Klein Zaches, genannt Zinnober: Ein Märchen - 2

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entblöden sich die Frechen nicht, sowie es ihnen einfällt, in den
Lüften spazieren zu fahren mit vorgespannten Tauben, Schwänen, ja
sogar geflügelten Pferden. Nun frage ich aber, gnädigster Herr,
verlohnt es sich der Mühe, einen gescheuten Akzisetarif zu entwerfen
und einzuführen, wenn es Leute im Staate gibt, die imstande sind,
jedem leichtsinnigen Bürger unversteuerte Waren in den Schornstein
zu werfen, wie sie nur wollen? - Darum, gnädigster Herr, - sowie die
Aufklärung angekündigt wird, fort mit den Feen! - Ihre Paläste werden
umzingelt von der Polizei, man nimmt ihnen ihre gefährliche Habe und
schafft sie als Vagabonden fort nach ihrem Vaterlande, welches, wie
Sie, gnädigster Herr, aus Tausendundeiner Nacht wissen werden, das
Ländchen Dschinnistan ist." "Gehen Posten nach diesem Lande, Andres?"
so fragte der Fürst. "Zurzeit nicht," erwiderte Andres, "aber
vielleicht läßt sich nach eingeführter Aufklärung eine Journaliere
dorthin mit Nutzen einrichten." - "Aber Andres," fuhr der Fürst fort,
"wird man unser Verfahren gegen die Feen nicht hart finden? - Wird das
verwöhnte Volk nicht murren?" - "Auch dafür," sprach Andres, "auch
dafür weiß ich ein Mittel. Nicht alle Feen, gnädigster Herr, wollen
wir fortschicken nach Dschinnistan, sondern einige im Lande behalten,
sie aber nicht allein aller Mittel berauben, der Aufklärung schädlich
zu werden, sondern auch zweckdienliche Mittel anwenden, sie zu
nützlichen Mitgliedern des aufgeklärten Staats umzuschaffen. Wollen
sie sich nicht auf solide Heiraten einlassen, so mögen sie unter
strenger Aufsicht irgendein nützliches Geschäft treiben, Socken
stricken für die Armee, wenn es Krieg gibt, oder sonst. Geben Sie
acht, gnädigster Herr, die Leute werden sehr bald an die Feen, wenn
sie unter ihnen wandeln, gar nicht mehr glauben, und das ist das
beste. So gibt sich alles etwanige Murren von selbst. - Was übrigens
die Utensilien der Feen betrifft, so fallen sie der fürstlichen
Schatzkammer heim, die Tauben und Schwäne werden als köstliche Braten
in die fürstliche Küche geliefert, mit den geflügelten Pferden kann
man aber auch Versuche machen, sie zu kultivieren und zu bilden zu
nützlichen Bestien, indem man ihnen die Flügel abschneidet und sie
zur Stallfütterung gibt, die wir doch hoffentlich zugleich mit der
Aufklärung einführen werden." -
Paphnutius war mit allen Vorschlägen seines Ministers auf das höchste
zufrieden, und schon andern Tages wurde ausgeführt, was beschlossen
war.
An allen Ecken prangte das Edikt wegen der eingeführten Aufklärung,
und zu gleicher Zeit brach die Polizei in die Paläste der Feen, nahm
ihr ganzes Eigentum in Beschlag und führte sie gefangen fort.
Mag der Himmel wissen, wie es sich begab, daß die Fee Rosabelverde die
einzige von allen war, die wenige Stunden vorher, ehe die Aufklärung
hereinbrach, Wind davon bekam und die Zeit nutzte, ihre Schwäne
in Freiheit zu setzen, ihre magischen Rosenstöcke und andere
Kostbarkeiten beiseite zu schaffen. Sie wußte nämlich auch, daß sie
dazu erkoren war, im Lande zu bleiben, worin sie sich, wiewohl mit
großem Widerwillen, fügte.
Überhaupt konnten es weder Paphnutius noch Andres begreifen, warum
die Feen, die nach Dschinnistan transportiert wurden, eine solche
übertriebene Freude äußerten und ein Mal über das andere versicherten,
daß ihnen an aller Habe, die sie zurücklassen müssen, nicht das
mindeste gelegen. "Am Ende," sprach Paphnutius entrüstet, "am Ende ist
Dschinnistan ein viel hübscherer Staat wie der meinige, und sie lachen
mich aus mitsamt meinem Edikt und meiner Aufklärung, die jetzt erst
recht gedeihen soll!" -
Der Geograph sollte mit dem Historiker des Reichs über das Land
umständlich berichten.
Beide stimmten darin überein, daß Dschinnistan ein erbärmliches Land
sei, ohne Kultur, Aufklärung, Gelehrsamkeit, Akazien und Kuhpocken,
eigentlich auch gar nicht existiere. Schlimmeres könne aber einem
Menschen oder einem ganzen Lande wohl nicht begegnen, als gar nicht zu
existieren.
Paphnutius fühlte sich beruhigt.
Als der schöne blumige Hain, in dem der verlassene Palast der Fee
Rosabelverde lag, umgehauen wurde, und beispielshalber Paphnutius
selbst sämtlichen Bauerlümmeln im nächsten Dorfe die Kuhpocken
eingeimpft hatte, paßte die Fee dem Fürsten in dem Walde auf, durch
den er mit dem Minister Andres nach seinem Schloß zurückkehren wollte.
Da trieb sie ihn mit allerlei Redensarten, vorzüglich aber mit einigen
unheimlichen Kuntstückchen, die sie vor der Polizei geborgen, dermaßen
in die Enge, daß er sie um des Himmels willen bat, doch mit einer
Stelle des einzigen und daher besten Fräuleinstifts im ganzen Lande
vorliebzunehmen, wo sie, ohne sich an das Aufklärungsedikt zu kehren,
schalten und walten könne nach Belieben.
Die Fee Rosabelverde nahm den Vorschlag an und kam auf diese Weise in
das Fräuleinstift, wo sie sich, wie schon erzählt worden, das Fräulein
von Rosengrünschön, dann aber, auf dringendes Bitten des Baron
Prätextatus von Mondschein, das Fräulein von Rosenschön nannte.

Zweites Kapitel
Von der unbekannten Völkerschaft, die der Gelehrte Ptolomäus
Philadelphus auf seinen Reisen entdeckte. - Die Universität Kerepes. -
Wie dem Studenten Fabian ein Paar Reitstiefel um den Kopf flogen und
der Professor Mosch Terpin den Studenten Balthasar zum Tee einlud.
In den vertrauten Briefen, die der weltberühmte Gelehrte Ptolomäus
Philadelphus an seinen Freund Rufin schrieb, als er sich auf weiten
Reisen befand, ist folgende merkwürdige Stelle enthalten:
"Du weißt, mein lieber Rufin, daß ich nichts in der Welt so fürchte
und scheue, als die brennenden Sonnenstrahlen des Tages, welche
die Kräfte meines Körpers aufzehren und meinen Geist dermaßen
abspannen und ermatten, daß alle Gedanken in ein verworrenes Bild
zusammenfließen und ich vergebens darnach ringe, auch nur irgendeine
deutliche Gestaltung in meiner Seele zu erfassen. Ich pflege daher in
dieser heißen Jahreszeit des Tages zu ruhen, nachts aber meine Reise
fortzusetzen, und so befand ich mich dann auch in voriger Nacht auf
der Reise. Mein Fuhrmann hatte sich in der dicken Finsternis von dem
rechten, bequemen Wege verirrt und war unversehens auf die Chaussee
geraten. Ungeachtet ich aber durch die harten Stöße, die es hier gab,
in dem Wagen hin und her geschleudert wurde, so daß mein Kopf voller
Beulen einem mit Walnüssen gefüllten Sack nicht unähnlich war,
erwachte ich doch aus dem tiefen Schlafe, in den ich versunken, nicht
eher, bis ich mit einem entsetzlichen Ruck aus dem Wagen heraus auf
den harten Boden stürzte. Die Sonne schien mir hell ins Gesicht, und
durch den Schlagbaum, der dicht vor mir stand, gewahrte ich die hohen
Türme einer ansehnlichen Stadt. Der Fuhrmann lamentierte sehr, da
nicht allein die Deichsel, sondern auch ein Hinterrad des Wagens an
dem großen Stein, der mitten auf der Chaussee lag, gebrochen, und
schien sich wenig oder gar nicht um mich zu kümmern. Ich hielt, wie es
dem Weisen ziemt, meinen Zorn zurück und rief dem Kerl bloß sanftmütig
zu, er sei ein verfluchter Schlingel, er möge bedenken, daß Ptolomäus
Philadelphus, der berühmteste Gelehrte seiner Zeit, auf dem St- säße,
und Deichsel Deichsel und Rad Rad sein lassen. Du kennst, mein lieber
Rufin, die Gewalt, die ich über das menschliche Herz übe, und so
geschah es denn auch, daß der Fuhrmann augenblicklich aufhörte zu
lamentieren und mir mit Hülfe des Chausseeinnehmers, vor dessen
Häuslein sich der Unfall begeben, auf die Beine half. Ich hatte zum
Glück keinen sonderlichen Schaden gelitten und war imstande, langsam
auf der Straße fortzuwandeln, während der Fuhrmann den zerbrochenen
Wagen mühsam nachschleppte. Unfern des Tors der Stadt, die ich in
blauer Ferne gesehen, begegneten mir nun aber viele Leute von solch
wunderlichem Wesen und in solch seltsamer Kleidung, daß ich mir die
Augen rieb, um zu erforschen, ob ich wirklich wache oder ob nicht
vielleicht ein toller neckhafter Traum mich eben in ein fremdes
fabelhaftes Land versetze. - Diese Leute, die ich mit Recht für
Bewohner der Stadt, aus deren Tor ich sie kommen sah, halten durfte,
trugen lange, sehr weite Hosen, nach Art der Japaneser zugeschnitten,
von köstlichem Zeuge, Samt, Manchester, feinem Tuch oder auch wohl
bunt durchwirkter Leinwand, mit Tressen oder hübschen Bändern und
Schnüren reichlich besetzt, dazu kleine Kinderröcklein, kaum den
Unterleib bedeckend, meistens von sonnenheller Farbe, nur wenige
gingen schwarz. Die Haare hingen ungekämmt in natürlicher Wildheit auf
Schultern und Rücken herab, und auf dem Kopf saß ein kleines seltsames
Mützchen. Manche hatten den Hals ganz entblößt nach der Weise der
Türken und Neugriechen, andere dagegen trugen um Hals und Brust ein
Stückchen weiße Leinwand, beinahe einem Hemdekragen ähnlich, wie Du,
geliebter Rufin, sie auf den Bildern unserer Vorfahren gesehen haben
wirst. Ungeachtet diese Leute sämtlich sehr jung zu sein schienen, war
doch ihre Sprache tief und rauh, jede ihrer Bewegungen ungelenk, und
mancher hatte einen schmalen Schatten unter der Nase, als sitze dort
ein Stutzbärtchen. Aus den Hinterteilen der kleinen Röcke mancher
ragte ein langes Rohr hervor, an dem große seidene Quasten baumelten.
Andere hatten diese Röhre hervorgezogen und kleine - größere -
manchmal auch sehr große wunderlich geformte Köpfe unten daran
befestigt, aus denen sie, oben durch ein ganz spitz zulaufendes
Röhrchen hineinblasend, auf geschickte Weise künstliche Dampfwolken
aufsteigen zu lassen wußten. Andre trugen breite blitzende Schwerter
in den Händen, als wollten sie dem Feinde entgegenziehen; noch andere
hatten kleine Behältnisse von Leder oder Blech umgehängt oder über den
Rücken geschnallt. Du kannst denken, lieber Rufin, daß ich, der ich
durch sorgliches Betrachten jeder mir neuen Erscheinung mein Wissen
zu bereichern suche, stillstand und mein Auge fest auf die seltsamen
Leute heftete. Da versammelten sie sich um mich her, schrien ganz
gewaltig: 'Philister - Philister!' - und schlugen eine entsetzliche
Lache auf. - Das verdroß mich. Denn, geliebter Rufin, gibt es für
einen großen Gelehrten etwas Kränkenderes, als für einen von dem Volke
gehalten zu werden, das vor vielen tausend Jahren mittelst eines
Eselkinnbackens erschlagen wurde? - Ich nahm mich zusammen in der mir
angebornen Würde und sprach laut zu dem sonderbaren Volk um mich her,
daß ich hoffe, mich in einem zivilisierten Staat zu befinden, und
daß ich mich an Polizei und Gerichtshöfe wenden würde, um die mir
zugefügte Unbill zu rächen. Da brummten sie alle; auch die, die bisher
noch nicht gedampft, zogen die dazu bestimmten Maschinen aus der
Tasche, und alle bliesen mir die dicken Dampfwolken ins Gesicht,
welche, wie ich nun erst merkte, ganz unerträglich stanken und meine
Sinne betäubten. Dann spachen sie eine Art Fluch über mich aus, dessen
Worte ich ihrer Gräßlichkeit halber Dir, geliebter Rufin, gar nicht
wiederholen mag. Nur mit tiefem Grausen kann ich selbst daran denken.
Endlich verließen sie mich unter lautem Hohngelächter, und mir war's,
als wenn das Wort: Hetzpeitsche in den Lüften verhalle! - Mein
Fuhrmann, der alles mit angehört, mit angesehen, rang die Hände und
sprach: 'Ach mein lieber Herr! nun das geschehen ist, was geschah, so
gehen Sie beileibe nicht in jene Stadt hinein! Kein Hund, wie man zu
sagen pflegt, würde ein Stück Brot von Ihnen nehmen und stete Gefahr
Sie bedrohen, geprü-' Ich ließ den Wackern nicht ausreden, sondern
wandte meine Schritte so schnell, als es nur gehen mochte, nach dem
nächsten Dorfe. In dem einsamen Kämmerlein des einzigen Wirtshauses
dieses Dorfes sitze ich und schreibe Dir, mein geliebter Rufin, dieses
alles! - Soviel es möglich ist, werde ich Nachrichten einziehen von
dem fremden barbarischen Volke, das in jener Stadt hauset. Von ihren
Sitten - Gebräuchen - von ihrer Sprache u.s.w. habe ich mir schon
manches höchst Seltsame erzählen lassen und werde Dir getreulich alles
mitteilen etc. etc."
Du gewahrst, o mein geliebter Leser, daß man ein großer Gelehrter und
doch mit sehr gewöhnlichen Erscheinungen im Leben unbekannt sein, und
doch über Weltbekanntes in die wunderlichsten Träume geraten kann.
Ptolomäus Philadelphus hatte studiert und kannte nicht einmal
Studenten und wußte nicht einmal, daß er in dem Dorfe Hoch-Jakobsheim
saß, das bekanntlich dicht bei der berühmten Universität Kerepes
liegt, als er seinem Freunde von einer Begebenheit schrieb, die sich
in seinem Kopfe zum seltsamsten Abenteuer umgeformt hatte. Der gute
Ptolomäus erschrak, als er Studenten begegnete, die fröhlich und
guter Dinge über Land zogen zu ihrer Lust. Welche Angst hätte ihn
überfallen, wäre er eine Stunde früher in Kerepes angekommen, und
hätte ihn der Zufall vor das Haus des Professors der Naturkunde
Mosch Terpin geführt! - Hunderte von Studenten hätten, aus dem Hause
herausströmend, ihn umringt, lärmend disputierend etc., und noch
wunderliche Träume wären ihm in den Kopf gekommen über diesem Gewirr,
über diesem Getreibe.
Die Kollegia Mosch Terpins wurden nämlich in ganz Kerepes am
häufigsten besucht. Er war, wie gesagt, Professor der Naturkunde, er
erklärte, wie es regnet, donnert, blitzt, warum die Sonne scheint bei
Tage und der Mond des Nachts, wie und warum das Gras wächst etc., so
daß jedes Kind es begreifen mußte. Er hatte die ganze Natur in ein
kleines niedliches Kompendium zusammengefaßt, so daß er sie bequem
nach Gefallen handhaben und daraus für jede Frage die Antwort wie aus
einem Schubkasten herausziehen konnte. Seinen Ruf begründete er zuerst
dadurch, als er es nach vielen physikalischen Versuchen glücklich
herausgebracht hatte, daß die Finsternis hauptsächlich von Mangel an
Licht herrühre. Dies, sowie, daß er eben jene physikalischen Versuche
mit vieler Gewandtheit in nette Kunststückchen umzusetzen wußte und
gar ergötzlichen Hokuspokus trieb, verschaffte ihm den unglaublichen
Zulauf. - Erlaube, mein günstiger Leser, daß, da du da viel besser wie
der berühmte Gelehrte Ptolomäus Philadelphus Studenten kennst, da du
nichts von seiner träumerischen Furchtsamkeit weist, ich dich nun nach
Kerepes führe vor das Haus des Professors Mosch Terpin, als er eben
sein Kollegium beendet. Einer unter den herausströmenden Studenten
fesselt sogleich deine Aufmerksamkeit. Du gewahrst einen
wohlgestalteten Jüngling von drei- bis vierundzwanzig Jahren, aus
dessen dunkel leuchtenden Augen ein innerer reger, herrlicher Geist
mit beredten Worten spricht. Beinahe keck würde sein Blick zu nennen
sein, wenn nicht die schwärmerische Trauer, wie sie auf dem ganzen
blassen Antlitz liegt, einem Schleier gleich die brennenden Strahlen
verhüllte. Sein Rock von schwarzem feinen Tuch, mit gerissenem Samt
besetzt, ist beinahe nach altteutscher Art zugeschnitten, wozu der
zierliche blendendweiße Spitzenkragen, sowie das Samtbarett, das auf
den schönen kastanienbraunen Locken sitzt, ganz gut paßt. Gar hübsch
steht ihm diese Tracht deshalb, weil er seinem ganzen Wesen, seinem
Anstande in Gang und Stellung, seiner bedeutungsvollen Gesichtsbildung
nach wirklich einer schönen frommen Vorzeit anzugehören scheint
und man daher nicht eben an die Ziererei denken mag, wie sie
in kleinlichem Nachäffen mißverstandener Vorbilder in ebenso
mißverstandenen Ansprüchen der Gegenwart oft an der Tagesordnung ist.
Dieser junge Mann, der dir, geliebter Leser, auf den ersten Blick
so wohlgefällt, ist niemand anders als der Student Balthasar,
anständiger, vermögender Leute Kind, fromm - verständig - fleißig -
von dem ich dir, o mein Leser, in der merkwürdigen Geschichte, die ich
aufzuschreiben unternommen, gar vieles zu erzählen gedenke. -
Ernst, in Gedanken vertieft, wie es seine Art war, wandelte Balthasar
aus dem Kollegium des Professors Mosch Terpin dem Tore zu, um sich,
statt auf den Fechtboden, in das anmutige Wäldchen zu begeben, das
kaum ein paar hundert Schritte von Kerepes liegt. Sein Freund Fabian,
ein hübscher Bursche von muntrem Ansehen und ebensolcher Gesinnung,
rannte ihm nach und ereilte ihn dicht vor dem Tore.
"Balthasar!" - rief nun Fabian laut, "Balthasar, nun, willst du wieder
heraus in den Wald und wie ein melancholischer Philister einsam
umherirren, während tüchtige Burschen sich wacker üben in der edlen
Fechtkunst! - Ich bitte dich, Balthasar, laß doch endlich ab von
deinem närrischen, unheimlichen Treiben und sei wieder recht munter
und froh, wie du es sonst wohl warst. Komm! - wir wollen uns in ein
paar Gängen versuchen, und willst du denn noch heraus, so lauf' ich
wohl mit dir."
"Du meinst es gut," erwiderte Balthasar, "du meinst es gut, Fabian,
und deswegen will ich nicht mit dir grollen, daß du mir manchmal auf
Steg und Weg nachläufst wie ein Besessener und mich um manche Lust
bringst, von der du keinen Begriff hast. Du gehörst nun einmal zu den
seltsamen Leuten, die jeden, den sie einsam wandeln sehn, für einen
melancholischen Narren halten und ihn auf ihre Weise handhaben und
kurieren wollen, wie jener Hofschranz den würdigen Prinzen Hamlet, der
dem Männlein dann, als er versicherte, sich nicht auf das Flötenblasen
zu verstehen, eine tüchtige Lehre gab. Damit will ich dich, lieber
Fabian, nun zwar verschonen, übrigens dich aber recht herzlich bitten,
daß du dir zu deiner edlen Fechterei mit Rapier und Hieber einen
andern Kumpan suchen und mich ruhig meinen Weg fortwandeln lassen
mögest." "Nein, nein," rief Fabian lachend, "so entkommst du mir
nicht, mein teurer Freund! - Willst du mit mir nicht auf den
Fechtboden, so gehe ich mit dir heraus in das Wäldchen. Es ist die
Pflicht des treuen Freundes, dich in deinem Trübsinn aufzuheitern.
Komm nur, lieber Balthasar, komm nur, wenn du es denn nicht anders
haben willst."
Damit faßte er den Freund unter den Arm und schritt rüstig mit ihm
von dannen. Balthasar biß in stillem Ingrimm die Zähne zusammen und
beharrte in finsterm Schweigen, während Fabian in einem Zuge Lustiges
und Lustiges erzählte. Es lief viel Albernes mit unter, welches immer
zu geschehen pflegt beim lustigen Erzählen in einem Zuge.
Als sie nun endlich in die kühlen Schatten des duftenden Waldes
traten, als die Büsche wie in sehnsüchtigen Seufzern flüsterten,
als die wunderbaren Melodien der rauschenden Bäche, die Lieder des
Waldgeflügels fernhin tönten und den Widerhall weckten, der ihnen aus
den Bergen antwortete, da stand Balthasar plötzlich still und rief,
indem er die Arme weit ausbreitete, als woll' er Baum und Gebüsch
liebend umfangen: "O, nun ist mir wieder wohl! - unbeschreiblich
wohl!" - Fabian schaute den Freund etwas verblüfft an, wie einer, der
nicht klug werden kann aus des andern Rede, der gar nicht weiß, was
er damit anfangen soll. Da faßte Balthasar seine Hand und rief voll
Entzücken: "Nicht wahr, Bruder, nun geht dir auch das Herz auf, nun
begreifst du auch das selige Geheimnis der Waldeinsamkeit?" - "Ich
verstehe dich nicht ganz, lieber Bruder," erwiderte Fabian, "aber wenn
du meinst, daß dir ein Spaziergang hier im Walde wohl tut, so bin ich
völlig deiner Meinung. Gehe ich nicht auch gern spazieren, zumal in
guter Gesellschaft, in der man ein vernünftiges lehrreiches Gespräch
führen kann? - Z.B. ist es wohl eine wahre Lust, mit unserm Professor
Mosch Terpin über Land zu gehen. Der kennt jedes Pflänzchen, jedes
Gräschen und weiß, wie es heißt mit Namen und in welche Klasse es
gehört, und versteht sich auf Wind und Wetter -" "Halt ein," rief
Balthasar, "ich bitte dich, halt ein! - Du berührst etwas, das mich
toll machen könnte, gäb' es sonst keinen Trost dafür. Die Art, wie
der Professor über die Natur spricht, zerreißt mein Inneres. Oder
vielmehr, mich faßt dabei ein unheimliches Grauen, als säh' ich den
Wahnsinnigen, der in geckenhafter Narrheit König und Herrscher ein
selbst gedrehtes Strohpüppchen liebkost, wähnend, die königliche Braut
zu umhalsen! Seine sogenannten Experimente kommen mir vor wie eine
abscheuliche Verhöhnung des göttlichen Wesens, dessen Atem uns in der
Natur anweht und in unserm innersten Gemüt die tiefsten heiligsten
Ahnungen aufregt. Oft gerat' ich in Versuchung, ihm seine Gläser,
seine Phiolen, seinen ganzen Kram zu zerschmeißen, dächt' ich nicht
daran, daß der Affe ja nicht abläßt mit dem Feuer zu spielen, bis er
sich die Pfoten verbrennt. - Sieh, Fabian, diese Gefühle ängstigen
mich, pressen mir das Herz zusammen in Mosch Terpins Vorlesungen, und
wohl mag ich euch dann tiefsinniger und menschenscheuer vorkommen als
jemals. Mir ist dann zumute, als wollten die Häuser über meinem Kopf
zusammenstürzen, eine unbeschreibliche Angst treibt mich heraus aus
der Stadt. Aber hier, hier erfüllt bald mein Gemüt eine süße Ruhe.
Auf den blumigen Rasen gelagert, schaue ich herauf in das weite Blaue
des Himmels, und über mir, über den jubelnden Wald hinweg ziehen die
goldnen Wolken wie herrliche Träume aus einer fernen Welt voll seliger
Freuden! - O mein Fabian, dann erhebt sich aus meiner eignen Brust
ein wunderbarer Geist, und ich vernehm' es, wie er in geheimnisvollen
Worten spricht mit den Büschen - mit den Bäumen, mit den Wogen des
Waldbachs, und nicht vermag ich die Wonne zu nennen, die dann in süßem
wehmütigen Bangen mein ganzes Wesen durchströmt!" - "Ei," rief Fabian,
"ei, das ist nun wieder das alte ewige Lied von Wehmut und Wonne und
sprechenden Bäumen und Waldbächen. Alle deine Verse strotzen von
diesen artigen Dingen, die ganz passabel ins Ohr fallen und mit Nutzen
verbraucht werden, sobald man nichts weiter dahinter sucht. - Aber
sage mir, mein vortrefflichster Melancholikus, wenn dich Mosch Terpins
Vorlesungen in der Tat so entsetzlich kränken und ärgern, sage mir
nur, warum in aller Welt du in jede hineinläufst, warum du keine
einzige versäumst und dann freilich jedesmal stumm und starr mit
geschlossen Augen dasitzest wie ein Träumender?" - "Frage mich,"
erwiderte Balthasar, indem er die Augen niederschlug, "frage mich
darum nicht, lieber Freund! - Eine unbekannte Gewalt zieht mich jeden
Morgen hinein in Mosch Terpins Haus. Ich fühle im voraus meine Qualen,
und doch kann ich nicht widerstehen, ein dunkles Verhängnis reißt mich
fort!" - "Ha - ha," - lachte Fabian hell auf, "ha ha ha - wie fein
- wie poetisch, wie mystisch! Die unbekannte Gewalt, die dich
hineinzieht in Mosch Terpins Haus, liegt in den dunkelblauen Augen
der schönen Candida! - Daß du bis über die Ohren verliebt bist in des
Professors niedliches Töchterlein, das wissen wir alle längst, und
darum halten wir dir deine Fantasterei, dein närrisches Wesen zugute.
Mit Verliebten ist es nun nicht anders. Du befindest dich im ersten
Stadium der Liebeskrankheit und mußt in späten Jünglingsjahren dich zu
all den seltsamen Possen bequemen, die wir, ich und viele andere, dem
Himmel sei es gedankt! ohne ein großes zuschauendes Publikum auf der
Schule durchmachten. Aber glaube mir, mein süßes Herz -"
Fabian hatte indessen seinen Freund Balthasar wieder beim Arme gefaßt
und war mit ihm rasch weitergeschritten. Eben jetzt traten sie heraus
aus dem Dickicht auf den breiten Weg, der mitten durch den Wald
führte. Da gewahrte Fabian, wie aus der Ferne ein Pferd ohne Reiter,
in eine Staubwolke gehüllt, herantrabte. - "Hei, hei!" rief er, sich
in seiner Rede unterbrechend, "hei, hei, da ist eine verfluchte
Schindmähre durchgegangen und hat ihren Reiter abgesetzt - die müssen
wir fangen und nachher den Reiter suchen im Walde." Damit stellte er
sich mitten in den Weg.
Näher und näher kam das Pferd, da war es, als wenn von beiden Seiten
ein Paar Reitstiefel in der Luft auf und nieder baumelten und auf
dem Sattel etwas Schwarzes sich rege und bewege. Dicht vor Fabian
erschallte ein langes gellendes Prrr - Prrr - und in demselben
Augenblick flogen ihm auch ein Paar Reitstiefel um den Kopf, und
ein kleines seltsames, schwarzes Ding kugelte hin, ihm zwischen die
Beine. Mauerstill stand das große Pferd und beschnüffelte mit lang
vorgestrecktem Halse sein winziges Herrlein, das sich im Sande wälzte
und endlich mühsam auf die Beine richtete. Dem kleinen Knirps steckte
der Kopf tief zwischen den hohen Schultern, er war mit seinem Auswuchs
auf Brust und Rücken, mit seinem kurzen Leibe und seinen hohen
Spinnenbeinchen anzusehen wie ein auf eine Gabel gespießter Apfel, dem
man ein Fratzengesicht eingeschnitten. Als nun Fabian dies seltsame
kleine Ungetüm vor sich stehen sah, brach er in ein lautes Gelächter
aus. Aber der Kleine drückte sich das Barettlein, das er vom Boden
aufgerafft, trotzig in die Augen und fragte, indem er Fabian mit
wilden Blicken durchbohrte, in rauhem, tief heiserem Ton: "Ist dies
der rechte Weg nach Kerepes?" - "Ja, mein Herr!" antwortete Balthasar
mild und ernst und reichte dem Kleinen die Stiefel hin, die er
zusammengesucht hatte. Alles Mühen des Kleinen, die Stiefel
anzuziehen, blieb vergebens, er stülpte einmal übers andere um und
wälzte sich stöhnend im Sande. Balthasar stellte beide Stiefel
aufrecht zusammen, hob den Kleinen sanft in die Höhe und steckte,
ihn ebenso niederlassend, beide Füßchen in die zu schwere und weite
Futterale. Mit stolzem Wesen, die eine Hand in die Seite gestemmt, die
andere ans Barett gelegt, rief der Kleine: "Gratias, mein Herr!" und
schritt nach dem Pferde hin, dessen Zügel er faßte. Alle Versuche,
den Steigbügel zu erreichen oder hinaufzuklimmen auf das große Tier,
blieben indessen vergebens. Balthasar, immer ernst und mild, trat
hinzu und hob den Kleinen in den Steigbügel. Er mochte sich wohl einen
zu starken Schwung gegeben haben, denn in demselben Augenblick, als
er oben saß, lag er auf der andern Seite auch wieder unten. "Nicht so
hitzig, allerliebster Mosje!" rief Fabian, indem er aufs neue in ein
schallendes Gelächter ausbrach. "Der Teufel ist Ihr allerliebster
Mosje," schrie der Kleine ganz erbost, indem er sich den Sand von den
Kleidern klopfte, "ich bin Studiosus, und wenn Sie desgleichen sind,
so ist es Tusch, daß Sie mir wie ein Hasenfuß ins Gesicht lachen, und
Sie müssen sich morgen in Kerepes mit mir schlagen!" "Donner," rief
Fabian immerfort lachend, "Donner, das ist mal ein tüchtiger Bursche,
ein Allerweltskerl, was Courage betrifft und echten Komment". Und
damit hob er den Kleinen, alles Zappelns und Sträubens ungeachtet, in
die Höhe und setzte ihn aufs Pferd, das sofort mit seinem Herrlein
lustig wiehernd davontrabte. - Fabian hielt sich beide Seiten, er
wollte vor Lachen ersticken. - "Es ist grausam," sprach Balthasar,
"einen Menschen auszulachen, den die Natur auf solche entsetzliche
Weise verwahrlost hat, wie den kleinen Reiter dort. Ist er wirklich
Student, so mußt du dich mit ihm schlagen, und zwar, läuft's auch
sonst gegen alle akademische Sitte, auf Pistolen, da er weder Rapier
noch Hieber zu führen vermag." - "Wie ernst," sprach Fabian, "wie
ernst, wie trübselig du das alles wieder nimmst, mein lieber Freund
Balthasar. Nie ist's mir eingefallen, eine Mißgeburt auszulachen.
Aber sage mir, darf solch ein knorpliger Däumling sich auf ein Pferd
setzen, über dessen Hals er nicht wegzuschauen vermag? Darf er die
Füßlein in solch verrucht weite Stiefeln stecken? darf er eine knapp
anschließende Kurtka mit tausend Schnüren und Troddeln und Quasten,
darf er solch ein verwunderliches Samtbarett tragen? darf er solch ein
hochmütiges, trotziges Wesen annehmen? darf er sich solche barbarische
heisere Laute abzwingen? - Darf er das alles, frage ich, ohne mit
Recht als eingefleischter Hasenfuß ausgelacht zu werden? - Aber ich
muß hinein, ich muß den Rumor mit anschauen, den es geben wird, wenn
der ritterliche Studiosus einzieht auf seinem stolzen Rosse! Mit
dir ist doch heute einmal nichts anzufangen! - Gehab' dich wohl!" -
Spornstreichs rannte Fabian durch den Wald nach der Stadt zurück. -
Balthasar verließ den offenen Weg und verlor sich in das dichteste
Gebüsch, da sank er hin auf einen Moossitz, erfaßt, ja überwältigt von
den bittersten Gefühlen. Wohl mocht' es sein, daß er die holde Candida
wirklich liebte, aber er hatte diese Liebe wie ein tiefes, zartes
Geheimnis in dem Innersten seiner Seele vor allen Menschen, ja vor
sich selbst verschlossen. Als nun Fabian so ohne Hehl, so leichtsinnig
darüber sprach, war es ihm, als rissen rohe Hände in frechem Übermut
die Schleier von dem Heiligenbilde herab, die zu berühren er nicht
gewagt, als müsse nun die Heilige auf ihn selbst ewig zürnen. Ja,
Fabians Worte schienen ihm eine abscheuliche Verhöhnung seines ganzen
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