Goethes Briefe an Leipziger Freunde - 01
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Goethes Briefe
an
Leipziger Freunde.
Herausgegeben
von
Otto Jahn.
Mit drei lithographirten Bildnissen.
Leipzig,
Druck und Verlag von Breitkopf und Härtel.
1849.
Herrn Salomon Hirzel.
Sie haben, lieber Freund, nicht nur die erste Veranlassung zu diesem
Buch gegeben, sondern auch auf Form und Inhalt desselben einen so
bestimmenden Einfluß geübt, daß Sie sich es schon gefallen lassen
müssen auch Ihren Namen dazu herzugeben. Ich weiß gewiß, daß Niemand
mehr Freude an den Reliquien haben wird, die hier das Goethefest
zum Vorschein brachte, Niemand aufrichtiger die Dankbarkeit gegen
diejenigen mit mir theilen wird, deren Güte die Veröffentlichung
derselben gestattete, als Sie. Deshalb werden Sie auch die etwas bunte
Mischung des Inhaltes, für welche nicht einmal ein passender Titel zu
finden war, mit gewohnter Nachsicht, wie ich hoffe, entschuldigen.
So bringe ich Ihnen das Buch als eine Erinnerung an einige in heiterer
Thätigkeit angenehm verlebte Tage und an einen aufrichtigen, treuen
Freund.
Leipzig am 18. October 1849.
_Otto Jahn._
Inhalt.
Seite
Goethes Jugend in Leipzig 1
Goethes Briefe an Joh. Jac. Riese 53
Goethes Briefe an an Chr. G. Schönkopf und seine Tochter Käthchen 65
Goethes Briefe an Adam Fr. Oeser und seine Tochter Friederike.
Einleitung 103
An Adam Friedrich Oeser 117
An Friederike Oeser 136
Goethes Leipziger Lieder 176
Goethes Briefe an Chr. G. und J. G. E. Breitkopf 205
Goethes Briefe an Phil. Erasmus Reich 212
Aus Briefen von Cornelie Goethe 233
Goethes Briefe an Friedrich Rochlitz 281
Goethes Jugend in Leipzig.
Eine Rede von Otto Jahn.
Gehalten am 28. August 1849 in der akademischen Aula in Leipzig.
Beim Anschauen des Olympischen Zeus vergaß der Grieche in stiller
Bewunderung Leid und Kummer, gebannt unter den Zauber göttlicher
Majestät fand er Frieden und Kraft, und ging mit dem stolzen
Gefühl, ein Grieche zu sein, von dannen. Der heutige Tag giebt dem
Deutschen ein ähnliches Gefühl. Heute ist es ihm vergönnt, selbst die
schwerste Sorge, die Sorge um das Vaterland, den tiefsten Kummer um
vereitelte Hoffnungen und Bestrebungen im Andenken an den großen Mann
zurückzudrängen, der dem ganzen Vaterlande angehört, um auszusprechen,
worin wir alle einig und frei sind, unsere Bewunderung und Verehrung
gegen _Goethe_. Dankbarkeit und Anhänglichkeit auszusprechen, bedarf
es keiner besonderen Berechtigung, Goethes Andenken zu feiern ist
jeder berufen, der an deutscher Bildung Theil hat; für uns aber ist es
eine mahnende Pflicht, das Bild des Dichters, der uns persönlich nahe
angehört hat, mit einem Kranze der Erinnerung zu schmücken.
In _Leipzig_ hat _Goethe_ sein Studien begonnen, drei Jahre hindurch
hat er unserer Universität angehört, ist hier durch den Verkehr mit
Künstlern und Kunstfreunden angeregt und gebildet worden, Freundschaft
und Liebe haben ihn hier mannigfach gefesselt, hier hat er die
unruhvoll bewegte Zeit der ersten Selbständigkeit durchlebt -- wahrlich
kein unbedeutender Theil seines Lebens gehört uns an. Wir dürfen ihn
selbst zum Zeugen seiner Anhänglichkeit an Leipzig nehmen, dessen
Erinnerung ihm stets theuer und bedeutend war. „Wer kein Leipzig
gesehen hat,“ schrieb er seinem Freunde Breitkopf nach der Heimkehr
in Frankfurt, „der könnte hier recht wohl sein,“ in einer Stadt, „die
zu sehr Antithese von Leipzig ist, um viel Annehmlichkeit für ihn
zu haben.“ „Sie haben Recht, meine Freundin, daß ich jetzt für das
gestraft werde, was ich gegen Leipzig gesündigt habe,“ heißt es in
einem anderen Briefe; „mein jetziger Aufenthalt ist so unangenehm als
mein Leipziger angenehm hätte sein können, wenn gewissen Leuten gelegen
gewesen wäre, mir ihn angenehm zu machen.“ So urtheilte nicht nur der
von dem Scheiden aus lieben und gewohnten Verhältnissen schmerzlich
ergriffene Jüngling, der „draußen im Reich, in der Frankfurter
Hungersnoth des guten Geschmacks“ die feinere, namentlich litterarische
Bildung, den freien ungezwungenen Verkehr, besonders mit Frauen,
wodurch Leipzig sich auszeichnete, gar sehr vermißte. Als später Goethe
von Weimar aus in wiederholten Besuchen seine persönlichen Beziehungen
zu Leipzig erneuete, schrieb er (December 1782) an Frau von Stein:
„Seit 69, da ich von hier wegging, bin ich nie über ein paar Tage hier
gewesen, auch habe ich nur meine alten Bekannten besucht und Leipzig
war mir immer so eng wie jene ersten Jahre. Diesmal mache ich mich mit
der Stadt auf meine neue Weise bekannt und es ist mir eine neue kleine
Welt. -- Ich wünschte, mich ein Vierteljahr hier aufhalten zu können,
denn es steckt unglaublich viel hier beisammen. Die Leipziger sind
als eine kleine moralische Republik anzusehen. Jeder steht für sich,
hat einige Freunde und geht in seinem Wesen fort, kein Oberer giebt
einen allgemeinen Ton an und jeder produzirt sein kleines Original,
es sei nun verständig, gelehrt, albern oder abgeschmackt, thätig,
gutherzig, trocken oder eigensinnig, und was der Qualitäten mehr sein
mögen. Reichthum, Wissenschaft, Talente, Besitzthümer aller Art geben
dem Ort eine Fülle, die ein Fremder, wenn er es versteht, sehr wohl
genießen und nutzen kann. Er muß sich nur im Allgemeinen halten, und
keinen Antheil an ihren Leidenschaften, Händeln, Vorliebe und Abscheu
nehmen. Es leben hier einige Personen im Stillen, die, wenn ich so
sagen darf, vom Schicksal in Pension gesetzt worden sind, von denen
ich großen Vortheil ziehen würde, wenn es mir die Zeit erlaubte. Von
dem allgemeinen Betragen gegen mich kann ich sehr zufrieden sein. Sie
bezeigen mir den besten Willen und die größte Achtung, dagegen bin
ich auch freundlich, aufmerksam, gesprächig und zuvorkommend gegen
Jedermann.“ Und so ist Goethe nicht nur mit den in jenen Studienjahren
ihm bekannt und vertraut gewordenen Personen in Verkehr geblieben, bis
in die letzte Zeit haben Leipzigs bedeutende Männer -- ich darf nur
_Gottfried Herrmann_, _Friedrich Rochlitz_, _Blümner_ nennen -- ihm
nahe gestanden. Freilich erging das Strafgericht der _Xenien_ auch
über Leipzig, und er fand auch wohl gelegentlich, daß bei Anwesenheit
der Catalani sich die Leipziger absurd benahmen, und meinte, „es thäte
Noth, daß man solchem verfluchtem Volke die Gaben Gottes in Spiritus
aufhübe, damit sie solche, bei Gelegenheit vergleichen und eine der
anderen unterordnen könnten;“[1] allein nicht lange vorher war er
eifrig bemüht, die von Quandt hier aufgefundenen altdeutschen Gemälde,
welche jetzt unser städtisches Museum schmücken, ihrem wahren Werth
nach in weiteren Kreisen bekannt zu machen.[2] Überhaupt fühlt man
leicht in so manchen kleinen Zügen die Theilnahme und Freude, mit
welcher Goethe die Erinnerung an seinen Leipziger Aufenthalt wieder
auffrischt und auf alles überträgt, was Leipzig angeht.
Bei einer Feier, welche seinem hundertjährigen Geburtsfest gilt, werden
wir vor allem uns _Goethe_ in _Leipzig_ vergegenwärtigen wollen.
Dies Bild zeigt uns zwar nicht den Mann in seiner vollendeten Kraft,
nicht den Dichterfürsten im vollen Glanze seines Ruhmes, sondern
den strebenden Jüngling, der die ersten Schritte auf seiner langen
Siegesbahn beginnt, allein es zeigt uns schon den ganzen Goethe. Was
uns bei der Betrachtung Goethes mehr als alles andere mit Staunen
erfüllt, das ist die wunderbare Einheit und Kraft seiner Natur,
welche ihn jede Stufe menschlicher Entwickelung so ganz voll und rein
durchleben und darstellen ließ. Wer nicht beim Greise das rasche Feuer
der Jugend, beim Jüngling die erfahrene Weisheit des Alters erwartet,
vom Manne nicht stürmischen Übermuth, vom Jüngling nicht besonnene
Sicherheit fordert, wer unbefangen die Schranken erwägt, welche der
menschlichen Natur in ihrer Ausbildung gesetzt sind: dem wird Goethe
von der Jugend bis ins hohe Greisenalter als ein Typus naturgemäßer
Entfaltung einer großen und reichen Menschennatur erscheinen. Wäre
zu unserer Zeit im Volke noch die dichterische Kraft schöpferisch
lebendig, gewiß wäre Goethe durch die Sage zu einem Bilde des deutschen
Geistes in seinen edelsten Richtungen verklärt worden: jetzt hat der
Dichter selbst uns mit seltener Unbefangenheit und Klarheit sein
eigenes Abbild entworfen. Wäre es die Aufgabe des Redners, mit Goethes
Meisterwerk einen Wettkampf einzugehen, wer möchte sie übernehmen?
Allein vergessen wir nicht, daß der reife Mann seine Jugend schilderte,
auf deren Streben und Irren er mit Gelassenheit zurücksah, und daß
diese Schilderung den Stempel einer Ruhe trägt, nach welcher jene Zeit
vergebens rang. Versuchen wir daher, aus den leider nur spärlichen
Nachrichten, welche uns aus jener Zeit in unmittelbarer mündlicher
und schriftlicher Überlieferung grade hier zu Gebote stehen, uns eine
anschauliche Vorstellung der Personen und Verhältnisse zu bilden,
unter denen Goethe hier gelebt hat, und welchen Einfluß sie auf ihn
gewonnen haben. Auch das unbedeutendere, das für ihn selbst später das
Interesse verloren haben mochte, wird in diesem Zusammenhang einige
Aufmerksamkeit verdienen.
Im Herbste des Jahres 1765 reiste _Goethe_, nicht lange erst 16 Jahr
alt geworden, in Gesellschaft eines Buchhändlers _Fleischer_, der
sich auf die Messe begab, und seiner Frau nach Leipzig. In jener Zeit
wurde für die Kaufleute, welche zur Messe reisten, in den Kirchen
gebetet; auch Goethe kam nicht ohne Unfall davon: bei Auerstädt wurde
der Wagen umgeworfen, und Goethe strengte sich bei dem Aufrichten
desselben übermäßig an, so daß er später noch die Folgen spürte.
Hier angekommen miethete er sich in der _Feuerkugel_ am _Neumarkt_
zwei artige Zimmer, die in den Hof sahen, und wurde am 19. October
von dem damaligen Rector, Hofrath _Ludwig_, als Student in der
bayrischen Nation inscribirt.[3] So sah er sich denn in der glücklichen
Unruhe des jungen Studenten, der zum ersten Mal der Aufsicht des
väterlichen Hauses entledigt den festen Vorsatz hat, seine Freiheit
und Selbständigkeit, die ihm doch mitunter noch unbequem ist, zu
genießen, voll Zuversicht, daß ihm die Welt gehöre, wenn er sie gleich
noch nicht zu gewinnen weiß, voll Vertrauen auf seine Zeit und sein
Geld, die ihm unerschöpflich dünken, voll guten Willens, sich auf
das Leben vorzubereiten, das er noch nicht kennt. Ein Versuch, eine
Enttäuschung folgt der anderen, kein Streben wird befriedigt, Genuß und
Entsagung, Arbeit und Zerstreuung verdrängen einander, Leidenschaft
stürmt auf Leidenschaft: so zieht das mächtig eindringende Leben tiefe,
schmerzliche Furchen in das jugendliche Gemüth, welches frisch und
voll die Eindrücke desselben in sich aufnimmt, daß es zu männlicher
Kraft erstarkt, seine Früchte bringe. Goethe giebt uns während der
ganzen Zeit seines hiesigen Aufenthalts das Bild dieses unruhvollen
Drängens und Treibens, das sich weder seines Ziels noch seiner
Kräfte klar bewußt ist, mit um so größerer Hast bald dies, bald das
entgegengesetzte ergreift, um schnell enttäuscht zu ermatten. Er war in
seinen Beschäftigungen unstät, schwankend, nie mit sich zufrieden; aber
so entschieden war die Richtung seiner Natur, so stark das innerste
Bedürfniß seiner Seele, daß er sich immer wieder auf die künstlerische
Production hingeführt sah. Nicht minder wechselnd war seine Stimmung,
bald ausgelassen lustig, bald selbstquälerisch verstimmt, bald
übermüthig und neckisch, bald weich und theilnehmend, aber stets
offenbarte sich die Überlegenheit einer tiefen und großen Natur, welche
seine Umgebung, wie er sie auch verletzen und quälen mochte, immer
wieder versöhnte und beherrschte.
Goethe befand sich, da er die Universität bezog, in einem
eigenthümlichen Zwiespalt. Sein Vater sah zwar seine dichterischen
und künstlerischen Beschäftigungen als einen wohlanständigen
Zeitvertreib in Mußestunden mit Wohlgefallen und beförderte selbst,
daß er sie gründlich trieb; als Hauptstudium aber hatte er für ihn
die Jurisprudenz bestimmt und ihn selbst auf dieselbe vorbereitet.
Der Sohn aber fühlte sich von der Rechtswissenschaft in keiner Weise
angezogen; sich allein zum Dichter auszubilden kam ihm freilich nicht
in den Sinn, seine Neigung führte ihn zu gründlicher Erforschung des
Alterthums, und deshalb hatte er nach _Göttingen_ zu gehen und in
_Heyne's_ und _Michaelis_ Schule sich zu begeben gewünscht. Allein der
Vater bestand auf _Leipzig_. Ihm, dem strengen, pedantisch abgemessenen
Mann, von seinem Vorhaben zu sagen, wagte Goethe nicht; der erste
Gebrauch, den er von seiner akademischen Freiheit machen wollte,
sollte der sein, sich von der Jurisprudenz förmlich und feierlich
loszusagen und dem Studium der Alten und der Kunst hinzugeben. Offen
und ehrlich theilte er dem Hofrath _Böhme_, an welchen er empfohlen
war, seinen Entschluß mit; allein den ernsten Auseinandersetzungen
desselben und mehr noch den wohlwollenden Vorstellungen seiner Gattin
gelang es bald, ihn von demselben zurückzubringen. Aber der nun
gefaßte Entschluß, der Jurisprudenz treu zu bleiben, scheint nicht
viel fester gewesen zu sein. Zwar besuchte er Anfangs juristische und
philosophische Vorlesungen, schrieb auch mit großer Selbstüberwindung
eifrig nach, wenn er nicht etwa zur Erholung vorzog, den Rand seines
Hefts mit Carricaturen zu illustriren, allein gegen Fastnacht geriethen
die Collegien in einen gefährlichen Conflict mit den köstlichen
Pfannkuchen, welche am Thomaskirchhof gebacken wurden -- es ist dann
von ihnen nicht viel mehr die Rede. Auch die grammatisch kritische
Richtung der sächsischen Philologie scheint ihn nicht angezogen zu
haben; bei _Ernesti_ hörte er über Ciceros Redner, aber der berühmte
Philolog entsprach den gehegten Erwartungen nicht, und auf die Richtung
seiner Studien gewann er keinen Einfluß.
Der eigentliche Mittelpunkt und Kern derselben blieb das, wozu er
berufen war, seine Ausbildung zum Dichter; was er sonst auch thun
und treiben mochte, diente immer seinen dichterischen Bestrebungen
zur Grundlage und führte ihn unvermerkt zu ihnen zurück. Leipzig
hatte in der Entwickelungsgeschichte der deutschen Litteratur eine
eigenthümliche und bedeutende Stellung eingenommen. Freilich konnte
es dieselbe zu der Zeit, als Goethe hinkam, in Wahrheit nicht mehr
behaupten, allein die Männer, deren Namen in aller Munde waren,
lebten zum großen Theil noch, ihr Ruhm warf noch einen herbstlichen
Schimmer auf ihre Umgebung, welche fortfuhr Ansprüche auf Verdienste zu
begründen, von denen man nicht einsah, daß sie schon vergangen waren.
Es ist in der That eine merkwürdige Schickung, daß der jugendliche
Goethe hier in Leipzig noch persönlich den Eindruck jener Art zu
dichten erhielt, von welcher er uns vollständig frei machen sollte.
_Gottsched_, der durch das, was er selbst anregte und leistete, wie
durch die Polemik, welche er gegen seinen Schulzwang hervorrief, großen
Einfluß geübt hatte, war noch am Leben, aber ohne Bedeutung nur noch
eine Curiosität. „Gottscheden habe ich noch nicht gesehen,“ ist eine
der ersten Nachrichten, welche Goethe seinem Freunde Riese mittheilt,
aber schon nach wenigen Tagen schrieb er ihm: „Ganz Leipzig verachtet
ihn. Niemand geht mit ihm um,“ nachdem er eine poetische Beschreibung
von ihm entworfen:
„Gottsched, ein Mann so groß als wär er vom alten Geschlechte
Jenes der zu Gath im Land der Philister gebohren,
Zu der Kinder Israels Schrecken zum Eichgrund hinabkam.
Ja, so sieht er aus und seines Körperbaus Größe
Ist, er sprach es selbst, sechs ganze Parisische Schue.“
So geht es eine Weile fort und lautet dann zum Schlusse:
„Ich sah den großen Mann auf dem Catehder stehn,
Ich hörte was er sprach und muß es Dir gestehn,
Es ist sein Fürtrag gut, und seine Reden fließen
So wie ein klarer Bach. Doch steht er gleich dem Riesen,
Auf dem erhabnen Stuhl. Und kennte man ihn nicht
So wüßte man es gleich weil er stets prahlend spricht.“
Das war der erste Eindruck; die komische Situation, in welcher er
ihn bei einem späteren Besuche fand, wie er mit der einen Hand sich
die Perücke aufsetzte, mit der anderen dem Bedienten eine furchtbare
Ohrfeige versetzte, ist jedem bekannt. Von Einfluß konnte um so weniger
die Rede sein, da Gottsched schon im Jahre 1766 starb.
Von den Schriftstellern einer jüngeren Generation, welche Gottsched
nicht sowohl durch Polemik als ihre Leistungen überwunden hatte und
einen Fortschritt in der deutschen Litteratur bezeichnen, waren
_Gellert_ und _Chr. Fel. Weiße_ damals vor allen angesehen. Dem
wohlwollenden, liebenswürdigen _Weiße_, der als Bühnendichter wie
als Herausgeber der Bibliothek der schönen Wissenschaften in voller
Thätigkeit war, trat er in persönlichem Umgange nahe und wurde durch
eine dauernde Anhänglichkeit an ihn gefesselt; im Jahre 1801 noch läßt
er sich durch Rochlitz dem verehrten Greise empfehlen. _Gellert_
war als Mensch und Schriftsteller Gegenstand einer allgemeinen, ans
Schwärmerische grenzenden Verehrung; die Einfachheit und Aufrichtigkeit
seines Wesens, die Herzlichkeit seiner Theilnahme, selbst seine
Kränklichkeit machten auch auf die Jugend einen tiefen Eindruck, so
daß die weinerliche Weichheit seines Vortrages und sein Moralisiren
weder ihre Abneigung noch ihren Muthwillen erregte. Auch Goethe
finden wir als einen eifrigen Zuhörer Gellerts, der bemüht ist,
aus seinen Vorlesungen wie aus seinen stylistischen Übungen allen
Nutzen zu ziehen, und sich es angelegen sein läßt, die kaum erworbene
Weisheit in seinen Briefen seiner Schwester mitzutheilen. Allein ein
nachhaltiger Einfluß zeigt sich, wie zu erwarten, auch hier nicht,
Lehrer und Schüler waren zu verschiedener Natur. Gellert mußte
sich für den Einzelnen schwer zugänglich machen, eine persönliche,
unmittelbare Einwirkung war nicht möglich; Ermahnungen zum fleißigen
Kirchenbesuch bildeten den Hauptinhalt solcher Privatunterhaltung, für
Goethe unbequem und drückend, der sich die akademische Freiheit durch
kirchlichen Zwang nicht verkümmern wollte und damals im Gegensatz gegen
frühere und spätere Richtungen allen theologischen Studien entsagt
hatte. In den Stylübungen zog Goethe Gellerts besondere Aufmerksamkeit
nicht auf sich, er verbesserte seine Aufsätze wie alle anderen, ohne
sie auszuzeichnen. Sie zogen ihn nicht an, was uns sehr begreiflich
erscheint, wenn wir die geringen Bruchstücke dieser meist in Briefform
geschriebenen Aufsätze betrachten, die uns zufällig erhalten sind.[4]
Sie zeigen eine Freiheit und Leidenschaft in Auffassung und Form,
welche Gellert nicht wohl gefallen konnte, uns aber beweisen, daß
Goethe auch in diesen Schulübungen nur das, was er wirklich erlebte,
künstlerisch zu gestalten suchte.
Neben Gellert, den seine Kränklichkeit sehr beschränkte, war in
ähnlicher Weise _Clodius_ durch Vorlesungen und Übungen wirksam,
die Goethe ebenfalls besuchte. Das Ansehen dieses, auch als Dichter
thätigen und bekannten, Mannes war aber nicht wie bei Gellert in einer
aufrichtigen Pietät fest begründet; die Schüler, welche sich mit
Eifer selbst in der Dichtkunst versuchten, waren keineswegs geneigt
sich seinem Urtheil unbedingt zu unterwerfen, sie fanden bald seine
Schwächen und die Kunstgriffe seiner poetischen Technik heraus. Dazu
kam, daß er durch das Auffallende seiner äußeren Erscheinung ihren
Spott reizte, zu dessen Zielscheibe sie ihn häufig machten. So machte
Goethe einst im Kuchengarten in harmloser Laune das Gedicht auf den
Kuchenbäcker Händel, in welchem alle pomphaften Prachtwörter, welche
Clodius zu gebrauchen pflegte, parodisch angebracht waren:
„O Händel, dessen Ruhm vom _Süd_ zum _Norden_ reicht,
Vernimm den _Päan_, der zu deinen Ohren steigt!
Du bäckst, was _Gallier_ und _Britten_ emsig suchen,
Mit _schöpfrischem Genie_, _originelle_ Kuchen.
Des Kaffes _Ocean_, der sich von dir ergießt,
Ist süßer als der Saft, der vom _Hymettus_ fließt.
Dein Haus, ein _Monument_, wie wir den Künsten lohnen,
Umhangen mit _Trophä'n_, erzählt den _Nationen_:
Auch ohne _Diadem_ fand Händel hier sein Glück,
Und raubte dem _Cothurn_ gar manch Achtgroschenstück.
Glänzt deine _Urn'_ dereinst in majestät'schem _Pompe_,
Dann weint der _Patriot_ an deiner _Catacombe_.
Doch leb! Dein _Torus_ sei von edler Brut ein _Nest_!
Steh' hoch wie der _Olymp_, wie der _Parnassus_ fest!
Kein _Phalanx_ Griechenlands mit römischen _Ballisten_
Vermög _Germanien_ und Händeln zu verwüsten.
Dein _Wohl_ ist unser _Stolz_, dein _Leiden_ unser _Schmerz_,
Und Händels _Tempel ist der Musensöhne Herz_.“
Als es mit einer boshaften Anwendung, welche _Horn_ demselben auf
Clodius durch sein Schauspiel _Medon_ gegeben hatte, bekannt und später
sogar gedruckt wurde,[5] erregte es allgemein großes Aufsehen und
Mißbilligung, und Goethe war sehr unzufrieden darüber; indeß urtheilte
Clodius selbst über die Sache und Goethes Benehmen bald billig; Goethe
läßt in seinen Briefen stets Grüße an ihn ausrichten.
Es leuchtet ein, daß die Universität durch die Persönlichkeit ihrer
Lehrer auf Goethe keinen bestimmenden Einfluß ausüben konnte. Jene
einst leuchtenden Sterne waren im Verbleichen, _Klopstock_ hatte schon
auf Goethe als Knaben einen mächtigen Eindruck gemacht, _Wieland_ wurde
von dem Jüngling mit Bewunderung gelesen, und vor allem _Lessing_,
selbst in Leipzig gebildet, hatte den Weg bereits betreten, auf dem
ihm Goethe nachfolgen sollte. Seine _Minna von Barnhelm_ (1730) „stieg
wie die Insel Delos aus der Gottsched-Gellert-Weissischen Wasserfluth,
um eine kreißende Göttin gnädig aufzunehmen“: kein Werk hatte einen
ähnlichen Eindruck auf Goethe gemacht. In welchem Grade man dasselbe
verehrte, wie man sich in dem Kreise, in welchem Goethe verkehrte,
in dasselbe hinein gelebt hatte, das lehren uns kleine Züge noch
anschaulich. „Konnte die Landsmännin der Minna anders schreiben?“
heißt es in einem Briefe an seine geliebteste Freundin und später:
„Sie wissen, was mich unzufrieden, launisch und verdrießlich machte.
Das Dach war gut, aber die Betten hätten besser sein können, sagt
Franziska.“ Man hatte sich in einem freundschaftlichen Kreise an die
Aufführung dieses Lustspiels gewagt und später noch nannte man sich
unter einander mit den Namen der Rollen. „Was macht unsere Franziska?“
fragt er und erkundigt sich, ob sie, nachdem ihr Wachtmeister fort sei,
sich nun mit Just vertrage. Minna von Barnhelm erfüllte ihn ganz als
ein Werk, das ihn aufmerksam machte, „daß noch etwas Höheres existire,
als wovon die damalige schwache litterarische Epoche einen Begriff
hatte,“ und ermuthigte ihn da es lehrte, wie er es zu erreichen habe.
Aber es war das einzige Werk seiner Art.[6]
Im Allgemeinen fand sich Goethe durch die Leistungen der Gegenwart wie
durch den Verkehr, in welchen er in Leipzig trat, nicht sowohl angeregt
und gefördert als verwirrt und unsicher gemacht. Er war an mehrere
angesehene und gebildete Familien empfohlen und bei ihnen eingeführt.
Die lebhafte litterarische Production, deren Mittelpunkt Leipzig seit
geraumer Zeit war, hatte auch in weiteren Kreisen größere Theilnahme
für die Litteratur hervorgerufen, welche durch Kenntniß und allgemeine
Bildung unterstützt, ein gewisses Verständniß derselben, eine
Fertigkeit im Urtheilen darüber verbreitet hatte. Allein diese Kritik,
welche man zur Unterhaltung zu üben pflegte, und die höchstens dahin
gelangte das mittelmäßige mittelmäßig zu finden, war mehr abstumpfend
als fördernd; sie nahm dem Jüngling seinen Glauben und seine Verehrung,
er fühlte sehnlichst das Bedürfniß nach Unterstützung in seinen
Bestrebungen durch Beispiel, durch productive Anregung -- sie gab ihm
Steine statt Brod. Die natürliche Folge war Mißmuth, Unsicherheit,
Unzufriedenheit mit andern und mit sich -- eines Tags verbrannte er
alles, was er bis dahin versucht und entworfen hatte.
Nicht blos in einer Hinsicht sollte er diese Erfahrung machen. Als er
kaum erst nach Leipzig gekommen war, da lebte er
„So wie ein Vogel, der auf einem Ast
Im schönsten Wald, sich, Freiheit athmend wiegt.
Der ungestört die sanfte Lust genießt,
Mit seinen Fittichen von Baum zu Baum
Von Busch zu Busch sich singend hinzuschwingen.“
Aber als er in die feine Welt eingeführt wurde, empfand er bald, daß
das „klein Paris, das seine Leute bildet,“ Ansprüche an ihn machte,
die ihm lästig genug waren. Weder seine Kleidung noch sein Benehmen
hatte den rechten Zuschnitt, seine Frankfurter Aussprache und die kurze
körnige Ausdrucksweise, welche er sich zu eigen gemacht, war nicht das
reine Wasser des echten meißner Deutsch, und nicht alle suchten ihn
so milde und freundlich zuzustutzen, wie die liebenswürdige Hofräthin
_Böhme_, von der er auch Kartenspielen lernen mußte. Auch mit seinen
Ansichten und Gefühlen sah er sich überall fremd, seine Begeisterung
für Friedrich den Großen fand begreiflicher Weise keinen Widerhall,
auch hier wußte man ihm seine Bewunderung zu zerstückeln. Die
Unbehaglichkeit dieser Schulmeisterei, des Zwanges, den er sich überall
anthun sollte, ertrug er nicht lange; so wie er die Vorlesungen fallen
ließ, so zog er sich allmälig, besonders nach dem Tode der Hofräthin
Böhme, auch aus diesem geselligen Verkehr zurück, der ihn, so vergnügt
er auch übrigens war, dennoch allen Mangel eines gesellschaftlichen
Lebens fühlen ließ, wie es seine Jugend befriedigen konnte. „Ich seufze
nach meinen Freunden und meinem Mädgen,“ schreibt er an Riese (28.
April 1766), „und wenn ich fühle, daß ich vergebens seufze
Da wird mein Herz von Jammer voll
Mein Aug wird trüber.“
Aber schon im zweiten Semester änderte sich dies und Goethe trat in
einen ganz anderen Kreis ein. _Johann Adam Horn_, mit dem er schon
in Frankfurt nahe befreundet war, kam ebenfalls nach Leipzig, dem an
sich selbst und seinem dichterischen Beruf irre gewordenen durch seine
unverwüstliche Heiterkeit und den Einfluß früher Jugendbekanntschaft
ein großer Trost. „Horn hat mich durch seine Ankunft einem Teil meiner
Schwermuth entrissen,“ schreibt er (28. April 1766) an Riese; „er
wundert sich, daß ich so verändert bin,
Er sucht die Ursach zu ergründen,
Denkt lächelnd nach, und sieht mir ins Gesicht.
Doch wie kann er die Ursach finden,
Ich weiß sie selbsten nicht.“
Auch sein späterer Schwager, _Johann Georg Schlosser_, hielt sich
eine Zeit lang in Leipzig auf und führte ihn in eine unterhaltende
Tischgesellschaft ein, theils Studirender theils solcher, die ihre
Studien nicht lange vollendet. Unter diesen wird der Bruder des
Dichters _Zachariae_, _Pfeil_ und der spätere Bürgermeister _Herrmann_
genannt, der mit treuer Sorgfalt Goethe nachher in seiner Krankheit
pflegte, durch gleichmäßige Tüchtigkeit seines Wesens ausgezeichnet.
Ganz anderer Art war _Behrisch_, der Hofmeister des Grafen Lindenau.
Er stammte aus einer adeligen Familie, war, obwohl sorglos in
Geldangelegenheiten, rechtlich und brav, ein Mann von Kenntnissen,
leidenschaftlicher Musikliebhaber, aber ein Original; so kleidete er
sich modisch und fein, aber nur grau, das er in den verschiedensten
Schattirungen und Stoffen anzubringen beflissen war. Er gehörte zu den
Menschen, welche nie auf Universitäten ausgehen, die eine besondere
Gabe haben die Zeit mit Geschick zu verthun und dabei sich und andere
ironisiren, ebenso gefährlich für die mittelmäßigen und schwachen,
als anziehend und selbst anregend für die bedeutenden. Der Humor, mit
welchem er seine Thorheiten höchst ernsthaft und das Ernsthafteste
possenhaft betreiben konnte, war unerschöpflich und unwiderstehlich,
und fesselte auch Goethe an ihn, obwohl er ihn in barocker Weise
an
Leipziger Freunde.
Herausgegeben
von
Otto Jahn.
Mit drei lithographirten Bildnissen.
Leipzig,
Druck und Verlag von Breitkopf und Härtel.
1849.
Herrn Salomon Hirzel.
Sie haben, lieber Freund, nicht nur die erste Veranlassung zu diesem
Buch gegeben, sondern auch auf Form und Inhalt desselben einen so
bestimmenden Einfluß geübt, daß Sie sich es schon gefallen lassen
müssen auch Ihren Namen dazu herzugeben. Ich weiß gewiß, daß Niemand
mehr Freude an den Reliquien haben wird, die hier das Goethefest
zum Vorschein brachte, Niemand aufrichtiger die Dankbarkeit gegen
diejenigen mit mir theilen wird, deren Güte die Veröffentlichung
derselben gestattete, als Sie. Deshalb werden Sie auch die etwas bunte
Mischung des Inhaltes, für welche nicht einmal ein passender Titel zu
finden war, mit gewohnter Nachsicht, wie ich hoffe, entschuldigen.
So bringe ich Ihnen das Buch als eine Erinnerung an einige in heiterer
Thätigkeit angenehm verlebte Tage und an einen aufrichtigen, treuen
Freund.
Leipzig am 18. October 1849.
_Otto Jahn._
Inhalt.
Seite
Goethes Jugend in Leipzig 1
Goethes Briefe an Joh. Jac. Riese 53
Goethes Briefe an an Chr. G. Schönkopf und seine Tochter Käthchen 65
Goethes Briefe an Adam Fr. Oeser und seine Tochter Friederike.
Einleitung 103
An Adam Friedrich Oeser 117
An Friederike Oeser 136
Goethes Leipziger Lieder 176
Goethes Briefe an Chr. G. und J. G. E. Breitkopf 205
Goethes Briefe an Phil. Erasmus Reich 212
Aus Briefen von Cornelie Goethe 233
Goethes Briefe an Friedrich Rochlitz 281
Goethes Jugend in Leipzig.
Eine Rede von Otto Jahn.
Gehalten am 28. August 1849 in der akademischen Aula in Leipzig.
Beim Anschauen des Olympischen Zeus vergaß der Grieche in stiller
Bewunderung Leid und Kummer, gebannt unter den Zauber göttlicher
Majestät fand er Frieden und Kraft, und ging mit dem stolzen
Gefühl, ein Grieche zu sein, von dannen. Der heutige Tag giebt dem
Deutschen ein ähnliches Gefühl. Heute ist es ihm vergönnt, selbst die
schwerste Sorge, die Sorge um das Vaterland, den tiefsten Kummer um
vereitelte Hoffnungen und Bestrebungen im Andenken an den großen Mann
zurückzudrängen, der dem ganzen Vaterlande angehört, um auszusprechen,
worin wir alle einig und frei sind, unsere Bewunderung und Verehrung
gegen _Goethe_. Dankbarkeit und Anhänglichkeit auszusprechen, bedarf
es keiner besonderen Berechtigung, Goethes Andenken zu feiern ist
jeder berufen, der an deutscher Bildung Theil hat; für uns aber ist es
eine mahnende Pflicht, das Bild des Dichters, der uns persönlich nahe
angehört hat, mit einem Kranze der Erinnerung zu schmücken.
In _Leipzig_ hat _Goethe_ sein Studien begonnen, drei Jahre hindurch
hat er unserer Universität angehört, ist hier durch den Verkehr mit
Künstlern und Kunstfreunden angeregt und gebildet worden, Freundschaft
und Liebe haben ihn hier mannigfach gefesselt, hier hat er die
unruhvoll bewegte Zeit der ersten Selbständigkeit durchlebt -- wahrlich
kein unbedeutender Theil seines Lebens gehört uns an. Wir dürfen ihn
selbst zum Zeugen seiner Anhänglichkeit an Leipzig nehmen, dessen
Erinnerung ihm stets theuer und bedeutend war. „Wer kein Leipzig
gesehen hat,“ schrieb er seinem Freunde Breitkopf nach der Heimkehr
in Frankfurt, „der könnte hier recht wohl sein,“ in einer Stadt, „die
zu sehr Antithese von Leipzig ist, um viel Annehmlichkeit für ihn
zu haben.“ „Sie haben Recht, meine Freundin, daß ich jetzt für das
gestraft werde, was ich gegen Leipzig gesündigt habe,“ heißt es in
einem anderen Briefe; „mein jetziger Aufenthalt ist so unangenehm als
mein Leipziger angenehm hätte sein können, wenn gewissen Leuten gelegen
gewesen wäre, mir ihn angenehm zu machen.“ So urtheilte nicht nur der
von dem Scheiden aus lieben und gewohnten Verhältnissen schmerzlich
ergriffene Jüngling, der „draußen im Reich, in der Frankfurter
Hungersnoth des guten Geschmacks“ die feinere, namentlich litterarische
Bildung, den freien ungezwungenen Verkehr, besonders mit Frauen,
wodurch Leipzig sich auszeichnete, gar sehr vermißte. Als später Goethe
von Weimar aus in wiederholten Besuchen seine persönlichen Beziehungen
zu Leipzig erneuete, schrieb er (December 1782) an Frau von Stein:
„Seit 69, da ich von hier wegging, bin ich nie über ein paar Tage hier
gewesen, auch habe ich nur meine alten Bekannten besucht und Leipzig
war mir immer so eng wie jene ersten Jahre. Diesmal mache ich mich mit
der Stadt auf meine neue Weise bekannt und es ist mir eine neue kleine
Welt. -- Ich wünschte, mich ein Vierteljahr hier aufhalten zu können,
denn es steckt unglaublich viel hier beisammen. Die Leipziger sind
als eine kleine moralische Republik anzusehen. Jeder steht für sich,
hat einige Freunde und geht in seinem Wesen fort, kein Oberer giebt
einen allgemeinen Ton an und jeder produzirt sein kleines Original,
es sei nun verständig, gelehrt, albern oder abgeschmackt, thätig,
gutherzig, trocken oder eigensinnig, und was der Qualitäten mehr sein
mögen. Reichthum, Wissenschaft, Talente, Besitzthümer aller Art geben
dem Ort eine Fülle, die ein Fremder, wenn er es versteht, sehr wohl
genießen und nutzen kann. Er muß sich nur im Allgemeinen halten, und
keinen Antheil an ihren Leidenschaften, Händeln, Vorliebe und Abscheu
nehmen. Es leben hier einige Personen im Stillen, die, wenn ich so
sagen darf, vom Schicksal in Pension gesetzt worden sind, von denen
ich großen Vortheil ziehen würde, wenn es mir die Zeit erlaubte. Von
dem allgemeinen Betragen gegen mich kann ich sehr zufrieden sein. Sie
bezeigen mir den besten Willen und die größte Achtung, dagegen bin
ich auch freundlich, aufmerksam, gesprächig und zuvorkommend gegen
Jedermann.“ Und so ist Goethe nicht nur mit den in jenen Studienjahren
ihm bekannt und vertraut gewordenen Personen in Verkehr geblieben, bis
in die letzte Zeit haben Leipzigs bedeutende Männer -- ich darf nur
_Gottfried Herrmann_, _Friedrich Rochlitz_, _Blümner_ nennen -- ihm
nahe gestanden. Freilich erging das Strafgericht der _Xenien_ auch
über Leipzig, und er fand auch wohl gelegentlich, daß bei Anwesenheit
der Catalani sich die Leipziger absurd benahmen, und meinte, „es thäte
Noth, daß man solchem verfluchtem Volke die Gaben Gottes in Spiritus
aufhübe, damit sie solche, bei Gelegenheit vergleichen und eine der
anderen unterordnen könnten;“[1] allein nicht lange vorher war er
eifrig bemüht, die von Quandt hier aufgefundenen altdeutschen Gemälde,
welche jetzt unser städtisches Museum schmücken, ihrem wahren Werth
nach in weiteren Kreisen bekannt zu machen.[2] Überhaupt fühlt man
leicht in so manchen kleinen Zügen die Theilnahme und Freude, mit
welcher Goethe die Erinnerung an seinen Leipziger Aufenthalt wieder
auffrischt und auf alles überträgt, was Leipzig angeht.
Bei einer Feier, welche seinem hundertjährigen Geburtsfest gilt, werden
wir vor allem uns _Goethe_ in _Leipzig_ vergegenwärtigen wollen.
Dies Bild zeigt uns zwar nicht den Mann in seiner vollendeten Kraft,
nicht den Dichterfürsten im vollen Glanze seines Ruhmes, sondern
den strebenden Jüngling, der die ersten Schritte auf seiner langen
Siegesbahn beginnt, allein es zeigt uns schon den ganzen Goethe. Was
uns bei der Betrachtung Goethes mehr als alles andere mit Staunen
erfüllt, das ist die wunderbare Einheit und Kraft seiner Natur,
welche ihn jede Stufe menschlicher Entwickelung so ganz voll und rein
durchleben und darstellen ließ. Wer nicht beim Greise das rasche Feuer
der Jugend, beim Jüngling die erfahrene Weisheit des Alters erwartet,
vom Manne nicht stürmischen Übermuth, vom Jüngling nicht besonnene
Sicherheit fordert, wer unbefangen die Schranken erwägt, welche der
menschlichen Natur in ihrer Ausbildung gesetzt sind: dem wird Goethe
von der Jugend bis ins hohe Greisenalter als ein Typus naturgemäßer
Entfaltung einer großen und reichen Menschennatur erscheinen. Wäre
zu unserer Zeit im Volke noch die dichterische Kraft schöpferisch
lebendig, gewiß wäre Goethe durch die Sage zu einem Bilde des deutschen
Geistes in seinen edelsten Richtungen verklärt worden: jetzt hat der
Dichter selbst uns mit seltener Unbefangenheit und Klarheit sein
eigenes Abbild entworfen. Wäre es die Aufgabe des Redners, mit Goethes
Meisterwerk einen Wettkampf einzugehen, wer möchte sie übernehmen?
Allein vergessen wir nicht, daß der reife Mann seine Jugend schilderte,
auf deren Streben und Irren er mit Gelassenheit zurücksah, und daß
diese Schilderung den Stempel einer Ruhe trägt, nach welcher jene Zeit
vergebens rang. Versuchen wir daher, aus den leider nur spärlichen
Nachrichten, welche uns aus jener Zeit in unmittelbarer mündlicher
und schriftlicher Überlieferung grade hier zu Gebote stehen, uns eine
anschauliche Vorstellung der Personen und Verhältnisse zu bilden,
unter denen Goethe hier gelebt hat, und welchen Einfluß sie auf ihn
gewonnen haben. Auch das unbedeutendere, das für ihn selbst später das
Interesse verloren haben mochte, wird in diesem Zusammenhang einige
Aufmerksamkeit verdienen.
Im Herbste des Jahres 1765 reiste _Goethe_, nicht lange erst 16 Jahr
alt geworden, in Gesellschaft eines Buchhändlers _Fleischer_, der
sich auf die Messe begab, und seiner Frau nach Leipzig. In jener Zeit
wurde für die Kaufleute, welche zur Messe reisten, in den Kirchen
gebetet; auch Goethe kam nicht ohne Unfall davon: bei Auerstädt wurde
der Wagen umgeworfen, und Goethe strengte sich bei dem Aufrichten
desselben übermäßig an, so daß er später noch die Folgen spürte.
Hier angekommen miethete er sich in der _Feuerkugel_ am _Neumarkt_
zwei artige Zimmer, die in den Hof sahen, und wurde am 19. October
von dem damaligen Rector, Hofrath _Ludwig_, als Student in der
bayrischen Nation inscribirt.[3] So sah er sich denn in der glücklichen
Unruhe des jungen Studenten, der zum ersten Mal der Aufsicht des
väterlichen Hauses entledigt den festen Vorsatz hat, seine Freiheit
und Selbständigkeit, die ihm doch mitunter noch unbequem ist, zu
genießen, voll Zuversicht, daß ihm die Welt gehöre, wenn er sie gleich
noch nicht zu gewinnen weiß, voll Vertrauen auf seine Zeit und sein
Geld, die ihm unerschöpflich dünken, voll guten Willens, sich auf
das Leben vorzubereiten, das er noch nicht kennt. Ein Versuch, eine
Enttäuschung folgt der anderen, kein Streben wird befriedigt, Genuß und
Entsagung, Arbeit und Zerstreuung verdrängen einander, Leidenschaft
stürmt auf Leidenschaft: so zieht das mächtig eindringende Leben tiefe,
schmerzliche Furchen in das jugendliche Gemüth, welches frisch und
voll die Eindrücke desselben in sich aufnimmt, daß es zu männlicher
Kraft erstarkt, seine Früchte bringe. Goethe giebt uns während der
ganzen Zeit seines hiesigen Aufenthalts das Bild dieses unruhvollen
Drängens und Treibens, das sich weder seines Ziels noch seiner
Kräfte klar bewußt ist, mit um so größerer Hast bald dies, bald das
entgegengesetzte ergreift, um schnell enttäuscht zu ermatten. Er war in
seinen Beschäftigungen unstät, schwankend, nie mit sich zufrieden; aber
so entschieden war die Richtung seiner Natur, so stark das innerste
Bedürfniß seiner Seele, daß er sich immer wieder auf die künstlerische
Production hingeführt sah. Nicht minder wechselnd war seine Stimmung,
bald ausgelassen lustig, bald selbstquälerisch verstimmt, bald
übermüthig und neckisch, bald weich und theilnehmend, aber stets
offenbarte sich die Überlegenheit einer tiefen und großen Natur, welche
seine Umgebung, wie er sie auch verletzen und quälen mochte, immer
wieder versöhnte und beherrschte.
Goethe befand sich, da er die Universität bezog, in einem
eigenthümlichen Zwiespalt. Sein Vater sah zwar seine dichterischen
und künstlerischen Beschäftigungen als einen wohlanständigen
Zeitvertreib in Mußestunden mit Wohlgefallen und beförderte selbst,
daß er sie gründlich trieb; als Hauptstudium aber hatte er für ihn
die Jurisprudenz bestimmt und ihn selbst auf dieselbe vorbereitet.
Der Sohn aber fühlte sich von der Rechtswissenschaft in keiner Weise
angezogen; sich allein zum Dichter auszubilden kam ihm freilich nicht
in den Sinn, seine Neigung führte ihn zu gründlicher Erforschung des
Alterthums, und deshalb hatte er nach _Göttingen_ zu gehen und in
_Heyne's_ und _Michaelis_ Schule sich zu begeben gewünscht. Allein der
Vater bestand auf _Leipzig_. Ihm, dem strengen, pedantisch abgemessenen
Mann, von seinem Vorhaben zu sagen, wagte Goethe nicht; der erste
Gebrauch, den er von seiner akademischen Freiheit machen wollte,
sollte der sein, sich von der Jurisprudenz förmlich und feierlich
loszusagen und dem Studium der Alten und der Kunst hinzugeben. Offen
und ehrlich theilte er dem Hofrath _Böhme_, an welchen er empfohlen
war, seinen Entschluß mit; allein den ernsten Auseinandersetzungen
desselben und mehr noch den wohlwollenden Vorstellungen seiner Gattin
gelang es bald, ihn von demselben zurückzubringen. Aber der nun
gefaßte Entschluß, der Jurisprudenz treu zu bleiben, scheint nicht
viel fester gewesen zu sein. Zwar besuchte er Anfangs juristische und
philosophische Vorlesungen, schrieb auch mit großer Selbstüberwindung
eifrig nach, wenn er nicht etwa zur Erholung vorzog, den Rand seines
Hefts mit Carricaturen zu illustriren, allein gegen Fastnacht geriethen
die Collegien in einen gefährlichen Conflict mit den köstlichen
Pfannkuchen, welche am Thomaskirchhof gebacken wurden -- es ist dann
von ihnen nicht viel mehr die Rede. Auch die grammatisch kritische
Richtung der sächsischen Philologie scheint ihn nicht angezogen zu
haben; bei _Ernesti_ hörte er über Ciceros Redner, aber der berühmte
Philolog entsprach den gehegten Erwartungen nicht, und auf die Richtung
seiner Studien gewann er keinen Einfluß.
Der eigentliche Mittelpunkt und Kern derselben blieb das, wozu er
berufen war, seine Ausbildung zum Dichter; was er sonst auch thun
und treiben mochte, diente immer seinen dichterischen Bestrebungen
zur Grundlage und führte ihn unvermerkt zu ihnen zurück. Leipzig
hatte in der Entwickelungsgeschichte der deutschen Litteratur eine
eigenthümliche und bedeutende Stellung eingenommen. Freilich konnte
es dieselbe zu der Zeit, als Goethe hinkam, in Wahrheit nicht mehr
behaupten, allein die Männer, deren Namen in aller Munde waren,
lebten zum großen Theil noch, ihr Ruhm warf noch einen herbstlichen
Schimmer auf ihre Umgebung, welche fortfuhr Ansprüche auf Verdienste zu
begründen, von denen man nicht einsah, daß sie schon vergangen waren.
Es ist in der That eine merkwürdige Schickung, daß der jugendliche
Goethe hier in Leipzig noch persönlich den Eindruck jener Art zu
dichten erhielt, von welcher er uns vollständig frei machen sollte.
_Gottsched_, der durch das, was er selbst anregte und leistete, wie
durch die Polemik, welche er gegen seinen Schulzwang hervorrief, großen
Einfluß geübt hatte, war noch am Leben, aber ohne Bedeutung nur noch
eine Curiosität. „Gottscheden habe ich noch nicht gesehen,“ ist eine
der ersten Nachrichten, welche Goethe seinem Freunde Riese mittheilt,
aber schon nach wenigen Tagen schrieb er ihm: „Ganz Leipzig verachtet
ihn. Niemand geht mit ihm um,“ nachdem er eine poetische Beschreibung
von ihm entworfen:
„Gottsched, ein Mann so groß als wär er vom alten Geschlechte
Jenes der zu Gath im Land der Philister gebohren,
Zu der Kinder Israels Schrecken zum Eichgrund hinabkam.
Ja, so sieht er aus und seines Körperbaus Größe
Ist, er sprach es selbst, sechs ganze Parisische Schue.“
So geht es eine Weile fort und lautet dann zum Schlusse:
„Ich sah den großen Mann auf dem Catehder stehn,
Ich hörte was er sprach und muß es Dir gestehn,
Es ist sein Fürtrag gut, und seine Reden fließen
So wie ein klarer Bach. Doch steht er gleich dem Riesen,
Auf dem erhabnen Stuhl. Und kennte man ihn nicht
So wüßte man es gleich weil er stets prahlend spricht.“
Das war der erste Eindruck; die komische Situation, in welcher er
ihn bei einem späteren Besuche fand, wie er mit der einen Hand sich
die Perücke aufsetzte, mit der anderen dem Bedienten eine furchtbare
Ohrfeige versetzte, ist jedem bekannt. Von Einfluß konnte um so weniger
die Rede sein, da Gottsched schon im Jahre 1766 starb.
Von den Schriftstellern einer jüngeren Generation, welche Gottsched
nicht sowohl durch Polemik als ihre Leistungen überwunden hatte und
einen Fortschritt in der deutschen Litteratur bezeichnen, waren
_Gellert_ und _Chr. Fel. Weiße_ damals vor allen angesehen. Dem
wohlwollenden, liebenswürdigen _Weiße_, der als Bühnendichter wie
als Herausgeber der Bibliothek der schönen Wissenschaften in voller
Thätigkeit war, trat er in persönlichem Umgange nahe und wurde durch
eine dauernde Anhänglichkeit an ihn gefesselt; im Jahre 1801 noch läßt
er sich durch Rochlitz dem verehrten Greise empfehlen. _Gellert_
war als Mensch und Schriftsteller Gegenstand einer allgemeinen, ans
Schwärmerische grenzenden Verehrung; die Einfachheit und Aufrichtigkeit
seines Wesens, die Herzlichkeit seiner Theilnahme, selbst seine
Kränklichkeit machten auch auf die Jugend einen tiefen Eindruck, so
daß die weinerliche Weichheit seines Vortrages und sein Moralisiren
weder ihre Abneigung noch ihren Muthwillen erregte. Auch Goethe
finden wir als einen eifrigen Zuhörer Gellerts, der bemüht ist,
aus seinen Vorlesungen wie aus seinen stylistischen Übungen allen
Nutzen zu ziehen, und sich es angelegen sein läßt, die kaum erworbene
Weisheit in seinen Briefen seiner Schwester mitzutheilen. Allein ein
nachhaltiger Einfluß zeigt sich, wie zu erwarten, auch hier nicht,
Lehrer und Schüler waren zu verschiedener Natur. Gellert mußte
sich für den Einzelnen schwer zugänglich machen, eine persönliche,
unmittelbare Einwirkung war nicht möglich; Ermahnungen zum fleißigen
Kirchenbesuch bildeten den Hauptinhalt solcher Privatunterhaltung, für
Goethe unbequem und drückend, der sich die akademische Freiheit durch
kirchlichen Zwang nicht verkümmern wollte und damals im Gegensatz gegen
frühere und spätere Richtungen allen theologischen Studien entsagt
hatte. In den Stylübungen zog Goethe Gellerts besondere Aufmerksamkeit
nicht auf sich, er verbesserte seine Aufsätze wie alle anderen, ohne
sie auszuzeichnen. Sie zogen ihn nicht an, was uns sehr begreiflich
erscheint, wenn wir die geringen Bruchstücke dieser meist in Briefform
geschriebenen Aufsätze betrachten, die uns zufällig erhalten sind.[4]
Sie zeigen eine Freiheit und Leidenschaft in Auffassung und Form,
welche Gellert nicht wohl gefallen konnte, uns aber beweisen, daß
Goethe auch in diesen Schulübungen nur das, was er wirklich erlebte,
künstlerisch zu gestalten suchte.
Neben Gellert, den seine Kränklichkeit sehr beschränkte, war in
ähnlicher Weise _Clodius_ durch Vorlesungen und Übungen wirksam,
die Goethe ebenfalls besuchte. Das Ansehen dieses, auch als Dichter
thätigen und bekannten, Mannes war aber nicht wie bei Gellert in einer
aufrichtigen Pietät fest begründet; die Schüler, welche sich mit
Eifer selbst in der Dichtkunst versuchten, waren keineswegs geneigt
sich seinem Urtheil unbedingt zu unterwerfen, sie fanden bald seine
Schwächen und die Kunstgriffe seiner poetischen Technik heraus. Dazu
kam, daß er durch das Auffallende seiner äußeren Erscheinung ihren
Spott reizte, zu dessen Zielscheibe sie ihn häufig machten. So machte
Goethe einst im Kuchengarten in harmloser Laune das Gedicht auf den
Kuchenbäcker Händel, in welchem alle pomphaften Prachtwörter, welche
Clodius zu gebrauchen pflegte, parodisch angebracht waren:
„O Händel, dessen Ruhm vom _Süd_ zum _Norden_ reicht,
Vernimm den _Päan_, der zu deinen Ohren steigt!
Du bäckst, was _Gallier_ und _Britten_ emsig suchen,
Mit _schöpfrischem Genie_, _originelle_ Kuchen.
Des Kaffes _Ocean_, der sich von dir ergießt,
Ist süßer als der Saft, der vom _Hymettus_ fließt.
Dein Haus, ein _Monument_, wie wir den Künsten lohnen,
Umhangen mit _Trophä'n_, erzählt den _Nationen_:
Auch ohne _Diadem_ fand Händel hier sein Glück,
Und raubte dem _Cothurn_ gar manch Achtgroschenstück.
Glänzt deine _Urn'_ dereinst in majestät'schem _Pompe_,
Dann weint der _Patriot_ an deiner _Catacombe_.
Doch leb! Dein _Torus_ sei von edler Brut ein _Nest_!
Steh' hoch wie der _Olymp_, wie der _Parnassus_ fest!
Kein _Phalanx_ Griechenlands mit römischen _Ballisten_
Vermög _Germanien_ und Händeln zu verwüsten.
Dein _Wohl_ ist unser _Stolz_, dein _Leiden_ unser _Schmerz_,
Und Händels _Tempel ist der Musensöhne Herz_.“
Als es mit einer boshaften Anwendung, welche _Horn_ demselben auf
Clodius durch sein Schauspiel _Medon_ gegeben hatte, bekannt und später
sogar gedruckt wurde,[5] erregte es allgemein großes Aufsehen und
Mißbilligung, und Goethe war sehr unzufrieden darüber; indeß urtheilte
Clodius selbst über die Sache und Goethes Benehmen bald billig; Goethe
läßt in seinen Briefen stets Grüße an ihn ausrichten.
Es leuchtet ein, daß die Universität durch die Persönlichkeit ihrer
Lehrer auf Goethe keinen bestimmenden Einfluß ausüben konnte. Jene
einst leuchtenden Sterne waren im Verbleichen, _Klopstock_ hatte schon
auf Goethe als Knaben einen mächtigen Eindruck gemacht, _Wieland_ wurde
von dem Jüngling mit Bewunderung gelesen, und vor allem _Lessing_,
selbst in Leipzig gebildet, hatte den Weg bereits betreten, auf dem
ihm Goethe nachfolgen sollte. Seine _Minna von Barnhelm_ (1730) „stieg
wie die Insel Delos aus der Gottsched-Gellert-Weissischen Wasserfluth,
um eine kreißende Göttin gnädig aufzunehmen“: kein Werk hatte einen
ähnlichen Eindruck auf Goethe gemacht. In welchem Grade man dasselbe
verehrte, wie man sich in dem Kreise, in welchem Goethe verkehrte,
in dasselbe hinein gelebt hatte, das lehren uns kleine Züge noch
anschaulich. „Konnte die Landsmännin der Minna anders schreiben?“
heißt es in einem Briefe an seine geliebteste Freundin und später:
„Sie wissen, was mich unzufrieden, launisch und verdrießlich machte.
Das Dach war gut, aber die Betten hätten besser sein können, sagt
Franziska.“ Man hatte sich in einem freundschaftlichen Kreise an die
Aufführung dieses Lustspiels gewagt und später noch nannte man sich
unter einander mit den Namen der Rollen. „Was macht unsere Franziska?“
fragt er und erkundigt sich, ob sie, nachdem ihr Wachtmeister fort sei,
sich nun mit Just vertrage. Minna von Barnhelm erfüllte ihn ganz als
ein Werk, das ihn aufmerksam machte, „daß noch etwas Höheres existire,
als wovon die damalige schwache litterarische Epoche einen Begriff
hatte,“ und ermuthigte ihn da es lehrte, wie er es zu erreichen habe.
Aber es war das einzige Werk seiner Art.[6]
Im Allgemeinen fand sich Goethe durch die Leistungen der Gegenwart wie
durch den Verkehr, in welchen er in Leipzig trat, nicht sowohl angeregt
und gefördert als verwirrt und unsicher gemacht. Er war an mehrere
angesehene und gebildete Familien empfohlen und bei ihnen eingeführt.
Die lebhafte litterarische Production, deren Mittelpunkt Leipzig seit
geraumer Zeit war, hatte auch in weiteren Kreisen größere Theilnahme
für die Litteratur hervorgerufen, welche durch Kenntniß und allgemeine
Bildung unterstützt, ein gewisses Verständniß derselben, eine
Fertigkeit im Urtheilen darüber verbreitet hatte. Allein diese Kritik,
welche man zur Unterhaltung zu üben pflegte, und die höchstens dahin
gelangte das mittelmäßige mittelmäßig zu finden, war mehr abstumpfend
als fördernd; sie nahm dem Jüngling seinen Glauben und seine Verehrung,
er fühlte sehnlichst das Bedürfniß nach Unterstützung in seinen
Bestrebungen durch Beispiel, durch productive Anregung -- sie gab ihm
Steine statt Brod. Die natürliche Folge war Mißmuth, Unsicherheit,
Unzufriedenheit mit andern und mit sich -- eines Tags verbrannte er
alles, was er bis dahin versucht und entworfen hatte.
Nicht blos in einer Hinsicht sollte er diese Erfahrung machen. Als er
kaum erst nach Leipzig gekommen war, da lebte er
„So wie ein Vogel, der auf einem Ast
Im schönsten Wald, sich, Freiheit athmend wiegt.
Der ungestört die sanfte Lust genießt,
Mit seinen Fittichen von Baum zu Baum
Von Busch zu Busch sich singend hinzuschwingen.“
Aber als er in die feine Welt eingeführt wurde, empfand er bald, daß
das „klein Paris, das seine Leute bildet,“ Ansprüche an ihn machte,
die ihm lästig genug waren. Weder seine Kleidung noch sein Benehmen
hatte den rechten Zuschnitt, seine Frankfurter Aussprache und die kurze
körnige Ausdrucksweise, welche er sich zu eigen gemacht, war nicht das
reine Wasser des echten meißner Deutsch, und nicht alle suchten ihn
so milde und freundlich zuzustutzen, wie die liebenswürdige Hofräthin
_Böhme_, von der er auch Kartenspielen lernen mußte. Auch mit seinen
Ansichten und Gefühlen sah er sich überall fremd, seine Begeisterung
für Friedrich den Großen fand begreiflicher Weise keinen Widerhall,
auch hier wußte man ihm seine Bewunderung zu zerstückeln. Die
Unbehaglichkeit dieser Schulmeisterei, des Zwanges, den er sich überall
anthun sollte, ertrug er nicht lange; so wie er die Vorlesungen fallen
ließ, so zog er sich allmälig, besonders nach dem Tode der Hofräthin
Böhme, auch aus diesem geselligen Verkehr zurück, der ihn, so vergnügt
er auch übrigens war, dennoch allen Mangel eines gesellschaftlichen
Lebens fühlen ließ, wie es seine Jugend befriedigen konnte. „Ich seufze
nach meinen Freunden und meinem Mädgen,“ schreibt er an Riese (28.
April 1766), „und wenn ich fühle, daß ich vergebens seufze
Da wird mein Herz von Jammer voll
Mein Aug wird trüber.“
Aber schon im zweiten Semester änderte sich dies und Goethe trat in
einen ganz anderen Kreis ein. _Johann Adam Horn_, mit dem er schon
in Frankfurt nahe befreundet war, kam ebenfalls nach Leipzig, dem an
sich selbst und seinem dichterischen Beruf irre gewordenen durch seine
unverwüstliche Heiterkeit und den Einfluß früher Jugendbekanntschaft
ein großer Trost. „Horn hat mich durch seine Ankunft einem Teil meiner
Schwermuth entrissen,“ schreibt er (28. April 1766) an Riese; „er
wundert sich, daß ich so verändert bin,
Er sucht die Ursach zu ergründen,
Denkt lächelnd nach, und sieht mir ins Gesicht.
Doch wie kann er die Ursach finden,
Ich weiß sie selbsten nicht.“
Auch sein späterer Schwager, _Johann Georg Schlosser_, hielt sich
eine Zeit lang in Leipzig auf und führte ihn in eine unterhaltende
Tischgesellschaft ein, theils Studirender theils solcher, die ihre
Studien nicht lange vollendet. Unter diesen wird der Bruder des
Dichters _Zachariae_, _Pfeil_ und der spätere Bürgermeister _Herrmann_
genannt, der mit treuer Sorgfalt Goethe nachher in seiner Krankheit
pflegte, durch gleichmäßige Tüchtigkeit seines Wesens ausgezeichnet.
Ganz anderer Art war _Behrisch_, der Hofmeister des Grafen Lindenau.
Er stammte aus einer adeligen Familie, war, obwohl sorglos in
Geldangelegenheiten, rechtlich und brav, ein Mann von Kenntnissen,
leidenschaftlicher Musikliebhaber, aber ein Original; so kleidete er
sich modisch und fein, aber nur grau, das er in den verschiedensten
Schattirungen und Stoffen anzubringen beflissen war. Er gehörte zu den
Menschen, welche nie auf Universitäten ausgehen, die eine besondere
Gabe haben die Zeit mit Geschick zu verthun und dabei sich und andere
ironisiren, ebenso gefährlich für die mittelmäßigen und schwachen,
als anziehend und selbst anregend für die bedeutenden. Der Humor, mit
welchem er seine Thorheiten höchst ernsthaft und das Ernsthafteste
possenhaft betreiben konnte, war unerschöpflich und unwiderstehlich,
und fesselte auch Goethe an ihn, obwohl er ihn in barocker Weise
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