Klein Zaches, genannt Zinnober: Ein Märchen - 4

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ungezwungen, daß sich die hohe Abkunft, die Gewohnheit, sich in den
vornehmsten Kreisen zu bewegen, darin deutlich aussprach.
Fürst Gregor war es nun, der gar nicht von Zinnober wich und ihn als
den herrlichsten Dichter, den geschicktesten Physiker über alle Maßen
lobte.
Seltsam war die Gruppe, die beide, zusammenstehend, bildeten. Gegen
den herrlich gestalteten Gregor stach gar wunderlich das winzige
Männlein ab, das mit hoch emporgereckter Nase sich kaum auf den
dünnen Beinchen zu erhalten vermochte. Alle Blicke der Frauen waren
hingerichtet, aber nicht auf den Fürsten, sondern auf den Kleinen,
der, sich auf den Fußspitzen hebend, immer wieder herabsank und so
hinauf und hinunter wankte wie ein Cartesianisches Teufelchen.
Der Professor Mosch Terpin trat zu Balthasar und sprach: "Was sagen
Sie zu meinem Schützling, zu meinem lieben Zinnober? Viel steckt
hinter dem Mann, und nun ich ihn so recht anschaue, ahne ich wohl die
eigentliche Bewandtnis, die es mit ihm haben mag. Der Prediger, der
ihn erzogen und mir empfohlen hat, drückt sich über seine Abkunft sehr
geheimnisvoll aus. Betrachten Sie aber nur den edlen Anstand, sein
vornehmes, ungezwungenes Betragen. Er ist gewiß von fürstlichem
Geblüt, vielleicht gar ein Königssohn!" - In dem Augenblick wurde
gemeldet, das Mahl sei angerichtet. Zinnober torkelte ungeschickt
hin zur Candida, ergriff täppisch ihre Hand und führte sie nach dem
Speisesaal.
In voller Wut rannte der unglückliche Balthasar durch die finstre
Nacht, durch Sturmwind und Regen fort, nach Hause.

Viertes Kapitel
Wie der italienische Geiger Sbiocca den Herrn Zinnober in den
Kontrabaß zu werfen drohte, und der Referendarius Pulcher nicht zu
auswärtigen Angelegenheiten gelangen konnte. - Von Maut-Offizianten
und zurückbehaltenen Wundern fürs Haus. - Balthasars Bezauberung durch
einen Stockknopf.
Auf einem hervorragenden bemoosten Gestein im einsamsten Walde saß
Balthasar und schaute gedankenvoll hinab in die Tiefe, in der ein Bach
schäumend fortbrauste zwischen Felsstücken und dicht verwachsenem
Gestrüpp. Dunkle Wolken zogen daher und tauchten nieder hinter den
Bergen; das Rauschen der Bäume, der Gewässer ertönte wie ein dumpfes
Winseln, und dazwischen kreischten Raubvögel, die aus dem finstern
Dickicht aufstiegen in den weiten Himmelsraum und sich nachschwangen
dem fliehenden Gewölk. -
Dem Balthasar war, als vernehme er in den wunderbaren Stimmen des
Waldes die trostlose Klage der Natur, als müsse er selbst untergehen
in dieser Klage, als sei sein ganzes Sein nur das Gefühl des tiefsten
unverwindlichsten Schmerzes. Das Herz wollte ihm springen vor Wehmut,
und indem häufige Tränen aus seinen Augen tröpfelten, war es, als
blickten die Geister des Waldstroms zu ihm herauf und streckten
schneeweiße Arme empor aus den Wellen, ihn hinabzuziehen in den kühlen
Grund.
Da schwebte aus weiter Ferne durch die Lüfte daher heller fröhlicher
Hörnerklang und legte sich tröstend an seine Brust, und die Sehnsucht
erwachte in ihm und mit ihr süßes Hoffen. Er sah umher, und indem die
Hörner forttönten, dünkten ihm die grünen Schatten des Waldes nicht
mehr so traurig, nicht mehr so klagend das Rauschen des Windes, das
Flüstern der Gebüsche. Er kam zu Worten.
"Nein," rief er aus, indem er aufsprang von seinem Sitz und mit
leuchtendem Blick in die Ferne schaute, "nein, noch verschwand nicht
alle Hoffnung! - Nur zu gewiß ist es, daß irgendein düstres Geheimnis,
irgendein böser Zauber verstörend in mein Leben getreten ist, aber
ich breche diesen Zauber, und sollt' ich darüber untergehen! Als
ich endlich hingerissen, übermannt von dem Gefühl, das meine Brust
zersprengen wollte, der holden, süßen Candida meine Liebe gestand, las
ich denn nicht in ihren Blicken, fühlte ich nicht an dem Druck ihrer
Hand meine Seligkeit? - Aber sowie das verdammte kleine Ungetüm sich
sehen läßt, ist ihm alle Liebe zugewandt. An ihr, der vermaledeiten
Mißgeburt, hängen Candidas Augen, und sehnsüchtige Seufzer entfliehen
ihrer Brust, wenn der täppische Junge sich ihr nähert oder gar ihre
Hand berührt. - Es muß mit ihm irgendeine geheimnisvolle Bewandtnis
haben, und sollt' ich an alberne Ammenmärchen glauben, ich würde
behaupten, der Junge sei verhext und könne es, wie man zu sagen
pflegt, den Leuten antun. Ist es nicht toll, daß alle über das
mißgestaltete, durch und durch verwahrloste Männlein spotten und
lachen und dann wieder, tritt der Kleine dazwischen, ihn als den
verständigsten, gelehrtesten, ja wohlgestaltetsten Herrn Studiosum
ausschreien, der sich eben unter uns befindet? - Was sage ich! geht es
mir nicht beinahe selbst so, kommt es mir nicht auch oft vor, als sei
Zinnober gescheut und hübsch? - Nur in Candidas Gegenwart hat der
Zauber keine Macht über mich, da ist und bleibt Herr Zinnober ein
dummes, abscheuliches Alräunchen. - Doch! - ich stemme mich entgegen
der feindlichen Macht, eine dunkle Ahnung ruht tief in meinem Innern,
irgend etwas Unerwartetes werde mir die Waffe in die Hand geben wider
den bösen Unhold!" -
Balthasar suchte den Rückweg nach Kerepes. In einem Baumgange
fortwandernd, bemerkte er auf der Landstraße einen kleinen bepackten
Reisewagen, aus dem ihm jemand mit einem weißen Tuch freundlich
zuwinkte. Er trat heran und erkannte Herrn Vincenzo Sbiocca,
weltberühmten Virtuosen auf der Geige, den er wegen seines
vortrefflichen ausdrucksvollen Spiels über alle Maßen hochschätzte und
bei dem er schon seit zwei Jahren Unterricht genommen. "Gut," rief
Sbiocca, indem er aus dem Wagen sprang, "gut, mein lieber Herr
Balthasar, mein teurer Freund und Schüler, gut, daß ich Sie hier noch
treffe, um von Ihnen herzlichen Abschied nehmen zu können."
"Wie," sprach Balthasar, "wie Herr Sbiocca, Sie verlassen doch nicht
Kerepes, wo alles Sie ehrt und achtet, wo keiner Sie missen mag?"
"Ja," erwiderte Sbiocca, indem ihm alle Glut des innern Zorns ins
Gesicht trat, "ja, Herr Balthasar, ich verlasse einen Ort, in dem die
Leute sämtlich närrisch sind, der einem großen Irrenhause gleicht. -
Sie waren gestern nicht in meinem Konzert, da Sie über Land gegangen,
sonst hätten Sie mir beistehen können gegen das rasende Volk, dem ich
unterlegen."
"Was ist geschehen, um tausend Himmels willen, was ist geschehen?"
rief Balthasar.
"Ich spiele," fuhr Sbiocca fort, "das schwierigste Konzert von Viotti.
Es ist mein Stolz, meine Freude. Sie haben es von mir gehört, es hat
Sie nie unbegeistert gelassen. Gestern war ich, wohl mag ich es sagen,
ganz vorzüglich bei guter Laune - anima mein' ich, heitren Geistes
- spirito alato mein' ich. Kein Violinspieler auf der ganzen weiten
Erde, Viotti selbst hätte mir nicht nachgespielt. Als ich geendet,
bricht der Beifall mit aller Wut los - furore mein' ich, wie ich
erwartet. Geige unter dem Arm trete ich vor, mich höflichst zu
bedanken. - Aber! was muß ich sehen, was muß ich hören! - Alles, ohne
mich nur im mindesten zu beachten, drängt sich nach einer Ecke des
Saals und schreit: 'Bravo - bravissimo, göttlicher Zinnober! - welch
ein Spiel - welche Haltung, welcher Ausdruck, welche Fertigkeit!' -
Ich renne hin, dränge mich durch! - da steht ein drei Spannen hoher
verwachsener Kerl und schnarrt mit widriger Stimme: 'Bitte, bitte,
recht sehr, habe gespielt, wie es in meinen Kräften stand, bin
freilich nunmehr der stärkste Violinist in Europa und den übrigen
bekannten Weltteilen.' 'Tausend Teufel,' schrie ich, 'wer hat denn
gespielt, ich oder der Erdwurm da!' - Und als der Kleine immer
fortschnarcht: 'Bitte, bitte ergebenst,' will ich auf ihn los und ihn
fassen, in die ganze Applikatur greifend. Aber da stürzen sie auf mich
los und reden wahnsinniges Zeug von Neid, Eifersucht und Mißgunst.
Unterdessen ruft einer: 'Und welche Komposition!' und alle einstimmig
rufen hintendrein: 'Und welche Komposition - göttlicher Zinnober! -
sublimer Komponist!' Noch ärger als zuvor schrie ich: 'Ist denn alles
rasend - besessen? das Konzert war von Viotti, und ich - ich - der
weltberühmte Vincenzo Sbiocca hat es gespielt!' Aber nun packen sie
mich fest, sprechen von italienischer Tollheit - rabbia mein' ich,
von seltsamen Zufällen, bringen mich mit Gewalt in ein Nebenzimmer,
behandeln mich wie einen Kranken, wie einen Wahnsinnigen. Nicht lange
dauert es, so stürzt Signora Bragazzi hinein und fällt ohnmächtig
nieder. Ihr war es ergangen wie mir. Sowie sie ihre Arie geendet,
erdröhnte der Saal von dem: 'Brava - bravissima - Zinnober,' und alle
schrien, keine solche Sängerin gäb' es mehr auf Erden als Zinnober,
und der schnarchte wieder sein verfluchtes: 'Bitte - bitte!' -
Signora Bragazzi liegt im Fieber und wird baldigst verscheiden; ich
meinesteils rette mich durch die Flucht vor dem wahnsinnigen Volke.
Leben Sie wohl, bester Herr Balthasar! - Sehn Sie etwa den Signorino
Zinnober, so sagen Sie ihm gefälligst, er möge sich nicht irgendwo in
einem Konzert blicken lassen, in dem ich zugegen. Unfehlbar würd' ich
ihn sonst bei seinen Käferbeinchen packen und durchs F-Loch in den
Kontrabaß schmeißen, da könne er denn zeit seines Lebens Konzerte
spielen und Arien singen, wie er nur Lust hätte. Leben Sie wohl,
mein geliebter Balthasar, und legen Sie die Violine nicht beiseite!"
- Damit umarmte Herr Vincenzo Sbiocca den vor Staunen erstarrten
Balthasar und stieg in den Wagen, der schnell davonrollte.
"Hab' ich denn nicht recht," sprach Balthasar zu sich selbst, "hab'
ich denn nicht recht, das unheimliche Ding, der Zinnober, ist verhext
und tut es den Leuten an." - In dem Augenblick rannte ein junger
Mensch vorüber, bleich - verstört, Wahnsinn und Verzweiflung im
Antlitz. Dem Balthasar fiel es schwer aufs Herz. Er glaubte in dem
Jünglinge einen seiner Freunde erkannt zu haben und sprang ihm daher
schnell nach in den Wald.
Kaum zwanzig - dreißig Schritte gelaufen, wurde er den Referendarius
Pulcher gewahr, der unter einem großen Baume stehen geblieben und
mit himmelwärts gerichtetem Blick also sprach: "Nein! - nicht länger
dulden diese Schmach! - Alle Hoffnung des Lebens ist dahin! - jede
Aussicht nur ins Grab gerichtet - Fahre wohl - Leben - Welt - Hoffnung
- Geliebte." -
Und damit riß der verzweiflungsvolle Referendarius eine Pistole aus
dem Busen und drückte sie sich an die Stirne.
Balthasar stürzte mit Blitzesschnelle auf ihn zu, schleuderte ihm die
Pistole weit weg aus der Hand und rief: "Pulcher! um Gottes willen,
was ist dir, was tust du!"
Der Referendarius konnte einige Minuten hindurch nicht zu sich selbst
kommen. Er war halb ohnmächtig niedergesunken auf den Rasen; Balthasar
hatte sich zu ihm gesetzt und sprach tröstende Worte, wie er es nur
vermochte, ohne die Ursache von Pulchers Verzweiflung zu wissen.
Hundertmal hatte Balthasar gefragt, was dem Referendarius denn
Schreckliches geschehen, das den schwarzen Gedanken des Selbstmords
in ihm rege gemacht. Da seufzte Pulcher endlich tief auf und begann:
"Du kennst, lieber Freund Balthasar, meine bedrängte Lage, du weißt,
wie ich all meine Hoffnung auf die Stelle des geheimen Expedienten
gesetzt, die bei dem Minister der auswärtigen Angelegenheiten offen;
du weißt, mit welchem Eifer, mit welchem Fleiß ich mich darauf
vorbereitet. Ich hatte meine Ausarbeitungen eingereicht, die, wie ich
zu meiner Freude erfuhr, den vollsten Beifall des Ministers erhalten.
Mit welcher Zuversicht stellte ich mich heute vormittag zur mündlichen
Prüfung! - Ich fand im Zimmer einen kleinen, mißgeschaffenen Kerl,
den du wohl unter dem Namen des Herrn Zinnober kennen wirst. Der
Legationsrat, dem die Prüfung übertragen, trat mir freundlich entgegen
und sagte mir, zu derselben Stelle, die ich zu erhalten wünsche, habe
sich auch Herr Zinnober gemeldet, er werde uns _beide_ daher prüfen.
Dann raunte er mir leise ins Ohr: 'Sie haben von Ihrem Mitbewerber
nichts zu befürchten, bester Referendarius, die Arbeiten, die der
kleine Zinnober eingereicht, sind erbärmlich!' Die Prüfung begann,
keine Frage des Rats ließ ich unbeantwortet. Zinnober wußte
nichts, gar nichts; statt zu antworten, schnarchte und quäkte er
unvernehmliches Zeug, das niemand verstand, fiel auch, indem er
ungebärdig mit den Beinchen strampelte, ein paarmal vom hohen Stuhl
herab, so daß ich ihn wieder hinaufheben mußte. Mir bebte das Herz vor
Vergnügen; die freundlichen Blicke, die der Rat dem Kleinen zuwarf,
hielt ich für die bitterste Ironie. - Die Prüfung war beendigt. Wer
schildert meinen Schreck, mir war es, als wenn ein jäher Blitz mich
klaftertief hineinschlüge in den Boden, als der Rat den Kleinen
umarmte, zu ihm sprach: 'Herrlicher Mensch! - welche Kenntnis -
welcher Verstand - welcher Scharfsinn!' - dann zu mir: 'Sie haben mich
sehr getäuscht, Herr Referendarius Pulcher - Sie wissen ja gar nichts!
Und - nehmen Sie es mir nicht übel, die Art, wie Sie sich zur Prüfung
ermutigt haben mögen, läuft gegen alle Sitte, gegen allen Anstand! -
Sie konnten sich ja gar nicht auf dem Stuhl erhalten, Sie fielen ja
herab, und Herr Zinnober mußte Sie aufrichten. Diplomatische Personen
müssen fein nüchtern sein und besonnen. - Adieu, Herr Referendarius!'
- Noch hielt ich alles für ein tolles Gaukelspiel. Ich wagte es,
ich ging hin zum Minister. Er ließ mir heraussagen, wie ich mich
unterstehen könne, ihn noch mit meinem Besuch zu behelligen, nach der
Art, wie ich mich in der Prüfung bewiesen - er wisse schon alles!
Der Posten, zu dem ich mich gedrängt, sei schon vergeben an Herrn
Zinnober! - So hat mir irgendeine höllische Macht alle Hoffnung
geraubt, und ich will ein Leben freiwillig opfern, das dem dunklen
Verhängnis anheimgefallen! Verlaß mich!" -
"Nimmermehr," rief Balthasar, "erst höre mich an!"
Er erzählte nun alles, was er von Zinnober wußte seit seiner ersten
Erscheinung vor dem Tor von Kerepes; wie es ihm mit dem Kleinen
ergangen im Mosch Terpins Hause; was er eben jetzt von Vincenzo
Sbiocca vernommen. "Es ist nur zu gewiß," sprach er dann, "daß allem
Beginnen der unseligen Mißgeburt irgend etwas Geheimnisvolles zum
Grunde liegt, und glaube mir, Freund Pulcher, - ist irgendein
höllischer Zauber im Spiele, so kommt es nur darauf an, ihm mit
festem Sinn entgegen zu treten, der Sieg ist gewiß, wenn nur der Mut
vorhanden. - Darum nicht verzagt, kein zu rascher Entschluß. Laß uns
vereint dem kleinen Hexenkerl zu Leibe gehen!" -
"Hexenkerl," rief der Referendarius mit Begeisterung, "ja Hexenkerl,
ein ganz verfluchter Hexenkerl ist der Kleine, das ist gewiß! - Doch
Bruder Balthasar, was ist uns denn, liegen wir im Traume? - Hexenwesen
- Zaubereien - ist es denn damit nicht vorbei seit langer Zeit? Hat
denn nicht vor vielen Jahren Fürst Paphnutius der Große die Aufklärung
eingeführt und alles tolle Unwesen, alles Unbegreifliche aus dem Lande
verbannt, und doch soll noch dergleichen verwünschte Contrebande sich
eingeschlichen haben? - Wetter! das müßte man ja gleich der Polizei
anzeigen und den Maut-Offizianten! - Aber nein, nein - nur der
Wahnsinn der Leute oder, wie ich beinahe fürchte, ungeheure Bestechung
ist schuld an unserm Unglück. - Der verwünschte Zinnober soll
unermeßlich reich sein. Er stand neulich vor der Münze, und da zeigten
die Leute mit Fingern nach ihm und riefen: 'Seht den kleinen hübschen
Papa! - dem gehört alles blanke Gold, was da drinnen geprägt wird!'"
"Still," erwiderte Balthasar, "still, Freund Referendarius, mit dem
Golde zwingt es der Unhold nicht, es ist etwas anderes dahinter!
- Wahr, daß Fürst Paphnutius die Aufklärung einführte zu Nutz
und Frommen seines Volks, seiner Nachkommenschaft, aber manches
Wunderbare, Unbegreifliche ist doch noch zurückgeblieben. Ich meine,
man hat noch so fürs Haus einige hübsche Wunder zurückbehalten.
Z.B. noch immer wachsen aus lumpichten Samenkörnern die höchsten,
herrlichsten Bäume, ja sogar die mannigfaltigsten Früchte und
Getreidearten, womit wir uns den Leib stopfen. Erlaubt man ja wohl
noch gar den bunten Blumen, den Insekten auf ihren Blättern und
Flügeln die glänzendsten Farben, selbst die allerverwunderlichsten
Schriftzüge zu tragen, von denen kein Mensch weiß, ob es Öl ist,
Guasche oder Aquarellmanier, und kein Teufel von Schreibmeister kann
die schmucke Kurrentschrift lesen, geschweige denn nachschreiben!
Hoho! Referendarius, ich sage dir, es geht in meinem Innern zuweilen
Absonderliches vor! - Ich lege die Pfeife weg und schreite im Zimmer
auf und ab, und eine seltsame Stimme flüstert, ich sei selbst ein
Wunder, der Zauberer Mikrokosmus hantiere in mir und treibe mich an zu
allerlei tollen Streichen! - Aber, Referendarius, dann laufe ich fort
und schaue hinein in die Natur und verstehe alles, was die Blumen, die
Gewässer zu mir sprechen, und mich umfängt selige Himmelslust!" -
"Du sprichst im Fieber," rief Pulcher; aber Balthasar, ohne auf ihn zu
achten, streckte die Arme aus, wie von inbrünstiger Sehnsucht erfaßt,
nach der Ferne. "Horche doch nur," rief Balthasar, "horche doch nur,
o Referendarius, welche himmlische Musik im Rauschen des Abendwindes
durch den Wald ertönt! - Hörst du wohl, wie die Quellen stärker
erheben ihren Gesang? wie die Büsche, die Blumen einfallen mit
lieblichen Stimmen?" -
Der Referendarius hielt das Ohr hin, um die Musik zu erhorchen, von
der Balthasar sprach. "In der Tat," fing er dann an, "in der Tat, es
wehen Töne durch den Wald, die die anmutigsten, herrlichsten sind,
welche ich in meinem Leben gehört und die mir tief in die Seele
dringen. Doch ist es nicht der Abendwind, nicht die Büsche, nicht die
Blumen sind es, die so singen, vielmehr deucht es mir, als wenn jemand
in der Ferne die tiefsten Glocken einer Harmonika anstriche."
Pulcher hatte recht. Wirklich glichen die vollen, immer stärker und
stärker anschwellenden Akkorde, die immer näher hallten, den Tönen
einer Harmonika, deren Größe und Stärke aber unerhört sein mußte. Als
nun die Freunde weiter vorschritten, bot sich ihnen ein Schauspiel
dar, so zauberhaft, daß sie vor Erstaunen erstarrt - fest gewurzelt -
stehen blieben. In geringer Entfernung fuhr ein Mann langsam durch den
Wald, beinahe chinesisch gekleidet, nur trug er ein weitbauschiges
Barett mit schönen Schwungfedern auf dem Haupte. Der Wagen glich
einer offenen Muschel von funkelndem Kristall, die beiden hohen Räder
schienen von gleicher Masse. Sowie sie sich drehten, erklangen die
herrlichen Harmonikatöne, die die Freunde schon aus der Ferne gehört.
Zwei schneeweiße Einhörner mit goldenem Geschirr zogen den Wagen, auf
dem statt des Fuhrmanns ein Silberfasan saß, die goldnen Leinen im
Schnabel haltend. Hintenauf saß ein großer Goldkäfer, der mit den
flimmernden Flügeln flatternd, dem wunderbaren Mann in der Muschel
Kühlung zuzuwehen schien. Sowie er bei den Freunden vorüberkam, nickte
er ihnen freundlich zu. In dem Augenblick fiel aus dem funkelnden
Knopf des langen Rohrs, das der Mann in der Hand trug, ein Strahl auf
Balthasar, so daß er einen brennenden Stich tief in der Brust fühlte
und mit einem dumpfen Ach! zusammenfuhr. -
Der Mann blickte ihn an und lächelte und winkte noch freundlicher als
zuvor. Sowie das zauberische Fuhrwerk im dichten Gebüsch verschwand,
noch im sanften Nachhallen der Harmonikatöne, fiel Balthasar, ganz
außer sich vor Wonne und Entzücken, dem Freunde um den Hals und rief:
"Referendarius, wir sind gerettet! - jener ist's, der Zinnobers
versuchten Zauber bricht!" -
"Ich weiß nicht," sprach Pulcher, "ich weiß nicht, wie mir in diesem
Augenblick zumute, ob ich wache, ob ich träume; aber so viel ist
gewiß, daß ein unbekanntes Wonnegefühl mich durchdringt und daß Trost
und Hoffnung in meine Seele wiederkehrt."

Fünftes Kapitel
Wie Fürst Barsanuph Leipziger Lerchen und Danziger Goldwasser
frühstückte, einen Butterfleck auf die Kasimirhose bekam und den
Geheimen Sekretär Zinnober zum Geheimen Spezialrat erhob. - Die
Bilderbücher des Doktors Prosper Alpanus. - Wie ein Portier den
Studenten Fabian in den Finger biß, dieser ein Schleppkleid trug und
deshalb verhöhnt wurde. - Balthasars Flucht.
Es ist nicht länger zu verhehlen, daß der Minister der auswärtigen
Angelegenheiten, bei dem Herr Zinnober als Geheimer Expedient
angenommen, ein Abkömmling jenes Barons Prätextatus von Mondschein
war, der den Stammbaum der Fee Rosabelverde in den Turnierbüchern und
Chroniken vergebens suchte. Er hieß wie sein Ahnherr Prätextatus von
Mondschein, war von der feinsten Bildung, den angenehmsten Sitten,
verwechselte niemals das Mich und Mir, das Ihnen und Sie, schrieb
seinen Namen mit französischen Lettern sowie überhaupt eine leserliche
Hand und arbeitete sogar zuweilen selbst, vorzüglich wenn das Wetter
schlecht war. Fürst Barsanuph, ein Nachfolger des großen Paphnutz,
liebte ihn zärtlich, denn er hatte auf jede Frage eine Antwort,
spielte in den Erholungsstunden mit dem Fürsten Kegel, verstand sich
herrlich aufs Geld-Negoz und suchte in der Gavotte seinesgleichen.
Es gab sich, daß der Baron Prätextatus von Mondschein den Fürsten
eingeladen hatte zum Frühstück auf Leipziger Lerchen und ein Gläschen
Danziger Goldwasser. Als er nun hinkam in Mondscheins Haus, fand er im
Vorsaal unter mehreren angenehmen diplomatischen Herren den kleinen
Zinnober, der, auf seinem Stock gestemmt, ihn mit seinen Äugelein
anfunkelte und, ohne sich weiter an ihn zu kehren, eine gebratene
Lerche ins Maul steckte, die er soeben vom Tische gemaust. Sowie der
Fürst den Kleinen erblickte, lächelte er ihn gnädig an und sprach zum
Minister: "Mondschein! was haben Sie da für einen kleinen, hübschen,
verständigen Mann in Ihrem Hause? - Es ist gewiß derselbe, der die
wohl stilisierten und schön geschriebenen Berichte verfertigt, die ich
seit einiger Zeit von Ihnen erhalte?" "Allerdings, gnädigster Herr,"
erwiderte Mondschein. "Mir hat das Geschick ihn zugeführt als den
geistreichsten, geschicktesten Arbeiter in meinem Bureau. Er nennt
sich Zinnober, und ich empfehle den jungen herrlichen Mann ganz
vorzüglich Ihrer Huld und Gnade, mein bester Fürst! - Erst seit
wenigen Tagen ist er bei mir." "Und ebendeshalb," sprach ein junger
hübscher Mann, der sich indessen genähert, "und ebendeshalb hat, wie
Ew. Exzellenz zu bemerken erlauben werden, mein kleiner Kollege noch
gar nichts expediert. Die Berichte, die das Glück hatten, von Ihnen,
mein durchlauchtigster Fürst, mit Wohlgefallen bemerkt zu werden, sind
von mir verfaßt." "Was wollen Sie!" fuhr der Fürst ihn zornig an. -
Zinnober hatte sich dicht an den Fürsten geschoben und schmatzte, die
Lerche verzehrend, vor Gier und Appetit. - Der junge Mensch war es
wirklich, der jene Berichte verfaßt, aber: "Was wollen Sie," rief der
Fürst, "Sie haben ja noch gar nicht die Feder angerührt? - Und daß Sie
dicht bei mir gebratene Lerchen verzehren, so daß, wie ich zu meinem
großen Ärger bemerken muß, meine neue Kasimirhose bereits einen
Butterfleck bekommen, daß Sie dabei so unbillig schmatzen, ja! -
alles das beweiset hinlänglich Ihre völlige Untauglichkeit zu jeder
diplomatischen Laufbahn! - Gehen Sie fein nach Hause und lassen Sie
sich nicht wieder vor mir sehen, es sei denn, Sie brächten mir eine
nützliche Fleckkugel für meine Kasimirhose. - Vielleicht wird mir dann
wieder gnädig zumute!" Dann zum Zinnober: "Solche Jünglinge, wie Sie,
werter Zinnober, sind eine Zierde des Staats und verdienen ehrenvoll
ausgezeichnet zu werden! - Sie sind Geheimer Spezialrat, mein Bester!"
- "Danke schönstens," schnarrte Zinnober, indem er den letzten Bissen
hinunterschluckte und sich das Maul wischte mit beiden Händchen,
"danke schönstens, ich werd' das Ding schon machen, wie es mir
zukommt."
"Wackres Selbstvertrauen," sprach der Fürst mit erhobener Stimme,
"wackres Selbstvertrauen zeugt von der innern Kraft, die dem würdigen
Staatsmann inwohnen muß!" - Und auf diesen Spruch nahm der Fürst ein
Schnäpschen Goldwasser, welches der Minister selbst ihm darreichte und
das ihm sehr wohl bekam. - Der neue Rat mußte Platz nehmen zwischen
dem Fürsten und Minister. Er verzehrte unglaublich viel Lerchen und
trank Malaga und Goldwasser durcheinander und schnarrte und brummte
zwischen den Zähnen und hantierte, da er kaum mit der spitzen Nase
über den Tisch reichen konnte, gewaltig mit den Händchen und Beinchen.
Als das Frühstück beendigt, riefen beide, der Fürst und der Minister:
"Er ist ein englischer Mensch, dieser Geheime Spezialrat!" - "Du
siehst," sprach Fabian zu seinem Freunde Balthasar, "du siehst so
fröhlich aus, deine Blicke leuchten in besonderen Feuer. - Du fühlst
dich glücklich? - Ach, Balthasar, du träumst vielleicht einen schönen
Traum, aber ich muß dich daraus erweckendes ist Freundes Pflicht!"
"Was hast du, was ist geschehen?" fragte Balthasar bestürzt.
"Ja," fuhr Fabian fort, "ja! - ich muß es dir sagen! Fasse dich
nur, mein Freund! - Bedenke, daß vielleicht kein Unfall in der Welt
schmerzlicher trifft und doch leichter zu verwinden ist, als eben
dieser! - Candida" -
"Um Gott," schrie Balthasar entsetzt, "Candida! - was ist mit Candida?
- ist sie hin - ist sie tot?"
"Ruhig," sprach Fabian weiter, "ruhig, mein Freund! - nicht tot
ist Candida, aber so gut als tot für dich! - Wisse, daß der kleine
Zinnober Geheimer Spezialrat geworden und so gut als versprochen ist
mit der schönen Candida, die, Gott weiß wie, in ihn ganz vernarrt sein
soll."
Fabian glaubte, daß Balthasar nun losbrechen werde in ungestüme,
verzweiflungsvolle Klagen und Verwünschungen. Statt dessen sprach er
mit ruhigem Lächeln: "Ist es nichts weiter als das, so gibt es keinen
Unfall, der mich betrüben könnte."
"Du liebst Candida nicht mehr?" fragte Fabian voll Erstaunen.
"Ich liebe," erwiderte Balthasar, "ich liebe das Himmelskind, das
herrliche Mädchen mit aller Inbrunst, mit aller Schwärmerei, die nur
in eines Jünglings Brust sich entzünden kann! Und ich weiß - ach ich
weiß es, daß Candida mich wieder liebt, daß nur ein verruchter Zauber
sie umstrickt hält, aber bald löse ich die Bande dieses Hexenwesens,
bald vernichte ich den Unhold, der die Arme betört." -
Balthasar erzählte nun dem Freunde ausführlich von dem wunderbaren
Mann, dem er in dem seltsamsten Fuhrwerk im Walde begegnet. Er
schloß damit, daß, sowie aus dem Stockknopf des zauberischen Wesens
ein Strahl in seine Brust gefunkelt, der feste Gedanken in ihm
aufgegangen, daß Zinnober nichts sei als ein Hexenmännlein, dessen
Macht jener Mann vernichten werde.
"Aber," rief Fabian, als der Freund geendet, "aber Balthasar, wie
kannst du nur auf solches tolles, wunderliches Zeug verfallen? - Der
Mann, den du für einen Zauberer hältst, ist niemand anders als der
Doktor Prosper Alpanus, der unfern der Stadt auf seinem Landhause
wohnt. Wahr ist es, daß die wunderlichsten Gerüchte von ihm verbreitet
werden, so daß man ihn beinahe für einen zweiten Cagliostro halten
möchte; aber daran ist er selbst schuld. Er liebt es, sich in
mystisches Dunkel zu hüllen, den Schein eines mit den tiefsten
Geheimnissen der Natur vertrauten Mannes anzunehmen, der unbekannten
Kräften gebietet, und dabei hat er die bizarrsten Einfälle. So ist
zum Beispiel sein Fuhrwerk so seltsam beschaffen, daß ein Mensch, der
von lebhafter feuriger Fantasie ist, wie du, mein Freund, wohl dahin
gebracht werden kann, alles für eine Erscheinung aus irgendeinem
tollen Märchen zu halten. Höre also! - Sein Kabriolett hat die Form
einer Muschel und ist über und über versilbert, zwischen den Rädern
ist eine Drehorgel angebracht, welche, sowie der Wagen fährt, von
selbst spielt. Das, was du für einen Silberfasan hieltest, war gewiß
sein kleiner weißgekleideter Jockey, so wie du gewiß die Blätter des
ausgespreiteten Sonnenschirms für die Flügeldecken eines Goldkäfers
hieltest. Seinen beiden weißen Pferdchen läßt er große Hörner
anschrauben, damit es nur recht fabelhaft aussehn soll. Übrigens ist
es richtig, daß der Doktor Alpanus ein schönes spanisches Rohr trägt
mit einem herrlich funkelnden Kristall, der oben darauf sitzt als
Knopf und von dessen wunderlicher Wirkung man viel Fabelhaftes erzählt
oder vielmehr lügt. Den Strahl dieses Kristalls soll nämlich kaum ein
Auge ertragen. Verhüllt ihn der Doktor mit einem dünnen Schleier und
richtet man nun den festen Blick darauf, so soll das Bild der Person,
das man in dem innersten Gedanken trägt, außerhalb wie in einem
Hohlspiegel erscheinen." "In der Tat," fiel Balthasar dem Freunde ins
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