Kant's gesammelte Schriften. Band V. Kritik der praktischen Vernunft. - 07

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(=Gesetze=).
2.
DER QUALITÄT |66.25|
Praktische Regeln des =Begehens= (_praeceptivae_)
Praktische Regeln des =Unterlassens= (_prohibitivae_)
Praktische Regeln der =Ausnahmen= |66.30| (_exceptivae_).
3.
DER RELATION
Auf die =Persönlichkeit=
Auf den =Zustand= der Person
=Wechselseitig= einer Person auf den Zustand der anderen.
4.
MODALITÄT
Das =Erlaubte= und =Unerlaubte=
Die =Pflicht= und das =Pflichtwidrige= |66.35|
=Vollkommene= und =unvollkommene Pflicht=.
Man wird hier bald gewahr, daß in dieser Tafel die Freiheit als eine
#118# Art von Causalität, die aber empirischen Bestimmungsgründen nicht
unterworfen ist, in Ansehung der durch sie möglichen Handlungen als
Erscheinungen in der Sinnenwelt betrachtet werde, folglich sich auf
die Kategorien ihrer Naturmöglichkeit beziehe, indessen daß doch jede
Kategorie so |67.5| allgemein genommen wird, daß der Bestimmungsgrund
jener Causalität auch außer der Sinnenwelt in der Freiheit als
Eigenschaft eines intelligibelen Wesens angenommen werden kann, bis
die Kategorien der Modalität den Übergang von praktischen Principien
überhaupt zu denen der Sittlichkeit, aber nur =problematisch=
einleiten, welche nachher durchs moralische |67.10| Gesetz allererst
=dogmatisch= dargestellt werden können.
Ich füge hier nichts weiter zur Erläuterung gegenwärtiger Tafel bei,
weil sie für sich verständlich genug ist. Dergleichen nach Principien
abgefaßte Eintheilung ist aller Wissenschaft ihrer Gründlichkeit sowohl
als Verständlichkeit halber sehr zuträglich. So weiß man z. B. aus
obiger Tafel |67.15| und der ersten Nummer derselben sogleich, wovon
man in praktischen Erwägungen anfangen müsse: von den Maximen, die
jeder auf seine Neigung gründet, den Vorschriften, die für eine Gattung
vernünftiger Wesen, so fern sie in gewissen Neigungen übereinkommen,
gelten, und endlich dem Gesetze, welches für alle unangesehen ihrer
Neigungen gilt, u. s. w. Auf |67.20| #119# diese Weise übersieht man
den ganzen Plan von dem, was man zu leisten hat, sogar jede Frage der
praktischen Philosophie, die zu beantworten, und zugleich die Ordnung,
die zu befolgen ist.

Von der Typik der reinen praktischen Urtheilskraft.
Die Begriffe des Guten und Bösen bestimmen dem Willen zuerst ein |67.25|
Object. Sie stehen selbst aber unter einer praktischen Regel der
Vernunft, welche, wenn sie reine Vernunft ist, den Willen _a priori_
in Ansehung seines Gegenstandes bestimmt. Ob nun eine uns in der
Sinnlichkeit mögliche Handlung der Fall sei, der unter der Regel stehe,
oder nicht, dazu gehört praktische Urtheilskraft, wodurch dasjenige,
was in der Regel allgemein |67.30| (_in abstracto_) gesagt wurde, auf
eine Handlung _in concreto_ angewandt wird. Weil aber eine praktische
Regel der reinen Vernunft =erstlich=, als =praktisch=, die Existenz
eines Objects betrifft und =zweitens=, als =praktische Regel= der
reinen Vernunft, Nothwendigkeit in Ansehung des Daseins der Handlung
bei sich führt, mithin praktisches Gesetz ist und zwar |67.35| nicht
Naturgesetz durch empirische Bestimmungsgründe, sondern ein Gesetz
der Freiheit, nach welchem der Wille unabhängig von allem Empirischen
(blos durch die Vorstellung eines Gesetzes überhaupt und dessen Form)
bestimmbar #120# sein soll, alle vorkommende Fälle zu möglichen
Handlungen aber nur empirisch, d. i. zur Erfahrung und Natur gehörig,
sein können: so |68.5| scheint es widersinnisch, in der Sinnenwelt
einen Fall antreffen zu wollen, der, da er immer so fern nur unter dem
Naturgesetze steht, doch die Anwendung eines Gesetzes der Freiheit auf
sich verstatte, und auf welchen die übersinnliche Idee des sittlich
Guten, das darin _in concreto_ dargestellt werden soll, angewandt
werden könne. Also ist die Urtheilskraft der reinen |68.10| praktischen
Vernunft eben denselben Schwierigkeiten unterworfen, als die der reinen
theoretischen, welche letztere gleichwohl, aus denselben zu kommen,
ein Mittel zur Hand hatte: nämlich da es in Ansehung des theoretischen
Gebrauchs auf Anschauungen ankam, darauf reine Verstandesbegriffe
angewandt werden könnten, dergleichen Anschauungen (obzwar nur von
|68.15| Gegenständen der Sinne) doch _a priori_, mithin, was die
Verknüpfung des Mannigfaltigen in denselben betrifft, den reinen
Verstandesbegriffen _a priori_ gemäß (als =Schemate=) gegeben werden
können. Hingegen ist das sittlich Gute etwas dem Objecte nach
Übersinnliches, für das also in keiner sinnlichen Anschauung etwas
Correspondirendes gefunden werden kann, |68.20| und die Urtheilskraft
unter Gesetzen der reinen praktischen Vernunft scheint daher besonderen
Schwierigkeiten unterworfen zu sein, die darauf beruhen, daß ein
Gesetz der Freiheit auf Handlungen als Begebenheiten, die in der #121#
Sinnenwelt geschehen und also so fern zur Natur gehören, angewandt
werden soll. |68.25|
Allein hier eröffnet sich doch wieder eine günstige Aussicht für die
reine praktische Urtheilskraft. Es ist bei der Subsumtion einer mir
in der Sinnenwelt möglichen Handlung unter einem =reinen praktischen
Gesetze= nicht um die Möglichkeit der =Handlung= als einer Begebenheit
in der Sinnenwelt zu thun; denn die gehört für die Beurtheilung
des theoretischen |68.30| Gebrauchs der Vernunft nach dem Gesetze der
Causalität, eines reinen Verstandesbegriffs, für den sie ein =Schema=
in der sinnlichen Anschauung hat. Die physische Causalität, oder die
Bedingung, unter der sie stattfindet, gehört unter die Naturbegriffe,
deren Schema transscendentale Einbildungskraft entwirft. Hier aber
ist es nicht um das Schema |68.35| eines Falles nach Gesetzen, sondern
um das Schema (wenn dieses Wort hier schicklich ist) eines Gesetzes
selbst zu thun, weil die =Willensbestimmung= (nicht die Handlung in
Beziehung auf ihren Erfolg) durchs Gesetz allein, ohne einen anderen
Bestimmungsgrund, den Begriff der Causalität an ganz andere Bedingungen
bindet, als diejenige sind, welche die Naturverknüpfung ausmachen.
Dem Naturgesetze als Gesetze, welchem die Gegenstände sinnlicher
|69.5| Anschauung als solche unterworfen sind, muß ein Schema, d. i.
ein allgemeines #122# Verfahren der Einbildungskraft (den reinen
Verstandesbegriff, den das Gesetz bestimmt, den Sinnen _a priori_
darzustellen), correspondiren. Aber dem Gesetze der Freiheit (als einer
gar nicht sinnlich bedingten Causalität) mithin auch dem Begriffe des
unbedingt Guten kann keine Anschauung, |69.10| mithin kein Schema zum
Behuf seiner Anwendung _in concreto_ untergelegt werden. Folglich hat
das Sittengesetz kein anderes die Anwendung desselben auf Gegenstände
der Natur vermittelndes Erkenntnißvermögen, als den Verstand (nicht die
Einbildungskraft), welcher einer Idee der Vernunft nicht ein =Schema=
der Sinnlichkeit, sondern ein Gesetz, |69.15| aber doch ein solches, das
an Gegenständen der Sinne _in concreto_ dargestellt werden kann, mithin
ein Naturgesetz, aber nur seiner Form nach, als Gesetz zum Behuf der
Urtheilskraft unterlegen kann, und dieses können wir daher den =Typus=
des Sittengesetzes nennen.
Die Regel der Urtheilskraft unter Gesetzen der reinen praktischen
Vernunft |69.20| ist diese: Frage dich selbst, ob die Handlung, die du
vorhast, wenn sie nach einem Gesetze der Natur, von der du selbst ein
Theil wärest, geschehen sollte, sie du wohl als durch deinen Willen
möglich ansehen könntest. Nach dieser Regel beurtheilt in der That
jedermann Handlungen, ob sie sittlich gut oder böse sind. So sagt man:
Wie, wenn =ein jeder=, wo er |69.25| #123# seinen Vortheil zu schaffen
glaubt, sich erlaubte, zu betrügen, oder befugt hielte, sich das Leben
abzukürzen, so bald ihn ein völliger Überdruß desselben befällt, oder
anderer Noth mit völliger Gleichgültigkeit ansähe, und du gehörtest
mit zu einer solchen Ordnung der Dinge, würdest du darin wohl mit
Einstimmung deines Willens sein? Nun weiß ein jeder wohl: |69.30| daß,
wenn er sich ingeheim Betrug erlaubt, darum eben nicht jedermann
es auch thue, oder, wenn er unbemerkt lieblos ist, nicht sofort
jedermann auch gegen ihn es sein würde; daher ist diese Vergleichung
der Maxime seiner Handlungen mit einem allgemeinen Naturgesetze auch
nicht der Bestimmungsgrund seines Willens. Aber das letztere ist
doch ein |69.35| =Typus= der Beurtheilung der ersteren nach sittlichen
Principien. Wenn die Maxime der Handlung nicht so beschaffen ist, daß
sie an der Form eines Naturgesetzes überhaupt die Probe hält, so ist
sie sittlich unmöglich. So urtheilt selbst der gemeinste Verstand;
denn das Naturgesetz liegt allen seinen gewöhnlichsten, selbst den
Erfahrungsurtheilen immer zum Grunde. Er hat es also jederzeit bei der
Hand, nur daß er in Fällen, wo die Causalität aus Freiheit beurtheilt
werden soll, jenes =Naturgesetz= blos zum |70.5| Typus eines =Gesetzes
der Freiheit= macht, weil er, ohne etwas, was er zum Beispiele im
Erfahrungsfalle machen könnte, bei Hand zu haben, dem Gesetze einer
reinen praktischen Vernunft nicht den Gebrauch in der Anwendung
verschaffen könnte.
Es ist also auch erlaubt, die =Natur der Sinnenwelt= als =Typus=
|70.10| #124# einer =intelligibelen Natur= zu brauchen, so lange ich
nur nicht die Anschauungen, und was davon abhängig ist, auf diese
übertrage, sondern blos die =Form der Gesetzmäßigkeit= überhaupt
(deren Begriff auch im gemeinsten Vernunftgebrauche stattfindet, aber
in keiner anderen Absicht, als blos zum reinen praktischen Gebrauche
der Vernunft _a priori_ bestimmt |70.15| erkannt werden kann) darauf
beziehe. Denn Gesetze als solche sind so fern einerlei, sie mögen ihre
Bestimmungsgründe hernehmen, woher sie wollen.
Übrigens, da von allem Intelligibelen schlechterdings nichts als
(vermittelst des moralischen Gesetzes) die Freiheit und auch diese nur,
so fern |70.20| sie eine von jenem unzertrennliche Voraussetzung ist,
und ferner alle intelligibele Gegenstände, auf welche uns die Vernunft
nach Anleitung jenes Gesetzes etwa noch führen möchte, wiederum für uns
keine Realität weiter haben, als zum Behuf desselben Gesetzes und des
Gebrauches der reinen praktischen Vernunft, diese aber zum Typus der
Urtheilskraft die Natur |70.25| (der reinen Verstandesform derselben
nach) zu gebrauchen berechtigt und auch benöthigt ist: so dient die
gegenwärtige Anmerkung dazu, um zu verhüten, daß, was blos zur =Typik=
der Begriffe gehört, nicht zu den Begriffen selbst gezählt werde.
Diese also als Typik der Urtheilskraft bewahrt vor dem =Empirism=
der praktischen Vernunft, der die praktischen Begriffe |70.30|
#125# des Guten und Bösen blos in Erfahrungsfolgen (der sogenannten
Glückseligkeit) setzt, obzwar diese und die unendlichen nützlichen
Folgen eines durch Selbstliebe bestimmten Willens, wenn dieser sich
selbst zugleich zum allgemeinen Naturgesetze machte, allerdings zum
ganz angemessenen Typus für das sittlich Gute dienen kann, aber mit
diesem doch nicht einerlei ist. |70.35| Eben dieselbe Typik bewahrt
auch vor dem =Mysticism= der praktischen Vernunft, welcher das, was
nur zum =Symbol= diente, zum =Schema= macht, d. i. wirkliche und doch
nicht sinnliche Anschauungen (eines unsichtbaren Reichs Gottes) der
Anwendung der moralischen Begriffe unterlegt und ins Überschwengliche
hinausschweift. Dem Gebrauche der moralischen Begriffe ist blos der
=Rationalism= der Urtheilskraft angemessen, der von der sinnlichen
Natur nichts weiter nimmt, als was auch reine Vernunft für |71.5| sich
denken kann, d. i. die Gesetzmäßigkeit, und in die übersinnliche nichts
hineinträgt, als was umgekehrt sich durch Handlungen in der Sinnenwelt
nach der formalen Regel eines Naturgesetzes überhaupt wirklich
darstellen läßt. Indessen ist die Verwahrung vor dem =Empirism= der
praktischen Vernunft viel wichtiger und anrathungswürdiger, weil der
=Mysticism= |71.10| sich doch noch mit der Reinigkeit und Erhabenheit
des moralischen Gesetzes zusammen verträgt und außerdem es nicht
eben natürlich und der gemeinen Denkungsart angemessen ist, seine
Einbildungskraft bis zu übersinnlichen #126# Anschauungen anzuspannen,
mithin auf dieser Seite die Gefahr nicht so allgemein ist; da hingegen
der Empirism die Sittlichkeit in Gesinnungen |71.15| (worin doch,
und nicht blos in Handlungen, der hohe Werth besteht, den sich die
Menschheit durch sie verschaffen kann und soll) mit der Wurzel
ausrottet und ihr ganz etwas anderes, nämlich ein empirisches
Interesse, womit die Neigungen überhaupt unter sich Verkehr treiben,
statt der Pflicht unterschiebt, überdem auch eben darum mit allen
Neigungen, die (sie mögen |71.20| einen Zuschnitt bekommen, welchen sie
wollen), wenn sie zur Würde eines obersten praktischen Princips erhoben
werden, die Menschheit degradiren, und da sie gleichwohl der Sinnesart
aller so günstig sind, aus der Ursache weit gefährlicher ist als alle
Schwärmerei, die niemals einen daurenden Zustand vieler Menschen
ausmachen kann. |71.25|

Drittes Hauptstück.
Von den Triebfedern der reinen praktischen Vernunft.
Das Wesentliche alles sittlichen Werths der Handlungen kommt darauf
an, =daß das moralische Gesetz unmittelbar den Willen bestimme=.
Geschieht die Willensbestimmung zwar =gemäß= dem moralischen |71.30|
Gesetze, aber nur vermittelst eines Gefühls, welcher Art es auch sei,
das #127# vorausgesetzt werden muß, damit jenes ein hinreichender
Bestimmungsgrund des Willens werde, mithin nicht =um des Gesetzes
willen=: so wird die Handlung zwar =Legalität=, aber nicht =Moralität=
enthalten. Wenn nun unter =Triebfeder= (_elater animi_) der subjective
Bestimmungsgrund des Willens eines Wesens verstanden wird, dessen
Vernunft nicht schon vermöge seiner Natur dem objectiven Gesetze
nothwendig gemäß ist, so wird erstlich daraus folgen: daß man dem
göttlichen Willen gar keine Triebfedern beilegen könne, die Triebfeder
des menschlichen Willens aber (und |72.5| des von jedem erschaffenen
vernünftigen Wesen) niemals etwas anderes als das moralische Gesetz
sein könne, mithin der objective Bestimmungsgrund jederzeit und
ganz allein zugleich der subjectiv hinreichende Bestimmungsgrund
der Handlung sein müsse, wenn diese nicht blos den =Buchstaben= des
Gesetzes, ohne den =Geist=[9] desselben zu enthalten, erfüllen |72.10|
soll.
[9] Man kann von jeder gesetzmäßigen Handlung, die doch nicht
um des Gesetzes |72.35| willen geschehen ist, sagen: sie sei blos
dem =Buchstaben=, aber nicht dem =Geiste= (der Gesinnung) nach
moralisch gut.
Da man also zum Behuf des moralischen Gesetzes, und um ihm Einfluß auf
den Willen zu verschaffen, keine anderweitige Triebfeder, dabei die
des moralischen Gesetzes entbehrt werden könnte, suchen muß, weil das
alles #128# lauter Gleißnerei ohne Bestand bewirken würde, und sogar
es =bedenklich= |72.15| ist, auch nur =neben= dem moralischen Gesetze
noch einige andere Triebfedern (als die des Vortheils) mitwirken zu
lassen: so bleibt nichts übrig, als blos sorgfältig zu bestimmen, auf
welche Art das moralische Gesetz Triebfeder werde, und was, indem sie
es ist, mit dem menschlichen Begehrungsvermögen als Wirkung jenes
Bestimmungsgrundes auf dasselbe |72.20| vorgehe. Denn wie ein Gesetz
für sich und unmittelbar Bestimmungsgrund des Willens sein könne
(welches doch das Wesentliche aller Moralität ist), das ist ein für die
menschliche Vernunft unauflösliches Problem und mit dem einerlei: wie
ein freier Wille möglich sei. Also werden wir nicht den Grund, woher
das moralische Gesetz in sich eine Triebfeder abgebe, sondern |72.25|
was, so fern es eine solche ist, sie im Gemüthe wirkt (besser zu sagen,
wirken muß), _a priori_ anzuzeigen haben.
Das Wesentliche aller Bestimmung des Willens durchs sittliche Gesetz
ist: daß er als freier Wille, mithin nicht blos ohne Mitwirkung
sinnlicher Antriebe, sondern selbst mit Abweisung aller derselben und
mit Abbruch |72.30| aller Neigungen, so fern sie jenem Gesetze zuwider
sein könnten, blos durchs Gesetz bestimmt werde. So weit ist also die
Wirkung des moralischen Gesetzes als Triebfeder nur negativ, und als
solche kann diese Triebfeder _a priori_ erkannt werden. Denn alle
Neigung und jeder sinnliche Antrieb ist auf #129# Gefühl gegründet,
und die negative Wirkung aufs Gefühl (durch den Abbruch, der den
Neigungen geschieht) ist selbst Gefühl. Folglich können wir _a priori_
einsehen, daß das moralische Gesetz als Bestimmungsgrund des Willens
dadurch, daß es allen unseren Neigungen Eintrag thut, ein Gefühl
bewirken müsse, welches Schmerz genannt werden kann, und hier |73.5|
haben wir nun den ersten, vielleicht auch einzigen Fall, da wir aus
Begriffen _a priori_ das Verhältniß eines Erkenntnisses (hier ist es
einer reinen praktischen Vernunft) zum Gefühl der Lust oder Unlust
bestimmen konnten. Alle Neigungen zusammen (die auch wohl in ein
erträgliches System gebracht werden können, und deren Befriedigung
alsdann eigene Glückseligkeit |73.10| heißt) machen die =Selbstsucht=
(_solipsismus_) aus. Diese ist entweder die der =Selbstliebe=, eines
über alles gehenden =Wohlwollens= gegen sich selbst (_Philautia_),
oder die des =Wohlgefallens= an sich selbst (_Arrogantia_). Jene heißt
besonders =Eigenliebe=, diese =Eigendünkel=. Die reine praktische
Vernunft thut der Eigenliebe blos =Abbruch=, indem sie |73.15| solche,
als natürlich und noch vor dem moralischen Gesetze in uns rege, nur auf
die Bedingung der Einstimmung mit diesem Gesetze einschränkt; da sie
alsdann =vernünftige Selbstliebe= genannt wird. Aber den Eigendünkel
=schlägt= sie gar =nieder=, indem alle Ansprüche der Selbstschätzung,
die vor der Übereinstimmung mit dem sittlichen Gesetze vorhergehen,
nichtig |73.20| #130# und ohne alle Befugniß sind, indem eben die
Gewißheit einer Gesinnung, die mit diesem Gesetze übereinstimmt, die
erste Bedingung alles Werths der Person ist (wie wir bald deutlicher
machen werden) und alle Anmaßung vor derselben falsch und gesetzwidrig
ist. Nun gehört der Hang zur Selbstschätzung mit zu den Neigungen,
denen das moralische Gesetz Abbruch thut, |73.25| so fern jene blos auf
der Sinnlichkeit beruht. Also schlägt das moralische Gesetz den
Eigendünkel nieder. Da dieses Gesetz aber doch etwas an sich Positives
ist, nämlich die Form einer intellectuellen Causalität, d. i. der
Freiheit, so ist es, indem es im Gegensatze mit dem subjectiven
Widerspiele, nämlich den Neigungen in uns, den Eigendünkel =schwächt=,
zugleich ein |73.30| Gegenstand der =Achtung= und, indem es ihn sogar
=niederschlägt=, d. i. demüthigt, ein Gegenstand der größten =Achtung=,
mithin auch der Grund eines positiven Gefühls, das nicht empirischen
Ursprungs ist und _a priori_ erkannt wird. Also ist Achtung fürs
moralische Gesetz ein Gefühl, welches durch einen intellectuellen Grund
gewirkt wird, und dieses Gefühl ist das |73.35| einzige, welches wir
völlig _a priori_ erkennen, und dessen Nothwendigkeit wir einsehen
können.
Wir haben im vorigen Hauptstücke gesehen: daß alles, was sich als
Object des Willens =vor= dem moralischen Gesetze darbietet, von den
Bestimmungsgründen des Willens unter dem Namen des unbedingt Guten
durch dieses Gesetz selbst, als die oberste Bedingung der praktischen
Vernunft, #131# ausgeschlossen werde, und daß die bloße praktische
Form, die in der |74.5| Tauglichkeit der Maximen zur allgemeinen
Gesetzgebung besteht, zuerst das, was an sich und schlechterdings
gut ist, bestimme und die Maxime eines reinen Willens gründe, der
allein in aller Absicht gut ist. Nun finden wir aber unsere Natur als
sinnlicher Wesen so beschaffen, daß die Materie des Begehrungsvermögens
(Gegenstände der Neigung, es sei der Hoffnung |74.10| oder Furcht) sich
zuerst aufdringt, und unser pathologisch bestimmbares Selbst, ob es
gleich durch seine Maximen zur allgemeinen Gesetzgebung ganz untauglich
ist, dennoch, gleich als ob es unser ganzes Selbst ausmachte, seine
Ansprüche vorher und als die ersten und ursprünglichen geltend zu
machen bestrebt sei. Man kann diesen Hang, sich selbst nach |74.15|
den subjectiven Bestimmungsgründen seiner Willkür zum objectiven
Bestimmungsgrunde des Willens überhaupt zu machen, die =Selbstliebe=
nennen, welche, wenn sie sich gesetzgebend und zum unbedingten
praktischen Princip macht, =Eigendünkel= heißen kann. Nun schließt
das moralische Gesetz, welches allein wahrhaftig (nämlich in aller
Absicht) objectiv ist, |74.20| den Einfluß der Selbstliebe auf das
oberste praktische Princip gänzlich aus und thut dem Eigendünkel, der
die subjectiven Bedingungen der ersteren als Gesetze vorschreibt,
unendlichen Abbruch. Was nun unserem Eigendünkel in unserem eigenen
Urtheil Abbruch thut, das demüthigt. Also demüthigt #132# das
moralische Gesetz unvermeidlich jeden Menschen, indem dieser |74.25|
mit demselben den sinnlichen Hang seiner Natur vergleicht. Dasjenige,
dessen Vorstellung =als Bestimmungsgrund unseres Willens= uns in
unserem Selbstbewußtsein demüthigt, erweckt, so fern als es positiv
und Bestimmungsgrund ist, für sich =Achtung=. Also ist das moralische
Gesetz auch subjectiv ein Grund der Achtung. Da nun alles, was in der
Selbstliebe |74.30| angetroffen wird, zur Neigung gehört, alle Neigung
aber auf Gefühlen beruht, mithin, was allen Neigungen insgesammt
in der Selbstliebe Abbruch thut, eben dadurch nothwendig auf das
Gefühl Einfluß hat, so begreifen wir, wie es möglich ist, _a priori_
einzusehen, daß das moralische Gesetz, indem es die Neigungen und den
Hang, sie zur obersten praktischen |74.35| Bedingung zu machen, d.
i. die Selbstliebe, von allem Beitritte zur obersten Gesetzgebung
ausschließt, eine Wirkung aufs Gefühl ausüben könne, welche
einerseits blos =negativ= ist, andererseits und zwar in Ansehung des
einschränkenden Grundes der reinen praktischen Vernunft =positiv=
ist, und wozu gar keine besondere Art von Gefühle unter dem Namen
eines praktischen oder moralischen als vor dem moralischen Gesetze
vorhergehend und ihm zum Grunde liegend angenommen werden darf. |75.5|
Die negative Wirkung auf Gefühl (der Unannehmlichkeit) ist, so wie
#133# aller Einfluß auf dasselbe und wie jedes Gefühl überhaupt,
=pathologisch=. Als Wirkung aber vom Bewußtsein des moralischen
Gesetzes, folglich in Beziehung auf eine intelligibele Ursache, nämlich
das Subject der reinen praktischen Vernunft als obersten Gesetzgeberin,
heißt dieses Gefühl eines |75.10| vernünftigen von Neigungen afficirten
Subjects zwar Demüthigung (intellectuelle Verachtung), aber in
Beziehung auf den positiven Grund derselben, das Gesetz, zugleich
Achtung für dasselbe, für welches Gesetz gar kein Gefühl stattfindet,
sondern im Urtheile der Vernunft, indem es den Widerstand aus dem
Wege schafft, die Wegräumung eines Hindernisses |75.15| einer positiven
Beförderung der Causalität gleichgeschätzt wird. Darum kann dieses
Gefühl nun auch ein Gefühl der Achtung fürs moralische Gesetz, aus
beiden Gründen zusammen aber ein =moralisches Gefühl= genannt werden.
Das moralische Gesetz also, so wie es formaler Bestimmungsgrund |75.20|
der Handlung ist, durch praktische reine Vernunft, so wie es zwar
auch materialer, aber nur objectiver Bestimmungsgrund der Gegenstände
der Handlung unter dem Namen des Guten und Bösen ist, so ist es auch
subjectiver Bestimmungsgrund, d. i. Triebfeder, zu dieser Handlung,
indem es auf die Sinnlichkeit des Subjects Einfluß hat und ein Gefühl
bewirkt, |75.25| welches dem Einflusse des Gesetzes auf den Willen
beförderlich ist. Hier #134# geht kein Gefühl im Subject =vorher=,
das auf Moralität gestimmt wäre. Denn das ist unmöglich, weil alles
Gefühl sinnlich ist; die Triebfeder der sittlichen Gesinnung aber muß
von aller sinnlichen Bedingung frei sein. Vielmehr ist das sinnliche
Gefühl, was allen unseren Neigungen zum |75.30| Grunde liegt, zwar die
Bedingung derjenigen Empfindung, die wir Achtung nennen, aber die
Ursache der Bestimmung desselben liegt in der reinen praktischen
Vernunft, und diese Empfindung kann daher ihres Ursprunges wegen
nicht pathologisch, sondern muß =praktisch gewirkt= heißen: indem
dadurch, daß die Vorstellung des moralischen Gesetzes der Selbstliebe
den |75.35| Einfluß und dem Eigendünkel den Wahn benimmt, das Hinderniß
der reinen praktischen Vernunft vermindert und die Vorstellung des
Vorzuges ihres objectiven Gesetzes vor den Antrieben der Sinnlichkeit,
mithin das Gewicht des ersteren relativ (in Ansehung eines durch die
letztere afficirten Willens) durch die Wegschaffung des Gegengewichts
im Urtheile der Vernunft hervorgebracht wird. Und so ist die Achtung
fürs Gesetz nicht Triebfeder zur Sittlichkeit, sondern sie ist die
Sittlichkeit selbst, subjectiv |76.5| als Triebfeder betrachtet, indem
die reine praktische Vernunft dadurch, daß sie der Selbstliebe im
Gegensatze mit ihr alle Ansprüche abschlägt, dem Gesetze, das jetzt
allein Einfluß hat, Ansehen verschafft. Hiebei ist nun zu bemerken:
daß, so wie die Achtung eine Wirkung aufs Gefühl, mithin auf #135# die
Sinnlichkeit eines vernünftigen Wesens ist, es diese Sinnlichkeit,
mithin |76.10| auch die Endlichkeit solcher Wesen, denen das moralische
Gesetz Achtung auferlegt, voraussetze, und daß einem höchsten, oder
auch einem von aller Sinnlichkeit freien Wesen, welchem diese also
auch kein Hinderniß der praktischen Vernunft sein kann, Achtung fürs
=Gesetz= nicht beigelegt werden könne. |76.15|
Dieses Gefühl (unter dem Namen des moralischen) ist also lediglich
durch Vernunft bewirkt. Es dient nicht zu Beurtheilung der Handlungen,
oder wohl gar zur Gründung des objectiven Sittengesetzes selbst,
sondern blos zur Triebfeder, um dieses in sich zur Maxime zu machen.
Mit welchem Namen aber könnte man dieses sonderbare Gefühl, welches
mit keinem |76.20| pathologischen in Vergleichung gezogen werden kann,
schicklicher belegen? Es ist so eigenthümlicher Art, daß es lediglich
der Vernunft und zwar der praktischen reinen Vernunft zu Gebote zu
stehen scheint.
=Achtung= geht jederzeit nur auf Personen, niemals auf Sachen. Die
letztere können =Neigung= und, wenn es Thiere sind (z. B. Pferde, Hunde
&c.), |76.25| sogar =Liebe=, oder auch =Furcht=, wie das Meer, ein
Vulcan, ein Raubthier, niemals aber =Achtung= in uns erwecken. Etwas,
was diesem Gefühl schon näher tritt, ist =Bewunderung=, und diese als
Affect, das Erstaunen, kann auch auf Sachen gehen, z. B. himmelhohe
Berge, die Größe, #136# Menge und Weite der Weltkörper, die Stärke und
Geschwindigkeit mancher |76.30| Thiere u. s. w. Aber alles dieses ist
nicht Achtung. Ein Mensch kann mir auch ein Gegenstand der Liebe, der
Furcht, oder der Bewunderung, sogar bis zum Erstaunen, und doch darum
kein Gegenstand der Achtung sein. Seine scherzhafte Laune, sein Muth
und Stärke, seine Macht, durch seinen Rang, den er unter anderen hat,
können mir dergleichen Empfindungen |76.35| einflößen, es fehlt aber
immer noch an innerer Achtung gegen ihn. =Fontenelle= sagt: =Vor einem
Vornehmen bücke ich mich, aber mein Geist bückt sich nicht=. Ich kann
hinzu setzen: Vor einem niedrigen, bürgerlich gemeinen Mann, an dem
ich eine Rechtschaffenheit des Charakters in einem gewissen Maße, als
ich mir von mir selbst nicht bewußt bin, wahrnehme, =bückt sich mein
Geist=, ich mag wollen oder nicht und den Kopf noch so hoch tragen, um
ihn meinen Vorrang nicht übersehen zu lassen. Warum |77.5| das? Sein
Beispiel hält mir ein Gesetz vor, das meinen Eigendünkel niederschlägt,
wenn ich es mit meinem Verhalten vergleiche, und dessen Befolgung,
mithin die =Thunlichkeit= desselben, ich durch die That bewiesen vor
mir sehe. Nun mag ich mir sogar eines gleichen Grades der
Rechtschaffenheit bewußt sein, und die Achtung bleibt doch. Denn da
beim |77.10| Menschen immer alles Gute mangelhaft ist, so schlägt
das Gesetz, durch #137# ein Beispiel anschaulich gemacht, doch immer
meinen Stolz nieder, wozu der Mann, den ich vor mir sehe, dessen
Unlauterkeit, die ihm immer noch anhängen mag, mir nicht so wie mir
die meinige bekannt ist, der mir also in reinerem Lichte erscheint,
einen Maßstab abgiebt. =Achtung= ist ein |77.15| =Tribut=, den wir dem
Verdienste nicht verweigern können, wir mögen wollen oder nicht; wir
mögen allenfalls äußerlich damit zurückhalten, so können wir doch nicht
verhüten, sie innerlich zu empfinden.
Die Achtung ist so =wenig= ein Gefühl der =Lust=, daß man sich ihr
in Ansehung eines Menschen nur ungern überläßt. Man sucht etwas
ausfindig |77.20| zu machen, was uns die Last derselben erleichtern
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