Emilia Galotti - 4

Total number of words is 4294
Total number of unique words is 1182
41.9 of words are in the 2000 most common words
54.6 of words are in the 5000 most common words
58.8 of words are in the 8000 most common words
Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
Meisterstreiche liegt das, den er selbst meinen Anstalten mit
einzumengen die Gnade hatte.
Der Prinz. Ich?
Marinelli. Er erlaube mir, ihm zu sagen, daß der Schritt, den er
heute morgen in der Kirche getan--mit so vielem Anstande er ihn auch
getan--so unvermeidlich er ihn auch tun mußte--, daß dieser Schritt
dennoch nicht in den Tanz gehörte.
Der Prinz. Was verdarb er denn auch?
Marinelli. Freilich nicht den ganzen Tanz, aber doch voritzo den Takt.
Der Prinz. Hm! Versteh ich Sie?
Marinelli. Also, kurz und einfältig. Da ich die Sache übernahm,
nicht wahr, da wußte Emilia von der Liebe des Prinzen noch nichts?
Emiliens Mutter noch weniger. Wenn ich nun auf diesen Umstand baute?
und der Prinz indes den Grund meines Gebäudes untergrub?
Der Prinz (sich vor die Stirne schlagend). Verwünscht!
Marinelli. Wenn er es nun selbst verriet, was er im Schilde führe?
Der Prinz. Verdammter Einfall!
Marinelli. Und wenn er es nicht selbst verraten hätte?--Traun! Ich
möchte doch wissen, aus welcher meiner Anstalten Mutter oder Tochter
den geringsten Argwohn gegen ihn schöpfen könnte?
Der Prinz. Daß Sie recht haben!
Marinelli. Daran tu ich freilich sehr unrecht--Sie werden verzeihen,
gnädiger Herr.

Zweiter Auftritt
Battista. Der Prinz. Marinelli.

Battista (eiligst). Eben kömmt die Gräfin an.
Der Prinz. Die Gräfin? Was für eine Gräfin?
Battista. Orsina.
Der Prinz. Orsina?--Marinelli!--Orsina?--Marinelli!
Marinelli. Ich erstaune darüber nicht weniger als Sie selbst.
Der Prinz. Geh, lauf, Battista: Sie soll nicht aussteigen. Ich bin
nicht hier. Ich bin für sie nicht hier. Sie soll augenblicklich
wieder umkehren. Geh, lauf!--(Battista geht ab.) Was will die Närrin?
Was untersteht sie sich? Wie weiß sie, daß wir hier sind? Sollte
sie wohl auf Kundschaft kommen? Sollte sie wohl schon etwas vernommen
haben?--Ah, Marinelli! So reden Sie, so antworten Sie doch!--Ist er
beleidiget, der Mann, der mein Freund sein will? Und durch einen
elenden Wortwechsel beleidiget? Soll ich ihn um Verzeihung bitten?
Marinelli. Ah, mein Prinz, sobald Sie wieder Sie sind, bin ich mit
ganzer Seele wieder der Ihrige!--Die Ankunft der Orsina ist mir ein
Rätsel wie Ihnen. Doch abweisen wird sie schwerlich sich lassen. Was
wollen Sie tun?
Der Prinz. Sie durchaus nicht sprechen, mich entfernen.
Marinelli. Wohl! und nur geschwind. Ich will sie empfangen.
Der Prinz. Aber bloß,
um sie gehen zu heißen.--Weiter geben Sie mit ihr sich nicht ab. Wir
haben andere Dinge hier zu tun.
Marinelli. Nicht doch, Prinz! Diese
andern Dinge sind getan. Fassen Sie doch Mut! Was noch fehlt, kömmt
sicherlich von selbst.--Aber hör ich sie nicht schon?--Eilen Sie,
Prinz!--Da (auf ein Kabinett zeigend, in welches sich der Prinz
begibt), wenn Sie wollen, werden Sie uns hören können.--Ich fürchte,
ich fürchte, sie ist nicht zu ihrer besten Stunde ausgefahren.

Dritter Auftritt
Die Gräfin Orsina. Marinelli.

Orsina (ohne den Marinelli anfangs zu erblicken). Was ist
das?--Niemand kömmt mir entgegen, außer ein Unverschämter, der mir
lieber gar den Eintritt verweigert hätte?--Ich bin doch zu Dosalo? Zu
dem Dosalo, wo mir sonst ein ganzes Heer geschäftiger Augendiener
entgegenstürzte? wo mich sonst Liebe und Entzücken erwarteten?--Der
Ort ist es, aber, aber!--Sieh da, Marinelli!--Recht gut, daß der Prinz
Sie mitgenommen.--Nein, nicht gut! Was ich mit ihm auszumachen hätte,
hätte ich nur mit ihm auszumachen.--Wo ist er?
Marinelli. Der Prinz, meine gnädige Gräfin?
Orsina. Wer sonst?
Marinelli. Sie vermuten ihn also hier? wissen ihn hier?--Er
wenigstens ist der Gräfin Orsina hier nicht vermutend.
Orsina. Nicht? So hat er meinen Brief heute morgen nicht erhalten?
Marinelli. Ihren Brief? Doch ja, ich erinnere mich, daß er eines
Briefes von Ihnen erwähnte.
Orsina. Nun? habe ich ihn nicht in diesem Briefe auf heute um eine
Zusammenkunft hier auf Dosalo gebeten?--Es ist wahr, es hat ihm nicht
beliebet, mir schriftlich zu antworten. Aber ich erfuhr, daß er eine
Stunde darauf wirklich nach Dosalo abgefahren. Ich glaubte, das sei
Antworts genug, und ich komme.
Marinelli. Ein sonderbarer Zufall!
Orsina. Zufall?--Sie hören ja, daß es verabredet worden. So gut als
verabredet. Von meiner Seite der Brief, von seiner die Tat.--Wie er
dasteht, der Herr Marchese! Was er für Augen macht! Wundert sich das
Gehirnchen? und worüber denn?
Marinelli. Sie schienen gestern so weit entfernt, dem Prinzen jemals
wieder vor die Augen zu kommen.
Orsina. Beßrer Rat kömmt über Nacht.--Wo ist er? wo ist er?--Was
gilt's, er ist in dem Zimmer, wo ich das Gequieke, das Gekreische
hörte?--Ich wollte herein, und der Schurke von Bedienten trat vor.
Marinelli. Meine liebste, beste Gräfin.
Orsina. Es war ein weibliches
Gekreische. Was gilt's, Marinelli?--O sagen Sie mir doch, sagen Sie
mir--wenn ich anders Ihre liebste, beste Gräfin bin--Verdammt, über
das Hofgeschmeiß! Soviel Worte, soviel Lügen! Nun, was liegt daran,
ob Sie mir es voraussagen oder nicht? Ich werd es ja wohl sehen.
(Will gehen.)
Marinelli (der sie zurückhält). Wohin?
Orsina. Wo ich längst sein sollte.--Denken Sie, daß es schicklich ist,
mit Ihnen hier in dem Vorgemache einen elenden Schnickschnack zu
halten, indes der Prinz in dem Gemache auf mich wartet?
Marinelli. Sie irren sich, gnädige Gräfin. Der Prinz erwartet Sie
nicht. Der Prinz kann Sie hier nicht sprechen--will Sie nicht
sprechen.
Orsina. Und wäre doch hier? und wäre doch auf meinen Brief hier?
Marinelli. Nicht auf Ihren Brief.
Orsina. Den er ja erhalten, sagen
Sie.
Marinelli. Erhalten, aber nicht gelesen.
Orsina (heftig). Nicht gelesen?--(Minder heftig.) Nicht
gelesen?--(Wehmütig und eine Träne aus dem Auge wischend.) Nicht
einmal gelesen?
Marinelli. Aus Zerstreuung, weiß ich--Nicht aus Verachtung.
Orsina (stolz). Verachtung?--Wer denkt daran?--Wem brauchen Sie das
zu sagen?--Sie sind ein unverschämter Tröster, Marinelli!--Verachtung!
Verachtung! Mich verachtet man auch! mich!--(Gelinder, bis zum Tone
der Schwermut.) Freilich liebt er mich nicht mehr. Das ist ausgemacht.
Und an die Stelle der Liebe trat in seiner Seele etwas anders. Das
ist natürlich. Aber warum denn eben Verachtung? Es braucht ja nur
Gleichgültigkeit zu sein. Nicht wahr, Marinelli?
Marinelli. Allerdings, allerdings.
Orsina (höhnisch). Allerdings?--O des weisen Mannes, den man sagen
lassen kann, was man will!--Gleichgültigkeit! Gleichgültigkeit an die
Stelle der Liebe?--Das heißt, nichts an die Stelle von etwas. Denn
lernen Sie, nachplauderndes Hofmännchen, lernen Sie von einem Weibe,
daß Gleichgültigkeit ein leeres Wort, ein bloßer Schall ist, dem
nichts, gar nichts entspricht. Gleichgültig ist die Seele nur gegen
das, woran sie nicht denkt; nur gegen ein Ding, das für sie kein Ding
ist. Und nur gleichgültig für ein Ding, das kein Ding ist--das ist
soviel als gar nicht gleichgültig.--Ist dir das zu hoch, Mensch?
Marinelli (vor sich). O weh! wie wahr ist es, was ich fürchtete!
Orsina. Was murmeln Sie da?
Marinelli. Lauter Bewunderung!--Und wem ist es nicht bekannt, gnädige
Gräfin, daß Sie eine Philosophin sind?
Orsina. Nicht wahr?--Ja, ja, ich bin eine.--Aber habe ich mir es itzt
merken lassen, daß ich eine bin?--O pfui, wenn ich mir es habe merken
lassen, und wenn ich mir es öfterer habe merken lassen! Ist es wohl
noch Wunder, daß mich der Prinz verachtet? Wie kann ein Mann ein Ding
lieben, das, ihm zum Trotze, auch denken will? Ein Frauenzimmer, das
denkt, ist ebenso ekel als ein Mann, der sich schminket. Lachen soll
es, nichts als lachen, um immerdar den gestrengen Herrn der Schöpfung
bei guter Laune zu erhalten.--Nun, worüber lach ich denn gleich,
Marinelli?--Ach, jawohl! Über den Zufall! daß ich dem Prinzen
schreibe, er soll nach Dosalo kommen; daß der Prinz meinen Brief nicht
lieset und daß er doch nach Dosalo kömmt. Ha! ha! ha! Wahrlich ein
sonderbarer Zufall! Sehr lustig, sehr närrisch!--Und Sie lachen nicht
mit, Marinelli?--Mitlachen kann ja wohl der gestrenge Herr der
Schöpfung, ob wir arme Geschöpfe gleich nicht mitdenken dürfen.
--(Ernsthaft und befehlend.) So lachen Sie doch!
Marinelli. Gleich, gnädige Gräfin, gleich!
Orsina. Stock! Und darüber geht der Augenblick vorbei. Nein, nein,
lachen Sie nur nicht.--Denn sehen Sie, Marinelli, (nachdenkend bis zur
Rührung) was mich so herzlich zu lachen macht, das hat auch seine
ernsthafte--sehr ernsthafte Seite. Wie alles in der Welt!--Zufall?
Ein Zufall wär' es, daß der Prinz nicht daran gedacht, mich hier zu
sprechen, und mich doch hier sprechen muß? Ein Zufall?--Glauben Sie
mir, Marinelli: das Wort Zufall ist Gotteslästerung. Nichts unter der
Sonne ist Zufall--am wenigsten das, wovon die Absicht so klar in die
Augen leuchtet.--Allmächtige, allgütige Vorsicht, vergib mir, daß ich
mit diesem albernen Sünder einen Zufall genennet habe, was so offenbar
dein Werk, wohl gar dein unmittelbares Werk ist!--(Hastig gegen
Marinelli.) Kommen Sie mir und verleiten Sie mich noch einmal zu so
einem Frevel!
Marinelli (vor sich). Das geht weit!--Aber gnädige Gräfin....
Orsina. Still mit dem Aber! Die Aber kosten Überlegung--und mein
Kopf! mein Kopf! (Sich mit der Hand die Stirne haltend.)--Machen Sie,
Marinelli, machen Sie, daß ich ihn bald spreche, den Prinzen; sonst
bin ich es wohl gar nicht imstande.--Sie sehen, wir sollen uns
sprechen, wir müssen uns sprechen!

Vierter Auftritt
Der Prinz. Orsina. Marinelli.

Der Prinz (indem er aus dem Kabinette tritt, vor sich). Ich muß ihm
zu Hilfe kommen
Orsina (die ihn erblickt, aber unentschlüssig bleibt, ob sie auf ihn
zugeben soll). Ha! da ist er.
Der Prinz (geht quer über den Saal, bei ihr vorbei, nach den andern
Zimmern, ohne sich im Reden aufzuhalten). Sieh da! unsere schöne
Gräfin.--Wie sehr bedaure ich, Madame, daß ich mir die Ehre Ihres
Besuchs für heute so wenig zunutze machen kann! Ich bin beschäftiget.
Ich bin nicht allein.--Ein andermal, meine liebe Gräfin! Ein
andermal.--Ich halten Sie länger sich nicht auf. Ja nicht länger!
--Und Sie, Marinelli, ich erwarte Sie.

Fünfter Auftritt
Orsina. Marinelli.

Marinelli. Haben Sie es, gnädige Gräfin, nun von ihm selbst gehört,
was Sie mir nicht glauben wollen?
Orsina (wie betäubt). Hab ich? hab ich wirklich?
Marinelli. Wirklich.
Orsina (mit Rührung). "Ich bin beschäftiget. Ich bin nicht allein."
Ist das die Entschuldigung ganz, die ich wert bin? Wen weiset man
damit nicht ab? Jeden Überlästigen, jeden Bettler. Für mich keine
einzige Lüge mehr? Keine einzige kleine Lüge mehr, für mich?
--Beschäftiget? womit denn? Nicht allein? wer wäre denn bei
ihm?--Kommen Sie, Marinelli; aus Barmherzigkeit, lieber Marinelli!
Lügen Sie mir eines auf eigene Rechnung vor. Was kostet Ihnen denn
eine Lüge?--Was hat er zu tun? Wer ist bei ihm?--Sagen Sie mir, sagen
Sie mir, was Ihnen zuerst in den Mund kömmt--und ich gehe.
Marinelli (vor sich). Mit dieser Bedingung kann ich ihr ja wohl einen
Teil der Wahrheit sagen.
Orsina. Nun? Geschwind, Marinelli, und ich gehe.--Er sagte ohnedem,
der Prinz: "Ein andermal, meine liebe Gräfin!" Sagte er nicht
so?--Damit er mir Wort hält, damit er keinen Vorwand hat, mir nicht
Wort zu halten: geschwind, Marinelli, Ihre Lüge, und ich gehe.
Marinelli. Der Prinz, liebe Gräfin, ist wahrlich nicht allein. Es
sind Personen bei ihm, von denen er sich keinen Augenblick abmüßigen
kann; Personen, die eben einer großen Gefahr entgangen sind. Der Graf
Appiani.
Orsina. Wäre bei ihm?--Schade, daß ich über diese Lüge Sie ertappen
muß. Geschwind eine andere.--Denn Graf Appiani, wenn Sie es noch
nicht wissen, ist eben von Räubern erschossen worden. Der Wagen mit
seinem Leichname begegnete mir kurz vor der Stadt.--Oder ist er nicht?
Hätte es mir bloß geträumt?
Marinelli. Leider nicht bloß geträumt!--Aber die andern, die mit dem
Grafen waren, haben sich glücklich hieher nach dem Schlosse gerettet:
seine Braut nämlich und die Mutter der Braut, mit welchen er nach
Sabionetta zu seiner feierlichen Verbindung fahren wollte.
Orsina. Also die? Die sind bei dem Prinzen? Die Braut? und die
Mutter der Braut?--Ist die Braut schön?
Marinelli. Dem Prinzen geht ihr Unfall ungemein nahe.
Orsina. Ich will hoffen, auch wenn sie häßlich wäre. Denn ihr
Schicksal ist schrecklich.--Armes gutes Mädchen, eben da er dein auf
immer werden sollte, wird er dir auf immer entrissen!--Wer ist sie
denn, diese Braut? Kenn ich sie gar?--Ich bin so lange aus der Stadt,
daß ich von nichts weiß.
Marinelli. Es ist Emilia Galotti.
Orsina. Wer?--Emilia Galotti? Emilia Galotti?--Marinelli! daß ich
diese Lüge nicht für Wahrheit nehme!
Marinelli. Wieso?
Orsina. Emilia Galotti?
Marinelli. Die Sie schwerlich kennen werden.
Orsina. Doch! doch!
Wenn es auch nur von heute wäre.--Im Ernst, Marinelli? Emilia
Galotti?--Emilia Galotti wäre die unglückliche Braut, die der Prinz
tröstet?
Marinelli (vor sich). Sollte ich ihr schon zuviel gesagt haben?
Orsina. Und Graf Appiani war der Bräutigam dieser Braut? der eben
erschossene Appiani?
Marinelli. Nicht anders.
Orsina. Bravo! o bravo! bravo! (In die Hände schlagend.)
Marinelli. Wie das?
Orsina. Küssen möcht' ich den Teufel, der ihn dazu verleitet hat!
Marinelli. Wen? verleitet? wozu?
Orsina. Ja, küssen, küssen möcht' ich ihn--Und wenn Sie selbst dieser
Teufel wären, Marinelli.
Marinelli. Gräfin!
Orsina. Kommen Sie her! Sehen Sie mich an! steif an! Aug' in Auge!
Marinelli. Nun?
Orsina. Wissen Sie nicht, was ich denke?
Marinelli. Wie kann ich das?
Orsina. Haben Sie keinen Anteil daran?
Marinelli. Woran?
Orsina. Schwören Sie!--Nein, schwören Sie nicht. Sie möchten eine
Sünde mehr begehen.--Oder ja, schwören Sie nur. Eine Sünde mehr oder
weniger für einen, der doch verdammt ist!--Haben Sie keinen Anteil
daran?
Marinelli. Sie erschrecken mich, Gräfin.
Orsina. Gewiß?--Nun, Marinelli, argwohnet Ihr gutes Herz auch nichts?
Marinelli. Was? worüber?
Orsina. Wohl--so will ich Ihnen etwas vertrauen--etwas, das Ihnen
jedes Haar auf dem Kopfe zu Berge sträuben soll.--Aber hier, so nahe
an der Türe, möchte uns jemand hören. Kommen Sie hierher!--Und!
(Indem sie den Finger auf den Mund legt) Hören Sie! ganz in geheim!
ganz in geheim! (und ihren Mund seinem Ohre nähert, als ob sie ihm
zuflüstern wollte, was sie aber sehr laut ihm zuschreiet.) Der Prinz
ist ein Mörder!
Marinelli. Gräfin--Gräfin--sind Sie ganz von Sinnen?
Orsina. Von Sinnen? Ha! ha! ha! (Aus vollem Halse lachend.) Ich bin
selten oder nie mit meinem Verstande so wohl zufrieden gewesen als
eben itzt.--Zuverlässig, Marinelli--aber es bleibt unter uns--(leise)
der Prinz ist ein Mörder! des Grafen Appiani Mörder!--Den haben nicht
Räuber, den haben Helfershelfer des Prinzen, den hat der Prinz
umgebracht!
Marinelli. Wie kann Ihnen so eine Abscheulichkeit in den Mund, in die
Gedanken kommen?
Orsina. Wie?--Ganz natürlich.--Mit dieser Emilia Galotti--die hier
bei ihm ist--deren Bräutigam so über Hals über Kopf sich aus der Welt
trollen müssen--mit dieser Emilia Galotti hat der Prinz heute morgen,
in der Halle bei den Dominikanern, ein Langes und Breites gesprochen.
Das weiß ich, das haben meine Kundschafter gesehen. Sie haben auch
gehört, was er mit ihr gesprochen--Nun, guter Herr? Bin ich von
Sinnen? Ich reime, dächt' ich, doch noch ziemlich zusammen, was
zusammen gehört.--Oder trifft auch das nur so von ungefähr zu? Ist
Ihnen auch das Zufall? Oh, Marinelli, so verstehen Sie auf die
Bosheit der Menschheit sich ebenso schlecht als auf die Vorsicht.
Marinelli. Gräfin, Sie würden sich um den Hals reden
Orsina. Wenn ich das mehrern sagte?--Desto besser, desto besser!
--Morgen will ich es auf dem Markte ausrufen.--Und wer mir
widerspricht--wer mir widerspricht, der war des Mörders Spießgeselle.
--Leben Sie wohl. (Indem sie fortgehen will, begegnet sie an der Türe
dem alten Galotti, der eiligst hereintritt.)

Sechster Auftritt
Odoardo Galotti. Die Gräfin. Marinelli.

Odoardo Galotti. Verzeihen Sie, gnädige Frau.
Orsina. Ich habe hier
nichts zu verzeihen. Denn ich habe hier nichts übelzunehmen--An
diesen Herrn wenden Sie sich. (Ihn nach dem Marinelli weisend.)
Marinelli (indem er ihn erblicket, vor sich). Nun vollends! der Alte!
Odoardo. Vergeben Sie, mein Herr, einem Vater, der in der äußersten
Bestürzung ist--daß er so unangemeldet hereintritt.
Orsina. Vater? (Kehrt wieder um.) Der Emilia, ohne Zweifel.--Ha,
willkommen!
Odoardo. Ein Bedienter kam mir entgegengesprengt, mit der Nachricht,
daß hierherum die Meinigen in Gefahr wären. Ich fliege herzu und höre,
daß der Graf Appiani verwundet worden, daß er nach der Stadt
zurückgekehret, daß meine Frau und Tochter sich in das Schloß gerettet.
--Wo sind sie, mein Herr? wo sind sie?
Marinelli. Sein Sie ruhig, Herr Oberster. Ihrer Gemahlin und Ihrer
Tochter ist nichts Übels widerfahren, den Schreck ausgenommen. Sie
befinden sich beide wohl. Der Prinz ist bei ihnen. Ich gehe sogleich,
Sie zu melden.
Odoardo. Warum melden? erst melden?
Marinelli. Aus Ursachen--von wegen--Von wegen des Prinzen. Sie
wissen, Herr Oberster, wie Sie mit dem Prinzen stehen. Nicht auf dem
freundschaftlichsten Fuße. So gnädig er sich gegen Ihre Gemahlin und
Tochter bezeiget--es sind Damen--Wird darum auch Ihr unvermuteter
Anblick ihm gelegen sein?
Odoardo. Sie haben recht, mein Herr, Sie haben redet.
Marinelli. Aber, gnädige Gräfin--kann ich vorher die Ehre haben, Sie
nach Ihrem Wagen zu begleiten?
Orsina. Nicht doch, nicht doch.
Marinelli (sie bei der Hand nicht unsanft ergreifend). Erlauben Sie,
daß ich meine Schuldigkeit beobachte.
Orsina. Nur gemach!--Ich
erlasse Sie deren, mein Herr! Daß doch immer Ihresgleichen
Höflichkeit zur Schuldigkeit machen, um, was eigentlich ihre
Schuldigkeit wäre, als die Nebensache betreiben zu dürfen!--Diesen
würdigen Mann je eher, je lieber zu melden, das ist Ihre Schuldigkeit.
Marinelli. Vergessen Sie, was Ihnen der Prinz selbst befohlen?
Orsina. Er komme und befehle mir es noch einmal. Ich erwarte ihn.
Marinelli (leise zu dem Obersten, den er beiseite ziehet). Mein Herr,
ich muß Sie hier mit einer Dame lassen, die--der--mit deren
Verstande--Sie verstehen mich. Ich sage Ihnen dieses, damit Sie
wissen, was Sie auf ihre Reden zu geben haben--deren sie oft sehr
seltsame führet. Am besten, Sie lassen sich mit ihr nicht ins Wort.
Odoardo. Recht wohl.--Eilen Sie nur, mein Herr.

Siebenter Auftritt
Die Gräfin Orsina. Odoardo Galotti.

Orsina (nach einigem Stillschweigen, unter welchem sie den Obersten
mit Mitleid betrachtet, so wie er sie mit einer flüchtigen Neugierde).
Was er Ihnen auch da gesagt hat, unglücklicher Mann!
Odoardo (halb vor sich, halb gegen sie). Unglücklicher?
Orsina. Eine Wahrheit war es gewiß nicht--am wenigsten eine von denen,
die auf Sie warten.
Odoardo. Auf mich warten?--Weiß ich nicht schon genug?--Madame!--Aber,
reden Sie nur, reden Sie nur.
Orsina. Sie wissen nichts.
Odoardo. Nichts?
Orsina. Guter, lieber Vater!--Was gäbe ich darum, wenn Sie auch mein
Vater wären!--Verzeihen Sie! Die Unglücklichen ketten sich so gern
aneinander.--Ich wollte treulich Schmerz und Wut mit Ihnen teilen.
Odoardo. Schmerz und Wut? Madame!--Aber ich vergesse--Reden Sie nur.
Orsina. Wenn es gar Ihre einzige Tochter--Ihr einziges Kind wäre!
--Zwar einzig oder nicht. Das unglückliche Kind ist immer das einzige.
Odoardo. Das unglückliche?--Madame!--Was will ich von ihr?--Doch, bei
Gott, so spricht keine Wahnwitzige!
Orsina. Wahnwitzige? Das war es also, was er Ihnen von mir
vertraute?--Nun, nun, es mag leicht keine von seinen gröbsten Lügen
sein.--Ich fühle so was!--Und glauben Sie, glauben Sie mir: Wer über
gewisse Dinge den Verstand nicht verlieret, der hat keinen zu
verlieren.
Odoardo. Was soll ich denken?
Orsina. Daß Sie mich also ja nicht verachten!--Denn auch Sie haben
Verstand, guter Alter, auch Sie.--Ich seh es an dieser entschlossenen,
ehrwürdigen Miene. Auch Sie haben Verstand; und es kostet mich ein
Wort--so haben Sie keinen.
Odoardo. Madame!--Madame!--Ich habe schon keinen mehr, noch ehe Sie
mir dieses Wort sagen, wenn Sie mir es nicht bald sagen.--Sagen Sie es!
sagen Sie es! Oder es ist nicht wahr--es ist nicht wahr, daß Sie von
jener guten, unsers Mitleids, unserer Hochachtung so würdigen Gattung
der Wahnwitzigen sind--Sie sind eine gemeine Törin. Sie haben nicht,
was Sie nie hatten.
Orsina. So merken Sie auf!--Was wissen Sie, der Sie schon genug
wissen wollen? Daß Appiani verwundet worden? Nur verwundet?--Appiani
ist tot!
Odoardo. Tot? tot?--Ha, Frau, das ist wider die Abrede. Sie wollten
mich um den Verstand bringen: und Sie brechen mir das Herz.
Orsina. Das beiher!--Nur weiter.--Der Bräutigam ist tot, und die
Braut--Ihre Tochter--schlimmer als tot.
Odoardo. Schlimmer? schlimmer als tot?--Aber doch zugleich auch
tot?--Denn ich kenne nur ein Schlimmeres.
Orsina. Nicht zugleich auch
tot. Nein, guter Vater, nein!--Sie lebt, sie lebt. Sie wird nun erst
recht anfangen zu leben.--Ein Leben voll Wonne! Das schönste,
lustigste Schlaraffenleben--solang es dauert.
Odoardo. Das Wort, Madame, das einzige Wort, das mich um den Verstand
bringen soll! heraus damit!--Schütten Sie nicht Ihren Tropfen Gift in
einen Eimer.--Das einzige Wort! geschwind.
Orsina. Nun da, buchstabieren Sie es zusammen!--Des Morgens sprach
der Prinz Ihre Tochter in der Messe, des Nachmittags hat er sie auf
seinem Lust--Lustschlosse.
Odoardo. Sprach sie in der Messe? Der Prinz meine Tochter?
Orsina. Mit einer Vertraulichkeit! mit einer Inbrunst!--Sie hatten
nichts Kleines abzureden. Und recht gut, wenn es abgeredet worden,
recht gut, wenn Ihre Tochter freiwillig sich hierher gerettet! Sehen
Sie: so ist es doch keine gewaltsame Entführung, sondern bloß ein
kleiner--kleiner Meuchelmord.
Odoardo. Verleumdung! verdammte Verleumdung! Ich kenne meine Tochter.
Ist es Meuchelmord, so ist es auch Entführung.--(Blickt wild um sich
und stampft und schäumet.) Nun, Claudia? Nun, Mütterchen?--Haben wir
nicht Freude erlebt! O des gnädigen Prinzen! O der ganz besondern
Ehre!
Orsina. Wirkt es, Alter! wirkt es?
Odoardo. Da steh ich nun vor der Höhle des Räubers--(indem er den
Rock von beiden Seiten auseinanderschlägt und sich ohne Gewehr sieht.)
Wunder, daß ich aus Eilfertigkeit nicht auch die Hände zurückgelassen!
--(An alle Schubsäcke fühlend, als etwas suchend.) Nichts! gar nichts!
nirgends!
Orsina. Ha, ich verstehe!--Damit kann ich aushelfen!--Ich hab einen
mitgebracht. (Einen Dolch hervorziehend.) Da nehmen Sie! Nehmen Sie
geschwind, eh' uns jemand sieht!--Auch hätte ich noch etwas--Gift.
Aber Gift ist nur für uns Weiber, nicht für Männer.--Nehmen Sie ihn!
(Ihm den Dolch aufdrängend.) Nehmen Sie!
Odoardo. Ich danke, ich danke.--Liebes Kind, wer wieder sagt, daß du
eine Närrin bist, der hat es mit mir zu tun.
Orsina. Stecken Sie beiseite! geschwind beiseite!--Mir--wird die
Gelegenheit versagt, Gebrauch davon zu machen. Ihnen wird sie nicht
fehlen, diese Gelegenheit, und Sie werden sie ergreifen, die erste,
die beste--wenn Sie ein Mann sind.--Ich, ich bin nur ein Weib, aber so
kam ich her! fest entschlossen!--Wir, Alter, wir können uns alles
vertrauen. Denn wir sind beide beleidiget, von dem nämlichen
Verführer beleidiget.--Ah, wenn Sie wüßten--wenn sie wüßten, wie
überschwenglich, wie unaussprechlich, wie unbegreiflich ich von ihm
beleidiget worden und noch werde--Sie könnten, Sie würden Ihre eigene
Beleidigung darüber vergessen.--Kennen Sie mich? Ich bin Orsina, die
betrogene, verlassene Orsina.--Zwar vielleicht nur um Ihre Tochter
verlassen.--Doch was kann Ihre Tochter dafür?--Bald wird auch sie
verlassen sein.--Und dann wieder eine!--Und wieder eine!--Ha! (wie in
der Entzückung) welch eine himmlische Phantasie! Wann wir einmal
alle--wir, das ganze Heer der Verlassenen--wir alle in Bacchantinnen,
in Furien verwandelt, wenn wir alle ihn unter uns hätten, ihn unter
uns zerrissen, zerfleischten, sein Eingeweide durchwühlten--um das
Herz zu finden, das der Verräter einer jeden versprach und keiner gab!
Ha! das sollte ein Tanz werden! das sollte!

Achter Auftritt
Claudia Galotti. Die Vorigen.

Claudia (die im Hereintreten sich umsiehet und, sobald sie ihren
Gemahl erblickt, auf ihn zuflieget). Erraten!--Ah, unser Beschützer,
unser Retter! Bist du da, Odoardo? Bist du da?--Aus ihren Wispern,
aus ihren Mienen schloß ich es.--Was soll ich dir sagen, wenn du noch
nichts weißt?--Was soll ich dir sagen, wenn du schon alles
weißt?--Aber wir sind unschuldig. Ich bin unschuldig. Deine Tochter
ist unschuldig. Unschuldig, in allem unschuldig!
Odoardo (der sich bei Erblickung seiner Gemahlin zu fassen gesucht).
Gut, gut. Sei nur ruhig, nur ruhig--und antworte mir. (Gegen die
Orsina.) Nicht, Madame, als ob ich noch zweifelte--Ist der Graf tot?
Claudia. Tot.
Odoardo. Ist es wahr, daß der Prinz heute morgen Emilien in der Messe
gesprochen?
Claudia. Wahr. Aber wenn du wüßtest, welchen Schreck es ihr
verursacht, in welcher Bestürzung sie nach Hause kam-Orsina. Nun, hab
ich gelogen?
Odoardo (mit einem bittern Lachen). Ich wollt' auch nicht, Sie hätten!
Um wie vieles nicht!
Orsina. Bin ich wahnwitzig?
Odoardo (wild hin und her gehend). Oh--noch bin ich es auch nicht.
Claudia. Du gebotest mir ruhig zu sein, und ich bin ruhig.--Bester
Mann, darf auch ich--ich dich bitten.
Odoardo. Was willst du? Bin ich
nicht ruhig? Kann man ruhiger sein, als ich bin? (Sich zwingend.)
Weiß es Emilia, daß Appiani tot ist?
Claudia. Wissen kann sie es nicht. Aber ich fürchte, daß sie es
argwohnet, weil er nicht erscheinet.
Odoardo. Und sie jammert und winselt.
Claudia. Nicht mehr.--Das ist vorbei: nach ihrer Art, die du
kennest. Sie ist die Furchtsamste und Entschlossenste unsers
Geschlechts. Ihrer ersten Eindrücke nie mächtig, aber nach der
geringsten Überlegung in alles sich findend, auf alles gefaßt. Sie
hält den Prinzen in einer Entfernung, sie spricht mit ihm in einem
Tone--Mache nur, Odoardo, daß wir wegkommen.
Odoardo. Ich bin zu Pferde.--Was zu tun?--Doch, Madame, Sie fahren ja
nach der Stadt zurück?
Orsina. Nicht anders.
Odoardo. Hätten Sie wohl die Gewogenheit, meine Frau mit sich zu
nehmen?
Orsina. Warum nicht? Sehr gern.
Odoardo. Claudia--(ihr die Gräfin bekannt machend) die Gräfin Orsina,
eine Dame von großem Verstande, meine Freundin, meine Wohltäterin.--Du
mußt mit ihr herein, um uns sogleich den Wagen herauszuschicken.
Emilia darf nicht wieder nach Guastalla. Sie soll mit mir.
Claudia. Aber--wenn nur--Ich trenne mich ungern von dem Kinde.
Odoardo. Bleibt der Vater nicht in der Nähe? Man wird ihn endlich
doch vorlassen. Keine Einwendung!--Kommen Sie, gnädige Frau. (Leise
zu ihr.) Sie werden von mir hören.--Komm, Claudia. (Er führt sie ab.)


Fünfter Aufzug
Die Szene bleibt.

Erster Auftritt
Marinelli. Der Prinz.

Marinelli. Hier, gnädiger Herr, aus diesem Fenster können Sie ihn
sehen. Er geht die Arkade auf und nieder.--Eben biegt er ein, er
kömmt.--Nein, er kehrt wieder um.--Ganz einig ist er mit sich noch
nicht. Aber um ein Großes ruhiger ist er--oder scheinet er. Für uns
gleichviel!--Natürlich! Was ihm auch beide Weiber in den Kopf gesetzt
haben, wird er es wagen zu äußern?--Wie Battista gehört, soll ihm
seine Frau den Wagen sogleich heraussenden. Denn er kam zu Pferde.
--Geben Sie acht, wenn er nun vor Ihnen erscheinet, wird er ganz
You have read 1 text from German literature.
Next - Emilia Galotti - 5
  • Parts
  • Emilia Galotti - 1
    Total number of words is 4338
    Total number of unique words is 1279
    43.2 of words are in the 2000 most common words
    54.7 of words are in the 5000 most common words
    59.5 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Emilia Galotti - 2
    Total number of words is 4325
    Total number of unique words is 1306
    43.4 of words are in the 2000 most common words
    56.6 of words are in the 5000 most common words
    61.5 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Emilia Galotti - 3
    Total number of words is 4342
    Total number of unique words is 1267
    41.9 of words are in the 2000 most common words
    53.8 of words are in the 5000 most common words
    58.9 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Emilia Galotti - 4
    Total number of words is 4294
    Total number of unique words is 1182
    41.9 of words are in the 2000 most common words
    54.6 of words are in the 5000 most common words
    58.8 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Emilia Galotti - 5
    Total number of words is 3489
    Total number of unique words is 1026
    46.2 of words are in the 2000 most common words
    56.5 of words are in the 5000 most common words
    59.9 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.