Kant's gesammelte Schriften. Band V. Kritik der praktischen Vernunft. - 06

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rechtfertigt. Nun ist der Begriff eines Wesens, das freien Willen hat,
der Begriff einer _causa noumenon_, und daß sich dieser Begriff nicht
selbst widerspreche, dafür ist man schon dadurch gesichert, daß der
Begriff einer Ursache als gänzlich vom reinen Verstande entsprungen,
zugleich auch seiner objektiven Realität in Ansehung der Gegenstände
überhaupt |55.30| durch die Deduction gesichert, dabei seinem Ursprunge
nach von allen sinnlichen Bedingungen unabhängig, also für sich auf
Phänomene nicht eingeschränkt (es sei denn, wo ein theoretischer
bestimmter Gebrauch davon gemacht werden wollte), auf Dinge als reine
Verstandeswesen allerdings angewandt werden könne. Weil aber dieser
Anwendung keine Anschauung, |55.35| als die jederzeit nur sinnlich sein
kann, untergelegt werden kann, so ist _causa noumenon_ in Ansehung
des theoretischen Gebrauchs der Vernunft, obgleich ein möglicher,
denkbarer, dennoch leerer Begriff. Nun verlange ich aber auch dadurch
nicht die Beschaffenheit eines Wesens, =so fern= es einen =reinen=
Willen hat, =theoretisch= zu =kennen=; es ist mir genug, #98# es
dadurch nur als ein solches zu bezeichnen, mithin nur den Begriff der
Causalität mit dem der Freiheit (und was davon unzertrennlich ist,
mit |56.5| dem moralischen Gesetze als Bestimmungsgrunde derselben) zu
verbinden; welche Befugniß mir vermöge des reinen, nicht empirischen
Ursprungs des Begriffs der Ursache allerdings zusteht, indem ich davon
keinen anderen Gebrauch, als in Beziehung auf das moralische Gesetz,
das seine Realität bestimmt, d. i. nur einen praktischen Gebrauch, zu
machen mich befugt |56.10| halte.
Hätte ich mit Humen dem Begriffe der Causalität die objective Realität
im theoretischen Gebrauche nicht allein in Ansehung der Sachen an sich
selbst (des Übersinnlichen), sondern auch in Ansehung der Gegenstände
der Sinne genommen: so wäre er aller Bedeutung verlustig und als
ein theoretisch |56.15| unmöglicher Begriff für gänzlich unbrauchbar
erklärt worden, und, da von nichts sich auch kein Gebrauch machen
läßt, der praktische Gebrauch eines =theoretisch-nichtigen= Begriffs
ganz ungereimt gewesen. Nun aber der Begriff einer empirisch
unbedingten Causalität theoretisch zwar leer (ohne darauf sich
schickende Anschauung), aber immer doch möglich ist |56.20| und sich
auf ein unbestimmt Object bezieht, statt dieses aber ihm doch an dem
moralischen Gesetze, folglich in praktischer Beziehung, Bedeutung
gegeben wird, so habe ich zwar keine Anschauung, die ihm seine
objective theoretische Realität bestimmte, aber er hat nichts desto
weniger wirkliche #99# Anwendung, die sich _in concreto_ in Gesinnungen
oder Maximen darstellen |56.25| läßt, d. i. praktische Realität, die
angegeben werden kann; welches denn zu seiner Berechtigung selbst in
Absicht auf Noumenen hinreichend ist.
Aber diese einmal eingeleitete objective Realität eines reinen
Verstandesbegriffs im Felde des Übersinnlichen giebt nunmehr
allen übrigen Kategorien, obgleich immer nur so fern sie mit dem
Bestimmungsgrunde |56.30| des reinen Willens (dem moralischen Gesetze)
in =nothwendiger= Verbindung stehen, auch objective, nur keine andere
als blos praktisch-anwendbare Realität, indessen sie auf theoretische
Erkenntnisse dieser Gegenstände, als Einsicht der Natur derselben
durch reine Vernunft, nicht den mindesten Einfluß hat, um dieselbe
zu erweitern. Wie wir denn auch in |56.35| der Folge finden werden,
daß sie immer nur auf Wesen als =Intelligenzen=, und an diesen auch
nur auf das Verhältniß der =Vernunft= zum =Willen=, mithin immer
nur aufs =Praktische= Beziehung haben und weiter hinaus sich kein
Erkenntniß derselben anmaßen; was aber mit ihnen in Verbindung noch
sonst für Eigenschaften, die zur theoretischen Vorstellungsart
solcher übersinnlichen Dinge gehören, herbeigezogen werden möchten,
diese insgesammt alsdann gar nicht zum Wissen, sondern nur |57.5| zur
Befugniß (in praktischer Absicht aber gar zur Nothwendigkeit) sie
anzunehmen und vorauszusetzen gezählt werden, selbst da, wo man
übersinnliche #100# Wesen (als Gott) nach einer Analogie, d. i. dem
reinen Vernunftverhältnisse, dessen wir in Ansehung der sinnlichen uns
praktisch bedienen, und so der reinen theoretischen Vernunft durch die
Anwendung aufs Übersinnliche, |57.10| aber nur in praktischer Absicht,
zum Schwärmen ins Überschwengliche nicht den mindesten Vorschub giebt.


Der Analytik der praktischen Vernunft


Zweites Hauptstück.
Von dem Begriffe eines Gegenstandes der reinen |57.15| praktischen
Vernunft.

Unter dem Begriffe eines Gegenstandes der praktischen Vernunft verstehe
ich die Vorstellung eines Objects als einer möglichen Wirkung durch
Freiheit. Ein Gegenstand der praktischen Erkenntniß als einer solchen
zu sein, bedeutet also nur die Beziehung des Willens auf die Handlung,
dadurch |57.20| er oder sein Gegentheil wirklich gemacht würde, und
die Beurtheilung, ob etwas ein Gegenstand der =reinen= praktischen
Vernunft sei, oder nicht, ist nur die Unterscheidung der Möglichkeit
oder Unmöglichkeit, diejenige Handlung zu =wollen=, wodurch, wenn wir
das Vermögen dazu hätten (worüber die Erfahrung urtheilen muß), ein
gewisses Object wirklich werden würde. |57.25| #101# Wenn das Object
als der Bestimmungsgrund unseres Begehrungsvermögens angenommen wird, so
muß die =physische Möglichkeit= desselben durch freien Gebrauch unserer
Kräfte vor der Beurtheilung, ob es ein Gegenstand der praktischen
Vernunft sei oder nicht, vorangehen. Dagegen wenn das Gesetz _a priori_
als der Bestimmungsgrund der Handlung, mithin |57.30| diese als durch
reine praktische Vernunft bestimmt betrachtet werden kann, so ist das
Urtheil, ob etwas ein Gegenstand der reinen praktischen Vernunft sei
oder nicht, von der Vergleichung mit unserem physischen Vermögen ganz
unabhängig, und die Frage ist nur, ob wir eine Handlung, die auf die
Existenz eines Objects gerichtet ist, =wollen= dürfen, wenn dieses
in unserer Gewalt wäre, mithin muß die =moralische Möglichkeit= der
Handlung vorangehen; denn da ist nicht der Gegenstand, sondern das
Gesetz des Willens der Bestimmungsgrund derselben. |58.5|
Die alleinigen Objecte einer praktischen Vernunft sind also die
vom =Guten= und =Bösen=. Denn durch das erstere versteht man einen
nothwendigen Gegenstand des Begehrungs-, durch das zweite des
Verabscheuungsvermögens, beides aber nach einem Princip der Vernunft.
Wenn der Begriff des Guten nicht von einem vorhergehenden praktischen
|58.10| Gesetze abgeleitet werden, sondern diesem vielmehr zum Grunde
dienen soll, so kann er nur der Begriff von etwas sein, dessen
Existenz Lust #102# verheißt und so die Causalität des Subjects zur
Hervorbringung desselben, d. i. das Begehrungsvermögen, bestimmt. Weil
es nun unmöglich ist _a priori_ einzusehen, welche Vorstellung mit
=Lust=, welche hingegen mit |58.15| =Unlust= werde begleitet sein, so
käme es lediglich auf Erfahrung an, es auszumachen, was unmittelbar gut
oder böse sei. Die Eigenschaft des Subjects, worauf in Beziehung diese
Erfahrung allein angestellt werden kann, ist das =Gefühl= der Lust und
Unlust, als eine dem inneren Sinne angehörige Receptivität, und so
würde der Begriff von dem, was unmittelbar |58.20| gut ist, nur auf das
gehen, womit die Empfindung des =Vergnügens= unmittelbar verbunden ist,
und der von dem schlechthin Bösen auf das, was unmittelbar =Schmerz=
erregt, allein bezogen werden müssen. Weil aber das dem Sprachgebrauche
schon zuwider ist, der das =Angenehme= vom =Guten=, das =Unangenehme=
vom =Bösen= unterscheidet |58.25| und verlangt, daß Gutes und Böses
jederzeit durch Vernunft, mithin durch Begriffe, die sich allgemein
mittheilen lassen, und nicht durch bloße Empfindung, welche sich auf
einzelne Subjecte und deren Empfänglichkeit einschränkt, beurtheilt
werde, gleichwohl aber für sich selbst mit keiner Vorstellung eines
Objects _a priori_ eine Lust oder Unlust unmittelbar verbunden |58.30|
werden kann, so würde der Philosoph, der sich genöthigt glaubte, ein
Gefühl der Lust seiner praktischen Beurtheilung zum Grunde zu legen,
#103# =gut= nennen, was ein =Mittel= zum Angenehmen, und =Böses=,
was Ursache der Unannehmlichkeit und des Schmerzens ist; denn die
Beurtheilung des Verhältnisses der Mittel zu Zwecken gehört allerdings
zur Vernunft. |58.35| Obgleich aber Vernunft allein vermögend ist, die
Verknüpfung der Mittel mit ihren Absichten einzusehen (so daß man
auch den Willen durch das Vermögen der Zwecke definiren könnte,
indem sie jederzeit Bestimmungsgründe des Begehrungsvermögens nach
Principien sind), so würden doch die praktischen Maximen, die aus dem
obigen Begriffe des Guten blos als Mittel folgten, nie etwas für sich
selbst, sondern immer nur =irgend wozu= Gutes zum Gegenstande des
Willens enthalten: das Gute würde |59.5| jederzeit blos das Nützliche
sein, und das, wozu es nutzt, müßte allemal außerhalb dem Willen in
der Empfindung liegen. Wenn diese nun, als angenehme Empfindung, vom
Begriffe des Guten unterschieden werden müßte, so würde es überall
nichts unmittelbar Gutes geben, sondern das Gute nur in den Mitteln zu
etwas anderm, nämlich irgend einer Annehmlichkeit, |59.10| gesucht
werden müssen.
Es ist eine alte Formel der Schulen: _nihil appetimus, nisi sub
ratione boni; nihil aversamur, nisi sub ratione mali_; und sie hat
einen oft richtigen, aber auch der Philosophie oft sehr nachtheiligen
Gebrauch, weil die Ausdrücke des _boni_ und _mali_ eine Zweideutigkeit
enthalten, daran |59.15| #104# die Einschränkung der Sprache Schuld
ist, nach welcher sie eines doppelten Sinnes fähig sind, und daher
die praktischen Gesetze unvermeidlich auf Schrauben stellen und die
Philosophie, die im Gebrauche derselben gar wohl der Verschiedenheit
des Begriffs bei demselben Worte inne werden, aber doch keine besondere
Ausdrücke dafür finden kann, zu subtilen |59.20| Distinctionen
nöthigen, über die man sich nachher nicht einigen kann, indem der
Unterschied durch keinen angemessenen Ausdruck unmittelbar bezeichnet
werden konnte.[8]
[8] Überdem ist der Ausdruck _sub ratione boni_ auch zweideutig.
Denn er kann so viel sagen: wir stellen uns etwas als gut vor,
wenn und =weil= wir es =begehren= |59.30| (wollen); aber auch: wir
begehren etwas darum, =weil= wir es uns =als gut vorstellen=,
so daß entweder die Begierde der Bestimmungsgrund des Begriffs
des Objects als eines Guten, oder der Begriff des Guten der
Bestimmungsgrund des Begehrens (des Willens) sei; da denn
das _sub ratione boni_ im ersteren Falle bedeuten würde, wir
wollen etwas =unter der Idee= des Guten, im zweiten, =zu |59.35|
Folge dieser Idee=, welche vor dem Wollen als Bestimmungsgrund
desselben vorhergehen muß.
Die deutsche Sprache hat das Glück, die Ausdrücke zu besitzen, welche
diese Verschiedenheit nicht übersehen lassen. Für das, was die Lateiner
|59.25| mit einem einzigen Worte _bonum_ benennen, hat sie zwei sehr
verschiedene Begriffe und auch eben so verschiedene Ausdrücke, für
_bonum_ das =Gute= und das =Wohl=, für _malum_ das =Böse= und das
=Übel= (oder =Weh=), so daß es zwei ganz verschiedene Beurtheilungen
sind, ob wir bei einer Handlung #105# das =Gute= und =Böse= derselben,
oder unser =Wohl= und =Weh= (Übel) in Betrachtung ziehen. Hieraus folgt
schon, daß obiger psychologischer Satz wenigstens noch sehr ungewiß
sei, wenn er so übersetzt wird: wir begehren nichts, als in Rücksicht
auf unser =Wohl= oder =Weh=; dagegen er, |60.5| wenn man ihn so giebt:
wir wollen nach Anweisung der Vernunft nichts, als nur so fern wir es
für gut oder böse halten, ungezweifelt gewiß und zugleich ganz klar
ausgedrückt wird.
Das =Wohl= oder =Übel= bedeutet immer nur eine Beziehung auf unseren
Zustand der =Annehmlichkeit= oder =Unannehmlichkeit=, des Vergnügens
|60.10| und Schmerzens, und wenn wir darum ein Object begehren oder
verabscheuen, so geschieht es nur, so fern es auf unsere Sinnlichkeit
und das Gefühl der Lust und Unlust, das es bewirkt, bezogen wird. Das
=Gute= oder =Böse= bedeutet aber jederzeit eine Beziehung auf den
=Willen=, so fern dieser durchs =Vernunftgesetz= bestimmt wird, sich
etwas zu seinem |60.15| Objecte zu machen; wie er denn durch das Object
und dessen Vorstellung niemals unmittelbar bestimmt wird, sondern
ein Vermögen ist, sich eine Regel der Vernunft zur Bewegursache
einer Handlung (dadurch ein Object wirklich werden kann) zu machen.
Das Gute oder Böse wird also eigentlich auf Handlungen, nicht auf
den Empfindungszustand der Person |60.20| bezogen, und sollte etwas
schlechthin (und in aller Absicht und ohne #106# weitere Bedingung)
gut oder böse sein oder dafür gehalten werden, so würde es nur die
Handlungsart, die Maxime des Willens und mithin die handelnde Person
selbst als guter oder böser Mensch, nicht aber eine Sache sein, die so
genannt werden könnte. |60.25|
Man mochte also immer den Stoiker auslachen, der in den heftigsten
Gichtschmerzen ausrief: Schmerz, du magst mich noch so sehr foltern,
ich werde doch nie gestehen, daß du etwas Böses (κακον, _malum_)
seist! er hatte doch recht. Ein Übel war es, das fühlte er, und das
verrieth sein Geschrei; aber daß ihm dadurch ein Böses anhinge, hatte
er gar nicht Ursache |60.30| einzuräumen; denn der Schmerz verringert
den Werth seiner Person nicht im mindesten, sondern nur den Werth
seines Zustandes. Eine einzige Lüge, deren er sich bewußt gewesen wäre,
hätte seinen Muth niederschlagen müssen; aber der Schmerz diente nur
zur Veranlassung, ihn zu erheben, wenn er sich bewußt war, daß er ihn
durch keine unrechte Handlung |60.35| verschuldet und sich dadurch
strafwürdig gemacht habe.
Was wir gut nennen sollen, muß in jedes vernünftigen Menschen Urtheil
ein Gegenstand des Begehrungsvermögens sein, und das Böse in den Augen
von jedermann ein Gegenstand des Abscheues; mithin bedarf es außer dem
Sinne zu dieser Beurtheilung noch Vernunft. So ist es mit #107# der
Wahrhaftigkeit im Gegensatze mit der Lüge, so mit der Gerechtigkeit
im Gegensatz der Gewaltthätigkeit &c. bewandt. Wir können aber
etwas |61.5| ein Übel nennen, welches doch jedermann zugleich für gut,
bisweilen mittelbar, bisweilen gar unmittelbar, erklären muß. Der
eine chirurgische Operation an sich verrichten läßt, fühlt sie ohne
Zweifel als ein Übel; aber durch Vernunft erklärt er und jedermann sie
für gut. Wenn aber jemand, der friedliebende Leute gerne neckt und
beunruhigt, endlich einmal anläuft |61.10| und mit einer tüchtigen
Tracht Schläge abgefertigt wird: so ist dieses allerdings ein Übel,
aber jedermann giebt dazu seinen Beifall und hält es an sich für gut,
wenn auch nichts weiter daraus entspränge; ja selbst der, der sie
empfängt, muß in seiner Vernunft erkennen, daß ihm Recht geschehe, weil
er die Proportion zwischen dem Wohlbefinden und Wohlverhalten, |61.15|
welche die Vernunft ihm unvermeidlich vorhält, hier genau in Ausübung
gebracht sieht.
Es kommt allerdings auf unser Wohl und Weh in der Beurtheilung
unserer praktischen Vernunft gar =sehr viel= und, was unsere Natur
als sinnlicher Wesen betrifft, =alles= auf unsere =Glückseligkeit=
an, wenn diese, |61.20| wie Vernunft es vorzüglich fordert, nicht nach
der vorübergehenden Empfindung, sondern nach dem Einflusse, den diese
Zufälligkeit auf unsere ganze Existenz und die Zufriedenheit mit
derselben hat, beurtheilt wird; #108# aber =alles überhaupt= kommt
darauf doch nicht an. Der Mensch ist ein bedürftiges Wesen, so fern er
zur Sinnenwelt gehört, und so fern hat |61.25| seine Vernunft allerdings
einen nicht abzulehnenden Auftrag von Seiten der Sinnlichkeit, sich
um das Interesse derselben zu bekümmern und sich praktische Maximen,
auch in Absicht auf die Glückseligkeit dieses und wo möglich auch
eines zukünftigen Lebens, zu machen. Aber er ist doch nicht so ganz
Thier, um gegen alles, was Vernunft für sich selbst sagt, gleichgültig
|61.30| zu sein und diese blos zum Werkzeuge der Befriedigung seines
Bedürfnisses als Sinnenwesens zu gebrauchen. Denn im Werthe über die
bloße Thierheit erhebt ihn das gar nicht, daß er Vernunft hat, wenn sie
ihm nur zum Behuf desjenigen dienen soll, was bei Thieren der Instinct
verrichtet; sie wäre alsdann nur eine besondere Manier, deren sich die
|61.35| Natur bedient hätte, um den Menschen zu demselben Zwecke, dazu
sie Thiere bestimmt hat, auszurüsten, ohne ihn zu einem höheren Zwecke
zu bestimmen. Er bedarf also freilich nach dieser einmal mit ihm
getroffenen Naturanstalt Vernunft, um sein Wohl und Weh jederzeit in
Betrachtung zu ziehen, aber er hat sie überdem noch zu einem höheren
Behuf, nämlich auch das, was an sich gut oder böse ist, und worüber
reine, sinnlich gar nicht interessirte Vernunft nur allein urtheilen
kann, nicht allein mit in |62.5| Überlegung zu nehmen, sondern diese
Beurtheilung von jener gänzlich #109# zu unterscheiden und sie zur
obersten Bedingung der letzteren zu machen.
In dieser Beurtheilung des an sich Guten und Bösen, zum Unterschiede
von dem, was nur beziehungsweise auf Wohl oder Übel so genannt werden
kann, kommt es auf folgende Punkte an. Entweder ein Vernunftprincip
|62.10| wird schon an sich als der Bestimmungsgrund des Willens gedacht,
ohne Rücksicht auf mögliche Objecte des Begehrungsvermögens (also blos
durch die gesetzliche Form der Maxime), alsdann ist jenes Princip
praktisches Gesetz _a priori_, und reine Vernunft wird für sich
praktisch zu sein angenommen. Das Gesetz bestimmt alsdann =unmittelbar=
den |62.15| Willen, die ihm gemäße Handlung ist =an sich selbst gut=,
ein Wille, dessen Maxime jederzeit diesem Gesetze gemäß ist, ist
=schlechterdings, in aller Absicht, gut= und die =oberste Bedingung
alles Guten=: oder es geht ein Bestimmungsgrund des Begehrungsvermögens
vor der Maxime des Willens vorher, der ein Object der Lust und Unlust
voraussetzt, |62.20| mithin etwas, das =vergnügt= oder =schmerzt=,
und die Maxime der Vernunft, jene zu befördern, diese zu vermeiden,
bestimmt die Handlungen, wie sie beziehungsweise auf unsere Neigung,
mithin nur mittelbar (in Rücksicht auf einen anderweitigen Zweck, als
Mittel zu demselben) gut sind, und diese Maximen können alsdann niemals
Gesetze, dennoch aber |62.25| vernünftige praktische Vorschriften
heißen. Der Zweck selbst, das Vergnügen, #110# das wir suchen, ist
im letzteren Falle nicht ein =Gutes=, sondern ein =Wohl=, nicht ein
Begriff der Vernunft, sondern ein empirischer Begriff von einem
Gegenstande der Empfindung; allein der Gebrauch des Mittels dazu, d. i.
die Handlung (weil dazu vernünftige Überlegung erfordert |62.30| wird),
heißt dennoch gut, aber nicht schlechthin, sondern nur in Beziehung auf
unsere Sinnlichkeit, in Ansehung ihres Gefühls der Lust und Unlust; der
Wille aber, dessen Maxime dadurch afficirt wird, ist nicht ein reiner
Wille, der nur auf das geht, wobei reine Vernunft für sich selbst
praktisch sein kann. |62.35|
Hier ist nun der Ort, das Paradoxon der Methode in einer Kritik der
praktischen Vernunft zu erklären: =daß nämlich der Begriff des Guten
und Bösen nicht vor dem moralischen Gesetze (dem er dem Anschein nach
sogar zum Grunde gelegt werden müßte), sondern nur (wie hier auch
geschieht) nach demselben und durch dasselbe bestimmt werden müsse=.
Wenn wir nämlich auch nicht wüßten, daß das Princip der Sittlichkeit
ein reines, _a priori_ den Willen |63.5| bestimmendes Gesetz sei, so
müßten wir doch, um nicht ganz umsonst (gratis) Grundsätze anzunehmen,
es anfänglich wenigstens =unausgemacht= lassen, ob der Wille blos
empirische, oder auch reine Bestimmungsgründe _a priori_ habe; denn es
ist wider alle Grundregeln des philosophischen Verfahrens, das, worüber
man allererst entscheiden soll, schon zum voraus |63.10| #111# als
entschieden anzunehmen. Gesetzt, wir wollten nun vom Begriffe des Guten
anfangen, um davon die Gesetze des Willens abzuleiten, so würde dieser
Begriff von einem Gegenstande (als einem guten) zugleich diesen als den
einigen Bestimmungsgrund des Willens angeben. Weil nun dieser Begriff
kein praktisches Gesetz _a priori_ zu seiner Richtschnur hatte, |63.15|
so könnte der Probirstein des Guten oder Bösen in nichts anders, als
in der Übereinstimmung des Gegenstandes mit unserem Gefühle der Lust
oder Unlust gesetzt werden, und der Gebrauch der Vernunft könnte nur
darin bestehen, theils diese Lust oder Unlust im ganzen Zusammenhange
mit allen Empfindungen meines Daseins, theils die Mittel, mir den
Gegenstand |63.20| derselben zu verschaffen, zu bestimmen. Da nun,
was dem Gefühle der Lust gemäß sei, nur durch Erfahrung ausgemacht
werden kann, das praktische Gesetz aber der Angabe nach doch darauf
als Bedingung gegründet werden soll, so würde geradezu die Möglichkeit
praktischer Gesetze _a priori_ ausgeschlossen: weil man vorher nöthig
zu finden meinte, |63.25| einen Gegenstand für den Willen auszufinden,
davon der Begriff als eines Guten den allgemeinen, obzwar empirischen
Bestimmungsgrund des Willens ausmachen müsse. Nun aber war doch vorher
nöthig zu untersuchen, ob es nicht auch einen Bestimmungsgrund des
Willens _a priori_ gebe (welcher niemals irgendwo anders, als an
einem reinen praktischen |63.30| #112# Gesetze, und zwar so fern dieses
die bloße gesetzliche Form ohne Rücksicht auf einen Gegenstand den
Maximen vorschreibt, wäre gefunden worden). Weil man aber schon
einen Gegenstand nach Begriffen des Guten und Bösen zum Grunde alles
praktischen Gesetzes legte, jener aber ohne vorhergehendes Gesetz
nur nach empirischen Begriffen gedacht werden konnte, |63.35| so hatte
man sich die Möglichkeit, ein reines praktisches Gesetz auch nur zu
denken, schon zum voraus benommen; da man im Gegentheil, wenn man dem
letzteren vorher analytisch nachgeforscht hätte, gefunden haben würde,
daß nicht der Begriff des Guten als eines Gegenstandes das moralische
Gesetz, sondern umgekehrt das moralische Gesetz allererst den Begriff
des Guten, so fern es diesen Namen schlechthin verdient, bestimme und
möglich mache. |64.5|
Diese Anmerkung, welche blos die Methode der obersten moralischen
Untersuchungen betrifft, ist von Wichtigkeit. Sie erklärt auf einmal
den veranlassenden Grund aller Verirrungen der Philosophen in Ansehung
des obersten Princips der Moral. Denn sie suchten einen Gegenstand
des Willens auf, um ihn zur Materie und dem Grunde eines Gesetzes zu
machen |64.10| (welches alsdann nicht unmittelbar, sondern vermittelst
jenes an das Gefühl der Lust oder Unlust gebrachten Gegenstandes der
Bestimmungsgrund des Willens sein sollte), anstatt daß sie zuerst
nach einem Gesetze hätten #113# forschen sollen, das _a priori_ und
unmittelbar den Willen und diesem gemäß allererst den Gegenstand
bestimmte. Nun mochten sie diesen Gegenstand |64.15| der Lust, der den
obersten Begriff des Guten abgeben sollte, in der Glückseligkeit,
in der Vollkommenheit, im moralischen Gefühle, oder im Willen
Gottes setzen, so war ihr Grundsatz allemal Heteronomie, sie mußten
unvermeidlich auf empirische Bedingungen zu einem moralischen Gesetze
stoßen: weil sie ihren Gegenstand, als unmittelbaren Bestimmungsgrund
des Willens, |64.20| nur nach seinem unmittelbaren Verhalten zum Gefühl,
welches allemal empirisch ist, gut oder böse nennen konnten. Nur ein
formales Gesetz, d. i. ein solches, welches der Vernunft nichts weiter
als die Form ihrer allgemeinen Gesetzgebung zur obersten Bedingung
der Maximen vorschreibt, kann _a priori_ ein Bestimmungsgrund der
praktischen Vernunft sein. Die |64.25| Alten verriethen indessen diesen
Fehler dadurch unverhohlen, daß sie ihre moralische Untersuchung
gänzlich auf die Bestimmung des Begriffs vom =höchsten Gut=, mithin
eines Gegenstandes setzten, welchen sie nachher zum Bestimmungsgrunde
des Willens im moralischen Gesetze zu machen gedachten: ein Object,
welches weit hinterher, wenn das moralische Gesetz |64.30| allererst
für sich bewährt und als unmittelbarer Bestimmungsgrund des Willens
gerechtfertigt ist, dem nunmehr seiner Form nach _a priori_ bestimmten
Willen als Gegenstand vorgestellt werden kann, welches wir in #114#
der Dialektik der reinen praktischen Vernunft uns unterfangen
wollen. Die Neueren, bei denen die Frage über das höchste Gut außer
Gebrauch gekommen, |64.35| zum wenigsten nur Nebensache geworden zu
sein scheint, verstecken obigen Fehler (wie in vielen andern Fällen)
hinter unbestimmten Worten, indessen daß man ihn gleichwohl aus ihren
Systemen hervorblicken sieht, da er alsdann allenthalben Heteronomie
der praktischen Vernunft verräth, daraus nimmermehr ein _a priori_
allgemein gebietendes moralisches Gesetz entspringen kann.
Da nun die Begriffe des Guten und Bösen als Folgen der
Willensbestimmung |65.5| _a priori_ auch ein reines praktisches
Princip, mithin eine Causalität der reinen Vernunft voraussetzen:
so beziehen sie sich ursprünglich nicht (etwa als Bestimmungen der
synthetischen Einheit des Mannigfaltigen gegebener Anschauungen in
einem Bewußtsein) auf Objecte, wie die reinen Verstandesbegriffe oder
Kategorien der theoretisch gebrauchten Vernunft, |65.10| sie setzen
diese vielmehr als gegeben voraus; sondern sie sind insgesammt _modi_
einer einzigen Kategorie, nämlich der der Causalität, so fern der
Bestimmungsgrund derselben in der Vernunftvorstellung eines Gesetzes
derselben besteht, welches als Gesetz der Freiheit die Vernunft sich
selbst giebt und dadurch sich _a priori_ als praktisch beweiset. Da
indessen die Handlungen |65.15| #115# =einerseits= zwar unter einem
Gesetze, das kein Naturgesetz, sondern ein Gesetz der Freiheit ist,
folglich zu dem Verhalten intelligibeler Wesen, =andererseits= aber
doch auch als Begebenheiten in der Sinnenwelt zu den Erscheinungen
gehören, so werden die Bestimmungen einer praktischen Vernunft nur
in Beziehung auf die letztere, folglich zwar den Kategorien |65.20|
des Verstandes gemäß, aber nicht in der Absicht eines theoretischen
Gebrauchs desselben, um das Mannigfaltige der (sinnlichen) =Anschauung=
unter ein Bewußtsein _a priori_ zu bringen, sondern nur um das
Mannigfaltige der =Begehrungen= der Einheit des Bewußtseins einer im
moralischen Gesetze gebietenden praktischen Vernunft oder eines reinen
Willens |65.25| _a priori_ zu unterwerfen, Statt haben können.
Diese =Kategorien der Freiheit=, denn so wollen wir sie statt jener
theoretischen Begriffe als Kategorien der Natur benennen, haben
einen augenscheinlichen Vorzug vor den letzteren, daß, da diese nur
Gedankenformen sind, welche nur unbestimmt Objecte überhaupt für jede
uns mögliche |65.30| Anschauung durch allgemeine Begriffe bezeichnen,
diese hingegen, da sie auf die Bestimmung einer =freien Willkür= gehen
(der zwar keine Anschauung völlig correspondirend gegeben werden kann,
die aber, welches bei keinen Begriffen des theoretischen Gebrauchs
unseres Erkenntnißvermögens stattfindet, ein reines praktisches
Gesetz _a priori_ zum Grunde liegen |65.35| hat), als praktische
Elementarbegriffe statt der Form der Anschauung #116# (Raum und
Zeit), die nicht in der Vernunft selbst liegt, sondern anderwärts,
nämlich von der Sinnlichkeit, hergenommen werden muß, die =Form eines
reinen Willens= in ihr, mithin dem Denkungsvermögen selbst, als
gegeben zum Grunde liegen haben; dadurch es denn geschieht, daß, da
es in allen Vorschriften der reinen praktischen Vernunft nur um die
=Willensbestimmung=, nicht um die Naturbedingungen (des praktischen
Vermögens) |66.5| der =Ausführung seiner Absicht= zu thun ist, die
praktischen Begriffe _a priori_ in Beziehung auf das oberste Princip
der Freiheit sogleich Erkenntnisse werden und nicht auf Anschauungen
warten dürfen, um Bedeutung zu bekommen, und zwar aus diesem
merkwürdigen Grunde, weil sie die Wirklichkeit dessen, worauf sie sich
beziehen, (die Willensgesinnung) |66.10| selbst hervorbringen, welches
gar nicht die Sache theoretischer Begriffe ist. Nur muß man wohl
bemerken, daß diese Kategorien nur die praktische Vernunft überhaupt
angehen und so in ihrer Ordnung von den moralisch noch unbestimmten
und sinnlich bedingten zu denen, die, sinnlich unbedingt, blos durchs
moralische Gesetz bestimmt sind, fortgehen. |66.15|
Tafel #117#
der Kategorien der Freiheit in Ansehung der Begriffe des Guten und
Bösen.
1.
DER QUANTITÄT |66.20|
Subjectiv, nach Maximen (=Willensmeinungen= des Individuum)
Objectiv, nach Principien (=Vorschriften=)
_A priori_ objective sowohl als subjective Principien der Freiheit
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