Laokoon: Oder, Über die Grenzen der Malerei und Poesie - 04

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{2. Donatus ad v. 227. lib. II. Aeneid. Mirandum non est, clipeo et
simulacri vestigiis tegi potuisse, quos supra et longos et validos
dixit, et multiplici ambitu circumdedisse Laocoontis corpus ac
liberorum, et fuisse superfluam partem. Mich dünkt übrigens, daß in
dieser Stelle aus den Worten mirandum non est entweder das non
wegfallen muß oder am Ende der ganze Nachsatz mangelt. Denn da die
Schlangen so außerordentlich groß waren, so ist es allerdings zu
verwundern, daß sie sich unter dem Schilde der Göttin verbergen
können, wenn dieses Schild nicht selbst sehr groß war und zu einer
kolossalischen Figur gehörte. Und die Versicherung hievon mußte der
mangelnde Nachsatz sein; oder das non hat keinen Sinn.}
In den Windungen selbst, mit welchen der Dichter die Schlangen um den
Laokoon führet, vermeidet er sehr sorgfältig die Arme, um den Händen
alle ihre Wirksamkeit zu lassen.
Ille simul manibus tendit divellere nodos.
Hierin mußten ihm die Künstler notwendig folgen. Nichts gibt mehr
Ausdruck und Leben, als die Bewegung der Hände; im Affekte besonders,
ist das sprechendste Gesicht ohne sie unbedeutend. Arme, durch die
Ringe der Schlangen fest an den Körper geschlossen, würden Frost und
Tod über die ganze Gruppe verbreitet haben. Also sehen wir sie, an
der Hauptfigur sowohl als an den Nebenfiguren, in völliger Tätigkeit,
und da am meisten beschäftiget, wo gegenwärtig der heftigste Schmerz
ist.
Weiter aber auch nichts, als diese Freiheit der Arme, fanden die
Künstler zuträglich, in Ansehung der Verstrickung der Schlangen, von
dem Dichter zu entlehnen. Virgil läßt die Schlangen doppelt um den
Leib, und doppelt um den Hals des Laokoon sich winden, und hoch mit
ihren Köpfen über ihn herausragen.
Bis medium amplexi, bis collo squamea circum Terga dati, superant
capite er cervicibus altis.

Dieses Bild füllet unsere Einbildungskraft vortrefflich; die edelsten
Teile sind bis zum Ersticken gepreßt, und das Gift gehet gerade nach
dem Gesichte. Demohngeachtet war es kein Bild für Künstler, welche
die Wirkungen des Giftes und des Schmerzes in dem Körper zeigen
wollten. Denn um diese bemerken zu können, mußten die Hauptteile so
frei sein als möglich, und durchaus mußte kein äußrer Druck auf sie
wirken, welcher das Spiel der leidenden Nerven und arbeitenden
Muskeln verändern und schwächen könnte. Die doppelten Windungen der
Schlangen würden den ganzen Leib verdeckt haben, und jene
schmerzliche Einziehung des Unterleibes, welche so sehr ausdrückend
ist, würde unsichtbar geblieben sein. Was man über, oder unter, oder
zwischen den Windungen, von dem Leibe noch erblickt hätte, würde
unter Pressungen und Aufschwellungen erschienen sein, die nicht von
dem innern Schmerze, sondern von der äußern Last gewirket worden.
Der ebenso oft umschlungene Hals würde die pyramidalische Zuspitzung
der Gruppe, welche dem Auge so angenehm ist, gänzlich verdorben haben;
und die aus dieser Wulst ins Freie hinausragende spitze
Schlangenköpfe hätten einen so plötzlichen Abfall von Mensur gehabt,
daß die Form des Ganzen äußerst anstößig geworden wäre. Es gibt
Zeichner, welche unverständig genug gewesen sind, sich demohngeachtet
an den Dichter zu binden. Was denn aber auch daraus geworden, läßt
sich unter andern aus einem Blatte des Franz Cleyn 3) mit Abscheu
erkennen. Die alten Bildhauer übersahen es mit einem Blicke, daß
ihre Kunst hier eine gänzliche Abänderung erfordere. Sie verlegten
alle Windungen von dem Leibe und Halse, um die Schenkel und Füße.
Hier konnten diese Windungen, dem Ausdrucke unbeschadet, so viel
decken und pressen, als nötig war. Hier erregten sie zugleich die
Idee der gehemmten Flucht und einer Art von Unbeweglichkeit, die der
künstlichen Fortdauer des nämlichen Zustandes sehr vorteilhaft ist.
{3. In der prächtigen Ausgabe von Drydens englischem Virgil. (London
1697 in groß Folio.) Und doch hat auch dieser die Windungen der
Schlangen um den Leib nur einfach, und um den Hals fast gar nicht
geführt. Wenn ein so mittelmäßiger Künstler anders eine
Entschuldigung verdient, so könnte ihm nur die zustatten kommen, daß
Kupfer zu einem Buche als bloße Erläuterungen, nicht aber als für
sich bestehende Kunstwerke zu betrachten sind.}
Ich weiß nicht, wie es gekommen, daß die Kunstrichter diese
Verschiedenheit, welche sich in den Windungen der Schlangen zwischen
dem Kunstwerke und der Beschreibung des Dichters so deutlich zeiget,
gänzlich mit Stillschweigen übergangen haben. Sie erhebet die
Weisheit der Künstler ebensosehr als die andre, auf die sie alle
fallen, die sie aber nicht sowohl anzupreisen wagen, als vielmehr nur
zu entschuldigen suchen. Ich meine die Verschiedenheit in der
Bekleidung. Virgils Laokoon ist in seinem priesterlichen Ornate, und
in der Gruppe erscheinet er, mit beiden seinen Söhnen, völlig nackend.
Man sagt, es gebe Leute, welche eine große Ungereimtheit darin
fänden, daß ein Königssohn, ein Priester, bei einem Opfer, nackend
vorgestellet werde. Und diesen Leuten antworten Kenner der Kunst in
allem Ernste, daß es allerdings ein Fehler wider das übliche sei, daß
aber die Künstler dazu gezwungen worden, weil sie ihren Figuren keine
anständige Kleidung geben können. Die Bildhauerei, sagen sie, könne
keine Stoffe nachahmen; dicke Falten machten ein üble Wirkung; aus
zwei Unbequemlichkeiten habe man also die geringste wählen, und
lieber gegen die Wahrheit selbst verstoßen, als in den Gewändern
tadelhaft werden müssen 4). Wenn die alten Artisten bei dem Einwurfe
lachen würden, so weiß ich nicht, was sie zu der Beantwortung sagen
dürften. Man kann die Kunst nicht tiefer herabsetzen, als es dadurch
geschiehet. Denn gesetzt, die Skulptur könnte die verschiednen
Stoffe ebensogut nachahmen, als die Malerei: würde sodann Laokoon
notwendig bekleidet sein müssen? Würden wir unter dieser Bekleidung
nichts verlieren? Hat ein Gewand, das Werk sklavischer Hände,
ebensoviel Schönheit als das Werk der ewigen Weisheit, ein
organisierter Körper? Erfordert es einerlei Fähigkeiten, ist es
einerlei Verdienst, bringt es einerlei Ehre, jenes oder diesen
nachzuahmen? Wollen unsere Augen nur getäuscht sein, und ist es
ihnen gleich viel, womit sie getäuscht werden?
{4. So urteilet selbst De Piles in seinen Anmerkungen über den Du
Fresnoy v. 210. Remarquez, s'il vous plaît, que les draperies tendres
et légères n'étant données qu'au sexe féminin, les anciens sculpteurs
ont évité autant qu'ils ont pu, d'habiller les figures d'hommes;
parce qu'ils ont pensé, comme nous l'avons déjà dit, qu'en sculpture
on ne pouvait imiter les étoffes et que les gros plis faisaient un
mauvais effet. Il y a presque autant d'exemples de cette vérité,
qu'il y a parmi les antiques de figures d'hommes nus. Je rapporterai
seulement celui du Laocoon, lequel selon la vraisemblance devrait
être vêtu. En effet, quelle apparence y-a-t-il qu'un fils de roi,
qu'un prêtre d'Apollon se trouvât tout nu dans la cérémonie actuelle
d'un sacrifice; car les serpents passèrent de l'île de Ténédos au
rivage de Troie, et surprirent Laocoon et ses fils dans le temps même
qu'il sacrifiait à Neptune sur le bord de la mer, comme le marque
Virgile dans le second livre de son Enéide. Cependant les artistes,
qui sont les auteurs de ce bel ouvrage, ont bien vu, qu'ils ne
pouvaient pas leur donner de vêtements convenables à leur qualité,
sans faire comme un amas de pierres, dont la masse ressemblerait à un
rocher, au lieu des trois admirables figures, qui ont été et qui sont
toujours l'admiration des siècles. C'est pour cela que de deux
inconvénients, ils ont jugé celui des draperies beaucoup plus fâcheux,
que celui d'aller contre la vérité même.}
Bei dem Dichter ist ein Gewand kein Gewand; es verdeckt nichts;
unsere Einbildungskraft sieht überall hindurch. Laokoon habe es bei
dem Virgil, oder habe es nicht, sein Leiden ist ihr an jedem Teile
seines Körpers einmal so sichtbar, wie das andere. Die Stirne ist
mit der priesterlichen Binde für sie umbunden, aber nicht umhüllet.
Ja sie hindert nicht allein nicht, diese Binde; sie verstärkt auch
noch den Begriff, den wir uns von dem Unglücke des Leidenden machen.
Perfusus sanie vittas atroque veneno.
Nichts hilft ihm seine priesterliche Würde; selbst das Zeichen
derselben, das ihm überall Ansehen und Verehrung verschafft, wird von
dem giftigen Geifer durchnetzt und entheiliget.
Aber diesen Nebenbegriff mußte der Artist aufgeben, wenn das
Hauptwerk nicht leiden sollte. Hätte er dem Laokoon auch nur diese
Binde gelassen, so würde er den Ausdruck um ein Großes geschwächt
haben. Die Stirne wäre zum Teil verdeckt worden, und die Stirne ist
der Sitz des Ausdruckes. Wie er also dort, bei dem Schreien, den
Ausdruck der Schönheit aufopferte, so opferte er hier das Übliche dem
Ausdrucke auf. Überhaupt war das Übliche bei den Alten eine sehr
geringschätzige Sache. Sie fühlten, daß die höchste Bestimmung ihrer
Kunst sie auf die völlige Entbehrung desselben führte. Schönheit ist
diese höchste Bestimmung; Not erfand die Kleider, und was hat die
Kunst mit der Not zu tun? Ich gebe es zu, daß es auch eine Schönheit
der Bekleidung gibt; aber was ist sie, gegen die Schönheit der
menschlichen Form? Und wird der, der das Größere erreichen kann,
sich mit dem Kleinern begnügen? Ich fürchte sehr, der vollkommenste
Meister in Gewändern zeigt durch diese Geschicklichkeit selbst, woran
es ihm fehlt.

VI.

Meine Voraussetzung, daß die Künstler dem Dichter nachgeahmt haben,
gereicht ihnen nicht zur Verkleinerung. Ihre Weisheit erscheinet
vielmehr durch diese Nachahmung in dem schönsten Lichte. Sie folgten
dem Dichter, ohne sich in der geringsten Kleinigkeit von ihm
verführen zu lassen. Sie hatten ein Vorbild, aber da sie dieses
Vorbild aus einer Kunst in die andere hinübertragen mußten, so fanden
sie genug Gelegenheit selbst zu denken. Und diese ihre eigene
Gedanken, welche sich in den Abweichungen von ihrem Vorbilde zeigen,
beweisen, daß sie in ihrer Kunst ebenso groß gewesen sind, als er in
der seinigen.
Nun will ich die Voraussetzung umkehren: der Dichter soll den
Künstlern nachgeahmt haben. Es gibt Gelehrte, die diese
Voraussetzung als eine Wahrheit behaupten 1). Daß sie historische
Gründe dazu haben könnten, wüßte ich nicht. Aber, da sie das
Kunstwerk so überschwenglich schön fanden, so konnten sie sich nicht
bereden, daß es aus so später Zeit sein sollte. Es mußte aus der
Zeit sein, da die Kunst in ihrer vollkommensten Blüte war, weil es
daraus zu sein verdiente.
{1. Maffei, Richardson und noch neuerlich der Herr von Hagedorn.
("Betrachtungen über die Malerei" S. 37. Richardson, Traité de la
peinture. Tome III. p. 513.) De Fontaines verdient es wohl nicht,
daß ich ihn diesen Männern beifüge. Er hält zwar, in den Anmerkungen
zu seiner Übersetzung des Virgils, gleichfalls dafür, daß der Dichter
die Gruppe in Augen gehabt habe; er ist aber so unwissend, daß er sie
für ein Werk des Phidias ausgibt.}
Es hat sich gezeigt, daß, so vortrefflich das Gemälde des Virgils ist,
die Künstler dennoch verschiedene Züge desselben nicht brauchen
können. Der Satz leidet also seine Einschränkung, daß eine gute
poetische Schilderung auch ein gutes wirkliches Gemälde geben müsse,
und daß der Dichter nur insoweit gut geschildert habe, als ihm der
Artist in allen Zügen folgen könne. Man ist geneigt, diese
Einschränkung zu vermuten, noch ehe man sie durch Beispiele erhärtet
sieht; bloß aus Erwägung der weitern Sphäre der Poesie, aus dem
unendlichen Felde unserer Einbildungskraft, aus der Geistigkeit ihrer
Bilder, die in größter Menge und Mannigfaltigkeit nebeneinander
stehen können, ohne daß eines das andere deckt oder schändet, wie es
wohl die Dinge selbst, oder die natürlichen Zeichen derselben in den
engen Schranken des Raumes oder der Zeit tun würden.
Wenn aber das Kleinere das Größere nicht fassen kann, so kann das
Kleinere in dem Größern enthalten sein. Ich will sagen; wenn nicht
jeder Zug, den der malende Dichter braucht, eben die gute Wirkung auf
der Fläche oder in dem Marmor haben kann: so möchte vielleicht jeder
Zug, dessen sich der Artist bedienet, in dem Werke des Dichters von
ebenso guter Wirkung sein können? Ohnstreitig; denn was wir in einem
Kunstwerke schön finden, das findet nicht unser Auge, sondern unsere
Einbildungskraft, durch das Auge, schön. Das nämliche Bild mag also
in unserer Einbildungskraft durch willkürliche oder natürliche
Zeichen wieder erregt werden, so muß auch jederzeit das nämliche
Wohlgefallen, obschon nicht in dem nämlichen Grade, wieder entstehen.
Dieses aber eingestanden, muß ich bekennen, daß mir die Voraussetzung,
Virgil habe die Künstler nachgeahmet, weit unbegreiflicher wird, als
mir das Widerspiel derselben geworden ist. Wenn die Künstler dem
Dichter gefolgt sind, so kann ich mir von allen ihren Abweichungen
Rede und Antwort geben. Sie mußten abweichen, weil die nämlichen
Züge des Dichters in ihrem Werke Unbequemlichkeiten verursacht haben
würden, die sich bei ihm nicht äußern. Aber warum mußte der Dichter
abweichen? Wann er der Gruppe in allen und jeden Stücken treulich
nachgegangen wäre, würde er uns nicht immer noch ein vortreffliches
Gemälde geliefert haben 2)? Ich begreife wohl, wie seine vor sich
selbst arbeitende Phantasie ihn auf diesen und jenen Zug bringen
können; aber die Ursachen, warum seine Beurteilungskraft schöne Züge,
die er vor Augen gehabt, in diese andere Züge verwandeln zu müssen
glaubte, diese wollen mir nirgends einleuchten.
{2. Ich kann mich desfalls auf nichts Entscheidenderes berufen, als
auf das Gedichte des Sadolet. Es ist eines alten Dichters würdig,
und da es sehr wohl die Stelle eines Kupfers vertreten kann, so
glaube ich es hier ganz einrücken zu dürfen.
DE LAOCOONTIS STATUA
JACOBI SADOLETI CARMEN.
Ecce alto terrae e cumulo, ingentisque ruinae
Visceribus, iterum reducem longinqua reduxit
Laocoonta dies; aulis regalibus olim
Qui stetit, atque tuos ornabat, Tite, penates.
Divinae simulacrum artis, nec docta vetustas
Nobilius spectabat opus, nunc celsa revisit
Exemptum tenebris redivivae moenia Romae.
Quid primum summumve loquar? miserumne parentem
Et prolem geminam? an sinuatos flexibus angues
Terribili aspectu? caudasque irasque draconum
Vulneraque et veros, saxo moriente, dolores?
Horret ad haec animus, mutaque ab imagine pulsat
Pectora non parvo pietas commixta tremori.
Prolixum bini spiris glomerantur in orbem
Ardentes colubri, et sinuosis orbibus errant
Ternaque multiplici constringunt corpora nexu.
Vix oculi sufferre valent, crudele tuendo
Exitium, casusque feros: micat alter, et ipsum
Laocoonta petit, totumque infraque supraque
Implicat er rabido tandem ferit ilia morsu.
Connexum refugit corpus, torquentia sese
Membra, latusque retro sinuatum a vulnere cernas
Ille dolore acri, et laniatu impulsus acerbo,
Dat gemitum ingentem, crudosque evellere dentes
Connixus, laevam impatiens ad terga Chelydri
Objicit: intendunt nervi, collectaque ab omni
Corpore vis frustra summis conatibus instat.
Ferre nequit rabiem, et de vulnere murmur anhelum est.
At serpens lapsu crebro redeunte subintrat
Lubricus, intortoque ligat genua infima nodo.
Absistunt surae, spirisque prementibus arctum
Crus tumet, obsepto turgent vitalia pulsu,
Liventesque atro distendunt sanguine venas.
Nec minus in natos eadem vis effera saevit
Implexuque angit rapido, miserandaque membra
Dilacerat: jamque alterius depasta cruentum
Pectus, suprema genitorem voce cientis,
Circumjectu orbis, validoque volumine fulcit.
Alter adhuc nullo violatus corpora morsu,
Dum parat adducta caudam divellere planta,
Horret ad adspectum miseri patris, haeret in illo,
Er jam jam ingentes fletus, lacrimasque cadentes
Anceps in dubio retinet timor. Ergo perenni
Qui tantum statuistis opus jam laude nitentes,
Artifices magni (quanquam et melioribus actis
Quaeritur aeternum nomen, multoque licebat
Clarius ingenium venturae tradere famae)
Attamen ad laudem quaecunque oblata facultas
Egregium hanc rapere, et summa ad fastigia niti.
Vos rigidum lapidem vivis animare figuris
Eximii, et vivos spiranti in marmore sensus
Inserere, aspicimus motumque iramque doloremque,
Et paene audimus gemitus: vos extulit olim
Clara Rhodos, vestrac jacuerunt artis honores
Tempore ab immenso, quos rursum in luce secunda
Roma videt, celebratque frequens: operisque vetusti
Gratia parta recens. Quanto praestantius ergo est
Ingenio, aut quovis extendere fata labore,
Quam fastus et opes et inanem extendere luxum.

(v. Leodegarii a Quercu Farrago poematum T. II. p. 63.) Auch Gruter
hat dieses Gedicht, nebst andern des Sadolets, seiner bekannten
Sammlung (Delic. Poet. Italorum Parte alt. p. 582) mit einverleibet;
allein sehr fehlerhaft. FÜr bini (v. 14) lieset er vivi; für errant
(v. 15) oram usw.}
Mich dünket sogar, wenn Virgil die Gruppe zu seinem Vorbilde gehabt
hÄtte, daß er sich schwerlich würde haben mäßigen kÖnnen, die
Verstrickung aller drei Körper in einen Knoten gleichsam nur erraten
zu lassen. Sie würde sein Auge zu lebhaft gerührt haben, er würde
eine zu treffliche Wirkung von ihr empfunden haben, als daß sie nicht
auch in seiner Beschreibung mehr vorstechen sollte. Ich habe gesagt:
es war itzt die Zeit nicht, diese Verstrickung auszumalen. Nein;
aber ein einziges Wort mehr würde ihr in dem Schatten, worin sie der
Dichter lassen mußte, einen sehr entscheidenden Druck vielleicht
gegeben haben. Was der Artist, ohne dieses Wort, entdecken konnte,
würde der Dichter, wenn er es bei dem Artisten gesehen hätte, nicht
ohne dasselbe gelassen haben.
Der Artist hatte die dringendsten Ursachen, das Leiden des Laokoon
nicht in Geschrei ausbrechen zu lassen. Wenn aber der Dichter die so
rührende Verbindung von Schmerz und Schönheit in dem Kunstwerke vor
sich gehabt hätte, was hätte ihn ebenso unvermeidlich nötigen können,
die Idee von männlichem Anstande und großmütiger Geduld, welche aus
dieser Verbindung des Schmerzes und der Schönheit entspringt, so
völlig unangedeutet zu lassen, und uns auf einmal mit dem gräßlichen
Geschrei seines Laokoons zu schrecken? Richardson sagt: Virgils
Laokoon muß schreien, weil der Dichter nicht sowohl Mitleid für ihn,
als Schrecken und Entsetzen bei den Trojanern, erregen will. Ich
will es zugeben, obgleich Richardson nicht erwogen zu haben scheinet,
daß der Dichter die Beschreibung nicht in seiner eignen Person macht,
sondern sie den Aeneas machen läßt, und gegen die Dido machen läßt,
deren Mitleid Aeneas nicht genug bestürmen konnte. Allein mich
befremdet nicht das Geschrei, sondern der Mangel aller Gradation bis
zu diesem Geschrei, auf welche das Kunstwerk den Dichter
natürlicherweise hätte bringen müssen, wann er es, wie wir
voraussetzen, zu seinem Vorbilde gehabt hätte. Richardson füget
hinzu 3): die Geschichte des Laokoon solle bloß zu der pathetischen
Beschreibung der endlichen Zerstörung leiten; der Dichter habe sie
also nicht interessanter machen dürfen, um unsere Aufmerksamkeit,
welche diese letzte schreckliche Nacht ganz fordere, durch das
Unglück eines einzeln Bürgers nicht zu zerstreuen. Allein das heißt
die Sache aus einem malerischen Augenpunkte betrachten wollen, aus
welchem sie gar nicht betrachtet werden kann. Das Unglück des
Laokoon und die Zerstörung sind bei dem Dichter keine Gemälde
nebeneinander; sie machen beide kein Ganzes aus, das unser Auge auf
einmal übersehen könnte oder sollte; und nur in diesem Falle wäre es
zu besorgen, daß unsere Blicke mehr auf den Laokoon, als auf die
brennende Stadt fallen dürften. Beider Beschreibungen folgen
aufeinander, und ich sehe nicht, welchen Nachteil es der folgenden
bringen könnte, wenn uns die vorhergehende auch noch so sehr gerührt
hätte. Es sei denn, daß die folgende an sich selbst nicht rührend
genug wäre.
{3. De la peinture, Tome III. p. 516. C'est l'horreur que les Troiens
ont conçue contre Laocoon, qui était nécessaire à Virgile pour la
conduite de son poème; et cela le mène à cette description pathétique
de la destruction de la patrie de son héros. Aussi Virgile n'avait
garde de diviser l'attention sur la dernière nuit, pour une grande
ville entière, par la peinture d'un petit malheur d'un particulier.}
Noch weniger Ursache würde der Dichter gehabt haben, die Windungen
der Schlangen zu verändern. Sie beschäftigen in dem Kunstwerke die
Hände, und verstricken die Füße. So sehr dem Auge diese Verteilung
gefällt, so lebhaft ist das Bild, welches in der Einbildung davon
zurückbleibt. Es ist so deutlich und rein, daß es sich durch Worte
nicht viel schwächer darstellen läßt, als durch natürliche Zeichen.
--micat alter, et ipsum
Laocoonta petit, totumque infraque supraque
Implicat et rabido tandem ferit ilia morsu
------
At serpens lapsu crebro redeunte subintrat
Lubricus, intortoque ligat genua infima nodo.

Das sind Zeilen des Sadolet, die von dem Virgil ohne Zweifel noch
malerischer gekommen wÄren, wenn ein sichtbares Vorbild seine
Phantasie befeuert hätte, und die alsdann gewiß besser gewesen wären,
als was er uns itzt dafÜr gibt:
Bis medium amplexi, bis collo squamea circum
Terga dati, superant capite et cervicibus altis.

Diese ZÜge füllen unsere Einbildungskraft allerdings; aber sie muß
nicht dabei verweilen, sie muß sie nicht aufs reine zu bringen suchen,
sie muß itzt nur die Schlangen, itzt nur den Laokoon sehen, sie muß
sich nicht vorstellen wollen, welche Figur beide zusammen machen.
Sobald sie hierauf verfÄllt, fängt ihr das Virgilische Bild an zu
mißfallen, und sie findet es hÖchst unmalerisch.
Wären aber auch schon die Veränderungen, welche Virgil mit dem ihm
geliehenen Vorbilde gemacht hätte, nicht unglücklich, so wären sie
doch bloß willkürlich. Man ahmet nach, um ähnlich zu werden; kann
man aber ähnlich werden, wenn man über die Not verändert? Vielmehr
wenn man dieses tut, ist der Vorsatz klar, daß man nicht ähnlich
werden wollen, daß man also nicht nachgeahmt habe.
Nicht das Ganze, könnte man einwenden, aber wohl diesen und jenen
Teil. Gut; doch welches sind denn diese einzeln Teile, die in der
Beschreibung und in dem Kunstwerke so genau übereinstimmen, daß sie
der Dichter aus diesem entlehnet zu haben scheinen könnte? Den Vater,
die Kinder, die Schlangen, das alles gab dem Dichter sowohl als dem
Artisten, die Geschichte. Außer dem Historischen kommen sie in
nichts überein, als darin, daß sie Kinder und Vater in einen einzigen
Schlangenknoten verstricken. Allein der Einfall hierzu entsprang aus
dem veränderten Umstande, daß den Vater eben dasselbe Unglück
betroffen habe, als die Kinder. Diese Veränderung aber, wie oben
erwähnt worden, scheinet Virgil gemacht zu haben; denn die
griechische Tradition sagt ganz etwas anders. Folglich, wenn in
Ansehung jener gemeinschaftlichen Verstrickung, auf einer oder der
andern Seite Nachahmung sein soll, so ist sie wahrscheinlicher auf
der Seite der Künstler, als des Dichters zu vermuten. In allem
übrigen weicht einer von dem andern ab; nur mit dem Unterschiede, daß
wenn es der Künstler ist, der die Abweichungen gemacht hat, der
Vorsatz den Dichter nachzuahmen noch dabei bestehen kann, indem ihn
die Bestimmung und die Schranken seiner Kunst dazu nötigten; ist es
hingegen der Dichter, welcher dem Künstler nachgeahmt haben soll, so
sind alle die berührten Abweichungen ein Beweis wider diese
vermeintliche Nachahmung, und diejenigen, welche sie demohngeachtet
behaupten, können weiter nichts damit wollen, als daß das Kunstwerk
älter sei, als die poetische Beschreibung.

VII.

Wenn man sagt, der Künstler ahme dem Dichter, oder der Dichter ahme
dem Künstler nach, so kann dieses zweierlei bedeuten. Entweder der
eine macht das Werk des andern zu dem wirklichen Gegenstande seiner
Nachahmung, oder sie haben beide einerlei Gegenstände der Nachahmung,
und der eine entlehnet von dem andern die Art und Weise es
nachzuahmen.
Wenn Virgil das Schild des Aeneas beschreibst, so ahmet er dem
Künstler, welcher dieses Schild gemacht hat, in der ersten Bedeutung
nach. Das Kunstwerk, nicht das was auf dem Kunstwerke vorgestellet
worden, ist der Gegenstand seiner Nachahmung, und wenn er auch schon
das mitbeschreibt, was man darauf vorgestellet sieht, so beschreibt
er es doch nur als ein Teil des Schildes, und nicht als die Sache
selbst. Wenn Virgil hingegen die Gruppe Laokoon nachgeahmet hätte,
so würde dieses eine Nachahmung von der zweiten Gattung sein. Denn
er würde nicht diese Gruppe, sondern das, was diese Gruppe vorstellet,
nachgeahmt, und nur die Züge seiner Nachahmung von ihr entlehnt
haben.
Bei der ersten Nachahmung ist der Dichter Original, bei der andern
ist er Kopist. Jene ist ein Teil der allgemeinen Nachahmung, welche
das Wesen seiner Kunst ausmacht, und er arbeitet als Genie, sein
Vorwurf mag ein Werk anderer Künste, oder der Natur sein. Diese
hingegen setzt ihn gänzlich von seiner Würde herab; anstatt der Dinge
selbst ahmet er ihre Nachahmungen nach, und gibt uns kalte
Erinnerungen von Zügen eines fremden Genies, für ursprüngliche Züge
seines eigenen.
Wenn indes Dichter und Künstler diejenigen Gegenstände, die sie
miteinander gemein haben, nicht selten aus dem nämlichen
Gesichtspunkte betrachten müssen: so kann es nicht fehlen, daß ihre
Nachahmungen nicht in vielen Stücken übereinstimmen sollten, ohne daß
zwischen ihnen selbst die geringste Nachahmung oder Beeiferung
gewesen. Diese Übereinstimmungen können bei zeitverwandten Künstlern
und Dichtern, über Dinge, welche nicht mehr vorhanden sind, zu
wechselsweisen Erläuterungen führen; allein dergleichen Erläuterungen
dadurch aufzustutzen suchen, daß man aus dem Zufalle Vorsatz macht,
und besonders dem Poeten bei jeder Kleinigkeit ein Augenmerk auf
diese Statue, oder auf jenes Gemälde andichtet, heißt ihm einen sehr
zweideutigen Dienst erweisen. Und nicht allein ihm, sondern auch dem
Leser, dem man die schönste Stelle dadurch, wenn Gott will, sehr
deutlich, aber auch trefflich frostig macht.
Dieses ist die Absicht und der Fehler eines berühmten englischen
Werks. Spence schrieb seinen "Polymetis" 1) mit vieler klassischen
Gelehrsamkeit, und in einer sehr vertrauten Bekanntschaft mit den
übergebliebenen Werken der alten Kunst. Seinen Vorsatz, aus diesen
die römischen Dichter zu erklären, und aus den Dichtern hinwiederum
Aufschlüsse für noch unerklärte alte Kunstwerke herzuholen, hat er
öfters glücklich erreicht. Aber demohngeachtet behaupte ich, daß
sein Buch für jeden Leser von Geschmack ein ganz unerträgliches Buch
sein muß.
{1. Die erste Ausgabe ist von 1747; die zweite von 1755 und führet
den Titel: Polymetis, or an enquiry concerning the agreement between
the works of the Roman poets, and the remains of the ancient artists,
being an attempt to illustrate them mutually from one another. In
ten books, by the Revd. Mr. Spence. London, printed for Dodsley.
fol. Auch ein Auszug, welchen N. Tindal aus diesem Werke gemacht hat,
ist bereits mehr als einmal gedruckt worden.}
Es ist natürlich, daß wenn Valerius Flaccus den geflügelten Blitz auf
den römischen Schilden beschreibt,
(Nec primus radios, miles Romane, corusci Fulminis et rutilas scutis
diffuderis alas)

mir diese Beschreibung weit deutlicher wird, wenn ich die Abbildung
eines solchen Schildes auf einem alten Denkmale erblicke 2). Es kann
sein, daß Mars in eben der schwebenden Stellung, in welcher ihn
Addison über der Rhea auf einer Münze zu sehen glaubte 3), auch von
den alten Waffenschmieden auf den Helmen und Schilden vorgestellet
wurde, und daß Juvenal einen solchen Helm oder Schild in Gedanken
hatte, als er mit einem Worte darauf anspielte, welches bis auf den
Addison ein Rätsel für alle Ausleger gewesen. Mich dünkt selbst, daß
ich die Stelle des Ovids, wo der ermattete Cephalus den kühlenden
Lüften ruft:
{2. Val. Flaccus lib. VI. v. 55. 56. Polymetis Dial. VI. p. 50.}
{3. Ich sage, es kann sein. Doch wollte ich zehne gegen eins wetten,
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