Emilia Galotti - 2

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Odoardo. Wie du meinest, Claudia.--Aber sie sollte nicht allein
gegangen sein.
Claudia. Und Ihr, Pirro, bleibt hier in dem Vorzimmer,
alle Besuche auf heute zu verbitten.

Dritter Auftritt
Pirro und bald darauf Angelo.

Pirro. Die sich nur aus Neugierde melden lassen.--Was bin ich seit
einer Stunde nicht alles ausgefragt worden!--Und wer kömmt da?
Angelo (noch halb hinter der Szene, in einem kurzen Mantel, den er
über das Gesicht gezogen, den Hut in die Stirne). Pirro!--Pirro!
Pirro. Ein Bekannter?--(Indem Angelo vollends hereintritt und den
Mantel auseinanderschlägt.) Himmel! Angelo?--Du?
Angelo. Wie du siehst.--Ich bin lange genug um das Haus herumgegangen,
dich zu sprechen.--Auf ein Wort!
Pirro. Und du wagst es, wieder ans Licht zu kommen?--Du bist seit
deiner letzten Mordtat vogelfrei erkläret; auf deinen Kopf steht eine
Belohnung.
Angelo. Die doch du nicht wirst verdienen wollen?
Pirro. Was willst du?--Ich bitte dich, mache mich nicht unglücklich.
Angelo. Damit etwa? (Ihm einen Beutel mit Gelde zeigend.)--Nimm! Es
gehöret dir!
Pirro. Mir?
Angelo. Hast du vergessen? Der Deutsche, dein voriger Herr.
Pirro. Schweig davon!
Angelo. Den du uns, auf dem Wege nach Pisa, in die Falle
führtest.
Pirro. Wenn uns jemand hörte!
Angelo. Hatte ja die Güte, uns auch einen kostbaren Ring zu
hinterlassen.--Weißt du nicht?--Er war zu kostbar, der Ring, als daß
wir ihn sogleich ohne Verdacht hätten zu Gelde machen können. Endlich
ist mir es damit gelungen. Ich habe hundert Pistolen dafür erhalten,
und das ist dein Anteil. Nimm!
Pirro. Ich mag nichts--behalt alles.
Angelo. Meinetwegen!--wenn es dir gleichviel ist, wie hoch du deinen
Kopf feil trägst--(Als ob er den Beutel wieder einstecken wollte.)
Pirro. So gib nur! (Nimmt ihn.)--Und was nun? Denn daß du bloß
deswegen mich aufgesucht haben solltest.
Angelo. Das kömmt dir nicht
so recht glaublich vor?--Halunke! Was denkst du von uns?--daß wir
fähig sind, jemand seinen Verdienst vorzuenthalten? Das mag unter den
sogenannten ehrlichen Leuten Mode sein: unter uns nicht.--Leb wohl!
--(Tut, als ob er gehen wollte, und kehrt wieder um.) Eins muß ich
doch fragen.--Da kam ja der alte Galotti so ganz allein in die Stadt
gesprengt. Was will der?
Pirro. Nichts will er; ein bloßer Spazierritt. Seine Tochter wird
heut abend auf dem Gute, von dem er herkömmt, dem Grafen Appiani
angetrauet. Er kann die Zeit nicht erwarten.
Angelo. Und reitet bald wieder hinaus?
Pirro. So bald, daß er dich hier trifft, wo du noch lange verziehest.
--Aber du hast doch keinen Anschlag auf ihn? Nimm dich in acht. Er
ist ein Mann.
Angelo. Kenn ich ihn nicht? Hab ich nicht unter ihm
gedienet?--Wenn darum bei ihm nur viel zu holen wäre!--Wenn fahren die
junge Leute nach?
Pirro. Gegen Mittag.
Angelo. Mit viel Begleitung?
Pirro. In einem einzigen Wagen.--die Mutter, die Tochter und der Graf.
Ein paar Freunde kommen aus Sabionetta als Zeugen.
Angelo. Und Bediente?
Pirro. Nur zwei; außer mir, der ich zu Pferde voraufreiten soll.
Angelo. Das ist gut.--Noch eins: wessen ist die Equipage? Ist es
eure? oder des Grafen?
Pirro. Des Grafen.
Angelo. Schlimm! Da ist noch ein Vorreiter, außer einem handfesten
Kutscher. Doch!
Pirro. Ich erstaune. Aber was willst du?--Das
bißchen Schmuck, das die Braut etwa haben dürfte, wird schwerlich der
Mühe lohnen.
Angelo. So lohnt ihrer die Braut selbst!
Pirro. Und auch bei diesem Verbrechen soll ich dein Mitschuldiger
sein?
Angelo. Du reitest vorauf. Reite doch, reite! und kehre dich an
nichts!
Pirro. Nimmermehr!
Angelo. Wie? ich glaube gar, du willst den Gewissenhaften spielen.
Bursche! ich denke, du kennst mich.--Wo du plauderst! Wo sich ein
einziger Umstand anders findet, als du mir ihn angegeben!--Pirro. Aber,
Angelo, um des Himmels willen!
Angelo. Tu, was du nicht lassen
kannst! (Geht ab.)
Pirro. Ha! Laß dich den Teufel bei einem Haare fassen, und du bist
sein auf ewig! Ich Unglücklicher!

Vierter Auftritt
Odoardo und Claudia Galotti. Pirro.

Odoardo. Sie bleibt mir zu lang aus.
Claudia. Noch einen Augenblick,
Odoardo! Es würde sie schmerzen, deines Anblicks so zu verfehlen.
Odoardo. Ich muß auch bei dem Grafen noch einsprechen. Kaum kann
ich's erwarten, diesen würdigen jungen Mann meinen Sohn zu nennen.
Alles entzückt mich an ihm. Und vor allem der Entschluß, in seinen
väterlichen Tälern sich selbst zu leben.
Claudia.--Das Herz bricht mir, wenn ich hieran gedenke.--So ganz
sollen wir sie verlieren, diese einzige, geliebte Tochter?
Odoardo. Was nennst du, sie verlieren? Sie in den Armen der Liebe zu
wissen? Vermenge dein Vergnügen an ihr nicht mit ihrem Glücke.--Du
möchtest meinen alten Argwohn erneuern:--daß es mehr das Geräusch und
die Zerstreuung der Welt, mehr die Nähe des Hofes war als die
Notwendigkeit, unserer Tochter eine anständige Erziehung zu geben, was
dich bewog, hier in der Stadt mit ihr zu bleiben--fern von einem Manne
und Vater, der euch so herzlich liebet.
Claudia. Wie ungerecht, Odoardo! Aber laß mich heute nur ein
einziges Wort für diese Stadt, für diese Nähe des Hofes sprechen, die
deiner strengen Tugend so verhaßt sind.--Hier, nur hier konnte die
Liebe zusammenbringen, was füreinander geschaffen war. Hier nur
konnte der Graf Emilien finden; und fand sie.
Odoardo. Das räum ich ein. Aber, gute Claudia, hattest du darum
recht, weil dir der Ausgang recht gibt?--Gut, daß es mit dieser
Stadterziehung so abgelaufen! Laß uns nicht weise sein wollen, wo wir
nichts als glücklich gewesen! Gut, daß es so damit abgelaufen!--Nun
haben sie sich gefunden, die füreinander bestimmt waren: nun laß sie
ziehen, wohin Unschuld und Ruhe sie rufen.--Was sollte der Graf hier?
Sich bücken, schmeicheln und kriechen und die Marinellis auszustechen
suchen? um endlich ein Glück zu machen, dessen er nicht bedarf? um
endlich einer Ehre gewürdiget zu werden, die für ihn keine
wäre?--Pirro!
Pirro. Hier bin ich.
Odoardo. Geh und führe mein Pferd vor das Haus des Grafen. Ich komme
nach und will mich da wieder aufsetzen. (Pirro geht ab.)--Warum soll
der Graf hier dienen, wenn er dort selbst befehlen kann?--Dazu
bedenkest du nicht, Claudia, daß durch unsere Tochter er es vollends
mit dem Prinzen verderbt. Der Prinz haßt mich.
Claudia. Vielleicht weniger, als du besorgest.
Odoardo. Besorgest! Ich besorg auch so was!
Claudia. Denn hab ich dir schon gesagt, daß der Prinz unsere Tochter
gesehen hat?
Odoardo. Der Prinz? Und wo das?
Claudia. In der letzten Vegghia, bei dem Kanzler Grimaldi, die er mit
seiner Gegenwart beehrte. Er bezeigte sich gegen sie so gnädig.
Odoardo. So gnädig?
Claudia. Er unterhielt sich mit ihr so lange.
Odoardo. Unterhielt sich mit ihr?
Claudia. Schien von ihrer Munterkeit und ihrem Witze so
bezaubert.
Odoardo. So bezaubert?
Claudia. Hat von ihrer Schönheit
mit so vielen Lobeserhebungen gesprochen.
Odoardo. Lobeserhebungen?
Und das alles erzählst du mir in einem Tone der Entzückung? O Claudia!
eitle, törichte Mutter!
Claudia. Wieso?
Odoardo. Nun gut, nun gut! Auch das ist so abgelaufen.--Ha! wenn ich
mir einbilde--Das gerade wäre der Ort, wo ich am tödlichsten zu
verwunden bin!--Ein Wollüstling, der bewundert, begehrt.--Claudia!
Claudia! der bloße Gedanke setzt mich in Wut.--Du hättest mir das
sogleich sollen gemeldet haben.--Doch, ich möchte dir heute nicht gern
etwas Unangenehmes sagen. Und ich würde (indem sie ihn bei der Hand
ergreift), wenn ich länger bliebe.--Drum laß mich! laß mich!--Gott
befohlen, Claudia!--Kommt glücklich nach!

Fünfter Auftritt

Claudia Galotti. Welch ein Mann!--Oh, der rauhen Tugend!--wenn anders
sie diesen Namen verdienet.--Alles scheint ihr verdächtig, alles
strafbar!--Oder, wenn das die Menschen kennen heißt:--wer sollte sich
wünschen, sie zu kennen?--Wo bleibt aber auch Emilia?--Er ist des
Vaters Feind: folglich--folglich, wenn er ein Auge für die Tochter hat,
so ist es einzig, um ihn zu beschimpfen?

Sechster Auftritt

Emilia und Claudia Galotti.
Emilia (stürzet in einer ängstlichen Verwirrung herein). Wohl mir!
wohl mir!--Nun bin ich in Sicherheit. Oder ist er mir gar gefolgt?
(Indem sie den Schleier zurückwirft und ihre Mutter erblicket.) Ist er,
meine Mutter? ist er? Nein, dem Himmel sei Dank!
Claudia. Was ist dir, meine Tochter? was ist dir?
Emilia. Nichts, nichts.
Claudia. Und blickest so wild um dich? Und zitterst an jedem Gliede?
Emilia. Was hab ich hören müssen? Und wo, wo hab ich es hören müssen?
Claudia. Ich habe dich in der Kirche geglaubt.
Emilia. Eben da! Was
ist dem Laster Kirch' und Altar?--Ach, meine Mutter! (Sich ihr in die
Arme werfend.)
Claudia. Rede, meine Tochter!--Mach meiner Furcht ein Ende.--Was kann
dir da, an heiliger Stätte, so Schlimmes begegnet sein?
Emilia. Nie hätte meine Andacht inniger, brünstiger sein sollen als
heute: nie ist sie weniger gewesen, was sie sein sollte.
Claudia. Wir sind Menschen, Emilia. Die Gabe zu beten ist nicht
immer in unserer Gewalt. Dem Himmel ist beten wollen auch beten.
Emilia. Und sündigen wollen auch sündigen.
Claudia. Das hat meine Emilia nicht wollen!
Emilia. Nein, meine Mutter; so tief ließ mich die Gnade nicht sinken.
--Aber daß fremdes Laster uns, wider unsern Willen, zu Mitschuldigen
machen kann!
Claudia. Fasse dich!--Sammle deine Gedanken, soviel dir möglich.--Sag
es mir mit eins, was dir geschehen.
Emilia. Eben hatt' ich mich--weiter von dem Altare, als ich sonst
pflege--denn ich kam zu spät--, auf meine Knie gelassen. Eben fing
ich an, mein Herz zu erheben: als dicht hinter mir etwas seinen Platz
nahm. So dicht hinter mir!--Ich konnte weder vor noch zur Seite
rücken--so gern ich auch wollte; aus Furcht, daß eines andern Andacht
mich in meiner stören möchte.--Andacht! das war das Schlimmste, was
ich besorgte.--Aber es währte nicht lange, so hört' ich, ganz nah an
meinem Ohre--nach einem tiefen Seufzer--nicht den Namen einer
Heiligen--den Namen--zürnen Sie nicht, meine Mutter--den Namen Ihrer
Tochter!--Meinen Namen!--O daß laute Donner mich verhindert hätten,
mehr zu hören!--Es sprach von Schönheit, von Liebe--Es klagte, daß
dieser Tag, welcher mein Glück mache--wenn er es anders mache--sein
Unglück auf immer entscheide.--Es beschwor mich--hören mußt' ich dies
alles. Aber ich blickte nicht um; ich wollte tun, als ob ich es nicht
hörte.--Was konnt' ich sonst?--Meinen guten Engel bitten, mich mit
Taubheit zu schlagen; und wann auch, wenn auch auf immer!--Das bat ich;
das war das einzige, was ich beten konnte.--Endlich ward es Zeit,
mich wieder zu erheben. Das heilige Amt ging zu Ende. Ich zitterte,
mich umzukehren. Ich zitterte, ihn zu erblicken, der sich den Frevel
erlauben dürfen. Und da ich mich umwandte, da ich ihn erblickte.
Claudia. Wen, meine Tochter?
Emilia. Raten Sie, meine Mutter, raten Sie--Ich glaubte in die Erde
zu sinken--Ihn selbst.
Claudia. Wen, ihn selbst?
Emilia. Den Prinzen.
Claudia. Den Prinzen!--O gesegnet sei die Ungeduld deines Vaters, der
eben hier war und dich nicht erwarten wollte!
Emilia. Mein Vater hier?--und wollte mich nicht erwarten?
Claudia. Wenn du in deiner Verwirrung auch ihn das hättest hören
lassen!
Emilia. Nun, meine Mutter?--Was hätt' er an mir Strafbares finden
können?
Claudia. Nichts; ebensowenig als an mir. Und doch, doch--Ha, du
kennest deinen Vater nicht! In seinem Zorne hätt' er den unschuldigen
Gegenstand des Verbrechens mit dem Verbrecher verwechselt. In seiner
Wut hätt' ich ihm geschienen, das veranlaßt zu haben, was ich weder
verhindern noch vorhersehen können.--Aber weiter, meine Tochter,
weiter! Als du den Prinzen erkanntest--Ich will hoffen, daß du deiner
mächtig genug warest, ihm in einem Blicke alle die Verachtung zu
bezeigen, die er verdienst.
Emilia. Das war ich nicht, meine Mutter! Nach dem Blicke, mit dem
ich ihn erkannte, hatt' ich nicht das Herz, einen zweiten auf ihn zu
richten. Ich floh--Claudia. Und der Prinz dir nach--Emilia. Was ich
nicht wußte, bis ich in der Halle mich bei der Hand ergriffen fühlte.
Und von ihm! Aus Scham mußt' ich standhalten: mich von ihm
loszuwinden würde die Vorbeigehenden zu aufmerksam auf uns gemacht
haben. Das war die einzige Überlegung, deren ich fähig war--oder
deren ich nun mich wieder erinnere. Er sprach; und ich hab ihm
geantwortet. Aber was er sprach, was ich ihm geantwortet--fällt mir
es noch bei, so ist es gut, so will ich es Ihnen sagen, meine Mutter.
Jetzt weiß ich von dem allen nichts. Meine Sinne hatten mich
verlassen.--Umsonst denk ich nach, wie ich von ihm weg und aus der
Halle gekommen. Ich finde mich erst auf der Straße wieder, und höre
ihn hinter mir herkommen, und höre ihn mit mir zugleich in das Haus
treten, mit mir die Treppe hinaufsteigen.
Claudia. Die Furcht hat
ihren besondern Sinn, meine Tochter! Ich werde es nie vergessen, mit
welcher Gebärde du hereinstürztest.--Nein, so weit durfte er nicht
wagen, dir zu folgen.--Gott! Gott! wenn dein Vater das wüßte!--Wie
wild er schon war, als er nur hörte, daß der Prinz dich jüngst nicht
ohne Mißfallen gesehen!--Indes, sei ruhig, meine Tochter! Nimm es für
einen Traum, was dir begegnet ist. Auch wird es noch weniger Folgen
haben als ein Traum. Du entgehest heute mit eins allen Nachstellungen.
Emilia. Aber, nicht, meine Mutter? Der Graf muß das wissen. Ihm muß
ich es sagen.
Claudia. Um alle Welt nicht!--Wozu? warum? Willst du für nichts und
wieder für nichts ihn unruhig machen? Und wann er es auch itzt nicht
würde: wisse, mein Kind, daß ein Gift, welches nicht gleich wirket,
darum kein minder gefährliches Gift ist. Was auf den Liebhaber keinen
Eindruck macht, kann ihn auf den Gemahl machen. Den Liebhaber könnt'
es sogar schmeicheln, einem so wichtigen Mitbewerber den Rang
abzulaufen. Aber wenn er ihm den nun einmal abgelaufen hat: ah! mein
Kind--so wird aus dem Liebhaber oft ein ganz anderes Geschöpf. Dein
gutes Gestirn behüte dich vor dieser Erfahrung.
Emilia. Sie wissen, meine Mutter, wie gern ich Ihren bessern
Einsichten mich in allem unterwerfe.--Aber, wenn er es von einem
andern erführe, daß der Prinz mich heute gesprochen? Würde mein
Verschweigen nicht, früh oder spät, seine Unruhe vermehren?--Ich
dächte doch, ich behielte lieber vor ihm nichts auf dem Herzen.
Claudia. Schwachheit! verliebte Schwachheit!--Nein, durchaus nicht,
meine Tochter! Sag ihm nichts. Laß ihn nichts merken!
Emilia. Nun ja, meine Mutter! Ich habe keinen Willen gegen den
Ihrigen.--Aha! (Mit einem tiefen Atemzuge.) Auch wird mir wieder ganz
leicht.--Was für ein albernes, furchtsames Ding ich bin!--Nicht, meine
Mutter?--Ich hätte mich noch wohl anders dabei nehmen können und würde
mir ebensowenig vergeben haben.
Claudia. Ich wollte dir das nicht sagen, meine Tochter, bevor dir es
dein eigner gesunder Verstand sagte. Und ich wußte, er wurde dir es
sagen, sobald du wieder zu dir selbst gekommen.--Der Prinz ist galant.
Du bist die unbedeutende Sprache der Galanterie zu wenig gewohnt.
Eine Höflichkeit wird in ihr zur Empfindung, eine Schmeichelei zur
Beteurung, ein Einfall zum Wunsche, ein Wunsch zum Vorsatze. Nichts
klingt in dieser Sprache wie alles, und alles ist in ihr so viel als
nichts.
Emilia. O meine Mutter!--so müßte ich mir mit meiner Furcht vollends
lächerlich vorkommen!--Nun soll er gewiß nichts davon erfahren, mein
guter Appiani! Er könnte mich leicht für mehr eitel als tugendhaft
halten.--Hui! daß er da selbst kömmt! Es ist sein Gang.

Siebenter Auftritt
Graf Appiani. Die Vorigen.

Appiani (tritt tiefsinnig, mit vor sich hin geschlagenen Augen herein
und kömmt näher, ohne sie zu erblicken; bis Emilia ihm entgegenspringt).
Ah, meine Teuerste!--Ich war mir Sie in dem Vorzimmer nicht vermutend.
Emilia. Ich wünschte Sie heiter, Herr Graf, auch wo Sie mich nicht
vermuten.--So feierlich? so ernsthaft?--Ist dieser Tag keiner
freudigern Aufwallung wert?
Appiani. Er ist mehr wert als mein ganzes Leben. Aber schwanger mit
so viel Glückseligkeit für mich--mag es wohl diese Glückseligkeit
selbst sein, die mich so ernst, die mich, wie Sie es nennen, mein
Fräulein, so feierlich macht.--(Indem er die Mutter erblickt.) Ha!
auch Sie hier, meine gnädige Frau!--nun bald mir mit einem innigern
Namen zu verehrende!
Claudia. Der mein größter Stolz sein wird!--Wie glücklich bist du,
meine Emilia!--Warum hat dein Vater unsere Entzückung nicht teilen
wollen?
Appiani. Eben habe ich mich aus seinen Armen gerissen:--oder vielmehr,
er sich aus meinen.--Welch ein Mann, meine Emilia, Ihr Vater! Das
Muster aller männlichen Tugend! Zu was für Gesinnungen erhebt sich
meine Seele in seiner Gegenwart! Nie ist mein Entschluß, immer gut,
immer edel zu sein, lebendiger, als wenn ich ihn sehe--wenn ich ihn
mir denke. Und womit sonst als mit der Erfüllung dieses Entschlusses
kann ich mich der Ehre würdig machen, sein Sohn zu heißen--der Ihrige
zu sein, meine Emilia?
Emilia. Und er wollte mich nicht erwarten!
Appiani. Ich urteile, weil ihn seine Emilia, für diesen
augenblicklichen Besuch, zu sehr erschüttert, zu sehr sich seiner
ganzen Seele bemächtiget hätte.
Claudia. Er glaubte dich mit deinem Brautschmucke beschäftiget zu
finden und hörte.
Appiani. Was ich mit der zärtlichsten Bewunderung
wieder von ihm gehört habe.--So recht, meine Emilia! Ich werde eine
fromme Frau an Ihnen haben, und die nicht stolz auf ihre Frömmigkeit
ist.
Claudia. Aber, meine Kinder, eines tun und das andere nicht lassen!
--Nun ist es hohe Zeit; nun mach, Emilia!
Appiani. Was? meine gnädige Frau.
Claudia. Sie wollen sie doch nicht so, Herr Graf--so wie sie da ist,
zum Altare führen?
Appiani. Wahrlich, das werd ich nun erst gewahr.--Wer kann Sie sehen,
Emilia, und auch auf Ihren Putz achten?--Und warum nicht so, so wie
sie da ist?
Emilia. Nein, mein lieber Graf, nicht so; nicht ganz so. Aber auch
nicht viel prächtiger, nicht viel.--Husch, husch, und ich bin fertig!
--Nichts, gar nichts von dem Geschmeide, dem letzten Geschenke Ihrer
verschwenderischen Großmut! Nichts, gar nichts, was sich nur zu
solchem Geschmeide schickte!--Ich könnte ihm gram sein, diesem
Geschmeide, wenn es nicht von Ihnen wäre. Denn dreimal hat mir von
ihm geträumt.
Claudia. Nun! davon weiß ich ja nichts.
Emilia. Als ob ich es trüge, und als ob plötzlich sich jeder Stein
desselben in eine Perle verwandele.--Perlen aber, meine Mutter, Perlen
bedeuten Tränen.
Claudia. Kind!--Die Bedeutung ist träumerischer als der Traum.
--Warest du nicht von jeher eine größere Liebhaberin von Perlen als
von Steinen?--Emilia. Freilich, meine Mutter, freilich.
Appiani (nachdenkend und schwermütig). Bedeuten Tränen--bedeuten Tränen!
Emilia. Wie? Ihnen fällt das auf? Ihnen?
Appiani. Jawohl, ich sollte mich schämen.--Aber, wenn die
Einbildungskraft einmal zu traurigen Bildern gestimmt ist.
Emilia.
Warum ist sie das auch?--Und was meinen Sie, das ich mir ausgedacht
habe?--Was trug ich, wie sah ich, als ich Ihnen zuerst gefiel?--Wissen
Sie es noch?
Appiani. Ob ich es noch weiß? Ich sehe Sie in Gedanken nie anders
als so; und sehe Sie so, auch wenn ich Sie nicht so sehe.
Emilia. Also, ein Kleid von der nämlichen Farbe, von dem nämlichen
Schnitte; fliegend und frei.
Appiani. Vortrefflich!
Emilia. Und das Haar.
Appiani. In seinem eignen braunen Glanze; in
Locken, wie sie die Natur schlug.
Emilia. Die Rose darin nicht zu
vergessen! Recht! recht!--Eine kleine Geduld, und ich stehe so vor
Ihnen da!

Achter Auftritt
Graf Appiani. Claudia Galotti.

Appiani (indem er ihr mit einer niedergeschlagenen Miene nachsieht).
Perlen bedeuten Tränen!--Eine kleine Geduld!--Ja, wenn die Zeit nur
außer uns wäre!--Wenn eine Minute am Zeiger sich in uns nicht in Jahre
ausdehnen könnte!
Claudia. Emiliens Beobachtung, Herr Graf, war so
schnell als richtig. Sie sind heut ernster als gewöhnlich. Nur noch
einen Schritt von dem Ziele Ihrer Wünsche--sollt' es Sie reuen, Herr
Graf, daß es das Ziel Ihrer Wünsche gewesen?
Appiani. Ah, meine Mutter, und Sie können das von Ihrem Sohne
argwöhnen?--Aber, es ist wahr; ich bin heut ungewöhnlich trübe und
finster.--Nur sehen Sie, gnädig Frau:--noch einen Schritt vom Ziele
oder noch gar nicht ausgelaufen sein, ist im Grunde eines.--Alles was
ich sehe, alles was ich höre, alles was ich träume, prediget mir seit
gestern und ehegestern diese Wahrheit. Dieser eine Gedanke kettet
sich an jeden andern, den ich haben muß und haben will.--Was ist das?
Ich versteh es nicht.
Claudia. Sie machen mich unruhig, Herr
Graf.
Appiani. Eines kömmt dann zum andern!--Ich bin ärgerlich;
ärgerlich über meine Freunde, über mich selbst.
Claudia. Wieso?
Appiani. Meine Freunde verlangen schlechterdings, daß ich dem Prinzen
von meiner Heirat ein Wort sagen soll, ehe ich sie vollziehe. Sie
geben mir zu, ich sei es nicht schuldig; aber die Achtung gegen ihn
woll' es nicht anders.--Und ich bin schwach genug gewesen, es ihnen zu
versprechen. Eben wollt' ich noch bei ihm vorfahren.
Claudia (stutzig). Bei dem Prinzen?

Neunter Auftritt
Pirro, gleich darauf Marinelli und die Vorigen.

Pirro. Gnädige Frau, der Marchese Marinelli hält vor dem Hause und
erkundiget sich nach dem Herrn Grafen.
Appiani. Nach mir?
Pirro. Hier ist er schon. (Öffnet ihm die Türe und gehet ab.)
Marinelli. Ich bitt um Verzeihung, gnädige Frau.--Mein Herr Graf, ich
war vor Ihrem Hause und erfuhr, daß ich Sie hier treffen würde. Ich
hab ein dringendes Geschäft an Sie--Gnädige Frau, ich bitte nochmals
um Verzeihung; es ist in einigen Minuten geschehen.
Claudia. Die ich nicht verzögern will. (Macht ihm eine Verbeugung
und geht ab.)

Zehnter Auftritt
Marinelli. Appiani.

Appiani. Nun, mein Herr?
Marinelli. Ich komme von des Prinzen Durchlaucht.
Appiani. Was ist zu seinem Befehle?
Marinelli. Ich bin stolz, der Überbringer einer so vorzüglichen Gnade
zu sein.--Und wenn Graf Appiani nicht mit Gewalt einen seiner
ergebensten Freunde in mir verkennen will.
Appiani. Ohne weitere Vorrede, wenn ich bitten darf.
Marinelli. Auch das!--Der Prinz muß sogleich an den Herzog von Massa,
in Angelegenheit seiner Vermählung mit dessen Prinzessin Tochter,
einen Bevollmächtigten senden. Er war lange unschlüssig, wen er dazu
ernennen sollte. Endlich ist seine Wahl, Herr Graf, auf Sie gefallen.
Appiani. Auf mich?
Marinelli. Und das--wenn die Freundschaft ruhmredig sein darf--nicht
ohne mein Zutun.
Appiani. Wahrlich, Sie setzen mich wegen eines Dankes
in Verlegenheit.--Ich habe schon längst nicht mehr erwartet, daß der
Prinz mich zu brauchen geruhen werde.
Marinelli. Ich bin versichert,
daß es ihm bloß an einer würdigen Gelegenheit gemangelt hat. Und wenn
auch diese so eines Mannes wie Graf Appiani noch nicht würdig genug
sein sollte, so ist freilich meine Freundschaft zu voreilig gewesen.
Appiani. Freundschaft und Freundschaft um das dritte Wort!--Mit wem
red ich denn? Des Marchese Marinelli Freundschaft hätt' ich mir nie
träumen lassen.
Marinelli. Ich erkenne mein Unrecht, Herr Graf, mein
unverzeihliches Unrecht, daß ich, ohne Ihre Erlaubnis, Ihr Freund sein
wollen.--Bei dem allen: was tut das? Die Gnade des Prinzen, die Ihnen
angetragene Ehre bleiben, was sie sind: und ich zweifle nicht, Sie
werden sie mit Begierd' ergreifen.
Appiani (nach einiger Überlegung). Allerdings.
Marinelli. Nun so kommen Sie.
Appiani. Wohin?
Marinelli. Nach Dosalo, zu dem Prinzen.--Es liegt schon alles fertig;
und Sie müssen noch heut abreisen.
Appiani. Was sagen Sie?--Noch heute?
Marinelli. Lieber noch in dieser nämlichen Stunde als in der
folgenden. Die Sache ist von der äußersten Eil'.
Appiani. In Wahrheit?--So tut es mir leid, daß ich die Ehre, welche
mir der Prinz zugedacht, verbitten muß.
Marinelli. Wie?
Appiani. Ich kann heute nicht abreisen--auch morgen nicht--auch
übermorgen noch nicht.
Marinelli. Sie scherzen, Herr Graf.
Appiani. Mit Ihnen?
Marinelli. Unvergleichlich! Wenn der Scherz dem Prinzen gilt, so ist
er um so viel lustiger.--Sie können nicht?
Appiani. Nein, mein Herr, nein.--Und ich hoffe, daß der Prinz selbst
meine Entschuldigung wird gelten lassen.
Marinelli. Die bin ich begierig zu hören.
Appiani. Oh, eine Kleinigkeit!--Sehen Sie; ich soll noch heut eine
Frau nehmen.
Marinelli. Nun? und dann?
Appiani. Und dann?--und dann?--Ihre Frage ist auch verzweifelt naiv.
Marinelli. Man hat Exempel, Herr Graf, daß sich Hochzeiten
aufschieben lassen.--Ich glaube freilich nicht, daß der Braut oder dem
Bräutigam immer damit gedient ist. Die Sache mag ihr Unangenehmes
haben. Aber doch, dächt' ich, der Befehl des Herrn.
Appiani. Der
Befehl des Herrn?--des Herrn? Ein Herr, den man sich selber wählt,
ist unser Herr so eigentlich nicht--Ich gebe zu, daß Sie dem Prinzen
unbedingtem Gehorsam schuldig wären. Aber nicht ich.--Ich kam an
seinen Hof als ein Freiwilliger. Ich wollte die Ehre haben, ihm zu
dienen, aber nicht sein Sklave werden. Ich bin der Vasall eines
größern Herrn.
Marinelli. Größer oder kleiner: Herr ist Herr.
Appiani. Daß ich mit Ihnen darüber strittet--Genug, sagen Sie dem
Prinzen, was Sie gehört haben--daß es mir leid tut, seine Gnade nicht
annehmen zu können, weil ich eben heut eine Verbindung vollzöge, die
mein ganzes Glück ausmache.
Marinelli. Wollen Sie ihm nicht zugleich wissen lassen, mit wem?
Appiani. Mit Emilia Galotti.
Marinelli. Der Tochter aus diesem Hause?
Appiani. Aus diesem Hause.
Marinelli. Hm! Hm!
Appiani. Was beliebt?
Marinelli. Ich sollte meinen, daß es sonach um so weniger
Schwierigkeit haben könne, die Zeremonie bis zu Ihrer Zurückkunft
auszusetzen.
Appiani. Die Zeremonie? Nur die Zeremonie?
Marinelli. Die guten Eltern werden es so genau nicht nehmen.
Appiani. Die guten Eltern?
Marinelli. Und Emilia bleibt Ihnen ja wohl gewiß.
Appiani. Ja wohl gewiß?--Sie sind mit Ihrem ja wohl--ja wohl ein
ganzer Affe!
Marinelli. Mir das, Graf?
Appiani. Warum nicht?
Marinelli. Himmel und Hölle!--Wir werden uns sprechen.
Appiani. Pah! Hämisch ist der Affe; aber.
Marinelli. Tod und Verdammnis!--Graf, ich fodere Genugtuung.
Appiani. Das versteht sich.
Marinelli. Und würde sie gleich itzt nehmen--nur daß ich dem
zärtlichen Bräutigam den heutigen Tag nicht verderben mag.
Appiani. Gutherziges Ding! Nicht doch! Nicht doch! (Indem er ihn
bei der Hand ergreift.) Nach Massa freilich mag ich mich heute nicht
schicken lassen, aber zu einem Spaziergange mit Ihnen hab ich Zeit
übrig.--Kommen Sie, kommen Sie!
Marinelli (der sich losreißt und abgeht). Nur Geduld, Graf, nur
Geduld!

Elfter Auftritt
Appiani. Claudia Galotti.

Appiani. Geh, Nichtswürdiger!--Ha! das hat gut getan. Mein Blut ist
in Wallung gekommen. Ich fühle mich anders und besser.
Claudia (eiligst und besorgt). Gott! Herr Graf--Ich hab einen
heftigen Wortwechsel gehört.--Ihr Gesicht glühet. Was ist vorgefallen?
Appiani. Nichts, gnädige Frau, gar nichts. Der Kammerherr Marinelli
hat mir einen großen Dienst erwiesen. Er hat mich des Ganges zum
Prinzen überhoben.
Claudia. In der Tat?
Appiani. Wir können nun um so viel früher abfahren. Ich gehe, meine
Leute zu treiben, und bin sogleich wieder hier. Emilia wird indes
auch fertig.
Claudia. Kann ich ganz ruhig sein, Herr Graf?
Appiani. Ganz ruhig, gnädige Frau. (Sie geht herein und er fort.)
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