Fabeln und Erzählungen - 5

Total number of words is 4536
Total number of unique words is 1534
40.1 of words are in the 2000 most common words
55.9 of words are in the 5000 most common words
62.9 of words are in the 8000 most common words
Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
Was er gesehn, gehört, getan!
Und fing, da er vom Tanzen redte,
Als ging er noch an seiner Kette,
Auf polnisch schön zu tanzen an.
Die Brüder, die ihn tanzen sahn,
Bewunderten die Wendung seiner Glieder,
Und gleich versuchten es die Brüder;
Allein anstatt, wie er, zu gehn:
So konnten sie kaum aufrecht stehn,
Und mancher fiel die Länge lang danieder.
Um desto mehr ließ sich der Tänzer sehn;
Doch seine Kunst verdroß den ganzen Haufen.
Fort, schrien alle, fort mit dir!
Du Narr willst klüger sein, als wir?
Man zwang den Petz, davonzulaufen.
----
Sei nicht geschickt, man wird dich wenig hassen,
Weil dir dann jeder ähnlich ist;
Doch je geschickter du vor vielen andern bist;
Je mehr nimm dich in acht, dich prahlend sehn zu lassen.
Wahr ists, man wird auf kurze Zeit
Von deinen Künsten rühmlich sprechen;
Doch traue nicht, bald folgt der Neid,
Und macht aus der Geschicklichkeit
Ein unvergebliches Verbrechen.


Der Tartarfürst
Ein Tartarfürst, von dem man in Geschichten preist,
Daß er, als Prinz, Europa durchgereist,
Befahl, weil er sein Volk galanter machen wollte,
Daß kein vornehmes Weib ihr Kind selbst stillen sollte.
Die wilden Damen lachten nur;
Sie nährten nach wie vor ihr Kind mit ihren Brüsten,
Und glaubten; daß sie der Natur
Und ihren Müttern folgen müßten.
Der Chan fing an, sich zu entrüsten,
Gab ein sehr scharf Mandat, und schwur,
Daß jede Frau vom Stande sterben sollte,
Die für ihr Kind nicht Ammen halten wollte.
Und weil sie sich gezwungen sahn:
So nahmen sie denn Ammen an.
Allein sie konnten sich des Triebs nicht lang erwehren,
Ihr eigen Blut an ihrer Brust zu nähren.
Die meisten fingen an, dem Chan den Tod zu schwören.
Einst, als der Tartarfürst sich ganz allein befand,
Kam, mit dem Degen in der Hand,
Ein vornehm Weib auf ihn gerannt,
Und sprach, von edlem Grimm entbrannt:
"Hör auf, mein Kind mir abzudrängen,
Sonst bin ich hier, dich umzubringen!
Ich säug es selbst, und säug es mir zur Lust,
Deswegen hab ich diese Brust.
In dieser Pflicht, mein Kind daran zu nehmen,
Soll mich, o Fürst, kein Tier beschämen."
Der gute Tartarfürst erschrak,
Und unterließ, um nicht sein Leben zu verlieren,
Den europäischen Geschmack
In seinen Horden einzuführen.


Der Tod der Fliege und der Mücke
Der Tod der Fliege heißt mich dichten;
Der Tod der Mücke heischt mein Lied.
Und kläglich will ich dir berichten,
Wie jene starb, und die verschied.
Sie setzte sich, die junge Fliege,
Voll Mut auf einen Becher Wein;
Entschloß sich, tat drei gute Züge,
Und sank vor Lust ins Glas hinein.
Die Mücke sah die Freundin liegen.
"Dies Grabmal", sprach sie, "will ich scheun.
Am Lichte will ich mich vergnügen,
Und nicht an einem Becher Wein."
Allein, verblendet von dem Scheine,
Ging sie der Lust zu eifrig nach;
Verbrannte sich die kleinen Beine,
Und starb nach einem kurzen Ach.
Ihr, die ihr euren Trieb zu nähren,
In dem Vergnügen selbst verdarbt,
Ruht wohl, und laßt zu euren Ehren
Mich sagen, daß ihr menschlich starbt.


Der unsterbliche Autor
Ein Autor schrieb sehr viele Bände,
Und ward das Wunder seiner Zeit;
Der Journalisten gütge Hände
Verehrten ihm die Ewigkeit.
Er sah, vor seinem sanften Ende,
Fast alle Werke seiner Hände
Das sechste Mal schon aufgelegt,
Und sich, mit tiefgelehrtem Blicke,
In einer spanischen Perücke
Vor jedes Titelblatt geprägt.
Er blieb vor Widersprechern sicher,
Und schrieb bis an den Tag, da ihn der Tod entseelt;
Und das Verzeichnis seiner Bücher,
Die kleinen Schriften mitgezählt,
Nahm an dem Lebenslauf allein
Drei Bogen und drei Seiten ein.
Man las nach dieses Mannes Tode
Die Schriften mit Bedachtsamkeit;
Und seht, das Wunder seiner Zeit
Kam in zehn Jahren aus der Mode,
Und seine göttliche Methode
Hieß eine bange Trockenheit.
Der Mann war bloß berühmt gewesen,
Weil Stümper ihn gelobt, eh Kenner ihn gelesen.
----
Berühmt zu werden, ist nicht schwer,
Man darf nur viel für kleine Geister schreiben;
Doch bei der Nachwelt groß zu bleiben,
Dazu gehört noch etwas mehr,
Als, seicht am Geist, in strenger Lehrart schreiben.


Der Wuchrer
Ein Wuchrer kam in kurzer Zeit
Zu einem gräflichen Vermögen,
Nicht durch Betrug und Ungerechtigkeit,
Nein, er beschwur es oft, allein durch Gottes Segen.
Und um sein dankbar Herz Gott an den Tag zu legen,
Und auch vielleicht aus heiligem Vertraun,
Gott zur Vergeltung zu bewegen,
Ließ er ein Hospital für arme Fromme baun.
Indem er nun den Bau zustande brachte,
Und vor dem Hause stund, und heimlich überdachte,
Wie sehr verdient er sich um Gott und Arme machte,
Ging ein verschmitzter Freund vorbei.
Der Geizhals, der gern haben wollte,
Daß dieser Freund das Haus bewundern sollte,
Fragt ihn mit freudigem Geschrei,
Obs groß genug für Arme sei?
"Warum nicht?" sprach der Freund. "Hier können viel Personen
Recht sehr bequem beisammen sein;
Doch sollen alle die hier wohnen,
Die Ihr habt arm gemacht: so ist es viel zu klein."


Der wunderbare Traum
Aus einem alten Fabelbuche
(Der Titelbogen fehlt daran,
Sonst führt ichs meinen Lesern an),
Aus dem ich mich Rats zu erholen suche,
Wenn ich selbst nichts erfinden kann;
Ans diesem alten deutschen Buche,
Das mir schon manchen Dienst getan,
Will ich mir einen Traum erwählen.
Als ich einmal, so fängt mein Autor an,
Nach seiner Weise zu erzählen,
In einer Kirche saß, so fiel mir jähling ein:
Wer mag von so viel tausend Seelen,
Die diesen Ort zu ihrer Andacht wählen,
Doch wohl die frömmste Seele sein?
In den Gedanken schlief ich ein,
Und sah im Traum vor mir des Tempels Schutzgeist stehen,
"Du", sprach er, "wünschest dir, das frömmste Herz zu sehen?"
Und rührte mein Gesicht mit seiner Rechten an.
Mir kam, sobald er dies getan,
Ein sanfter kalter Schauer an.
Und plötzlich sah ich mich in heilgem Glanze stehen.
"Fang an", sprach er, "die Kirche durchzugehen.
Der, den dein Glanz so rührt, daß er dich dreimal küßt,
Der hat das frömmste Herz, das hier zu finden ist."
Ich ging, um es recht bald zu wissen,
In dem empfangnen Glanz hart vor der Sakristei
Einmal, und noch einmal, vorbei,
Weil mir es schien, als wolle man mich küssen.
Ich wartete noch eine gute Frist,
Und ward einmal; allein ganz kalt, geküßt.
Ich ging darauf in die Kapellen,
In denen ich die frömmsten Mienen fand,
Und alles schien sich aufzuhellen,
Man lächelte, man tat galant
Und küßte mir zur Not die Hand.
Drauf ließ ich mich auf einer höhern Bühne
Gesichtern, voll von Ernst und tiefer Weisheit, sehn.
Ich blieb ein feines Weilchen stehn.
Sie sahn mich an, und machten eine Miene,
Als ob sie sich an mir schon satt gesehn.
Und ungeküßt mußt ich von dannen gehn.
Ich stellte mich nun vor die niedern Stände.
Hier warfen mir viel weiße Hände,
Da einen Kuß, dort einen zu.
Ich ließ mein Auge lange fragen:
Ach, gutes Herz! wo wohnest du?
Allein man wollt es nicht, mich zu umarmen, wagen,
Und ich ging ganz betrübt auf meinen Schutzgeist zu.
Mein traurig Schicksal ihm zu klagen.
Indem, daß ich noch durch die Halle schlich,
Sah mich, in einem schlechten Kleide,
Ein liebes Mädchen an, und seht, sie küßte mich
Mit einer plötzlichen und unschuldsvollen Freude.
Und eh ich noch von ihr den dritten Kuß erhielt:
So fühlt ich schon die selgen Triebe
Der Redlichkeit und Menschenliebe
So stark in mir, als ich sie nie gefühlt.
Ein Mädchen, rief ich aus, an das die Welt kaum dachte,
Besitzt das beste Herz! Ich rief es, und erwachte.


Der zärtliche Mann
Die ihr so eifersüchtig seid,
Und nichts als Unbeständigkeit,
Den Männern vorzurücken pfleget!
O Weiber, überwindet euch,
Lest dies Gedicht und seid zugleich
Beschämt, und ewig widerleget.
Wir Männer sind es ganz allein,
Die einmal nur, doch ewig lieben;
Uns ist die Treu ins Blut geschrieben.
Beweist es! hör ich alle schrein.
Recht gut! Es soll bewiesen sein.
----
Ein liebes Weib ward krank, wovon? Von vieler Galle?
Die alte Spötterei! Kein Kluger glaubt sie mehr.
Nein, nein, die Weiber siechten alle,
Wenn diese Übel schädlich wär.
Genug, sie ward sehr krank. Der Mann wendt alles an,
Was man von Männern fordern kann;
Eilt, ihr zu rechter Zeit die Pulver einzuschütten;
Er läßt für seine Frau in allen Kirchen bitten,
Und gibt noch mehr dafür, als sonst gebräuchlich war:
Und doch vermehrt sich die Gefahr.
Er ächzt, er weint und schreit, er will mit ihr verderben.
"Ach Engel", spricht die Frau, "stell deine Klagen ein!
Ich werde mit Vergnügen sterben,
Versprich mir nur, nicht noch einmal zu frein."
Er schwört, sich keine mehr zu wählen.
"Dein Schatten", ruft er, "soll mich quälen,
Wenn mich ein zweites Weib besiegt."
Er schwört. Nun stirbt sein Weib vergnügt.
Wer kann den Kummer wohl beschreiben,
Der unsern Witwer überfällt?
Er weiß vor Jammer kaum zu bleiben;
Zu eng ist ihm sein Haus, zu klein ist ihm die Welt.
Er opfert seiner Frau die allertreusten Klagen,
Bleibt ohne Speis und Trank, sucht keine Lagerstatt;
Er klagt, und ist des Lebens satt.
Indes befiehlt die Zeit, sie in das Grab zu tragen.
Man legt der Seligen ihr schwarzes Brautkleid an;
Der Witwer tritt betränt an ihren Sarg hinan.
"Was?" fängt er plötzlich an zu fluchen,
"Was, Henker, was soll dieses sein?
Für eine tote Frau ein Brautkleid auszusuchen?
Gesetzt, ich wollte wieder frein:
So müßt ich ja ein neues machen lassen."
Ihr Leute kränkt ihn nicht, geht, holt ein ander Kleid,
Und laßt dem armen Witwer Zeit;
Er wird sich mit der Zeit schon fassen.


Der Zeisig
Ein Zeisig wars und eine Nachtigall,
Die einst zu gleicher Zeit vor Damons Fenster hingen.
Die Nachtigall fing an, ihr göttlich Lied zu singen,
Und Damons kleinem Sohn gefiel der süße Schall.
"Ach welcher singt von beiden doch so schön?
Den Vogel möcht ich wirklich sehn!"
Der Vater macht ihm diese Freude,
Er nimmt die Vögel gleich herein.
"Hier", spricht er, "sind sie alle beide;
Doch welcher wird der schöne Sänger sein?
Getraust du dich, mir das zu sagen?"
Der Sohn läßt sich nicht zweimal fragen,
Schnell weist er auf den Zeisig hin:
"Der", spricht er, "muß es sein, so wahr ich ehrlich bin.
Wie schön und gelb ist sein Gefieder!
Drum singt er auch so schöne Lieder;
Dem andern sieht mans gleich an seinen Federn an,
Daß er nichts Kluges singen kann."
----
Sagt, ob man im gemeinen Leben
Nicht oft wie dieser Knabe schließt?
Wem Farb und Kleid ein Ansehn geben,
Der hat Verstand, so dumm er ist.
Stax kömmt, und kaum ist Stax erschienen:
So hält man ihn auch schon für klug.
Warum? Seht nur auf seine Mienen,
Wie vorteilhaft ist jeder Zug!
Ein andrer hat zwar viel Geschicke;
Doch weil die Miene nichts verspricht:
So schließt man, bei dem ersten Blicke,
Aus dem Gesicht, aus der Perücke,
Daß ihm Verstand und Witz gebricht.


Die Bauern und der Amtmann
Ein sehr geschickter Kandidat,
Der lange schon mit vielem Lobe
Die Kanzeln in der Stadt betrat,
Tat auf dem Dorfe seine Probe;
Allein so gut er sie getan:
So stund er doch den Bauern gar nicht an.
Nein, der verstorbne Herr, das war ein andrer Mann,
Der hatte recht auf seinen Text studieret,
Und Gottes Wort, wie sichs gebühret,
Bald griechisch, bald ebräisch angeführet,
Die Kirchenväter oft zitieret,
Die Ketzer stattlich ausschändieret,
Und stets so fein schematisieret,
Daß er der Bauern Herz gerühret.
"Herr Amtmann, wie gesagt, erstatt Er nur Bericht,
Wir mögen diesen Herrn nicht haben."
"So sagt doch nur, warum denn nicht?"
"Er hörts ja wohl, er hat nicht solche Gaben
Wie der verstorbne Herr."
Der Amtmann widerspricht;
Der Suprintend ermahnt. Umsonst, sie hören nicht.
Man mag Amphion sein, und Fels und Wald bewegen,
Deswegen kann man doch nicht Bauern widerlegen.
Kurz, man erstattete Bericht,
Weil alle steif auf ihrem Sinn beharrten.
Nunmehr kömmt ein Befehl. Ich kann es kaum erwarten,
Bis ihn der Amtmann publiziert.
Ich wette fast, ihr Bauern, ihr verliert!
Man öffnet den Befehl. Und seht, der Landsherr wollte,
Daß man dem Kandidat das Priestertum vertraun,
Den Bauern Gegenteils es hart verweisen sollte.
Der Suprintend fing an die Bauern zu erbaun,
Und sprach, so schwierig sie noch schienen,
Doch sehr gelind und fromm mit ihnen.
"Herr Doktor!" fiel ihm drauf der Amtmann in das Wort,
"Wozu soll diese Sanftmut dienen?
Ihr Richter, Schöppen und so fort,
Hört zu! Ich will mein Amt verwalten.
Ihr Ochsen, die ihr alle seid!
Euch Flegeln geb ich den Bescheid,
Ihr sollt den Herrn zu eurem Pfarrn behalten.
Sagts, wollt ihr oder nicht? denn itzt sind wir noch da."
Die Bauern lächelten: "Ach ja, Herr Amtmann, ja!"


Die beiden Hunde
Daß oft die allerbesten Gaben
Die wenigsten Bewundrer haben,
Und daß der größte Teil der Welt
Das Schlechte für das Gute hält;
Dies Übel sieht man alle Tage;
Allein wie wehrt man dieser Pest?
Ich zweifle, daß sich diese Plage
Aus unsrer Welt verdringen läßt.
Ein einzig Mittel ist auf Erden;
Allein es ist unendlich schwer.
Die Narren müßten weise werden,
Und seht, sie werdens nimmermehr.
Nie kennen sie den Wert der Dinge.
Ihr Auge schließt, nicht ihr Verstand;
Sie loben ewig das Geringe,
Weil sie das Gute nie gekannt.
----
Zween Hunde dienten einem Herrn,
Der eine von den beiden Tieren,
Joli, verstund die Kunst, sich lustig aufzuführen,
Und wer ihn sah, vertrug ihn gern.
Er holte die verlornen Dinge,
Und spielte voller Ungestüm.
Man lobte seinen Scherz, belachte seine Sprünge;
Seht, hieß es, alles lebt an ihm!
Oft biß er mitten in dem Streicheln:
So falsch und boshaft war sein Herz;
Gleich fing er wieder an zu schmeicheln:
Dann hieß sein Biß ein feiner Scherz.
Er war verzagt und ungezogen;
Doch ob er gleich zur Unzeit bellt und schrie:
So blieb ihm doch das ganze Haus gewogen:
Er hieß der lustige Joli.
Mit ihm vergnügte sich Lisette,
Er sprang mit ihr zu Tisch und Bette;
Und beide teilten ihre Zeit
In Schlaf, in Scherz und Lustbarkeit;
Sie aber übertraf ihn weit.
Fidel, der andre Hund, war von ganz anderm Wesen.
Zum Witze nicht ersehn, zum Scherze nicht erlesen,
Sehr ernsthaft von Natur; doch wachsam um das Haus,
Ging öfters auf die Jagd mit aus;
War treu und herzhaft in Gefahr,
Und bellte nicht, als wenn es nötig war.
Er stirbt. Man hört ihn kaum erwähnen,
Man trägt ihn ungerühmt hinaus.
Joli stirbt auch. Da fließen Tränen!
Seht, ihn beklagt das ganze Haus.
Die ganze Nachbarschaft bezeiget ihren Schmerz.
So gilt ein bißchen Witz mehr, als ein gutes Herz!


Die beiden Knaben
Ein jüngrer und ein ältrer Bube,
Die der noch frühe Lenz aus der betrübten Stube
Vom Buche zu dem Garten rief,
Vielleicht, weil gleich ihr Informator schlief,
Gerieten beid an eine Grube,
In der der Schnee noch nicht zerlief.
"Ach Bruder", sprach der kleine Bube,
"Was meinst du, ist das Loch wohl tief?
Ich hätte Lust"--"Was? Lust, hineinzuspringen?
Du mußt doch ausgelassen sein.
Versuch es nicht und spring hinein,
Du könntest dich ums Leben bringen.
Wir können uns ja sonst noch wohl erfreun,
Als daß wir uns und unsern Kleidern schaden,
Und kindisch Schnee und Eis durchwaden.
Und kömmst du drauf zum Vater naß hinein:
So hast dus da erst auszubaden."
Doch keine Redekunst nahm unsern Knaben ein.
"Wer wird im Schnee denn gleich ersaufen?"
Und kurz und gut, er sprang hinein,
Und ließ sichs wohl in seiner Grube sein;
Doch kaum war er vor Kälte fortgelaufen:
So sprang der Philosoph so gut wie er hinein.
----
Dies ist die Kunst der strengen Moralisten.
Bekannt mit dem System, und von Grundsätzen voll,
Beweisen sie das, was man lassen soll,
So froh, als ob sie nichts von den Begierden wüßten.
Sie sind von besserm Ton als wir.
Sie bändigen ihr Herz durch die Gewalt der Schlüsse.
Uns Armen ist die Torheit süße;
Doch ihnen ekelt nur dafür.
Wir lassen sie, wenn wir sie unternehmen,
Aus gutem Herzen andern sehn,
Und denken nicht daran, daß wir uns so vergehn.
Sie aber, die gelehrt sich aller Torheit schämen,
Begehn die Tat, die sie uns übelnehmen,
Aus Tugend eher nicht, als bis wir es nicht sehn.


Die beiden Mädchen
Zwo junge Mädchen hofften beide,
Worauf? Gewiß auf einen Mann;
Denn dies ist doch die größte Freude,
Auf die ein Mädchen hoffen kann.
Die jüngste Schwester, Philippine,
War nicht unordentlich gebaut;
Sie hatt ein rund Gesicht, und eine zarte Haut;
Doch eine sehr gezwungne Miene.
So fest geschnürt sie immer ging,
So viel sie Schmuck ins Ohr, und vor den Busen hing,
So schön sie auch ihr Haar zusammenrollte;
So ward sie doch bei alledem,
Je mehr man sah, daß sie gefallen wollte,
Um desto minder angenehm.
Die andre Schwester, Caroline,
War im Gesichte nicht so zart;
Doch frei und reizend in der Miene,
Und liebreich mit gelaßner Art.
Und wenn man auf den heitern Wangen
Gleich kleine Sommerflecken fand:
Ward ihrem Reiz doch nichts dadurch entwandt,
Und selbst ihr Reiz schien solche zu verlangen.
Sie putzte sich nicht mühsam aus,
Sie prahlte nicht mit teuren Kostbarkeiten.
Ein artig Band, ein frischer Strauß,
Die über ihren Ort, den sie erlangt, sich freuten,
Und eine nach dem Leib wohl abgemeßne Tracht
War Carolinens ganze Pracht.
Ein Freier kam; man wies ihm Philippinen;
Er sah sie an, erstaunt, und hieß sie schön;
Allein sein Herz blieb frei, er wollte wieder gehn.
Kaum aber sah er Carolinen:
So blieb er vor Entzückung stehn.
----
Im Bilde dieser Frauenzimmer
Zeigt sich die Kunst und die Natur;
Die erste prahlt mit weit gesuchtem Schimmer,
Sie fesselt nicht; sie blendet nur.
Die andre sucht durch Einfalt zu gefallen,
Läßt sich bescheiden sehn; und so gefällt sie allen.


Die beiden Schwalben
Zwo Schwalben sangen um die Wette,
Und sangen mit dem größten Fleiß;
Doch wenn die eine schrie, daß sie den Vorzug hätte,
Gab doch die andre sich den Preis.
Die Lerche kömmt. Sie soll den Streit entscheiden;
Und beide stimmen herzhaft an.
"Nun", hieß es: "sprich, wer von uns beiden
Am meisterlichsten singen kann?"
"Das weiß ich nicht", sprach sie bescheiden,
Und sah sie ganz mitleidig an,
Und wollte sich nach ihrer Höhe schwingen.
Doch nein, sie suchten ihr den Ausspruch abzuzwingen.
"So", sprach sie, "will ichs denn gestehn:
Die kann so gut wie jene singen;
Doch singt, solang ihr wollt, es singt doch keine schön.
Hört man das Lied geistreicher Nachtigallen:
So kann uns eures nicht gefallen."
----
Ihr mittelmäßigen Skribenten,
O wenn wir euch doch friedsam machen könnten!
Ihr zankt, wer besser denkt? Laßt keinen Streit entstehn.
Wir wollen keinen von euch kränken;
Der eine kann so gut wie jener denken;
Doch keiner von euch denket schön.
Ihr Schwätzer! Zankt nicht um die Gaben
Der geistlichen Beredsamkeit.
Solange wir Mosheime haben:
So sehn wir ohne Schwierigkeit,
Daß ihr beredte Kinder seid.
Zankt nicht um eure hohen Gaben,
Ihr Gründlichen! o bleibt in Ruh.
Du demonstrierst wie er, und er so fein wie du;
Allein solange wir Leibnize vor uns haben:
So hört euch keine Seele zu.
O zankt nicht um des Phöbus Gaben,
Reimreiche Sänger unsrer Zeit!
Ihr alle reimt mit gleicher Fertigkeit;
Allein solange wir noch Hagedorne haben:
So denkt man nicht daran, daß ihr zugegen seid.


Die beiden Wächter
Zween Wächter, die schon manche Nacht
Die liebe Stadt getreu bewacht,
Verfolgten sich, aus aller Macht,
Auf allen Bier- und Branntweinbänken,
Und ruhten nicht, mit pöbelhaften Ränken,
Einander bis aufs Blut zu kränken;
Denn keiner brannte von dem Span,
Woran der andre sich den Tabak angezündet,
Aus Haß den seinen jemals an.
Kurz, jeden Schimpf, den nur die Rach erfindet,
Den Feinde noch den Feinden angetan,
Den taten sie einander an.
Und jeder wollte bloß den andern überleben,
Um noch im Sarg ihm einen Stoß zu geben.
Man riet und wußte lange nicht,
Warum sie solche Feinde waren;
Doch endlich kam die Sache vor Gericht,
Da mußte sichs denn offenbaren,
Warum sie, seit so vielen Jahren,
So heidnisch unversöhnlich waren.
Was war der Grund? Der Brotneid? War ers nicht?
Nein. Dieser sang: Verwahrt das Feuer und das Licht!
Allein so sang der andre nicht.
Er sang: Bewahrt das Feuer und das Licht!
Aus dieser so verschiednen Art,
An die sich beid im Singen zänkisch banden;
Aus dem verwahrt und dem bewahrt
War Spott, Verachtung, Haß, und Rach, und Wut entstanden.
----
Die Wächter, hör ich viele schrein,
Verfolgten sich um solche Kleinigkeiten?
Das mußten große Narren sein.
Ihr Herren! stellt die Reden ein,
Ihr könntet sonst unglücklich sein.
Wißt ihr denn nichts von so viel großen Leuten,
Die in gelehrten Streitigkeiten
Um Silben, die gleich viel bedeuten,
Sich mit der größten Wut entzweiten?


Die Betschwester
Die frömmste Frau in unsrer Stadt,
In Kleidern fromm, und fromm in Mienen,
Die stets den Mund voll Andacht hat,
Wird diese nicht ein Lied verdienen?
Wie lehrreich ist ihr Lebenslauf!
Kaum steht die fromme Frau von ihrem Lager auf;
Kaum tönt der Klang vom achten Stundenschlage:
So sucht sie das Gebet zu dem vorhandnen Tage.
Und ob sie gleich den Schritt in sechzig schon getan:
So ruft sie doch den Herrn noch heut um Keuschheit an.
Und ob sie gleich noch nie sich satt gegessen:
So fleht sie doch um Mäßigkeit im Essen.
Und ob sie gleich auf alle Pfänder leiht:
So seufzt sie doch um Trost bei ihrer Dürftigkeit.
Welch redlich Herz! Welch heiliges Vertrauen!
Sie liest das Jahr hindurch die Bibel zweimal aus,
Und reißt dadurch ihr ganzes Haus
Auf ewig aus des Teufels Klauen.
Zwölf Lieder stimmt sie täglich an.
Wer kömmt? Ists nicht ein armer Mann?
Geh, Frecher! willst du sie vielleicht im Singen stören?
Nein, wenn sie singt, kann sie nicht hören.
Geh nur, und hungre, wie zuvor.
Sie hebt ihr Herz zu Gott empor;
Soll sie dies Herz vom Himmel lenken,
Und itzt an einen Armen denken?
Sie singt, und trägt das Essen singend auf.
Sie ißt, und schmält auf böser Zeiten Lauf;
Allein wer klopft schon wieder an die Türe?
Ein armes Weib, die keinen Bissen Brot--
"Geht, quält mich nicht mit Eurer Not,
Wenn ich die Hand zum Munde führe.
Nicht wahr, Ihr singt und betet nicht?
Seid fromm, und denkt an Eure Pflicht:
Der Herr vergißt die Seinen nicht.
Wenn seht Ihr mich denn betteln gehen?
Allein man muß zu Gott auch brünstig schrein und flehen."
Doch ist die liebe fromme Frau
Nicht gar zu hart, nicht zu genau?
Wohnt nicht in ihr mehr Kaltsinn als Erbarmen?
Nein, nein! Sie dient und hilft den Armen;
Sie bessert sie durch Vorwurf und Verweis,
Und weist sie zu Gebet und Fleiß;
Ist dieses nicht der Schrift Geheiß?
Sie dient ja gern mit ihren Gütern,
Allein nur redlichen Gemütern.
Ist wohl ein frommes Weib in unsrer ganzen Stadt,
Das, in der Not, bei ihr nicht Zuflucht hat?
Sie mag ihr auch die kleinste Zeitung bringen:
So eilt sie doch, dem Weibe beizuspringen.
Ach ja! Beatens Herz ist willig und bereit,
Die Welt mag noch soviel an ihr zu tadeln finden.
Nicht nur den Lebenden nützt ihre Mildigkeit;
O nein! Sie weiß sich auch die Toten zu verbinden.
Wenn wird ein Kind zur Gruft gebracht,
Um dessen Sarg ihr Kranz sich nicht verdient gemacht?
Wenn sprechen nicht die Leichengäste:
Beatens Kranz war doch der beste!
Welch schönes Kruzifix! Von wem wird dieses sein?
Beate schickts und wills dem Leichnam weihn.
Das fromme Weib! Erlebt sie mein Erblassen:
So wird sie meinen Sarg gewiß versilbern lassen.
Sie kleidet Kanzel und Altar,
Und wird sie künftigs neue Jahr,
So sehr die andern sie beneiden,
Zum dritten Male doch bekleiden.
Man wirft ihr vor, sie solls aus Ehrsucht tun;
Noch kann ihr mildes Herz nicht ruhn.
Wer wars, der itzt in die Kollekte
Mit langsam schlauer Hand ein volles Briefchen steckte?
Beate wars, sie leiht dem Herrn,
Und was sie gibt, das gibt sie gern.
Was kann denn sie dafür, daß es die Leute sehen?
Beate! laß die Lästrer schmähen,
Und laß sie aus Verleumdung sprechen,
Du sollst die Allmacht nur bestechen,
Daß für den Wucher, den du treibst,
Du einstens ungestrafet bleibst.
Laß dich von andern spöttisch richten,
Als pflegtest du der Welt gern Laster anzudichten;
Als wäre dies für dich die liebste Neuigkeit,
Wenn andern Not und Unglück dräut;
Als hättest du nichts als der Tugend Schein.
Schweigt, Spötter, schweigt! Dies kann nicht sein;
Denn betend steht sie auf, und singend schläft sie ein.


Die Biene und die Henne
"Nun Biene", sprach die träge Henne,
"Dies muß ich in der Tat gestehn,
So lange Zeit, als ich dich kenne:
So seh ich dich auch müßiggehn.
Du sinnst auf nichts, als dein Vergnügen;
Im Garten auf die Blumen fliegen,
Und ihren Blüten Saft entziehn,
Mag eben nicht so sehr bemühn.
Bleib immer auf der Nelke sitzen,
Dann fliege zu dem Rosenstrauch,
Wär ich wie du, ich tät es auch.
Was brauchst du andern viel zu nützen?
Genug, daß wir so manchen Morgen
Mit Eiern unser Haus versorgen."
"O!" rief die Biene, "spotte nicht!
Du denkst, weil ich bei meiner Pflicht
Nicht so, wie du bei einem Eie,
Aus vollem Halse zehnmal schreie:
So, denkst du, wär ich ohne Fleiß.
Der Bienenstock sei mein Beweis,
Wer Kunst und Arbeit besser kenne,
Ich, oder eine träge Henne?
Denn wenn wir auf den Blumen liegen:
So sind wir nicht auf uns bedacht;
Wir sammeln Saft, der Honig macht,
Um fremde Zungen zu vergnügen.
Macht unser Fleiß kein groß Geräusch,
Und schreien wir bei warmen Tagen,
Wenn wir den Saft in Zellen tragen,
Uns nicht, wie du im Neste, heisch:
So präge dir es itzund ein:
Wir hassen allen stolzen Schein;
Und wer uns kennen will, der muß in Rost und Kuchen
Fleiß, Kunst und Ordnung untersuchen.
Auch hat uns die Natur beschenkt,
Und einen Stachel eingesenkt,
Damit wir die bestrafen sollen,
Die, was sie selber nicht verstehn,
Doch meistern, und verachten wollen:
Drum, Henne! rat ich dir, zu gehn."
----
O Spötter, der mit stolzer Miene,
In sich verliebt, die Dichtkunst schilt;
Dich unterrichtet dieses Bild.
Die Dichtkunst ist die stille Biene;
Und willst du selbst die Henne sein:
So trifft die Fabel völlig ein.
Du fragst, was nützt die Poesie?
Sie lehrt und unterrichtet nie.
Allein wie kannst du doch so fragen?
Du siehst an dir, wozu sie nützt:
Dem, der nicht viel Verstand besitzt,
Die Wahrheit, durch ein Bild, zu sagen.


Die Ente
Die Ente schwamm auf einer Pfütze,
Und sah am Rande Gänse gehn,
Und konnt aus angebornem Witze
Der Spötterei unmöglich widerstehn.
Sie hob den Hals empor, und lachte dreimal laut,
Und sah um sich, so wie ein Witzling um sich schaut,
Der einen Einfall hat, und mit Geschrei und Lachen
So glücklich ist, ihm Luft zu machen.
Die Ente lachte noch, und eine Gans blieb stehn.
"Was", sprach sie, "hast du uns zu sagen?"
"Ach nichts! Ich hab euch zugesehn,
Ihr könnt vortrefflich auswärts gehn.
Wie lange tanzt ihr schon? Das wollt ich euch nur fragen."
"Das", sprach die Gans, "will ich dir gerne sagen;
Allein du mußt mit mir spazierengehn."
----
Ihr Kleinen, die ihr stets so gern auf Größre schmähet,
An ihnen tausend Fehler sehet,
Die ihr an euch doch nie entdeckt;
Glaubt, daß an euch der Sumpf, in dem ihr euch so blähet,
Dieselben Fehler auch versteckt.
Und sollen sie der Welt, wie euch, unsichtbar bleiben:
So laßt euch nicht daraus vertreiben!


Die Fliege
Daß alle Tiere denken können,
Dies scheint mir ausgemacht zu sein.
Ein Mann, den auch die Kinder witzig nennen,
You have read 1 text from German literature.
Next - Fabeln und Erzählungen - 6
  • Parts
  • Fabeln und Erzählungen - 1
    Total number of words is 4465
    Total number of unique words is 1500
    40.9 of words are in the 2000 most common words
    54.8 of words are in the 5000 most common words
    60.9 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Fabeln und Erzählungen - 2
    Total number of words is 4546
    Total number of unique words is 1474
    42.8 of words are in the 2000 most common words
    57.0 of words are in the 5000 most common words
    63.8 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Fabeln und Erzählungen - 3
    Total number of words is 4556
    Total number of unique words is 1477
    42.6 of words are in the 2000 most common words
    56.9 of words are in the 5000 most common words
    63.6 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Fabeln und Erzählungen - 4
    Total number of words is 4555
    Total number of unique words is 1484
    43.0 of words are in the 2000 most common words
    57.2 of words are in the 5000 most common words
    63.5 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Fabeln und Erzählungen - 5
    Total number of words is 4536
    Total number of unique words is 1534
    40.1 of words are in the 2000 most common words
    55.9 of words are in the 5000 most common words
    62.9 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Fabeln und Erzählungen - 6
    Total number of words is 4504
    Total number of unique words is 1494
    41.4 of words are in the 2000 most common words
    56.9 of words are in the 5000 most common words
    62.3 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Fabeln und Erzählungen - 7
    Total number of words is 4573
    Total number of unique words is 1470
    40.6 of words are in the 2000 most common words
    56.2 of words are in the 5000 most common words
    62.8 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Fabeln und Erzählungen - 8
    Total number of words is 891
    Total number of unique words is 445
    53.2 of words are in the 2000 most common words
    65.9 of words are in the 5000 most common words
    69.5 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.