Emilia Galotti - 5

Total number of words is 3489
Total number of unique words is 1026
46.2 of words are in the 2000 most common words
56.5 of words are in the 5000 most common words
59.9 of words are in the 8000 most common words
Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
untertänigst Eurer Durchlaucht für den gnädigen Schutz danken, den
seine Familie bei diesem so traurigen Zufalle hier gefunden; wird sich,
mitsamt seiner Tochter, zu fernerer Gnade empfehlen; wird sie ruhig
nach der Stadt bringen und es in tiefster Unterwerfung erwarten,
welchen weitern Anteil Euer Durchlaucht an seinem unglücklichen,
lieben Mädchen zu nehmen geruhen wollen.
Der Prinz. Wenn er nun aber so zahm nicht ist? Und schwerlich,
schwerlich wird er es sein. Ich kenne ihn zu gut.--Wenn er höchstens
seinen Argwohn erstickt, seine Wut verbeißt: aber Emilien, anstatt sie
nach der Stadt zu führen, mit sich nimmt? bei sich behält? oder wohl
gar in ein Kloster, außer meinem Gebiete, verschließt? Wie dann?
Marinelli. Die fürchtende Liebe sieht weit. Wahrlich!--Aber er wird
ja nicht.
Der Prinz. Wenn er nun aber! Wie dann? Was wird es uns
dann helfen, daß der unglückliche Graf sein Leben darüber verloren?
Marinelli. Wozu dieser traurige Seitenblick? Vorwärts! denkt der
Sieger, es falle neben ihm Feind oder Freund.--Und wenn auch! Wenn er
es auch wollte, der alte Neidhart, was Sie von ihm fürchten, Prinz.
--(Überlegend.) Das geht! Ich hab es!--Weiter als zum Wollen soll er
es gewiß nicht bringen. Gewiß nicht!--Aber daß wir ihn nicht aus dem
Gesichte verlieren.--(Tritt wieder ans Fenster.) Bald hätt' er uns
überrascht! Er kömmt.--Lassen Sie uns ihm noch ausweichen, und hören
Sie erst, Prinz, was wir auf den zu befürchtenden Fall tun müssen.
Der Prinz (drohend). Nur, Marinelli!
Marinelli. Das Unschuldigste
von der Welt!

Zweiter Auftritt

Odoardo Galotti. Noch niemand hier?--Gut, ich soll noch kälter werden.
Es ist mein Glück.--Nichts verächtlicher als ein brausender
Jünglingskopf mit grauen Haaren! Ich hab es mir so oft gesagt. Und
doch ließ ich mich fortreißen: und von wem? Von einer Eifersüchtigen,
von einer für Eifersucht Wahnwitzigen.--Was hat die gekränkte Tugend
mit der Rache des Lasters zu schaffen? Jene allein hab ich zu retten.
--Und deine Sache--mein Sohn! mein Sohn!--Weinen konnt' ich nie--und
will es nun nicht erst lernen--Deine Sache wird ein ganz anderer zu
seiner machen! Genug für mich, wenn dein Mörder die Frucht seines
Verbrechens nicht genießt.--Dies martere ihn mehr als das Verbrechen!
Wenn nun bald ihn Sättigung und Ekel von Lüsten zu Lüsten treiben, so
vergälle die Erinnerung, diese eine Lust nicht gebüßet zu haben, ihm
den Genuß aller! In jedem Traume führe der blutige Bräutigam ihm die
Braut vor das Bette, und wann er dennoch den wollüstigen Arm nach ihr
ausstreckt, so höre er plötzlich das Hohngelächter der Hölle und
erwache!

Dritter Auftritt
Marinelli. Odoardo Galotti.

Marinelli. Wo blieben Sie, mein Herr? wo blieben Sie?
Odoardo. War meine Tochter hier?
Marinelli. Nicht sie, aber der Prinz.
Odoardo. Er verzeihe.--Ich habe die Gräfin begleitet.
Marinelli. Nun?
Odoardo. Die gute Dame!
Marinelli. Und Ihre Gemahlin?
Odoardo. Ist mit der Gräfin--um uns den Wagen sogleich herauszusenden.
Der Prinz vergönne nur, daß ich mich so lange mit meiner Tochter
noch hier verweile.
Marinelli. Wozu diese Umstände? Würde sich der Prinz nicht ein
Vergnügen daraus gemacht haben, sie beide, Mutter und Tochter, selbst
nach der Stadt zu bringen?
Odoardo. Die Tochter wenigstens würde diese Ehre haben verbitten
müssen.
Marinelli. Wieso?
Odoardo. Sie soll nicht mehr nach Guastalla.
Marinelli. Nicht? und warum nicht?
Odoardo. Der Graf ist tot.
Marinelli. Um so viel mehr.
Odoardo. Sie soll mit mir.
Marinelli. Mit Ihnen?
Odoardo. Mit mir. Ich sage Ihnen ja, der Graf ist tot.--Wenn Sie es
noch nicht wissen--Was hat sie nun weiter in Guastalla zu tun?--Sie
soll mit mir.
Marinelli. Allerdings wird der künftige Aufenthalt der Tochter einzig
von dem Willen des Vaters abhangen. Nur vors erste.
Odoardo. Was vors erste?
Marinelli. Werden Sie wohl erlauben müssen, Herr Oberster, daß sie
nach Guastalla gebracht wird.
Odoardo. Meine Tochter? nach Guastalla gebracht wird? und warum?
Marinelli. Warum? Erwägen Sie doch nur.
Odoardo (hitzig). Erwägen!
erwägen! Ich erwäge, daß hier nichts zu erwägen ist.--Sie soll, sie
muß mit mir.
Marinelli. O mein Herr--was brauchen wir uns hierüber zu ereifern?
Es kann sein, daß ich mich irre, daß es nicht nötig ist, was ich für
nötig halte.--Der Prinz wird es am besten zu beurteilen wissen. Der
Prinz entscheide.--Ich geh und hole ihn.

Vierter Auftritt
Odoardo Galotti. Wie?--Nimmermehr!--Mir vorschreiben, wo sie hin
soll?--Mir sie vorenthalten?--Wer will das? Wer darf das?--Der hier
alles darf, was er will? Gut, gut, so soll er sehen, wieviel auch ich
darf, ob ich es schon nicht dürfte! Kurzsichtiger Wüterich! Mit dir
will ich es wohl aufnehmen. Wer kein Gesetz achtet, ist ebenso
mächtig, als wer kein Gesetz hat. Das weißt du nicht? Komm an! komm
an!--Aber, sieh da! Schon wieder, schon wieder rennet der Zorn mit
dem Verstande davon.--Was will ich? Erst müßt' es doch geschehen sein,
worüber ich tobe. Was plaudert nicht eine Hofschranze! Und hätte
ich ihn doch nur plaudern lassen! Hätte ich seinen Vorwand, warum sie
wieder nach Guastalla soll, doch nur angehört!--So könnte ich mich
itzt auf eine Antwort gefaßt machen.--Zwar auf welchen kann mir eine
fehlen?--Sollte sie mir aber fehlen, sollte sie--Man kömmt. Ruhig,
alter Knabe, ruhig!

Fünfter Auftritt
Der Prinz. Marinelli. Odoardo Galotti.

Der Prinz. Ah, mein lieber, rechtschaffner Galotti--so etwas muß auch
geschehen, wenn ich Sie bei mir sehen soll. Um ein Geringeres tun Sie
es nicht. Doch keine Vorwürfe!
Odoardo. Gnädiger Herr, ich halte es in allen Fällen für unanständig,
sich zu seinem Fürsten zu drängen. Wen er kennt, den wird er fodern
lassen, wenn er seiner bedarf. Selbst itzt bitte ich um
Verzeihung.
Der Prinz. Wie manchem andern wollte ich diese stolze
Bescheidenheit wünschen!--Doch zur Sache. Sie werden begierig sein,
Ihre Tochter zu sehen. Sie ist in neuer Unruhe wegen der plötzlichen
Entfernung einer so zärtlichen Mutter.--Wozu auch diese Entfernung?
Ich wartete nur, daß die liebenswürdige Emilie sich völlig erholet
hätte, um beide im Triumphe nach der Stadt zu bringen. Sie haben mir
diesen Triumph um die Hälfte verkümmert, aber ganz werde ich mir ihn
nicht nehmen lassen.
Odoardo. Zu viel Gnade!--Erlauben Sie, Prinz, daß ich meinem
unglücklichen Kinde alle die mannigfaltigen Kränkungen erspare, die
Freund und Feind, Mitleid und Schadenfreude in Guastalla für sie
bereit halten.
Der Prinz. Um die süßen Kränkungen des Freundes und des Mitleids,
würde es Grausamkeit sein, sie zu bringen. Daß aber die Kränkungen
des Feindes und der Schadenfreude sie nicht erreichen sollen, dafür,
lieber Galotti, lassen Sie mich sorgen.
Odoardo. Prinz, die väterliche Liebe teilet ihre Sorgen nicht gern.
--Ich denke, ich weiß es, was meiner Tochter in ihren itzigen
Umständen einzig ziemet--Entfernung aus der Welt--ein Kloster--sobald
als möglich.
Der Prinz. Ein Kloster?
Odoardo. Bis dahin weine sie unter den Augen ihres Vaters.
Der Prinz. So viel Schönheit soll in einem Kloster verblühen?--Darf
eine einzige fehlgeschlagene Hoffnung uns gegen die Welt so
unversöhnlich machen?--Doch allerdings: dem Vater hat niemand
einzureden. Bringen Sie Ihre Tochter, Galotti, wohin Sie wollen.
Odoardo (gegen Marinelli). Nun, mein Herr?
Marinelli. Wenn Sie mich sogar auffodern!
Odoardo. O mitnichten, mitnichten.
Der Prinz. Was haben Sie beide?
Odoardo. Nichts, gnädiger Herr, nichts.--Wir erwägen bloß, welcher
von uns sich in Ihnen geirret hat.
Der Prinz. Wieso?--Reden Sie, Marinelli.
Marinelli. Es geht mir nahe, der Gnade meines Fürsten in den Weg zu
treten. Doch wenn die Freundschaft gebietet, vor allem in ihm den
Richter aufzufodern.
Der Prinz. Welche Freundschaft?
Marinelli. Sie wissen, gnädiger Herr, wie sehr ich den Grafen
Appiani liebte, wie sehr unser beider Seelen ineinander verwebt
schienen.
Odoardo. Das wissen Sie, Prinz? So wissen Sie es wahrlich allein.
Marinelli. Von ihm selbst zu seinem Rächer bestellet.
Odoardo. Sie?
Marinelli. Fragen Sie nur Ihre Gemahlin. Marinelli, der Name
Marinelli war das letzte Wort des sterbenden Grafen, und in einem Tone!
in einem Tone!--Daß er mir nie aus dem Gehöre komme, dieser
schreckliche Ton, wenn ich nicht alles anwende, daß seine Mörder
entdeckt und bestraft werden!
Der Prinz. Rechnen Sie auf meine kräftigste Mitwirkung.
Odoardo. Und meine heißesten Wünsche!--Gut, gut!--Aber was weiter?
Der Prinz. Das frag ich, Marinelli.
Marinelli. Man hat Verdacht, daß es nicht Räuber gewesen, welche den
Grafen angefallen.
Odoardo (höhnisch). Nicht? Wirklich nicht?
Marinelli. Daß ein Nebenbuhler ihn aus dem Wege räumen lassen.
Odoardo (bitter). Ei! Ein Nebenbuhler?
Marinelli. Nicht anders.
Odoardo. Nun dann--Gott verdamm' ihn, den meuchelmörderischen Buben!
Marinelli. Ein Nebenbuhler, und ein begünstigter Nebenbuhler.
Odoardo. Was? ein begünstigter?--Was sagen Sie?
Marinelli. Nichts, als was das Gerüchte verbreitet.
Odoardo. Ein begünstigter? von meiner Tochter begünstiget?
Marinelli. Das ist gewiß nicht. Das kann nicht sein. Dem
widersprech ich, trotz Ihnen.--Aber bei dem allen, gnädiger Herr--denn
das gegründetste Vorurteil wieget auf der Waage der Gerechtigkeit
soviel als nichts--bei dem allen wird man doch nicht umhin können, die
schöne Unglückliche darüber zu vernehmen.
Der Prinz. Jawohl, allerdings.
Marinelli. Und wo anders? wo kann das anders geschehen als in
Guastalla?
Der Prinz. Da haben Sie recht, Marinelli, da haben Sie recht.--Ja so,
das verändert die Sache, lieber Galotti. Nicht wahr? Sie sehen
selbst.
Odoardo. O ja, ich sehe--Ich sehe, was ich sehe.--Gott! Gott!
Der Prinz. Was ist Ihnen? was haben Sie mit sich?
Odoardo. Daß ich es nicht vorausgesehen, was ich da sehe. Das ärgert
mich, weiter nichts.--Nun ja, sie soll wieder nach Guastalla. Ich
will sie wieder zu ihrer Mutter bringen, und bis die strengste
Untersuchung sie freigesprochen, will ich selbst aus Guastalla nicht
weichen. Denn wer weiß--(mit einem bittern Lachen) wer weiß, ob die
Gerechtigkeit nicht auch nötig findet, mich zu vernehmen.
Marinelli. Sehr möglich! In solchen Fällen tut die Gerechtigkeit
lieber zuviel als zuwenig.--Daher fürchte ich sogar.
Der Prinz. Was? was fürchten Sie?
Marinelli. Man werde vor der Hand nicht verstatten können, daß Mutter
und Tochter sich sprechen.
Odoardo. Sich nicht sprechen?
Marinelli. Man werde genötiget sein, Mutter und Tochter zu trennen.
Odoardo. Mutter und Tochter zu trennen?
Marinelli. Mutter und Tochter und Vater. Die Form des Verhörs
erfodert diese Vorsichtigkeit schlechterdings. Und es tut mir leid,
gnädiger Herr, daß ich mich gezwungen sehe, ausdrücklich darauf
anzutragen, wenigstens Emilien in eine besondere Verwahrung zu bringen.
Odoardo. Besondere Verwahrung?--Prinz! Prinz!--Doch ja, freilich,
freilich! Ganz recht: in eine besondere Verwahrung! Nicht, Prinz?
nicht?--O wie fein die Gerechtigkeit ist! Vortrefflich! (Fährt
schnell nach dem Schubsacke, in welchem er den Dolch hat.)
Der Prinz (schmeichelhaft auf ihn zutretend). Fassen Sie sich, lieber
Galotti.
Odoardo (beiseite, indem er die Hand leer wieder herauszieht).
Das sprach sein Engel!
Der Prinz. Sie sind irrig, Sie verstehen ihn nicht. Sie denken bei
dem Worte Verwahrung wohl gar an Gefängnis und Kerker.
Odoardo. Lassen Sie mich daran denken: und ich bin ruhig!
Der Prinz. Kein Wort von Gefängnis, Marinelli! Hier ist die Strenge
der Gesetze mit der Achtung gegen unbescholtene Tugend leicht zu
vereinigen. Wenn Emilia in besondere Verwahrung gebracht werden muß,
so weiß ich schon--die alleranständigste. Das Haus meines
Kanzlers--Keinen Widerspruch, Marinelli!--Da will ich sie selbst
hinbringen, da will ich sie der Aufsicht einer der würdigsten Damen
übergeben. Die soll mir für sie bürgen, haften.--Sie gehen zu weit,
Marinelli, wirklich zu weit, wenn Sie mehr verlangen.--Sie kennen doch,
Galotti, meinen Kanzler Grimaldi und seine Gemahlin?
Odoardo. Was sollt' ich nicht? Sogar die liebenswürdigen Töchter
dieses edeln Paares kenn ich. Wer kennt sie nicht?--(Zu Marinelli.)
Nein, mein Herr, geben Sie das nicht zu. Wenn Emilia verwahrt werden
muß, so müsse sie in dem tiefsten Kerker verwahret werden. Dringen
Sie darauf, ich bitte Sie.--Ich Tor, mit meiner Bitte! ich alter Geck!
--Jawohl hat sie recht die gute Sibylle: "Wer über gewisse Dinge
seinen Verstand nicht verlieret, der hat keinen zu verlieren!"
Der Prinz. Ich verstehe Sie nicht.--Lieber Galotti, was kann ich mehr
tun?--Lassen Sie es dabei, ich bitte Sie.--Ja, ja, in das Haus meines
Kanzlers! da soll sie hin; da bring ich sie selbst hin; und wenn ihr
da nicht mit der äußersten Achtung begegnet wird, so hat mein Wort
nichts gegolten. Aber sorgen Sie nicht.--Dabei bleibt es! dabei
bleibt es!--Sie selbst, Galotti, mit sich, können es halten, wie Sie
wollen.--Sie können uns nach Guastalla folgen, Sie können nach
Sabionetta zurückkehren: wie Sie wollen. Es wäre lächerlich, Ihnen
vorzuschreiben.--Und nun, auf Wiedersehen, lieber Galotti!--Kommen Sie,
Marinelli, es wird spät.
Odoardo (der in tiefen Gedanken gestanden). Wie? so soll ich sie gar
nicht sprechen, meine Tochter? Auch hier nicht?--Ich lasse mir ja
alles gefallen, ich finde ja alles ganz vortrefflich. Das Haus eines
Kanzlers ist natürlicherweise eine Freistatt der Tugend. Oh, gnädiger
Herr, bringen Sie ja meine Tochter dahin, nirgends anders als dahin.
--Aber sprechen wollt' ich sie doch gerne vorher. Der Tod des Grafen
ist ihr noch unbekannt. Sie wird nicht begreifen können, warum man
sie von ihren Eltern trennet. Ihr jenen auf gute Art beizubringen,
sie dieser Trennung wegen zu beruhigen--muß ich sie sprechen, gnädiger
Herr, muß ich sie sprechen.
Der Prinz. So kommen Sie denn.
Odoardo. Oh, die Tochter kann auch wohl zu dem Vater kommen.--Hier,
unter vier Augen, bin ich gleich mit ihr fertig. Senden Sie mir sie
nur, gnädiger Herr.
Der Prinz. Auch das!--O Galotti, wenn Sie mein Freund, mein Führer,
mein Vater sein wollten! (Der Prinz und Marinelli geben ab.)

Sechster Auftritt
Odoardo Galotti (ihm nachsehend, nach einer Pause). Warum
nicht?--Herzlich gern.--Ha! ha! ha!--(Blickt wild umher.) Wer lacht
da?--Bei Gott, ich glaub, ich war es selbst.--Schon recht! Lustig,
lustig! Das Spiel geht zu Ende. So oder so!--Aber--(Pause) wenn sie
mit ihm sich verstünde? Wenn es das alltägliche Possenspiel wäre?
Wenn sie es nicht wert wäre, was ich für sie tun will?--(Pause.) Für
sie tun will? Was will ich denn für sie tun?--Hab ich das Herz, es
mir zu sagen?--Da denk ich so was: So was, was sich nur denken läßt.
--Gräßlich! Fort, fort! Ich will sie nicht erwarten. Nein!--(Gegen
den Himmel.) Wer sie unschuldig in diesen Abgrund gestürzt hat, der
ziehe sie wieder heraus. Was braucht er meine Hand dazu? Fort! (Er
will gehen und sieht Emilien kommen.) Zu spät! Ah! er will meine Hand,
er will sie!

Siebenter Auftritt
Emilia. Odoardo.

Emilia. Wie? Sie hier, mein Vater?--Und nur Sie?--Und meine Mutter?
nicht hier?--Und der Graf? nicht hier?--Und Sie so unruhig, mein Vater?
Odoardo. Und du so ruhig, meine Tochter?
Emilia. Warum nicht, mein
Vater?--Entweder ist nichts verloren: oder alles. Ruhig sein können
und ruhig sein müssen: kömmt es nicht auf eines?
Odoardo. Aber, was meinest du, daß der Fall ist?
Emilia. Daß alles verloren ist--und daß wir wohl ruhig sein müssen,
mein Vater.
Odoardo. Und du wärest ruhig, weil du ruhig sein mußt?--Wer bist du?
Ein Mädchen? und meine Tochter? So sollte der Mann und der Vater sich
wohl vor dir schämen?--Aber laß doch hören, was nennest du, alles
verloren?--Daß der Graf tot ist?
Emilia. Und warum er tot ist! Warum! Ha, so ist es wahr, mein
Vater? So ist sie wahr, die ganze schreckliche Geschichte, die ich in
dem nassen und wilden Auge meiner Mutter las?--Wo ist meine Mutter?
Wo ist sie hin, mein Vater?
Odoardo. Voraus--wenn wir anders ihr nachkommen.
Emilia. Je eher, je besser. Denn wenn der Graf tot ist, wenn er
darum tot ist--darum! was verweilen wir noch hier? Lassen Sie uns
fliehen, mein Vater!
Odoardo. Fliehen?--Was hätt' es dann für Not?--Du bist, du bleibst in
den Händen deines Räubers.
Emilia. Ich bleibe in seinen Händen?
Odoardo. Und allein, ohne deine Mutter, ohne mich.
Emilia. Ich allein in seinen Händen?--Nimmermehr, mein Vater.--Oder
Sie sind nicht mein Vater.--Ich allein in seinen Händen?--Gut, lassen
Sie mich nur, lassen Sie mich nur.--Ich will doch sehn, wer mich
hält--wer mich zwingt--wer der Mensch ist, der einen Menschen zwingen
kann.
Odoardo. Ich meine, du bist ruhig, mein Kind.
Emilia. Das bin ich. Aber was nennen Sie ruhig sein? Die Hände in
den Schoß legen? Leiden, was man nicht sollte? Dulden, was man nicht
dürfte?
Odoardo. Ha! wenn du so denkest!--Laß dich umarmen, meine Tochter!
--Ich hab es immer gesagt: das Weib wollte die Natur zu ihrem
Meisterstücke machen. Aber sie vergriff sich im Tone, sie nahm ihn zu
fein. Sonst ist alles besser an euch als an uns.--Ha, wenn das deine
Ruhe ist, so habe ich meine in ihr wiedergefunden! Laß dich umarmen,
meine Tochter!--Denke nur: unter dem Vorwande einer gerichtlichen
Untersuchung--o des höllischen Gaukelspieles!--reißt er dich aus
unsern Armen und bringt dich zur Grimaldi.
Emilia. Reißt mich? bringt mich?--Will mich reißen, will mich bringen:
will! will!--Als ob wir, wir keinen Willen hätten, mein Vater!
Odoardo. Ich ward auch so wütend, daß ich schon nach diesem Dolche
griff (ihn herausziehend), um einem von beiden--beiden!--das Herz zu
durchstoßen. Emilia. Um des Himmels willen nicht, mein Vater!
--Dieses Leben ist alles, was die Lasterhaften haben.--Mir, mein Vater,
mir geben Sie diesen Dolch.
Odoardo. Kind, es ist keine Haarnadel.
Emilia. So werde die Haarnadel zum Dolche!--Gleichviel.
Odoardo. Was? Dahin wäre es gekommen? Nicht doch; nicht doch!
Besinne dich.--Auch du hast nur ein Leben zu verlieren.
Emilia. Und nur eine Unschuld!
Odoardo. Die über alle Gewalt erhaben ist.
Emilia. Aber nicht über
alle Verführung.--Gewalt! Gewalt! wer kann der Gewalt nicht trotzen?
Was Gewalt heißt, ist nichts: Verführung ist die wahre Gewalt.--Ich
habe Blut, mein Vater, so jugendliches, so warmes Blut als eine. Auch
meine Sinne sind Sinne. Ich stehe für nichts. Ich bin für nichts gut.
Ich kenne das Haus der Grimaldi. Es ist das Haus der Freude. Eine
Stunde da, unter den Augen meiner Mutter--und es erhob sich so mancher
Tumult in meiner Seele, den die strengsten Übungen der Religion kaum
in Wochen besänftigen konnten!--Der Religion! Und welcher
Religion?--Nichts Schlimmers zu vermeiden, sprangen Tausende in die
Fluten und sind Heilige!--Geben Sie mir, mein Vater, geben Sie mir
diesen Dolch.
Odoardo. Und wenn du ihn kenntest, diesen Dolch!
Emilia. Wenn ich
ihn auch nicht kenne!--Ein unbekannter Freund ist auch ein Freund.
--Geben Sie mir ihn, mein Vater, geben Sie mir ihn.
Odoardo. Wenn ich dir ihn nun gebe--da! (Gibt ihr ihn.)
Emilia. Und da! (Im Begriffe, sich damit zu durchstoßen, reißt der
Vater ihr ihn wieder aus der Hand.)
Odoardo. Sieh, wie rasch!--Nein, das ist nicht für deine Hand.
Emilia. Es ist wahr, mit einer Haarnadel soll ich--(Sie fährt mit der
Hand nach dem Haare, eine zu suchen, und bekommt die Rose zu fassen.)
Du noch hier?--Herunter mit dir! Du gebötest nicht in das Haar
einer--wie mein Vater will, daß ich werden soll!
Odoardo. Oh, meine Tochter!
Emilia. Oh, mein Vater, wenn ich Sie
erriete!--Doch nein, das wollen Sie auch nicht. Warum zauderten Sie
sonst?--(In einem bittern Tone, während daß sie die Rose zerpflückt.)
Ehedem wohl gab es einen Vater, der seine Tochter von der Schande zu
retten, ihr den ersten, den besten Stahl in das Herz senkte--ihr zum
zweiten Male das Leben gab. Aber alle solche Taten sind von ehedem!
Solcher Väter gibt es keinen mehr!
Odoardo. Doch, meine Tochter, doch! (Indem er sie durchsticht.)
--Gott, was hab ich getan! (Sie will sinken, und er faßt sie in
seine Arme.)
Emilia. Eine Rose gebrochen, ehe der Sturm sie entblättert.--Lassen
Sie mich sie küssen, diese väterliche Hand.

Achter Auftritt
Der Prinz. Marinelli. Die Vorigen.

Der Prinz (im Hereintreten). Was ist das?--Ist Emilien nicht wohl?
Odoardo. Sehr wohl, sehr wohl!
Der Prinz (indem er näher kömmt). Was seh ich?--Entsetzen!
Marinelli. Weh mir!
Der Prinz. Grausamer Vater, was haben Sie getan!
Odoardo. Eine Rose gebrochen, ehe der Sturm sie entblättert.--War es
nicht so, meine Tochter?
Emilia. Nicht Sie, mein Vater--Ich selbst--ich selbst.
Odoardo. Nicht
du, meine Tochter--nicht du!--Gehe mit keiner Unwahrheit aus der Welt.
Nicht du, meine Tochter! Dein Vater, dein unglücklicher Vater!
Emilia. Ah--mein Vater--(Sie stirbt, und er legt sie sanft auf den
Boden.)
Odoardo. Zieh hin!--Nun da, Prinz! Gefällt sie Ihnen noch? Reizt
sie noch Ihre Lüste? Noch, in diesem Blute, das wider Sie um Rache
schreiet? (Nach einer Pause.) Aber Sie erwarten, wo das alles hinaus
soll? Sie erwarten vielleicht, daß ich den Stahl wider mich selbst
kehren werde, um meine Tat wie eine schale Tragödie zu beschließen?
Sie irren sich. Hier! (Indem er ihm den Dolch vor die Füße wirft.)
Hier liegt er, der blutige Zeuge meines Verbrechens! Ich gehe und
liefere mich selbst in das Gefängnis. Ich gehe und erwarte Sie als
Richter--Und dann dort--erwarte ich Sie vor dem Richter unser aller!
Der Prinz (nach einigem Stillschweigen, unter welchem er den Körper
mit Entsetzen und Verzweiflung betrachtet, zu Marinelli). Hier! heb
ihn auf.--Nun? Du bedenkst dich?--Elender!--(Indem er ihm den Dolch
aus der Hand reißt.) Nein, dein Blut soll mit diesem Blute sich nicht
mischen.--Geh, dich auf ewig zu verbergen!--Geh! sag ich.--Gott! Gott!
--Ist es, zum Unglücke so mancher, nicht genug, daß Fürsten Menschen
sind: müssen sich auch noch Teufel in ihren Freund verstellen?
You have read 1 text from German literature.
  • Parts
  • Emilia Galotti - 1
    Total number of words is 4338
    Total number of unique words is 1279
    43.2 of words are in the 2000 most common words
    54.7 of words are in the 5000 most common words
    59.5 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Emilia Galotti - 2
    Total number of words is 4325
    Total number of unique words is 1306
    43.4 of words are in the 2000 most common words
    56.6 of words are in the 5000 most common words
    61.5 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Emilia Galotti - 3
    Total number of words is 4342
    Total number of unique words is 1267
    41.9 of words are in the 2000 most common words
    53.8 of words are in the 5000 most common words
    58.9 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Emilia Galotti - 4
    Total number of words is 4294
    Total number of unique words is 1182
    41.9 of words are in the 2000 most common words
    54.6 of words are in the 5000 most common words
    58.8 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Emilia Galotti - 5
    Total number of words is 3489
    Total number of unique words is 1026
    46.2 of words are in the 2000 most common words
    56.5 of words are in the 5000 most common words
    59.9 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.