Laokoon: Oder, Über die Grenzen der Malerei und Poesie - 14

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Harduin fragen: wenn Nicias nicht den Aoristum, sondern wirklich das
Imperfektum gebraucht hätte, Plinius hätte aber bloß bemerken wollen,
daß der Meister, anstatt des grajein, egkaiein gebraucht hätte; würde
er in seiner Sprache auch nicht noch alsdenn haben sagen müssen,
Nicias scripsit se inussisse? Doch ich will hierauf nicht bestehen;
es mag wirklich des Plinius Wille gewesen sein, eines von den Werken,
wovon die Rede ist, dadurch anzudeuten. Wer aber wird sich das
doppelte Gemälde einreden lassen, deren eines über dem andern
gehangen? Ich mir nimmermehr. Die Worte cujus supra caput tabula
bigae dependet, können also nicht anders als verfälscht sein. Tabula
bigae, ein Gemälde, worauf ein zweispänniger Wagen gemalet, klingt
nicht sehr Plinianisch, wenn auch Plinius schon sonst den Singularem
von bigae braucht. Und was für ein zweispänniger Wagen? Etwan,
dergleichen zu den Wettrennen in den Nemeäischen Spielen gebraucht
wurden; so daß dieses kleinere Gemälde in Ansehung dessen, was es
vorstellte, zu dem Hauptgemälde gehört hätte? Das kann nicht sein;
denn in den Nemeäischen Spielen waren nicht zweispännige, sondern
vierspännige Wagen gewöhnlich. (Schmidius in prol. ad Nemeonicas, p.
2.) Einsmals kam ich auf die Gedanken, daß Plinius anstatt des bigae
vielleicht ein griechisches Wort geschrieben, welches die Abschreiber
nicht verstanden, ich meine ptucion. Wir wissen nämlich aus einer
Stelle des Antigonus Karystius, beim Zenobius (conf. Gronovius T. IX.
Antiquit. Graec. Praef. p. 8), daß die alten Künstler nicht immer
ihre Namen auf ihre Werke selbst, sondern auch wohl auf besondere
Täfelchen gesetzet, welche dem Gemälde, oder der Statue angehangen
wurden. Und ein solches Täfelchen hieß ptucion. Dieses griechische
Wort fand sich vielleicht in einer Handschrift durch die Glosse,
tabula, tabella erkläret; und das tabula kam endlich mit in den Text.
Aus ptucion ward bigae; und so entstand das tabula bigae. Nichts
kann zu dem Folgenden besser passen, als dieses ptucion; denn das
Folgende eben ist es, was darauf stand. Die ganze Stelle wäre also
so zu lesen: cujus supra caput ptucion dependet, quo Nicias scripsit
se inussisse. Doch diese Korrektur, ich bekenne es, ist ein wenig
kühn. Muß man denn auch alles verbessern können, was man verfälscht
zu sein beweisen kann? Ich begnüge mich, das letztere hier geleistet
zu haben, und überlasse das erstere einer geschicktern Hand. Doch
nunmehr wiederum zur Sache zurückzukommen; wenn Plinius also nur von
einem Gemälde des Nicias redet, dessen Aufschrift im Aoristo abgefaßt
gewesen, und das zweite Gemälde dieser Art das obige des Lysippus ist:
welches ist denn nun das dritte? Das weiß ich nicht. Wenn ich es
bei einem andern alten Schriftsteller finden dürfte, als bei dem
Plinius, so würde ich nicht sehr verlegen sein. Aber es soll bei dem
Plinius gefunden werden; und noch einmal: bei diesem weiß ich es
nicht zu finden.}
Kurz; ich glaube, es ließe sich als ein sehr zuverlässiges Kriterium
angeben, daß alle Künstler, die das epoihse gebraucht, lange nach den
Zeiten Alexanders des Großen, kurz vor oder unter den Kaisern,
geblühet haben. Von dem Kleomenes ist es unstreitig; von dem
Archelaus ist es höchst wahrscheinlich; und von dem Salpion kann
wenigstens das Gegenteil auf keine Weise erwiesen werden. Und so von
den übrigen; den Athenodorus nicht ausgeschlossen.
Herr Winckelmann selbst mag hierüber Richter sein! Doch protestiere
ich gleich im voraus wider den umgekehrten Satz. Wenn alle Künstler,
welche epoihse gebraucht, unter die späten gehören: so gehören darum
nicht alle, die sich des epoiei bedienet, unter die ältern. Auch
unter den spätern Künstlern können einige diese einem großen Manne so
wohl anstehende Bescheidenheit wirklich besessen, und andere sie zu
besitzen sich gestellet haben.

XXVIII.

Nach dem Laokoon war ich auf nichts neugieriger, als auf das, was
Herr Winckelmann von dem sogenannten Borghesischen Fechter sagen
möchte. Ich glaube eine Entdeckung über diese Statue gemacht zu
haben, auf die ich mir alles einbilde, was man sich auf dergleichen
Entdeckungen einbilden kann.
Ich besorgte schon, Herr Winckelmann würde mir damit zuvorgekommen
sein. Aber ich finde nichts dergleichen bei ihm; und wenn nunmehr
mich etwas mißtrauisch in ihre Richtigkeit machen könnte, so würde es
eben das sein, daß meine Besorgnis nicht eingetroffen.
"Einige", sagt Herr Winckelmann 1), "machen aus dieser Statue einen
Discobolus, das ist, der mit dem Disco, oder mit einer Scheibe von
Metall, wirft, und dieses war die Meinung des berühmten Herrn von
Stosch in einem Schreiben an mich, aber ohne genugsame Betrachtung
des Standes, worin dergleichen Figur will gesetzt sein. Denn
derjenige, welcher etwas werfen will, muß sich mit dem Leibe
hinterwärts zurückziehen, und indem der Wurf geschehen soll, liegt
die Kraft auf dem nächsten Schenkel, und das linke Bein ist müßig:
hier aber ist das Gegenteil. Die ganze Figur ist vorwärts geworfen,
und ruhet auf dem linken Schenkel, und das rechte Bein ist
hinterwärts auf das äußerste ausgestrecket. Der rechte Arm ist neu,
und man hat ihm in die Hand ein Stück von einer Lanze gegeben, auf
dem linken Arme sieht man den Riem von dem Schilde, welchen er
gehalten hat. Betrachtet man, daß der Kopf und die Augen aufwärts
gerichtet sind, und daß die Figur sich mit dem Schilde vor etwas, das
von oben her kommt, zu verwahren scheint, so könnte man diese Statue
mit mehrerem Rechte für eine Vorstellung eines Soldaten halten,
welcher sich in einem gefährlichen Stande besonders verdient gemacht
hat: denn Fechtern in Schauspielen ist die Ehre einer Statue unter
den Griechen vermutlich niemals widerfahren: und dieses Werk scheinet
älter als die Einführung der Fechter unter den Griechen zu sein."
{1. Geschichte der Kunst, T. II. S. 394.}
Man kann nicht richtiger urteilen. Diese Statue ist ebensowenig ein
Fechter, als ein Discobolus; es ist wirklich die Vorstellung eines
Kriegers, der sich in einer solchen Stellung bei einer gefährlichen
Gelegenheit hervortat. Da Herr Winckelmann aber dieses so glücklich
erriet: wie konnte er hier stehen bleiben? Wie konnte ihm der
Krieger nicht beifallen, der vollkommen in dieser nämlichen Stellung
die völlige Niederlage eines Heeres abwandte, und dem sein
erkenntliches Vaterland eine Statue vollkommen in der nämlichen
Stellung setzen ließ?
Mit einem Worte: die Statue ist Chabrias.
Der Beweis ist folgende Stelle des Nepos in dem Leben dieses
Feldherrn 2). Hic quoque in summis habitus est ducibus: resque
multas memoria dignas gessit. Sed ex his elucet maxime inventum ejus
in proelio, quod apud Thebas fecit, quum Boeotiis subsidio venisset.
Namque in eo victoriae fidente summo duce Agesilao, fugatis jam ab eo
conductitiis catervis, reliquam phalangem loco vetuit cedere,
obnixoque genu scuto, projectaque hasta impetum excipere hostium
docuit. Id novum Agesilaus contuens, progredi non est ausus, suosque
jam incurrentes tuba revocavit. Hoc usque eo tota Graecia fama
celebratum est, ut illo statu Chabrias sibi statuam fieri voluerit,
quae publice ei ab Atheniensibus in foro constituta est. Ex quo
factum est, ut postea athletae, ceterique artifices his statibus in
statuis ponendis uterentur, in quibus victoriam essent adepti.
{2. cap. I.}
Ich weiß es, man wird noch einen Augenblick anstehen, mir Beifall zu
geben; aber ich hoffe, auch wirklich nur einen Augenblick. Die
Stellung des Chabrias scheinet nicht vollkommen die nämliche zu sein,
in welcher wir die Borghesische Statue erblicken. Die vorgeworfene
Lanze, projecta hasta, ist beiden gemein, aber das obnixo genu scuto
erklären die Ausleger durch obnixo in scutum, obfirmato genu ad
scutum: Chabrias wies seinen Soldaten, wie sie sich mit dem Knie
gegen das Schild stemmen, und hinter demselben den Feind abwarten
sollten; die Statue hingegen hält das Schild hoch. Aber wie, wenn
die Ausleger sich irrten? Wie, wenn die Worte obnixo genu scuto
nicht zusammen gehörten, und man obnixo genu besonders, und scuto
besonders, oder mit dem darauf folgenden projectaque hasta zusammen
lesen müßte? Man mache ein einziges Komma, und die Gleichheit ist
nunmehr so vollkommen als möglich. Die Statue ist ein Soldat, qui
obnixo genu 3), scuto projectaque hasta impetum hostis excipit; sie
zeigt, was Chabrias tat, und ist die Statue des Chabrias. Daß das
Komma wirklich fehle, beweiset das dem projecta angehängte que,
welches, wenn obnixo genu scuto zusammengehörten, überflüssig sein
würde, wie es denn auch wirklich einige Ausgaben daher weglassen.
{3. So sagt Statius obnixa pectora (Thebaid. lib. VI. v. 863).
--rumpunt obnixa furentes
Pectora.

welches der alte Glossator des Barths durch summa vi contra nitentia
erklÄrt. So sagt Ovid (Halieut. v. 11) obnixa fronte, wenn er von
der Meerbramse (Scaro) spricht, die sich nicht mit dem Kopfe, sondern
mit dem Schwanze durch die Reusen zu arbeiten sucht:
Non audet radiis obnixa occurrere fronte.}

Mit dem hohen Alter, welches dieser Statue sonach zukÄme, stimmt die
Form der Buchstaben in der darauf befindlichen Aufschrift des
Meisters vollkommen Überein; und Herr Winckelmann selbst hat aus
derselben geschlossen, daß es die älteste von den gegenwärtigen
Statuen in Rom sei, auf welchen sich der Meister angegeben hat.
Seinem scharfsichtigen Blicke überlasse ich es, ob er sonst in
Ansehung der Kunst etwas daran bemerket, welches mit meiner Meinung
streiten kÖnnte. Sollte er sie seines Beifalles würdigen, so dürfte
ich mich schmeicheln, ein besseres Exempel gegeben zu haben, wie
glücklich sich die klassischen Schriftsteller durch die alten
Kunstwerke, und diese hinwiederum aus jenen aufklären lassen, als in
dem ganzen Folianten des Spence zu finden ist.

XXIX.

Bei der unermeßlichen Belesenheit, bei den ausgebreitetsten feinsten
Kenntnissen der Kunst, mit welchen sich Herr Winckelmann an sein Werk
machte, hat er mit der edeln Zuversicht der alten Artisten gearbeitet,
die allen ihren Fleiß auf die Hauptsache verwandten, und was
Nebendinge waren, entweder mit einer gleichsam vorsätzlichen
Nachlässigkeit behandelten, oder gänzlich der ersten der besten
fremden Hand überließen.
Es ist kein geringes Lob, nur solche Fehler begangen zu haben, die
ein jeder hätte vermeiden können. Sie stoßen bei der ersten
flüchtigen Lektüre auf, und wenn man sie anmerken darf, so muß es nur
in der Absicht geschehen, um gewisse Leute, welche allein Augen zu
haben glauben, zu erinnern, daß sie nicht angemerkt zu werden
verdienen.
Schon in seinen Schriften über die Nachahmung der griechischen
Kunstwerke ist Herr Winckelmann einige Male durch den Junius verführt
worden. Junius ist ein sehr verfänglicher Autor; sein ganzes Werk
ist ein Cento, und da er immer mit den Worten der Alten reden will,
so wendet er nicht selten Stellen aus ihnen auf die Malerei an, die
an ihrem Orte von nichts weniger als von der Malerei handeln. Wenn
zum Exempel Herr Winckelmann lehren will, daß sich durch die bloße
Nachahmung der Natur das Höchste in der Kunst, ebensowenig wie in der
Poesie erreichen lasse, daß sowohl Dichter als Maler lieber das
Unmögliche, welches wahrscheinlich ist, als das bloß Mögliche wählen
müsse: so setzt er hinzu: "Die Möglichkeit und Wahrheit, welche
Longin von einem Maler im Gegensatze des Unglaublichen bei dem
Dichter fodert, kann hiermit sehr wohl bestehen." Allein dieser
Zusatz wäre besser weggeblieben; denn er zeiget die zwei größten
Kunstrichter in einem Widerspruche, der ganz ohne Grund ist. Es ist
falsch, daß Longin so etwas jemals gesagt hat. Er sagt etwas
Ähnliches von der Beredsamkeit und Dichtkunst, aber keinesweges von
der Dichtkunst und Malerei. WV d' eteron ti h rhtorikh jantasia
bouletai, kai eteron h para poihtaiV, ouk an laJoi se, schreibt er an
seinen Terentian 1); oud' oti thV men en poihsei teloV estin ekplhxiV,
thV d' en logoiV enargeia. Und wiederum: Ou mhn alla ta men para
toiV poihtaiV muJikwteran ecei thn uperekptwsin, kai panth to piston
uperairousan· thV de rhtorikhV jantasiaV, kalliston aei to emprakton
kai enalhJeV. Nur Junius schiebt, anstatt der Beredsamkeit, die
Malerei hier unter; und bei ihm war es, nicht bei dem Longin, wo Herr
Winckelmann gelesen hatte 2): Praesertim cum poeticae phantasiae
finis sit ekplhxiV, pictoriae vero, enargeia. Kai ta men para toiV
poihtaiV, ut loquitur idem Longinus, usw. Sehr wohl; Longins Worte,
aber nicht Longins Sinn!
{1. Peri uyouV. tmhma id'. Edit. T. Fabri. p. 36. 39.}
{2. De pictura vet. lib. I. cap. 4. p. 33.}
Mit folgender Anmerkung muß es ihm ebenso gegangen sein: "Alle
Handlungen", sagt er 3), "und Stellungen der griechischen Figuren,
die mit dem Charakter der Weisheit nicht bezeichnet, sondern gar zu
feurig und zu wild waren, verfielen in einen Fehler, den die alten
Künstler Parenthyrsus nannten." Die alten Künstler? Das dürfte nur
aus dem Junius zu erweisen sein. Denn Parenthyrsus war ein
rhetorisches Kunstwort, und vielleicht, wie die Stelle des Longins zu
verstehen zu geben scheinet, auch nur dem einzigen Theodor eigen 4).
Toutw parakeitai triton ti kakiaV eidoV en toiV paJhtikoiV, oper o
QeodwroV parenJurson ekalei· esti de paJoV akairon kai kenon, enJa mh
dei paJouV· h ametron, enJa metriou dei. Ja ich zweifle sogar, ob
sich überhaupt dieses Wort in die Malerei übertragen läßt. Denn in
der Beredsamkeit und Poesie gibt es ein Pathos, das so hoch getrieben
werden kann als möglich, ohne Parenthyrsus zu werden; und nur das
höchste Pathos an der unrechten Stelle, ist Parenthyrsus. In der
Malerei aber würde das höchste Pathos allezeit Parenthyrsus sein,
wenn es auch durch die Umstände der Person, die es äußert, noch so
wohl entschuldigt werden könnte.
{3. Von der Nachahmung der griech. Werke usw. S. 23.}
{4. Tmhma b'.}
Dem Ansehen nach werden also auch verschiedene Unrichtigkeiten in der
"Geschichte der Kunst" bloß daher entstanden sein, weil Herr
Winckelmann in der Geschwindigkeit nur den Junius und nicht die
Quellen selbst zu Rate ziehen wollen. Z. E.: Wenn er durch Beispiele
zeigen will, daß bei den Griechen alles Vorzügliche in allerlei Kunst
und Arbeit besonders geschätzet worden, und der beste Arbeiter in der
geringsten Sache zur Verewigung seines Namens gelangen können: so
führet er unter andern auch dieses an 5): "Wir wissen den Namen eines
Arbeiters von sehr richtigen Wagen, oder Wageschalen; er hieß
Parthenius." Herr Winckelmann muß die Worte des Juvenals, auf die er
sich desfalls beruft, lances Parthenio factas, nur in dem Katalogo
des Junius gelesen haben. Denn hätte er den Juvenal selbst
nachgesehen, so würde er sich nicht von der Zweideutigkeit des Wortes
lanx haben verführen lassen, sondern sogleich aus dem Zusammenhange
erkannt haben, daß der Dichter nicht Wagen oder Wageschalen, sondern
Teller und Schüsseln meine. Juvenal rühmt nämlich den Catullus, daß
er es bei einem gefährlichen Sturme zur See wie der Biber gemacht,
welcher sich die Geilen abbeißt, um das Leben davon zu bringen; daß
er seine kostbarsten Sachen ins Meer werfen lassen, um nicht mitsamt
dem Schiffe unterzugehen. Diese kostbaren Sachen beschreibt er, und
sagt unter anderm:
{5. Geschichte der Kunst, T. I. S. 136.}
Ille nec argentum dubitabat mittere, lances
Parthenio factas, urnae cratera capacem
Et dignum sitiente Pholo, vel conjuge Fusci.
Adde et bascaudas et mille escaria, multum
Caelati, biberat quo callidus emtor Olynthi.

Lances, die hier mitten unter Bechern und Schwenkkesseln stehen, was
kÖnnen es anders sein, als Teller und SchÜsseln? Und was will
Juvenal anders sagen, als daß Catull sein ganzes silbernes Eßgeschirr,
unter welchem sich auch Teller von getriebener Arbeit des Parthenius
befanden, ins Meer werfen lassen. Parthenius, sagt der alte
Scholiast, caelatoris nomen. Wenn aber GrangÄus, in seinen
Anmerkungen, zu diesem Namen hinzusetzt: sculptor, de quo Plinius, so
muß er dieses wohl nur auf gutes Glück hingeschrieben haben: denn
Plinius gedenkt keines Künstlers dieses Namens.
"Ja," fährt Herr Winckelmann fort, "es hat sich der Name des Sattlers,
wie wir ihn nennen würden, erhalten, der den Schild des Ajax von
Leder machte." Aber auch dieses kann er nicht daher genommen haben,
wohin er seine Leser verweiset; aus dem Leben des Homers, vom
Herodotus. Denn hier werden zwar die Zeilen aus der Iliade
angeführet, in welchen der Dichter diesem Lederarbeiter den Namen
Tychius beilegt; es wird aber auch zugleich ausdrücklich gesagt, daß
eigentlich ein Lederarbeiter von des Homers Bekanntschaft so geheißen,
dem er durch Einschaltung seines Namens seine Freundschaft und
Erkenntlichkeit bezeigen wollen 6): Apedwke de carin kai Tuciw tv
skutei, oV edexato auton en tv New teicei, proselJonta proV to
skuteion, en toiV epesi katazeuxaV en th Iliadi toisde.
{6. Herodotus de vita Homeri, p. 756. Edit. Wessel.}
AiaV d' egguJen hlJe, jerwn sakoV hute purgon,
Calkeon, eptaboeion· o oi TucioV kame teucwn
Skutotomwn oc' aristoV, Ulh eni oikia naiwn.

Es ist also grade das Gegenteil von dem, was uns Herr Winckelmann
versichern will; der Name des Sattlers, welcher das Schild des Ajax
gemacht hatte, war schon zu des Homers Zeiten so vergessen, daß der
Dichter die Freiheit hatte, einen ganz fremden Namen dafÜr
unterzuschieben.
Verschiedene andere kleine Fehler sind bloße Fehler des GedÄchtnisses,
oder betreffen Dinge, die er nur als beiläufige Erläuterungen
anbringst. Z. E.
Es war Herkules, und nicht Bacchus, von welchem sich Parrhasius
rühmte, daß er ihm in der Gestalt erschienen sei, in welcher er ihn
gemalt 7).
{7. Gesch. der Kunst, T. I. S. 167. Plinius lib. XXXV. sect. 36.
Athenaeus lib. XII. p. 543.}
Tauriskus war nicht aus Rhodus, sondern aus Tralles in Lydien 8).
{8. Gesch. der Kunst, T. II. S. 353. Plinius lib. XXXVI. sect. 4. p.
729.1. 17.}
Die Antigone ist nicht die erste TragÖdie des Sophokles 9).
{9. Gesch. der Kunst, T. II. S. 328. "Er führte die Antigone, sein
erstes Trauerspiel, im dritten Jahre der siebenundsiebenzigsten
Olympias auf." Die Zeit ist ungefähr richtig, aber daß dieses erste
Trauerspiel die "Antigone" gewesen sei, das ist ganz unrichtig.
Samuel Petit, den Herr Winckelmann in der Note anführt, hat dieses
auch gar nicht gesagt; sondern die "Antigone" ausdrücklich in das
dritte Jahr der vierundachtzigsten Olympias gesetzt. Sophokles ging
das Jahr darauf mit dem Perikles nach Samos, und das Jahr dieser
Expedition kann zuverlässig bestimmt werden. Ich zeige in meinem
"Leben des Sophokles", aus der Vergleichung mit einer Stelle des
älteren Plinius, daß das erste Trauerspiel dieses Dichters,
wahrscheinlicherweise, "Triptolemus" gewesen. Plinius redet nämlich
(libr. XVIII. sect. 12. p. 107. Edit. Hard.) von der verschiedenen
Güte des Getreides in verschiednen Ländern und schließt: Hae fuere
sententiae, Alexandro magno regnante, cum clarissima fuit Graecia,
atque in toto terrarum orbe potentissima; ita tamen ut ante mortem
ejus annis fere CXLV Sophocles poeta in fabula "Triptolemo" frumentum
Italicum ante cuncta laudaverit, ad verbum translata sententia:
Et fortunatam Italiam frumento canere candido.
Nun ist zwar hier nicht ausdrücklich von dem ersten Trauerspiele des
Sophokles die Rede; allein es stimmt die Epoche desselben, welche
Plutarch und der Scholiast und die Arundelschen Denkmäler einstimmig
in die siebenundsiebzigste Olympias setzen, mit der Zeit, in welche
Plinius den "Triptolemus" setzet, so genau überein, daß man nicht
wohl anders als diesen "Triptolemus" selbst für das erste Trauerspiel
des Sophokles erkennen kann. Die Berechnung ist gleich geschehen.
Alexander starb in der hundertundvierzehnten Olympias;
hundertundfünfundvierzig Jahr betragen sechsunddreißig Olympiaden und
ein Jahr, und diese Summe von jener abgerechnet, gibt
siebenundsiebzig. In die siebenundsiebzigste Olympias fällt also der
Triptolemus des Sophokles, und da in eben diese Olympias, und zwar,
wie ich beweise, in das letzte Jahr derselben, auch das erste
Trauerspiel desselben fällt: so ist der Schluß ganz natürlich, daß
beide Trauerspiele eines sind. Ich zeige zugleich ebendaselbst, daß
Petit die ganze Hälfte des Kapitels seiner Miscellaneorum (XVIII. lib.
III. eben dasselbe, welches Herr Winckelmann anführt) sich hätte
ersparen können. Es ist unnötig, in der Stelle des Plutarchs, die er
daselbst verbessern will, den Archon Aphepsion, in Demotion, oder
aneyioV zu verwandeln. Er hätte aus dem dritten Jahr der 77ten
Olympias nur in das vierte derselben gehen dürfen, und er würde
gefunden haben, daß der Archon dieses Jahres von den Schriftstellern
ebenso oft, wo nicht noch öftrer, Aphepsion, als Phädon genennet wird.
Phädon nennet ihn Diodorus Siculus, Dionysius Halicarnasseus und
der Ungenannte in seinem Verzeichnisse der Olympiaden. Aphepsion
hingegen nennen ihn die Arundelschen Marmor, Apollodorus, und der
diesen anführt, Diogenes Laërtius. Plutarchus aber nennet ihn auf
beide Weise; im Leben des Theseus Phädon, und in dem Leben des Cimons,
Aphepsion. Es ist also wahrscheinlich, wie Palmerius vermutet,
Aphepsionem et Phaedonem archontas fuisse eponymos: scilicet uno in
magistratu mortuo, suffectus fuit alter. (Exercit. p. 452.)--Vom
Sophokles, erinnere ich noch gelegentlich, hatte Herr Winckelmann
auch schon in seiner ersten Schrift von der Nachahmung der
griechischen Kunstwerke (S. 8) eine Unrichtigkeit einfließen lassen.
"Die schönsten jungen Leute tanzten unbekleidet auf dem Theater und
Sophokles, der große Sophokles, war der erste, der in seiner Jugend
dieses Schauspiel seinen Bürgern gab." Auf dem Theater hat Sophokles
nie nackend getanzt; sondern um die Tropäen nach dem salaminischen
Siege, und auch nur nach einigen nackend, nach andern aber bekleidet
(Athen. lib. I. p. m. 20.). Sophokles war nämlich unter den Knaben,
die man nach Salamis in Sicherheit gebracht hatte; und hier auf
dieser Insul war es, wo es damals der tragischen Muse alle ihre drei
Lieblinge, in einer vorbildenden Gradation, zu versammeln beliebte.
Der kühne Aeschylus half siegen; der blühende Sophokles tanzte um die
Tropäen, und Euripides ward an eben dem Tage des Sieges, auf eben der
glücklichen Insel geboren.}
Doch ich enthalte mich, dergleichen Kleinigkeiten auf einen Haufen zu
tragen. Tadelsucht könnte es zwar nicht scheinen; aber wer meine
Hochachtung für den Herrn Winckelmann kennet, dürfte es für
Krokylegmus halten.

Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes Laokoon, von Gotthold Ephraim
Lessing.
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