Kant's gesammelte Schriften. Band V. Kritik der praktischen Vernunft. - 14

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als wir an Gott zu denken haben, immer unsicher und mißlich ist,
eine solche Voraussetzung nicht weiter gebracht werden kann, als
zu dem Grade der für uns Menschen allervernünftigsten Meinung.[16]
Dagegen ist #257# ein Bedürfniß der reinen =praktischen= Vernunft auf
einer =Pflicht= gegründet, etwas (das höchste Gut) zum Gegenstande
meines Willens zu |142.20| machen, um es nach allen meinen Kräften
zu befördern; wobei ich aber die Möglichkeit desselben, mithin auch
die Bedingungen dazu, nämlich Gott, Freiheit und Unsterblichkeit,
voraussetzen muß, weil ich diese durch meine speculative Vernunft nicht
beweisen, obgleich auch nicht widerlegen kann. Diese Pflicht gründet
sich auf einem freilich von diesen letzteren Voraussetzungen |142.25|
ganz unabhängigen, für sich selbst apodiktisch gewissen, nämlich dem
moralischen Gesetze und ist so fern keiner anderweitigen Unterstützung
durch theoretische Meinung von der innern Beschaffenheit der Dinge,
der geheimen Abzweckung der Weltordnung, oder eines ihr vorstehenden
Regierers bedürftig, um uns auf das vollkommenste zu unbedingt
gesetzmäßigen Handlungen zu verbinden. Aber der subjective Effect
dieses Gesetzes, nämlich die ihm angemessene und durch dasselbe auch
nothwendige |143.5| =Gesinnung=, das praktisch mögliche höchste Gut zu
befördern, setzt doch wenigstens voraus, daß das letztere =möglich=
sei, widrigenfalls es praktisch unmöglich wäre, dem Objecte eines
Begriffes nachzustreben, welcher im Grunde leer und ohne Object
wäre. Nun betreffen obige Postulate nur #258# die physische oder
metaphysische, mit einem Worte in der Natur der Dinge |143.10| liegende
Bedingungen der =Möglichkeit= des höchsten Guts, aber nicht zum
Behuf einer beliebigen speculativen Absicht, sondern eines praktisch
nothwendigen Zwecks des reinen Vernunftwillens, der hier nicht =wählt=,
sondern einem unnachlaßlichen Vernunftgebote =gehorcht=, welches seinen
Grund =objectiv= in der Beschaffenheit der Dinge hat, so wie sie durch
reine |143.15| Vernunft allgemein beurtheilt werden müssen, und gründet
sich nicht etwa auf =Neigung=, die zum Behuf dessen, was wir aus blos
=subjectiven= Gründen =wünschen=, sofort die Mittel dazu als möglich,
oder den Gegenstand wohl gar als wirklich anzunehmen keinesweges
berechtigt ist. Also ist dieses ein =Bedürfniß in schlechterdings
nothwendiger Absicht= |143.20| und rechtfertigt seine Voraussetzung
nicht blos als erlaubte Hypothese, sondern als Postulat in praktischer
Absicht; und zugestanden, daß das reine moralische Gesetz jedermann
als Gebot (nicht als Klugheitsregel) unnachlaßlich verbinde, darf der
Rechtschaffene wohl sagen: ich =will=, daß ein Gott, daß mein Dasein in
dieser Welt auch außer der Naturverknüpfung |143.25| noch ein Dasein
in einer reinen Verstandeswelt, endlich auch daß meine Dauer endlos
sei, ich beharre darauf und lasse mir diesen Glauben nicht nehmen;
denn dieses ist das einzige, wo mein Interesse, weil ich von demselben
nichts nachlassen =darf=, mein Urtheil unvermeidlich bestimmt, ohne
#259# auf Vernünfteleien zu achten, so wenig ich auch darauf zu
antworten oder |143.30| ihnen scheinbarere entgegen zu stellen im
Stande sein möchte.[17]
[16] Aber selbst auch hier würden wir nicht ein Bedürfniß =der
Vernunft= vorschützen können, läge nicht ein problematischer,
aber doch unvermeidlicher Begriff der Vernunft vor Augen, nämlich
der eines schlechterdings nothwendigen Wesens. Dieser |142.30|
Begriff will nun bestimmt sein, und das ist, wenn der Trieb zur
Erweiterung dazu kommt, der objective Grund eines Bedürfnisses
der speculativen Vernunft, nämlich den Begriff eines nothwendigen
Wesens, welches andern zum Urgrunde dienen soll, näher zu
bestimmen und dieses letzte also wodurch kenntlich zu machen.
Ohne solche vorausgehende nothwendige Probleme giebt es keine
=Bedürfnisse=, wenigstens nicht der |142.35| =reinen Vernunft=;
die übrigen sind Bedürfnisse der =Neigung=.
[17] Im deutschen Museum, Febr. 1787, findet sich eine Abhandlung
von einem sehr feinen und hellen Kopfe, dem sel. =Wizenmann=,
dessen früher Tod zu bedauren ist, darin er die Befugniß, aus
einem Bedürfnisse auf die objective Realität des Gegenstandes
desselben zu schließen, bestreitet und seinen Gegenstand durch
das Beispiel |143.35| eines =Verliebten= erläutert, der, indem er
sich in eine Idee von Schönheit, welche blos sein Hirngespinst
ist, vernarrt hätte, schließen wollte, daß ein solches Object
wirklich wo existire. Ich gebe ihm hierin vollkommen recht in
allen Fällen, wo das |144.25| Bedürfniß auf =Neigung= gegründet
ist, die nicht einmal nothwendig für den, der damit angefochten
ist, die Existenz ihres Objects postuliren kann, viel weniger
eine für jedermann gültige Forderung enthält und daher ein
blos =subjectiver= Grund der Wünsche ist. Hier aber ist es ein
=Vernunftbedürfniß=, aus einem =objectiven= Bestimmungsgrunde des
Willens, nämlich dem moralischen Gesetze, entspringend, welches
|144.30| jedes vernünftige Wesen nothwendig verbindet, also zur
Voraussetzung der ihm angemessenen Bedingungen in der Natur
_a priori_ berechtigt und die letztern von dem vollständigen
praktischen Gebrauche der Vernunft unzertrennlich macht. Es ist
Pflicht, das höchste Gut nach unserem größten Vermögen wirklich
zu machen; daher muß es doch auch möglich sein; mithin ist es für
jedes vernünftige Wesen in der Welt |144.35| auch unvermeidlich,
dasjenige vorauszusetzen, was zu dessen objectiver Möglichkeit
nothwendig ist. Die Voraussetzung ist so nothwendig als das
moralische Gesetz, in Beziehung auf welches sie auch nur gültig
ist.
* * * * *
Um bei dem Gebrauche eines noch so ungewohnten Begriffs, als der eines
reinen praktischen Vernunftglaubens ist, Mißdeutungen zu verhüten,
#260# sei mir erlaubt noch eine Anmerkung hinzuzufügen. -- Es sollte
fast scheinen, als ob dieser Vernunftglaube hier selbst als =Gebot=
angekündigt werde, nämlich das höchste Gut für möglich anzunehmen.
Ein Glaube |144.5| aber, der geboten wird, ist ein Unding. Man erinnere
sich aber der obigen Auseinandersetzung dessen, was im Begriffe des
höchsten Guts anzunehmen verlangt wird, und man wird inne werden,
daß diese Möglichkeit anzunehmen gar nicht geboten werden dürfe, und
keine praktische Gesinnungen fordere, sie =einzuräumen=, sondern daß
speculative Vernunft sie ohne |144.10| Gesuch zugeben müsse; denn daß
eine dem moralischen Gesetze angemessene Würdigkeit der vernünftigen
Wesen in der Welt, glücklich zu sein, mit einem dieser proportionirten
Besitze dieser Glückseligkeit in Verbindung an sich =unmöglich= sei,
kann doch niemand behaupten wollen. Nun giebt uns in Ansehung des
ersten Stücks des höchsten Guts, nämlich was die Sittlichkeit |144.15|
betrifft, das moralische Gesetz blos ein Gebot, und die Möglichkeit
jenes Bestandstücks zu bezweifeln, wäre eben so viel, als das
moralische Gesetz selbst in Zweifel ziehen. Was aber das zweite Stück
jenes Objects, nämlich die jener Würdigkeit durchgängig angemessene
Glückseligkeit, betrifft, so ist zwar die Möglichkeit derselben
überhaupt einzuräumen gar nicht eines |144.20| Gebots bedürftig, denn
die theoretische Vernunft hat selbst nichts dawider: nur =die Art,
wie= wir uns eine solche Harmonie der Naturgesetze mit denen #261#
der Freiheit denken sollen, hat etwas an sich, in Ansehung dessen uns
eine Wahl zukommt, weil theoretische Vernunft hierüber nichts mit
apodiktischer Gewißheit entscheidet, und in Ansehung dieser kann es ein
moralisches Interesse geben, das den Ausschlag giebt.
Oben hatte ich gesagt, daß nach einem bloßen Naturgange in der |145.5|
Welt die genau dem sittlichen Werthe angemessene Glückseligkeit
nicht zu erwarten und für unmöglich zu halten sei, und daß also die
Möglichkeit des höchsten Guts von dieser Seite nur unter Voraussetzung
eines moralischen Welturhebers könne eingeräumt werden. Ich hielt mit
Vorbedacht mit der Einschränkung dieses Urtheils auf die =subjectiven=
Bedingungen |145.10| unserer Vernunft zurück, um nur dann allererst,
wenn die Art ihres Fürwahrhaltens näher bestimmt werden sollte, davon
Gebrauch zu machen. In der That ist die genannte Unmöglichkeit =blos
subjectiv=, d. i. unsere Vernunft findet es =ihr unmöglich=, sich
einen so genau angemessenen und durchgängig zweckmäßigen Zusammenhang
zwischen zwei |145.15| nach so verschiedenen Gesetzen sich eräugnenden
Weltbegebenheiten nach einem bloßen Naturlaufe begreiflich zu machen,
ob sie zwar wie bei allem, was sonst in der Natur Zweckmäßiges ist, die
Unmöglichkeit desselben nach allgemeinen Naturgesetzen doch auch nicht
beweisen, d. i. aus objectiven #262# Gründen hinreichend darthun kann.
|145.20|
Allein jetzt kommt ein Entscheidungsgrund von anderer Art ins Spiel,
um im Schwanken der speculativen Vernunft den Ausschlag zu geben. Das
Gebot, das höchste Gut zu befördern, ist objectiv (in der praktischen
Vernunft), die Möglichkeit desselben überhaupt gleichfalls objectiv (in
der theoretischen Vernunft, die nichts dawider hat) gegründet. Allein
die Art, |145.25| wie wir uns diese Möglichkeit vorstellen sollen, ob
nach allgemeinen Naturgesetzen ohne einen der Natur vorstehenden weisen
Urheber, oder nur unter dessen Voraussetzung, das kann die Vernunft
objectiv nicht entscheiden. Hier tritt nun eine =subjective= Bedingung
der Vernunft ein: die einzige ihr theoretisch mögliche, zugleich der
Moralität (die unter einem =objectiven= |145.30| Gesetze der Vernunft
steht) allein zuträgliche Art, sich die genaue Zusammenstimmung
des Reichs der Natur mit dem Reiche der Sitten als Bedingung der
Möglichkeit des höchsten Guts zu denken. Da nun die Beförderung
desselben und also die Voraussetzung seiner Möglichkeit =objectiv=
(aber nur der praktischen Vernunft zu Folge) nothwendig ist, zugleich
|145.35| aber die Art, auf welche Weise wir es uns als möglich denken
wollen, in unserer Wahl steht, in welcher aber ein freies Interesse
der reinen praktischen Vernunft für die Annehmung eines weisen
Welturhebers entscheidet: so ist das Princip, was unser Urtheil hierin
bestimmt, zwar #263# =subjectiv= als Bedürfniß, aber auch zugleich als
Beförderungsmittel dessen, was =objectiv= (praktisch) nothwendig ist,
der Grund einer =Maxime= des Fürwahrhaltens in moralischer Absicht, d.
i. ein =reiner praktischer |146.5| Vernunftglaube=. Dieser ist also
nicht geboten, sondern als freiwillige, zur moralischen (gebotenen)
Absicht zuträgliche, überdem noch mit dem theoretischen Bedürfnisse
der Vernunft einstimmige Bestimmung unseres Urtheils, jene Existenz
anzunehmen und dem Vernunftgebrauch ferner zum Grunde zu legen, selbst
aus der moralischen Gesinnung entsprungen; |146.10| kann also öfters
selbst bei Wohlgesinnten bisweilen in Schwanken, niemals aber in
Unglauben gerathen.

IX.
Von der der praktischen Bestimmung des Menschen weislich angemessenen
Proportion seiner |146.15| Erkenntnißvermögen.
Wenn die menschliche Natur zum höchsten Gute zu streben bestimmt
ist, so muß auch das Maß ihrer Erkenntnißvermögen, vornehmlich ihr
Verhältniß unter einander, als zu diesem Zwecke schicklich angenommen
werden. Nun beweiset aber die Kritik der reinen =speculativen= Vernunft
|146.20| die größte Unzulänglichkeit derselben, um die wichtigsten
Aufgaben, die #264# ihr vorgelegt werden, dem Zwecke angemessen
aufzulösen, ob sie zwar die natürlichen und nicht zu übersehenden Winke
eben derselben Vernunft, imgleichen die großen Schritte, die sie thun
kann, nicht verkennt, um sich diesem großen Ziele, das ihr ausgesteckt
ist, zu näheren, aber doch, ohne |146.25| es jemals für sich selbst
sogar mit Beihülfe der größten Naturkenntniß zu erreichen. Also scheint
die Natur hier uns nur =stiefmütterlich= mit einem zu unserem Zwecke
benöthigten Vermögen versorgt zu haben.
Gesetzt nun, sie wäre hierin unserem Wunsche willfährig gewesen und
hätte uns diejenige Einsichtsfähigkeit oder Erleuchtung ertheilt,
die |146.30| wir gerne besitzen möchten, oder in deren Besitz einige
wohl gar =wähnen= sich wirklich zu befinden, was würde allem Ansehn
nach wohl die Folge hievon sein? Wofern nicht zugleich unsere ganze
Natur umgeändert wäre, so würden die =Neigungen=, die doch allemal
das erste Wort haben, zuerst ihre Befriedigung und, mit vernünftiger
Überlegung verbunden, ihre größtmögliche und daurende Befriedigung
unter dem Namen der =Glückseligkeit= verlangen; das moralische Gesetz
würde nachher sprechen, um jene in ihren geziemenden Schranken zu
halten und sogar sie alle insgesammt einem höheren, auf keine Neigung
Rücksicht nehmenden Zwecke zu unterwerfen. |147.5| Aber statt des
Streits, den jetzt die moralische Gesinnung mit den Neigungen zu
führen hat, in welchem nach einigen Niederlagen doch #265# allmählig
moralische Stärke der Seele zu erwerben ist, würden =Gott= und
=Ewigkeit= mit ihrer =furchtbaren Majestät= uns unablässig =vor Augen=
liegen (denn was wir vollkommen beweisen können, gilt in Ansehung der
|147.10| Gewißheit uns so viel, als wovon wir uns durch den Augenschein
versichern). Die Übertretung des Gesetzes würde freilich vermieden,
das Gebotene gethan werden; weil aber die =Gesinnung=, aus welcher
Handlungen geschehen sollen, durch kein Gebot mit eingeflößt werden
kann, der Stachel der Thätigkeit hier aber sogleich bei Hand und
=äußerlich= ist, die |147.15| Vernunft also sich nicht allererst empor
arbeiten darf, um Kraft zum Widerstande gegen Neigungen durch lebendige
Vorstellung der Würde des Gesetzes zu sammeln, so würden die mehrsten
gesetzmäßigen Handlungen aus Furcht, nur wenige aus Hoffnung und gar
keine aus Pflicht geschehen, ein moralischer Werth der Handlungen
aber, worauf doch allein |147.20| der Werth der Person und selbst der
der Welt in den Augen der höchsten Weisheit ankommt, würde gar nicht
existiren. Das Verhalten der Menschen, so lange ihre Natur, wie sie
jetzt ist, bliebe, würde also in einen bloßen Mechanismus verwandelt
werden, wo wie im Marionettenspiel alles gut =gesticuliren=, aber in
den Figuren doch =kein Leben= anzutreffen |147.25| sein würde. Nun, da
es mit uns ganz anders beschaffen ist, da wir mit aller Anstrengung
unserer Vernunft nur eine sehr dunkele und zweideutige #266# Aussicht
in die Zukunft haben, der Weltregierer uns sein Dasein und seine
Herrlichkeit nur muthmaßen, nicht erblicken, oder klar beweisen läßt,
dagegen das moralische Gesetz in uns, ohne uns etwas mit Sicherheit
|147.30| zu verheißen, oder zu drohen, von uns uneigennützige Achtung
fordert, übrigens aber, wenn diese Achtung thätig und herrschend
geworden, allererst alsdann und nur dadurch Aussichten ins Reich
des Übersinnlichen, aber auch nur mit schwachen Blicken erlaubt: so
kann wahrhafte sittliche, dem Gesetze unmittelbar geweihte Gesinnung
stattfinden und das vernünftige |147.35| Geschöpf des Antheils am höchsten
Gute würdig werden, das dem moralischen Werthe seiner Person und nicht
blos seinen Handlungen angemessen ist. Also möchte es auch hier wohl
damit seine Richtigkeit haben, was uns das Studium der Natur und des
Menschen sonst hinreichend lehrt, daß die unerforschliche Weisheit,
durch die wir existiren, nicht minder verehrungswürdig ist in dem, was
sie uns versagte, als in dem, was sie uns zu theil werden ließ. |148.5|


Der Kritik der praktischen Vernunft #267#


Zweiter Theil.
Methodenlehre der reinen praktischen Vernunft.

Unter der =Methodenlehre= der reinen =praktischen= Vernunft kann
#269# man nicht die Art (sowohl im Nachdenken als im Vortrage) mit
reinen praktischen Grundsätzen in Absicht auf ein =wissenschaftliches=
Erkenntniß derselben zu verfahren verstehen, welches man sonst im
=Theoretischen= eigentlich allein Methode nennt (denn populäres
Erkenntniß bedarf einer |151.5| =Manier=, Wissenschaft aber einer
=Methode=, d. i. eines Verfahrens =nach Principien= der Vernunft,
wodurch das Mannigfaltige einer Erkenntniß allein ein =System= werden
kann). Vielmehr wird unter dieser Methodenlehre die Art verstanden,
wie man den Gesetzen der reinen praktischen Vernunft =Eingang= in
das menschliche Gemüth, =Einfluß= auf die Maximen |151.10| desselben
verschaffen, d. i. die objectiv praktische Vernunft auch =subjectiv=
praktisch machen könne.
Nun ist zwar klar, daß diejenigen Bestimmungsgründe des Willens,
welche allein die Maximen eigentlich moralisch machen und ihnen einen
sittlichen Werth geben, die unmittelbare Vorstellung des Gesetzes und
die |151.15| objectiv nothwendige Befolgung desselben als Pflicht, als
die eigentlichen Triebfedern der Handlungen vorgestellt werden müssen,
weil sonst zwar =Legalität= der Handlungen, aber nicht =Moralität= der
Gesinnungen bewirkt #270# werden würde. Allein nicht so klar, vielmehr
beim ersten Anblicke ganz unwahrscheinlich muß es jedermann vorkommen,
daß auch subjectiv |151.20| jene Darstellung der reinen Tugend =mehr
Macht= über das menschliche Gemüth haben und eine weit stärkere
Triebfeder abgeben könne, selbst jene Legalität der Handlungen zu
bewirken und kräftigere Entschließungen hervorzubringen, das Gesetz aus
reiner Achtung für dasselbe jeder anderen Rücksicht vorzuziehen, als
alle Anlockungen, die aus Vorspiegelungen von |151.25| Vergnügen und
überhaupt allem dem, was man zur Glückseligkeit zählen mag, oder auch
alle Androhungen von Schmerz und Übeln jemals wirken können. Gleichwohl
ist es wirklich so bewandt, und wäre es nicht so mit der menschlichen
Natur beschaffen, so würde auch keine Vorstellungsart des Gesetzes
durch Umschweife und empfehlende Mittel jemals Moralität der Gesinnung
hervorbringen. Alles wäre lauter Gleißnerei, das Gesetz würde |152.5|
gehaßt, oder wohl gar verachtet, indessen doch um eigenen Vortheils
willen befolgt werden. Der Buchstabe des Gesetzes (Legalität) würde
in unseren Handlungen anzutreffen sein, der Geist desselben aber in
unseren Gesinnungen (Moralität) gar nicht, und da wir mit aller unserer
Bemühung uns doch in unserem Urtheile nicht ganz von der Vernunft los
machen |152.10| können, so würden wir unvermeidlich in unseren eigenen
Augen als nichtswürdige, verworfene Menschen erscheinen müssen, wenn
wir uns gleich #271# für diese Kränkung vor dem inneren Richterstuhl
dadurch schadlos zu halten versuchten, daß wir uns an den Vergnügen
ergötzten, die ein von uns angenommenes natürliches oder göttliches
Gesetz unserem Wahne |152.15| nach mit dem Maschinenwesen ihrer
Polizei, die sich blos nach dem richtete, was man thut, ohne sich um
die Bewegungsgründe, warum man es thut, zu bekümmern, verbunden hätte.
Zwar kann man nicht in Abrede sein, daß, um ein entweder noch
ungebildetes, oder auch verwildertes Gemüth zuerst ins Gleis des
moralisch |152.20| Guten zu bringen, es einiger vorbereitenden
Anleitungen bedürfe, es durch seinen eigenen Vortheil zu locken, oder
durch den Schaden zu schrecken; allein so bald dieses Maschinenwerk,
dieses Gängelband nur einige Wirkung gethan hat, so muß durchaus der
reine moralische Bewegungsgrund an die Seele gebracht werden, der
nicht allein dadurch, daß er der einzige |152.25| ist, welcher einen
Charakter (praktische consequente Denkungsart nach unveränderlichen
Maximen) gründet, sondern auch darum, weil er den Menschen seine eigene
Würde fühlen lehrt, dem Gemüthe eine ihm selbst unerwartete Kraft
giebt, sich von aller sinnlichen Anhänglichkeit, so fern sie herrschend
werden will, loszureißen und in der Unabhängigkeit seiner |152.30|
intelligibelen Natur und der Seelengröße, dazu er sich bestimmt sieht,
für #272# die Opfer, die er darbringt, reichliche Entschädigung zu
finden. Wir wollen also diese Eigenschaft unseres Gemüths, diese
Empfänglichkeit eines reinen moralischen Interesse und mithin die
bewegende Kraft der reinen Vorstellung der Tugend, wenn sie gehörig ans
menschliche Herz gebracht |152.35| wird, als die mächtigste und, wenn
es auf die Dauer und Pünktlichkeit in Befolgung moralischer Maximen
ankommt, einzige Triebfeder zum Guten durch Beobachtungen, die ein
jeder anstellen kann, beweisen; wobei doch zugleich erinnert werden
muß, daß, wenn diese Beobachtungen nur die Wirklichkeit eines solchen
Gefühls, nicht aber dadurch zu Stande gebrachte sittliche Besserung
beweisen, dieses der einzigen Methode, die objectiv praktischen Gesetze
der reinen Vernunft durch bloße reine Vorstellung der |153.5| Pflicht
subjectiv praktisch zu machen, keinen Abbruch thue, gleich als ob sie
eine leere Phantasterei wäre. Denn da diese Methode noch niemals in
Gang gebracht worden, so kann auch die Erfahrung noch nichts von ihrem
Erfolg aufzeigen, sondern man kann nur Beweisthümer der Empfänglichkeit
solcher Triebfedern fordern, die ich jetzt kürzlich vorlegen und
darnach |153.10| die Methode der Gründung und Cultur ächter moralischer
Gesinnungen mit wenigem entwerfen will.
Wenn man auf den Gang der Gespräche in gemischten Gesellschaften,
die nicht blos aus Gelehrten und Vernünftlern, sondern auch aus
Leuten #273# von Geschäften oder Frauenzimmer bestehen, Acht hat,
so bemerkt man, |153.15| daß außer dem Erzählen und Scherzen noch
eine Unterhaltung, nämlich das Räsonniren, darin Platz findet: weil
das erstere, wenn es Neuigkeit und mit ihr Interesse bei sich führen
soll, bald erschöpft, das zweite aber leicht schal wird. Unter allem
Räsonniren ist aber keines, was mehr den Beitritt der Personen, die
sonst bei allem Vernünfteln bald lange Weile |153.20| haben, erregt und
eine gewisse Lebhaftigkeit in die Gesellschaft bringt, als das über den
=sittlichen Werth= dieser oder jener Handlung, dadurch der Charakter
irgend einer Person ausgemacht werden soll. Diejenige, welchen sonst
alles Subtile und Grüblerische in theoretischen Fragen trocken und
verdrießlich ist, treten bald bei, wenn es darauf ankommt, den
moralischen |153.25| Gehalt einer erzählten guten oder bösen Handlung
auszumachen, und sind so genau, so grüblerisch, so subtil, alles, was
die Reinigkeit der Absicht und mithin den Grad der Tugend in derselben
vermindern, oder auch nur verdächtig machen könnte, auszusinnen, als
man bei keinem Objecte der Speculation sonst von ihnen erwartet. Man
kann in diesen Beurtheilungen |153.30| oft den Charakter der über
andere urtheilenden Personen selbst hervorschimmern sehen, deren einige
vorzüglich geneigt scheinen, indem sie ihr Richteramt vornehmlich über
Verstorbene ausüben, das Gute, was von #274# dieser oder jener That
derselben erzählt wird, wider alle kränkende Einwürfe der Unlauterkeit
und zuletzt den ganzen sittlichen Werth der Person |153.35| wider den
Vorwurf der Verstellung und geheimen Bösartigkeit zu vertheidigen,
andere dagegen mehr auf Anklagen und Beschuldigungen sinnen, diesen
Werth anzufechten. Doch kann man den letzteren nicht immer die
Absicht beimessen, Tugend aus allen Beispielen der Menschen gänzlich
wegvernünfteln zu wollen, um sie dadurch zum leeren Namen zu machen,
sondern es ist oft nur wohlgemeinte Strenge in Bestimmung des ächten
sittlichen Gehalts nach einem unnachsichtlichen Gesetze, mit welchem
und |154.5| nicht mit Beispielen verglichen der Eigendünkel im
Moralischen sehr sinkt, und Demuth nicht etwa blos gelehrt, sondern
bei scharfer Selbstprüfung von jedem gefühlt wird. Dennoch kann man
den Verteidigern der Reinigkeit der Absicht in gegebenen Beispielen
es mehrentheils ansehen, daß sie ihr da, wo sie die Vermuthung der
Rechtschaffenheit für sich hat, auch den |154.10| mindesten Fleck
gerne abwischen möchten, aus dem Bewegungsgrunde, damit nicht, wenn
allen Beispielen ihre Wahrhaftigkeit gestritten und aller menschlichen
Tugend die Lauterkeit weggeleugnet würde, diese nicht endlich gar für
ein bloßes Hirngespinst gehalten und so alle Bestrebung zu derselben
als eitles Geziere und trüglicher Eigendünkel geringschätzig |154.15|
gemacht werde.
Ich weiß nicht, warum die Erzieher der Jugend von diesem Hange #275#
der Vernunft, in aufgeworfenen praktischen Fragen selbst die subtilste
Prüfung mit Vergnügen einzuschlagen, nicht schon längst Gebrauch
gemacht haben, und, nachdem sie einen blos moralischen Katechism zum
|154.20| Grunde legten, sie nicht die Biographien alter und neuer
Zeiten in der Absicht durchsuchten, um Beläge zu den vorgelegten
Pflichten bei der Hand zu haben, an denen sie vornehmlich durch die
Vergleichung ähnlicher Handlungen unter verschiedenen Umständen die
Beurtheilung ihrer Zöglinge in Thätigkeit setzten, um den mindern
oder größeren moralischen Gehalt |154.25| derselben zu bemerken, als
worin sie selbst die frühe Jugend, die zu aller Speculation sonst noch
unreif ist, bald sehr scharfsichtig und dabei, weil sie den Fortschritt
ihrer Urtheilskraft fühlt, nicht wenig interessirt finden werden, was
aber das Vornehmste ist, mit Sicherheit hoffen können, daß die öftere
Übung, das Wohlverhalten in seiner ganzen Reinigkeit zu kennen |154.30|
und ihm Beifall zu geben, dagegen selbst die kleinste Abweichung von
ihr mit Bedauern oder Verachtung zu bemerken, ob es zwar bis dahin
nur als ein Spiel der Urtheilskraft, in welchem Kinder mit einander
wetteifern können, getrieben wird, dennoch einen dauerhaften Eindruck
der Hochschätzung auf der einen und des Abscheues auf der andern Seite
|154.35| zurücklassen werde, welche durch bloße Gewohnheit, solche
Handlungen als beifalls- oder tadelswürdig öfters anzusehen, zur
Rechtschaffenheit im #276# künftigen Lebenswandel eine gute Grundlage
ausmachen würden. Nur wünsche ich sie mit Beispielen sogenannter
=edler= (überverdienstlicher) Handlungen, mit welchen unsere
empfindsame Schriften so viel um sich werfen, zu verschonen und alles
blos auf Pflicht und den Werth, den ein Mensch sich in seinen eigenen
Augen durch das Bewußtsein, sie nicht übertreten |155.5| zu haben,
geben kann und muß, auszusetzen, weil, was auf leere Wünsche und
Sehnsuchten nach unersteiglicher Vollkommenheit hinausläuft, lauter
Romanhelden hervorbringt, die, indem sie sich auf ihr Gefühl für das
überschwenglich Große viel zu Gute thun, sich dafür von der Beobachtung
der gemeinen und gangbaren Schuldigkeit, die alsdann ihnen |155.10| nur
unbedeutend klein scheint, frei sprechen.[18]
[18] Handlungen, aus denen große, uneigennützige, theilnehmende
Gesinnung und Menschlichkeit hervorleuchtet, zu preisen, ist ganz
rathsam. Aber man muß hier nicht sowohl auf die =Seelenerhebung=,
die sehr flüchtig und vorübergehend ist, als vielmehr |155.30| auf
die =Herzensunterwerfung= unter =Pflicht=, wovon ein längerer
Eindruck erwartet werden kann, weil sie Grundsätze (jene aber nur
Aufwallungen) mit sich führt, aufmerksam machen. Man darf nur ein
wenig nachsinnen, man wird immer eine Schuld finden, die er sich
irgend wodurch in Ansehung des Menschengeschlechts aufgeladen hat
(sollte es auch nur die sein, daß man durch die Ungleichheit der
|155.35| Menschen in der bürgerlichen Verfassung Vortheile genießt,
um deren willen andere desto mehr entbehren müssen), um durch die
eigenliebige Einbildung des =Verdienstlichen= den Gedanken an
=Pflicht= nicht zu verdrängen.
Wenn man aber frägt, was denn eigentlich die =reine= Sittlichkeit ist,
#277# an der als dem Probemetall man jeder Handlung moralischen Gehalt
prüfen müsse, so muß ich gestehen, daß nur Philosophen die Entscheidung
dieser Frage zweifelhaft machen können; denn in der gemeinen
Menschenvernunft |155.15| ist sie, zwar nicht durch abgezogene
allgemeine Formeln, aber doch durch den gewöhnlichen Gebrauch,
gleichsam als der Unterschied zwischen der rechten und linken Hand,
längst entschieden. Wir wollen also vorerst das Prüfungsmerkmal der
reinen Tugend an einem Beispiele zeigen und, indem wir uns vorstellen,
daß es etwa einem zehnjährigen Knaben |155.20| zur Beurtheilung
vorgelegt worden, sehen, ob er auch von selber, ohne durch den Lehrer
dazu angewiesen zu sein, nothwendig so urtheilen müßte. Man erzähle
die Geschichte eines redlichen Mannes, den man bewegen will, den
Verleumdern einer unschuldigen, übrigens nichts vermögenden Person (wie
etwa Anna von Bolen auf Anklage Heinrich _VIII._ von England) |155.25|
beizutreten. Man bietet Gewinne, d. i. große Geschenke oder hohen
Rang, an, er schlägt sie aus. Dieses wird bloßen Beifall und Billigung
in der Seele des Zuhörers wirken, weil es Gewinn ist. Nun fängt man
es mit Androhung des Verlusts an. Es sind unter diesen Verleumdern
#278# seine besten Freunde, die ihm jetzt ihre Freundschaft aufsagen,
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