Hinzelmeier: eine nachdenkliche Geschichte - 2

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Der Teufel klatschte vor Vergnügen mit seinem Schwanze auf den Felsen.
"Drei Pfund Schießpulver, ein Fünkchen Höllenfeuer dazu; dann--!" Hier
steckte er die eine Tatze in das Bohrloch und indem er die andere auf
Hinzelmeiers Schulter legte, sagte er vertraulich: "Die Welt ist
unregierbar geworden. Ich will sie in die Luft sprengen."
"Alle Wetter!" schrie Hinzelmeier, "das ist ja aber eine Radikalkur, eine
wahr Pferdekur!"
"Ja", sagte der Teufel, "ultima ratio regum! versichere Sie, es gehört
eine übermenschlich gute Natur dazu, um so etwas auszuhalten! Aber nun
entschuldigen Sie ein Weilchen; ich muß ein wenig inspizieren." Mit diesen
Worten zog er den Schwanz zwischen die Schenkel und sprang in das Bohrloch
hinab. Da überfiel den Hinzelmeier auf einmal eine ganz übernatürliche
Courage, so daß er bei sich beschloß, den Teufel aus der Welt zu schießen.
Mit fester Hand zog er seine Zunderbüchse aus der Tasche, pinkte Feuer
und warf es in das Bohrloch; dann zählte er: "eins zwei--"; aber er hatte
noch nicht "drei" gezählt, so entlud sich diese grundlose Pistole ihres
Schusses samt ihrer Vorladung. Die Erde machte einen fürchterlichen
Seitensprung durch den Himmel. Hinzelmeier stürzte in die Knie; der
Teufel aber flog wie eine Bombe durch die Luft, von einem Planetensystem
in das andere, wo ihn die Anziehungskraft unseres Weltkörpers nicht mehr
erreichen konnte. Hinzelmeier blickte ihm eine Weile nach; als er aber
immer weiter und weiter flog und gar nicht damit aufhören wollte, so
gingen ihm endlich die Augen über. Sobald daher die Erde sich insoweit
beruhigt hatte, daß mit zwei Beinen wieder auf ihr zu stehen war, sprang
er auf und blickte um sich her. Zu seinen Füßen gähnte ihn der schwarze
ausgebrannte Mörser an; von Zeit zu Zeit quoll eine Wolke braunen Rauchs
heraus und zog sich träge an den Felsen hin. Aber schon brach die Sonne
durch den Dunst und vergoldete überall die Spitzen des Gesteins. Da nahm
Hinzelmeier seine Tabakspfeife aus der Tasche und die blauen Wolken vor
sich hinblasend, rief er triumphierend: "Den Stein des Anstoßes habe ich
aus der Welt geschossen; wohlan! der Stein der Weisen kann mir nicht
entgehen!"
Dann setzte er seine Wanderung fort und Krahirius flog zu seinen Häuptern.


Die Rosenjungfrau

Aber er wanderte hin und her, kreuz und quer, er wurde müder und müder,
sein Rücken wurde gekrümmt; aber immer fand er doch den Stein der Weisen
nicht. So waren neun Jahre dahingegangen, als er eines Abends in ein
Wirtshaus einkehrte, welches am Eingange einer großen Stadt gelegen war.
Krahirius nahm sich mit der Klaue die Brille herunter und putzte sie an
seinen Flügeln; dann setzte er sie wieder auf und hüpfte in die Küche.
Als die Hausleute ihn sahen, lachten sie über seine Brille, nannten
ihn? Herr Professor? und warfen ihm die fettsten Bissen vor.
"Wenn Ihr der Herr des Vogels seid", sagte der Wirt zu Hinzelmeier, "so
ist nach Euch gefragt worden."
"Freilich bin ich das--" sagte Hinzelmeier.
"Wie heißt Ihr denn?"
"Ich heiße Hinzelmeier."
"Ei, ei", sagte der Wirt, "Ihren Herrn Sohn, den Gemahl der schönen Frau
Abel, den kenne ich recht wohl."
"Das ist mein Vater", sagte Hinzelmeier verdrießlich, "und die schöne Frau
Abel ist meine Mutter."
Da lachten die Leute und sagten, der Herr sei außerordentlich spaßhaft.
Hinzelmeier aber sah vor Zorn in einen blanken Kessel.
Da starrte ihm ein grämliches Angesicht entgegen, voll Runzeln und
Hahnepfötchen und er gewahrte nun wohl, daß er abscheulich alt geworden
sei.
"Ja. ja!" rief er und schüttelte sich, als gelte es aus einem schweren
Traum zu kommen; "wo war es doch? Ich war ja dicht davor." Dann
erkundigte er sich bei dem Wirte, wer nach ihm gefragt habe.
"Es war nur eine arme Dirne", sagte der Wirt, "sie trug ein weißes Kleid
und ging mit nackten Füßen."
"Das war die Rosenjungfrau!" rief Hinzelmeier.
"Ja", antwortete der Wirt, "ein Sträußermädel mag es wohl sein, sie hatte
aber nur noch eine Rose in ihrem Körbchen."
"Wohin ist sie gegangen?" rief Hinzelmeier.
"Wenn Ihr sie sprechen müßt", sagte der Wirt, "so werdet Ihr sie schon in
der Stadt an einer Straßenecke finden können."
Als Hinzelmeier das gehört hatte, schritt er eilig zum Hause hinaus und in
die Stadt hinein; Krahirius, die Brille auf dem Schnabel, flog krächzend
hinterher. Es ging aus einer Straße in die andere und an allen Ecksteinen
standen Blumenmädchen; aber sie trugen plumpe Schnallenschuhe und boten
schreiend ihre Ware feil. Das waren keine Rosenjungfrauen.--Endlich, als
schon die Sonne hinter den Häusern hinab war, gelangte Hinzelmeier an ein
altes Haus, aus dessen offener Tür ein zartes Leuchten auf die dämmerige
Gasse herausdrang. Krahirius warf den Kopf zurück und schlug ängstlich
mit den Flügeln; Hinzelmeier aber achtete dessen nicht und trat über die
Schwelle in einen weiten Hausflur, der ganz von rotem Schimmer erfüllt war.
Tief im Hintergrunde, auf der untersten Stufe einer Wendeltreppe, sah er
ein blasses Mädchen sitzen; in einem Körbchen, das sie auf ihrem Schoße
hielt, lag eine rote Rose, aus deren Kelch das zarte Licht hervorbrach.
Das Mädchen schien ermüdet; denn sie setzte eben die Lippen von einem
irdenen Wasserkruge, der ihr von einem kleinen Knaben mit beiden Händen
vorgehalten wurde. Ein großer Hund, der neben ihr an der Treppe lag und
wie das Kind, hier zu Hause zu gehören schien, legte den Kopf an ihr
weißes Gewand und leckte ihre nackten Füße.--"Das ist sie!" sagte
Hinzelmeier; und seine Schritte wurden unsicher vor Hoffen und Erwarten.
Und als die Jungfrau nun ihr Antlitz gegen ihn erhob, da fiel es ihm wie
Schuppen von den Augen und er erkannte mit einem Mal das Mädchen aus der
Bauernküche; nur trug sie heute nicht das bunte Nfieder und das Rot auf
ihren Wangen war nur der Abglanz von dem Rosenlichte.
"O du!" rief Hinzelmeier, "nun wird noch alles, alles gut!"
Sie streckte die Arme nach ihm aus; sie wollte lächeln, aber die Tränen
sprangen ihr in die Augen. "Wo ist Er denn so lange in der Welt
umhergelaufen?" sagte sie.
Und als er nun in ihre Augen sah, da erschrak er vor lauter Freude; denn
dort stand sein eigenes Bild, aber kein Bild, wie es ihn kurz vorher aus
dem kupfernen Kessel angeglotzt hatte; nein, ein Gesicht, so jung und
frisch und lustig, daß er laut aufjauchzen mußte; er hätte es um alle Welt
nicht lassen können.-Da quoll von der Straße her ein Menschenstrom ins
Haus, schreiend und mit den Händen fechtend. "Hier steht der Herr des
Vogels!" rief ein untersetztes Männlein; dann drangen alle auf Hinzelmeier
ein.
Dieser faßte die Hand des Mädchens und fragte: "Was ist es mit dem Raben?"
"Was es ist?" sagte der Dicke, "dem Herrn Bürgermeister hat er die Perücke
gestohlen!"--"Ja, ja!" riefen Alle, "und nun sitzt es draußen auf der
Dachrinne, das Ungetüm und hat die Perücke in den Klauen und glotzt ihre
Wohlweisheit durch seine grünen Brillengläser an!"
Hinzelmeier wollte reden, aber sie nahmen ihn in ihre Mitte und schoben
ihn gegen die Tür. Mit Schrecken fühlte er die Hand der Rosenjungfrau aus
der seinen gleiten. So kam er auf die Straße.
Droben auf der Dachrinne des Hauses saß noch immer der Rabe und sah mit
seinen schwarzen Augen lauernd auf die aus dem Hause Kommenden hinab.
Plötzlich öffnete er die Klaue; und während die Bürger mit Stöcken und
Schirmen nach der Perücke ihres Bürgermeisters in der Luft umherlangten,
hörte Hinzelmeier es "krahira, krahira!" über seinem Haupte schwirren und
in demselben Augenblicke saß auch die grüne Brille schon auf seiner Nase.
Da war auf einmal die Stadt vor seinen Augen verschwunden; aber durch die
Brillengläser sah er zu seinen Füßen ein grünes Tal mit Meierhöfen und
Dörfern. Sonnenbeschienene Wiesen zogen sich rings umher, auf welchen
barfüßige Dirnen mit blanken Milcheimer durch das Gras schritten, während
in weiterer Entfernung von den Dörfern junge Kerle die Sense schwangen.
Was aber Hinzelmeiers Augen fesselte, war die Gestalt eines Menschen in
rot und weißer Bluse, mit einer spitzen Kappe auf dem Kopfe, welcher
inmitten einer Wiese mit auf den Knien gestutzten Armen in nachdenklicher
Stellung auf einem Steine zu sitzen schien.


Nachbars Kasperle

Da dachte Hinzelmeier: "Das ist der Stein der Weisen!" und ging geradewegs
auf ihn zu. Der Mensch aber beharrte in seiner nachdenklichen Stellung,
nur daß er zu Hinzelmeiers Erstaunen seine große Nase wie Gummi elasticum
über das Kinn herabzog.
"Ei, lieber Herr, was treibt Ihr denn da?" rief Hinzelmeier.
"Das weiß ich nicht", sagte der Mann, "aber ich habe da eine verwünschte
Glocke an der Mütze, die mich abscheulich im Denken stört."
"Warum zupft Ihr Euch denn aber so entsetzlich an der Nase?"
Oh", sagte der Mensch und ließ den Nasenzipfel fahren, daß er mit einem
Klapps wieder in seine alte Form zurückschnellte--"da bitte ich um
Entschuldigung; aber ich leide oftmals an Gedanken, denn ich suche den
Stein der Weisen."
"Mein Gott!" sagte Hinzelmeier, "da seid Ihr wohl, gar des Nachbars
Kasperle; der gar nicht wieder nach Haus gekommen ist?"
"Ja", sagte der Mensch und reichte Hinzelmeier die Hand, "der bin ich."
"Und ich bin Nachbars Hinzelmeier", sagte dieser, "und suche auch den
Stein der Weisen."
Hierauf reichten sie sich noch einmal die Hände und kreuzten dabei die
Finger auf eine Weise, woran sie sich gegenseitig als Eingeweihte
erkannten. Dann sagte Kasperle: "Ich suche den Stein der Weisen jetzt
nicht mehr."
"Da reist Ihr vielleicht nach dem Rosengarten?" rief Hinzelmeier.
"Nein", sagte Kasperle, "ich suche den Stein nicht mehr; aber ich habe ihn
bereits gefunden."
Da verstummte Hinzelmeier eine ganze Zeit lang; endlich faltete er
andächtig die Hände und sagte feierlich: "Es mußte schon so kommen, ich
wußte es wohl; denn ich habe vor neun Jahren den Teufel aus der Welt
geschossen."
"Das muß sein Sohn gewesen sein", sagte der Andere, "dem alten Teufel bin
ich noch vorgestern begegnet."
"Nein", sagte Hinzelmeier, "es war der alte Teufel; denn er hatte Hörner
vor der Stirn und einen Schwanz mit schwarzer Quaste. Aber erzählt mir
doch, wie Ihr den Stein gefunden habt.
"Das ist einfach", sagte Kasperle; "dort unten im Dorfe wohnen lauter
dumme Leute, die nur mit Schafen und Rindvieh verkehren; sie wußten nicht,
welchen Schatz sie besaßen; da habe ich ihn in einem alten Keller gefunden
und mit drei Sechslingen das Pfund bezahlt. Und nun denke ich bereits
seit gestern darüber nach, wozu er nütze sei und hätte es vermutlich schon
gefunden, wenn mich die verwünschte Glocke nicht dabei gestört hätte."
"Lieber Herr Kollege!" sagte Hinzelmeier, "das ist eine höchst kritische
Frage, woran vor Euch wohl noch kein Mensch gedacht hat! Aber wo habt Ihr
denn den Stein?"
"Ich sitze darauf", sagte Kasperle und zeigte aufstehend Hinzelmeiern den
runden, wachsgelben Körper, worauf er bisher gesessen hatte.
"Ja", sagte Hinzelmeier, "es ist kein Zweifel, Ihr habt ihn wirklich
gefunden; aber nun laßt uns bedenken, wozu er nütze sei."
Damit setzten sie sich einander gegenüber auf den Boden, indem sie den
Stein zwischen sich nahmen und die Ellenbogen auf ihre Knie stützten.
So saßen und saßen sie; die Sonne ging unter, der Mond ging auf und noch
immer hatten sie nichts gefunden. Mitunter fragte der Eine: "Habt Ihr's"
aber der Andere schüttelte immer mit dem Kopfe und sagte: "Nein, ich nicht;
habt Ihr's?" und dann antwortete der Andere: "Ich auch nicht."
Krahirius ging ganz vergnügt im Grase auf und nieder und fing sich Frösche.
Kasperle zupfte sich schon wieder an seiner schönen, großen Nase; da
ging der Mond unter und die Sonne kam herauf; und Hinzelmeier fragte
wieder: "Habt Ihr's?" und Kasperle schüttelte wieder den Kopf und sagte:
"Nein, ich nicht, habt Ihr's?" und Hinzelmeier antwortete trübselig: "Ich
auch nicht."
Dann dachten sie wieder eine ganze Weile nach; endlich sagte Hinzelmeier:
"So müssen wir erst die Brille polieren, dann werden wir hernach schon
sehen, wozu er nütze sei." Und kaum hatte Hinzelmeier seine Brille
abgenommen, so ließ er sie vor Erstaunen ins Gras fallen und rief: "Ich
hab es! Herr Kollege, man muß ihn essen! Nehmt nur gefälligst die Brille
von Eurer schönen Nase."
Da nahm auch Kasperle die Brille herunter und nachdem er seinen Stein eine
Weile betrachtet hatte, sagte er: "Dieses ist ein sogenannter Lederkäse
und muß mit des Himmels Hilfe gegessen werden. Bedienen Sie sich, Herr
Kollege!"
Und nun zogen beide ihre Messer aus der Tasche und hieben wacker in den
Käse ein. Krahirius kam herbeigeflogen und nachdem er die Brille aus dem
Grase aufgesammelt und über seinen Schnabel geklemmt hatte, setzte er sich
gemächlich zwischen die Essenden und schnappte nach den Rinden.
"Ich weiß nicht", sagte Hinzelmeier, nachdem der Käse verzehrt war, "mir
ist unmaßgeblich zumute, als wäre ich dem Stein der Weisen um ein
Erkleckliches näher gerückt."
"Wertester Herr Kollege", erwiderte Kasperle, "Ihr sprecht mir aus der
Seele. So laßt uns denn ungesäumt unsere Wanderung fortsetzen."
Nach diesen Worten umarmten sie sich; Kasperle ging nach Westen,
Hinzelmeier nach Osten und zu seinen Häupten, die Brille auf dem Schnabel,
flog Krahirius.


Der Stein der Weisen

Aber er wanderte hin und her, kreuz und quer, sein Haar ergraute, seine
Beine wurden wankend; am Stabe ging er von Land zu Land und immer fand er
doch den Stein der Weisen nicht. So waren noch einmal neun Jahre
vergangen, als er eines Abends, wie er es jeden Abend zu tun pflegte, in
ein Wirtshaus trat. Krahirius putzte wie gewöhnlich seine Brille und
hüpfte dann in die Küche um sich sein Abendbrot zu betteln. Hinzelmeier
trat in die Stube und lehnte seinen Stab in die Kachelofenecke; dann
setzte er sich still und müde in den großen Lehnstuhl. Der Wirt stellte
einen Krug Wein vor ihn hin und sagte freundlich: "Ihr scheint müde,
lieber Herr; trinket nur, das wird Euch stärken!"
"Ja", sagte Hinzelmeier und faßte den Krug mit beiden Händen, "sehr müde;
ich bin lange gewandert, sehr lange." Dann schloß er die Augen und tat
einen durstigen Zug aus dem Weinkruge.
"Wenn Ihr der Herr des Vogels seid, so glaube ich fast, es ist nach Euch
gefragt worden", sagte der Wirt. "Wie heißt Ihr denn, lieber Herr?"
"Ich heiße Hinzelmeier."
"Nun", sagte der Wirt, "Euren Enkel, den Gemahl der schönen Frau Abel, den
kenne ich recht wohl."
"Das ist mein Vater", sagte Hinzelmeier, "und die schöne Frau Abel ist
meine Mutter."
Der Wirt zuckte mit den Achseln und indem er sich nach seiner Schenke
wandte, sagte er bei sich selber: "Der arme alte Mann ist kindisch
geworden."
Hinzelmeier ließ den Kopf auf seine Brust sinken und erkundigte sich, wer
nach ihm gefragt habe.
"Es war nur eine arme Dirne", sagte der Wirt, "sie trug ein weißes Kleid
und ging mit nackten Füßen." Da lächelte Hinzelmeier und sagte leise: "Das
war die Rosenjungfrau, nun wird es bald besser werden. Wohin ist sie
gegangen?"
"Es schien ein Blumenmädchen zu sein", sagte der Wirt, "wenn Ihr sie
sprechen wollt, Ihr werdet sie leicht an den Straßenecken finden können."
"Ich muß ein Weilchen schlafen", sagte Hinzelmeier, "gebt mir eine Kammer
und wenn der Hahn kräht, dann klopft an meine Tür."
Nun gab der Wirt ihm eine Kammer und Hinzelmeier legte sich zur Ruhe. Er
träumte von seiner schönen Mutter; er lächelte, sie sprach im Traum zu ihm.
Da flog Krahirius durch das offene Fenster und setzte sich zu seinen
Häupten auf das Bett. Er sträubte seine schwarzen Federn und hackte mit
seiner Klaue sich die Brille von dem Schnabel. Dann stand er unbeweglich
auf einem Bein und sah auf den Schlafenden hinunter. Der träumte weiter
und seine schöne Mutter sprach zu ihm: "Vergiß die Rose nicht!" Der
Schlafende nickte leise mit dem Kopfe; der Rabe aber öffnete die Klaue und
ließ die Brille auf seine Nase fallen.
Da verwandelten sich seine Träume; seine eingefallenen Wangen begannen zu
zucken, er streckte sich lang aus und stöhnte.--So kam die Nacht.
Als im Zwielicht der Hahn gekräht hatte, klopfte der Wirt an die Kammertür;
Krahirius reckte die Flügel und zupfte seinen Federbalg zurecht; dann
schrie er "krahira! krahira!" Hinzelmeier richtete sich mühsam auf und
starrte um sich her; da sah er durch die Brille, die noch auf seiner Nase
saß, zur Kammertür hinaus, über ein weites, ödes Feld; dann weiterhin auf
einen mählich ansteigenden Hügel; auf diesem, unter dem Rumpfe einer alten
Weide, lag ein grauer, flacher Stein; die Gegend war einsam, kein Mensch
zu sehen.
"Das ist der Stein der Weisen!" sagte Hinzelmeier zu sich selber.
"Endlich, endlich wird er dennoch mein werden!"
Hastig warf er seine Kleider über, nahm Stab und Ranzen und schritt zur
Tür hinaus. Krahirius flog zu seinen Häupten, knappte mit dem Schnabel
und schlug beim Fliegen Purzelbäume in der Luft. So wanderten sie viele
Stunden. Endlich schienen sie ihrem Ziele näher zu kommen; aber
Hinzelmeier war ermüdet, seine Brust keuchte, der Schweiß troff von seinen
weißen Haaren; er stand still und stützte sich auf seinen Stab. Da kam
aus der Ferne, hinter ihm, ganz aus der Ferne, fast wie ein Traum, ein
Gesang zu ihm herüber:
Rinke, ranke, Rosenschein,
Laß ihn nicht allein, allein!
Halt ihn fest und hol ihn ein,
Rinke, ranke, Rosenschein.
Das spann sich wie ein goldenes Netz um ihn her; er ließ den Kopf auf
seine Brust sinken; aber Krahirius schrie: "krahira! krahira!" da war das
Lied verschollen und als Hinzelmeier die Augen wieder aufschlug, stand er
am Fuße des Hügels.
"Nur eine kleine Weile noch", sagte er zu sich selber und ließ noch einmal
seine müden Füße wandern. Als er aber den großen, breiten Stein
allmählich in der Nähe sah, da dachte er: "Den wirst du nimmer heben."
Endlich hatten sie die Höhe erreicht, Krahirius flog voran mit
ausgebreiteten Schwingen und ließ sich auf den Baumstamm nieder;
Hinzelmeier wankte zitternd hinterher. Als er aber den Baum erreicht
hatte, brach er zusammen, der Wanderstab glatt aus seiner Hand, sein Kopf
sank auf den Stein zurück; doch in demselben Augenblick fiel auch die
Brille von seiner Nase. Da sah er tief am Horizonte, am Rande der öden
Ebene, die er durchwandert hatte, die weiße Gestalt der Rosenjungfrau; und
noch einmal hörte er aus weiter Ferne:
Rinke--ranke--Rosenschein.
Er wollte aufstehen, aber er vermochte es nicht mehr; er streckte seine
Arme aus, aber ein Frösteln lief über seine Glieder; der Himmel wurde grau
und grauer, der Schnee fing an zu fallen, Flocke um Flocke, es schimmerte
und flirrte und zog weiße Schleier zwischen ihm und der fernen,
nebelhaften Gestalt. Er ließ die Arme fallen, seine Augen sanken ein,
sein Atem hörte auf. Auf dem Weidenstumpf zu seinen Häupten steckte der
Rabe den Schnabel zum Schlaf in seine Flügeldecken.--Der Schnee fiel über
sie beide.
Die Nacht kam und nach der Nacht kam der Morgen und mit dem Morgen kam die
Sonne, die schmolz den Schnee hinweg und mit der Sonne kam die
Rosenjungfrau; die löste ihre Flechten und kniete neben dem Toten, daß die
blonden Haare sein bleiches Antlitz ganz bedeckten und weinte, bis der Tag
verging. Als aber die Sonne erlosch, gurrte der Rabe im Schlaf und
rauschte mit den Federn. Da richtete die zarte Gestalt der Jungfrau sich
vom Boden auf, mit ihrer weißen Hand ergriff sie den Raben bei den Flügeln
und schleuderte ihn in die Luft, daß er krächzend in den grauen Himmel
hineinflog, sie pflanzte die rote Rose an den Stein und sang dazu:
"Nun streck die Würzlein tief hinab,
Nun wirf die Blättlein übers Grab,
Und singt der Wind im Abendschein,
Dann sprich auch du ein Wort darein,
Mit rinke, ranke, Rosenschein!"
Dann zerriß sie ihr weißes Kleid vom Saum bis an den Gürtel und ging zu
ewiger Gefangenschaft in den Rosengarten zurück.
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