Klein Zaches, genannt Zinnober: Ein Märchen - 7

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mir die goldnen Tore erschließt!" -
"Ich liebe," fuhr Prosper Alpanus fort, "ich liebe Jünglinge, die so
wie du, mein Balthasar, Sehnsucht und Liebe im reinen Herzen tragen,
in deren Innerm noch jene herrlichen Akkorde widerhallen, die dem
fernen Lande voll göttlicher Wunder angehören, das meine Heimat ist.
Die glücklichen, mit dieser inneren Musik begabten Menschen sind
die einzigen, die man Dichter nennen kann, wiewohl viele auch so
gescholten werden, die den ersten besten Brummbaß zur Hand nehmen,
darauf herumstreichen und das verworrene Gerassel der unter ihrer
Faust stöhnenden Saiten für herrliche Musik halten, die aus ihrem
eignen Innern heraustönt. - Dir ist, ich weiß es, mein geliebter
Balthasar, dir ist es zuweilen so, als verstündest du die murmelnden
Quellen, die rauschenden Bäume, ja, als spräche das aufflammende
Abendrot zu dir mit verständlichen Worten! - Ja, mein Balthasar! -
in diesen Momenten verstehst du wirklich die wunderbaren Stimmen der
Natur, denn aus deinem eignen Innern erhebt sich der göttliche Ton,
den die wundervolle Harmonie des tiefsten Wesens der Natur entzündet.
- Da du Klavier spielst, o Dichter, so wirst du wissen, daß dem
angeschlagenen Ton die ihm verwandten Töne nachklingen. - Dieses
Naturgesetz dient zu mehr als zum schalen Gleichnis! - Ja, o Dichter,
du bist ein viel besserer, als es manche glauben, denen du deine
Versuche, die innere Musik mit Feder und Tinte zu Papier zu bringen,
vorgelesen. Mit diesen Versuchen ist es nicht weit her. Doch hast du
im historischen Stil einen guten Wurf getan, als du mit pragmatischer
Breite und Genauigkeit die Geschichte von der Liebe der Nachtigall zur
Purpurrose aufschriebst, welche sich unter meinen Augen begeben. - Das
ist eine ganz artige Arbeit" -
Prosper Alpanus hielt inne, Balthasar blickte ihn ganz verwundert an
mit großen Augen, er wußte gar nicht, was er dazu sagen sollte, daß
Prosper das Gedicht, welches er für das fantastischste hielt, das er
jemals aufgeschrieben, für einen historischen Versuch erklärte.
"Du magst," fuhr Prosper Alpanus fort, indem ein anmutiges Lächeln
sein Gesicht überstrahlte, "du magst dich wohl über meine Reden
verwundern, dir mag überhaupt manches seltsam an mir vorkommen.
Bedenke aber, daß ich nach dem Urteil aller vernünftigen Leute eine
Person bin, die nur im Märchen auftreten darf, und du weißt, geliebter
Balthasar, daß solche Personen sich wunderlich gebärden und tolles
Zeug schwatzen können, wie sie nur mögen, vorzüglich wenn hinter allem
doch etwas steckt, was gerade nicht zu verwerfen. - Nun aber weiter!
- Nahm sich die Fee Rosabelverde des mißgestalteten Zinnober so
eifrig an, so bist du, mein Balthasar, nun ganz und gar mein lieber
Schützling. Höre also, was ich für dich zu tun gesonnen! - Der
Zauberer Lothos besuchte mich gestern, er brachte mir tausend Grüße,
aber auch tausend Klagen von der Prinzessin Balsamine, die aus dem
Schlafe erwacht ist und in den süßen Tönen des Chartah Bhade, jenes
herrlichen Gedichts, das unsere erste Liebe war, sehnende Arme nach
mir ausstreckt. Auch mein alter Freund, der Minister Yuchi, winkt mir
freundlich zu vom Polarstern. - Ich muß fort nach dem fernsten Indien!
- Mein Landgut, das ich verlasse, wünsche ich in keines andern Besitz
zu sehen als in dem deinigen. Morgen gehe ich nach Kerepes und lasse
eine förmliche Schenkungsurkunde ausfertigen, in der ich als dein
Oheim auftrete. Ist nun Zinnobers Zauber gelöst, trittst du vor den
Professor Mosch Terpin hin als Besitzer eines vortrefflichen Landguts,
eines beträchtlichen Vermögens, und wirbst du um die Hand der schönen
Candida, so wird er in voller Freude dir alles gewähren. Aber noch
mehr! - Ziehst du mit deiner Candida ein in mein Landhaus, so ist das
Glück deiner Ehe gesichert. Hinter den schönen Bäumen wächst alles,
was das Haus bedarf; außer den herrlichsten Früchten der schönste Kohl
und tüchtiges schmackhaftes Gemüse überhaupt, wie man es weit und
breit nicht findet. Deine Frau wird immer den ersten Salat, die ersten
Spargel haben. Die Küche ist so eingerichtet, daß die Töpfe niemals
überlaufen und keine Schüssel verdirbt, solltest du auch einmal eine
ganze Stunde über die Essenszeit ausbleiben. Teppiche, Stuhl- und
Sofa-Bezüge sind von der Beschaffenheit, daß es bei der größten
Ungeschicklichkeit der Dienstboten unmöglich bleibt, einen Fleck
hineinzubringen, ebenso zerbricht kein Porzellan, kein Glas, sollte
sich auch die Dienerschaft deshalb die größte Mühe geben und es auf
den härtesten Boden werfen. Jedesmal endlich, wenn deine Frau waschen
läßt, ist auf dem großen Wiesenplan hinter dem Hause das allerschönste
heiterste Wetter, sollte es auch rings umher regnen, donnern und
blitzen. Kurz, mein Balthasar, es ist dafür gesorgt, daß du das
häusliche Glück an deiner holden Candida Seite ruhig und ungestört
genießest! -
"Doch nun ist es wohl an der Zeit, daß ich heimkehre und in
Gemeinschaft mit meinem Freunde Lothos die Anstalten zu meiner
baldigen Abreise beginne. Lebe wohl, mein Balthasar!" -
Damit pfiff Prosper ein- zweimal der Libelle, die alsbald sumsend
herbeiflog. Er zäumte sie auf und schwang sich in den Sattel. Aber
schon im Davonschweben hielt er plötzlich an und kehrte um zu
Balthasar. -
"Beinahe," sprach er, "hätte ich deinen Freund Fabian vergessen. In
einem Anfall schalkischer Laune habe ich ihn für seinen Vorwitz zu
hart gestraft. In dieser Dose ist das enthalten, was ihn tröstet!" -
Prosper reichte dem Balthasar ein kleines, blank poliertes
schildkrötenes Döschen hin, das er ebenso einsteckte, wie die kleine
Lorgnette, die er erst zur Entzauberung Zinnobers von Prosper
erhalten.
Prosper Alpanus rauschte nun fort durch das Gebüsch, indem die Stimmen
des Waldes stärker und anmutiger ertönten.
Balthasar kehrte zurück nach Hoch-Jakobsheim, alle Wonne, alles
Entzücken der süßesten Hoffnung im Herzen.

Achtes Kapitel
Wie Fabian seiner langen Rockschöße halber für einen Sektierer
und Tumultuanten gehalten wurde. - Wie Fürst Barsanuph hinter
den Kaminschirm trat und den Generaldirektor der natürlichen
Angelegenheiten kassierte. - Zinnobers Flucht aus Mosch Terpins Hause.
- Wie Mosch Terpin auf einem Sommervogel ausreiten und Kaiser werden
wollte, dann aber zu Bette ging.
In der frühesten Morgendämmerung, als Wege und Straßen noch einsam,
schlich sich Balthasar hinein nach Kerepes und lief augenblicklich
zu seinem Freunde Fabian. Als er an die Stubentüre pochte, rief eine
kranke matte Stimme: "Herein!" -
Bleich - entstellt, hoffnungslosen Schmerz im Antlitz, lag Fabian auf
dem Bette. "Um des Himmels willen," rief Balthasar, "um des Himmels
willen - Freund! sprich! - was ist dir widerfahren?"
"Ach Freund," sprach Fabian mit gebrochener Stimme, indem er sich
mühsam in die Höhe richtete, "mit mir ist es aus, rein aus. Der
verfluchte Hexenspuk, den, ich weiß es, der rachsüchtige Prosper
Alpanus über mich gebracht, stürzt mich ins Verderben!" -
"Wie ist das möglich?" fragte Balthasar; "Zauberei, Hexenspuk,
du glaubtest sonst an dergleichen nicht." "Ach," fuhr Fabian mit
weinerlicher Stimme fort, "ach, ich glaube jetzt an alles, an Zauberer
und Hexen und Erdgeister und Wassergeister, an den Rattenkönig und
die Alraunwurzel - an alles, was du willst. Wem das Ding so auf den
Hals tritt wie mir, der gibt sich wohl! - Du erinnerst dich an den
höllischen Skandal mit meinem Rocke, als wir von Prosper Alpanus
kamen! - Ja! wär' es nur dabei geblieben! - Sieh dich doch etwas um in
meinem Zimmer, lieber Balthasar!" -
Balthasar tat es und gewahrte an allen Wänden rings umher eine Unzahl
von Fracks, Überröcken, Kurtken von allem möglichen Zuschnitt, von
allen möglichen Farben. "Wie," rief er, "willst du einen Kleiderkram
anlegen, Fabian?"
"Spotte nicht," erwiderte Fabian, "spotte nicht, lieber Freund. Alle
diese Kleider ließ ich anfertigen von den berühmtesten Schneidern,
immer hoffend, endlich einmal der unseligen Verdammnis zu entgehen,
die auf meinen Röcken ruht, aber umsonst. Sowie ich den schönsten
Rock, der mir steht wie angegossen an den Leib, nur einige Minuten
trage, rutschen die Ärmel mir an die Schultern herauf, und die Schöße
schwänzeln mir nach sechs Ellen lang. In der Verzweiflung ließ ich mir
jenen Spenzer mit den eine Welt langen Pierrotsärmeln machen: 'Rutscht
nur, Ärmel,' dacht' ich, 'dehnt euch nur aus, Schöße, so kommt alles
ins Gleiche': aber! - ganz dasselbe wie mit allen andern Röcken war
es in wenigen Minuten! Alle Kunst und Kraft der mächtigsten Schneider
richtete nichts aus gegen den verwünschten Zauber! Daß ich verhöhnt,
verspottet wurde, wo ich mich nur blicken ließ, versteht sich von
selbst, aber bald veranlaßte meine unverschuldete Hartnäckigkeit,
immer wieder in einem solch verteufelten Rock zu erscheinen, ganz
andere Urteile. Das Geringste war noch, daß die Frauen mich grenzenlos
eitel und abgeschmackt schalten, da ich aller Sitte entgegen mich
durchaus mit nackten Armen, sie wahrscheinlich für sehr schön haltend,
sehen lassen wolle. Die Theologen aber schrien mich bald für einen
Sektierer aus, stritten sich nur, ob ich zur Sekte der Ärmelianer oder
Schößianer zu rechnen, waren aber darin einig, daß beide Sekten höchst
gefährlich zu nennen, da beide vollkommene Freiheit des Willens
statuierten und sich erfrechten zu denken, was sie wollten.
Diplomatiker hielten mich für einen schnöden Aufwiegler. Sie
behaupteten, ich wolle durch meine langen Rockschöße Unzufriedenheit
im Volke erregen und es aufsässig machen gegen die Regierung, gehöre
überhaupt zu einem geheimen Bunde, dessen Zeichen ein kurzer Ärmel
sei. Schon seit langer Zeit fänden sich hie und da Spuren der
Kurzärmler, die ebenso zu fürchten als die Jesuiten, ja noch mehr,
da sie sich bemühten, überall die jedem Staate schädliche Poesie
einzuführen, und an der Infallibilität der Fürsten zweifelten. Kurz! -
das Ding wurde ernster und ernster, bis mich der Rektor zitieren ließ.
Ich sah mein Unglück vorher, wenn ich einen Rock anzog, erschien also
in der Weste. Darüber wurde der Mann zornig, er glaubte, ich wolle ihn
verhöhnen, und fuhr auf mich los, ich solle binnen acht Tagen in einem
vernünftigen anständigen Rock vor ihm erscheinen, widrigenfalls er
ohne alle Gnade die Relegation über mich aussprechen würde. - Heute
geht der Termin zu Ende! - O ich Unglücklicher! - O verdammter Prosper
Alpanus!" -
"Halt ein," rief Balthasar, "halt ein, lieber Freund Fabian, schmäle
nicht auf meinen teuern lieben Oheim, der mir ein Landgut geschenkt
hat. Auch mit _dir_ meint er es gar nicht so böse, ungeachtet er,
ich muß es gestehen, den Vorwitz, womit du ihm begegnetest, zu hart
gestraft hat. - Doch ich bringe Hülfe! - er sendet dir dies Döschen,
welches alle deine Leiden enden soll."
Damit zog Balthasar das kleine schildkrötene Döschen, welches er
von Prosper Alpanus erhalten, aus der Tasche und überreichte es dem
trostlosen Fabian.
"Was soll," Sprach dieser, "was soll mir denn der dumme Quark helfen?
wie kann ein kleines schildkrötenes Döschen Einfluß haben auf die
Gestaltung meiner Röcke?" "Das weiß ich nicht," erwiderte Balthasar,
"aber mein lieber Oheim kann und wird mich nicht täuschen, ich habe
das vollste Zutrauen zu ihm; darum öffne nur die Dose, lieber Fabian,
wir wollen sehen, was darin enthalten."
Fabian tat es - und aus der Dose quoll ein herrlich gemachter
schwarzer Frack von dem feinsten Tuche hervor. Beide, Fabian und
Balthasar, konnten sich des lauten Ausrufs der höchsten Verwunderung
nicht erwehren.
"Ha, ich verstehe dich," rief Balthasar begeistert, "ha, ich verstehe
dich, mein Prosper, mein teurer Oheim! Dieser Rock wird passen, wird
allen Zauber lösen." -
Fabian zog den Rock ohne weiteres an, und was Balthasar geahnet, traf
wirklich ein. Das schöne Kleid saß dem Fabian, wie noch niemals ihm
eins gesessen, und an Rutschen der Ärmel, an Verlängerung der Schöße
war nicht zu denken.
Ganz außer sich vor Freude, beschloß Fabian nun sogleich in seinem
neuen wohlpassenden Rock zum Rektor hinzulaufen und alles ins Gleiche
zu bringen.
Balthasar erzählte nun seinem Freunde Fabian ausführlich, wie sich
alles begeben mit Prosper Alpanus, und wie dieser ihm die Mittel in
die Hand gegeben, dem heillosen Unwesen des mißgestalteten Däumlings
ein Ende zu machen. Fabian, der ein ganz anderer worden, da ihn alle
Zweifelsucht ganz verlassen, rühmte Prospers hohen Edelmut über alle
Maßen und erbot sich, bei Zinnobers Entzauberung hülfreiche Hand zu
leisten. In dem Augenblick gewahrte Balthasar aus dem Fenster seinen
Freund, den Referendarius Pulcher, der ganz trübsinnig um die Ecke
schleichen wollte. Fabian steckte auf Balthasars Geheiß den Kopf zum
Fenster heraus und winkte und rief dem Referendarius zu, er möge doch
nur gleich heraufkommen.
Sowie Pulcher eintrat, rief er gleich: "Was hast du denn für einen
herrlichen Rock an, lieber Fabian!" Dieser sagte aber, Balthasar werde
ihm alles erklären, und lief fort zum Rektor.
Als nun Balthasar dem Referendarius alles ausführlich erzählt, was
sich zugetragen, sprach dieser. "Gerade an der Zeit ist es nun, daß
der abscheuliche Unhold tot gemacht wird. Wisse, daß er heute seine
feierliche Verlobung mit Candida feiert, daß der eitle Mosch Terpin
ein großes Fest gibt, wozu er selbst den Fürsten geladen. Gerade bei
diesem Feste wollen wir eindringen in des Professors Haus und den
Kleinen überfallen. An Lichtern im Saal wird's nicht fehlen zum
augenblicklichen Verbrennen der feindseligen Haare."
Noch manches hatten die Freunde gesprochen und miteinander verabredet,
als Fabian eintrat mit vor Freude glänzendem Gesicht.
"Die Kraft," sprach er, "die Kraft des Rocks, der der schildkrötenen
Dose entquollen, hat sich herrlich bewährt. Sowie ich eintrat bei dem
Rektor, lächelte er zufrieden. 'Ha' redete er mich an, 'ha! - ich
gewahre, mein lieber Fabian, daß Sie zurückgekommen sind von Ihrer
seltsamen Verirrung! - Nun! Feuerköpfe wie Sie lassen sich leicht
hinreißen zu dem Extremen! - Für religiöse Schwärmerei habe ich Ihr
Beginnen niemals gehalten - mehr falsch verstandener Patriotismus
- Hang zum Außerordentlichen, gestützt auf das Beispiel der Heroen
des Altertums. - Ja, das lasse ich gelten, solch ein schöner,
wohlpassender Rock! - Heil dem Staate, Heil der Welt, wenn hochherzige
Jünglinge solche Röcke tragen, mit solchen passenden Ärmeln und
Schößen. Bleiben Sie treu, Fabian, bleiben Sie treu solcher Tugend,
solchem wackren Sinn, daraus entsproßt wahre Heldengröße!' - Der
Rektor umarmte mich, indem helle Tränen ihm in die Augen traten.
Selbst weiß ich nicht, wie ich dazu kam, die kleine schildkrötene
Dose, aus der der Rock entstanden und die ich nun in dessen Tasche
gesteckt, hervorzuziehen. 'Bitte!' sprach der Rektor, indem er Daum
und Zeigefinger zusammenspitzte. Ohne zu wissen, ob wohl Tabak
darin enthalten, klappte ich die Dose auf. Der Rektor griff hinein,
schnupfte, faßte meine Hand, drückte sie stark, Tränen liefen ihm über
die Wangen; er sprach tiefgerührt: 'Edler Jüngling! - eine schöne
Prise! - Alles ist vergeben und vergessen, speisen Sie bei mir heut
mittags!' - Ihr seht, Freunde, all mein Leiden hat ein Ende, und
gelingt uns heute, wie es anders gar nicht zu erwarten steht, die
Entzauberung Zinnobers, so seid auch ihr fortan glücklich!" -
In dem mit hundert Kerzen erleuchteten Saal stand der kleine
Zinnober im scharlachroten gestickten Kleide, den großen Orden des
grüngefleckten Tigers mit zwanzig Knöpfen umgetan, Degen an der Seite,
Federhut unterm Arm. Neben ihm die holde Candida bräutlich geschmückt,
in aller Anmut und Jugend strahlend. Zinnober hatte ihre Hand gefaßt,
die er zuweilen an den Mund drückte und dabei recht widrig grinste und
lächelte. Und jedesmal überflog dann ein höheres Rot Candidas Wangen,
und sie blickte den Kleinen an mit dem Ausdruck der innigsten Liebe.
Das war denn wohl recht graulich anzusehen, und nur die Verblendung,
in die Zinnobers Zauber alle versetzte, war schuld daran, daß man
nicht, ergrimmt über Candidas heillose Verstrickung, den kleinen
Hexenkerl packte und ins Kaminfeuer warf. Rings um das Paar im Kreise
in ehrerbietiger Entfernung hatte sich die Gesellschaft gesammelt. Nur
Fürst Barsanuph stand neben Candida und mühte sich, bedeutungsvolle
gnädige Blicke umherzuwerfen, auf die indessen niemand sonderlich
achtete. Alles hatte nur Auge für das Brautpaar und hing an Zinnobers
Lippen, der hin und wieder einige unverständliche Worte schnurrte,
denen jedesmal ein leises Ach! der höchsten Bewunderung, das die
Gesellschaft ausstieß, folgte.
Es war an dem, daß die Verlobungsringe gewechselt werden sollten.
Mosch Terpin trat in den Kreis mit einem Präsentierteller, auf dem
die Ringe funkelten. Er räusperte sich - Zinnober hob sich auf den
Fußspitzen so hoch als möglich, beinahe reichte er der Braut an den
Ellbogen. - Alles stand in der gespanntesten Erwartung - da lassen
sich plötzlich fremde Stimmen hören, die Türe des Saals springt auf,
Balthasar dringt ein, mit ihm Pulcher - Fabian! - Sie brechen durch
den Kreis - "Was ist das, was wollen die Fremden?" ruft alles
durcheinander. -
Fürst Barsanuph schreit entsetzt: "Aufruhr - Rebellion - Wache!" und
springt hinter den Kaminschirm. - Mosch Terpin erkennt den Balthasar,
der dicht bis zum Zinnober vorgedrungen, und ruft: "Herr Studiosus!
- Sind Sie rasend - sind Sie von Sinnen? - wie können Sie sich
unterstehen, hier einzudringen in die Verlobung! - Leute -
Gesellschaft - Bediente, werft den Grobian zur Türe hinaus!" -
Aber ohne sich nur im mindesten an irgend etwas zu kehren, hat
Balthasar schon Prospers Lorgnette hervorgezogen und richtet durch
dieselbe den festen Blick auf Zinnobers Haupt. Wie vom elektrischen
Strahl getroffen, stößt Zinnober ein gellendes Katzengeschrei aus, daß
der ganze Saal widerhallt. Candida fällt ohnmächtig auf einen Stuhl;
der eng geschlossene Kreis der Gesellschaft stäubt auseinander. -
Klar vor Balthasars Augen liegt der feuerfarbglänzende Haarstreif, er
spring zu auf Zinnober - faßt ihn, der strampelt mit den Beinchen und
sträubt sich und kratzt und beißt.
"Angepackt - angepackt!" ruft Balthasar; da fassen Fabian und Pulcher
den Kleinen, daß er sich nicht zu regen und zu bewegen vermag, und
Balthasar faßt sicher und behutsam die roten Haare, reißt sie mit
einem Ruck vom Haupte herab, springt an den Kamin, wirft sie ins
Feuer, sie prasseln auf, es geschieht ein betäubender Schlag, alle
erwachen wie aus dem Traum. - Da steht der kleine Zinnober, der sich
mühsam aufgerafft von der Erde, und schimpft und schmält und befiehlt,
man solle die frechen Ruhestörer, die sich an der geheiligten Person
des ersten Ministers im Staate vergriffen, sogleich packen und ins
tiefste Gefängnis werfen! Aber einer frägt den andern: "Wo kommt denn
mit einemmal der kleine purzelbäumige Kerl her? - was will das kleine
Ungetüm?" - Und wie der Däumling immerfort tobt und mit den Füßchen
den Boden stampft und immer dazwischen ruft: "Ich bin der Minister
Zinnober - ich bin der Minister Zinnober - der grüngefleckte Tiger mit
zwanzig Knöpfen!" da bricht alles in ein tolles Gelächter aus. Man
umringt den Kleinen, die Männer heben ihn auf und werfen sich ihn zu
wie einen Fangball; ein Ordensknopf nach dem andern springt ihm vom
Leibe - er verliert den Hut - den Degen, die Schuhe. - Fürst Barsanuph
kommt hinter dem Kaminschirm hervor und tritt hinein mitten in den
Tumult. Da kreischt der Kleine: "Fürst Barsanuph - Durchlaucht -
retten Sie Ihren Minister - Ihren Liebling! - Hülfe - Hülfe - der
Staat ist in Gefahr - der grüngefleckte Tiger - Weh - weh!" - Der
Fürst wirft einen grimmigen Blick auf den Kleinen und schreitet dann
rasch vorwärts nach der Türe. Mosch Terpin kommt ihm in den Weg, den
faßt er, zieht ihn in die Ecke und spricht mit zornfunkelnden Augen:
"Sie erdreisten sich, Ihrem Fürsten, Ihrem Landesvater hier eine dumme
Komödie vorspielen zu wollen? - Sie laden mich ein zur Verlobung
Ihrer Tochter mit meinem würdigen Minister Zinnober, und statt
meines Ministers finde ich hier eine abscheuliche Mißgeburt, die
Sie in glänzende Kleider gesteckt? - Herr, wissen Sie, daß das ein
landesverräterischer Spaß ist, den ich strenge ahnden würde, wenn
Sie nicht ein ganz alberner Mensch wären, der ins Tollhaus gehört.
- Ich entsetze Sie des Amts als Generaldirektor der natürlichen
Angelegenheiten und verbitte mir alles weitere Studieren in meinem
Keller! - Adieu!"
Dann stürmte er fort.
Aber Mosch Terpin stürzte zitternd vor Wut los auf den Kleinen, faßte
ihn bei den langen struppigen Haaren und rannte mit ihm hin nach dem
Fenster: "Hinunter mit dir," schrie er, "hinunter mit dir, schändliche
heillose Mißgeburt, die mich so schmachvoll hintergangen, mich um
alles Glück des Lebens gebracht hat!"
Er wollte den Kleinen hinabstürzen durch das geöffnete Fenster, doch
der Aufseher des zoologischen Kabinetts, der auch zugegen, sprang mit
Blitzesschnelle hinzu, faßte den Kleinen und entriß ihn Mosch Terpins
Fäusten. "Halten Sie ein," sprach der Aufseher, "halten Sie ein, Herr
Professor, vergreifen Sie sich nicht an fürstlichem Eigentum. Es ist
keine Mißgeburt, es ist der Mycetes Belzebub, Simia Belzebub, der dem
Museo entlaufen." "Simia Belzebub - Simia Belzebub!" ertönte es von
allen Seiten unter schallendem Gelächter. Doch kaum hatte der Aufseher
den Kleinen auf den Arm genommen und ihn recht angesehen, als er
unmutig ausrief: "Was sehe ich! - das ist ja nicht Simia Belzebub, das
ist ja ein schnöder häßlicher Wurzelmann! Pfui! - pfui" -
Und damit warf er den Kleinen in die Mitte des Saals. Unter dem lauten
Hohngelächter der Gesellschaft rannte der Kleine quiekend und knurrend
durch die Türe fort die Treppe herab - fort, fort nach seinem Hause,
ohne daß ihn ein einziger von seinen Dienern bemerkt.
Währenddessen, daß sich dies alles im Saale begab, hatte sich
Balthasar in das Kabinett entfernt, wo man, wie er wahrgenommen, die
ohnmächtige Candida hingebracht. Er warf sich ihr zu Füßen, drückte
ihre Hände an seine Lippen, nannte sie mit den süßesten Namen. Sie
erwachte endlich mit einem tiefen Seufzer, und als sie den Balthasar
erblickte, da rief sie voll Entzücken:
"Bist du endlich - endlich da, mein geliebter Balthasar! Ach, ich bin
ja beinahe vergangen vor Sehnsucht und Liebesschmerz! - und immer
erklangen mir die Töne der Nachtigall, von denen berührt, der
Purpurrose das Herzblut entquillt!" -
Nun erzählte sie, alles, alles um sich her vergessend, wie ein böser
abscheulicher Traum sie verstrickt, wie es ihr vorgekommen, als habe
sich ein häßlicher Unhold an ihr Herz gelegt, dem sie ihre Liebe
schenken müssen, weil sie nicht anders gekonnt. Der Unhold habe sich
zu verstellen gewußt, daß er ausgesehen wie Balthasar; und wenn sie
recht lebhaft an Balthasar gedacht, habe sie zwar gewußt, daß der
Unhold nicht Balthasar, aber dann sei es ihr wieder auf unbegreifliche
Weise gewesen, als müsse sie den Unhold lieben, eben um Balthasars
willen.
Balthasar klärte ihr so viel auf, als es geschehen konnte, ohne ihre
ohnehin aufgeregten Sinne ganz und gar zu verwirren. Dann folgten,
wie es unter Liebesleuten nicht anders zu geschehen pflegt, tausend
Versicherungen, tausend Schwüre ewiger Liebe und Treue. Und dabei
umfingen sie sich und drückten sich mit der Inbrunst der innigsten
Zärtlichkeit an die Brust und waren ganz und gar umflossen von aller
Wonne, von allem Entzücken des höchsten Himmels.
Mosch Terpin trat ein, händeringend und lamentierend, mit ihm kamen
Pulcher und Fabian, die immerfort, jedoch vergebens trösteten.
"Nein," rief Mosch Terpin, "nein, ich bin ein total geschlagener
Mann! - nicht mehr Generaldirektor der natürlichen Angelegenheiten im
Staate. - Kein Studium mehr im fürstlichen Keller - die Ungnade des
Fürsten - ich gedachte Ritter zu werden des grüngefleckten Tigers,
wenigstens mit fünf Knöpfen. - Alles aus! - Was wird nur Se. Exzellenz
der würdige Minister Zinnober dazu sagen, wenn er hört, daß ich eine
schnöde Mißgeburt, den Simia Belzebub cauda prehensili, oder was weiß
ich sonst, für ihn gehalten! - O Gott, auch sein Haß wird auf mich
lasten! - Alikante! - Alikante!" -
"Aber, bester Professor," trösteten die Freunde - "verehrter
Generaldirektor, bedenken Sie doch nur, daß es gar keinen Minister
Zinnober mehr gibt! - Sie haben sich ganz und gar nicht vergriffen,
der ungestaltete Knirps hat vermöge der Zaubergabe, die er von der Fee
Rosabelverde erhalten, Sie ebensogut getäuscht, wie uns alle!" -
Nun erzählte Balthasar, wie sich alles begeben von Anfang an. Der
Professor horchte und horchte, bis Balthasar geendet, da rief er:
"Wach' ich! - träum' ich - Hexen - Zauberer - Feen - magische Spiegel
- Sympathien - soll ich an den Unsinn glauben" -
"Ach liebster Herr Professor," fiel Fabian ein, "hätten Sie nur eine
Zeitlang einen Rock getragen mit kurzen Ärmeln und langer Schleppe, so
wie ich, Sie würden schon an alles glauben, daß es eine Lust wäre!" -
"Ja," rief Mosch Terpin, "ja, es ist alles so - ja! - ein verhextes
Untier hat mich getäuscht - ich stehe nicht mehr auf den Füßen -
ich schwebe auf zur Decke -Prosper Alpanus holt mich ab - ich reite
aus auf einem Sommervogel - ich laß mich frisieren von der Fee
Rosabelverde - von dem Stiftsfräulein Rosenschön, und werde Minister!
- König - Kaiser!" -
Und damit sprang er im Zimmer umher und schrie und juchzte, daß
alle für seinen Verstand fürchteten, bis er ganz erschöpft in einen
Lehnsessel sank. Da nahten sich ihm Candida und Balthasar. Sie
sprachen davon, wie sie sich so innig, so über alles liebten, wie sie
gar nicht ohne einander leben könnten, und das war recht wehmütig
anzuhören, weshalb Mosch Terpin auch wirklich etwas weinte. "Alles,"
sprach er schluchzend, "alles, was ihr wollt, Kinder! - heiratet
euch, liebt euch - hungert zusammen, denn ich gebe der Candida keinen
Groschen mit" -
Was das Hungern beträfe, sprach Balthasar lächelnd, so hoffe er morgen
den Herrn Professor zu überzeugen, daß davon wohl niemals die Rede
sein könne, da sein Oheim Prosper Alpanus hinlänglich für ihn gesorgt.
"Tue das," sprach der Professor matt, "tue das, mein lieber Sohn, wenn
du kannst, und zwar morgen; denn soll ich nicht in Wahnsinn verfallen,
soll mir der Kopf nicht zerspringen, so muß ich sofort zu Bette
gehen!" -
Er tat das wirklich auf der Stelle.

Neuntes Kapitel
Verlegenheit eines treuen Kammerdieners. - Wie die alte Liese eine
Rebellion anzettelte und der Minister Zinnober auf der Flucht
ausglitschte. - Auf welche merkwürdige Weise der Leibarzt des Fürsten
Zinnobers jähen Tod erklärte. - Wie Fürst Barsanuph sich betrübte,
Zwiebeln aß, und wie Zinnobers Verlust unersetzlich blieb.
Der Wagen des Ministers Zinnober hatte beinahe die ganze Nacht
vergeblich vor Mosch Terpins Hause gehalten. Ein Mal über das andere
versicherte man dem Jäger, Se. Exzellenz müßten schon lange die
Gesellschaft verlassen haben; der meinte aber dagegen, das sei ganz
unmöglich, da Se. Exzellenz doch wohl nicht im Regen und Sturm zu
Fuß nach Hause gerannt sein würde. Als nun endlich alle Lichter
ausgelöscht und die Türen verschlossen wurden, mußte der Jäger zwar
fortfahren mit dem leeren Wagen, im Hause des Ministers weckte er aber
sogleich den Kammerdiener und fragte, ob denn ums Himmels willen und
auf welche Art der Minister nach Hause gekommen. "Se. Exzellenz,"
erwiderte der Kammerdiener leise dem Jäger ins Ohr, "Se. Exzellenz
sind gestern eingetroffen in später Dämmerung, das ist ganz gewiß -
liegen im Bette und schlafen. - Aber! - o mein guter Jäger! - wie -
auf welche Weise! - ich will Ihnen alles erzählen - doch Siegel auf
den Mund - ich bin ein verlornen Mann, wenn Se. Exzellenz erfahren,
daß ich es war auf dem finstern Korridor! - ich komme um meinen
Dienst, denn Se. Exzellenz sind zwar von kleiner Statur, besitzen aber
außerordentlich viel Wildheit, alterieren sich leicht, kennen sich
selbst nicht im Zorn, haben noch gestern eine schnöde Maus, die
durch Sr. Exzellenz Schlafzimmer zu hüpfen sich unterfangen, mit dem
blank gezogenen Degen durch und durch gerannt. - Nun gut! - Also
in der Dämmerung nehme ich mein Mäntelchen um und will ganz sachte
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