Fabeln und Erzählungen - 4

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Noch den Dunst von seinem Gute.
Endlich, da sein Auge bricht,
Spricht er: "Laß mir alles liegen!
Sterb ich, so sollst du es kriegen;
Aber, Bruder, eher nicht.
Sollt ich nur so glücklich sein,
Und das schöne Schinkenbein,
Das ich--doch ich mags nicht sagen,
Wo ich dieses hingetragen.
Werd ich wiederum gesund:
Will ich dir, bei meinem Leben,
Auch die beste Hälfte geben;
Ja du sollst--" Hier starb der Hund.
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Der Geizhals bleibt im Tode karg;
Zween Blicke wirft er auf den Sarg,
Und tausend wirft er mit Entsetzen
Nach den mit Angst verwahrten Schätzen.
O schwere Last der Eitelkeit!
Um schlecht zu leben, schwer zu sterben,
Sucht man sich Güter zu erwerben;
Verdient ein solches Glück wohl Neid?


Der junge Drescher
Dem Drescher, der im weichen Gras
Vor seinem Topf, mit Milch und schwarzem Brote, saß,
Dem wollte seine Milch nicht schmecken.
Er fing verdrießlich an, sich in das Gras zu strecken,
Dacht ängstlich seinem Schicksal nach,
Und dehnte sich dreimal, und sprach:
Du bist ein schlechter Kerl, du hast kein eignes Dach,
Und mußt dich Tag vor Tag mit deinem Flegel plagen.
Du tätst ja gern mit deinem Schatze schön;
Allein, du Narr, mußt in der Scheune stehn,
Und kannst nach langen vierzehn Tagen
Kaum einmal in die Schenke gehn,
Und einen Krug mit Bier und deine Mieke sehn.
Du bist noch jung, und kannst hübsch lesen und hübsch schreiben,
Und wolltest stets ein Drescher bleiben?
Des Schulzens Tochter ist dir gut,
Ist reich und kann sich hübsch gebärden:
So nimm sie doch. Du kannst, mein Blut!
Wohl mit der Zeit noch Schulze werden.
Alsdann ißt du dein Stücke Fleisch in Ruh,
Und trinkst dein gutes Bier dazu,
Und hast gleich nach dem Pfarr die Ehre--
O wenn ich doch schon Schulze wäre!
Indem Hanns noch so sprach, kam seine Schöne her.
Sie tat, als käme sie nur so von ungefähr;
Allein sie kam mit Fleiß, weil sie ihn sprechen wollte,
Und er verwegen sein, und sie recht herzen sollte.
Denn Mädchen, wenn sie gleich das Dorf erzogen hat,
Sind wie die Mädchen in der Stadt.
Hanns zieht die Schöne sanft zu sich ins Grüne nieder,
Lobt ihren neuen Latz, schielt öfters auf ihr Mieder,
Fast wie ein junger Herr. Nur mit dem Unterscheid,
Er hatte mehr Schamhaftigkeit.
Kurz, er fing an, sie recht verliebt zu küssen,
Bat um ihr Herz, und trug ihr Herz davon,
Und ward, wie viele noch auf diesem Dorfe wissen,
Des reichen Schulzen Schwiegersohn.
Kaum hatt er sie, so ward der Alte schon
Durch schnellen Tod der Welt und seinem Dorf entrissen.
Wen wird man nun Herr Schulze grüßen?
Wen anders, als den Schwiegersohn?
Er eilt ins Amt, kömmt bald und freudig wieder,
Und wirft sich auf die Bank, als Schulz im Dorfe, nieder.
So wie ein durch den Fleiß vollendeter Student,
Nach einem glücklichen Examen,
Sich selbst vor trunkner Lust nicht kennt,
Wenn ihn die Magd in seiner Schöne Namen,
Nach einem tiefen Kompliment,
Das erstemal Herr Doktor nennt:
So wußt auch Hanns vor großer Freude
Nicht, wo er Händ und Füße ließ,
Als ihn Schulmeisters Adelheide
Das erstemal Herr Schulze hieß.
Wie glücklich pries er sich in seiner Ehrenstelle!
Er aß sein Fleisch, und tat den Gästen oft Bescheid.
Allein es kamen mit der Zeit
Auch viel unangenehme Fälle.
Denn welches Amt ist wohl davon befreit?
Nach einer nicht gar langen Zeit
Warf sich Herr Hanns verdrießlich auf die Stelle,
Auf der er sich sein Glück erfreit,
Und oft gewünscht: Wenn ich doch Schulze wäre!
Ich, fing er zu sich selber an,
Ich habe Haus, und Hof, und Ehre,
Und bin mit alledem doch ein geplagter Mann.
Bald soll ich von der Bauern Leben
Im Amte Red und Antwort geben,
Da fährt mich denn der Amtmann an,
Und heißt mich einen dummen Mann.
Bald quälen mich die teuflischen Soldaten,
Und fluchen mir die Ohren voll.
Bald weiß ich mir bei den Mandaten,
Bald in Quatembern nicht zu raten,
Die ich dem Landknecht schaffen soll.
Die Bauern brummen, wenn ich strafe,
Und straf ich nicht: so lachen sie mich aus.
Sonst störte mich kein Mensch im Schlafe,
Itzt pocht mich jeder Narr heraus,
Und, wenn es niemand tut, so hunzt die Frau mich aus.
O wäre mirs nur keine Schande,
Ich griffe nach dem ersten Stande,
Und stürb als Drescher auf dem Lande.
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Wer weiß, ob mancher Große nicht
Im Herzen wie der Schulze spricht?
Wer weiß, wie viele sonst zu Fuße ruhig waren,
Die itzund mißvergnügt in stolzen Kutschen fahren?
Wer weiß, ob manches Herz nicht viel zufriedner schlug,
Eh es der Fürsten Gunst an einem Bande trug?
O lernt, ihr unzufriednen Kleinen,
Daß ihr die Ruh nicht durch den Stand gewinnt!
Lernt doch, daß die am mindsten glücklich sind,
Die euch am meisten glücklich scheinen!


Der junge Gelehrte
Ein junger Mensch, der viel studierte,
Und, wie die Eltern ganz wohl sahn,
Was Großes schon im Schilde führte,
Sprach einen Greis um solche Schriften an,
Die stark und sinnreich denken lehrten,
Mit einem Wort, die zum Geschmack gehörten.
Der Alte ward von Herzen froh,
Und lobt ihm den Homer, den Plato, Cicero,
Und hundert mehr aus alt und neuer Zeit,
Die mit den heilgen Lorbeerkränzen
Der Dichtkunst und Wohlredenheit,
Umleuchtet von der Ewigkeit,
Den Jünglingen entgegenglänzen.
"O", hub der junge Mensch mit stolzem Lächeln an:
"Ich habe sie fast alle durchgelesen;
Allein"--"Nun gut", sprach der gelehrte Mann,
"Sind sie nach Seinem Sinn gewesen:
So muß Er sie noch zweimal lesen;
Doch sind sie Ihm nicht gut genug gewesen:
So sag Ers ja den Klugen nicht,
Denn sonst erraten sie, woran es Ihm gebricht,
Und heißen Ihn die Zeitung lesen."


Der junge Prinz
Ein junger Prinz, der sich des Oheims Gunst empfohlen,
Bekam von ihm zweihundert Stück Pistolen
Mit der Ermunterung, damit wohl umzugehn.
Er ließ nach einger Zeit sich wieder vor ihm sehn.
Indem daß nun der Oheim mit ihm redte:
So fragt er ihn zu gleicher Zeit,
Ob er das letzte Geld wohl angewendet hätte?
"Hier", sprach der junge Prinz erfreut,
"Hier hab ich meine ganze Kasse;
An den zweihunderten fehlt nicht ein einzig Stück."
Der Oheim nahm den Augenblick
Das Geld, und warf es auf die Gasse.
"Lernt, Prinz", fing drauf der Oheim an,
"Die Kunst, das Geld nutzbarer anzuwenden;
Ein Prinz hat darum viel in Händen,
Damit er vielen dienen kann."


Der Jüngling
Ein Jüngling, welcher viel von einer Stadt gehört,
In der der Segen wohnen sollte,
Entschloß sich, daß er da sich niederlassen wollte.
Dort, sprach er oft, sei dir dein Glück beschert.
Er nahm die Reise vor, und sah schon mit Vergnügen
Die liebe Stadt auf einem Berge liegen.
Gottlob! fing unser Jüngling an,
Daß ich die Stadt schon sehen kann;
Allein der Berg ist steil. O, wär er schon erstiegen!
Ein fruchtbar Tal stieß an des Berges Fuß.
Die größte Menge schöner Früchte
Fiel unserm Jüngling ins Gesichte.
O, dacht er, weil ich doch sehr lange steigen muß:
So will ich, meinen Durst zu stillen,
Den Reisesack mit solchen Früchten fällen.
Er aß, und fand die Frucht vortrefflich vom Geschmack,
Und füllte seinen Reisesack.
Er stieg den Berg hinan, und fiel den Augenblick
Beladen in das Tal zurück.
"O Freund!" rief einer von den Höhen,
"Der Weg zu uns ist nicht so leicht zu gehen.
Der Berg ist steil, und mühsam jeder Schritt.
Und du nimmst dir noch eine Bürde mit?
Vergiß das Obst, das du zu dir genommen,
Sonst wirst du nicht auf diesen Gipfel kommen.
Steig leer, und steig beherzt, und gib dir alle Müh;
Denn unser Glück verdienet sie."
Er stieg, und sah empor, wie weit er steigen müßte.
Ach Himmel! ach, es war noch weit.
Er ruht und aß zu gleicher Zeit
Von seiner Frucht, damit er sich die Müh versüßte.
Er sah bald in das Tal, und bald den Berg hinan;
Hier traf er Schwierigkeit und dort Vergnügen an.
Er sinnt. Ja ja, er mag es überlegen.
Steig, sagt ihm sein Verstand, bemüh dich um dein Glück.
Nein, sprach sein Herz, kehr in das Tal zurück;
Du steigst sonst über dein Vermögen.
Ruh etwas aus, und iß dich satt,
Und warte, bis dein Fuß die rechten Kräfte hat.
Dies tat er auch. Er pflegte sich im Tale,
Entschloß sich oft zu gehn, und schien sich stets zu matt.
Das erste Hindernis galt auch die andern Male.
Kurz, er vergaß sein Glück, und kam nie in die Stadt.
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Dem Jüngling gleichen viele Christen.
Sie wagen auf der Bahn der Tugend einen Schritt,
Und sehn darauf nach ihren Lüsten,
Und nehmen ihre Lüste mit.
Beschwert mit diesen Hindernissen,
Weicht bald ihr träger Geist zurück.
Und, auf ein sinnlich Glück beflissen,
Vergessen sie die Müh um ein unendlich Glück.


Der Kandidat
Ein Kandidat, der gern befördert werden wollte,
Lag einem sehr berühmten Mann,
Der viel vermocht, inständig an,
Daß er sein Glück ihm machen sollte,
Und reichte, weil ein Platz im Ratstuhl offen war,
Dem Gönner eine Bittschrift dar.
Der Gönner las sie durch, und las sie mit Vergnügen.
"Es kränkt mich", fing er an, und nahm ihn bei der Hand,
"Daß ich Sie eher nicht gekannt.
Ich lieb und ehre den Verstand.
Sie sollen dieses Amt vor allen andern kriegen."
Er sprach darauf mit ihm, und was der Jüngling sprach,
Verriet den besten Geist, geschaffen zum Studieren,
Zum größten Amte nicht zu schwach,
Und wert, die andern zu regieren.
"Ach!" sprach der Gönner ganz erfreut,
"Nun kenn ich Sie; das Amt ist Ihre",
Und in der größten Freundlichkeit
Ging er mit ihm bis vor die Türe.
Hier bot der Jüngling ihm ein großes Goldstück an,
Um sichrer noch zu gehn. "Nein", sprach der wackre Mann,
"Nunmehr soll dieses Amt nicht Ihre;
Denn wer Geschenke gibt, nimmt sie auch wieder an;
Ihr Herz ist schlecht." Hier griff er nach der Türe.


Der Knabe
Ein Knabe, der den fleißigen Papa,
Oft nach den Sternen gucken sah,
Wollt auch den Himmel kennenlernen.
Er blieb steif vor dem Sehrohr stehn,
Und sah begierig nach den Sternen;
Allein er konnte nicht viel sehn.
"Was heißt es denn", sprach drauf der Knabe,
"Daß ich fast nichts erkennen kann?
Ha, ha, nun fällt mirs ein, was ich vergessen habe;
Mein Vater fängt es anders an,
Er blinzt zuweilen zu, das hab ich nicht getan.
O bin ich nicht ein dummer Knabe!
Schon gut! Nun weiß ich, was ich tu."
Und hurtig hielt er sich die Augen beide zu,
Und sah durchs Sehrohr nach den Sternen.
Der Narr! Was sah er denn? Das alles, was du siehst,
Wenn du, um durch die Schrift Gott deutlich sehn zu lernen,
Dir die Vernunft vorher entziehst.


Der Kranke
Ein Mann, den lange schon die Gliederkrankheit plagte,
Tat alles, was man ihm nur sagte,
Und konnte doch von seiner Pein
Auf keine Weise sich befrein.
Ein altes Weib, der er sein Elend klagte,
Schlug ihm geheimnisvoll ein magisch Mittel vor.
"Ihr müßt Euch", zischt sie ihm ins Ohr,
"Auf eines Frommen Grab bei früher Sonne setzen,
Und Euch mit dem gefallnen Tau
Dreimal die Hand, dreimal den Schenkel netzen;
Es hilft, gedenkt an eine Frau."
Der Kranke tat, was ihm die Alte sagte;
Denn sagt, was tut man nicht, ein Übel los zu sein?
Er ging zum Kirchhof hin, und zwar, sobald es tagte,
Und trat an einen Leichenstein,
Und las: "Wer dieser Mann gewesen,
Läßt, Wandrer, dich sein Grabmal lesen:
Er war das Wunder seiner Zeit,
Das Muster wahrer Frömmigkeit;
Und, daß man viel mit wenig Worten sagt,
Er ists, den Kirch und Schul, und Stadt und Land beklagt."
Hier setzt sich der Geplagte nieder,
Benetzt die halb gelähmten Glieder;
Doch ohne Wirkung bleibt die Kur,
Sein Gliederschmerz vermehrt sich nur.
Er greift betrübt nach seinem Stabe,
Schleicht von des frommen Mannes Grabe,
Und setzt sich auf das nächste Grab,
Dem keine Schrift ein Denkmal gab;
Hier nahm sein Schmerz allmählich ab.
Er braucht sogleich sein Mittel wieder;
Schnell lebten die gelähmten Glieder,
Und, ohne Schmerz und ohne Stab,
Verließ er dieses fromme Grab.
"Ach", rief er, "läßt kein Stein mich lesen,
Wer dieser fromme Mann gewesen?"
Der Küster kam von ungefähr herbei;
Den fragt der Mann, wer hier begraben sei?
Der Küster läßt sich lange fragen,
Als könnt ers ohne Scheu nicht sagen.
"Ach!" hub er endlich seufzend an:
"Verzeih mirs Gott! es war ein Mann,
Dem, weil er Ketzereien glaubte,
Man kaum ein ehrlich Grab erlaubte;
Ein Mann, der lose Künste trieb,
Komödien und Verse schrieb;
Er war, wie ich mit Recht behaupte,
Ein Neuling und ein Bösewicht."
"Nein!" sprach der Mann, "das war er nicht,
So gottlos ihn die Leute schalten;
Doch jener dort, den ihr für fromm gehalten,
Von dem sein Grab so rühmlich spricht,
Der war gewiß ein Bösewicht."


Der Kuckuck
Der Kuckuck sprach mit einem Star,
Der aus der Stadt entflohen war.
"Was spricht man", fing er an zu schreien,
"Was spricht man in der Stadt von unsern Melodeien?
Was spricht man von der Nachtigall?"
"Die ganze Stadt lobt ihre Lieder."
"Und von der Lerche?" rief er wieder.
"Die halbe Stadt lobt ihrer Stimme Schall."
"Und von der Amsel?" fuhr er fort.
"Auch diese lobt man hier und dort."
"Ich muß dich doch noch etwas fragen:
Was", rief er, "spricht man denn von mir?"
"Das", sprach der Star, "das weiß ich nicht zu sagen;
Denn keine Seele redt von dir."
"So will ich", fuhr er fort, "mich an dem Undank rächen,
Und ewig von mir selber sprechen."


Der Lügner
Ihr Meister in der Kunst zu lügen,
Rühmt euren Witz, schlau zu betrügen,
Soviel ihr uns davon erzählt:
So wett ich doch, daß euch die rechte List noch fehlt.
Ein schlechter Mensch, ihr werdet lachen,
Wird euch den Vorzug streitig machen.
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In London saß ein böser Bube
Nebst einem andern auf den Tod.
Ein Anatomikus trat in die Kerkerstube,
Und tat auf seinen Leib dem einen ein Gebot.*
Doch Niklas schwor, daß ihn der Teufel holen sollte,
Eh er für diesen Preis dem Arzt sich lassen wollte.
"Herr", schrie der andre Delinquent,
"Sagt, wie Ihr um den Kerl so lange handeln könnt?
Laßt seinen magern Leib den Raben.
Seht, wie gesund ich bin, wie fett! Ihr sollt mich haben.
Und wißt Ihr, was Ihr geben sollt?
Ich will es billig mit Euch machen:
Drei Gulden. Bin ich tot: so schneidet, wie Ihr wollt,
Ich will von keinem Schnitt erwachen."
Kaum hat er noch das Geld empfangen:
So rief der witzge Delinquent:
"Gelogen! Herr, seht zu, wie Ihr mich kriegen könnt!
Ich werd in Ketten aufgehangen."


Der Maler
Ein kluger Maler in Athen,
Der minder, weil man ihn bezahlte,
Als, weil er Ehre suchte, malte,
Ließ einen Kenner einst den Mars im Bilde sehn,
Und bat sich seine Meinung aus.
Der Kenner sagt ihm frei heraus,
Daß ihm das Bild nicht ganz gefallen wollte,
Und daß es, um recht schön zu sein,
Weit minder Kunst verraten sollte.
Der Maler wandte vieles ein:
Der Kenner stritt mit ihm aus Gründen,
Und konnt ihn doch nicht überwinden.
Gleich trat ein junger Geck herein,
Und nahm das Bild in Augenschein.
"O", rief er, bei dem ersten Blicke,
"Ihr Götter, welch ein Meisterstücke!
Ach welcher Fuß! O wie geschickt
Sind nicht die Nägel ausgedrückt!
Mars lebt durchaus in diesem Bilde.
Wie viele Kunst, wie viele Pracht,
Ist in dem Helm, und in dem Schilde,
Und in der Rüstung angebracht!"
Der Maler ward beschämt gerühret,
Und sah den Kenner kläglich an.
"Nun", sprach er, "bin ich überführet!
Ihr habt mir nicht zuviel getan."
Der junge Geck war kaum hinaus:
So strich er seinen Kriegsgott aus.
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Wenn deine Schrift dem Kenner nicht gefällt;
So ist es schon ein böses Zeichen;
Doch wenn sie gar des Narren Lob erhält:
So ist es Zeit, sie auszustreichen.


Der Polyhistor
An jenem Fluß, zu dem wir alle müssen,
Es mag uns noch so sehr verdrüßen,
An jenem Fluß kam einst ein hochgelehrter Mann,
Bestäubt von seinen Büchern, an,
Und eilte zu des Charons Kahn.
"Willkommen!" fing der Fährmann an,
Indem er sich aufs Ruder lehnte,
Und bei dem Wort Willkommen herzlich gähnte,
"Wer seid Ihr denn, mein lieber Mann?"
"Ein Polyhistor", sprach der Schatten,
"Für den die Schulen Ehrfurcht hatten--"
Indem er noch vor Charons Kahn
Von seinen Sprachen sprach, von nichts als Stümpern redte,
Und von Quartanten schrie, die er geschrieben hätte,
Kam noch ein andrer Schatten an,
Mit einer demutsvollen Miene.
"Und wer seid Ihr, auch ein gelehrter Mann?"
"Ich zweifle sehr", sprach er, "ob ich den Ruhm verdiene.
Ich habe nichts als mich studiert.
Nichts als mein Herz, das mich so oft verführt,
Des Tiefe sucht ich zu ergründen,
Um meine Ruh und andrer Ruh zu finden;
Allein soviel ich immer nachgedacht,
Und so bekannt ich mich mit der Vernunft gemacht:
So hab ichs doch nicht weit gebracht,
Wie mich viel Fehler überzeugen."
Der Polyhistor hörts und lacht,
Und eilt, um in den Kahn zuallererst zu steigen.
"Zurück!" rief Charon ziemlich hart,
"Ich muß zuerst den Klugen überfahren,
Kaum einer kömmt in hundert Jahren;
Allein an Leuten Eurer Art,
Die stolze Polyhistor waren,
Hab ich mich schon bald lahm gefahren."


Der Prozeß
Ja, Prozesse müssen sein!
Gesetzt, sie wären nicht auf Erden,
Wie könnt alsdann das Mein und Dein
Bestimmet und entschieden werden?
Das Streiten lehrt uns die Natur.
Drum, Bruder, recht' und streite nur.
Du siehst, man will dich übertäuben;
Doch gib nicht nach, setz alles auf,
Und laß dem Handel seinen Lauf;
Denn Recht muß doch Recht bleiben.
"Was sprecht Ihr, Nachbar? Dieser Rain,
Der sollte, meint Ihr, Euer sein?
Nein, er gehört zu meinen Hufen."
"Nicht doch, Gevatter, nicht, Ihr irrt;
Ich will Euch zwanzig Zeugen rufen,
Von denen jeder sagen wird,
Daß lange vor der Schwedenzeit--"
"Gevatter, Ihr seid nicht gescheit!
Versteht Ihr mich? Ich will Euchs lehren,
Daß Rain und Gras mir zugehören.
Ich will nicht eher sanfte ruhn;
Das Recht, das soll den Ausspruch tun."
So saget Kunz, schlägt in die Hand,
Und rückt den spitzen Hut die Quere.
"Ja, eh ich diesen Rain entbehre,
So meid ich lieber Gut und Land."
Der Zorn bringt ihn zu schnellen Schritten,
Er eilet nach der nahen Stadt.
Allein, Herr Glimpf, sein Advokat,
War kurz zuvor ins Amt geritten.
Er läuft, und holt Herrn Glimpfen ein.
Wie, sprecht ihr, kann das möglich sein?
Kunz war zu Fuß, und Glimpf zu Pferde.
So glaubt ihr, daß ich lügen werde?
Ich bitt euch, stellt das Reden ein,
Sonst werd ich, diesen Schimpf zu rächen,
Gleich selber mit Herrn Glimpfen sprechen.
Ich sag es noch einmal, Kunz holt Herr Glimpfen ein,
Greift in den Zaum, und grüßt Herr Glimpfen.
"Herr!" fängt er ganz erbittert an,
"Mein Nachbar, der infame Mann,
Der Schelm, ich will ihn zwar nicht schimpfen;
Der, denkt nur, spricht, der schmale Rain,
Der zwischen unsern Feldern lieget,
Der, spricht der Narr, der wäre sein.
Allein den will ich sehn, der mich darum betrüget.
Herr", fuhr er fort, "Herr, meine beste Kuh,
Sechs Scheffel Haber noch dazu!
(Hier wieherte das Pferd vor Freuden.)
O dient mir wider ihn, und helft die Sach entscheiden."
"Kein Mensch", versetzt Herr Glimpf, "dient freudiger als ich.
Der Nachbar hat nichts einzuwenden,
Ihr habt das größte Recht in Händen;
Aus Euren Reden zeigt es sich.
Genug, verklagt den Ungestümen!
Ich will mich zwar nicht selber rühmen,
Dies tut kein ehrlicher Jurist;
Doch dieses könnt Ihr leicht erfahren,
Ob ein Prozeß, seit zwanzig Jahren,
Von mir verloren worden ist?
Ich will Euch Eure Sache führen,
Ein Wort, ein Mann! Ihr sollt sie nicht verlieren."
Glimpf reutet fort. "Herr", ruft ihm Kunz noch nach,
"Ich halte, was ich Euch versprach."
Wie hitzig wird der Streit getrieben!
Manch Ries Papier wird vollgeschrieben.
Das halbe Dorf muß in das Amt;
Man eilt, die Zeugen abzuhören,
Und fünfundzwanzig müssen schwören,
Und diese schwören insgesamt,
Daß, wie die alte Nachricht lehrte,
Der Rain ihm gar nicht zugehörte.
Ei, Kunz, das Ding geht ziemlich schlecht!
Ich weiß zwar wenig von dem Rechte;
Doch im Vertraun geredt, ich dächte,
Du hättest nicht das größte Recht.
Manch widrig Urteil kömmt; doch laßt es widrig klingen!
Glimpf muntert den Klienten auf:
"Laßt dem Prozesse seinen Lauf,
Ich schwör Euch, endlich durchzudringen,
Doch--
"Herr, ich hör es schon; ich will das Geld gleich bringen."
Kunz borgt manch Kapital. Fünf Jahre währt der Streit;
Allein, warum so lange Zeit?
Dies, Leser, kann ich dir nicht sagen,
Du mußt die Rechtsgelehrten fragen.
Ein letztes Urteil kömmt. O seht doch, Kunz gewinnt!
Er hat zwar viel dabei gelitten;
Allein was tuts, daß Haus und Hof verstritten,
Und Haus und Hof schon angeschlagen sind?
Genug, daß er den Rain gewinnt.
"O", ruft er, "lernt von mir, den Streit aufs höchste treiben,
Ihr seht ja, Recht muß doch Recht bleiben!"


Der Reisende
Ein Wandrer bat den Gott der Götter,
Den Zeus, bei ungestümem Wetter,
Um stille Luft und Sonnenschein.
Umsonst! Zeus läßt sich nicht bewegen;
Der Himmel stürmt mit Wind und Regen,
Denn stürmisch sollt es heute sein.
Der Wandrer setzt mit bittrer Klage,
Daß Zeus mit Fleiß die Menschen plage,
Die saure Reise mühsam fort.
Sooft ein neuer Sturmwind wütet,
Und schnell ihm stillzustehn gebietet:
Sooft ertönt ein Lästerwort.
Ein naher Wald soll ihn beschirmen;
Er eilt, dem Regen und den Stürmen
In diesem Holze zu entgehn;
Doch eh der Wald ihn aufgenommen:
So sieht er einen Räuber kommen,
Und bleibt vor Furcht im Regen stehn.
Der Räuber greift nach seinem Bogen,
Den schon die Nässe schlaff gezogen;
Er zielt, und faßt den Pilger wohl;
Doch Wind und Regen sind zuwider;
Der Pfeil fällt matt vor dem danieder,
Dem er das Herz durchbohren soll.
"O Tor!" läßt Zeus sich zornig hören,
"Wird dich der nahe Pfeil nun lehren,
Ob ich dem Sturm zu viel erlaubt?
Hätt ich dir Sonnenschein gegeben,
So hätte dir der Pfeil das Leben,
Das dir der Sturm erhielt, geraubt."


Der Schatz
Ein kranker Vater rief den Sohn.
"Sohn!" sprach er, "um dich zu versorgen,
Hab ich vor langer Zeit einst einen Schatz verborgen;
Er liegt--" Hier starb der Vater schon.
Wer war bestürzter als der Sohn?
"Ein Schatz! (So waren seine Worte.)
Ein Schatz! Allein an welchem Orte?
Wo find ich ihn?" Er schickt nach Leuten aus,
Die Schätze sollen graben können,
Durchbricht der Scheuern harte Tennen,
Durchgräbt den Garten und das Haus,
Und gräbt doch keinen Schatz heraus.
Nach viel vergeblichem Bemühen
Heißt er die Fremden wieder ziehen,
Sucht selber in dem Hause nach,
Durchsucht des Vaters Schlafgemach,
Und findt mit leichter Müh (wie groß war sein Vergnügen!)
Ihn unter einer Diele liegen.
----
Vielleicht, daß mancher eh die Wahrheit finden sollte,
Wenn er mit mindrer Müh die Wahrheit suchen wollte.
Und mancher hätte sie wohl zeitiger entdeckt,
Wofern er nicht geglaubt, sie wäre tief versteckt.
Verborgen ist sie wohl; allein nicht so verborgen,
Daß du der finstern Schriften Wust,
Um sie zu sehn, mit tausend Sorgen,
Bis auf den Grund durchwühlen mußt.
Verlaß dich nicht auf fremde Müh,
Such selbst, such aufmerksam, such oft: du findest sie.
Die Wahrheit, lieber Freund, die alle nötig haben,
Die uns, als Menschen, glücklich macht,
Ward von der weisen Hand, die sie uns zugedacht,
Nur leicht verdeckt; nicht tief vergraben.


Der Selbstmord
O Jüngling, lern aus der Geschichte,
Die dich vielleicht zu Tränen zwingt,
Was für bejammernswerte Früchte
Die Liebe zu den Schönen bringt!
Ein Beispiel wohlgezogner Jugend,
Des alten Vaters Trost und Stab,
Ein Jüngling, der durch frühe Tugend
Zur größten Hoffnung Anlaß gab;
Den zwang die Macht der schönen Triebe,
Climenen zärtlich nachzugehn.
Er seufzt, er bat um Gegenliebe;
Allein vergebens war sein Flehn.
Fußfällig klagt er ihr sein Leiden.
Umsonst! Climene heißt ihn fliehn.
Ja, schreit er, ja, ich will dich meiden,
Ich will mich ewig dir entziehn.
Er reißt den Degen aus der Scheide,
Und--o was kann verwegner sein!
Kurz, er besieht die Spitz und Schneide,
Und steckt ihn langsam wieder ein.


Der sterbende Vater
Ein Vater hinterließ zween Erben,
Christophen, der war klug, und Görgen, der war dumm.
Sein Ende kam, und kurz vor seinem Sterben
Sah er sich ganz betrübt nach seinem Christoph um.
"Sohn", fing er an, "mich quält ein trauriger Gedanke:
Du hast Verstand, wie wird dirs künftig gehn?
Hör an, ich hab in meinem Schranke
Ein Kästchen mit Juwelen stehn,
Die sollen dein. Nimm sie, mein Sohn,
Und gib dem Bruder nichts davon."
Der Sohn erschrak und stutzte lange.
"Ach Vater", hub er an, "wenn ich so viel empfange,
Wie kömmt alsdann mein Bruder fort?"
"Er?" fiel der Vater ihm ins Wort,
"Für Görgen ist mir gar nicht bange,
Der kömmt gewiß durch seine Dummheit fort."


Der süße Traum
Mit Träumen, die uns schön betrügen,
Erfreut den Timon einst die Nacht;
Im Schlaf erlebt er das Vergnügen,
An das er wachend kaum gedacht.
Er sieht, aus seines Bettes Mitte
Steigt schnell ein großer Schatz herauf.
Und schnell baut er aus seiner Hütte
Im Schlafe schon ein Lustschloß auf.
Sein Vorsaal wimmelt von Klienten,
Und, unbekleidet am Kamin,
Läßt er, die ihn vordem kaum nennten,
In Ehrfurcht itzt auf sich verziehn.
Die Schöne, die ihn oft im Wachen
Durch ihre Sprödigkeit betrübt,
Muß Timons Glück vollkommen machen;
Denn träumend sieht er sich geliebt.
Er sieht von Doris sich umfangen,
Und ruft, als dies ihm träumt, vergnügt;
Er lallt: "O Doris, mein Verlangen!
Hat Timon endlich dich besiegt?"
Sein Schlafgeselle hört ihn lallen;
Er hört, daß ihn ein Traum verführt,
Und tut ihm liebreich den Gefallen,
Und macht, daß sich sein Traum verliert.
"Freund", ruft er, "laß dich nicht betrügen,
Es ist ein Traum, ermuntre dich!"
"O böser Freund, um welch Vergnügen",
Klagt Timon ängstlich, "bringst du mich!
Du machest, daß mein Traum verschwindet;
Warum entziehst du mir die Lust?
Genug, ich hielt sie für gegründet,
Weil ich den Irrtum nicht gewußt."
----
Oft quält ihr uns, ihr Wahrheitsfreunde,
Mit eurer Dienstbeflissenheit;
Oft seid ihr unsrer Ruhe Feinde,
Indem ihr unsre Lehrer seid.
Wer heißt euch uns den Irrtum rauben,
Den unser Herz mit Lust besitzt?
Und der, so heftig wir ihn glauben,
Uns dennoch minder schadt, als nützt?
Der wird die halbe Welt bekriegen,
Wer allen Wahn der Welt entzieht.
Die meisten Arten von Vergnügen
Entstehen, weil man dunkel sieht.
Was denkt der Held bei seinen Schlachten?
Er denkt, er sei der größte Held.
Gönnt ihm die Lust, sich hochzuachten,
Damit ihm nicht der Mut entfällt.
Geht, fragt: Was denkt wohl Adelheide?
Sie denkt, mein Mann liebt mich getreu.
Sie irrt; doch gönnt ihr ihre Freude,
Und laßt das arme Weib dabei.
Was glaubt der Ehemann von Lisetten?
Er glaubt, daß sie die Keuschheit ist.
Er irrt; ich wollte selber wetten;
Doch schweigt, wenn ihr es besser wißt.
Was denkt der Philosoph im Schreiben?
Mich liest der Hof, mich ehrt die Stadt!
Er irrt; doch laßt ihn irrig bleiben,
Damit er Lust zum Denken hat.
Durchsucht der Menschen ganzes Leben:
Was treibt zu großen Taten an?
Was pflegt uns Ruh und Trost zu geben?
Sehr oft ein Traum, ein süßer Wahn.
Genug, daß wir dabei empfinden!
Es sei auch tausendmal ein Schein!
Sollt aller Irrtum ganz verschwinden:
So wär es schlimm, ein Mensch zu sein.


Der Tanzbär
Ein Bär, der lange Zeit sein Brot ertanzen müssen,
Entrann, und wählte sich den ersten Aufenthalt.
Die Bären grüßten ihn mit brüderlichen Küssen,
Und brummten freudig durch den Wald.
Und wo ein Bär den andern sah:
So hieß es: Petz ist wieder da!
Der Bär erzählte drauf, was er in fremden Landen
Für Abenteuer ausgestanden,
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