Geschichte des Prinzen Biribinker - 1

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Hinweise zur Transkription
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Der vorliegende Text wurde anhand der 1904 erschienenen Ausgabe nahezu
originalgetreu wiedergegeben. Rechtschreibung und Zeichensetzung
entsprechen den damaligen Gepflogenheiten und wurden durchgängig
beibehalten. Dies gilt ebenfalls für unterschiedliche Schreibweisen,
selbst wenn dadurch Inkonsistenzen entstehen.
Die Buchausgabe wurde in Frakturschrift gesetzt; zur Heraushebung
einiger Passagen in der Einleitung wurde Antiqua-Schrift verwendet.
Im vorliegenden Text wurden diese Stellen zwischen Unterstriche
(_) gesetzt. Insbesondere Eigennamen wurden gesperrt dargestellt,
allerdings nicht konsequent durchgängig; dies wurde hier beibehalten.
Die betreffenden Textstellen stehen zwischen Schrägstrichen (/). Rein
französischsprachige Zitate sind mit „Guillemets“ (« ») umgeben.
Gegenüber dem Originaltext vorgenommene Korrekturen:
# S. V: fehlender Satzpunkt wurde eingefügt.
# S. 12: "Histiorie“ → „Historie“


Wieland
Geschichte des Prinzen Biribinker
Kulturhistorische
Liebhaberbibliothek
Band 11


Geschichte
des Prinzen Biribinker
von
Wieland
Herausgegeben und eingeleitet
von
_Dr._ Carl Schüddekopf
Dritte Auflage.
[Illustration]
Berlin und Leipzig
Magazin-Verlag Jacques Hegner
1904


Alle Rechte vom Verleger vorbehalten
Roßberg'sche Buchdruckerei, Leipzig


Einleitung.

„Wieland als Konvertit“ ist eins der merkwürdigsten Probleme unsrer
vorklassischen Literatur, die an intimen persönlichen Bekenntnissen
nicht eben reich ist. Wie sich der junge, weltfremde Gelehrte aus einem
schwärmerischen Heiligen zum frivolen Spötter wandelt, wie er am Schluß
seines Schweizer Aufenthalts aus den seraphischen Sphären Bodmers
zur Erde herabsteigt und in Biberach Freunde wie Feinde durch die
radikalsten Zeugnisse seiner Umkehr in Staunen setzt, ist sicherlich
eins der interessantesten Kapitel in der noch zu schreibenden
Biographie des Dichters. Derselbe Wieland, der noch am 27. August
1758 in einem ausführlichen ungedruckten Briefe an den Braunschweiger
Professor Ebert schrieb: „Ein _bel-Esprit_ ist allemal auch ein Glied
der menschlichen Gesellschaft; und ich schätze ihn nur alsdann, wenn
er als _bel-Esprit_ der Gesellschaft nützlich ist. Der Mißbrauch des
Genie und der Künste hat mich schon lange äußerst gekränkt, und es
war ein _creve-cœur_ für mich, Deutschland mit tändelnden Poesien
und läppischen Nachahmungen des Anakreon, und dergleichen überhäuft zu
sehen. -- Ich konnte nicht kaltsinnig von Leuten sprechen, die ich als
Verführer der Jugend und Verderber des ächten Geschmaks einer gantzen
Nation ansehen mußte“ -- derselbe unduldsame Gegner der Anakreontik
hatte, als er diesen Brief schrieb, auf den meisten Punkten bereits den
Rückzug angetreten. Schon damals spielte er gern mit seinen Meinungen,
wie Goethe später von ihm sagte; denn um dieselbe Zeit bedauert er
seine übertriebenen Angriffe auf Uz und Genossen, empfiehlt als
kräftiges Gegenmittel gegen die platonische Schwärmerei den Plutarch
und Don Quixote und entwirft den Plan zu einem satirischen Roman nach
Lucian. Das wichtigste literarische Dokument für diesen psychologischen
Prozeß in Wieland ist aber das Feenmärchen, das wir der in jüngster
Zeit sich wieder mehrenden Zahl von Freunden des Dichters hier in einem
Neudruck vorlegen.
Die „Geschichte des Prinzen Biribinker“ ist ursprünglich nicht
separat erschienen, sondern sie ist eine freilich nur lose eingefügte
Innenerzählung des ersten großen Wielandschen Romans, der unter dem
Titel „Der Sieg der Natur über die Schwärmerey, oder die Abentheuer
des Don Sylvio von Roselva, Eine Geschichte, worinn alles Wunderbare
natürlich zugeht“, im Jahre 1764 zu Ulm erschien. Daß dieser Don Sylvio
eine direkte Nachahmung des Don Quixote ist, hat der Dichter selbst
später bestätigt; wie Cervantes seinen Helden durch die Ritterromane,
so läßt Wieland den Don Sylvio auf dem einsamen Schloß seiner Tante,
der Donna Mencia, durch die Lektüre der Feenmärchen den Sinn für die
Wirklichkeit verlieren und mit seinem Diener Pedrillo, dem Pendant
zum Sancho Pansa, eine Reihe erträumter Abenteuer bestehen, bis er
durch die Liebe zu Donna Felicia und die Bemühungen seines Freundes
Don Gabriel von seiner Schwärmerei geheilt wird. Ein Radikalmittel des
letzteren ist die Geschichte des Prinzen Biribinker, die er an einem
schönen Sommerabend in der Laube des Gartens von Schloß Lirias der
Gesellschaft, die bereits auf das abenteuerlichste vorbereitet ist,
erzählt, um dadurch eine Probe zu machen, „wie weit das Vorurtheil und
die Einbildung bei unserm Helden gehe“. Es gelingt ihm in der Tat, den
Don Sylvio zunächst unter Berufung auf seine Quelle, den glaubwürdigen
Geschichtsschreiber Paläphatus, zu täuschen und später durch die
Enthüllung, daß die ganze Geschichte von seiner eignen Erfindung sei,
zu beschämen und von seinem Glauben an das Übernatürliche zu heilen.
Ein literarisches Symbol für die menschliche Selbstbefreiung, die
der Dichter in den letzten Jahren selbst durchgemacht hatte! Wie Don
Sylvio von seiner Schwärmerei für das Wunderbare durch Don Gabriel
und Donna Felicia geheilt wird, so befreite sich Wieland in Biberach
durch den Verkehr mit dem Grafen Stadion und Sophie la Roche von seiner
platonischen Schwärmerei; auch bei ihm siegte die Natur!
Um den Don Sylvio zu kurieren, wählt Don Gabriel das wirksamste Mittel:
er sucht den ganzen Feenspuk durch Verspottung _ad absurdum_ zu führen.
Diese Karrikatur ist bis zum Schluß folgerichtig durchgeführt, und
ich kann Scherers Ansicht, daß Wieland die Feenmärchen verspotte, „um
selbst den Eingang in ihre Zaubergärten zu erlangen“ -- ein Vorgang
also, wie wir ihn etwa bei Hauffs Satire gegen Clauren beobachten --
wenigstens für diese Zeit nicht teilen. Wielands spätere romantische
Dichtungen beruhen auf ganz anderen literarischen Voraussetzungen, wie
der Don Sylvio.
Aus dieser Tendenz des Romans und der kleinen Innenerzählung ergibt
sich schon mit Notwendigkeit, daß der Dichter die zu parodierenden
Feenmärchen selbst heranziehen und benutzen mußte. Denn darin besteht
der Hauptreiz jeder Karrikatur, daß sie die vorhandene Vorlage
übertrumpft und überbietet. In der Tat ist denn auch die Geschichte
des Prinzen Biribinker ein Meisterstück der Entlehnungskunst, die
bei Wieland überhaupt so virtuos ausgebildet ist. Durch mehrere
Untersuchungen von Mayer (Vierteljahrschrift für Litteraturgeschichte
5, 374), Tropsch (Zeitschrift für vergleichende Litteraturgeschichte,
Neue Folge, 12, 454 und Euphorion, Ergänzungsheft 4, 32), Martens
(Untersuchungen über Wielands Don Sylvio, Halle 1901) und Steinberger
(Lucians Einfluß auf Wieland, Göttingen 1902) ist in den letzten
Jahren die Quellenfrage geklärt und der Einfluß, den neben Cervantes
die französischen Feenmärchen und Lucian auf den Don Sylvio im
allgemeinen und speziell auf den Biribinker ausgeübt haben, zur
Genüge nachgewiesen. Die meisten Namen (wie Padmanaba, Caramussal,
Caraculiamborix) und eine Fülle von Motiven und Situationen lassen
sich auf die genannten Vorbilder zurückführen. Das literarhistorische
Interesse an diesen Entlehnungen würde allein genügen, um der kleinen
Erzählung dauernden Wert zu verleihen.
Aber auch was Wieland Eigenes hinzugefügt hat, ist wichtig. Ich meine
nicht sowohl die Führung der Erzählung, die witzige Verspottung der
unsinnigen Abenteuer des Helden, die in der Tragik seines Namens
„Biribinker“ und in dessen Umwandlung in „Cacamiello“ gipfelt, sondern
die virtuose Art, mit der die Moral gleicherweise auf den Kopf gestellt
wird wie die physischen Gesetze. Eine so beißende und doch graziöse
Unterhaltung über die weibliche Tugend, wie sie die schöne Mirabella
mit dem Helden unsrer Erzählung führt, war in der deutschen Literatur
etwas bis dahin Unerhörtes; und es ist kein Wunder, daß Wielands
Freundin Julie v. Bondeli sie ihm verdachte. Seinen Zweck, _«de
turlupiner certaines femmes, qui osent prétendre au sentiment et ne
sont au font que des espèces méprisables»_, wie er am 16. Juli 1764
an sie schreibt, hat er zweifelsohne ebenso erreicht, wie Hogarth mit
seinen Zeichnungen, auf die er sich beruft.
Die „Geschichte des Prinzen Biribinker“ ist endlich deswegen von
besonderem Interesse, weil sie Reste eines älteren Planes zu einem
verlorenen Roman Wielands herübernimmt, der eine Nachahmung von
Lucians Ảλεθὴς Ἱστορία werden sollte. Wieland schreibt
darüber am 20. März 1759 an J. G. Zimmermann (Ausgewählte Briefe
I, 345): „So bald Sie verlangen, so will ich Ihnen das erste Buch
von Lucian des Jüngern wahrhafter Geschichte zusenden. Es ist ein
Manuscript, dessen Verfasser der Welt ein Geheimniß bleiben muß. _Il y
va presque de la tête._“ Am 27. März heißt es vom ersten Buch dieser
Geschichte: _«il n'est pas encore assez poli, et le second livre n'est
pas achevé»_. Näheres geht aus Wielands Brief an Zimmermann vom 6.
April 1759 (Ausgewählte Briefe I, 352) hervor, worin er schreibt:
_«Si mon plan devoit être exécuté, j'en donnerois III tomes, chacun
composé de plusieurs livres et chapitres. Le premier tome seroit le
plus extravagant. Le second livre de I. tome, qui fait celui que
je vous ai envoyé, contient la description de deux Républiques, le
troisième celle d'un Etat d'Abeilles intelligentes, le quatrième celle
d'une nation, nommée Pagodes, dont le gouvernement, les mœurs et
la religion sont tout ce qu'il y a de plus détestable. Le cinquième
contiendra un voyage très-singulier dans le ventre d'une Baleine, avec
les aventures merveilleuses et intéressantes, qui arrivent à l'auteur
dans cette étrange région.»_ Wieland bittet Zimmermann um sein Urteil,
indem er zugleich das erste Kapitel des Buchs übersendet; obwohl es
günstig ausfiel und die Fortsetzung folgte (Ausgewählte Briefe I,
361), hat Wieland doch später das Manuskript vernichtet, infolge einer
abfälligen Kritik, die seine Freundin Julie v. Bondeli über derartige
Satiren fällte. Nur einiges davon ist später in die Geschichte des
Prinzen Biribinker übergegangen, so der Bienenstaat (Seite 14 unseres
Neudruckes) und die Begebenheiten im Walfischbauch (Seite 93 ff.).
All diese Gründe rechtfertigen wohl zur Genüge einen Neudruck
der witzigen kleinen Satire; es kommt hinzu, daß sie als ein
abgeschlossenes Ganzes sich leicht aus dem Rahmen des umfangreichen
„Don Sylvio“ herauslösen läßt, wie schon der Umstand beweist, daß
bereits der erste Verleger des Wielandschen Romans fünf Jahre nach
seinem Erscheinen eine besondere Ausgabe davon veranstaltete. Diesem
ersten seltenen Einzeldruck sind wir in der äußeren Einkleidung,
bis auf Wiedergabe der Kopf- und Schlußleisten gefolgt und haben
dementsprechend die Zwischenreden der handelnden Personen des Romans
fortfallen lassen; daß dagegen dem Text selbst die erste Ausgabe von
1764 zugrunde zu legen sei, konnte nicht zweifelhaft sein. Schon
der Einzeldruck von 1769 zeigt einige wichtige Abweichungen (z. B.
„nicht einmal“ für „nur nicht“ 14,5. 23,16, „weiß“ für „weißt“ 4,4.
70,16. 83,16. 136,22), denen die späteren Ausgaben von 1772 und 1794
so viele sprachliche und stilistische Veränderungen hinzufügen,
daß neben ihnen die erste Fassung stets ihre Geltung behaupten
wird. Weiter prätendirt unser Neudruck nichts. Sache der großen
historisch-kritischen Ausgabe, die von der Berliner Akademie der
Wissenschaften unter Bernhard Seufferts Leitung ins Leben gerufen
wird, muß es sein, die Veränderungen, die der Dichter während seiner
langen schriftstellerischen Tätigkeit an seinen Werken vornahm, zu
verzeichnen, damit endlich ein über hundert Jahre alter Wunsch erfüllt
werde, den Goethe 1795 in seiner Streitschrift: „Litterarischer
Sansculottismus“ aussprach: aufmerksame Bibliothekare möchten eine
Sammlung aller Ausgaben von Wielands Werken veranstalten, damit ein
verständiger fleißiger Literator aus den stufenweisen Korrekturen
dieses unermüdet zum Bessern arbeitenden Schriftstellers die ganze
Lehre des Geschmacks entwickeln könne.
Weimar, im Februar 1904.
_Dr._ Carl Schüddekopf.


[Illustration: Geschichte des Prinzen Biribinker]

Geschichte des Prinzen Biribinker.

[Illustration: I]
In einem Lande, dessen weder Strabo noch Martiniere Erwähnung thun,
lebte einst ein König, der den Geschichtschreibern so wenig zu
verdienen gab, daß sie aus Rachbegierde mit einander einig wurden, so
gar seine Existenz bey der Nachwelt zweiffelhaft zu machen. Allein
alle ihre boßhaften Bemühungen haben nicht verhindern können, daß sich
nicht einige glaubwürdige Urkunden erhalten hätten, in denen man alles
findet, was sich ungefehr von ihm sagen ließ. Diesen Urkunden zufolge
war er eine gute Art von einem Könige, machte des Tages seine vier
Mahlzeiten, hatte einen guten Schlaf, und liebte Ruhe und Frieden so
sehr, daß es bey hoher Strafe verboten war, die blossen Namen Degen,
Flinte, Canone und dergleichen in seiner Gegenwart zu nennen. Das
merkwürdigste an seiner Person, (sagen die bemeldten Urkunden) war
ein Wanst von einer so majestätischen Peripherie, daß ihm die grösten
Monarchen seiner Zeit hierinn den Vorzug lassen mußten. Ob ihm der
Beyname des Grossen, den er bey seinen Lebzeiten geführt haben soll,
um dieses nehmlichen Wanstes oder einer andern geheimen Ursache willen
gegeben worden, davon läßt sich nichts gewisses sagen; so viel aber
ist ausgemacht, daß in dem ganzen Umfange seines Reichs niemand war,
den dieser Beyname einen einzigen Tropfen Bluts gekostet hätte. Wie es
darum zu thun war, daß seine Majestät aus Liebe zu dero Völkern und zu
Erhaltung der Thron-Folge in dero Familie, sich vermählen sollte, so
hatte die Academie der Wissenschaften nicht wenig zu thun, vermittelst
der gegebenen Grösse des königlichen Wanstes und einiger anderer
Verhältnisse die Figur derjenigen Princeßin zu bestimmen, welche man
würdig halten konnte, die Hofnungen der Nation zu erfüllen. Nach einer
langen Reyhe von academischen Sitzungen wurde endlich die verlangte
Figur, und durch eine grosse Menge von Gesandtschaften, die an alle
Höfe von Asien geschickt wurden, die Princeßin ausfindig gemacht,
die mit dem gegebenen Modell übereinstimmte. Die Freude über ihre
Ankunft war ausserordentlich, und das Beylager wurde mit so grosser
Pracht vollzogen, daß sich wenigstens fünfzig tausend Paare von den
königlichen Unterthanen entschliessen mußten ledig zu bleiben, um
seiner Majestät die Unkosten von dero Hochzeit bestreiten zu helfen.
Der Präsident der Academie, der, ungeachtet er der schlechteste
Geometer seiner Zeit war, sich alle Ehre der obgedachten Erfindung
beyzulegen gewußt hatte, glaubte mit gutem Grunde, daß nunmehr sein
ganzes Ansehen von der Fruchtbarkeit der Königin abhange, und weil er
in der Experimental-Physik ungleich stärker war, als in der Geometrie,
so fand er, man weißt nicht was für ein Mittel, die Berechnungen der
Academie zu verificiren. Kurz, die Königin gebahr zu gehöriger Zeit den
schönsten Prinzen, der jemals gesehen worden ist, und der König hatte
eine so grosse Freude darüber, daß er den Präsidenten auf der Stelle zu
seinem ersten Vezier ernannte.
Sobald der Prinz gebohren war, versammelte man zwanzig tausend junge
Mädchen von ungemeiner Schönheit, die man zum voraus aus allen
Enden des Reichs zusammen berufen hatte, um eine Säugamme für ihn
auszuwählen. Man muß gestehen, daß unter allen diesen jungen Mädchen
nicht eine einzige Jungfer war; allein man glaubte, sie würden sich
nur desto besser zu dem ehrenvollen Amte schicken, wozu man sie nöthig
hatte, und wozu sich jede die meiste Hofnung machte, weil der erste
Leibartzt ausdrücklich verordnet hatte, daß die Wahl auf die schönste
fallen sollte. Aus zwanzig tausend schönen die schönste auszuwählen,
ist keine so leichte Commißion, als man denken möchte; auch hatte der
Leibartzt, ungeachtet er eine gute Brille auf der Nase sitzen hatte,
so viel Mühe, einen zureichenden Grund zu finden, warum er einer vor
der andern den Vorzug geben sollte, daß bereits der dritte Tag sich zum
Ende neigte, ehe er es nur so weit gebracht hatte, die Kandidatinnen
von zwanzig tausend auf vier und zwanzig zu bringen. Allein, da doch
endlich eine Wahl getroffen werden mußte, so war er eben im Begriff
unter den vier und zwanzig einer grossen Brunette den Vorzug zu geben,
weil sie unter allen den kleinsten Mund und die schönste Brust hatte,
Eigenschaften, die, wie er versicherte, /Galenus/ und /Avicenna/
schlechterdings von einer guten Amme fordern; als man unvermuthet eine
gewaltig grosse Biene nebst einer schwarzen Ziege ankommen sah, welche
vor die Königin gelassen zu werden begehrten.
Frau Königin, sprach die Biene, ich höre, sie brauchen eine Amme für
ihren schönen Prinzen. Wenn sie das Vertrauen zu mir haben wollten,
mir vor diesen zweybeinigten Creaturen den Vorzug zu geben, so sollte
es sie gewiß nicht gereuen. Ich will den Prinzen mit lauter Honig von
Pomeranzen-Blüthen säugen, und sie sollen ihre Lust daran sehen, wie
groß und fett er dabey werden soll. Sein Athem soll so lieblich riechen
wie Jasmin, sein Speichel soll süsser seyn als Canarien-Sect, und seine
Windeln ----
Gestrenge Frau Königin, fiel ihr die Ziege ins Wort, nehmen sie sich
vor dieser Biene in Acht, das will ich ihnen als eine gute Freundin
gerathen haben. Es ist wahr, wenn ihnen sehr viel daran gelegen ist,
daß ihr junges Herrchen süß werde, so taugt sie dazu besser als irgend
eine andere; aber es laurt, wie das Sprüchwort sagt, eine Schlange
unter den Blumen. Sie wird ihn mit einem Stachel begaben, der ihm
unendlich viel Unglück zuziehen wird. Ich bin nur eine schlechte Ziege;
aber ich schwöre eurer Majestät bey meinem Bart, meine Milch wird ihm
weit besser zuschlagen als ihr Honig; und wenn er schon weder Nectar
noch Ambrosia machen wird, so versprech ich ihnen hingegen, daß er der
tapferste, der weiseste und der glücklichste unter allen Prinzen seyn
soll, die jemals Ziegenmilch getrunken haben.
Jedermann verwunderte sich, da man die Ziege und die dicke Biene so
reden hörte. Allein die Königin merkte gleich, daß es zwo /Feen/ seyn
müßten, und dieses machte sie eine ziemliche Weile unschlüßig, was sie
thun sollte. Endlich erklärte sie sich für die Biene; denn weil sie
ein wenig geitzig war, so dachte sie: Wenn die Biene ihr Wort hält, so
wird der Prinz allenthalben so viel Süßigkeiten von sich geben, daß
man das Confect für die Tafel wird ersparen können. Die Ziege schien
es sehr übel zu nehmen, daß sie abgewiesen wurde: sie meckerte dreymal
etwas unverständliches in ihren Bart hinein, und siehe! da erschien ein
prächtig lackirter und vergoldeter Wagen von acht Phönixen gezogen; die
schwarze Ziege verschwand in dem nehmlichen Augenblick, und an ihrer
statt sahe man ein kleines altes Weibchen in dem Wagen sitzen, die mit
vielen Drohungen gegen die Königin und den jungen Prinzen, durch die
Luft davon fuhr. Der Leib-Medicus war über eine so seltsame Wahl nicht
weniger mißvergnügt, und wollte der Brunette mit dem schönen Busen den
Antrag machen, ob sie nicht Lust hätte, die Stelle einer Haußmeisterin
bey ihm einzunehmen; allein zum Unglück kam er schon zu spät, und mußte
sichs gefallen lassen mit einer von den übrigen neunzehn tausend, neun
hundert und sechs und siebenzig vorlieb zu nehmen; denn die vier und
zwanzig waren alle schon bestellt.
Inzwischen machten die Drohungen der schwarzen Ziege dem Könige
so bang, daß er noch an dem nehmlichen Abend seinen Staats-Rath
versammlete, um sich zu berathen, was bey so gefährlichen Umständen
zu thun seyn möchte; denn weil er gewohnt war, sich alle Nacht mit
Mährchen einschläfern zu lassen, so wußte er wohl, daß die Feen nicht
für die Langeweile zu drohen pflegen. Nachdem nun die weisen Männer
alle bey einander waren, und ein jeder seine Meynung gesagt hatte, so
befand sichs, daß sechs und dreyßig Räthe in grossen viereckichten
Perücken, nicht weniger als sechs und dreyßig Vorschläge gethan hatten,
wovon an jedem wenigstens sechs und dreyßig Schwierigkeiten ausgesetzt
wurden; man stritt in mehr als sechs und dreyßig Seßionen mit vieler
Lebhaftigkeit, und der Prinz würde vermutlich mannbar geworden seyn,
ehe man eines Schlusses hätte einig werden können, wenn nicht der
Favoritt Hof-Narre seiner Majestät den Einfall gehabt hätte, daß man
eine Gesandtschaft an den grossen Zauberer /Caramussal/ schicken
sollte, der auf der Spitze des Berges Atlas wohnte, und von allen
Orten her wie ein Orackel um Rath gefragt wurde. Weil nun der Hofnarr
das Herz des Königs hatte, und in der That für den feinsten Kopf des
ganzen Hofes gehalten wurde, so fiel ihm jedermann bey, und in wenig
Tagen wurde eine Gesandtschaft abgeschickt, welche, die Taggelder zu
ersparen, mit so grosser Geschwindigkeit reiseten, daß sie in drey
Monaten auf der Spitze des Berges Atlas anlangten, ob er gleich bey
nahe zwey hundert Meilen von der Hauptstadt entfernt war.
Sie wurden so gleich vor den grossen /Caramussal/ gelassen, der in
einem prächtigen Saal auf einem Throne von Ebenholtz sitzend, den
ganzen Tag genug zu thun hatte, auf alle die wunderlichen Fragen
Antwort zu geben, die aus allen Theilen der Welt an ihn gebracht
wurden. Der erste Abgesandte, nachdem er sich den Bart gestrichen und
dreymal geräuspert hatte, öfnete eben einen ziemlich grossen Mund
um eine schöne Anrede herzusagen, die ihm sein Secretair aufgesetzt
hatte, als ihn /Caramussal/ unterbrach; Herr Abgesandter, sagte
er, ich schenke ihnen ihre Rede, ob ich es ihnen gleich an ihrer
Physionomie ansehe, daß sie sehr hübsch gelautet haben würde; ich habe
selbst den ganzen Tag so viel zu reden, daß mir keine Zeit zum hören
übrig bleibt; und zu dem, so weiß ich schon voraus, was sie bey mir
anzubringen haben. Sagen sie dem König, ihrem Herrn, er habe sich an
der Fee /Caprosine/ eine mächtige Feindin gemacht; indessen sey es
doch nicht unmöglich, die Zufälle, so sie dem Prinzen angedroht habe,
auszuweichen, wenn man die gehörige Vorsicht gebrauche, daß er vor
seinem achtzehnten Jahre kein /Milchmädchen/ zu sehen bekomme. Weil es
aber, aller Vorsicht ungeachtet, eine sehr schwere, wo nicht unmögliche
Sache ist, seinem Schicksal zu entgehen, so seye mein Rath, daß man,
um auf alle Fälle gefaßt zu seyn, dem Prinzen den Namen /Biribinker/
gebe, dessen geheime Kräfte allein mächtig genug sind, ihn aus allen
den Abentheuern, die ihm zustossen könnten, glücklich heraus zu führen.
Mit diesem Bescheid entließ /Caramussal/ die Gesandtschaft, welche nach
Verfluß abermaliger drey Monate, unter allgemeinem Zujauchzen des Volks
wieder in der Hauptstadt ihres Landes anlangte.
Der König fand die Antwort des grossen /Caramussal/ so ungereimt,
daß er grosse Lust hatte, darüber böse zu werden. Bey meinem Bauch,
rief er, (denn das war sein grosser Schwur) ich glaube, der grosse
Caramussal hat seinen Spaß mit uns -- /Biribinker/! was für ein
verfluchter Name das ist! Hat man auch jemals gehört, daß ein Prinz
/Biribinker/ geheissen hätte? Ich möchte doch wohl wissen, was für eine
geheime Kraft in diesem närrischen Namen stecken soll? Und wenn ich die
Wahrheit sagen soll, das Verbot, ihm vor seinem achtzehnten Jahre kein
Milchmädchen sehen zu lassen, däucht mich nicht viel gescheidter. Warum
dann gerade kein Milchmädchen? Und seit wenn sind die Milchmädchen
gefährlicher als andere Mädchen? Wenn er noch gesagt hätte, keine
Tänzerin oder kein Kammerfräulein von der Königin, das wollt ich noch
gelten lassen; denn, unter uns, ich wollte nicht gut dafür seyn, daß
ich nicht selbst gelegenheitlich eine kleine Anfechtung von dieser Art
bekommen könnte. Indessen, weil es der grosse /Caramussal/ nun einmal
so haben will, so mag der Prinz immerhin /Biribinker/ heissen; er
wird wenigstens der erste dieses Namens seyn, und das gibt einem doch
immer ein gewisses Ansehen in der Historie; und was die Milchmädchen
anbetrift, so will ich schon Anstalt machen, daß auf fünfzig Meilen um
meine Residenz weder Kuh noch Ziege, Melk-Kübel noch Milchmädchen zu
finden seyn soll.
Der König, dessen geringste Sorge war die Folgen seiner
Entschliessungen vorher zu überlegen, war würklich im Begriff ein Edict
deßhalb ergehen zu lassen, als ihm sein Parlament durch eine zahlreiche
Deputation vorstellen ließ, daß es sehr hart, um nicht gar tyrannisch
zu sagen, heraus kommen würde, wenn Sr. Majestät getreue Unterthanen
gezwungen werden sollten, den Caffee künftig ohne Milchrahm zu trinken;
und weil die vorläufige Nachricht von diesem Edict würklich schon ein
grosses Murren unter dem Volk erregte: so mußten sich Seine Majestät
endlich entschliessen, nach dem Beyspiele so vieler andern Könige in
den Feen-Geschichten, dero Cron-Prinzen unter der Aufsicht seiner Amme,
der Biene, von sich zu entfernen, und es ihrer Klugheit zu überlassen,
wie sie ihn vor den Nachstellungen der Fee /Caprosine/ und vor den
Milchmädchen sicher stellen wollte.
Die /Biene/ brachte also den kleinen Prinzen in einen grossen Wald,
der wenigstens zwey hundert Meilen im Umfang hatte, und so unbewohnt
war, daß man in seinem ganzen Bezirk nur nicht einen Maulwurf gefunden
hätte. Sie baute durch ihre Kunst einen unermeßlichen Bienenkorb von
rothem Marmor, und legte um denselben einen Park von Pomeranzen-Bäumen
an, der sich über fünf und zwanzig Meilen in die Länge und Breite
erstreckte. Ein Schwarm von hundert tausend Bienen, deren Königin sie
war, beschäftigte sich für den Prinzen und das Serail der Königin Honig
zu machen, und damit man seinetwegen vollkommen sicher seyn könnte,
so wurden rings um den Wald alle fünf hundert Schritte Wespen-Nester
angelegt, welche Befehl hatten, die Grenzen aufs schärfste zu bewachen.
Indessen wuchs der Prinz heran, und übertraf durch seine Schönheit
und wunderbare Eigenschaften alles, was jemals gesehen worden ist. Er
spuckte lauter Syrup, er pißte lauter Pomeranzen-Blüth-Wasser, und
seine Windeln enthielten so köstliche Sachen, daß sie von Zeit zu Zeit
der Königin zugeschickt werden mußten, damit sie an Gala-Tägen ihren
Nach-Tisch daraus verbessern konnte. So bald er zu reden anfieng,
lallte er Concetti und Epigrammata, und sein Witz wurde nach und nach
so stachlicht, daß ihm keine Biene mehr gewachsen war, ob gleich die
dümmste im ganzen Korbe zum wenigsten so viel Witz hatte als einer von
den vierzigen der _Academie Francoise_.
Allein so bald er das siebenzehnte Jahr erreicht hatte, regte sich ein
gewisser Instinct bey ihm, der ihm sagte, daß er nicht dazu gemacht
seye, sein Leben in einem Bienenkorbe zuzubringen. Die Fee /Melisotte/,
(so nannte sich seine Amme) wandte zwar alles an, ihn aufzumuntern
und zu zerstreuen; sie verschrieb ihm eine Anzahl sehr geschickter
Katzen, die ihm alle Abend ein Französisches Concert oder eine Opera
von /Lulli/ vormauen mußten; er hatte ein Hündchen, das auf dem Seil
tanzte, und ein dutzend Papagayen und Elstern, die sonst nichts zu thun
hatten, als ihm Mährchen zu erzählen, und ihn mit ihren Einfällen zu
unterhalten; allein das wollte alles nichts helfen; /Biribinker/ sann
Tag und Nacht auf nichts anders, als wie er aus seiner Gefangenschaft
entwischen möchte. Die gröste Schwierigkeit, die er dabey sah, waren
die verwünschten Wespen, die den Wald bewachten, und in der That kleine
Thierchen waren, die einen Herkules hätten erschrecken können, denn sie
waren so groß wie junge Elephanten, und ihr Stachel hatte die Figur
und bey nahe auch die Grösse der Morgensterne, deren sich die alten
Schweitzer mit so gutem Erfolg zu Behauptung ihrer Freyheit zu bedienen
pflegten. Da er sich nun einsmals voller Verzweiflung über seine
Gefangenschaft unter einen Baum geworfen hatte, näherte sich ihm eine
Hummel, die wie alle übrigen männlichen Bewohner des Bienenstocks die
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