Im Brauerhause: Novelle - 3

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Barmherzigkeit einen Zweifel hegen möchte, obwohl — die Wahrheit zu
sagen — deine Großeltern in ihrem langen Leben wenig genug davon
erfahren haben; aber wir wissen ja auch, daß sie oftmals im Verborgenen
ihre Ader fließen läßt, um dann am rechten Orte desto segensreicher
aufzusprudeln. Freilich, der Segen kam zumeist auf ihre Kinder; und auch
ich mußte später, als meine kleine Schwester groß und kräftig geworden
war, bei fremden Leuten dienen; aber dadurch« — und sie warf einen
unaussprechlich herzlichen Blick auf ihren alten neben ihr sitzenden
Mann — »kam ich zu dir, mein Vater, und die fremden Leute wurden meine
eigenen! Und wie es dann gekommen, daß mein Bruder, der wilde Christian,
ein stattlicher Bürger und gar der zweitgrößte Brauer in unserem Lande
wurde, — um das zu erzählen, bin ich eine viel zu gehorsame Ehefrau.«
Der Neffe wollte wieder etwas sagen, aber seine Tante ließ ihn wieder
nicht zu Worte kommen. »Gewiß, lieber Hieronymus,« sagte sie, »deine
seligen Großeltern waren Leute, welche die Wohlfahrt ihrer Kinder für
ein größeres Glück erachteten als ihre eigene; und dahin — das wolltest
du wohl sagen — hat jener Finger doch den Weg gewiesen! Auch hast du
selber ja noch beide mit ihren stillen und zufriedenen Angesichtern hier
in diesen Lehnstühlen, worin nun ich und dein alter Onkel sitzen, von
ihrer harten Lebensarbeit ruhen sehen! An seinem ersten Geburtstage, den
dein Großvater hier in unserem Hause lebte, hatte dein Onkel ihm sogar
eine neue Meerschaumpfeife bei seinem Morgenkaffee hingelegt, wie er so
schön sie früher nie besessen hatte. Der alte Mann wurde heftig dadurch
bewegt; er nahm das schwarze Sammetkäppchen von seinem ehrwürdigen
Haupte, und seine Lippen bebten, als wiederhole er jetzt das heiße
Dankgebet, das er vor dreißig Jahren wohl zuletzt gesprochen hatte. Er
ließ sich auch von mir ein Seidentüchlein geben, um sorgsam den schönen
Kopf darein zu hüllen; geraucht aber hat er nicht daraus; das, meinte
er, habe er in der langen Zeit verlernt.«
Der junge Gottesmann hatte sich mit etwas strengem Ausdruck, aber
dennoch, wie es schien, nicht völlig unbefriedigt in seinen Stuhl
zurückgelehnt. Dagegen versuchte ich es noch mit einer Frage. »Und
Lorenz?« sagte ich. »Blieb er in der Anstalt? Ist er dort gestorben?«
»Nein,« erwiderte unsere gute Wirtin, und ihr Antlitz gewann auf einmal
wieder seinen alten Ausdruck heiterer Behaglichkeit. »Er ist glücklich
wieder herausgekommen und hat noch Jahre lang in meines Bruders Haus
gelebt. Nur ein wenig wunderlich war er geblieben; er hatte, wie
Christian sagte, sich eine ganz glückselige Dummheit zugelegt; denn wie
er einst geglaubt hatte, daß unsere altmodische Brauerei durch ihn
zugrunde gehen werde, so glaubte er jetzt, daß diese neumodische, von
der er nichts verstand, nicht ohne ihn bestehen könne.
Als derzeit bei einem Besuche mein Bruder mir alle seine großen
Anstalten und Gelegenheiten zeigte, klopfte er in einem Durchgange, der
von dem Wohngebäude in die Brauerei führte, an eine der seitwärts
befindlichen Türen. ›Und hier wohnt unser Lorenz!‹ sagte er.
Er hätte es mir nicht zu sagen brauchen; denn über der Tür, in
Ermangelung eines Wandbetts, das er hier in der Kammer nicht besaß,
stand mit Kreide der alte Spruch geschrieben; nur hatte er jetzt seinen
Namen mit dem seines alten Herrn verwechselt, und so lautete es hier:
›Josias Ohrtmann is mein Nam';
Gott hilf, daß ich in'n Himmel kam!‹
Jetzt sind sie beide schon seit lange dort; und so endet diese
Geschichte wie hoffentlich auch alle anderen Geschichtchen auf dieser
Erde. Aber das habe ich meinem Bruder doch gesagt, daß er es mit seinem
Gest in Obacht nehmen solle.«
Sie schwieg und reichte ihrem alten Eheherrn die Hand, der sie wie das
Kleinod seines Lebens in die seine nahm. — Und dafür, indem wir jetzt
die Feder fortlegen, halten auch wir die Hand einer jeden wahrhaft guten
Frau.
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