Nie vergess' ich das, sagte sie und schauerte zusammen. Und wißt,
Padre, darum will ich eine Jungfrau bleiben, um keinem untertänig zu
sein, der mich mißhandelte und dann liebkoste. Wenn mich jetzt einer
schlagen oder küssen will, so weiß ich mich zu wehren. Aber meine
Mutter durfte sich schon nicht wehren, nicht der Schläge erwehren und
nicht der Küsse, weil sie ihn lieb hatte. Und ich will keinen so
lieb haben, daß ich um ihn krank und elend würde.
Bist du nun nicht ein Kind und sprichst wie eine, die nichts weiß von
dem, was auf Erden geschieht? Sind denn alle Männer wie dein armer
Vater war, daß sie jeder Laune und Leidenschaft nachgeben und ihren
Frauen schlecht begegnen? Hast du nicht rechtschaffne Menschen genug
gesehen in der ganzen Nachbarschaft, und Frauen, die in Frieden und
Einigkeit mit ihren Männern leben?
Von meinem Vater wußt' es auch niemand, wie er zu meiner Mutter war,
denn sie wäre eher tausendmal gestorben, als es einem sagen und
klagen. Und das alles, weil sie ihn liebte. Wenn es so um die Liebe
ist, daß sie einem die Lippen schließt, wo man Hülfe schreien sollte,
und einen wehrlos macht gegen Ärgeres, als der ärgste Feind einem
antun könnte, so will ich nie mein Herz an einen Mann hängen.
Ich sage dir, daß du ein Kind bist und nicht weißt, was du sprichst.
Du wirst auch viel gefragt werden von deinem Herzen, ob du lieben
willst oder nicht, wenn seine Zeit gekommen ist; dann hilft alles
nicht, was du dir jetzt in den Kopf setzest.--Wieder nach einer Pause:
Und jener Maler, hast du ihm auch zugetraut, daß er dir hart
begegnen würde?
Er machte so Augen, wie ich sie bei meinem Vater gesehen habe, wenn
er der Mutter abbat und sie in die Arme nehmen wollte, um ihr wieder
gute Worte zu geben. Die Augen kenn ich. Es kann sie auch einer
machen, der's übers Herz bringt, seine Frau zu schlagen, die ihm nie
was zuleide getan hat. Mir graute, wie ich die Augen wieder sah.
Darauf schwieg sie beharrlich still. Auch der Pfarrer schwieg. Er
besann sich wohl auf viele schöne Sprüche, die er dem Mädchen hätte
vorhalten können. Aber die Gegenwart des jungen Schiffers, der gegen
das Ende der Beichte unruhiger geworden war, verschloß ihm den Mund.
Als sie nach einer zweistündigen Fahrt in dem kleinen Hafen von Capri
anlangten, trug Antonino den geistlichen Herrn aus dem Kahn über die
letzten flachen Wellen, und setzte ihn ehrerbietig ab. Doch hatte
Laurella nicht warten wollen, bis er wieder zurückwatete und sie
nachholte. Sie nahm ihr Röckchen zusammen, die Holzpantöffelchen in
die rechte, das Bündel in die linke Hand und plätscherte hurtig ans
Land.
Ich bleibe heut wohl lang auf Capri, sagte der Padre, und du brauchst
nicht auf mich zu warten. Vielleicht komm ich gar erst morgen nach
Haus. Und du, Laurella, wenn du heimkommst, grüße die Mutter. Ich
besuche euch in dieser Woche noch. Du fährst doch noch vor der Nacht
zurück?
Wenn Gelegenheit ist, sagte das Mädchen, und machte sich an ihrem
Rock zu schaffen.
Du weißt, daß ich auch zurück muß, sprach Antonino, wie er meinte in
sehr gleichgültigem Ton. Ich wart auf dich bis Ave Maria. Wenn du
dann nicht kommst, soll mir's auch gleich sein.
Du mußt kommen, Laurella, fiel der kleine Herr ein. Du darfst deine
Mutter keine Nacht allein lassen. Ist's weit, wo du hin mußt?
Auf Anacapri, in eine Vigne (4).
{ed. (4) Weinberg }
Und ich muß auf Capri zu. Behüt dich Gott, Kind, und dich, mein Sohn.
Laurella küßte ihm die Hand, und ließ ein Lebewohl fallen, in das
sich der Padre und Antonino teilen mochten. Antonino indessen
eignete sich's nicht zu. Er zog seine Mütze vor dem Padre und sah
Laurella nicht an.
Als sie ihm aber beide den Rücken gekehrt hatten, ließ er seine Augen
nur kurze Zeit mit dem geistlichen Herrn wandern, der über das tiefe
Kieselgeröll mühsam hinschritt, und schickte sie dann dem Mädchen
nach, das sich rechts die Höhe hinauf gewandt hatte, die Hand über
die Augen haltend gegen die scharfe Sonne. Ehe sich der Weg oben
zwischen Mauern zurückzieht, stand sie einen Augenblick still, wie um
Atem zu schöpfen, und sah um. Die Marine lag zu ihren Füßen, ringsum
türmte sich der schroffe Fels, das Meer blaute in seltener Pracht--es
war wohl ein Anblick, des Stehenbleibens wert. Der Zufall fügte es,
daß ihr Blick, bei Antoninos Barke vorübereilend, sich mit jenem
Blick begegnete, den Antonino ihr nachgeschickt hatte. Sie machten
beide eine Bewegung, wie Leute, die sich entschuldigen wollen, es sei
etwas nur aus Versehen geschehen, worauf das Mädchen mit finsterm
Munde ihren Weg fortsetzte.

Es war erst eine Stunde nach Mittag, und schon saß Antonino zwei
Stunden lang auf einer Bank vor der Fischerschenke. Es mußte ihm was
durch den Sinn gehen, denn alle fünf Minuten sprang er auf, trat in
die Sonne hinaus, und überblickte sorgfältig die Wege, die links und
rechts nach den zwei Inselstädtchen führen. Das Wetter sei ihm
bedenklich, sagte er dann zu der Wirtin der Osterie. Es sei wohl
klar, aber er kenne diese Farbe des Himmels und Meeres. Gerade so
habe es ausgesehen, ehe der letzte große Sturm war, wo er die
englische Familie nur mit Not ans Land gebracht habe. Sie werde sich
erinnern.
Nein, sagte die Frau.
Nun, sie solle an ihn denken, wenn sich's noch vor Nacht verändere.
Sind viel Herrschaften drüben? fragte die Wirtin nach einer Weile.
Es fängt eben an. Bisher hatten wir schlechte Zeit. Die wegen der
Bäder kommen, ließen auf sich warten.
Das Frühjahr kam spät. Habt ihr mehr verdient, als wir hier auf
Capri?
Es hätte nicht ausgereicht zweimal die Woche Makkaroni zu essen, wenn
ich bloß auf die Barke angewiesen wäre. Dann und wann einen Brief
nach Neapel zu bringen, oder einen Signore aufs Meer gerudert, der
angeln wollte. Das war alles. Aber Ihr wißt, daß mein Onkel die
großen Orangengärten hat, und ein reicher Mann ist. Tonino, sagt er,
solang ich lebe, sollst du nicht Not leiden, und nachher wird auch
für dich gesorgt werden. So hab ich den Winter mit Gottes Hülfe
überstanden.
Hat er Kinder, Euer Onkel?
Nein. Er war nie verheiratet, und lang außer Landes, wo er denn
manchen Piaster zusammengebracht hat. Nun hat er vor, eine große
Fischerei anzufangen und will mich über das ganze Wesen setzen, daß
ich nach dem Rechten sehe.
So seid Ihr ja ein gemachter Mann, Antonino.
Der junge Schiffer zuckte die Achseln. Es hat jeder sein Bündel zu
tragen, sagte er. Damit sprang er auf und sah wieder links und
rechts nach dem Wetter, obwohl er wissen mußte, daß es nur eine
Wetterseite gibt.
Ich bring Euch noch eine Flasche. Euer Onkel kann's bezahlen, sagte
die Wirtin.
Nur noch ein Glas, denn Ihr habt hier eine feurige Art Wein. Der
Kopf ist mir schon ganz warm.
Er geht nicht ins Blut. Ihr könnt trinken, soviel Ihr wollt. Da
kommt eben mein Mann, mit dem müßt Ihr noch eine Weile sitzen und
schwatzen.
Wirklich kam, das Netz über die Schulter gehängt, die rote Mütze über
den geringelten Haaren, der stattliche Padrone der Schenke von der
Höhe herunter. Er hatte Fische in die Stadt gebracht, die jene
vornehme Dame bestellt hatte, um sie dem kleinen Pfarrer von Sorrent
vorzusetzen. Wie er des jungen Schiffers ansichtig wurde, winkte er
ihm herzlich mit der Hand einen Willkommen zu, setzte sich dann neben
ihn auf die Bank, und fing an zu fragen und zu erzählen. Eben
brachte sein Weib eine zweite Flasche des echten unverfälschten Capri,
als der Ufersand zur Linken knisterte und Laurella des Weges von
Anacapri daherkam. Sie grüßte flüchtig mit dem Kopf und stand
unschlüssig still.

Antonino sprang auf. Ich muß fort, sagte er. 's ist ein Mädchen aus
Sorrent, das heut früh mit dem Signor Curato kam und auf die Nacht
wieder zu ihrer kranken Mutter will.
Nun nun, 's ist noch lang bis Nacht, sagte der Fischer. Sie wird
doch Zeit haben, ein Glas Wein zu trinken. Holla, Frau, bring noch
ein Glas.
Ich danke, ich trinke nicht, sagte Laurella und blieb in einiger
Entfernung.
Schenk nur ein, Frau, schenk ein! Sie läßt sich nötigen.
Laßt sie, sagte der Bursch. Sie hat einen harten Kopf; was sie
einmal nicht will, das redet ihr kein Heiliger ein.--Und damit nahm
er eilfertig Abschied, lief nach der Barke hinunter, löste das Seil,
und stand nun in Erwartung des Mädchens. Die grüßte noch einmal nach
der Wirtin der Schenke zurück und ging dann mit zaudernden Schritten
der Barke zu. Sie sah vorher nach allen Seiten um, als erwarte sie,
daß sich noch andere Gesellschaft einfinden würde. Die Marine aber
war menschenleer, die Fischer schliefen oder fuhren im Meer mit
Angeln und Netzen, wenige Frauen und Kinder saßen unter den Türen,
schlafend oder spinnend, und die Fremden, die am Morgen
herübergefahren, warteten die kühlere Tageszeit zur Rückfahrt ab.
Sie konnte auch nicht zu lange umschauen, denn ehe sie es wehren
konnte, hatte Antonino sie in die Arme genommen und trug sie wie ein
Kind in den Nachen. Dann sprang er nach und mit wenigen
Ruderschlägen waren sie schon im offenen Meer.
Sie hatte sich vorn in den Kahn gesetzt und ihm halb den Rücken
zugedreht, daß er sie nur von der Seite sehen konnte. Ihre Züge
waren jetzt noch ernsthafter als gewöhnlich. Über die kurze Stirn
hing das Haar tief herein, um den feinen Nasenflügel zitterte ein
eigensinniger Zug; der volle Mund war fest geschlossen.--Als sie eine
Zeitlang so stillschweigend über Meer gefahren waren, empfand sie den
Sonnenbrand, nahm das Brot aus dem Tuch und schlang dieses über die
Flechte. Dann fing sie an von dem Brote zu essen und ihr Mittagsmahl
zu halten, denn sie hatte auf Capri nichts genossen.
Antonino sah das nicht lange mit an. Er holte aus einem der Körbe,
die am Morgen mit Orangen gefüllt gewesen, zwei hervor, und sagte: da
hast du was zu deinem Brot, Laurella. Glaub nicht, daß ich sie für
dich zurückbehalten habe. Sie sind aus dem Korb in den Kahn gerollt
und ich fand sie, als ich die leeren Körbe wieder in die Barke setzte.
Iß du sie doch. Ich hab an meinem Brote genug.
Sie sind erfrischend in der Hitze, und du bist weit gelaufen.
Sie gaben mir oben ein Glas Wasser, das hat mich schon erfrischt.
Wie du willst, sagte er, und ließ sie wieder in den Korb fallen.
Neues Stillschweigen. Das Meer war spiegelglatt und rauschte kaum um
den Kiel. Auch die weißen Seevögel, die in den Uferhöhlen nisten,
zogen lautlos auf ihren Raub.
Du könntest die zwei Orangen deiner Mutter bringen, fing Antonino
wieder an.
Wir haben ihrer noch zu Haus, und wenn sie zu Ende sind, geh ich und
kaufe neue.
Bringe ihr sie nur, und ein Kompliment von mir.
Sie kennt dich ja nicht.
So könntest du ihr sagen, wer ich bin.
Ich kenne dich auch nicht.
Es war nicht das erste Mal, daß sie ihn so verleugnete. Vor einem
Jahre, als der Maler eben nach Sorrent gekommen war, traf sich's an
einem Sonntage, daß Antonino mit anderen jungen Burschen aus dem Ort
auf einem freieren Platz neben der Hauptstraße Boccia spielte. Dort
begegnete der Maler zuerst Laurella, die, einen Wasserkrug auf dem
Kopfe tragend, ohne sein zu achten, vorüberschritt. Der Napolitaner,
von dem Anblick betroffen, stand still und sah ihr nach, obwohl er
sich mitten in der Bahn des Spieles befand und mit zwei Schritten sie
hätte räumen können. Eine unsanfte Kugel, die ihm gegen das
Fußgelenk fuhr, mußte ihn daran erinnern, daß hier der Ort nicht sei,
sich in Gedanken zu verlieren. Er sah um, als erwarte er eine
Entschuldigung. Der junge Schiffer, der den Wurf getan hatte, stand
schweigend und trotzig inmitten seiner Freunde, daß der Fremde es
geraten fand, einen Wortwechsel zu vermeiden und zu gehen. Doch
hatte man von dem Handel gesprochen, und sprach von neuem davon, als
der Maler sich offen um Laurella bewarb. Ich kenne ihn nicht, sagte
diese unwillig, als der Maler sie fragte, ob sie ihn jenes
unhöflichen Burschen wegen ausschlüge. Und doch war auch ihr jenes
Gerede zu Ohren gekommen. Seitdem, wenn ihr Antonino begegnete,
hatte sie ihn wohl wieder erkannt.
Und nun saßen sie im Kahn wie die bittersten Feinde, und beiden
klopfte das Herz tödlich. Das sonst gutmütige Gesicht Antoninos war
heftig gerötet, er schlug in die Wellen, daß der Schaum ihn
überspritzte, und seine Lippen zitterten zuweilen, als spräche er
böse Worte. Sie tat, als bemerke sie es nicht, und machte ihr
unbefangenstes Gesicht, neigte sich über den Bord des Nachens und
ließ die Flut durch ihre Finger gleiten. Dann band sie ihr Tuch
wieder ab und ordnete ihr Haar, als sei sie ganz allein im Kahn. Nur
die Augenbrauen zuckten noch, und umsonst hielt sie die nassen Hände
gegen ihre brennenden Wangen, um sie zu kühlen.
Nun waren sie mitten auf dem Meer, und nah und fern ließ sich kein
Segel blicken. Die Insel war zurückgeblieben, die Küste lag im
Sonnenduft weitab, nicht einmal eine Möwe durchflog die tiefe
Einsamkeit. Antonino sah um sich her. Ein Gedanke schien in ihm
aufzusteigen. Die Röte wich plötzlich von seinen Wangen, und er ließ
die Ruder sinken. Unwillkürlich sah Laurella nach ihm um, gespannt,
aber furchtlos.
Ich muß ein Ende machen, brach der Bursch heraus. Es dauert mir
schon zu lange und wundert mich schier, daß ich nicht drüber zugrunde
gegangen bin. Du kennst mich nicht, sagst du? Hast du nicht lange
genug mit angesehen, wie ich bei dir vorüberging als ein Unsinniger,
und hatte das ganze Herz voll, dir zu sagen? Dann machtest du deinen
bösen Mund und drehtest mir den Rücken.
Was hatt' ich mit dir zu reden, sagte sie kurz. Ich habe wohl gesehn,
daß du mit mir anbinden wolltest. Ich wollt' aber nicht in der
Leute Mäuler kommen um nichts und wieder nichts. Denn zum Manne
nehmen mag ich dich nicht, dich nicht und keinen.
Und keinen? So wirst du nicht immer sagen. Weil du den Maler
weggeschickt hast? Pah! Du warst noch ein Kind damals. Es wird dir
schon einmal einsam werden und dann, toll wie du bist, nimmst du den
ersten besten.
Es weiß keiner seine Zukunft. Kann sein, daß ich meinen Sinn ändere.
Was geht's dich an?
Was es mich angeht? fuhr er auf und sprang von der Ruderbank empor,
daß der Kahn schaukelte. Was es mich angeht? Und so kannst du noch
fragen, nachdem du weißt, wie es um mich steht? Müsse der elend
umkommen, dem je besser von dir begegnet würde, als mir.
Hab ich mich dir je versprochen? Kann ich dafür, wenn dein Kopf
unsinnig ist? Was hast du für ein Recht auf mich?
Oh, rief er aus, es steht freilich nicht geschrieben, es hat's kein
Advokat in Latein abgefaßt und versiegelt, aber das weiß ich, daß ich
so viel Recht auf dich habe, wie in den Himmel zu kommen, wenn ich
ein braver Kerl gewesen bin. Meinst du, daß ich mit ansehn will,
wenn du mit einem andern in die Kirche gehst und die Mädchen gehn mir
vorüber und zucken die Achseln? Soll ich mir den Schimpf antun
lassen?
Tu was du willst. Ich laß mir nicht bangen, soviel du auch drohst.
Ich will auch tun, was ich will.
Du wirst nicht lange so sprechen, sagte er und bebte über den ganzen
Leib. Ich bin Manns genug, daß ich mir das Leben nicht länger von
solch einem Trotzkopf verderben lasse. Weißt du, daß du hier in
meiner Macht bist und tun mußt, was ich will?
Sie fuhr leicht zusammen und blitzte ihn mit den Augen an.
Bringe mich um, wenn du's wagst, sagte sie langsam.
Man muß nichts halb tun, sagte er, und seine Stimme klang leiser. 's
ist Platz für uns beide im Meer. Ich kann dir nicht helfen, Kind,
--und er sprach fast mitleidig, wie aus dem Traum--aber wir müssen
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