Kant's gesammelte Schriften. Band V. Kritik der praktischen Vernunft. - 13

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kenntlich zu machen, merke ich nur noch an: daß, da man Gott
verschiedene Eigenschaften beilegt, deren Qualität man auch den
Geschöpfen angemessen findet, nur daß sie dort zum höchsten
Grade erhoben werden, z. B. Macht, Wissenschaft, Gegenwart, Güte
&c. unter den Benennungen der Allmacht, der Allwissenheit, der
Allgegenwart, der Allgütigkeit &c., |131.30| es doch drei giebt,
die ausschließungsweise und doch ohne Beisatz von Größe Gott
beigelegt werden, und die insgesammt moralisch sind: er ist der
=allein Heilige=, der =allein Selige=, der =allein Weise=; weil
diese Begriffe schon die Uneingeschränktheit bei sich führen.
Nach der Ordnung derselben ist er denn also auch der =heilige
Gesetzgeber= (und Schöpfer), der =gütige Regierer= (und Erhalter)
und |131.35| der =gerechte Richter=: drei Eigenschaften, die alles
in sich enthalten, wodurch Gott der Gegenstand der Religion wird,
und denen angemessen die metaphysischen Vollkommenheiten sich von
selbst in der Vernunft hinzu fügen.
Daß in der Ordnung der Zwecke der Mensch (mit ihm jedes vernünftige
|131.20| Wesen) =Zweck an sich selbst= sei, d. i. niemals blos als
Mittel von jemanden (selbst nicht von Gott), ohne zugleich hiebei
selbst Zweck zu sein, könne gebraucht werden, daß also die =Menschheit=
in unserer Person uns selbst =heilig= sein müsse, folgt nunmehr
von selbst, weil er das =Subject des moralischen Gesetzes=, mithin
dessen ist, was an sich heilig ist, |131.25| um dessen willen und in
Einstimmung mit welchem auch überhaupt nur etwas heilig genannt werden
kann. Denn dieses moralische Gesetz gründet sich auf der Autonomie
seines Willens, als eines freien Willens, der nach seinen allgemeinen
Gesetzen nothwendig zu demjenigen zugleich muß =einstimmen= können,
welchem er sich =unterwerfen= soll. |132.5|

VI. #238#
Über die Postulate der reinen praktischen Vernunft überhaupt.
Sie gehen alle vom Grundsatze der Moralität aus, der kein Postulat,
sondern ein Gesetz ist, durch welches Vernunft unmittelbar den Willen
bestimmt, |132.10| welcher Wille eben dadurch, daß er so bestimmt ist,
als reiner Wille, diese nothwendige Bedingungen der Befolgung seiner
Vorschrift fordert. Diese Postulate sind nicht theoretische Dogmata,
sondern =Voraussetzungen= in nothwendig praktischer Rücksicht,
erweitern also zwar nicht das speculative Erkenntniß, geben aber den
Ideen der speculativen |132.15| Vernunft im =Allgemeinen= (vermittelst
ihrer Beziehung aufs Praktische) objective Realität und berechtigen sie
zu Begriffen, deren Möglichkeit auch nur zu behaupten sie sich sonst
nicht anmaßen könnte.
Diese Postulate sind die der =Unsterblichkeit=, der =Freiheit=,
positiv betrachtet (als der Causalität eines Wesens, so fern es zur
intelligibelen |132.20| Welt gehört), und des =Daseins Gottes=.
Das =erste= fließt aus der praktisch nothwendigen Bedingung der
Angemessenheit der Dauer zur Vollständigkeit der Erfüllung des
moralischen Gesetzes; das =zweite= aus der nothwendigen Voraussetzung
der Unabhängigkeit von der Sinnenwelt und des Vermögens der Bestimmung
seines Willens nach dem Gesetze einer |132.25| #239# intelligibelen
Welt, d. i. der Freiheit; das =dritte= aus der Nothwendigkeit der
Bedingung zu einer solchen intelligibelen Welt, um das höchste Gut zu
sein, durch die Voraussetzung des höchsten selbstständigen Guts, d. i.
des Daseins Gottes.
Die durch die Achtung fürs moralische Gesetz nothwendige Absicht
|132.30| aufs höchste Gut und daraus fließende Voraussetzung der
objectiven Realität desselben führt also durch Postulate der
praktischen Vernunft zu Begriffen, welche die speculative Vernunft zwar
als Aufgaben vortragen, sie aber nicht auflösen konnte. Also 1. zu
derjenigen, in deren Auflösung die letztere nichts als =Paralogismen=
begehen konnte (nämlich der Unsterblichkeit), weil es ihr am Merkmale
der Beharrlichkeit fehlte, um den psychologischen Begriff eines letzten
Subjects, welcher der Seele im Selbstbewußtsein nothwendig beigelegt
wird, zur realen Vorstellung einer Substanz zu ergänzen, welches die
praktische Vernunft durch das Postulat einer |133.5| zur Angemessenheit
mit dem moralischen Gesetze im höchsten Gute, als dem ganzen Zwecke der
praktischen Vernunft, erforderlichen Dauer ausrichtet. 2. Führt sie zu
dem, wovon die speculative Vernunft nichts als =Antinomie= enthielt,
deren Auflösung sie nur auf einem problematisch zwar denkbaren, aber
seiner objectiven Realität nach für sie nicht erweislichen |133.10| und
bestimmbaren Begriffe gründen konnte, nämlich die =kosmologische= Idee
einer intelligibelen Welt und das Bewußtsein unseres #240# Daseins in
derselben, vermittelst des Postulats der Freiheit (deren Realität sie
durch das moralische Gesetz darlegt und mit ihm zugleich das Gesetz
einer intelligibelen Welt, worauf die speculative nur hinweisen, ihren
|133.15| Begriff aber nicht bestimmen konnte). 3. Verschafft sie dem,
was speculative Vernunft zwar denken, aber als bloßes transscendentales
=Ideal= unbestimmt lassen mußte, dem =theologischen= Begriffe des
Urwesens, Bedeutung (in praktischer Absicht, d. i. als einer Bedingung
der Möglichkeit des Objects eines durch jenes Gesetz bestimmten
Willens) als dem |133.20| obersten Princip des höchsten Guts in einer
intelligibelen Welt durch gewalthabende moralische Gesetzgebung in
derselben.
Wird nun aber unser Erkenntniß auf solche Art durch reine praktische
Vernunft wirklich erweitert, und ist das, was für die speculative
=transscendent= war, in der praktischen =immanent=? Allerdings, aber
=nur in |133.25| praktischer Absicht=. Denn wir erkennen zwar dadurch
weder unserer Seele Natur, noch die intelligibele Welt, noch das
höchste Wesen nach dem, was sie an sich selbst sind, sondern haben nur
die Begriffe von ihnen im =praktischen= Begriffe des =höchsten Guts=
vereinigt, als dem Objecte unseres Willens, und völlig _a priori_ durch
reine Vernunft, aber nur vermittelst |133.30| des moralischen Gesetzes
und auch blos in Beziehung auf dasselbe, in Ansehung des Objects, das
es gebietet. Wie aber auch nur die Freiheit #241# möglich sei, und wie
man sich diese Art von Causalität theoretisch und Positiv vorzustellen
habe, wird dadurch nicht eingesehen, sondern nur, daß eine solche sei,
durchs moralische Gesetz und zu dessen Behuf postulirt. So |133.35| ist
es auch mit den übrigen Ideen bewandt, die nach ihrer Möglichkeit kein
menschlicher Verstand jemals ergründen, aber auch, daß sie nicht wahre
Begriffe sind, keine Sophisterei der Überzeugung selbst des gemeinsten
Menschen jemals entreißen wird.

VII.
Wie eine Erweiterung der reinen Vernunft in praktischer Absicht, ohne
damit ihr Erkenntniß als speculativ |134.5| zugleich zu erweitern, zu
denken möglich sei?
Wir wollen diese Frage, um nicht zu abstract zu werden, sofort in
Anwendung auf den vorliegenden Fall beantworten. -- Um ein reines
Erkenntniß =praktisch= zu erweitern, muß eine =Absicht= _a priori_
gegeben sein, d. i. ein Zweck als Object (des Willens), welches
unabhängig von |134.10| allen theoretischen Grundsätzen durch einen
den Willen unmittelbar bestimmenden (kategorischen) Imperativ als
praktisch nothwendig vorgestellt wird, und das ist hier das =höchste
Gut=. Dieses ist aber nicht möglich, ohne drei theoretische Begriffe
(für die sich, weil sie bloße reine Vernunftbegriffe sind, keine
correspondirende Anschauung, mithin auf dem theoretischen |134.15|
#242# Wege keine objective Realität finden läßt) vorauszusetzen:
nämlich Freiheit, Unsterblichkeit und Gott. Also wird durchs praktische
Gesetz, welches die Existenz des höchsten in einer Welt möglichen
Guts gebietet, die Möglichkeit jener Objecte der reinen speculativen
Vernunft, die objective Realität, welche diese ihnen nicht sichern
konnte, postulirt; wodurch |134.20| denn die theoretische Erkenntniß
der reinen Vernunft allerdings einen Zuwachs bekommt, der aber blos
darin besteht, daß jene für sie sonst problematische (blos denkbare)
Begriffe jetzt assertorisch für solche erklärt werden, denen wirklich
Objecte zukommen, weil praktische Vernunft die Existenz derselben zur
Möglichkeit ihres und zwar praktisch schlechthin nothwendigen |134.25|
Objects, des höchsten Guts, unvermeidlich bedarf, und die theoretische
dadurch berechtigt wird, sie vorauszusetzen. Diese Erweiterung der
theoretischen Vernunft ist aber keine Erweiterung der Speculation,
d. i. um in =theoretischer Absicht= nunmehr einen positiven Gebrauch
davon zu machen. Denn da nichts weiter durch praktische Vernunft hiebei
geleistet |134.30| worden, als daß jene Begriffe real sind und wirklich
ihre (mögliche) Objecte haben, dabei aber uns nichts von Anschauung
derselben gegeben wird (welches auch nicht gefordert werden kann), so
ist kein synthetischer Satz durch diese eingeräumte Realität derselben
möglich. Folglich hilft uns #243# diese Eröffnung nicht im mindesten in
speculativer Absicht, wohl aber in |134.35| Ansehung des praktischen
Gebrauchs der reinen Vernunft zur Erweiterung dieses unseres
Erkenntnisses. Die obige drei Ideen der speculativen Vernunft sind
an sich noch keine Erkenntnisse; doch sind es (transscendente)
=Gedanken=, in denen nichts Unmögliches ist. Nun bekommen sie durch
ein apodiktisches praktisches Gesetz, als nothwendige Bedingungen der
Möglichkeit |135.5| dessen, was dieses sich =zum Objecte zu machen=
gebietet, objective Realität, d. i. wir werden durch jenes angewiesen,
=daß sie Objecte haben=, ohne doch, wie sich ihr Begriff auf ein Object
bezieht, anzeigen zu können, und das ist auch noch nicht Erkenntniß
=dieser Objecte=; denn man kann dadurch gar nichts über sie synthetisch
urtheilen, noch die Anwendung |135.10| derselben theoretisch bestimmen,
mithin von ihnen gar keinen theoretischen Gebrauch der Vernunft machen,
als worin eigentlich alle speculative Erkenntniß derselben besteht.
Aber dennoch ward das theoretische Erkenntniß =zwar nicht dieser
Objecte=, aber der Vernunft überhaupt dadurch so fern erweitert, daß
durch die praktischen Postulate jenen |135.15| Ideen doch =Objecte
gegeben= wurden, indem ein blos problematischer Gedanke dadurch
allererst objective Realität bekam. Also war es keine Erweiterung der
Erkenntniß =von gegebenen übersinnlichen Gegenständen=, aber doch
eine Erweiterung der theoretischen Vernunft und der #244# Erkenntniß
derselben in Ansehung des Übersinnlichen überhaupt, so fern |135.20|
als sie genöthigt wurde, =daß es solche Gegenstände gebe=, einzuräumen,
ohne sie doch näher bestimmen, mithin dieses Erkenntniß von den
Objecten (die ihr nunmehr aus praktischem Grunde und auch nur zum
praktischen Gebrauche gegeben worden) selbst erweitern zu können,
welchen Zuwachs also die reine theoretische Vernunft, für die alle
jene Ideen |135.25| transscendent und ohne Object sind, lediglich
ihrem reinen praktischen Vermögen zu verdanken hat. Hier werden sie
=immanent= und =constitutiv=, indem sie Gründe der Möglichkeit sind,
das =nothwendige Object= der reinen praktischen Vernunft (das höchste
Gut) =wirklich zu machen=, da sie ohne dies =transscendent= und blos
=regulative= Principien der |135.30| speculativen Vernunft sind, die
ihr nicht ein neues Object über die Erfahrung hinaus anzunehmen,
sondern nur ihren Gebrauch in der Erfahrung der Vollständigkeit zu
näheren auferlegen. Ist aber die Vernunft einmal im Besitze dieses
Zuwachses, so wird sie als speculative Vernunft (eigentlich nur zur
Sicherung ihres praktischen Gebrauchs) negativ, d. i. |135.35| nicht
erweiternd, sondern läuternd, mit jenen Ideen zu Werke gehen, um
einerseits den =Anthropomorphism= als den Quell der =Superstition=,
oder scheinbare Erweiterung jener Begriffe durch vermeinte Erfahrung,
andererseits den =Fanaticism=, der sie durch übersinnliche Anschauung
oder dergleichen Gefühle verspricht, abzuhalten; welches alles
Hindernisse #245# des praktischen Gebrauchs der reinen Vernunft
sind, deren Abwehrung also zu der Erweiterung unserer Erkenntniß in
praktischer Absicht allerdings |136.5| gehört, ohne daß es dieser
widerspricht, zugleich zu gestehen, daß die Vernunft in speculativer
Absicht dadurch im mindesten nichts gewonnen habe.
Zu jedem Gebrauche der Vernunft in Ansehung eines Gegenstandes werden
reine Verstandesbegriffe (=Kategorien=) erfordert, ohne die kein
|136.10| Gegenstand gedacht werden kann. Diese können zum theoretischen
Gebrauche der Vernunft, d. i. zu dergleichen Erkenntniß, nur angewandt
werden, so fern ihnen zugleich Anschauung (die jederzeit sinnlich ist)
untergelegt wird, und also blos, um durch sie ein Object möglicher
Erfahrung vorzustellen. Nun sind hier aber =Ideen= der Vernunft, die
in gar keiner |136.15| Erfahrung gegeben werden können, das, was
ich durch Kategorien denken müßte, um es zu erkennen. Allein es ist
hier auch nicht um das theoretische Erkenntniß der Objecte dieser
Ideen, sondern nur darum, daß sie überhaupt Objecte haben, zu thun.
Diese Realität verschafft reine praktische Vernunft, und hiebei hat
die theoretische Vernunft nichts weiter zu |136.20| thun, als jene
Objecte durch Kategorien blos zu =denken=, welches, wie wir sonst
deutlich gewiesen haben, ganz wohl, ohne Anschauung (weder sinnliche,
noch übersinnliche) zu bedürfen, angeht, weil die Kategorien im #246#
reinen Verstande unabhängig und vor aller Anschauung, lediglich als
dem Vermögen zu denken, ihren Sitz und Ursprung haben, und sie immer
|136.25| nur ein Object überhaupt bedeuten, =auf welche Art es uns auch
immer gegeben werden mag=. Nun ist den Kategorien, so fern sie auf
jene Ideen angewandt werden sollen, zwar kein Object in der Anschauung
zu geben möglich; es ist ihnen aber doch, =daß ein solches wirklich
sei=, mithin die Kategorie als eine bloße Gedankenform hier nicht leer
sei, sondern |136.30| Bedeutung habe, durch ein Object, welches die
praktische Vernunft im Begriffe des höchsten Guts ungezweifelt
darbietet, die =Realität der Begriffe=, die zum Behuf der Möglichkeit
des höchsten Guts gehören, hinreichend gesichert, ohne gleichwohl
durch diesen Zuwachs die mindeste Erweiterung des Erkenntnisses nach
theoretischen Grundsätzen zu bewirken. |136.35|
* * * * *
Wenn nächstdem diese Ideen von Gott, einer intelligibelen Welt (dem
Reiche Gottes) und der Unsterblichkeit durch Prädicate bestimmt
werden, die von unserer eigenen Natur hergenommen sind, so darf man
diese Bestimmung weder als =Versinnlichung= jener reinen Vernunftideen
(Anthropomorphismen), noch als überschwengliches Erkenntniß |137.5|
=übersinnlicher= Gegenstände ansehen; denn diese Prädicate sind keine
andere als Verstand und Wille, und zwar so im Verhältnisse gegen
einander #247# betrachtet, als sie im moralischen Gesetze gedacht
werden müssen, also nur so weit von ihnen ein reiner praktischer
Gebrauch gemacht wird. Von allem übrigen, was diesen Begriffen
psychologisch anhängt, d. i. so |137.10| fern wir diese unsere Vermögen
=in ihrer Ausübung= empirisch beobachten, (z. B. daß der Verstand
des Menschen discursiv ist, seine Vorstellungen also Gedanken, nicht
Anschauungen sind, daß diese in der Zeit auf einander folgen, daß sein
Wille immer mit einer Abhängigkeit der Zufriedenheit von der Existenz
seines Gegenstandes behaftet ist u. s. w., welches |137.15| im höchsten
Wesen so nicht sein kann) wird alsdann abstrahirt, und so bleibt von
den Begriffen, durch die wir uns ein reines Verstandeswesen denken,
nichts mehr übrig, als gerade zur Möglichkeit erforderlich ist, sich
ein moralisch Gesetz zu denken, mithin zwar ein Erkenntniß Gottes,
aber nur in praktischer Beziehung, wodurch, wenn wir den Versuch
machen, |137.20| es zu einem theoretischen zu erweitern, wir einen
Verstand desselben bekommen, der nicht denkt, sondern =anschaut=,
einen Willen, der auf Gegenstände gerichtet ist, von deren Existenz
seine Zufriedenheit nicht im Mindesten abhängt (ich will nicht einmal
der transscendentalen Prädicate erwähnen, als z. B. eine Größe der
Existenz, d. i. Dauer, die aber nicht in |137.25| der Zeit, als dem
einzigen uns möglichen Mittel uns Dasein als Größe vorzustellen,
stattfindet), lauter Eigenschaften, von denen wir uns gar keinen #248#
Begriff, zum =Erkenntnisse= des Gegenstandes tauglich, machen können,
und dadurch belehrt werden, daß sie niemals zu einer =Theorie= von
übersinnlichen Wesen gebraucht werden können und also auf dieser Seite
ein |137.30| speculatives Erkenntniß zu gründen gar nicht vermögen,
sondern ihren Gebrauch lediglich auf die Ausübung des moralischen
Gesetzes einschränken.
Dieses letztere ist so augenscheinlich und kann so klar durch die
That bewiesen werden, daß man getrost alle vermeinte =natürliche
Gottesgelehrte= (ein wunderlicher Name)[15] auffordern kann, auch
nur eine diesen |137.35| ihren Gegenstand (über die blos ontologischen
Prädicate hinaus) bestimmende Eigenschaft, etwa des Verstandes oder des
Willens, zu nennen, an der man nicht unwidersprechlich darthun könnte,
daß, wenn man alles #249# Anthropomorphistische davon absondert, uns
nur das bloße Wort übrig bleibe, ohne damit den mindesten Begriff
verbinden zu können, dadurch |138.5| eine Erweiterung der theoretischen
Erkenntniß gehofft werden dürfte. In Ansehung des Praktischen aber
bleibt uns von den Eigenschaften eines Verstandes und Willens doch noch
der Begriff eines Verhältnisses übrig, welchem das praktische Gesetz
(das gerade dieses Verhältniß des Verstandes zum Willen _a priori_
bestimmt) objective Realität verschafft. Ist dieses |138.10| nun einmal
geschehen, so wird dem Begriffe des Objects eines moralisch bestimmten
Willens (dem des höchsten Guts) und mit ihm den Bedingungen seiner
Möglichkeit, den Ideen von Gott, Freiheit und Unsterblichkeit, auch
Realität, aber immer nur in Beziehung auf die Ausübung des moralischen
Gesetzes (zu keinem speculativen Behuf) gegeben. |138.15|
[15] =Gelehrsamkeit= ist eigentlich nur der Inbegriff
=historischer= Wissenschaften. Folglich kann nur der Lehrer der
geoffenbarten Theologie ein =Gottesgelehrter= heißen. Wollte
man aber auch den, der im Besitze von Vernunftwissenschaften
(Mathematik und Philosophie) ist, einen Gelehrten nennen,
obgleich dieses schon der Wortbedeutung (als die jederzeit
nur dasjenige, was man durchaus =gelehrt= werden muß, und was
man also nicht von selbst, durch Vernunft, erfinden kann, zur
Gelehrsamkeit zählt) widerstreiten würde: so möchte wohl der
|138.35| Philosoph mit seiner Erkenntniß Gottes als positiver
Wissenschaft eine zu schlechte Figur machen, um sich deshalb
einen =Gelehrten= nennen zu lassen.
Nach diesen Erinnerungen ist nun auch die Beantwortung der wichtigen
Frage leicht zu finden: =ob der Begriff von Gott ein zur Physik=
(mithin auch zur Metaphysik, als die nur die reinen Principien _a
priori_ der ersteren in allgemeiner Bedeutung enthält) =oder ein
zur Moral gehöriger Begriff sei=. Natureinrichtungen, oder deren
Veränderung zu =erklären=, |138.20| wenn man da zu Gott als dem Urheber
aller Dinge seine Zuflucht nimmt, ist wenigstens keine physische
Erklärung und überall ein Geständniß, man sei mit seiner Philosophie zu
Ende: weil man genöthigt ist, etwas, wovon man sonst für sich keinen
Begriff hat, anzunehmen, um sich von der #250# Möglichkeit dessen,
was man vor Augen sieht, einen Begriff machen zu |138.25| können. Durch
Metaphysik aber von der Kenntniß =dieser= Welt zum Begriffe von Gott
und dem Beweise seiner Existenz =durch sichere Schlüsse= zu gelangen,
ist darum unmöglich, weil wir diese Welt als das vollkommenste mögliche
Ganze, mithin zu diesem Behuf alle mögliche Welten (um sie mit dieser
vergleichen zu können) erkennen, mithin allwissend sein |138.30| müßten,
um zu sagen, daß sie nur durch einen =Gott= (wie wir uns diesen Begriff
denken müssen) möglich war. Vollends aber die Existenz dieses Wesens
aus bloßen Begriffen zu erkennen, ist schlechterdings unmöglich, weil
ein jeder Existentialsatz, d. i. der, so von einem Wesen, von dem ich
mir einen Begriff mache, sagt, daß es existire, ein synthetischer Satz
ist, |139.5| d. i. ein solcher, dadurch ich über jenen Begriff
hinausgehe und mehr von ihm sage, als im Begriffe gedacht war: nämlich
daß diesem Begriffe =im Verstande= noch ein Gegenstand =außer dem
Verstande= correspondirend gesetzt sei, welches offenbar unmöglich ist
durch irgend einen Schluß herauszubringen. Also bleibt nur ein einziges
Verfahren für die Vernunft übrig, |139.10| zu diesem Erkenntnisse zu
gelangen, da sie nämlich als reine Vernunft, von dem obersten Princip
ihres reinen praktischen Gebrauchs ausgehend (indem dieser ohnedem blos
auf die =Existenz= von Etwas, als Folge der Vernunft, gerichtet ist),
ihr Object bestimmt. Und da zeigt sich nicht allein #251# in ihrer
unvermeidlichen Aufgabe, nämlich der nothwendigen Richtung |139.15| des
Willens auf das höchste Gut, die Nothwendigkeit, ein solches Urwesen
in Beziehung auf die Möglichkeit dieses Guten in der Welt anzunehmen,
sondern, was das Merkwürdigste ist, etwas, was dem Fortgange der
Vernunft auf dem Naturwege ganz mangelte, nämlich =ein genau bestimmter
Begriff dieses Urwesens=. Da wir diese Welt nur zu einem kleinen
|139.20| Theile kennen, noch weniger sie mit allen möglichen Welten
vergleichen können, so können wir von ihrer Ordnung, Zweckmäßigkeit
und Größe wohl auf einen =weisen=, =gütigen=, =mächtigen= &c.
Urheber derselben schließen, aber nicht auf seine =Allwissenheit=,
=Allgütigkeit=, =Allmacht= u. s. w. Man kann auch gar wohl einräumen:
daß man diesen unvermeidlichen |139.25| Mangel durch eine erlaubte,
ganz vernünftige Hypothese zu ergänzen wohl befugt sei; daß nämlich,
wenn in so viel Stücken, als sich unserer näheren Kenntniß darbieten,
Weisheit, Gütigkeit &c. hervorleuchtet, in allen übrigen es eben
so sein werde, und es also vernünftig sei, dem Welturheber alle
mögliche Vollkommenheit beizulegen; aber das sind keine =Schlüsse=,
wodurch |139.30| wir uns auf unsere Einsicht etwas dünken, sondern
nur Befugnisse, die man uns nachsehen kann, und doch noch einer
anderweitigen Empfehlung bedürfen, um davon Gebrauch zu machen.
Der Begriff von Gott bleibt also auf dem empirischen Wege (der
Physik) immer ein =nicht genau bestimmter #252# Begriff= von der
Vollkommenheit des ersten Wesens, um ihn |139.35| dem Begriffe einer
Gottheit für angemessen zu halten (mit der Metaphysik aber in ihrem
transscendentalen Theile ist gar nichts auszurichten).
Ich versuche nun diesen Begriff an das Object der praktischen Vernunft
zu halten, und da finde ich, daß der moralische Grundsatz ihn nur
als möglich unter Voraussetzung eines Welturhebers von =höchster
Vollkommenheit= zulasse. Er muß =allwissend= sein, um mein Verhalten
bis zum Innersten meiner Gesinnung in allen möglichen Fällen und in
alle |140.5| Zukunft zu erkennen; =allmächtig=, um ihm die angemessenen
Folgen zu ertheilen; eben so =allgegenwärtig=, =ewig= u. s. w. Mithin
bestimmt das moralische Gesetz durch den Begriff des höchsten Guts,
als Gegenstandes einer reinen praktischen Vernunft, den Begriff des
Urwesens =als höchsten Wesens=, welches der physische (und höher
fortgesetzt der metaphysische), |140.10| mithin der ganze speculative
Gang der Vernunft nicht bewirken konnte. Also ist der Begriff von Gott
ein ursprünglich nicht zur Physik, d. i. für die speculative Vernunft,
sondern zur Moral gehöriger Begriff, und eben das kann man auch von den
übrigen Vernunftbegriffen sagen, von denen wir als Postulaten derselben
in ihrem praktischen Gebrauche oben gehandelt |140.15| haben.
Wenn man in der Geschichte der griechischen Philosophie über den
#253# =Anaxagoras= hinaus keine deutliche Spuren einer reinen
Vernunfttheologie antrifft, so ist der Grund nicht darin gelegen,
daß es den älteren Philosophen an Verstande und Einsicht fehlte, um
durch den Weg der |140.20| Speculation wenigstens mit Beihülfe einer
ganz vernünftigen Hypothese sich dahin zu erheben; was konnte
leichter, was natürlicher sein, als der sich von selbst jedermann
darbietende Gedanke, statt unbestimmter Grade der Vollkommenheit
verschiedener Weltursachen eine einzige vernünftige anzunehmen, die
=alle Vollkommenheit= hat? Aber die Übel in der |140.25| Welt schienen
ihnen viel zu wichtige Einwürfe zu sein, um zu einer solchen Hypothese
sich für berechtigt zu halten. Mithin zeigten sie darin eben Verstand
und Einsicht, daß sie sich jene nicht erlaubten und vielmehr in den
Naturursachen herum suchten, ob sie unter ihnen nicht die zu Urwesen
erforderliche Beschaffenheit und Vermögen antreffen möchten. Aber
nachdem |140.30| dieses scharfsinnige Volk so weit in Nachforschungen
fortgerückt war, selbst sittliche Gegenstände, darüber andere Völker
niemals mehr als geschwatzt haben, philosophisch zu behandeln: da
fanden sie allererst ein neues Bedürfniß, nämlich ein praktisches,
welches nicht ermangelte ihnen den Begriff des Urwesens bestimmt
anzugeben, wobei die speculative Vernunft |140.35| das Zusehen hatte,
höchstens noch das Verdienst, einen Begriff, der nicht auf ihrem
Boden erwachsen war, auszuschmücken und mit einem Gefolge #254# von
Bestätigungen aus der Naturbetrachtung, die nun allererst hervortraten,
wohl nicht das Ansehen desselben (welches schon gegründet war), sondern
vielmehr nur das Gepränge mit vermeinter theoretischer Vernunfteinsicht
zu befördern.
* * * * *
Aus diesen Erinnerungen wird der Leser der Kritik der reinen
speculativen |141.5| Vernunft sich vollkommen überzeugen: wie
höchstnöthig, wie ersprießlich für Theologie und Moral jene mühsame
=Deduction= der Kategorien war. Denn dadurch allein kann verhütet
werden, sie, wenn man sie im reinen Verstande setzt, mit =Plato= für
angeboren zu halten und darauf überschwengliche Anmaßungen mit Theorien
des Übersinnlichen, |141.10| wovon man kein Ende absieht, zu gründen,
dadurch aber die Theologie zur Zauberlaterne von Hirngespenstern zu
machen; wenn man sie aber für erworben hält, zu verhüten, daß man nicht
mit =Epikur= allen und jeden Gebrauch derselben, selbst den in
praktischer Absicht, blos auf Gegenstände und Bestimmungsgründe der
Sinne einschränke. Nun aber, nachdem die |141.15| Kritik in jener
Deduction =erstlich= bewies, daß sie nicht empirischen Ursprungs sind,
sondern _a priori_ im reinen Verstande ihren Sitz und Quelle haben;
=zweitens= auch, daß, da sie =auf Gegenstände überhaupt=, unabhängig
von ihrer Anschauung, bezogen werden, sie zwar nur in Anwendung #255#
auf =empirische= Gegenstände =theoretisches Erkenntniß= zu |141.20|
Stande bringen, aber doch auch, auf einen durch reine praktische
Vernunft gegebenen Gegenstand angewandt, zum =bestimmten Denken des
Übersinnlichen= dienen, jedoch nur so fern dieses blos durch solche
Prädicate bestimmt wird, die nothwendig zur reinen _a priori_ gegebenen
=praktischen Absicht= und deren Möglichkeit gehören. Speculative
Einschränkung der |141.25| reinen Vernunft und praktische Erweiterung
derselben bringen dieselbe allererst in dasjenige =Verhältniß der
Gleichheit=, worin Vernunft überhaupt zweckmäßig gebraucht werden kann,
und dieses Beispiel beweiset besser als sonst eines, daß der Weg zur
=Weisheit=, wenn er gesichert und nicht ungangbar oder irreleitend
werden soll, bei uns Menschen |141.30| unvermeidlich durch die
Wissenschaft durchgehen müsse, wovon man aber, daß diese zu jenem Ziele
führe, nur nach Vollendung derselben überzeugt werden kann.

VIII.
Vom Fürwahrhalten aus einem Bedürfnisse der reinen Vernunft.
Ein =Bedürfniß= der reinen Vernunft in ihrem speculativen Gebrauche
führt nur auf =Hypothesen=, das der reinen praktischen Vernunft aber
zu |142.5| #256# =Postulaten=; denn im ersteren Falle steige ich vom
Abgeleiteten so hoch hinauf in der Reihe der Gründe, =wie ich will=,
und bedarf eines Urgrundes, nicht um jenem Abgeleiteten (z. B. der
Causalverbindung der Dinge und Veränderungen in der Welt) objective
Realität zu geben, sondern nur um meine forschende Vernunft in Ansehung
desselben vollständig zu befriedigen. |142.10| So sehe ich Ordnung und
Zweckmäßigkeit in der Natur vor mir und bedarf nicht, um mich von deren
=Wirklichkeit= zu versichern, zur Speculation zu schreiten, sondern
nur, um sie =zu erklären=, =eine Gottheit= als deren Ursache =voraus zu
setzen=; da denn, weil von einer Wirkung der Schluß auf eine bestimmte,
vornehmlich so genau und so vollständig bestimmte |142.15| Ursache,
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