Kant's gesammelte Schriften. Band V. Kritik der praktischen Vernunft. - 04

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und Bedingung der Maxime; denn ist sie es, so läßt diese sich
nicht in allgemein gesetzgebender Form darstellen, weil die
Erwartung der Existenz des Gegenstandes alsdann die bestimmende
Ursache |34.15| der Willkür sein würde, und die Abhängigkeit
des Begehrungsvermögens von der Existenz irgend einer Sache
dem Wollen zum Grunde gelegt werden müßte, welche immer nur in
empirischen Bedingungen gesucht werden und daher niemals den
Grund zu einer nothwendigen und allgemeinen Regel abgeben kann.
So wird fremder Wesen Glückseligkeit das Object des Willens
eines vernünftigen Wesens |34.20| sein können. Wäre sie aber
der Bestimmungsgrund der Maxime, so müßte man voraussetzen,
daß wir in dem Wohlsein anderer nicht allein ein natürliches
Vergnügen, sondern auch ein Bedürfniß finden, so wie die
sympathetische Sinnesart bei Menschen es mit sich bringt.
Aber dieses Bedürfniß kann ich nicht bei jedem vernünftigen
Wesen (bei Gott gar nicht) voraussetzen. Also kann zwar die
Materie |34.25| der Maxime bleiben, sie muß aber nicht die
Bedingung derselben sein, denn sonst #61# würde diese nicht zum
Gesetze taugen. Also die bloße Form eines Gesetzes, welches
die Materie einschränkt, muß zugleich ein Grund sein, diese
Materie zum Willen hinzuzufügen, aber sie nicht vorauszusetzen.
Die Materie sei z. B. meine eigene Glückseligkeit. Diese, wenn
ich sie jedem beilege (wie ich es denn in der That bei |34.30|
endlichen Wesen thun darf), kann nur alsdann ein =objectives=
praktisches Gesetz werden, wenn ich anderer ihre in dieselbe mit
einschließe. Also entspringt das Gesetz, anderer Glückseligkeit
zu befördern, nicht von der Voraussetzung, daß dieses ein
Object für jedes seine Willkür sei, sondern blos daraus, daß
die Form der Allgemeinheit, die die Vernunft als Bedingung
bedarf, einer Maxime der Selbstliebe |34.35| die objective
Gültigkeit eines Gesetzes zu geben, der Bestimmungsgrund des
Willens wird, und also war das Object (anderer Glückseligkeit)
nicht der Bestimmungsgrund des reinen Willens, sondern die bloße
gesetzliche Form war es allein, dadurch ich meine auf Neigung
gegründete Maxime einschränkte, um ihr die Allgemeinheit eines
Gesetzes zu verschaffen und sie so der reinen praktischen
Vernunft angemessen zu machen, aus welcher Einschränkung, und
nicht dem Zusatz einer äußeren Triebfeder, alsdann der Begriff
der =Verbindlichkeit=, die Maxime meiner Selbstliebe auch auf
die Glückseligkeit anderer zu erweitern, allein entspringen
konnte. |35.5|
Anmerkung II.
Das gerade Widerspiel des Princips der Sittlichkeit ist:
wenn das der =eigenen= Glückseligkeit zum Bestimmungsgrunde
des Willens gemacht wird, wozu, wie ich oben gezeigt habe,
alles überhaupt gezählt werden muß, was den Bestimmungsgrund,
der zum Gesetze dienen soll, irgend worin anders als in
der gesetzgebenden |35.10| Form der Maxime setzt. Dieser
Widerstreit ist aber nicht blos logisch, wie der #62# zwischen
empirisch-bedingten Regeln, die man doch zu nothwendigen
Erkenntnißprincipien erheben wollte, sondern praktisch und
würde, wäre nicht die Stimme der Vernunft in Beziehung auf
den Willen so deutlich, so unüberschreibar, selbst für den
gemeinsten Menschen so vernehmlich, die Sittlichkeit gänzlich
zu Grunde richten; so |35.15| aber kann sie sich nur noch in den
kopfverwirrenden Speculationen der Schulen erhalten, die dreist
genug sind, sich gegen jene himmlische Stimme taub zu machen, um
eine Theorie, die kein Kopfbrechen kostet, aufrecht zu erhalten.
Wenn ein dir sonst beliebter Umgangsfreund sich bei dir wegen
eines falschen abgelegten Zeugnisses dadurch zu rechtfertigen
vermeinte, daß er zuerst die seinem |35.20| Vorgeben nach
heilige Pflicht der eigenen Glückseligkeit vorschützte, alsdann
die Vortheile herzählte, die er sich alle dadurch erworben,
die Klugheit namhaft machte, die er beobachtet, um wider alle
Entdeckung sicher zu sein, selbst wider die von Seiten deiner
selbst, dem er das Geheimniß darum allein offenbart, damit er
es zu aller Zeit ableugnen könne; dann aber im ganzen Ernst
vorgäbe, er habe eine wahre |35.25| Menschenpflicht ausgeübt:
so würdest du ihm entweder gerade ins Gesicht lachen, oder
mit Abscheu davon zurückbeben, ob du gleich, wenn jemand blos
auf eigene Vortheile seine Grundsätze gesteuert hat, wider
diese Maßregeln nicht das mindeste einzuwenden hättest. Oder
setzet, es empfehle euch jemand einen Mann zum Haushalter, dem
ihr alle eure Angelegenheiten blindlings anvertrauen könnet,
|35.30| und, um euch Zutrauen einzuflößen, rühmte er ihn als
einen klugen Menschen, der sich auf seinen eigenen Vortheil
meisterhaft verstehe, auch als einen rastlos wirksamen, der
keine Gelegenheit dazu ungenutzt vorbeigehen ließe, endlich,
damit auch #63# ja nicht Besorgnisse wegen eines pöbelhaften
Eigennutzes desselben im Wege ständen, rühmte er, wie er
recht fein zu leben verstände, nicht im Geldsammeln oder
|35.35| brutaler Üppigkeit, sondern in der Erweiterung seiner
Kenntnisse, einem wohlgewählten belehrenden Umgange, selbst im
Wohlthun der Dürftigen sein Vergnügen suchte, übrigens aber
wegen der Mittel (die doch ihren Werth oder Unwerth nur vom
Zwecke entlehnen) nicht bedenklich wäre, und fremdes Geld und
Gut ihm hiezu, so bald er nur wisse, daß er es unentdeckt und
ungehindert thun könne, so gut wie sein eigenes wäre: so würdet
ihr entweder glauben, der Empfehlende habe euch zum besten, oder
er habe den Verstand verloren. -- So deutlich und scharf sind
die Grenzen der Sittlichkeit und der Selbstliebe abgeschnitten,
daß selbst das gemeinste Auge den Unterschied, ob etwas zu der
einen oder der andern gehöre, gar nicht verfehlen |36.5| kann.
Folgende wenige Bemerkungen können zwar bei einer so offenbaren
Wahrheit überflüssig scheinen, allein sie dienen doch wenigstens
dazu, dem Urtheile der gemeinen Menschenvernunft etwas mehr
Deutlichkeit zu verschaffen.
Das Princip der Glückseligkeit kann zwar Maximen, aber niemals
solche abgeben, die zu Gesetzen des Willens tauglich wären,
selbst wenn man sich die =allgemeine= |36.10| Glückseligkeit
zum Objecte machte. Denn weil dieser ihre Erkenntniß auf
lauter Erfahrungsdatis beruht, weil jedes Urtheil darüber
gar sehr von jedes seiner Meinung, die noch dazu selbst sehr
veränderlich ist, abhängt, so kann es wohl =generelle=, aber
niemals =universelle= Regeln, d. i. solche, die im Durchschnitte
am öftersten zutreffen, nicht aber solche, die jederzeit und
nothwendig gültig sein |36.15| müssen, geben, mithin können
keine praktische =Gesetze= darauf gegründet werden. Eben darum
weil hier ein Object der Willkür der Regel derselben zum Grunde
gelegt und also vor dieser vorhergehen muß, so kann diese nicht
worauf anders #64# als auf das, was man empfiehlt, und also auf
Erfahrung bezogen und darauf gegründet werden, und da muß die
Verschiedenheit des Urtheils endlos sein. Dieses |36.20| Princip
schreibt also nicht allen vernünftigen Wesen eben dieselbe
praktische Regeln vor, ob sie zwar unter einem gemeinsamen
Titel, nämlich dem der Glückseligkeit, stehen. Das moralische
Gesetz wird aber nur darum als objectiv nothwendig gedacht, weil
es für jedermann gelten soll, der Vernunft und Willen hat.
Die Maxime der Selbstliebe (Klugheit) =räth= blos an; das Gesetz
der Sittlichkeit |36.25| =gebietet=. Es ist aber doch ein großer
Unterschied zwischen dem, wozu man uns =anräthig= ist, und dem,
wozu wir =verbindlich= sind.
Was nach dem Princip der Autonomie der Willkür zu thun sei,
ist für den gemeinsten Verstand ganz leicht und ohne Bedenken
einzusehen; was unter Voraussetzung der Heteronomie derselben
zu thun sei, schwer und erfordert Weltkenntniß; |36.30| d. i.
was =Pflicht= sei, bietet sich jedermann von selbst dar;
was aber wahren, dauerhaften Vortheil bringe, ist allemal,
wenn dieser auf das ganze Dasein erstreckt werden soll, in
undurchdringliches Dunkel eingehüllt und erfordert viel
Klugheit, um die praktische darauf gestimmte Regel durch
geschickte Ausnahmen auch nur auf erträgliche Art den Zwecken
des Lebens anzupassen. Gleichwohl gebietet das sittliche |36.35|
Gesetz jedermann, und zwar die pünktlichste, Befolgung. Es muß
also zu der Beurtheilung dessen, was nach ihm zu thun sei, nicht
so schwer sein, daß nicht der gemeinste und ungeübteste Verstand
selbst ohne Weltklugheit damit umzugehen wüßte.
Dem kategorischen Gebote der Sittlichkeit Genüge zu leisten, ist
in jedes Gewalt |36.40| zu aller Zeit, der empirisch-bedingten
Vorschrift der Glückseligkeit, nur selten #65# und bei weitem
nicht auch nur in Ansehung einer einzigen Absicht für jedermann
möglich. Die Ursache ist, weil es bei dem ersteren nur auf die
Maxime ankommt, die ächt und rein sein muß, bei der letzteren
aber auch auf die Kräfte und das physische Vermögen, einen
begehrten Gegenstand wirklich zu machen. Ein Gebot, daß
|37.5| jedermann sich glücklich zu machen suchen sollte, wäre
thöricht; denn man gebietet niemals jemanden das, was er schon
unausbleiblich von selbst will. Man müßte ihm blos die Maßregeln
gebieten, oder vielmehr darreichen, weil er nicht alles das
kann, was er will. Sittlichkeit aber gebieten unter dem Namen
der Pflicht, ist ganz vernünftig; denn deren Vorschrift will
erstlich eben nicht jedermann gerne gehorchen, |37.10| wenn
sie mit Neigungen im Widerstreite ist, und was die Maßregeln
betrifft, wie er dieses Gesetz befolgen könne, so dürfen diese
hier nicht gelehrt werden; denn was er in dieser Beziehung will,
das kann er auch.
Der im Spiel =verloren= hat, kann sich wohl über sich selbst
und seine Unklugheit =ärgern=, aber wenn er sich bewußt ist, im
Spiel =betrogen= (obzwar dadurch |37.15| gewonnen) zu haben,
so muß er sich selbst =verachten=, so bald er sich mit dem
sittlichen Gesetze vergleicht. Dieses muß also doch wohl etwas
Anderes, als das Princip der eigenen Glückseligkeit sein. Denn
zu sich selber sagen zu müssen: ich bin ein =Nichtswürdiger=,
ob ich gleich meinen Beutel gefüllt habe, muß doch ein anderes
Richtmaß des Urtheils haben, als sich selbst Beifall zu geben
und zu sagen: |37.20| ich bin ein =kluger= Mensch, denn ich habe
meine Casse bereichert.
Endlich ist noch etwas in der Idee unserer praktischen Vernunft,
welches die Übertretung eines sittlichen Gesetzes begleitet,
nämlich ihre =Strafwürdigkeit=. Nun läßt sich mit dem Begriffe
einer Strafe, als einer solchen, doch gar nicht das #66#
Theilhaftigwerden der Glückseligkeit verbinden. Denn obgleich
der, so da straft, |37.25| wohl zugleich die gütige Absicht haben
kann, diese Strafe auch auf diesen Zweck zu richten, so muß sie
doch zuvor als Strafe, d. i. als bloßes Übel, für sich selbst
gerechtfertigt sein, so daß der Gestrafte, wenn es dabei bliebe,
und er auch auf keine sich hinter dieser Härte verbergende Gunst
hinaussähe, selbst gestehen muß, es sei ihm Recht geschehen,
und sein Loos sei seinem Verhalten vollkommen angemessen. In
|37.30| jeder Strafe als solcher muß zuerst Gerechtigkeit sein,
und diese macht das Wesentliche dieses Begriffs aus. Mit ihr
kann zwar auch Gütigkeit verbunden werden, aber auf diese hat
der Strafwürdige nach seiner Aufführung nicht die mindeste
Ursache sich Rechnung zu machen. Also ist Strafe ein physisches
Übel, welches, wenn es auch nicht als =natürliche= Folge mit
dem moralisch Bösen verbunden wäre, |37.35| doch als Folge nach
Principien einer sittlichen Gesetzgebung verbunden werden
müßte. Wenn nun alles Verbrechen, auch ohne auf die physischen
Folgen in Ansehung des Thäters zu sehen, für sich strafbar
ist, d. i. Glückseligkeit (wenigstens zum Theil) verwirkt, so
wäre es offenbar ungereimt zu sagen: das Verbrechen habe darin
eben bestanden, daß er sich eine Strafe zugezogen hat, indem
er seiner eigenen |37.40| Glückseligkeit Abbruch that (welches
nach dem Princip der Selbstliebe der eigentliche Begriff
alles Verbrechens sein müßte). Die Strafe würde auf diese
Art der Grund sein, etwas ein Verbrechen zu nennen, und die
Gerechtigkeit müßte vielmehr darin bestehen, alle Bestrafung
zu unterlassen und selbst die natürliche zu verhindern; denn
alsdann wäre in der Handlung nichts Böses mehr, weil die Übel,
die |38.5| sonst darauf folgten, und um deren willen die Handlung
allein böse hieß, nunmehr abgehalten wären. Vollends aber alles
Strafen und Belohnen nur als #67# das Maschinenwerk in der Hand
einer höheren Macht anzusehen, welches vernünftige Wesen dadurch
zu ihrer Endabsicht (der Glückseligkeit) in Thätigkeit zu setzen
allein dienen sollte, ist gar zu sichtbar ein alle Freiheit
aufhebender Mechanism |38.10| ihres Willens, als daß es nöthig
wäre uns hiebei aufzuhalten.
Feiner noch, obgleich eben so unwahr, ist das Vorgeben derer,
die einen gewissen moralischen besondern Sinn annehmen, der,
und nicht die Vernunft, das moralische Gesetz bestimmte, nach
welchem das Bewußtsein der Tugend unmittelbar mit Zufriedenheit
und Vergnügen, das des Lasters aber mit Seelenunruhe und |38.15|
Schmerz verbunden wäre, und so alles doch auf Verlangen nach
eigener Glückseligkeit aussetzen. Ohne das hieher zu ziehen, was
oben gesagt worden, will ich nur die Täuschung bemerken, die
hiebei vorgeht. Um den Lasterhaften als durch das Bewußtsein
seiner Vergehungen mit Gemüthsunruhe geplagt vorzustellen,
müssen sie ihn der vornehmsten Grundlage seines Charakters
nach schon zum voraus als |38.20| wenigstens in einigem Grade
moralisch gut, so wie den, welchen das Bewußtsein pflichtmäßiger
Handlungen ergötzt, vorher schon als tugendhaft vorstellen.
Also mußte doch der Begriff der Moralität und Pflicht vor
aller Rücksicht auf diese Zufriedenheit vorhergehen und kann
von dieser gar nicht abgeleitet werden. Nun muß man doch die
Wichtigkeit dessen, was wir Pflicht nennen, das Ansehen des
moralischen |38.25| Gesetzes und den unmittelbaren Werth, den
die Befolgung desselben der Person in ihren eigenen Augen giebt,
vorher schätzen, um jene Zufriedenheit in dem Bewußtsein seiner
Angemessenheit zu derselben und den bitteren Verweis, wenn man
sich dessen Übertretung vorwerfen kann, zu fühlen. Man kann
also diese Zufriedenheit #68# oder Seelenunruhe nicht vor der
Erkenntniß der Verbindlichkeit fühlen |38.30| und sie zum Grunde
der letzteren machen. Man muß wenigstens auf dem halben Wege
schon ein ehrlicher Mann sein, um sich von jenen Empfindungen
auch nur eine Vorstellung machen zu können. Daß übrigens, so wie
vermöge der Freiheit der menschliche Wille durchs moralische
Gesetz unmittelbar bestimmbar ist, auch die öftere Ausübung
diesem Bestimmungsgrunde gemäß subjectiv zuletzt ein Gefühl
|38.35| der Zufriedenheit mit sich selbst wirken könne, bin ich
gar nicht in Abrede; vielmehr gehört es selbst zur Pflicht,
dieses, welches eigentlich allein das moralische Gefühl genannt
zu werden verdient, zu gründen und zu cultiviren; aber der
Begriff der Pflicht kann davon nicht abgeleitet werden, sonst
müßten wir uns ein Gefühl eines Gesetzes als eines solchen
denken und das zum Gegenstande der Empfindung |38.40| machen,
was nur durch Vernunft gedacht werden kann; welches, wenn es
nicht ein platter Widerspruch werden soll, allen Begriff der
Pflicht ganz aufheben und an deren Statt blos ein mechanisches
Spiel feinerer, mit den gröberen bisweilen in Zwist gerathender
Neigungen setzen würde.
Wenn wir nun unseren =formalen= obersten Grundsatz der reinen
praktischen |39.5| Vernunft (als einer Autonomie des Willens)
mit allen bisherigen =materialen= Principien der Sittlichkeit
vergleichen, so können wir in einer Tafel alle übrige als
solche, dadurch wirklich zugleich alle mögliche andere Fälle
außer einem einzigen formalen erschöpft sind, vorstellig machen
und so durch den Augenschein beweisen, daß es vergeblich sei,
sich nach einem andern Princip als dem jetzt vorgetragenen
|39.10| umzusehen. -- Alle mögliche Bestimmungsgründe des
Willens sind nämlich entweder blos =subjectiv= und also
empirisch, oder auch =objectiv= und rational; beide aber
entweder =äußere= oder =innere=.
PRAKTISCHE MATERIALE BESTIMMUNGSGRÜNDE #69#
im Princip der Sittlichkeit sind
SUBJECTIVE OBJECTIVE
=äußere= =innere= =innere= =äußere=
1 2 3 4 5 6
1 Der =Erziehung= (nach =Montaigne=)
2 Der =bürgerlichen Verfassung= (nach =Mandeville=)
3 Des =physischen Gefühls= (nach =Epikur=)
4 Des =moralischen Gefühls= (nach =Hutcheson=)
5 Der =Vollkommenheit= (nach =Wolff= und den =Stoikern=)
6 Des =Willens Gottes= (nach =Crusius= und andern =theologischen=
Moralisten)
Die auf der linken Seite stehende sind insgesammt empirisch
und taugen offenbar #70# gar nicht zum allgemeinen Princip der
Sittlichkeit. Aber die auf der rechten Seite gründen sich auf
der Vernunft (denn Vollkommenheit als =Beschaffenheit= der Dinge
und die höchste Vollkommenheit, in =Substanz= vorgestellt, d.
i. Gott, sind beide nur durch Vernunftbegriffe zu denken).
Allein der erstere Begriff, nämlich |41.5| der =Vollkommenheit=,
kann entweder in =theoretischer= Bedeutung genommen werden, und
da bedeutet er nichts, als Vollständigkeit eines jeden Dinges
in seiner Art (transscendentale), oder eines Dinges blos als
Dinges überhaupt (metaphysische), und davon kann hier nicht
die Rede sein. Der Begriff der Vollkommenheit in =praktischer=
Bedeutung aber ist die Tauglichkeit oder Zulänglichkeit
|41.10| eines Dinges zu allerlei Zwecken. Diese Vollkommenheit
als =Beschaffenheit= des Menschen, folglich innerliche,
ist nichts anders als =Talent= und, was dieses stärkt oder
ergänzt, =Geschicklichkeit=. Die höchste Vollkommenheit in
=Substanz=, d. i. Gott, folglich äußerliche, (in praktischer
Absicht betrachtet) ist die Zulänglichkeit dieses Wesens zu
allen Zwecken überhaupt. Wenn nun also uns |41.15| Zwecke vorher
gegeben werden müssen, in Beziehung auf welche der Begriff
der =Vollkommenheit= (einer inneren an uns selbst, oder
einer äußeren an Gott) allein Bestimmungsgrund des Willens
werden kann, ein Zweck aber als =Object=, welches vor der
Willensbestimmung durch eine praktische Regel vorhergehen und
den Grund der Möglichkeit einer solchen enthalten muß, mithin
die =Materie= des |41.20| Willens, als Bestimmungsgrund desselben
genommen, jederzeit empirisch ist, mithin zum =Epikurischen=
Princip der Glückseligkeitslehre, niemals aber zum reinen
Vernunftprincip der Sittenlehre und der Pflicht dienen kann
(wie denn Talente und ihre Beförderung nur, weil sie zu
Vortheilen des Lebens beitragen, oder der #71# Wille Gottes,
wenn Einstimmung mit ihm ohne vorhergehendes, von dessen Idee
|41.25| unabhängiges praktisches Princip zum Objecte des Willens
genommen worden, nur durch die =Glückseligkeit=, die wir davon
erwarten, Bewegursache desselben werden können), so folgt
=erstlich=, daß alle hier aufgestellte Principien =material=
sind, =zweitens=, daß sie alle mögliche materiale Principien
befassen, und daraus endlich der Schluß: daß, weil materiale
Principien zum obersten Sittengesetz ganz |41.30| untauglich sind
(wie bewiesen worden), das =formale praktische Princip= der
reinen Vernunft, nach welchem die bloße Form einer durch unsere
Maximen möglichen allgemeinen Gesetzgebung den obersten und
unmittelbaren Bestimmungsgrund des Willens ausmachen muß, das
=einzige mögliche= sei, welches zu kategorischen Imperativen,
d. i. praktischen Gesetzen (welche Handlungen zur Pflicht |41.35|
machen), und überhaupt zum Princip der Sittlichkeit sowohl in
der Beurtheilung, als auch der Anwendung auf den menschlichen
Willen in Bestimmung desselben tauglich ist.

I. #72#
=Von der Deduction der Grundsätze der reinen praktischen Vernunft.=
Diese Analytik thut dar, daß reine Vernunft praktisch sein, d. i. für
sich, unabhängig von allem Empirischen, den Willen bestimmen könne --
|42.5| und dieses zwar durch ein Factum, worin sich reine Vernunft
bei uns in der That praktisch beweiset, nämlich die Autonomie in dem
Grundsatze der Sittlichkeit, wodurch sie den Willen zur That bestimmt.
-- Sie zeigt zugleich, daß dieses Factum mit dem Bewußtsein der
Freiheit des Willens unzertrennlich verbunden, ja mit ihm einerlei
sei, wodurch der Wille |42.10| eines vernünftigen Wesens, das, als zur
Sinnenwelt gehörig, sich gleich anderen wirksamen Ursachen nothwendig
den Gesetzen der Causalität unterworfen erkennt, im Praktischen doch
zugleich sich auf einer andern Seite, nämlich als Wesen an sich selbst,
seines in einer intelligibelen Ordnung der Dinge bestimmbaren Daseins
bewußt ist, zwar nicht einer besondern |42.15| Anschauung seiner
selbst, sondern gewissen dynamischen Gesetzen gemäß, die die Causalität
desselben in der Sinnenwelt bestimmen können; denn daß Freiheit, wenn
sie uns beigelegt wird, uns in eine intelligibele Ordnung der Dinge
versetze, ist anderwärts hinreichend bewiesen worden.
Wenn wir nun damit den analytischen Theil der Kritik der reinen
|42.20| #73# speculativen Vernunft vergleichen, so zeigt sich ein
merkwürdiger Contrast beider gegen einander. Nicht Grundsätze,
sondern reine sinnliche =Anschauung= (Raum und Zeit) war daselbst
das erste Datum, welches Erkenntniß _a priori_ und zwar nur für
Gegenstände der Sinne möglich machte. -- Synthetische Grundsätze aus
bloßen Begriffen ohne Anschauung |42.25| waren unmöglich, vielmehr
konnten diese nur in Beziehung auf jene, welche sinnlich war, mithin
auch nur auf Gegenstände möglicher Erfahrung stattfinden, weil die
Begriffe des Verstandes, mit dieser Anschauung verbunden, allein
dasjenige Erkenntniß möglich machen, welches wir Erfahrung nennen.
-- Über die Erfahrungsgegenstände hinaus, also von Dingen |42.30|
als Noumenen, wurde der speculativen Vernunft alles Positive einer
=Erkenntniß= mit völligem Rechte abgesprochen. -- Doch leistete diese
so viel, daß sie den Begriff der Noumenen, d. i. die Möglichkeit, ja
Nothwendigkeit dergleichen zu denken, in Sicherheit setzte und z. B.
die Freiheit, negativ betrachtet, anzunehmen als ganz verträglich mit
jenen Grundsätzen |42.35| und Einschränkungen der reinen theoretischen
Vernunft wider alle Einwürfe rettete, ohne doch von solchen
Gegenständen irgend etwas Bestimmtes und Erweiterndes zu erkennen zu
geben, indem sie vielmehr alle Aussicht dahin gänzlich abschnitt.
Dagegen giebt das moralische Gesetz, wenn gleich keine =Aussicht=,
#74# dennoch ein schlechterdings aus allen Datis der Sinnenwelt und
dem |43.5| ganzen Umfange unseres theoretischen Vernunftgebrauchs
unerklärliches Factum an die Hand, das auf eine reine Verstandeswelt
Anzeige giebt, ja diese sogar =positiv bestimmt= und uns etwas von ihr,
nämlich ein Gesetz, erkennen läßt.
Dieses Gesetz soll der Sinnenwelt, als einer =sinnlichen Natur=,
|43.10| (was die vernünftigen Wesen betrifft) die Form einer
Verstandeswelt, d. i. einer =übersinnlichen Natur=, verschaffen,
ohne doch jener ihrem Mechanism Abbruch zu thun. Nun ist Natur im
allgemeinsten Verstande die Existenz der Dinge unter Gesetzen. Die
sinnliche Natur vernünftiger Wesen überhaupt ist die Existenz derselben
unter empirisch bedingten Gesetzen, |43.15| mithin für die Vernunft
=Heteronomie=. Die übersinnliche Natur eben derselben Wesen ist dagegen
ihre Existenz nach Gesetzen, die von aller empirischen Bedingung
unabhängig sind, mithin zur =Autonomie= der reinen Vernunft gehören.
Und da die Gesetze, nach welchen das Dasein der Dinge vom Erkenntniß
abhängt, praktisch sind: so ist die übersinnliche |43.20| Natur, so
weit wir uns einen Begriff von ihr machen können, nichts anders als
=eine Natur unter der Autonomie der reinen praktischen Vernunft=.
Das Gesetz dieser Autonomie aber ist das moralische Gesetz, welches
also das Grundgesetz einer übersinnlichen Natur und einer reinen
Verstandeswelt ist, deren Gegenbild in der Sinnenwelt, aber doch
|43.25| #75# zugleich ohne Abbruch der Gesetze derselben existiren
soll. Man könnte jene die =urbildliche= (_natura archetypa_), die
wir blos in der Vernunft erkennen, diese aber, weil sie die mögliche
Wirkung der Idee der ersteren als Bestimmungsgrundes des Willens
enthält, die nachgebildete (_natura ectypa_) nennen. Denn in der That
versetzt uns das moralische Gesetz der |43.30| Idee nach in eine Natur,
in welcher reine Vernunft, wenn sie mit dem ihr angemessenen physischen
Vermögen begleitet wäre, das höchste Gut hervorbringen würde, und
bestimmt unseren Willen die Form der Sinnenwelt, als einem Ganzen
vernünftiger Wesen, zu ertheilen.
Daß diese Idee wirklich unseren Willensbestimmungen gleichsam als
|43.35| Vorzeichnung zum Muster liege, bestätigt die gemeinste
Aufmerksamkeit auf sich selbst.
Wenn die Maxime, nach der ich ein Zeugniß abzulegen gesonnen bin, durch
die praktische Vernunft geprüft wird, so sehe ich immer darnach, wie
sie sein würde, wenn sie als allgemeines Naturgesetz gölte. Es ist
offenbar, in dieser Art würde es jedermann zur Wahrhaftigkeit nöthigen.
Denn es kann nicht mit der Allgemeinheit eines Naturgesetzes bestehen,
Aussagen |44.5| für beweisend und dennoch als vorsetzlich unwahr gelten
zu lassen. Eben so wird die Maxime, die ich in Ansehung der freien
Disposition über mein #76# Leben nehme, sofort bestimmt, wenn ich mich
frage, wie sie sein müßte, damit sich eine Natur nach einem Gesetze
derselben erhalte. Offenbar würde niemand in einer solchen Natur sein
Leben =willkürlich= endigen können, |44.10| denn eine solche Verfassung
würde keine bleibende Naturordnung sein, und so in allen übrigen
Fällen. Nun ist aber in der wirklichen Natur, so wie sie ein Gegenstand
der Erfahrung ist, der freie Wille nicht von selbst zu solchen Maximen
bestimmt, die für sich selbst eine Natur nach allgemeinen Gesetzen
gründen könnten, oder auch in eine solche, die nach ihnen |44.15|
angeordnet wäre, von selbst paßten; vielmehr sind es Privatneigungen,
die zwar ein Naturganzes nach pathologischen (physischen) Gesetzen,
aber nicht eine Natur, die allein durch unsern Willen nach reinen
praktischen Gesetzen möglich wäre, ausmachen. Gleichwohl sind wir
uns durch die Vernunft eines Gesetzes bewußt, welchem, als ob durch
unseren Willen zugleich |44.20| eine Naturordnung entspringen müßte,
alle unsere Maximen unterworfen sind. Also muß dieses die Idee einer
nicht empirisch-gegebenen und dennoch durch Freiheit möglichen,
mithin übersinnlichen Natur sein, der wir, wenigstens in praktischer
Beziehung, objective Realität geben, weil wir sie als Object unseres
Willens als reiner vernünftiger Wesen |44.25| ansehen.
Der Unterschied also zwischen den Gesetzen einer Natur, welcher =der
#77# Wille unterworfen ist=, und einer =Natur, die einem Willen= (in
Ansehung dessen, was Beziehung desselben auf seine freie Handlungen
hat) unterworfen ist, beruht darauf, daß bei jener die Objecte Ursachen
der |44.30| Vorstellungen sein müssen, die den Willen bestimmen, bei
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