Laokoon: Oder, Über die Grenzen der Malerei und Poesie - 12

Total number of words is 4198
Total number of unique words is 1752
25.5 of words are in the 2000 most common words
33.1 of words are in the 5000 most common words
37.0 of words are in the 8000 most common words
Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
seine Gebrechen und Laster. Um die Erfahrung hiervon zu machen, lese
man sein Ende bei dem Quintus Calaber 3). Achilles bedauert, die
Penthesilea getötet zu haben: die Schönheit in ihrem Blute, so tapfer
vergossen, fodert die Hochachtung und das Mitleid des Helden; und
Hochachtung und Mitleid werden Liebe. Aber der schmähsüchtige
Thersites macht ihm diese Liebe zu einem Verbrechen. Er eifert wider
die Wollust, die auch den wackersten Mann zu Unsinnigkeiten verleite;
{1. Philos. Schriften des Hrn. Moses Mendelssohn T. II. S. 23.}
{2. De poetica cap. V.}
{3. Paralipom. lib. I. v. 720-775.}
--ht' ajrona jvta tiJhsi
Kai pinuton per eonta.--

Achilles ergrimmt, und ohne ein Wort zu versetzen, schlÄgt er ihn so
unsanft zwischen Back' und Ohr, daß ihm Zähne, und Blut und Seele mit
eins aus dem Halse stÜrzen. Zu grausam! Der jachzornige mÖrderische
Achilles wird mir verhaßter, als der tückische knurrende Thersites;
das Freudengeschrei, welches die Griechen über diese Tat erheben,
beleidiget mich; ich trete auf die Seite des Diomedes, der schon das
Schwert zucket, seinen Anverwandten an dem Mörder zu rächen: denn ich
empfinde es, daß Thersites auch mein Anverwandter ist, ein Mensch.
Gesetzt aber gar, die Verhetzungen des Thersites wären in Meuterei
ausgebrochen, das aufrührerische Volk wäre wirklich zu Schiffe
gegangen und hätte seine Heerführer verräterisch zurückgelassen, die
Heerführer wären hier einem rachsüchtigen Feinde in die Hände
gefallen, und dort hätte ein göttliches Strafgerichte über Flotte und
Volk ein gänzliches Verderben verhangen: wie würde uns alsdenn die
Häßlichkeit des Thersites erscheinen? Wenn unschädliche Häßlichkeit
lächerlich werden kann, so ist schädliche Häßlichkeit allezeit
schrecklich. Ich weiß dieses nicht besser zu erläutern, als mit ein
paar vortrefflichen Stellen des Shakespeare: Edmund, der Bastard des
Grafen von Gloster, im "König Lear", ist kein geringerer Bösewicht,
als Richard, Herzog von Gloucester, der sich durch die
abscheulichsten Verbrechen den Weg zum Throne bahnte, den er unter
dem Namen Richard der Dritte bestieg. Aber wie kommt es, daß jener
bei weitem nicht so viel Schaudern und Entsetzen erwecket als dieser?
Wenn ich den Bastard sagen höre 4):
{4. King Lear. Act. I. Sc. II.}
Thou, nature, art my goddess, to thy law
My services are bound; wherefore should I
Stand in the plague of custom, and permit
The courtesy of nations to deprive me,
For that I am some twelve, or fourteen moonshines
Lag of a brother? Why bastard? wherefore base?
When my dimensions are as well compact,
My mind as gen'rous, and my shape as true
As honest madam's issue? Why brand they thus
With base? with baseness? bastardy, base? base?
Who, in the lusty stealth of nature, take
More composition and fierce quality,
Than doth, within a dull, stale, tired bed,
Go to creating, a whole tribe of fops,
Got' 'tween a-sleep and wake?

so hÖre ich einen Teufel, aber ich sehe ihn in der Gestalt eines
Engels des Lichts. Höre ich hingegen den Grafen von Gloucester sagen
5):
{5. The life and death of Richard III. Act. I. Sc. 1.}
But I, that am not shap'd for sportive tricks
Nor made to court an am'rous looking-glass,
I, that am rudely stampt, and want love's majesty
To strut before a wanton, ambling nymph;
I, that am curtail'd of this fair proportion,
Cheated of feature by dissembling nature,
Deform'd, unfinish'd, sent before my time
Into this breathing world, scarce half made up,
And that so lamely and unfashionably,
That dogs bark at me, as I halt by them:
Why I (in this weak piping time of peace)
Have no delight to pass away the time;
Unless to spy my shadow in the sun,
And descant on mine own deformity.
And therefore, since I cannot prove a lover,
To entertain these fair well-spoken days,
I am determined, to prove a villain!

so hÖre ich einen Teufel, und sehe einen Teufel; in einer Gestalt,
die der Teufel allein haben sollte.

XXIV.

So nutzt der Dichter die HÄßlichkeit der Formen: welchen Gebrauch ist
dem Maler davon zu machen vergönnet?
Die Malerei, als nachahmende Fertigkeit, kann die Häßlichkeit
ausdrÜcken; die Malerei, als schöne Kunst, will sie nicht ausdrücken.
Als jener, gehören ihr alle sichtbare Gegenstände zu; als diese,
schließt sie sich nur auf diejenigen sichtbaren Gegenstände ein,
welche angenehme Empfindungen erwecken.
Aber gefallen nicht auch die unangenehmen Empfindungen in der
Nachahmung? Nicht alle. Ein scharfsinniger Kunstrichter 1) hat
dieses bereits von dem Ekel bemerkt. "Die Vorstellungen der Furcht,"
sagt er, "der Traurigkeit, des Schreckens, des Mitleids usw. können
nur Unlust erregen, insoweit wir das Übel für wirklich halten. Diese
können also durch die Erinnerung, daß es ein künstlicher Betrug sei,
in angenehme Empfindungen aufgelöset werden. Die widrige Empfindung
des Ekels aber erfolgt, vermöge des Gesetzes der Einbildungskraft auf
die bloße Vorstellung in der Seele, der Gegenstand mag für wirklich
gehalten werden, oder nicht. Was hilft's dem beleidigten Gemüte also,
wenn sich die Kunst der Nachahmung noch so sehr verrät? Ihre Unlust
entsprang nicht aus der Voraussetzung, daß das Übel wirklich sei,
sondern aus der bloßen Vorstellung desselben, und diese ist wirklich
da. Die Empfindungen des Ekels sind also allezeit Natur, niemals
Nachahmung."
{1. Briefe die neueste Literatur betreffend, T. V. S. 102.}
Eben dieses gilt von der Häßlichkeit der Formen. Diese Häßlichkeit
beleidiget unser Gesicht, widerstehet unserm Geschmacke an Ordnung
und Übereinstimmung, und erwecket Abscheu, ohne Rücksicht auf die
wirkliche Existenz des Gegenstandes, an welchem wir sie wahrnehmen.
Wir mögen den Thersites weder in der Natur noch im Bilde sehen; und
wenn schon sein Bild weniger mißfällt, so geschieht dieses doch nicht
deswegen, weil die Häßlichkeit seiner Form in der Nachahmung
Häßlichkeit zu sein aufhöret, sondern weil wir das Vermögen besitzen,
von dieser Häßlichkeit zu abstrahieren, und uns bloß an der Kunst des
Malers zu vergnügen. Aber auch dieses Vergnügen wird alle
Augenblicke durch die Überlegung unterbrochen, wie übel die Kunst
angewendet worden, und diese Überlegung wird selten fehlen, die
Geringschätzung des Künstlers nach sich zu ziehen.
Aristoteles gibt eine andere Ursache an 2), warum Dinge, die wir in
der Natur mit Widerwillen erblicken, auch in der getreuesten
Abbildung Vergnügen gewähren; die allgemeine Wißbegierde des Menschen.
Wir freuen uns, wenn wir entweder aus der Abbildung lernen können,
ti ekaston, was ein jedes Ding ist, oder wenn wir daraus schließen
können, oti outoV ekeinoV, daß es dieses oder jenes ist. Allein auch
hieraus folget, zum Besten der Häßlichkeit in der Nachahmung, nichts.
Das Vergnügen, welches aus der Befriedigung unserer Wißbegierde
entspringt, ist momentan, und dem Gegenstande, über welchen sie
befriediget wird, nur zufällig; das Mißvergnügen hingegen, welches
den Anblick der Häßlichkeit begleitet, permanent, und dem Gegenstande,
der es erweckt, wesentlich. Wie kann also jenes diesem das
Gleichgewicht halten? Noch weniger kann die kleine angenehme
Beschäftigung, welche uns die Bemerkung der Ähnlichkeit macht, die
unangenehme Wirkung der Häßlichkeit besiegen. Je genauer ich das
häßliche Nachbild mit dem häßlichen Urbilde vergleiche, desto mehr
stelle ich mich dieser Wirkung bloß, so daß das Vergnügen der
Vergleichung gar bald verschwindet, und mir nichts als der widrige
Eindruck der verdoppelten Häßlichkeit übrig bleibet. Nach den
Beispielen, welche Aristoteles gibt, zu urteilen, scheinet es, als
habe er auch selbst die Häßlichkeit der Formen nicht mit zu den
mißfälligen Gegenständen rechnen wollen, die in der Nachahmung
gefallen können. Diese Beispiele sind: reißende Tiere und Leichname.
Reißende Tiere erregen Schrecken, wenn sie auch nicht häßlich sind;
und dieses Schrecken, nicht ihre Häßlichkeit, ist es, was durch die
Nachahmung in angenehme Empfindung aufgelöset wird. So auch mit den
Leichnamen; das schärfere Gefühl des Mitleids, die schreckliche
Erinnerung an unsere eigene Vernichtung ist es, welche uns einen
Leichnam in der Natur zu einem widrigen Gegenstande macht; in der
Nachahmung aber verlieret jenes Mitleid, durch die Überzeugung des
Betrugs, das Schneidende, und von dieser fatalen Erinnerung kann uns
ein Zusatz von schmeichelhaften Umständen entweder gänzlich abziehen,
oder sich so unzertrennlich mit ihr vereinen, daß wir mehr
Wünschenswürdiges als Schreckliches darin zu bemerken glauben.
{2. De poetica cap. IV.}
Da also die Häßlichkeit der Formen, weil die Empfindung, welche sie
erregt, unangenehm, und doch nicht von derjenigen Art unangenehmer
Empfindungen ist, welche sich durch die Nachahmung in angenehme
verwandeln, an und vor sich selbst kein Vorwurf der Malerei, als
schöner Kunst, sein kann: so käme es noch darauf an, ob sie ihr,
nicht ebensowohl wie der Poesie, als Ingrediens, um andere
Empfindungen zu verstärken, nützlich sein könne.
Darf die Malerei, zu Erreichung des Lächerlichen und Schrecklichen,
sich häßlicher Formen bedienen?
Ich will es nicht wagen, so gradezu mit Nein hierauf zu antworten.
Es ist unleugbar, daß unschädliche Häßlichkeit auch in der Malerei
lächerlich werden kann; besonders wenn eine Affektation nach Reiz und
Ansehen damit verbunden wird. Es ist ebenso unstreitig, daß
schädliche Häßlichkeit, so wie in der Natur, also auch im Gemälde
Schrecken erwecket; und daß jenes Lächerliche und dieses Schreckliche,
welches schon vor sich vermischte Empfindungen sind, durch die
Nachahmung einen neuen Grad von Anzüglichkeit und Vergnügung erlangen.
Ich muß aber zu bedenken geben, daß demohngeachtet sich die Malerei
hier nicht völlig mit der Poesie in gleichem Falle befindet. In der
Poesie, wie ich angemerket, verlieret die Häßlichkeit der Form, durch
die Veränderung ihrer koexistierenden Teile in sukzessive, ihre
widrige Wirkung fast gänzlich; sie höret von dieser Seite gleichsam
auf, Häßlichkeit zu sein, und kann sich daher mit andern
Erscheinungen desto inniger verbinden, um eine neue besondere Wirkung
hervorzubringen. In der Malerei hingegen hat die Häßlichkeit alle
ihre Kräfte beisammen, und wirket nicht viel schwächer, als in der
Natur selbst. Unschädliche Häßlichkeit kann folglich nicht wohl
lange lächerlich bleiben; die unangenehme Empfindung gewinnet die
Oberhand, und was in den ersten Augenblicken possierlich war, wird in
der Folge bloß abscheulich. Nicht anders gehet es mit der
schädlichen Häßlichkeit; das Schreckliche verliert sich nach und nach,
und das Unförmliche bleibt allein und unveränderlich zurück.
Dieses überlegt, hatte der Graf Caylus vollkommen recht, die Episode
des Thersites aus der Reihe seiner Homerischen Gemälde wegzulassen.
Aber hat man darum auch recht, sie aus dem Homer selbst
wegzuwünschen? Ich finde ungern, daß ein Gelehrter, von sonst sehr
richtigem und feinem Geschmacke, dieser Meinung ist 3). Ich verspare
es auf einen andern Ort, mich weitläufiger darüber zu erklären.
{3. Klotzii epistolae Homericae, p. 32. et seq.}

XXV.

Auch der zweite Unterschied, welchen der angeführte Kunstrichter
zwischen dem Ekel und andern unangenehmen Leidenschaften der Seele
findet, äußert sich bei der Unlust, welche die Häßlichkeit der Formen
in uns erwecket.
"Andere unangenehme Leidenschaften", sagte er 1), "können auch außer
der Nachahmung, in der Natur selbst, dem Gemüte öfters schmeicheln,
indem sie niemals reine Unlust erregen, sondern ihre Bitterkeit
allezeit mit Wollust vermischen. Unsere Furcht ist selten von aller
Hoffnung entblößt; der Schrecken belebt alle unsere Kräfte, der
Gefahr auszuweichen; der Zorn ist mit der Begierde sich zu rächen,
die Traurigkeit mit der angenehmen Vorstellung der vorigen
Glückseligkeit verknüpft, und das Mitleiden ist von den zärtlichen
Empfindungen der Liebe und Zuneigung unzertrennlich. Die Seele hat
die Freiheit, sich bald bei dem vergnüglichen, bald bei dem widrigen
Teile einer Leidenschaft zu verweilen, und sich eine Vermischung von
Lust und Unlust selbst zu schaffen, die reizender ist, als das
lauterste Vergnügen. Es braucht nur sehr wenig Achtsamkeit auf sich
selber, um dieses vielfältig beobachtet zu haben; und woher käme es
denn sonst, daß dem Zornigen sein Zorn, dem Traurigen seine Unmut
lieber ist, als alle freudige Vorstellungen, dadurch man ihn zu
beruhigen gedenket? Ganz anders aber verhält es sich mit dem Ekel
und den ihm verwandten Empfindungen. Die Seele erkennet in demselben
keine merkliche Vermischung von Lust. Das Mißvergnügen gewinnet die
Oberhand, und daher ist kein Zustand, weder in der Natur noch in der
Nachahmung, zu erdenken, in welchem das Gemüt nicht von diesen
Vorstellungen mit Widerwillen zurückweichen sollte."
{1. Klotzii epistolae Homericae, p. 103.}
Vollkommen richtig; aber da der Kunstrichter selbst, noch andere mit
dem Ekel verwandten Empfindungen erkennet, die gleichfalls nichts als
Unlust gewähren, welche kann ihm näher verwandt sein, als die
Empfindung des Häßlichen in den Formen? Auch diese ist in der Natur
ohne die geringste Mischung von Lust; und da sie deren ebensowenig
durch die Nachahmung fähig wird, so ist auch von ihr kein Zustand zu
erdenken, in welchem das Gemüt von ihrer Vorstellung nicht mit
Widerwillen zurückweichen sollte.
Ja dieser Widerwille, wenn ich anders mein Gefühl sorgfältig genug
untersucht habe, ist gänzlich von der Natur des Ekels. Die
Empfindung, welche die Häßlichkeit der Form begleitet, ist Ekel, nur
in einem geringern Grade. Dieses streitet zwar mit einer andern
Anmerkung des Kunstrichters, nach welcher er nur die allerdunkelsten
Sinne, den Geschmack, den Geruch und das Gefühl, dem Ekel ausgesetzet
zu sein glaubet. "Jene beide" sagt er, "durch eine übermäßige
Süßigkeit, und dieses durch eine allzugroße Weichheit der Körper, die
den berührenden Fibern nicht genugsam widerstehen. Diese Gegenstände
werden sodann auch dem Gesichte unerträglich, aber bloß durch die
Assoziation der Begriffe, indem wir uns des Widerwillens erinnern,
den sie dem Geschmacke, dem Geruche oder dem Gefühle verursachen.
Denn eigentlich zu reden, gibt es keine Gegenstände des Ekels für das
Gesicht." Doch mich dünkt, es lassen sich dergleichen allerdings
nennen. Ein Feuermal in dem Gesichte, eine Hasenscharte, eine
gepletschte Nase mit vorragenden Löchern, ein gänzlicher Mangel der
Augenbraunen, sind Häßlichkeiten, die weder dem Geruche, noch dem
Geschmacke, noch dem Gefühle zuwider sein können. Gleichwohl ist es
gewiß, daß wir etwas dabei empfinden, welches dem Ekel schon viel
näher kömmt, als das, was uns andere Unförmlichkeiten des Körpers,
ein krummer Fuß, ein hoher Rücken, empfinden lassen; je zärtlicher
das Temperament ist, desto mehr werden wir von den Bewegungen in dem
Körper dabei fühlen, welche vor dem Erbrechen vorhergehen. Nur daß
diese Bewegungen sich sehr bald wieder verlieren, und schwerlich ein
wirkliches Erbrechen erfolgen kann; wovon man allerdings die Ursache
darin zu suchen hat, daß es Gegenstände des Gesichts sind, welches in
ihnen, und mit ihnen zugleich, eine Menge Realitäten wahrnimmt, durch
deren angenehme Vorstellungen jene unangenehme so geschwächt und
verdunkelt wird, daß sie keinen merklichen Einfluß auf den Körper
haben kann. Die dunkeln Sinne hingegen, der Geschmack, der Geruch,
das Gefühl, können dergleichen Realitäten, indem sie von etwas
Widerwärtigem gerühret werden, nicht mitbemerken; das Widerwärtige
wirkt folglich allein und in seiner ganzen Stärke, und kann nicht
anders als auch in dem Körper von einer weit heftigern Erschütterung
begleitet sein.
Übrigens verhält sich auch zur Nachahmung das Ekelhafte vollkommen so,
wie das Häßliche. Ja, da seine unangenehme Wirkung die heftigere
ist, so kann es noch weniger als das Häßliche an und vor sich selbst
ein Gegenstand weder der Poesie, noch der Malerei werden. Nur weil
es ebenfalls durch den wörtlichen Ausdruck sehr gemildert wird,
getrauete ich mich doch wohl zu behaupten, daß der Dichter,
wenigstens einige ekelhafte Züge als ein Ingrediens zu den nämlichen
vermischten Empfindungen brauchen könne, die er durch das Häßliche
mit so gutem Erfolge verstärket.
Das Ekelhafte kann das Lächerliche vermehren; oder Vorstellungen der
Würde, des Anstandes, mit dem Ekelhaften in Kontrast gesetzet, werden
lächerlich. Exempel hiervon lassen sich bei dem Aristophanes in
Menge finden. Das Wiesel fällt mir ein, welches den guten Sokrates
in seinen astronomischen Beschauungen unterbrach 2).
{2. Nubes v. 169-174.}
MAQ. Prwhn de ge gnwmhn megalhn ajhreJh
Up' askalabwtou. STR. Tina tropon; kateipe moi.
MAQ. ZhtountoV autou thV selhnhV tas odouV
Kai taV perijoraV, eit' anw kechnotoV
Apo thV orojhV nuktwr galewthV katecesen.
STR. HsJhn galewth katacesanti SwkratouV.

Man lasse es nicht ekelhaft sein, was ihm in den offenen Mund fÄllt,
und das Lächerliche ist verschwunden. Die drolligsten ZÜge von
dieser Art hat die hottentottische Erzählung: Tquassouw und
Knonmquaiha, in dem "Kenner", einer englischen Wochenschrift voller
Laune, die man dem Lord Chesterfield zuschreibet. Man weiß, wie
schmutzig die Hottentotten sind; und wie vieles sie für schÖn und
zierlich und heilig halten, was uns Ekel und Abscheu erwecket. Ein
gequetschter Knorpel von Nase, schlappe bis auf den Nabel
herabhängende Brüste, den ganzen Körper mit einer Schminke aus
Ziegenfett und Ruß an der Sonne durchbeizet, die Haarlocken von
Schmer triefend, Füße und Arme mit frischem Gedärme umwunden: dies
denke man sich an dem Gegenstande einer feurigen, ehrfurchtsvollen,
zärtlichen Liebe; dies höre man in der edeln Sprache des Ernstes und
der Bewunderung ausgedrückt, und enthalte sich des Lachens 3)!
{3. The Connoisseur, Vol. I. No. 21. Von der Schönheit der
Knonmquaiha heißt es: He was struck with the glossy hue of her
complexion, which shone like the jetty down on the black hogs of
Hessaqua; he was ravished with the prest gristle of her nose; and his
eys dwelt with admiration on the flaccid beauties of her breasts,
which descended to her navel. Und was trug die Kunst bei, so viel
Reize in ihr vorteilhaftes Licht zu setzen? She made a varnish of
the fat of goats mixed with soot, with which she anointed her whole
body, as she stood beneath the rays of the sun; her locks were
clotted with melted grease, and powdered with the yellow dust of
Buchu; her face, which shone like the polished ebony, was beautifully
varied with spots of red earth, and appeared like the sable curtain
of the night bespangled with stars: she sprinkled her limbs with
woodashes, and perfumed them with the dung of Stinkbingsem. Her arms
and legs were entwined with the shining entrails of an heifer: from
her neck there hung a pouch composed of the stomach of a kid: the
wings of an ostrich overshadowed the fleshy promontories behind; and
before she wore an apron formed of the shaggy ears of a lion. Ich
füge noch die Zeremonie der Zusammengebung des verliebten Paares
hinzu: The Surri or chief priest approached them, and in a deep voice
chanted the nuptial rites to the melodious grumbling of the Gom-Gom;
and at the same time (according to the manner of Caffraria) bedewed
them plentifully with the urinary benediction. The bride and
bridegroom rubbed in the precious stream with extasy, while the briny
drops trikled from their bodies; like the oozy surge from the rocks
of Chirigriqua.}
Mit dem Schrecklichen scheinet sich das Ekelhafte noch inniger
vermischen zu können. Was wir das Gräßliche nennen, ist nichts als
ein ekelhaftes Schreckliche. Dem Longin 4) mißfällt zwar in dem
Bilde der Traurigkeit beim Hesiodus 5) das ThV ek men rinvn muxai
reon; doch mich dünkt, nicht sowohl weil es ein ekler Zug ist, als
weil es ein bloß ekler Zug ist, der zum Schrecklichen nichts beiträgt.
Denn die langen über die Finger hervorragenden Nägel (makroi d'
onuceV ceiressin uphsan) scheinet er nicht tadeln zu wollen.
Gleichwohl sind lange Nägel nicht viel weniger ekel, als eine
fließende Nase. Aber die langen Nägel sind zugleich schrecklich;
denn sie sind es, welche die Wangen zerfleischen, daß das Blut davon
auf die Erde rinnet:
{4. Peri uyouV, tmhma h, p. 18. edit. T. Fabri.}
{5. Scut. Hercul. v. 266.}
--ek de pareivn
Aim' apeleibet' eraze--

Hingegen eine fließende Nase, ist weiter nichts als eine fließende
Nase; und ich rate der Traurigkeit nur, das Maul zuzumachen. Man
lese bei dem Sophokles die Beschreibung der Öden Höhle des
unglÜcklichen Philoktet. Da ist nichts von Lebensmitteln, nichts von
Bequemlichkeiten zu sehen; außer eine zertretene Streu von dürren
BlÄttern, ein unförmlicher hölzerner Becher, ein Feuergerät. Der
ganze Reichtum des kranken verlassenen Mannes! Womit vollendet der
Dichter dieses traurige fürchterliche Gemälde. Mit einem Zusatze von
Ekel. "Ha!" fährt Neoptolem auf einmal zusammen, "hier trockenen
zerrissene Lappen voll Blut und Eiter 6)!"
{6. Philoct. v. 31-39.}
NE. Orv kenhn oikhsin anJrwpwn dica.
OD. Oud' endon oikopoioV esti tiV trojh;
NE. Steipth ge jullaV wV enaulizonti tw.
OD. Ta d' all' erhma, kouden esJ' upostegon;
NE. Autoxulon g' ekpwma, jaulourgou tinoV
Tecnhmat' androV, kai purei' omou tade.
OD. Keinou to Jhsaurisma shmaineiV tode.
NE. Iou, iou· kai tauta g' alla Jalpetai
Rakh, bareiaV tou noshleiaV plea.

So wird auch beim Homer der geschleifte Hektor, durch das von Blut
und Staub entstellte Gesicht, und zusammenverklebte Haar,
Squallentem barbam et concretos sanguine crines,
(wie es Virgil ausdrÜckt 7)) ein ekler Gegenstand, aber eben dadurch
um so viel schrecklicher, um so viel rührender. Wer kann die Strafe
des Marsyas, beim Ovid, sich ohne Empfindung des Ekels denken 8)?
{7. Aeneid. lib. II. v. 277.}
{8. Metamorph. VI. v. 387.}
Clamanti cutis est summos derepta per artus:
Nec quidquam, nisi vulnus erat: cruor undique manat:
Detectique patent nervi: trepidaeque sine ulla
Pelle micant venae: salientia viscera possis,
Et perlucentes numerare in pectore fibras.

Aber wer empfindet auch nicht, daß das Ekelhafte hier an seiner
Stelle ist? Es macht das Schreckliche grÄßlich; und das Gräßliche
ist selbst in der Natur, wenn unser Mitleid dabei interessieret wird,
nicht ganz unangenehm; wie viel weniger in der Nachahmung? Ich will
die Exempel nicht häufen. Doch dieses muß ich noch anmerken, daß es
eine Art von Schrecklichem gibt, zu dem der Weg dem Dichter fast
einzig und allein durch das Ekelhafte offen stehet. Es ist das
Schreckliche des Hungers. Selbst im gemeinen Leben drÜcken wir die
äußerste Hungersnot nicht anders als durch die Erzählungen aller der
unnahrhaften, ungesunden und besonders ekeln Dinge aus, mit welchen
der Magen befriediget werden müssen. Da die Nachahmung nichts von
dem Gefühle des Hungers selbst in uns erregen kann, so nimmt sie zu
einem andern unangenehmen Gefühle ihre Zuflucht, welches wir im Falle
des empfindlichsten Hungers für das kleinere Übel erkennen. Dieses
sucht sie zu erregen, um uns aus der Unlust desselben schließen zu
lassen, wie stark jene Unlust sein müsse, bei der wir die
gegenwärtige gern aus der Acht schlagen würden. Ovid sagt von der
Oreade, welche Ceres an den Hunger abschickte 9):
{9. Ibid. lib. VIII. v. 809.}
Hanc (famem) procul ut vidit--
--refert mandata deae; paulumque morata,
Quanquam aberat longe, quanquam modo venerat illuc,
Visa tamen sensisse famem--

Eine unnatÜrliche Übertreibung! Der Anblick eines Hungrigen, und
wenn es auch der Hunger selbst wÄre, hat diese ansteckende Kraft
nicht; Erbarmen, und Greul, und Ekel, kann er empfinden lassen, aber
keinen Hunger. Diesen Greul hat Ovid in dem Gemälde der Fames nicht
gesparet, und in dem Hunger des Eresichthons sind, sowohl bei ihm,
als bei dem Kallimachus 10), die ekelhaften Züge die stärksten.
Nachdem Eresichthon alles aufgezehret, und auch der Opferkuh nicht
verschonet hatte, die seine Mutter der Vesta auffütterte, läßt ihn
Kallimachus über Pferde und Katzen herfallen, und auf den Straßen die
Brocken und schmutzigen Überbleibsel von fremden Tischen betteln:
{10. Hym. in Cererem. v. 109-116.}
Kai tan bvn ejagen, tan Estia etreje mathr,
Kai ton aeJlojoron kai ton polemhion ippon,
Kai tan ailouron, tan etreme Jeria mikka--
Kai toJ' o tv basilhoV eni triodoisi kaJhsto
Aitizwn akolwV te kai ekbola lumata daitoV--

Und Ovid lÄßt ihn zuletzt die Zähne in seine eigene Glieder setzen,
um seinen Leib mit seinem Leibe zu nähren.
Vis tamen illa mali postquam consumserat omnem
Materiam--
Ipse suos artus lacero divellere morsu
Coepit; et infelix minuendo corpus alebat.

Nur darum waren die hÄßlichen Harpyen so stinkend, so unflätig, daß
der Hunger, welchen ihre EntfÜhrung der Speisen bewirken sollte,
desto schrecklicher würde. Man hÖre die Klage des Phineus, beim
Apollonius 11):
{11. Argonaut. lib. II. v. 228-233.}
TutJon d' hn ara dh pot' edhtuoV ammi lipwsi,
Pnei tode mudaleon te kai ou tlhton menoV odmhV.
Ou ke tiV oude minunJa brotvn anscoito pelassaV,
Oud' ei oi adamantoV elhlamenon kear eih.
Alla me pikrh dhta ke daitoV episcei anagkh
Mimnein, kai mimnonta kakh en gasteri JesJai.

Ich mÖchte gern aus diesem Gesichtspunkte die ekele EinfÜhrung der
Harpyen beim Virgil entschuldigen; aber es ist kein wirklicher
gegenwÄrtiger Hunger, den sie verursachen, sondern nur ein
instehender, den sie prophezeien; und noch dazu löset sich die ganze
Prophezeiung endlich in ein Wortspiel auf. Auch Dante bereitet uns
nicht nur auf die Geschichte von der Verhungerung des Ugolino, durch
die ekelhafteste, gräßlichste Stellung, in die er ihn mit seinem
ehemaligen Verfolger in der Hölle setzet; sondern auch die
Verhungerung selbst ist nicht ohne Züge des Ekels, der uns besonders
da sehr merklich überfällt, wo sich die Söhne dem Vater zur Speise
anbieten. In der Note will ich noch eine Stelle aus einem
Schauspiele von Beaumont und Fletcher anführen, die statt aller
andern Beispiele hätte sein können, wenn ich sie nicht für ein wenig
zu übertrieben erkennen müßte 12).
{12. The Sea-Voyage Act. III. Sc. 1. Ein französischer Seeräuber
wird mit seinem Schiffe an eine wüste Insel verschlagen. Habsucht
und Neid entzweien seine Leute und schaffen ein paar Elenden, welche
auf dieser Insel geraume Zeit der äußersten Not ausgesetzt gewesen,
Gelegenheit, mit dem Schiffe in die See zu stechen. Alles Vorrates
an Lebensmitteln sonach auf einmal beraubet, sehen jene Nichtswürdige
gar bald den schmählichsten Tod vor Augen, und einer drückt gegen den
andern seinen Hunger und seine Verzweiflung folgendergestalt aus:
Lamure.
Oh, what a tempest have I in my stomach!
How my empty guts cry out! My wounds ake,
Would they would bleed again, that I might get
Something to quench my thirst.
Franville.
O Lamure, the happiness my dogs had
When I kept house at home! They had a storehouse,
A storehouse of most blessed bones and crusts,
Happy crusts. Oh, how sharp hunger pinches me!--
Franville.
How now, what news?
Morillat.
Hast any meat yet?
Franville.
Not a bit that I can see;
Here be goodly quarries, but they be cruel hard
To gnaw: I ha' got some mud, we'll eat it with spoons,
Very good thick mud; bot it stinks damnably,
There's old rotten trunks of trees too,
Bot not a leaf nor blossom in all the island.
Lamure.
How it looks!
Morillat.
It stinks too.
Lamure.
It may be poison.
Franville.
Let it be any thing;
So I can get it down. Why man,
Poison's a princely dish.
Morillat.
Hast thou no bisket?
No crumbs left in thy pocket? Here is my doublet,
Give me but three small crumbs.
Franville.
Not for three kingdoms,
You have read 1 text from German literature.
Next - Laokoon: Oder, Über die Grenzen der Malerei und Poesie - 13
  • Parts
  • Laokoon: Oder, Über die Grenzen der Malerei und Poesie - 01
    Total number of words is 4167
    Total number of unique words is 1551
    36.8 of words are in the 2000 most common words
    48.8 of words are in the 5000 most common words
    53.2 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Laokoon: Oder, Über die Grenzen der Malerei und Poesie - 02
    Total number of words is 4166
    Total number of unique words is 1566
    34.9 of words are in the 2000 most common words
    45.8 of words are in the 5000 most common words
    50.6 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Laokoon: Oder, Über die Grenzen der Malerei und Poesie - 03
    Total number of words is 4111
    Total number of unique words is 1691
    29.1 of words are in the 2000 most common words
    39.1 of words are in the 5000 most common words
    43.5 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Laokoon: Oder, Über die Grenzen der Malerei und Poesie - 04
    Total number of words is 4211
    Total number of unique words is 1681
    28.2 of words are in the 2000 most common words
    37.0 of words are in the 5000 most common words
    41.7 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Laokoon: Oder, Über die Grenzen der Malerei und Poesie - 05
    Total number of words is 4296
    Total number of unique words is 1526
    35.2 of words are in the 2000 most common words
    45.9 of words are in the 5000 most common words
    49.7 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Laokoon: Oder, Über die Grenzen der Malerei und Poesie - 06
    Total number of words is 4271
    Total number of unique words is 1563
    32.1 of words are in the 2000 most common words
    42.3 of words are in the 5000 most common words
    46.7 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Laokoon: Oder, Über die Grenzen der Malerei und Poesie - 07
    Total number of words is 4290
    Total number of unique words is 1527
    35.2 of words are in the 2000 most common words
    46.6 of words are in the 5000 most common words
    51.9 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Laokoon: Oder, Über die Grenzen der Malerei und Poesie - 08
    Total number of words is 4255
    Total number of unique words is 1599
    30.9 of words are in the 2000 most common words
    40.6 of words are in the 5000 most common words
    46.0 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Laokoon: Oder, Über die Grenzen der Malerei und Poesie - 09
    Total number of words is 4246
    Total number of unique words is 1631
    33.1 of words are in the 2000 most common words
    44.1 of words are in the 5000 most common words
    48.9 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Laokoon: Oder, Über die Grenzen der Malerei und Poesie - 10
    Total number of words is 4236
    Total number of unique words is 1780
    29.5 of words are in the 2000 most common words
    39.1 of words are in the 5000 most common words
    43.9 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Laokoon: Oder, Über die Grenzen der Malerei und Poesie - 11
    Total number of words is 4210
    Total number of unique words is 1652
    32.0 of words are in the 2000 most common words
    42.0 of words are in the 5000 most common words
    46.4 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Laokoon: Oder, Über die Grenzen der Malerei und Poesie - 12
    Total number of words is 4198
    Total number of unique words is 1752
    25.5 of words are in the 2000 most common words
    33.1 of words are in the 5000 most common words
    37.0 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Laokoon: Oder, Über die Grenzen der Malerei und Poesie - 13
    Total number of words is 4141
    Total number of unique words is 1485
    31.2 of words are in the 2000 most common words
    39.6 of words are in the 5000 most common words
    43.9 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Laokoon: Oder, Über die Grenzen der Malerei und Poesie - 14
    Total number of words is 3385
    Total number of unique words is 1366
    32.4 of words are in the 2000 most common words
    41.7 of words are in the 5000 most common words
    45.8 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.