Klein Zaches, genannt Zinnober: Ein Märchen - 6

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heraufschob, bald ebenso hinabschlotterte.
Der Fürst war in dieser so wie in jeder andern solchen Sache, die
das eigentlichste Wohl des Staats betraf, sehr genau. Zwischen dem
Hüftknochen und dem Steißbein, in schräger Richtung drei Sechzehnteil
Zoll aufwärts vom letztern, mußte das am Bande befindliche
Ordenszeichen des grüngefleckten Tigers sitzen. Das war nicht
herauszubringen. Der Kammerdiener, drei Pagen, der Fürst legten Hand
an, alles Mühen blieb vergebens. Das verräterische Band rutschte hin
und her, und Zinnober begann unmutig zu quäken: "Was hantieren Sie
doch so schrecklich an meinem Leibe herum, lassen Sie doch das dumme
Ding hängen, wie es will, Minister bin ich doch nun einmal und bleib'
es!" -
"Wofür," sprach nun der Fürst zornig, "wofür habe ich denn Ordensräte,
wenn rücksichts der Bänder solche tolle Einrichtungen existieren, die
ganz meinem Willen entgegenlaufen? - Geduld, mein lieber Minister
Zinnober! bald soll das anders werden!"
Auf Befehl des Fürsten mußte sich nun der Ordensrat versammeln, dem
noch zwei Philosophen sowie ein Naturforscher, der eben, vom Nordpol
kommend, durchreiste, beigesellt wurden, die über die Frage, wie
auf die geschickteste Weise dem Minister Zinnober das Band des
grüngefleckten Tigers anzubringen, beratschlagen sollten. Um für
diese wichtige Beratung gehörige Kräfte zu sammeln, wurde sämtlichen
Mitgliedern aufgegeben, acht Tage vorher nicht zu denken; um dies
besser ausführen zu können und doch tätig zu bleiben im Dienste des
Staats, aber sich indessen mit dem Rechnungswesen zu beschäftigen.
Die Straßen vor dem Palast, wo die Ordensräte, Philosophen und
Naturforscher ihre Sitzung halten sollten, wurden mit dickem Stroh
belegt, damit das Gerassel der Wagen die weisen Männer nicht störe,
und ebendaher durfte auch nicht getrommelt, Musik gemacht, ja nicht
einmal laut gesprochen werden in der Nähe des Palastes. Im Palast
selbst tappte alles auf dicken Filzschuhen umher, und man verständigte
sich durch Zeichen.
Sieben Tage hindurch vom frühsten Morgen bis in den späten Abend
hatten die Sitzungen gedauert, und noch war an keinen Beschluß zu
denken.
Der Fürst, ganz ungeduldig, schickte ein Mal über das andere hin und
ließ ihnen sagen, es solle in des Teufels Namen ihnen doch endlich
etwas Gescheutes einfallen. Das half aber ganz und gar nichts.
Der Naturforscher hatte soviel möglich Zinnobers Natur erforscht,
Höhe und Breite seines Rückenauswuchses genommen und die genaueste
Berechnung darüber dem Ordensrat eingereicht. Er war es auch, der
endlich vorschlug, ob man nicht den Theaterschneider bei der Beratung
zuziehen wolle.
So seltsam dieser Vorschlag erscheinen mochte, wurde er doch in der
Angst und Not, in der sich alle befanden, einstimmig angenommen.
Der Theaterschneider Herr Kees war ein überaus gewandter, pfiffiger
Mann. Sowie ihm der schwierige Fall vorgetragen worden, sowie er
die Berechnungen des Naturforschers durchgesehen, war er mit dem
herrlichsten Mittel, wie das Ordensband zum normalmäßigen Sitzen
gebracht werden könne, bei der Hand.
An Brust und Rücken sollten nämlich eine gewisse Anzahl Knöpfe
angebracht und das Ordensband daran geknöpft werden. Der Versuch
gelang über die Maßen wohl.
Der Fürst war entzückt und billigte den Vorschlag des Ordensrates, den
Orden des grüngefleckten Tigers nunmehro in verschiedene Klassen zu
teilen, nach der Anzahl der Knöpfe, womit er gegeben wurde. Z.B. Orden
des grüngefleckten Tigers mit zwei Knöpfen - mit drei Knöpfen etc. Der
Minister Zinnober erhielt als ganz besondere Auszeichnung, die sonst
kein anderer verlangen könne, den Orden mit zwanzig brillantierten
Knöpfen, denn gerade zwanzig Knöpfe erforderte die wunderliche Form
seines Körpers.
Der Schneider Kees erhielt den Orden des grüngefleckten Tigers mit
zwei goldnen Knöpfen und wurde, da der Fürst ihn, seines glückliches
Einfalls ungeachtet, für einen schlechten Schneider hielt und sich
daher nicht von ihm kleiden lassen wollte, zum Wirklichen Geheimen
Groß-Kostümierer des Fürsten ernannt. -
Aus dem Fenster seines Landhauses sah der Doktor Prosper Alpanus
gedankenvoll herab in seinen Park. Er hatte die ganze Nacht hindurch
sich damit beschäftigt, Balthasars Horoskop zu stellen und manches
dabei herausgebracht, was sich auf den kleinen Zinnober bezog. Am
wichtigsten das, was sich mit dem Kleinen im Garten begeben, als er
von Adrian und Pulcher belauscht wurde. Eben wollte Prosper Alpanus
seinen Einhörnern zurufen, daß sie die Muschel herbeiführen möchten,
weil er fort wolle nach Hoch-Jakobsheim, als ein Wagen daherrasselte
und vor dem Gattertor des Parks still hielt. Es hieß, das
Stiftsfräulein von Rosenschön wünsche den Herrn Doktor zu sprechen.
"Sehr willkommen," sprach Prosper Alpanus, und die Dame trat hinein.
Sie trug ein langes schwarzes Kleid und war in Schleier gehüllt wie
eine Matrone. Prosper Alpanus, von einer seltsamen Ahnung ergriffen,
nahm sein Rohr und ließ die funkelnden Strahlen des Knopfs auf die
Dame fallen. Da war es, als zuckten rauschend Blitze um sie her,
und sie stand da im weißen durchsichtigen Gewande, glänzende
Libellenflügel an den Schultern, weiße und rote Rosen durch das Haar
geflochten. - "Ei, ei," lispelte Prosper, nahm das Rohr unter seinen
Schlafrock, und sogleich stand die Dame wieder im vorigen Kostüm da.
Prosper Alpanus lud sie freundlich ein, sich niederzulassen. Fräulein
von Rosenschön sagte nun, wie es längst ihre Absicht gewesen, den
Herrn Doktor in seinem Landhause aufzusuchen, um die Bekanntschaft
eines Mannes zu machen, den die ganze Gegend als einen hochbegabten,
wohltätigen Weisen rühme. Gewiß werde er ihre Bitte gewährend, sich
des nahe gelegenen Fräuleinstifts ärztlich anzunehmen, da die alten
Damen darin oft kränkelten und ohne Hülfe blieben. Prosper Alpanus
erwiderte höflich, daß er zwar schon längst die Praxis aufgegeben,
aber doch ausnahmsweise die Stiftsdamen besuchen wolle, wenn es not
täte, und fragte dann, ob sie selbst, das Fräulein von Rosenschön,
vielleicht an irgendeinem Übel leide. Das Fräulein versicherte, daß
sie nur dann und wann ein rheumatisches Zucken in den Gliedern fühle,
wenn sie sich an der Morgenluft erkältet, jetzt aber ganz gesund sei,
und begann irgendein gleichgültiges Gespräch. Prosper fragte, ob sie,
da es noch früher Morgen, vielleicht eine Tasse Kaffee nehmen wolle;
die Rosenschön meinte, daß Stiftsfräuleins dergleichen niemals
verschmähten. Der Kaffee wurde gebracht, aber so sehr sich auch
Prosper mühen mochte, einzuschenken, die Tassen blieben leer,
ungeachtet der Kaffee aus der Kanne strömte. "Ei, ei" lächelte Prosper
Alpanus, "das ist böser Kaffee! - Wollten Sie, mein bestes Fräulein,
doch nur lieber selbst den Kaffee eingießen."
"Mit Vergnügen," erwiderte das Fräulein und ergriff die Kanne. Aber
ungeachtet kein Tropfen aus der Kanne quoll, wurde doch die Tasse
voller und voller, und der Kaffee strömte über auf den Tisch, auf
das Kleid des Stiftsfräuleins. - Sie setzte schnell die Kanne hin,
sogleich war der Kaffee spurlos verschwunden. Beide, Prosper Alpanus
und das Stiftsfräulein, schauten sich nun eine Weile schweigend an mit
seltsamen Blicken.
"Sie waren," begann nun die Dame, "Sie waren, mein Herr Doktor, gewiß
mit einem sehr anziehenden Buche beschäftigt, als ich eintrat."
"In der Tat," erwiderte der Doktor, "enthält dieses Buch gar
merkwürdige Dinge."
Damit wollte er das kleine Buch in vergoldetem Einbande, das vor ihm
auf dem Tisch lag, aufschlagen. Doch das blieb ein ganz vergebliches
Mühen, denn mit einem lauten Klipp, Klapp schlug das Buch sich immer
wieder zusammen. "Ei, ei," sprach Prosper Alpanus, "versuchen _Sie_
sich doch mit dem eigensinnigen Dinge hier, mein wertes Fräulein!"
Er reichte der Dame das Buch hin, das, sowie sie es nur berührte, sich
von selbst aufschlug. Aber alle Blätter lösten sich los und dehnten
sich aus zum Riesenfolio und rauschten umher im Zimmer.
Erschrocken fuhr das Fräulein zurück. Nun schlug der Doktor das Buch
zu mit Gewalt, und alle Blätter verschwanden.
"Aber," sprach nun Prosper Alpanus mit sanftem Lächeln, indem er sich
von seinem Sitze erhob, "aber mein bestes gnädiges Fräulein, was
verderben wir die Zeit mit solchen schnöden Tafelkünsten; denn anders
als ordinäre Tafelkunststücke sind es doch nicht, die wir bis jetzt
getrieben, schreiten wir doch lieber zu höheren Dingen." "Ich will
fort!" rief das Fräulein und erhob sich vorn Sitze.
"Ei," sprach Prosper Alpanus, "das möchte doch wohl nicht recht gut
angehen ohne meinen Willen; denn, meine Gnädige, ich muß es Ihnen nur
sagen, Sie sind jetzt ganz und gar in meiner Gewalt."
"In Ihrer Gewalt," rief das Fräulein zornig, "in Ihrer Gewalt, Herr
Doktor? - Törichte Einbildung!"
Und damit breitete sich ihr seidnes Kleid aus, und sie schwebte als
der schönste Trauermantel auf zur Decke des Zimmers. Doch sogleich
sauste und brauste auch Prosper Alpanus ihr nach als tüchtiger
Hirschkäfer. Ganz ermattet flatterte der Trauermantel herab und rannte
als kleines Mäuschen auf dem Boden umher. Aber der Hirschkäfer sprang
miauend und prustend ihm nach als grauer Kater. Das Mäuschen erhob
sich wieder als glänzender Kolibri, da erhoben sich allerlei seltsame
Stimmen rings um das Landhaus, und allerlei wunderbare Insekten
sumseten herbei, mit ihnen seltsames Waldgeflügel, und ein goldnes
Netz spann sich um die Fenster. Da stand mit einemmal die Fee
Rosabelverde, in aller Pracht und Hoheit strahlend, im glänzenden
weißen Gewande, den funkelnden Diamantgürtel umgetan, weiße und rote
Rosen durch die dunklen Locken geflochten, mitten im Zimmer. Vor ihr
der Magus im goldgestickten Talar, eine glänzende Krone auf dem Haupt,
das Rohr mit dem feuerstrahlenden Knopf in der Hand.
Rosabelverde schritt zu auf den Magus, da entfiel ihrem Haar ein
goldner Kamm und zerbrach, als sei er von Glas, auf dem Marmorboden.
"Weh mir! - weh mir!" rief die Fee.
Plötzlich saß wieder das Stiftsfräulein von Rosenschön im schwarzen
langen Kleide am Kaffeetisch, und ihr gegenüber der Doktor Prosper
Alpanus.
"Ich dächte," sprach Prosper Alpanus sehr ruhig, indem er in die
chinesischen Tassen den herrlichsten dampfenden Kaffee von Mokka ohne
Hindernis einschenkte, "ich dächte, mein bestes gnädiges Fräulein, wir
wüßten beide nun hinlänglich, wie wir miteinander daran sind. - Sehr
leid tut es mir, daß Ihr schöner Haarkamm zerbrach auf meinem harten
Fußboden."
"Nur meine Ungeschicklichkeit," erwiderte das Fräulein, mit Behagen
den Kaffee einschlürfend, "ist schuld daran. Auf diesen Boden muß man
sich hüten, etwas fallen zu lassen, denn irr' ich nicht, so sind diese
Steine mit den wunderbarsten Hieroglyphen beschrieben, welche manchem
nur gewöhnliche Marmoradern bedünken möchten."
"Abgenutzte Talismane, meine Gnädige," sprach Prosper, "abgenutzte
Talismane sind diese Steine, nichts weiter."
"Aber bester Doktor," rief das Fräulein, "wie ist es möglich, daß wir
uns nicht kennen lernten seit der frühesten Zeit, daß wir nicht ein
einziges Mal zusammentrafen auf unseren Wegen?"
"Diverse Erziehung, beste Dame," erwiderte Prosper Alpanus,
"diverse Erziehung ist lediglich daran schuld! Während Sie als das
hoffnungsvollste Mädchen in Dschinnistan sich ganz Ihrer reichen
Natur, Ihrem glücklichen Genie überlassen konnten, war ich, ein
trübseliger Student, in den Pyramiden eingeschlossen und hörte
Kollegia bei dem Professor Zoroaster, einem alten Knasterbart, der
aber verdammt viel wußte. Unter der Regierung des würdigen Fürsten
Demetrius nahm ich meinen Wohnsitz in diesem kleinen anmutigen
Ländchen."
"Wie," sprach das Fräulein, "und wurden nicht verwiesen, als Fürst
Paphnutius die Aufklärung einführte?" "Keineswegs," antwortete
Prosper, "es gelang mir vielmehr, mein eignes Ich ganz zu verhüllen,
indem ich mich mühte, Aufklärungssachen betreffend, ganz besondere
Kenntnisse zu beweisen in allerlei Schriften, die ich verbreitete. Ich
bewies, daß ohne des Fürsten Willen es niemals donnern und blitzen
müsse, und daß wir schönes Wetter und eine gute Ernte einzig und
allein seinen und seiner Noblesse Bemühungen zu verdanken, die in den
innern Gemächern darüber sehr weise beratschlage, während das gemeine
Volk draußen auf dem Acker gepflügt und gesäet. Fürst Paphnutius erhob
mich damals zum Geheimen Oberaufklärungs-Präsidenten, eine Stelle,
die ich mit meiner Hülle wie eine lästige Bürde abwarf, als der Sturm
vorüber. - Insgeheim war ich nützlich, wie ich konnte. Das heißt, was
wir, ich und Sie, meine Gnädige, wahrhaft nützlich nennen. - Wissen
Sie wohl, bestes Fräulein, daß _ich_ es war, der Sie warnte vor dem
Einbrechen der Aufklärungspolizei? - daß _ich_ es bin, dem Sie noch
das Besitztum der artigen Sächelchen verdanken, die Sie mir vorhin
gezeigt? - O mein Gott! liebe Stiftsdame, schauen Sie doch nur aus
diesen Fenstern! - Erkennen Sie denn nicht mehr diesen Park, in dem
Sie so oft lustwandelten und mit den freundlichen Geistern sprachen,
die in den Büschen - Blumen - Quellen wohnen? - Diesen Park hab' ich
gerettet durch meine Wissenschaft. Er steht noch da wie zur Zeit des
alten Demetrius. Fürst Barsanuph bekümmert sich, dem Himmel sei es
gedankt, nicht viel um das Zauberwesen, er ist ein leutseliger Herr
und läßt jeden gewähren, jeden zaubern, so viel er Lust hat, sobald
er es sich nur nicht merken läßt und die Abgaben richtig zahlt. So
leb' ich hier, wie Sie, liebe Dame, in Ihrem Stift, glücklich und
sorgenfrei!" -
"Doktor," rief das Fräulein, indem ihr die Tränen aus den Augen
stürzten, "Doktor, was sagen Sie! - welche Aufklärungen! - ja, ich
erkenne diesen Hain, wo ich die seligsten Freuden genoß! - Doktor! -
edelster Mann, dem ich so viel zu verdanken! - Und Sie können meinen
kleinen Schützling so hart verfolgen?" -
"Sie haben," erwiderte der Doktor, "Sie haben, mein bestes Fräulein,
von Ihrer angebornen Gutmütigkeit hingerissen, Ihre Gaben an einen
Unwürdigen verschleudert. Zinnober ist und bleibt, Ihrer gütigen Hülfe
ungeachtet, ein kleiner mißgestalteter Schlingel, der nun, da der
goldne Kamm zerbrochen, ganz in meine Hand gegeben ist."
"Haben Sie Mitleiden, o Doktor!" flehte das Fräulein.
"Aber schauen Sie doch nur gefälligst her," sprach Prosper, indem er
dem Fräulein Balthasars Horoskop, das er gestellt hatte, vorhielt.
Das Fräulein blickte hinein und rief dann voll Schmerz: "Ja! - wenn es
so beschaffen ist, so muß ich wohl weichen der höheren Macht. - Armer
Zinnober!" -
"Gestehen Sie, bestes Fräulein," sprach der Doktor lächelnd, "gestehen
Sie, daß die Damen oft sich in dem Bizarrsten sehr wohl gefallen,
den Einfall, den der Augenblick gebar, rastlos und rücksichtslos
verfolgend und jedes schmerzliche Berühren anderer Verhältnisse nicht
achtend! - Zinnober muß sein Schicksal verbüßen, aber dann soll er
noch zu unverdienter Ehre gelangen. Damit huldige ich Ihrer Macht,
Ihrer Güte, Ihrer Tugend. mein sehr wertes gnädigstes Fräulein!"
"Herrlicher, vortrefflicher Mann," rief das Fräulein, "bleiben Sie
mein Freund!" -
"Immerdar," erwiderte der Doktor. "Meine Freundschaft, meine innige
Zuneigung zu Ihnen, holde Fee, wird nie aufhören. Wenden Sie sich
getrost an mich in allen bedenklichen Fällen des Lebens, und - o
trinken Sie Kaffee bei mir, sooft es Ihnen zu Sinne kommt."
"Leben Sie wohl, mein würdigster Magus, nie werd' ich Ihre Huld, nie
diesen Kaffee vergessen!" So sprach das Fräulein und erhob sich, von
innerer Rührung ergriffen, zum Scheiden.
Prosper Alpanus begleitete sie ans Gattertor, während alle wunderbare
Stimmen des Waldes auf die lieblichste Weise erklangen.
Vor dem Tor stand, statt des Fräuleins Wagen, die mit den Einhörnern
bespannte Kristallmuschel des Doktors, hinter der der Goldkäfer seine
glänzenden Flügel ausbreitete. Auf dem Bock saß der Silberfasan und
kuckte, die goldnen Zügel im Schnabel haltend, das Fräulein mit klugen
Augen an.
In die seligste Zeit ihres herrlichsten Feenlebens fühlte sich die
Stiftsdame versetzt, als der Wagen, herrlich tönend, durch den
duftenden Wald rauschte.

Siebentes Kapitel
Wie der Professor Mosch Terpin im fürstlichen Weinkeller die Natur
erforschte. - Mycetes Belzebub. - Verzweiflung des Studenten
Balthasar. - Vorteilhafter Einfluß eines wohleingerichteten Landhauses
auf das häusliche Glück. - Wie Prosper Alpanus dem Balthasar eine
schildkrötene Dose überreichte und davonritt.
Balthasar, der sich in dem Dorfe Hoch-Jakobsheim versteckt hielt,
bekam von dem Referendarius Pulcher aus Kerepes einen Brief des
Inhalts: "Unsere Angelegenheiten, bester Freund Balthasar, gehen immer
schlechter und schlechter. Unser Feind, der abscheuliche Zinnober, ist
Minister der auswärtigen Angelegenheiten geworden und hat den großen
Orden des grüngefleckten Tigers mit zwanzig Knöpfen erhalten. Er hat
sich aufgeschwungen zum Liebling des Fürsten und setzt alles durch,
was er will. Professor Mosch Terpin ist ganz außer sich, er bläht sich
auf im dummen Stolz. Durch seines künftigen Schwiegersohns Vermittlung
hat er die Stelle des Generaldirektors sämtlicher natürlicher
Angelegenheiten im Staate erhalten, eine Stelle, die ihm viel Geld und
eine Menge anderer Emolumente einbringt. Als benannter Generaldirektor
zensiert und revidiert er die Sonnen- und Mondfinsternisse sowie
die Wetterprophezeiungen in den im Staate erlaubten Kalendern und
erforscht insbesondere die Natur in der Residenz und deren Bereich.
Dieser Beschäftigung halber bekommt er aus den fürstlichen Waldungen
das seltenste Geflügel, die raresten Tiere, die er, um eben ihre Natur
zu erforschen, braten läßt und auffrißt. Ebenso schreibt er jetzt
(wenigstens gibt er es vor) eine Abhandlung darüber, warum der Wein
anders schmeckt als Wasser und auch andere Wirkungen äußert, die er
seinem Schwiegersohn zueignen will. Zinnober hat es bewirkt, daß
Mosch Terpin der Abhandlung wegen alle Tage im fürstlichen Weinkeller
studieren darf. Er hat schon einen halben Oxhoft alten Rheinwein sowie
mehrere Dutzend Flaschen Champagner verstudiert und ist jetzt an ein
Faß Alikante geraten. - Der Kellermeister ringt die Hände! - So ist
dem Professor, der, wie Du weißt, das größte Leckermaul auf Erden,
geholfen, und er würde das bequemste Leben von der Welt führen, müßte
er oft nicht, wenn ein Hagelschlag die Felder verwüstet hat, plötzlich
über Land, um den fürstlichen Pächtern zu erklären, warum es gehagelt
hat, damit die dummen Teufel ein bißchen Wissenschaft bekommen, sich
künftig vor dergleichen hüten können und nicht immer Erlaß der Pacht
verlangen dürfen, einer Sache halber, die niemand verschuldet, als sie
selbst.
"Der Minister kann die Tracht Schläge, die Du ihm erteilt, nicht
verwinden. Er hat Dir Rache geschworen. Du wirst Dich gar nicht mehr
in Kerepes sehen lassen dürfen. Auch mich verfolgt er sehr, weil ich
seine geheimnisvolle Art, sich von einer geflügelten Dame frisieren
zu lassen, erlauscht habe. - Solange Zinnober des Fürsten Liebling
bleibt, werde ich wohl auf keinen ordentlichen Posten Anspruch
machen können. Mein Unstern will es, daß ich immer mit der Mißgeburt
zusammengerate, wo ich es gar nicht ahne, und auf eine Weise, die mir
fatal werden muß. Neulich ist der Minister in vollem Staat, mit Degen,
Stern und Ordensband, im zoologischen Kabinett und hat sich nach
seiner gewöhnlichen Weise, den Stock untergestemmt, auf den Fußspitzen
schwebend, an den Glasschrank hingestellt, wo die seltensten
amerikanischen Affen stehen. Fremde, die das Kabinett besehen, treten
heran, und einer, den kleinen Wurzelmann erblickend, ruft laut aus:
'Ei! - was für ein allerliebster Affe! - welch niedliches Tier! - die
Zierde des ganzen Kabinetts! - Ei, wie heißt das hübsche Äfflein?
woher des Landes?'
"Da spricht der Aufseher des Kabinetts sehr ernsthaft, indem er
Zinnobers Schulter berührte: 'Ja, ein sehr schönes Exemplar, ein
vortrefflicher Brasilianer, der sogenannte Mycetes Belzebub - Simia
Belzebub Linnei - niger, barbatus, podiis caudaque apice brunneis -
Brüllaffe' -
"'Herr,' - prustet nun der Kleine den Aufseher an, 'Herr, ich glaube,
Sie sind wahnsinnig oder neunmal des Teufels, ich bin kein Belzebub
caudaque - kein Brüllaffe, ich bin Zinnober, der Minister Zinnober,
Ritter des grüngefleckten Tigers mit zwanzig Knöpfen!' - Nicht weit
davon stehe ich und breche - hätt' es das Leben gekostet auf der
Stelle, ich konnte mich nicht zurückhalten - aus in ein wieherndes
Gelächter.
"'Sind Sie auch da, Herr Referendarius?' schnarcht er mich an, indem
rote Glut aus seinen Hexenaugen funkelt.
"Gott weiß, wie es kam, daß die Fremden ihn immerfort für den schönsten
seltensten Affen hielten, den sie jemals gesehen, und ihn durchaus
mit Lampertsnüssen füttern wollten, die sie aus der Tasche gezogen.
Zinnober geriet nun so ganz außer sich, daß er vergebens nach
Atem schnappte und die Beinchen ihm den Dienst versagten. Der
herbeigerufene Kammerdiener mußte ihn auf den Arm nehmen und
hinabtragen in die Kutsche.
"Selbst kann ich mir aber nicht erklären, warum mir diese Geschichte
einen Schimmer von Hoffnung gibt. Es ist der erste Tort, der dem
kleinen verhexten Unding geschehen.
"So viel ist gewiß, daß Zinnober neulich am frühen Morgen sehr verstört
aus dem Garten gekommen ist. Die geflügelte Frau muß ausgeblieben
sein, denn vorbei ist es mit den schönen Locken. Das Haar soll ihm
struppig auf dem Rücken herabhängen und Fürst Barsanuph gesagt haben:
'Vernachlässigen Sie nicht so sehr Ihre Toilette, bester Minister,
ich werde Ihnen meinen Friseur schicken!' - worauf denn Zinnober
sehr höflich geäußert, er werde den Kerl zum Fenster herausschmeißen
lassen, wenn er käme. 'Große Seele! man kommt Ihnen nicht bei,' hat
dann der Fürst gesprochen und dabei sehr geweint!
"Lebe wohl, liebster Balthasar! gib nicht alle Hoffnung auf und
verstecke Dich gut, damit sie Dich nicht greifen!" -
Ganz in Verzweiflung darüber, was ihm der Freund geschrieben, rannte
Balthasar tief hinein in den Wald und brach aus in laute Klagen.
"Hoffen soll ich," rief er, "hoffen soll ich noch, da jede Hoffnung
verschwunden, da alle Sterne untergegangen und düstere - düstere Nacht
mich Trostlosen umfängt? Unseliges Verhängnis! - ich unterliege der
finstren Macht, die verderblich in mein Leben getreten! - Wahnsinn,
daß ich auf Rettung hoffte von Prosper Alpanus, von diesem Prosper
Alpanus, der mich selbst mit höllischen Künsten verlockte und mich
forttrieb von Kerepes, indem er die Prügel, die ich dem Spiegelbilde
erteilen mußte, auf Zinnobers wahrhaftigen Rücken regnen ließ!" "Ach
Candida! - Könnt' ich nur das Himmelskind vergessen! - Aber mächtiger,
stärker als jemals glüht der Liebesfunke in mir! - Überall sehe ich
die holde Gestalt der Geliebten, die mit süßem Lächeln sehnsüchtig die
Arme nach mir ausstreckt! - Ich weiß es ja! - du liebst mich, holde
süße Candida, und das ist eben mein hoffnungsloser tötender Schmerz,
daß ich dich nicht zu retten vermag aus der heillosen Verzauberung,
die dich befangen! - Verräterischer Prosper! was tat ich dir, daß du
mich so grausam äfftest!" -
Die tiefe Dämmerung war eingebrochen, alle Farben des Waldes schwanden
hin in dumpfes Grau. Da war es, als leuchte ein besonderer Glanz
wie aufflammender Abendschein durch Baum und Gebüsch, und tausend
Insektlein erhoben sich mit rauschendem Flügelschlage sumsend in die
Lüfte. Leuchtende Goldkäfer schwangen sich hin und her, und dazwischen
flatterten buntgeputzte Schmetterlinge und streuten duftenden
Blumenstaub um sich her. Das Wispern und Sumsen wurde zu sanfter,
süßflüsternder Musik, die sich tröstend legte an Balthasars zerrissene
Brust. Über ihm funkelte stärker strahlend der Glanz. Er schaute
hinauf und erblickte staunend Prosper Alpanus, der auf einem
wunderbaren Insekt, das einer in den herrlichsten Farben prunkenden
Libelle nicht unähnlich, daherschwebte.
Prosper Alpanus senkte sich herab zu dem Jüngling, an dessen Seite
er Platz nahm, während die Libelle aufflog in ein Gebüsch und in den
Gesang einstimmte, der durch den ganzen Wald tönte.
Er berührte des Jünglings Stirne mit den wundervoll glänzenden Blumen,
die er in der Hand trug, und sogleich entzündete sich in Balthasars
Innerm frischer Lebensmut.
"Du tust," sprach nun Prosper Alpanus mit sanfter Stimme, "du tust mir
großes Unrecht, lieber Balthasar, da du mich grausam und verräterisch
schiltst in dem Augenblick, als es mir gelungen ist, Herr zu werden
des Zaubers, der dein Leben verstört, als ich, um nur schneller dich
zu finden, dich zu trösten, mich auf mein buntes Lieblingsrößlein
schwinge und herbeireite, mit allem versehen, was zu deinem Heil
dienen kann. - Doch nichts ist bittrer als Liebesschmerz, nichts
gleicht der Ungeduld eines in Liebe und Sehnsucht verzweifelnden
Gemüts. - Ich verzeihe dir, denn mir ist es selbst nicht besser
gegangen, als ich vor ungefähr zweitausend Jahren eine indische
Prinzessin liebte, Balsamine geheißen, und dem Zauberer Lothos, der
mein bester Freund war, in der Verzweiflung den Bart ausriß, weshalb
ich, wie du siehst, selbst keinen trage, damit mir nicht Ähnliches
geschehe. - Doch dir dies alles weitläuftig zu erzählen, würde wohl
hier an sehr unrechtem Orte sein, da jeder Liebende nur von seiner
Liebe hören mag, die er allein der Rede wert hält, so wie jeder
Dichter nur seine Verse gern vernimmt. Also zur Sache! - Wisse, daß
Zinnober die verwahrloste Mißgeburt eines armen Bauerweibes ist und
eigentlich Klein Zaches heißt. Nur aus Eitelkeit hat er den stolzen
Namen Zinnober angenommen. Das Stiftsfräulein von Rosenschön oder
eigentlich die berühmte Fee Rosabelverde, denn niemand anders ist jene
Dame, fand das kleine Ungetüm am Wege. Sie glaubte, alles, was die
Natur dem Kleinen stiefmütterlich versagt, dadurch zu ersetzen, wenn
sie ihn mit der seltsamen geheimnisvollen Gabe beschenkte, vermöge der
alles, was in seiner Gegenwart irgendein anderer Vortreffliches denkt,
spricht oder tut, auf _seine_ Rechnung kommen, ja daß er in der
Gesellschaft wohlgebildeter, verständiger, geistreicher Personen
auch für wohlgebildet, verständig und geistreich geachtet werden und
überhaupt allemal für den vollkommensten der Gattung, mit der er im
Konflikt, gelten muß.
"Dieser sonderbare Zauber liegt in drei feuerfarbglänzenden Haaren,
die sich über den Scheitel des Kleinen ziehen. Jede Berührung dieser
Haare, sowie überhaupt des Hauptes, mußte dem Kleinen schmerzhaft,
ja verderblich sein. Deshalb ließ die Fee sein von Natur dünnes,
struppiges Haar in dicken anmutigen Locken hinabwallen, die, des
Kleinen Haupt schützend, zugleich jenen roten Streif versteckten und
den Zauber stärkten. Jeden neunten Tag frisierte die Fee selbst den
Kleinen mit einem goldnen magischen Kamm, und diese Frisur vernichtete
jedes auf Zerstörung des Zaubers gerichtete Unternehmen. Aber den Kamm
selbst hat ein kräftiger Talisman, den ich der guten Fee, als sie mich
besuchte, unterzuschieben wußte, vernichtet.
"Es kommt jetzt nur darauf an, ihm jene drei feuerfarbnen Haare
auszureißen, und er sinkt zurück in sein voriges Nichts! - Dir, mein
lieber Balthasar, ist diese Entzauberung vorbehalten. Du hast Mut,
Kraft und Geschicklichkeit, du wirst die Sache ausführen, wie es sich
gehört. Nimm dieses kleine geschliffene Glas, nähere dich dem kleinen
Zinnober, wo du ihn findest, richte deinen scharfen Blick durch dieses
Glas auf sein Haupt, frei und offen werden die drei roten Haare sich
über das Haupt des Kleinen ziehen. Packe ihn fest an, achte nicht auf
das gellende Katzengeschrei, das er ausstoßen wird, reiße ihm mit
einem Ruck die drei Haare aus und verbrenne sie auf der Stelle. Es ist
notwendig, daß die Haare mit _einem_ Ruck ausgerissen und _sogleich_
verbrannt werden, denn sonst könnten sie noch allerlei verderbliche
Wirkungen äußern. Richte daher dein vorzüglichstes Augenmerk darauf,
daß du die Haare geschickt und fest erfassest und den Kleinen
überfällst, wenn gerade ein Feuer oder ein Licht in der Nähe
befindlich." -
"O Prosper Alpanus," rief Balthasar, "wie schlecht habe ich diese
Güte, diesen Edelmut durch mein Mißtrauen verdient! - Wie fühle ich es
so in tiefer Brust, das nun mein Leiden endigt, daß alles Himmelsglück
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