Frau Jenny Treibel: Roman aus der Berliner Gesellschaft - 14

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>ihr<, denn du wirst ihn begleiten, die Schliemann ist auch immer dabei
-- so müßte keine Gerechtigkeit sein, wenn ihr nicht übers Jahr
Privatdozent wär't oder Extraordinarius.«
Korinna dankte ihm, daß er sie gleich mit ernenne, vorläufig indes sei
sie mehr für Haus- und Kinderstube. Dann verabschiedete sie sich und
ging in die Küche, setzte sich auf einen Schemel und ließ die Schmolke
den Brief lesen. »Nun, was sagen Sie, liebe Schmolke?«
»Ja, Korinna, was soll ich sagen? Ich sage bloß, was Schmolke immer
sagte: manchen gibt es der liebe Gott im Schlaf. Du hast ganz
unverantwortlich un beinahe schauderöse gehandelt un kriegst ihn nu
doch. Du bist ein Glückskind.«
»Das hat mir Papa auch gesagt.«
»Na, denn muß es wahr sein, Korinna. Denn was ein Professor sagt, is
immer wahr. Aber nu keine Flausen mehr und keine Witzchen, davon haben
wir nu genug gehabt mit dem armen Leopold, der mir doch eigentlich leid
tun kann, denn er hat sich ja nich selber gemacht, und der Mensch is am
Ende wie er is. Nein, Korinna, nu wollen wir ernsthaft werden. Und wenn
meinst du denn, daß es los geht oder in die Zeitung kommt? Morgen?«
»Nein, liebe Schmolke, so schnell geht es nicht. Ich muß ihn doch erst
seh'n, und ihm einen Kuß geben ...«
»Versteht sich, versteht sich. Eher geht es nich ...«
»Und dann muß ich doch auch dem armen Leopold erst abschreiben. Er hat
mir ja erst heute wieder versichert, daß er für mich leben und sterben
will ...«
»Ach Jott, der arme Mensch.«
»Am Ende ist er auch ganz froh ...«
»Möglich is es.«
* * * * *
Noch am selben Abend, wie sein Brief es angezeigt, kam Marcell und
begrüßte zunächst den in seine Zeitungslektüre vertieften Onkel, der ihm
denn auch -- vielleicht weil er die Verlobungsfrage für erledigt hielt
-- etwas zerstreut und das Zeitungsblatt in der Hand mit den Worten
entgegentrat: »Und nun sage, Marcell, was sagst du dazu? _Summus
Episcopus_ ... Der Kaiser, unser alter Wilhelm, entkleidet sich davon,
und will es nicht mehr, und Kögel wird es. Oder vielleicht Stöcker ...«
»Ach, lieber Onkel, erstlich glaub' ich es nicht. Und dann, ich werde ja
doch schwerlich im Dom getraut werden ...«
»Hast recht. Ich habe den Fehler aller Nichtpolitiker, über einer
Sensationsnachricht, die natürlich hinterher immer falsch ist, alles
wichtigere zu vergessen. Korinna sitzt drüben in ihrem Zimmer und wartet
auf dich, und ich denke mir, es wird wohl das beste sein, ihr macht es
untereinander ab; ich bin auch mit der Zeitung noch nicht ganz fertig,
und ein Dritter geniert bloß, auch wenn es der Vater ist.«
Korinna, als Marcell eintrat, kam ihm herzlich und freundlich entgegen,
etwas verlegen, aber doch zugleich sichtlich gewillt, die Sache nach
ihrer Art zu behandeln, also so wenig tragisch wie möglich. Von drüben
her fiel der Abendschein ins Fenster, und als sie sich gesetzt hatten,
nahm sie seine Hand und sagte: »Du bist so gut, und ich hoffe, daß ich
dessen immer eingedenk sein werde. Was ich wollte, war nur Torheit.«
»Wolltest du's denn wirklich?«
Sie nickte.
»Und liebtest ihn ganz ernsthaft?«
»Nein. Aber ich wollte ihn ganz ernsthaft heiraten. Und mehr noch,
Marcell, ich glaube auch nicht, daß ich sehr unglücklich geworden wäre,
das liegt nicht in mir, freilich auch wohl nicht sehr glücklich. Aber
wer ist glücklich? Kennst du wen? Ich nicht. Ich hätte Malstunden
genommen und vielleicht auch Reitunterricht, und hätte mich an der
Riviera mit ein paar englischen Familien angefreundet, natürlich solche
mit einer Pleasure-Yacht, und wäre mit ihnen nach Corsica oder nach
Sizilien gefahren, immer der Blutrache nach. Denn ein Bedürfnis nach
Aufregung würd' ich doch wohl zeitlebens gehabt haben; Leopold ist etwas
schläfrig. Ja, so hätt' ich gelebt.«
»Du bleibst immer dieselbe und malst dich schlimmer als du bist.«
»Kaum; aber freilich auch nicht besser. Und deshalb glaubst du mir wohl
auch, wenn ich dir jetzt versichre, daß ich froh bin, aus dem allen
heraus zu sein. Ich habe von früh an den Sinn für Äußerlichkeiten gehabt
und hab' ihn vielleicht noch, aber seine Befriedigung kann doch zu teuer
erkauft werden, das hab' ich jetzt einsehen gelernt.«
Marcell wollte noch einmal unterbrechen, aber sie litt es nicht.
»Nein, Marcell, ich muß noch ein paar Worte sagen. Sieh' das mit dem
Leopold, das wäre vielleicht gegangen, warum am Ende nicht? Einen
schwachen, guten, unbedeutenden Menschen zur Seite zu haben, kann sogar
angenehm sein, kann einen Vorzug bedeuten. Aber diese Mama, diese
furchtbare Frau! Gewiß, Besitz und Geld haben einen Zauber, wär' es
nicht so, so wäre mir meine Verirrung erspart geblieben; aber wenn Geld
alles ist, und Herz und Sinn verengt und zum Überfluß Hand in Hand geht
mit Sentimentalität und Tränen -- dann empört sich's hier, und =das=
hinzunehmen, wäre mir hart angekommen, wenn ich's auch vielleicht
ertragen hätte. Denn ich gehe davon aus, der Mensch in einem guten Bett
und in guter Pflege kann eigentlich viel ertragen.«
* * * * *
Den zweiten Tag danach stand es in den Zeitungen, und zugleich mit den
öffentlichen Anzeigen trafen Karten ein. Auch bei Kommerzienrats.
Treibel, der, nach vorgängigem Einblick in das Kuvert, ein starkes
Gefühl von der Wichtigkeit dieser Nachricht und ihrem Einfluß auf die
Wiederherstellung häuslichen Friedens und passabler Laune hatte, säumte
nicht, in das Damenzimmer hinüberzugehen, wo Jenny mit Hildegard
frühstückte. Schon beim Eintreten hielt er den Brief in die Höhe und
sagte: »Was kriege ich, wenn ich euch den Inhalt dieses Briefes
mitteile?«
»Fordere,« sagte Jenny, in der vielleicht eine Hoffnung dämmerte.
»Einen Kuß.«
»Keine Albernheiten, Treibel.«
»Nun, wenn es von dir nicht sein kann, dann wenigstens von Hildegard.«
»Zugestanden,« sagte diese. »Aber nun lies.«
Und Treibel las: »Die am heutigen Tage stattgehabte Verlobung meiner
Tochter ...« ja, meine Damen, =welcher= Tochter? Es gibt viele Töchter.
Noch einmal also, ratet. Ich verdoppele den von mir gestellten Preis ...
also »meiner Tochter Korinna mit dem Dr. Marcell Wedderkopp, Oberlehrer
und Leutnant der Reserve im brandenburgischen Füsilierregiment
Nr. 35, habe ich die Ehre, hiermit ganz ergebenst anzuzeigen. Dr.
Wilibald Schmidt, Professor und Oberlehrer am Gymnasium zum Heiligen
Geist.«
Jenny, durch Hildegards Gegenwart behindert, begnügte sich, ihrem Gatten
einen triumphierenden Blick zuzuwerfen. Hildegard selbst aber, die
sofort wieder auf Suche nach einem Formfehler war, sagte nur: »Ist das
alles? Soviel ich weiß, pflegt es Sache der Verlobten zu sein, auch
ihrerseits noch ein Wort zu sagen. Aber die Schmidt-Wedderkopps haben am
Ende darauf verzichtet.«
»Doch nicht, teure Hildegard. Auf dem zweiten Blatt, das ich
unterschlagen habe, haben auch die Brautleute gesprochen. Ich überlasse
dir das Schriftstück als Andenken an deinen Berliner Aufenthalt und als
Beweis für den allmählichen Fortschritt hiesiger Kulturformen. Natürlich
stehen wir noch eine gute Strecke zurück, aber es macht sich allmählich.
Und nun bitt' ich um meinen Kuß.«
Hildegard gab ihm zwei und so stürmisch, daß ihre Bedeutung klar war.
Dieser Tag bedeutete zwei Verlobungen.
* * * * *
Der letzte Sonnabend im Juli war als Marcells und Korinnas Hochzeitstag
angesetzt worden; »nur keine langen Verlobungen,« betonte Wilibald
Schmidt, und die Brautleute hatten begreiflicherweise gegen ein
beschleunigtes Verfahren nichts einzuwenden. Einzig und allein die
Schmolke, die's mit der Verlobung so eilig gehabt hatte, wollte von
solcher Beschleunigung nicht viel wissen und meinte, bis dahin sei ja
bloß noch drei Wochen, also nur gerade noch Zeit genug, »um dreimal von
der Kanzel zu fallen,« und das ginge nicht, das sei zu kurz, darüber
redeten die Leute; schließlich aber gab sie sich zufrieden oder tröstete
sich wenigstens mit dem Satze: geredet wird doch.
Am siebenundzwanzigsten war kleiner Polterabend in der Schmidtschen
Wohnung, den Tag darauf Hochzeit im Englischen Hause. Prediger Thomas
traute. Drei Uhr fuhren die Wagen vor der Nikolaikirche vor, sechs
Brautjungfern, unter denen die beiden Kuhschen Kälber und die zwei
Felgentreus waren. Letztere, wie schon hier verraten werden mag,
verlobten sich in einer Tanzpause mit den zwei Referendaren vom
Quartett, denselben jungen Herren, die die Halenseepartie mitgemacht
hatten. Der natürlich auch geladene Jodler wurde von den Kuhs heftig in
Angriff genommen, widerstand aber, weil er, als Eckhaussohn, an solche
Sturmangriffe gewöhnt war. Die Kuhschen Töchter selbst fanden sich
ziemlich leicht in diesen Echec -- »er war der erste nicht, er wird der
letzte nicht sein,« sagte Schmidt -- und nur die Mutter zeigte bis
zuletzt eine starke Verstimmung.
Sonst war es eine durchaus heitere Hochzeit, was zum Teil damit
zusammenhing, daß man von Anfang an alles auf die leichte Schulter
genommen hatte. Man wollte vergeben und vergessen, hüben und drüben, und
so kam es denn auch, daß, um die Hauptsache vorweg zu nehmen, alle
Treibels nicht nur geladen, sondern mit alleiniger Ausnahme von Leopold,
der an demselben Nachmittage nach dem Eierhäuschen ritt, auch
vollständig erschienen waren. Allerdings hatte die Kommerzienrätin
anfänglich stark geschwankt, ja, sogar von Taktlosigkeit und Affront
gesprochen, aber ihr zweiter Gedanke war doch der gewesen, den ganzen
Vorfall als eine Kinderei zu nehmen und dadurch das schon hier und da
laut gewordene Gerede der Menschen auf die leichteste Weise tot zu
machen. Bei diesem zweiten Gedanken blieb es dann auch; die Rätin,
freundlich-lächelnd wie immer, trat _in pontificalibus_ auf und
bildete ganz unbestritten das Glanz- und Repräsentationsstück der
Hochzeitstafel. Selbst die Honig und die Wulsten waren auf Korinnas
dringenden Wunsch eingeladen worden; erstere kam auch, die Wulsten
dagegen entschuldigte sich brieflich, »weil sie Lizzi, das süße Kind,
doch nicht allein lassen könne.« Dicht unter der Stelle »das süße Kind«
war ein Fleck, und Marcell sagte zu Korinna: »Eine Träne, und ich
glaube, eine echte.« Von den Professoren waren, außer den schon
genannten Kuhs, nur Distelkamps und Rindfleisch zugegen, da sich die
mit jüngerem Nachwuchs Gesegneten sämtlich in Kösen, Ahlbeck und
Stolpemünde befanden. Trotz dieser Personaleinbuße war an Toasten kein
Mangel; der Distelkampsche war der beste, der Felgentreusche der logisch
ungeheuerlichste, weshalb ihm ein hervorragender, vom Ausbringer
allerdings unbeabsichtigter Lacherfolg zuteil wurde.
Mit dem Herumreichen des Konfekts war begonnen, und Schmidt ging eben
von Platz zu Platz, um den älteren und auch einigen jüngeren Damen
allerlei Liebenswürdiges zu sagen, als der schon vielfach erschienene
Telegraphenbote noch einmal in den Saal und gleich danach an den alten
Schmidt herantrat. Dieser, von dem Verlangen erfüllt, den Überbringer so
vieler Herzenswünsche schließlich wie den Goetheschen Sänger königlich
zu belohnen, füllte ein neben ihm stehendes Becherglas mit Champagner
und kredenzte es dem Boten, der es, unter vorgängiger Verbeugung
gegen das Brautpaar, mit einem gewissen _avec_ leerte. Großer Beifall.
Dann öffnete Schmidt das Telegramm, überflog es und sagte: »Vom
stammverwandten Volk der Briten.«
»Lesen, lesen.«
»... _To Dr. Marcell Wedderkopp._«
»Lauter.«
»_England expects that every man will do his duty_ ... Unterzeichnet
_John Nelson_.«
Im Kreise der sachlich und sprachlich Eingeweihten brach ein Jubel aus,
und Treibel sagte zu Schmidt: »Ich denke mir, Marcell ist Bürge dafür.«
Korinna selbst war ungemein erfreut und erheitert über das Telegramm,
aber es gebrach ihr bereits an Zeit, ihrer glücklichen Stimmung Ausdruck
zu geben, denn es war acht Uhr, und um neuneinhalb Uhr ging der Zug, der
sie zunächst bis München und von da nach Verona oder, wie Schmidt mit
Vorliebe sich ausdrückte, »bis an das Grab der Julia« führen sollte.
Schmidt nannte das übrigens alles nur Kleinkram und »Vorschmack«, sprach
überhaupt ziemlich hochmütig und orakelte, zum Ärger Kuhs, von Messenien
und dem Taygetos, darin sich gewiß noch ein paar Grabkammern finden
würden, wenn nicht von Aristomenes selbst, so doch von seinem Vater. Und
als er endlich schwieg und Distelkamp ein vergnügtes Lächeln über seinen
mal wieder sein Steckenpferd tummelnden Freund Schmidt zeigte, nahm man
wahr, daß Marcell und Korinna den Saal inzwischen verlassen hatten.
* * * * *
Die Gäste blieben noch. Aber gegen zehn Uhr hatten sich die Reihen doch
stark gelichtet; Jenny, die Honig, Helene waren aufgebrochen, und mit
Helene natürlich auch Otto, trotzdem er gern noch eine Stunde zugegeben
hätte. Nur der alte Kommerzienrat hatte sich emanzipiert und saß neben
seinem Bruder Schmidt, eine Anekdote nach der andern aus dem
»Schatzkästlein deutscher Nation« hervorholend, lauter blutrote
Karfunkelsteine, von deren »reinem Glanze« zu sprechen, Vermessenheit
gewesen wäre. Treibel, trotzdem Goldammer fehlte, sah sich dabei von
verschiedenen Seiten her unterstützt, am ausgiebigsten von Adolar Krola,
dem denn auch Fachmänner wahrscheinlich den Preis zuerkannt haben
würden.
Längst brannten die Lichter, Zigarrenwölkchen kräuselten sich in großen
und kleinen Ringen, und junge Paare zogen sich mehr und mehr in ein paar
Saalecken zurück, in denen, ziemlich unmotiviert, vier, fünf
Lorbeerbäume zusammenstanden und eine gegen Profanblicke schützende
Hecke bildeten. Hier wurden auch die Kuhschen gesehen, die noch einmal,
vielleicht auf Rat der Mutter, einen energischen Vorstoß auf den Jodler
unternahmen, aber auch diesmal umsonst. Zu gleicher Zeit klimperte man
bereits auf dem Flügel, und es war sichtlich der Zeitpunkt nahe, wo die
Jugend ihr gutes Recht beim Tanze behaupten würde.
Diesen gefahrdrohenden Moment ergriff der schon vielfach mit
»Du« und »Bruder« operierende Schmidt mit einer gewissen
Feldherrngeschicklichkeit und sagte, während er Krola eine neue
Zigarrenkiste zuschob: »Hören Sie, Sänger und Bruder, _carpe diem_.
Wir Lateiner legen den Akzent auf die letzte Silbe. Nutze den Tag. Über
ein Kleines und irgend ein Klavierpauker wird die Gesamtsituation
beherrschen und uns unsere Überflüssigkeit fühlen lassen. Also noch
einmal, was du tun willst, tue bald. Der Augenblick ist da; Krola, du
mußt mir einen Gefallen tun und Jennys Lied singen. Du hast es
hundertmal begleitet und wirst es wohl auch singen können. Ich glaube,
Wagnersche Schwierigkeiten sind nicht drin. Und unser Treibel wird es
nicht übel nehmen, daß wir das Herzenslied seiner Eheliebsten in
gewissem Sinne profanieren. Denn jedes Schaustellen eines Heiligsten
ist das, was ich Profanierung nenne. Hab' ich recht, Treibel, oder
täusch' ich mich in dir? Ich =kann= mich in dir nicht täuschen. In einem
Manne wie du kann man sich nicht täuschen, du hast ein klares und offnes
Gesicht. Und nun komm, Krola. »Mehr Licht« -- das war damals ein großes
Wort unseres Olympiers; aber wir bedürfen seiner nicht mehr, wenigstens
hier nicht, hier sind Lichter die Hülle und Fülle. Komm. Ich möchte
diesen Tag als ein Ehrenmann beschließen und in Freundschaft mit aller
Welt und nicht zum wenigsten mit dir, mit Adolar Krola.«
Dieser, der an hundert Tafeln wetterfest geworden und im Vergleich zu
Schmidt noch ganz leidlich imstande war, schritt, ohne langes Sträuben,
auf den Flügel zu, während ihm Schmidt und Treibel Arm in Arm folgten,
und ehe der Rest der Gesellschaft noch eine Ahnung haben konnte, daß der
Vortrag eines Liedes geplant war, legte Krola die Zigarre beiseite und
hob an:
Glück, von allen Deinen Losen,
Eines nur erwähl' ich mir,
Was soll Gold? Ich liebe Rosen
Und der Blumen schlichte Zier.
Und ich höre Waldesrauschen
Und ich seh' ein flatternd Band --
Aug' in Auge Blicke tauschen,
Und ein Kuß auf Deine Hand.
Geben, nehmen, nehmen, geben,
Und Dein Haar umspielt der Wind,
Ach, nur das, nur das ist Leben,
Wo =sich Herz zum Herzen find't=.
Alles war heller Jubel, denn Krolas Stimme war immer noch voll Kraft und
Klang, wenigstens verglichen mit dem, was man sonst in diesem Kreise
hörte. Schmidt weinte vor sich hin. Aber mit einem Male war er wieder
da. »Bruder,« sagte er, »das hat mir wohl getan. Bravissimo. Treibel,
unsere Jenny hat doch recht. Es ist was damit, es ist was drin; ich weiß
nicht genau was, aber das ist es eben -- es ist ein wirkliches Lied.
Alle echte Lyrik hat was geheimnisvolles. Ich hätte doch am Ende dabei
bleiben sollen ...«
Treibel und Krola sahen sich an und nickten dann zustimmend.
»... Und die arme Korinna! Jetzt ist sie bei Trebbin, erste Etappe zu
Julias Grab ... Julia Capulet, wie das klingt. Es soll übrigens eine
ägyptische Sargkiste sein, was eigentlich noch interessanter ist ... Und
dann alles in allem, ich weiß nicht, ob es recht ist, die Nacht so
durchzufahren; früher war das nicht Brauch, früher war man natürlicher,
ich möchte sagen sittlicher. Schade, daß meine Freundin Jenny fort ist,
die sollte darüber entscheiden. Für mich persönlich steht es fest, Natur
ist Sittlichkeit und überhaupt die Hauptsache. Geld ist Unsinn,
Wissenschaft ist Unsinn, alles ist Unsinn. Professor auch. Wer es
bestreitet, ist ein _pecus_. Nicht wahr, Kuh ... Kommen Sie, meine
Herren, komm, Krola ... Wir wollen nach Hause gehen.«

Ende


Liste korrigierter Druckfehler:
Seite 9, Komma vor "ein Sohn von" eingefügt (Ein junger Mr. Nelson ist
nämlich bei Otto Treibels angekommen (das heißt aber, er wohnt nicht
bei ihnen), ein Sohn von Nelson u. Co. aus Liverpool,)
Seite 29, schließendes Anführungszeichen ergänzt (Ich meine natürlich
Herwegh, Georg Herwegh.«)
Seite 29, schließendes einfaches Anführungszeichen ergänzt (>Lies es
nur, Jenny; der König hat es auch gelesen, und Herwegh war sogar bei
ihm in Charlottenburg, und die besseren Klassen lesen es alle.<)
Seite 33, schließendes Anführungszeichen ergänzt (Ich, wenn ich an
Ihrer Stelle wäre, lancierte mich ins Städtische hinein und ränge nach
der Bürgerkrone.«)
Seite 40, überflüssiges Anführungszeichen am Satzende entfernt (Aber
Korinna hielt ihn ab, Vogelsang sei der ältere und würde vielleicht den
Dank für ihn mitaussprechen.)
Seite 41, "persöhnlich" ersetzt durch "persönlich" (Englands
Aristokratie, die mir, von meinem Prinzip ganz abgesehen, auch
persönlich widerstreitet)
Seite 74, Punkt am Ende der Frage durch Fragezeichen ersetzt
(Und nun sagen Sie, Freund, ist dies, nach Ihren persönlichen
Erfahrungen, mutmaßlich als streng lokale Produktion anzusehen,
oder ist es mit den Oderbruchkrebsen wie mit den Werderschen Kirschen,
deren Gewinnungsgebiet sich nächstens über die ganze Provinz Brandenburg
erstrecken wird?)
Seite 78, "»Versteht sich »Hummer.«" ersetzt durch "»Versteht sich,
Hummer.«"
Seite 86, einleitendes Anführungszeichen ergänzt (»Und =wenn= es
ernstlich gemeint ist)
Seite 100, "tutst" durch "tust" ersetzt (Sprichst du das deiner Mutter
nach oder tust du von deinem Eigenen noch was hinzu?)
Seite 114, schließendes Anführungszeichen entfernt (Sollte sie wieder
von Vogelsang geträumt haben?)
Seite 171, "Hildegar" durch "Hildegard" ersetzt (Eben habe ich an deine
Schwester Hildegard geschrieben)
Seite 178, doppeltes Wort "und" nach "den Kindern" (»Und nun sagen Sie,
liebe Freundin, wollen wir nicht lieber abbrechen und alles den Kindern
und einer gewissen ruhigen historischen Entwicklung überlassen?«)
Seite 199, "lieb" durch "liebe" ersetzt (wie käm' ich dann dazu, meine
liebe Kusine Korinna beschämen zu wollen,)
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