Klein Zaches, genannt Zinnober: Ein Märchen - 3

Total number of words is 4399
Total number of unique words is 1568
40.0 of words are in the 2000 most common words
53.3 of words are in the 5000 most common words
59.6 of words are in the 8000 most common words
Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
Wesens, seiner süßesten Träume.
"Also," rief er in Übermaß seines Unmuts aus, "also für einen
verliebten Gecken hältst du mich, Fabian! - für einen Narren, der in
Mosch Terpins Vorlesungen läuft, um wenigstens eine Stunde hindurch
mit der schönen Candida unter einem Dache zu sein, der in dem Walde
einsam umherstreift, um auf elende Verse zu sinnen an die Geliebte und
sie noch erbärmlicher aufzuschreiben, der die Bäume verdirbt, alberne
Namenszüge in ihre glatten Rinden einschneidend, der in Gegenwart des
Mädchens kein gescheutes Wort zu Markte bringt, sondern nur seufzt und
ächzt und weinerliche Gesichter schneidet, als litt' er an Krämpfen,
der verwelkte Blumen, die sie am Busen trug, oder gar den Handschuh,
den sie verlor, auf der bloßen Brust trägt - kurz, der tausend
kindische Torheiten begeht! - Und darum, Fabian, neckst du mich, und
darum lachen mich wohl alle Burschen aus, und darum bin ich samt
der innern Welt, die mir aufgegangen, vielleicht ein Gegenstand der
Verspottung. - Und die holde - liebliche herrliche Candida -"
Als er diesen Namen aussprach, fuhr es ihm durchs Herz wie ein
glühender Dolchstich! - Ach! - eine innere Stimme flüsterte ihm in dem
Augenblick sehr vernehmlich zu, daß er ja nur eben Candidas wegen in
Mosch Terpins Haus gehe, daß er Verse mache an die Geliebte, daß er
ihre Namen einschneide in das Laubholz, daß er in ihrer Gegenwart
verstumme, seufze, ächze, daß er verwelkte Blumen, die sie verlor, auf
der Brust trage, daß er mithin ja wirklich in alle Torheiten verfalle,
wie sie ihm Fabian nur vorrücken könne. - Erst jetzt fühlte er es
recht, wie unaussprechlich er die schöne Candida liebe, aber auch
zugleich, daß seltsam genug sich die reinste innigste Liebe im äußern
Leben etwas geckenhaft gestalte, welches wohl der tiefen Ironie
zuzurechnen, die die Natur in alles menschliche Treiben gelegt. Er
mochte recht haben, ganz unrecht war es indessen, daß er sich darüber
sehr zu ärgern begann. Träume, die ihn sonst umfingen, waren verloren,
die Stimmen des Waldes klangen ihm wie Hohn und Spott, er rannte
zurück nach Kerepes.
"Herr Balthasar - mon cher Balthasar" - rief es ihn an. Er schlug den
Blick auf und blieb festgezaubert stehen, denn ihm entgegen kam der
Professor Mosch Terpin, der seine Tochter Candida am Arme führte.
Candida begrüßte den zur Bildsäule Erstarrten mit der heitern
freundlichen Unbefangenheit, die ihr eigen. "Balthasar, mon cher
Balthasar," rief der Professor, "Sie sind in der Tat der fleißigste,
mir der liebste von meinen Zuhörern! - O mein Bester, ich merk' es
Ihnen an, Sie lieben die Natur mit all ihren Wundern, wie ich, der ich
einen wahren Narren daran gefressen! - Gewiß wieder botanisiert in
unserm Wäldchen! - Was Ersprießliches gefunden? - Nun! - lassen Sie
uns nähere Bekanntschaft machen. - Besuchen Sie mich - jederzeit
willkommen - Können zusammen experimentieren - Haben Sie schon meine
Luftpumpe gesehen? - Nun! - mon cher - morgen abend versammelt sich
ein freundschaftlicher Zirkel in meinem Hause, welcher Tee mit
Butterbrot konsumieren und sich in angenehmen Gesprächen erlustigen
wird, vermehren Sie ihn durch Ihre werte Person - Sie werden einen
sehr anziehenden jungen Mann kennen lernen, der mir ganz besonders
empfohlen - Bon soir, mon cher - Guten Abend, Vortrefflicher - a
revoir - Auf Wiedersehen! - Sie kommen doch morgen in die Vorlesung? -
Nun - mon cher, Adieu!" - Ohne Balthasars Antwort abzuwarten, schritt
der Professor Mosch Terpin mit seiner Tochter von dannen.
Balthasar hatte in seiner Bestürzung nicht gewagt, die Augen
aufzuschlagen, aber Candidas Blicke brannten hinein in seine Brust,
er fühlte den Hauch ihres Atems, und süße Schauer durchbebten sein
innerstes Wesen.
Entnommen war ihm aller Unmut, er schaute voll Entzücken der holden
Candida nach, bis sie in den Laubgängen verschwand. Dann kehrte er
langsam in den Wald zurück, um herrlicher zu träumen als jemals.

Drittes Kapitel
Wie Fabian nicht wußte, was er sagen sollte. - Candida und Jungfrauen,
die nicht Fische essen dürfen. - Mosch Terpins literarischer Tee. -
Der junge Prinz.
Fabian gedachte, als er den Richtsteig quer durch den Wald lief, dem
kleinen wunderlichen Knirps, der vor ihm davongetrabt, doch wohl
noch zuvorzukommen. Er hatte sich geirrt, denn aus dem Gebüsch
heraustretend, gewahrte er ganz in der Ferne, wie noch ein anderer
stattlicher Reiter sich zu dem Kleinen gesellte und wie nun beide
in das Tor von Kerepes hineinritten. - "Hm!" sprach Fabian zu sich
selbst, "ist der Nußknacker auf seinem großen Pferde auch schon vor
mir angelangt, so komme ich doch noch zeitig genug zu dem Spektakel,
den es geben wird bei seiner Ankunft. Ist das seltsame Ding wirklich
ein Studiosus, so weiset man nach dem 'Geflügelten Roß' und hält
er dort an mit seinem gellenden _Prr_ - _Prr!_ - und wirft die
Reitstiefel voran und sich selbst nach und tut, wenn die Bursche
lachen, wild und trotzig - nun! dann ist das tolle Possenspiel
fertig!" -
Als Fabian nun die Stadt erreicht, glaubte er in den Straßen, auf
dem Wege nach dem "Geflügelten Roß" lauter lachenden Gesichtern
zu begegnen. Dem war aber nicht so. Alle Leute gingen ruhig und
ernst vorüber. Ebenso ernsthaft spazierten auf dem Platz vor dem
"Geflügelten Roß" mehrere Akademiker, die sich dort versammelt,
miteinander sprechend, auf und nieder. Fabian war überzeugt, daß der
Kleine wenigstens hier nicht angekommen sein müsse, da gewahrte er,
einen Blick ins Tor des Gasthauses werfend, daß soeben das sehr
kennbare Pferd des Kleinen nach dem Stall geführt wurde. Auf den
ersten besten seiner Bekannten sprang er nun los und fragte, ob denn
nicht ein ganz seltsamer wunderlicher Knirps herangetrabt sei. - Der,
den Fabian fragte, wußte ebensowenig etwas davon als die übrigen,
denen Fabian nun erzählte, was sich mit ihm und dem Däumling, der
ein Student sein wollen, begeben. Alle lachten sehr, versicherten
indessen, daß ein solches Ding, wie das, was er beschreibe, keineswegs
angelangt. Wohl wären aber vor kaum zehn Minuten zwei sehr stattliche
Reiter auf schönen Pferden im Gasthause zum "Geflügelten Roß"
abgestiegen. "Saß der eine von ihnen auf dem Pferde, das eben nach dem
Stall geführt wurde?" so fragte Fabian. "Allerdings," erwiderte einer,
"allerdings. Der, der auf jenem Pferde saß, war von etwas kleiner
Statur, aber von zierlichem Körperbau, angenehmen Gesichtszügen und
hatte die schönsten Lockenhaare, die man sehen kann. Dabei zeigte er
sich als den vortrefflichsten Reiter, denn er schwang sich mit einer
Behendigkeit, mit einem Anstande vom Pferde herab, wie der erste
Stallmeister unseres Fürsten." - "Und," rief Fabian, "und verlor nicht
die Reitstiefel und kugelte euch nicht vor die Füße?" - "Gott behüte,"
erwiderten alle einstimmig, "Gott behüte! - was denkst du Bruder!
solch ein tüchtiger Reiter wie der Kleine!" - Fabian wußte gar nicht,
was er sagen sollte. Da kam Balthasar die Straße herab. Auf den
stürzte Fabian los, zog ihn heran und erzählte, wie der kleine Knirps,
der ihnen vor dem Tor begegnet und vom Pferde herabgefallen, hier eben
angekommen sei und von allen für einen schönen Mann von zierlichem
Gliederbau und für den vortrefflichsten Reiter gehalten werde. "Du
siehst," erwiderte Balthasar ernst und gelassen, "du siehst, lieber
Bruder Fabian, daß nicht alle so wie du über unglückliche, von der
Natur verwahrloste Menschen lieblos spottend herfallen." - "Aber du
mein Himmel," fiel ihm Fabian ins Wort, "hier ist ja gar nicht von
Spott und Lieblosigkeit die Rede, sondern nur davon, ob ein drei Fuß
hohes Kerlein, der einem Rettich gar nicht unähnlich, ein schöner
zierlicher Mann zu nennen?" - Balthasar mußte, was Wuchs und Ansehen
des kleinen Studenten betraf, Fabians Aussage bestätigen. Die andern
versicherten, daß der kleine Reiter ein hübscher zierlicher Mann sei,
wogegen Fabian und Balthasar fortwährend behaupteten, sie hätten nie
einen scheußlicheren Däumling erblickt. Dabei blieb es, und alle
gingen voll Verwunderung auseinander.
Der späte Abend brach ein, die beiden Freunde begaben sich zusammen
nach ihrer Wohnung. Da fuhr es dem Balthasar, selbst wußte er nicht
wie, heraus, daß er dem Professor Mosch Terpin begegnet, der ihn
auf den folgenden Abend zu sich geladen. "Ei, du glücklicher," rief
Fabian, "ei, du überglücklicher Mensch! - da wirst du dein Liebchen,
die hübsche Mamsell Candida, sehen, hören, sprechen!" - Balthasar,
aufs neue tief verletzt, riß sich los von Fabian und wollte fort. Doch
besann er sich, blieb stehen und sprach, seinen Verdruß mit Gewalt
niederkämpfend: "Du magst recht haben, lieber Bruder, daß du mich
für einen albernen verliebten Gecken hältst, ich bin es vielleicht
wirklich. Aber diese Albernheit ist eine tiefe schmerzhafte Wunde, die
meinem Gemüt geschlagen, und die, auf unvorsichtige Weise berührt,
im heftigeren Weh mich zu allerlei Tollheit aufreizen könnte. Darum,
Bruder, wenn du mich wirklich lieb hast, so nenne mir nicht mehr den
Namen Candida!" - "Du nimmst," erwiderte Fabian, "du nimmst, mein
lieber Freund Balthasar, die Sache wieder entsetzlich tragisch, und
anders läßt sich das auch in deinem Zustande nicht erwarten. Aber um
mit dir nicht in allerlei häßlichen Zwiespalt zu geraten, verspreche
ich, daß der Name Candida nicht eher über meine Lippen kommen soll,
bis du selbst mir Gelegenheit dazu gibst. Nur so viel erlaube mir
heute noch zu sagen, daß ich allerlei Verdruß vorausgehe, in den
dich dein Verliebtsein stürzen wird. Candida ist ein gar hübsches
herrliches Mägdlein, aber zu deiner melancholischen, schwärmerischen
Gemütsart paßt sie ganz und gar nicht. Wirst du näher mit ihr bekannt,
so wird ihr unbefangenes heitres Wesen dir Mangel an Poesie, die
du überall vermissest, scheinen. Du wirst in allerlei wunderliche
Träumereien geraten, und das Ganze wird mit entsetzlichem
eingebildeten Weh und genügender Verzweiflung tumultuarisch enden.
- Übrigens bin ich ebenso wie du auf morgen zu unserm Professor
eingeladen, der uns mit sehr schönen Experimenten unterhalten wird! -
Nun gute Nacht, fabelhafter Träumer! Schlafe, wenn du schlafen kannst
vor solch wichtigem Tage wie der morgende!"
Damit verließ Fabian den Freund, der in tiefes Nachdenken versunken.
- Fabian mochte nicht ohne Grund allerlei pathetische Unglücksmomente
voraussehen, die sich mit Candida und Balthasar wohl zutragen konnten;
denn beider Wesen und Gemütsart schien in der Tat Anlaß genug dazu zu
geben.
Candida war, jeder mußte das eingestehen, ein bildhübsches Mädchen,
mit recht ins Herz hinein strahlenden Augen und etwas aufgeworfenen
Rosenlippen. Ob ihre übrigens schönen Haare, die sie in wunderlichen
Flechten gar fantastisch aufzunesteln wußte, mehr blond oder mehr
braun zu nennen, habe ich vergessen, nur erinnere ich mich sehr gut
der seltsamen Eigenschaft, daß sie immer dunkler und dunkler wurden,
je länger man sie anschaute. Von schlankem hohen Wuchs, leichter
Bewegung, war das Mädchen, zumal in lebenslustiger Umgebung, die Huld,
die Anmut selbst, und man übersah es bei so vielem körperlichen Reiz
sehr gern, daß Hand und Fuß vielleicht kleiner und zierlicher hätten
gebaut sein können. Dabei hatte Candida Goethes "Wilhelm Meister",
Schillers Gedichte und Fouqués "Zauberring" gelesen und beinahe alles,
was darin enthalten, wieder vergessen; spielte ganz passabel das
Pianoforte, sang sogar zuweilen dazu; tanzte die neuesten Françaisen
und Gavotten und schrieb die Waschzettel mit einer feinen leserlichen
Hand. Wollte man durchaus an dem lieben Mädchen etwas aussetzen,
so war es vielleicht, daß sie etwas zu tief sprach, sich zu fest
einschnürte, sich zu lange über einen neuen Hut freute und zuviel
Kuchen zum Tee verzehrte. Überschwenglichen Dichtern war freilich noch
vieles andere an der hübschen Candida nicht recht, aber was verlangen
die auch alles. Fürs erste wollen sie, daß das Fräulein über alles,
was sie von sich verlauten lassen, in ein somnambüles Entzücken
gerate, tief seufze, die Augen verdrehe, gelegentlich auch wohl was
weniges ohnmächtle oder gar zurzeit erblinde als höchste Stufe der
weiblichsten Weiblichkeit. Dann muß besagtes Fräulein des Dichters
Lieder singen nach der Melodie, die ihm (dem Fräulein) selbst aus dem
Herzen geströmt, augenblicklich aber davon krank werden und selbst
auch wohl Verse machen, sich aber sehr schämen, wenn es herauskommt,
ungeachtet die Dame dem Dichter ihre Verse, auf sehr feinem
wohlriechenden Papier mit zarten Buchstaben geschrieben, selbst in
die Hände spielte, der dann auch seinerseits vor Entzücken darüber
erkrankt, welches ihm gar nicht zu verdenken ist. Es gibt poetische
Aszetiker, die noch weiter gehen und es aller weiblichen Zartheit
entgegen finden, daß ein Mädchen lachen, essen und trinken und sich
zierlich nach der Mode kleiden sollte. Sie gleichen beinahe dem
heiligen Hieronymus, der den Jungfrauen verbietet Ohrgehänge zu tragen
und Fische zu essen. Sie sollen, so gebietet der Heilige, nur etwas
zubereitetes Gras genießen, beständig hungrig sein, ohne es zu fühlen,
sich in grobe, schlecht genähte Kleider hüllen, die ihren Wuchs
verbergen, vorzüglich aber eine Person zur Gefährtin wählen, die
ernsthaft, bleich, traurig und etwas schmutzig ist! -
Candida war durch und durch ein heitres unbefangenes Wesen, deshalb
ging ihr nichts über ein Gespräch, das sich auf den leichten luftigen
Schwingen des unverfänglichsten Humors bewegte. Sie lachte recht
herzlich über alles Drollige; sie seufzte nie, als wenn Regenwetter
ihr den gehofften Spaziergang verdarb oder, aller Vorsicht ungeachtet,
der neue Shawl einen Fleck bekommen hatte. Dabei blickte, gab es
wirklichen Anlaß dazu, ein tiefes inniges Gefühl hindurch, das nie
in schale Empfindelei ausarten durfte, und so mochte mir und dir,
geliebter Leser, die wir nicht zu den Überschwenglichen gehören, das
Mädchen eben ganz recht sein. Sehr leicht konnte es mit Balthasar sich
anders verhalten! - Doch bald muß es sich ja wohl zeigen, inwiefern
der prosaische Fabian richtig prophezeit hatte oder nicht! -
Daß Balthasar vor lauter Unruhe, vor unbeschreiblichem süßen Bangen
die ganze Nacht hindurch nicht schlafen konnte: was war natürlicher
als das. Ganz erfüllt von dem Bilde der Geliebten, setzte er sich hin
an den Tisch und schrieb eine ziemliche Anzahl artiger wohlklingender
Verse nieder, die in einer mystischen Erzählung von der Liebe der
Nachtigall zur Purpurrose seinen Zustand schilderten. Die wollt' er
mitnehmen in Mosch Terpins literarischen Tee und damit losfahren auf
Candidas unbewahrtes Herz, wenn und wie es nur möglich.
Fabian lächelte ein wenig, als er, der Verabredung gemäß, zur
bestimmten Stunde kam, um seinen Freund Balthasar abzuholen, und ihn
zierlicher geputzt fand, als er ihn jemals gesehen. Er hatte einen
gezackten Kragen von den feinsten Brüßler Kanten umgetan, sein kurzes
Kleid mit geschlitzten Ärmeln war von gerissenem Samt. Und dazu trug
er französische Stiefeln mit hohen spitzen Absätzen und silbernen
Fransen, einen englischen Hut vom feinsten Kastor und dänische
Handschuhe. So war er ganz deutsch gekleidet, und der Anzug stand ihm
über alle Maßen gut, zumal er sein Haar schön kräuseln lassen und das
kleine Stutzbärtchen wohl aufgekämmt hatte.
Das Herz bebte dem Balthasar vor Entzücken, als in Mosch Terpins
Hause Candida ihm entgegentrat, ganz in der Tracht der altdeutschen
Jungfrau, freundlich, anmutig in Blick und Wort, im ganzen Wesen, wie
man sie immer zu sehen gewohnt. "Mein holdseligstes Fräulein!" seufzte
Balthasar aus dem Innersten auf, als Candida, die süße Candida selbst,
eine Tasse dampfenden Tee ihm darbot. Candida schaute ihn aber an mit
leuchtenden Augen und sprach: "Hier ist Rum und Maraschino, Zwieback
und Pumpernickel, lieber Herr Balthasar, greifen Sie doch nur
gefälligst zu nach Ihrem Belieben!" Statt aber auf Rum und Maraschino,
Zwieback oder Pumpernickel zu schauen oder gar zuzugreifen, konnte
der begeisterte Balthasar den Blick voll schmerzlicher Wehmut der
innigsten Liebe nicht abwenden von der holden Jungfrau und rang nach
Worten, die aus tiefster Seele aussprechen sollten, was er eben
empfand. Da faßte ihn aber der Professor der Ästhetik, ein großer
baumstarker Mann, mit gewaltiger Faust von hinten, drehte ihn herum,
daß er mehr Teewasser auf den Boden verschüttete, als eben schicklich,
und rief mit donnernder Stimme: "Bester Lukas Kranach, saufen Sie
nicht das schnöde Wasser, Sie verderben sich den deutschen Magen total
- dort im andern Zimmer hat unser tapfere Mosch eine Batterie der
schönsten Flaschen mit edlem Rheinwein aufgepflanzt, die wollen wir
sofort spielen lassen!" - Er schleppte den unglücklichen Jüngling
fort.
Doch aus dem Nebenzimmer trat ihnen der Professor Mosch Terpin
entgegen, ein kleines, sehr seltsames Männlein an der Hand führend und
laut rufend: "Hier, meine Damen und Herren, stelle ich Ihnen einen mit
den seltensten Eigenschaften hochbegabten Jüngling vor, dem es nicht
schwer fallen wird, sich Ihr Wohlwollen, Ihre Achtung zu erwerben. Es
ist der junge Herr Zinnober, der erst gestern auf unsere Universität
gekommen und die Rechte zu studieren gedenkt!" - Fabian und Balthasar
erkannten auf den ersten Blick den kleinen wunderlichen Knirps, der
vor dem Tore ihnen entgegengesprengt und vom Pferde gestürzt war.
"Soll ich," sprach Fabian leise zu Balthasar, "soll ich denn noch das
Alräunchen herausfordern auf Blasrohr oder Schusterpfriem? Anderer
Waffen kann ich mich doch nicht bedienen wider diesen furchtbaren
Gegner."
"Schäme dich," erwiderte Balthasar, "schäme dich, daß du den
verwahrlosten Mann verspottest, der, wie du hörst, die seltensten
Eigenschaften besitzt und _so_ durch geistigen Wert das ersetzt, was
die Natur ihm an körperlichen Vorzügen versagte." Dann wandte er sich
zum Kleinen und sprach: "Ich hoffe nicht, bester Herr Zinnober, daß
Ihr gestriger Fall vom Pferde etwa schlimme Folgen gehabt haben wird?"
Zinnober hob sich aber, indem er einen kleinen Stock, den er in der
Hand trug, hinten unterstemmte, auf den Fußspitzen in die Höhe, so daß
er dem Balthasar beinahe bis an den Gürtel reichte, warf den Kopf in
den Nacken, schaute mit wildfunkelnden Augen herauf und sprach in
seltsam schnurrendem Baßton: "Ich weiß nicht, was Sie wollen, wovon
Sie sprechen, mein Herr! Vom Pferde gefallen? - _ich_ vom Pferde
gefallen? - Sie wissen wahrscheinlich nicht, daß ich der beste Reiter
bin, den es geben kann, daß ich niemals vom Pferde falle, daß ich
als Freiwilliger unter den Kürassieren den Feldzug mitgemacht und
Offizieren und Gemeinen Unterricht gab im Reiten auf der Manège! - hm
hm - vom Pferde fallen - ich vom Pferde fallen!" - Damit wollte er
sich rasch umwenden, der Stock, auf den er sich gestützt, glitt aber
aus, und der Kleine torkelte um und um, dem Balthasar vor die Füße.
Balthasar griff herab nach dem Kleinen, ihm aufzuhelfen, und berührte
dabei unversehens sein Haupt. Da stieß der Kleine einen gellenden
Schrei aus, daß es im ganzen Saal widerhallte und die Gäste
erschrocken auffuhren von ihren Sitzen. Man umringte den Balthasar
und fragte durcheinander, warum er denn um des Himmels willen so
entsetzlich geschrieen. "Nehmen Sie es nicht übel, bester Herr
Balthasar," sprach der Professor Mosch Terpin, "aber das war ein etwas
wunderlicher Spaß. Denn wahrscheinlich wollten Sie uns doch glauben
machen, es trete hier jemand einer Katze auf den Schwanz!" "Katze
Katze - weg mit der Katze!" rief eine nervenschwache Dame und fiel
sofort in Ohnmacht, und mit dem Geschrei: "Katze - Katze" - rannten
ein paar alte Herren, die an derselben Idiosynkrasie litten, zur Türe
hinaus.
Candida, die ihr ganzes Riechfläschchen auf die ohnmächtige Dame
ausgegossen, sprach leise zu Balthasar: "Aber was richten Sie auch für
Unheil an mit Ihrem häßlichen gellenden Miau, lieber Herr Balthasar!"
Dieser wußte gar nicht, wie ihm geschah. Glutrot im ganzen Gesicht vor
Unwillen und Scham, vermochte er kein Wort herauszubringen, nicht zu
sagen, daß es ja der kleine Herr Zinnober und nicht _er_ gewesen, der
so entsetzlich gemauzt.
Der Professor Mosch Terpin sah des Jünglings schlimme Verlegenheit.
Er nahte sich ihm freundlich und sprach: "Nun, nun, lieber Herr
Balthasar, sein Sie doch nur ruhig. Ich habe wohl alles bemerkt.
Sich zur Erde bückend, auf allen Vieren hüpfend, ahmten Sie den
gemißhandelten grimmigen Kater herrlich nach. Ich liebe sonst sehr
dergleichen naturhistorische Spiele, doch hier im literarischen Tee"
- "Aber," platzte Balthasar heraus, "aber, vortrefflichster Herr
Professor, ich war es ja nicht." - "Schon gut - schon gut," fiel ihm
der Professor in die Rede. Candida trat zu ihnen. "Tröste mir," sprach
der Professor zu dieser, "tröste mir doch den guten Balthasar, der
ganz betreten ist über alles Unheil, was geschehen."
Der gutmütigen Candida tat der arme Balthasar, der ganz verwirrt mit
niedergesenktem Blick vor ihr stand, herzlich leid. Sie reichte ihm
die Hand und lispelte mit anmutigem Lächeln: "Es sind aber auch recht
komische Leute, die sich so entsetzlich vor Katzen fürchten."
Balthasar drückte Candidas Hand mit Inbrunst an die Lippen. Candida
ließ den seelenvollen Blick ihrer Himmelsaugen auf ihm ruhen. Er war
verzückt in den höchsten Himmel und dachte nicht mehr an Zinnober und
Katzengeschrei. - Der Tumult war vorüber, die Ruhe wieder hergestellt.
Am Teetisch saß die nervenschwache Dame und genoß mehreren Zwieback,
den sie in Rum tunkte, versichernd, an dergleichen erlabe sich das
von feindlicher Macht bedrohte Gemüt, und dem jähen Schreck folge
sehnsüchtig Hoffen! -
Auch die beiden alten Herren, denen draußen wirklich ein flüchtiger
Kater zwischen die Beine gelaufen, kehrten beruhigt zurück und
suchten, wie mehrere andere, den Spieltisch.
Balthasar, Fabian, der Professor der Ästhetik, mehrere junge Leute
setzten sich zu den Frauen. Herr Zinnober hatte sich indessen
eine Fußbank herangerückt und war mittelst derselben auf das Sofa
gestiegen, wo er nun in der Mitte zwischen zwei Frauen saß und stolze
funkelnde Blicke um sich warf.
Balthasar glaubte, daß der rechte Augenblick gekommen, mit seinem
Gedicht von der Liebe der Nachtigall zur Purpurrose hervorzurücken.
Er äußerte daher mit der gehörigen Verschämtheit, wie sie bei jungen
Dichtern im Brauch ist, daß er, dürfe er nicht fürchten, Überdruß und
Langeweile zu erregen, dürfe er auf gütige Nachsicht der geehrten
Versammlung hoffen, es wagen wolle, ein Gedicht, das jüngste Erzeugnis
seiner Muse, vorzulesen.
Da die Frauen schon hinlänglich über alles verhandelt, was sich
Neues in der Stadt zugetragen, die Mädchen den letzten Ball bei dem
Präsidenten gehörig durchgesprochen und sogar über die Normalform der
neuesten Hüte einig worden, da die Männer unter zwei Stunden nicht
auf weitere Speis- und Tränkung rechnen durften, so wurde Balthasar
einstimmig aufgefordert, der Gesellschaft ja den herrlichen Genuß
nicht vorzuenthalten.
Balthasar zog das sauber geschriebene Manuskript hervor und las.
Sein eignes Werk, das in der Tat aus wahrhaftem Dichtergemüt mit
voller Kraft, mit regem Leben hervorgeströmt, begeisterte ihn mehr und
mehr. Sein Vortrag, immer leidenschaftlicher steigend, verriet die
innere Glut des liebenden Herzens. Er bebte vor Entzücken, als leise
Seufzer - manches leise Ach - der Frauen, mancher Ausruf der Männer:
"Herrlich - vortrefflich - göttlich!" ihn überzeugten, daß sein
Gedicht alle hinriß.
Endlich hatte er geendet. Da riefen alle: "Welch ein Gedicht! - welche
Gedanken - welche Fantasie - was für schöne Verse - welcher Wohlklang
- Dank - Dank Ihnen, bester Herr Zinnober, für den göttlichen Genuß" -
"Was? wie?" rief Balthasar; aber niemand achtete auf ihn, sondern
stürzte auf Zinnober zu, der sich auf dem Sofa blähte wie ein kleiner
Puter und mit widriger Stimme schnarchte: "Bitte recht sehr - bitte
recht sehr - müssen so vorlieb nehmen! - ist eine Kleinigkeit, die ich
erst vorige Nacht aufschrieb in aller Eil'!" - Aber der Professor der
Ästhetik schrie: "Vortrefflicher - göttlicher Zinnober! Herzensfreund,
außer mir bist du der erste Dichter, den es jetzt gibt auf Erden! -
Komm an meine Brust, schöne Seele!" - Damit riß er den Kleinen vom
Sofa auf in die Höhe und herzte und küßte ihn. Zinnober betrug sich
dabei sehr ungebärdig. Er arbeitete mit den kleinen Beinchen auf des
Professors dickem Bauch herum und quäkte: "Laß mich los - laß mich los
- es tut mir weh - weh - weh ich kratz' dir die Augen aus - ich beiß'
dir die Nase entzwei!" - "Nein," rief der Professor, indem er den
Kleinen niedersetzte auf den Sofa, "nein, holder Freund, keine zu weit
getriebene Bescheidenheit!" - Mosch Terpin war nun auch vom Spieltisch
herangetreten, der nahm Zinnobers Händchen, drückte es und sprach sehr
ernst: "Vortrefflich, junger Mann! - nicht zuviel, nein, nicht genug
sprach man mir von dem hohen Genius, der Sie beseelt." "Wer ist's,"
rief nun wieder der Professor der Ästhetik in voller Begeisterung
aus, "wer ist's von euch Jungfrauen, der dem herrlichen Zinnober sein
Gedicht, das das innigste Gefühl der reinsten Liebe ausspricht, lohnt
durch einen Kuß?"
Da stand Candida auf, nahete sich, volle Glut auf den Wangen, dem
Kleinen, kniete nieder und küßte ihn auf den garstigen Mund mit blauen
Lippen. "Ja," schrie nun Balthasar, wie vom Wahnsinn plötzlich erfaßt,
"ja, Zinnober - göttlicher Zinnober, du hast das tiefsinnige Gedicht
gemacht von der Nachtigall und der Purpurrose, dir gebührt der
herrliche Lohn, den du erhalten!" -
Und damit riß er den Fabian ins Nebenzimmer hinein und sprach: "Tu mir
den Gefallen und schaue mich recht fest an und dann sage mir offen und
ehrlich, ob ich der Student Balthasar bin oder nicht, ob du wirklich
Fabian bist, ob wir in Mosch Terpins Hause sind, ob wir im Traume
liegen - ob wir närrisch sind - zupfe mich an der Nase oder rüttle
mich zusammen, damit ich nur erwache aus diesem verfluchten Spuk!" -
"Wie magst," erwiderte Fabian, "wie magst du dich denn nur so toll
gebärden aus purer heller Eifersucht, weil Candida den Kleinen küßte.
Gestehen mußt du doch selbst, daß das Gedicht, welches der Kleine
vorlas, in der Tat vortrefflich war." - "Fabian," rief Balthasar
mit dem Ausdruck des tiefsten Erstaunens, "was sprichst du denn?"
"Nun ja," fuhr Fabian fort, "nun ja, das Gedicht des Kleinen war
vortrefflich, und gegönnt hab' ich ihm Candidas Kuß. - Überhaupt
scheint hinter dem seltsamen Männlein allerlei zu stecken, das mehr
wert ist als eine schöne Gestalt. Aber was auch selbst seine Figur
betrifft, so kommt er mir jetzt nichts weniger als so abscheulich
vor wie anfangs. Beim Ablesen des Gedichts verschönerte die innere
Begeisterung seine Gesichtszüge, so daß er mir oft ein anmutiger
wohlgewachsener Jüngling zu sein schien, ungeachtet er doch kaum über
den Tisch hervorragte. Gib deine unnütze Eifersucht auf, befreunde
dich als Dichter mit dem Dichter!"
"Was," schrie Balthasar voll Zorn, "was? - noch befreunden mit dem
verfluchten Wechselbalge, den ich erwürgen möchte mit diesen Fäusten?"
"So," sprach Fabian, "so verschließest du dich denn aller Vernunft.
Doch laß uns in den Saal zurückkehren, wo sich etwas Neues begeben
muß, da ich laute Beifallsrufe vernehme."
Mechanisch folgte Balthasar dem Freunde in den Saal.
Als sie eintraten, stand der Professor Mosch Terpin allein in
der Mitte, die Instrumente noch in der Hand, womit er irgendein
physikalisches Experiment gemacht, starres Staunen im Gesicht. Die
ganze Gesellschaft hatte sich um den kleinen Zinnober gesammelt, der,
den Stock untergestemmt, auf den Fußspitzen dastand und mit stolzem
Blick den Beifall einnahm, der ihm von allen Seiten zuströmte. Man
wandte sich wieder zum Professor, der ein anderes sehr artiges
Kunststückchen machte. Kaum war es fertig, als wiederum alle, den
Kleinen umringend, riefen: "Herrlich - vortrefflich, lieber Herr
Zinnober!" -
Endlich sprang auch Mosch Terpin zu dem Kleinen hin und rief zehnmal
stärker als die übrigen: "Herrlich - vortrefflich, lieber Herr
Zinnober!"
Es befand sich in der Gesellschaft der junge Fürst Gregor, der auf
der Universität studierte. Der Fürst war von der anmutigsten Gestalt,
die man nur sehen konnte, und dabei war sein Betragen so edel und
You have read 1 text from German literature.
Next - Klein Zaches, genannt Zinnober: Ein Märchen - 4
  • Parts
  • Klein Zaches, genannt Zinnober: Ein Märchen - 1
    Total number of words is 4414
    Total number of unique words is 1597
    39.3 of words are in the 2000 most common words
    52.6 of words are in the 5000 most common words
    56.9 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Klein Zaches, genannt Zinnober: Ein Märchen - 2
    Total number of words is 4419
    Total number of unique words is 1679
    38.6 of words are in the 2000 most common words
    50.9 of words are in the 5000 most common words
    56.7 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Klein Zaches, genannt Zinnober: Ein Märchen - 3
    Total number of words is 4399
    Total number of unique words is 1568
    40.0 of words are in the 2000 most common words
    53.3 of words are in the 5000 most common words
    59.6 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Klein Zaches, genannt Zinnober: Ein Märchen - 4
    Total number of words is 4402
    Total number of unique words is 1581
    37.8 of words are in the 2000 most common words
    50.5 of words are in the 5000 most common words
    56.8 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Klein Zaches, genannt Zinnober: Ein Märchen - 5
    Total number of words is 4337
    Total number of unique words is 1542
    38.9 of words are in the 2000 most common words
    52.1 of words are in the 5000 most common words
    58.1 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Klein Zaches, genannt Zinnober: Ein Märchen - 6
    Total number of words is 4254
    Total number of unique words is 1610
    36.5 of words are in the 2000 most common words
    48.3 of words are in the 5000 most common words
    53.9 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Klein Zaches, genannt Zinnober: Ein Märchen - 7
    Total number of words is 4443
    Total number of unique words is 1601
    39.7 of words are in the 2000 most common words
    52.4 of words are in the 5000 most common words
    56.9 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Klein Zaches, genannt Zinnober: Ein Märchen - 8
    Total number of words is 4443
    Total number of unique words is 1514
    39.7 of words are in the 2000 most common words
    51.8 of words are in the 5000 most common words
    57.6 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Klein Zaches, genannt Zinnober: Ein Märchen - 9
    Total number of words is 474
    Total number of unique words is 291
    48.4 of words are in the 2000 most common words
    56.5 of words are in the 5000 most common words
    61.2 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.