Eine Stunde hinter Mitternacht - 3

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Fröhlichkeit der Menge nicht. Kopfnickend verliess er mit dem Kronprinzen
das Fenster.
Während draussen die Rufe der beglückten Menge langsam zerrannen, setzte
sich der König im roten Saale zu Tisch. Zwei schimmernde Reihen
geschmückter Herren und Edeldamen sassen an einer ungeheuren Tafel
verteilt, immer eine Dame zwischen zwei männlichen Gesellschaftern. Zur
Rechten des Königs sass die weiss gekleidete Königin, seine dritte Frau,
von Allen ihrer schlanken, stummen Schönheit wegen bewundert. Zur Linken
des königlichen Sitzes sass ein schwarzhaariger Buckliger, schweigsam und
häufig aus tiefliegenden, glänzenden Augen umherschauend. Dieser war des
Königs Bruder. Ihm war der scharfe, zähe Verstand zu eigen, welchen man oft
bei Krüppeln findet, und, unbekannt der Welt, leitete sein wacher Fleiss
und sein ernstes, scharfes Auge die Geschäfte der Regierung. Ihm verdankte
unwissend das Land seinen Wohlstand und der leichtherzige König die
Erhaltung seiner ererbten, unermesslichen Reichtümer.
An die Enden der Tafel waren die Prinzen gesetzt, der Kronprinz und sein
jüngerer Halbbruder, aus der zweiten Ehe des Königs, seiner Herzensehe
entsprossen, ein heller, fröhlicher Ritter. Die Grafen und Gräfinnen und
Barone und ihre Frauen und Töchter waren nach Neigung und Freundschaften
gemischt, die drei vornehmsten und ältesten Vasallen dem Könige gegenüber.
Silberne Teller und krystallene Weinkelche wurden von zahlreichen
edelgeborenen Pagen bedient. In der Nähe des Prinzen glänzte das helle
Jünglingshaupt seines Lieblings, des Sängers, welchen der König, da jener
ein Meister seiner Kunst und von feinen Sitten war, nach italienischem
Vorbilde an sein Haus gefesselt hatte. Er war dem König in kurzer Zeit lieb
und befreundet geworden, denn er verstand meisterlich alle angenehmen
Künste, zumal Poesie und Gesang, und war ein Erfinder vieler Feste, Tänze,
Mummenschänze und sonst ergötzlicher Belustigungen.
Der König redete viel mit den Frauen seiner Vasallen. Die Männer überliess
er seinem Bruder, der durch kurze, schwere Fragen und Blicke die Herren
durchforschte. Die Königin allein sass schweigsam und ohne viel zu lächeln.
Ihr feines, blasses Haupt wendete sich langsam zuweilen um, ihr dunkles
Auge ging durch die Reihen der Tafelnden, ruhte auf den Stirnen schöner
Ritter, und ging weiter, den Schönsten zu suchen. Ihr geschlossener Mund
war von hellem Rot, wie die Frucht der wilden Rose, fein und hochmütig, und
karg mit Lächeln. Sie lehnte oft im Sessel zurück und hörte aufmerksam den
Geigern zu, welche auf einer niederen Galerie gedämpfte, süsse Melodien
spielten. »Eure königliche Majestät lieben die Kunst der Musik?« fragte sie
ehrerbietig ihr Nachbar, ein alter Graf. Sie wandte langsam das Haupt gegen
ihn und die verschleierten Augen.
»Ihr rietet richtig, Herr Graf« sagte sie dann würdig, wandte wieder den
Blick und hörte wieder auf die feinen Töne. Einmal wandte der Sänger sich
um und hüllte das Haupt der Königin in einen langen, glänzenden Blick, und
wog im Herzen sein Schicksal gegen eine junge, süsse Sehnsucht.
Nach aufgehobener Tafel legten sich viele in die Polster, zu ruhen, und
andere wandelten anschauend durch die Säle, deren Estriche mosaikgeschmückt
und deren Wände mit Bildern und köstlichen gewirkten Stoffen behangen
waren. Der Prinz nahm den Arm des Sängers und zog ihn über die breiten
Treppen ins Freie. An einer kühl verschatteten Ruhebank machten sie Halt.
Der Sänger setzte sich auf die Bank und lehnte sich an den gerundeten
Stein. Der Prinz aber warf seinen Mantel ins Gras und legte sich darauf. Er
lehnte den blonden Kopf an das Knie des Freundes und richtete die Blicke
vergnügt auf den vom Gerank der Zweige vergitterten lichten Himmel. Nach
kurzer Weile begann er zu plaudern. »Sag' mir doch, du Kenner, was ist das
Schönste und Begehrenswerteste in der Welt? Ist es der Schmuck des
Reichtums, oder des Ruhmes, ist es der himmlische Zauber der Kunst, oder
der brünstige Schrei eines entzündeten Weibes, oder das Leben der Hirten?«
Der Sänger lachte. »Du Ungeduld! Du suchst den Schatz des Glückes in der
Schale einer Nuss. Aber die Schönheit und das Glück sind reicher als wir,
und haben tausend Wege, und tragen Früchte auf allen Bäumen. Was ist
Reichtum ohne Liebe, oder Wollust ohne Schönheit? Am begehrenswertesten
aber scheint mir vielleicht dieses: Ein Weib von höchster Geburt und
adligem Herzen, das in Liebe sich seiner Rechte entkleidet. Welches bittet,
indem es schenkt.«
Der Prinz legte sich weiter zurück, und lächelte, und spielte mit seinen
schlanken, weissen Fingern. Der Freund fuhr fort: »Auch wird das, was uns
gestern liebenswert und unübertroffen schien, im Schatten der Ereignisse
mit den Tagen blasser und verliert seinen frischen Reiz. Ich erfand vor
einigen Jahren, in Italien, als zum ersten Mal eine verliebte Weiberhand
mich streichelte und mein Herz voll neuer Wonne war, -- da erfand ich aus
meiner Lust ein Lied für die Geige, und that darein, was ich Süsses und
Heimliches wusste und glaubte lang, in dieser Weise sei aller Zauber und
alles Holde versammelt, so als wiege sich das Glück selber im Netz der
Töne. Als ich dasselbe Lied hernach der zweiten und der dritten Frau zu
hören gab, und als neue Lieder mich umtrieben und gesungen sein wollten, da
sah ich den Boden der Tiefe und musste lachen. Und jetzt scheint es mir ein
liebliches Kinderlied zu sein.«
Vom breiten Weg her kam Geräusch. Der Kronprinz und des Königs Bruder
traten in den Schattenkreis des Gebüsches. Da der Kronprinz den Bruder zu
den Füssen des Sängers liegen sah, ging über seine harten Lippen ein
scharfes Lächeln. Er grüsste nicht und kehrte nach dem Schlosse zurück, der
Oheim aber senkte mit Wohlgefallen das ernste Auge auf die Befreundeten.
»Siehe da, meine Blondköpfe! Nennt mir, worüber Ihr redetet, damit ich
teilnehme!« Der Sänger verneigte sich und nötigte den königlichen Kanzler
zu sitzen. Der Prinz, seines Kopfkissens beraubt, setzte sich mit
gekreuzten Beinen gegen die Bank gewendet. »Euer Neffe wünscht zu erfahren,
was wohl in der ganzen Welt das Schönste und Begehrenswerteste ist.«
»Eine leichtsinnige Frage«, sagte der Alte, -- »und eine schwere Frage!
Hattet Ihr ihm eine Antwort?«
»Er meinte, das Höchste wäre: Eine --« die starke Hand des Sängers presste
sich auf den lachenden Mund des Prinzen und erstickte den Rest seiner
Antwort. »Narreteien!« Der Bucklige heftete seinen klaren Blick auf den
Ungestümen und drohte scherzhaft mit dem Finger. »Eine Frau«, -- vollendete
er den Satz. »Aber welche nun? Herr Künstler, Eure blonde Jugend weiss in
der Liebe besser Bescheid als meine unreizende Person.«
»Eure Gnaden überfordern mich. Mir war bisher die Liebe nur ein Schmuck und
Spiel, oder ein Gegenstand für meine Singweisen. Ein Künstler, wer er sei,
bedarf der Frauen, denn ihre Nähe macht glücklich und warm, was beides der
Künstler zu seiner Arbeit sein muss.«
Der Prinz schnitt ein drolliges Gesicht. »Freilich! aber nicht die Künstler
allein. Notwendig sind die Frauen auch für die Prinzen, die in
Friedenszeiten an langer Weile leiden.« »Halt an!« rief der Oheim. »Deine
Abenteuer sind uns sattsam bekannt. Mich wundert, wie lange du noch an
langer Weile leiden willst. Wenn die Geschäfte dir widerwärtig sind, warum
treibst du keine Studien und keine ernstliche Kunst? Dein Bruder studiert
in der kargen Zeit, welche er nicht den Staatsgeschäften widmet, die
Geschichte der Malerkunst und die Sammlungen meines Vaters.« Der Prinz
unterbrach ihn heftig. »Mein Bruder! Er arbeitet, weil er geizig ist, und
weil ihn zu regieren lüstet. Mag er studieren, so viel er will, er lernt
doch nur Jahreszahlen und Namen, und sein Kunstverstand ist auf die
Kenntnis der Bilderpreise beschränkt. Wie viel Goldstücke für eine Leinwand
bezahlt werden, ist ihm wichtiger zu wissen als alle Geschichte. Sein
Gehirn ist eine Rechentafel.«
Der Oheim gab keine Antwort und betrachtete mit Sorge die blanke Stirne des
Prinzen, und seine frohen, genusssüchtigen Kusslippen, und die ganze ziere
Gestalt. Er war das Abbild des Königs, in feineren, eleganteren Linien, mit
denselben sorglosen Manieren, aber noch deutlicher mit dem Stempel des
Leichtsinns gezeichnet. Da beide Jünglinge schwiegen, zog der Alte ein
kleines, fein in Leder gebundenes Büchlein hervor und bat den Sänger
vorzulesen, wobei er eine Stelle mit dem Zeigefinger bezeichnete. Die
klingenden Verse eines italienischen Dichters flossen rein vom Munde des
Lesers, dem beruhigenden Gesang eines fallenden Wassers zu vergleichen.
Während der Lesung entwich der Prinz leise seitab, liess einen Schimmel
satteln und that einen übermütigen Ritt nach der Stadt, durch die hastig
ausweichende Menge in schonungslosem Trab sich drängend. Er hatte für den
Abend ein Maskenkleid zu arbeiten gegeben, nun wandelte in der letzten
Stunde die Lust zu einer Änderung ihn an. Nach kurzer Frist ritt er den Weg
zurück, vom scheuen Volk gegrüsst, über welches er hin und wieder einen
Wurf von kleinen Münzen streute.
Der Sänger, nachdem ihn des Königs Bruder dankend und freundlich entlassen,
ging nachdenklich in den Palast zurück. Er wandelte durch Gänge und Säle
bis zu der schmalen Wand eines Kabinettes, wo das gemalte Bild der Königin
in goldenem Rahmen hing. Vor diesem stand er lang. Und da er sich mit
heissen Augen von dem Bildnis wandte, trat eben mit ihren Frauen die
Königin selber durch die Thüre. Er bückte sich tief. Sie fragte nach dem
Prinzen. »Er verliess mich bald nach der Mahlzeit. Befehlet Ihr ihn zu
suchen?«
»Der Wildfang! -- Bemühet Euch nicht. Habt Ihr Lust mir zu dienen, so
bringet Eure Violine her. Ihr Klang ist mir lieb, denn er erinnert mich
meiner fernen Heimat.« Er eilte nach seiner Geige. Sie begehrte das schöne
Spielwerk zu sehen und nahm es in ihre feinen Hände. Ihre Linke umschloss
den schlanken Geigenhals. »Ein gepriesener Meister hat sie gebaut«,
erklärte der Sänger, »und sie vermag mehr als irgend sonst ein ähnliches
Stück. Man sagt, dass der langher verstorbene italienische Meister den Laut
menschlicher Stimme aus ihr zu locken verstand.« Aus ihren Händen nahm er
die Geige zurück und sah mit glänzendem Auge die Spur ihrer Finger, von
einem schmalen Hauchstreif gesäumt leicht und schmal auf die blanke Fläche
gedrückt. Darauf presste er das feste Kinn auf die Wölbung und geigte einen
langen, wachsenden Ton. Der süsse Laut erfüllte das ganze Gemach, und
zitterte, und wurde zur Sprache einer brennenden Sehnsucht. Die Königin
schloss die Augen und wiegte leise das zarte Haupt, auf dem das Auge des
Spielers glühend und beschwörend ruhte.
In dieser Stunde erkannte der Sänger, dass seine neue Liebe kein Spiel und
Schmuck war, sondern ein Ernst und eine Wunde. Er spielte seiner hohen Dame
zu Dank. Sie gab ihm, was sie zuvor noch nie gethan hatte, beim Weggehen
die Hand, die schmale, königliche, und sagte: »Ihr verstehet Eure Kunst!
Ich habe lange nicht so süsse Töne vernommen. Habt Dank!«
* * * * *
Am Abend begann in dem grössten Saal des Schlosses das Maskenfest. Die
Gäste trugen Florlarven und allerlei Gewänder persischer, griechischer,
spanischer und sonst fremdländischer Art, oder Tierfelle, oder die Kostüme
heidnischer Götter. Der Saal war reich geschmückt und von goldenen
Kronleuchtern erhellt.
Der König trug keine Larve und nur ein altertümliches, reichzackiges Diadem
als besonderen Schmuck. Der Kronprinz war in einer dunklen Mönchskutte
leicht zu erkennen. Sein Bruder aber wurde von niemandem erkannt. Er war
mit Wams und Hut eines Lanzknechts bekleidet und nicht der Einzige, der
diese einfache Tracht gewählt hatte. Der Sänger trug einen künstlichen,
schwarzen Bart und die volkstümliche Kleidung der Neapolitaner. Er suchte
die Nähe der Königin, welche die bunte Volkstracht ihrer südlichen Heimat
trug. Ein Gewimmel von Wilden und Bären, von Göttern und Göttinnen, von
Schäfern, Gnomen und Bergknappen erfüllte den grossen Saal.
Der Prinz verliess bald unbemerkt das Fest. Er warf einen schweren Mantel
über und befahl einem vertrauten Diener, ihm zu folgen und ihm nahe zu
bleiben, wohin er ginge. Ihn verdross das steife Volk der Edelleute und ihr
höfisches Geschwätze. Er steckte ein Jagdmesser in den Gürtel, als
handlichste Waffe für jede Not, und verliess den Palast. Der Schlosshof und
die Allee und alle Anlagen bis zur Stadt waren von farbigen Laternen
erleuchtet, und das trunkene Volk lärmte feiertäglich durch die Wege.
Trinkbuden und Tanzplätze waren übervoll, und erhitzte Tänzer und Trinker
lachten, jodelten und stritten miteinander. Der Prinz begab sich mitten in
das Gedränge und hatte bald an jedem Arm ein lachendes Mädchen hängen. Er
tanzte und trank und stand den Scherzworten der Zuschauenden und den
Flüchen der Eifersüchtigen lachend Rede. Die Weiber wurden von den kecken
Manieren und feinen Reden des Unbekannten gelockt, und seine Lippen
brannten bald von vielen Küssen. Da waren Helle, Dunkle, Schlanke, Breite,
Verschämte und Schamlose. Das Auge des Prinzen fand Gefallen am Gewühl der
Tausende, sein verwöhntes Herz ward von dem raschen Takt der rohen Musik
und vom Anblick des masslosen Pöbels erregt und schlug in volleren Wellen.
Indessen lauschte die Gesellschaft des Königs auf die leichten, zarten
Weisen einer auserlesenen Musik und genoss die Lust des galanten maskierten
Spiels. Es wurde wenig getanzt. Die meisten sassen auf niedern
Polstersitzen oder standen und spazierten in kleineren Gesellschaften
umher. Die Königin bewegte sich lebhaft und gesprächig zwischen den
Gruppen. Man erkannte die Blasse, Schweigsame nicht mehr. Sie erinnerte
sich der Feste ihrer Heimat, ihrer Pracht und Freiheit, und nippte häufig
ohne Scheu am Weinkelch. Das leichte Fieber der Festfreude entflammte ihren
sehnsüchtigen Sinn und stachelte ihr unbefriedigtes Herz, und gab ihrer
fremden Schönheit einen neuen, süssen Reiz. Sie versammelte einen Hofstaat
junger Edelleute um sich her, welchen der verkleidete Sänger sich
zugesellte. »Siehe da, ein Landsmann!« rief sie ihm zu. »Mir ist, ich wär'
Euch schon am Posilippo begegnet.« Der Sänger grüsste mit einem blitzenden
Blicke. »Ich kannte Euch wohl!« antwortete er. »Solche Blumen wachsen
hierlands nicht. Ich grüsse Euch vom Golf, Herrin, als der Abgesandte Eurer
Heimat.«
»Meinen Dank, Landsmann! Wem aber habt Ihr Euern Schatz zu hüten gegeben,
da Ihr so weite Reisen wagtet?«
»Ich habe keinen. Mein Auge ging müssig, seit mein Stern mich verliess, und
ich reiste, ihn zu suchen. Mich freut, ihn so glänzend zu finden.«
»Ich sehe wohl, Guter, man versteht in Neapel noch wie vordem zu
schmeicheln.«
»Schmeicheln, Herrin? Wir sind nur gewohnt, der Wahrheit weniger rauhe
Gewänder anzulegen, als in Nordland Sitte ist.«
Die Königin reichte dem Höflichen einen vollen Becher. »Dies nehmt als
Willkomm! Er wuchs am Vesuv.« Damen mischten sich unter den Kreis der
Königin, so dass dieser sich bald in plaudernde Paare und Doppelpaare
teilte. Der Sänger aber blieb der Königin nahe und umgab ihre Sinne mit dem
Netz seines flüssigen, süssen Geplauders. Er sah ihren roten Mund in
häufigem Lachen glänzend, und sah ihre schneeweissen Zähne, und das sacht
gerundete, reine Kinn, und glänzende Augen hinter der seidenen Larve.
Zuweilen sah er hinter ihr den allein umherwandelnden Kronprinzen einen
Augenblick stille stehen mit widerlichem, horchendem Kopfdrehen. Dieser
erkannte den Sänger nicht und wunderte sich über die verwandelte Laune der
Stiefmutter. Einmal, da sein Schatten ihr wieder über die Schulter
hereinfiel, wandte sie sich rasch und unmutig zu dem Sänger. »Sagt mir
doch, Landsmann, was sucht der Mönch unter den Fröhlichen?«
Der Neapolitaner schaute in das harte Gesicht des Lauschers und antwortete
spöttisch: »Ihr seht ja, er ist am unrechten Ort und kann die Thüre nicht
finden. Also ein Hansnarr wider Willen.« Der Mönch ging bitter lächelnd
weg, gegen den Tisch des Königs, welcher mit mehreren Alten sich abseits
reichlichen Weines erfreute und des Gesprächs über die beendigten Jagden.
In einem Augenblicke, da die Spielleute ruhten, wurden auf einen Ruf des
Königs die Vorhänge von allen Fenstern gezogen. Jedermann erhob sich und
blickte ins Freie. Da standen die unendlichen Reihen der Baumwipfel im
Schimmer der bunten Lampen, das verworrene Jauchzen des Volkes schwoll her,
vom Winde in schwankende Wellen gebrochen, und verschlungene Flammen eines
grossen Feuerwerks fieberten lohhell am matten, dunklen Himmel auf. Ein
dünner Schleier von Dunst und Rauch hing ruhig über den hohen Bäumen, vom
Feuerwerk mit breiten Flüssen roten und gelben Lichtes getränkt.
Zur selben Zeit kehrte leise der Prinz in den Saal zurück, mit verträumten
Augen und schweren, lächelnden Lippen. Der Kronprinz erkannte ihn bald. Er
ahnte seine verborgenen Lustbarkeiten und mass ihn mit hässlichem Hohn.
Denn er hasste den weichlichen und verschwenderischen Bruder im Grunde
seines herben Herzens. Eine Weile später, als der ernüchterte Prinz die
Königin unter den Masken suchte, fand er sie nicht. Er fragte den zechenden
Vater. Der hob kaum das verschleierte Auge vom Becher. »Such', junger
Herr«, sagte er mit rauhem Lachen. »Ihr Jungen seid da, nach den Weibern zu
sehen.«
* * * * *
Die Königin lauschte indess in einem entfernten Zimmer auf die unermüdeten
Scherzreden des Sängers, und auf seine italienischen Lieder. Ihr brannte
die Stirn vom starken Wein der Fröhlichkeit, und ihr Herz schlug berauscht
in heftigen Schlägen. Sie sass tief in einem Ruhesessel und blickte mit
entrückten Augen auf die zusammengepressten Spitzen ihrer zarten Finger.
Der Sänger sass auf einem höheren Stuhl ihr nahe, bewegte die Finger über
den Saiten einer Guitarre und sang welsche Romanzen und plauderte, und
mischte den Ernst der brennenden Leidenschaft in sein buntes Geschwätz. Das
Spiel der Worte rann ohne Hindernis über die Lippen des Liederfertigen, und
ihn machte das schwindelnde Wandeln auf der Grenze des Scherzes trunken. Er
verfolgte die Spur seiner Reden auf ihrem erregten Gesicht und im Zucken
ihrer spielenden Finger. Seine Worte legten unvermerkt die Flitterkleider
des Maskenscherzes ab, sie gewannen doppelte Bedeutung, sie begannen ihre
verborgene Kraft und Wärme hervorzukehren, und nur die gefährlichsten
Verräter kleidete noch der hüllende Flor der galanten Komödie.
Die Königin hörte auf mit den Fingern zu spielen; sie schloss fein geäderte
Lider über den heissen Augen und wiegte sich in ihrer Wärme und im halben
Wissen von der Gefahr. Ihr Traum vieler sehnsüchtig durchwachter Nächte zog
lebendig in lodernden Farben durch ihr Gemüt und alles, was ihr einsames
Herz jemals Prächtiges und Wunderbares über die Liebe ersonnen hatte. Der
Liedermeister senkte seine Stimme zu einem warmen Flüstern, er bog sich
näher zu der Schauernden, er spann ihren Sinn dicht in den Schleier
geflüsterter Schmeichelreden und verschwiegener Wünsche. Beiden blieb ein
blasses, grausam verzogenes Antlitz verborgen, das einen Augenblick durch
die sacht geöffnete Thüre spähte, und blass und grausam wieder verschwand.
Der Kronprinz stiess, in den Festsaal zurückkehrend, auf den Prinzen,
welcher seine Mutter suchte. -- »Die Königin erwartet dich. Dort, im blauen
Zimmer. Aber schone sie; sie ist müde.« Der Kronprinz trat wieder in den
Saal. Aus der vor ihm geöffneten Flügelthüre brauste ein Strom von Musik
und Gelächter dem Prinzen nach, welcher auf die Schwelle des Zimmers trat,
in dem er die Mutter erwartete.
Dem Eintretenden klang der Laut erstickter Seufzer und Liebesreden
entgegen, und erwiederter Küsse. Drei zu Tod erschrockene Menschen schrieen
in diesem Augenblicke weh und gellend auf. Die kalte Hand des Grausens
trennte mit einer Berührung drei nahe Befreundete. Der blasse Prinz riss
zitternd den falschen Bart aus dem Gesicht des erstarrten Liebenden und
schrak vor dem erkannten Freund in zuckendem Schmerz zurück. Noch einen
Augenblick standen sich die Männer mit stieren Augen schweigend gegenüber,
und leerten den Kelch der bittersten Bitternis bis auf die Neige.
Dann gewann der Prinz die Herrschaft über seine Sinne wieder. »Hol' eine
Waffe, Bettelbube!« rief er dem Freunde zu. Seine Stimme war schrill,
brechend und ohne Nachhall, wie der Ton eines springenden Trinkglases. Das
Herz wendete sich in seinem Leibe um und wurde voll Galle. Die beiden
Menschen, auf welche er Jahre lang alles Gute und Zärtliche seines Herzens
gehäuft hatte, standen vor ihm wie Tempelräuber. Der Sänger rannte nach
einem Schwerte. Der Prinz riss eines von der Wand des Ganges. Die Kämpfer
klirrten wild und rasend aufeinander. Kaum dass der unsinnige Kampf
begonnen hatte, fiel der Prinz mit blutendem Halse nieder. Dem Sänger rann
ein roter Streif von der zerhauenen Wange. Er sah den Freund am Boden sich
verblutend winden und sah über ihn die todblasse Königin gebückt. Sein
Blick verwirrte sich und seine Gedanken wurden uneins, flackernd und
blutig. Er ging mit dem roten Schwert in der Hand nach dem Saal, von
scheuen Lakaien geflohen und angekündigt. Er trat in die Flügelthür und
stiess die Schwertspitze vor sich in den Boden, mit einem lauten,
wahnsinnigen Gelächter.
Im Saal entstand eine enge Stille. Dem König rann der vergossene Wein
über's ganze Gewand. Dann ward ein Lärm und eine Verwirrung ohne gleichen.
Keiner rührte an den bluttriefenden Schwertträger. Verstörte Pagen,
weinende und ohnmächtige Weiber, ratlose Männer, entsetzte Greise drängten
sich zwischen umgestürzten Sesseln und Geräten. Krüge und Flaschen wurden
umgestossen, über zerrissene Tafeltücher floss in geruhigen Bächen der edle
Wein. Die Musik spielte noch eine kleine Weile fort und brach dann jäh
erschrocken mitten im Liede ab. Der Kronprinz trat dem Sänger zuerst
entgegen. »Was ist's, Liedler?«
»Deinen Blonden hab' ich erschlagen. Er liegt und mein Schatz kann ihn
nimmer wecken.« Die Diener hatten indess Waffen herbeigetragen und
zahlreiche Edle stürzten gegen die Thüre. Der Kronprinz aber drängte sie
zurück. »Haltet Ruhe, ihr Herren! Eilet lieber, nach dem Prinzen zu sehen.«
Der Erschlagene und die über ihn gebückte Königin wurden von einem grossen
Gedränge umringt. Im Saal blieb allein der König zurück, dessen Verstand
vom genossenen Wein verdunkelt war. Zu ihm trat der entstellte Sänger, sein
Liebling, und trank aus seinem Becher. Der Kronprinz stand in der Thüre und
betrachtete mit grausamer Neugier den Trunkenen und den Wahnsinnigen,
welche in dem verlassenen Prunksaal, aus Einem Becher trinkend, sonderbar
und traurig anzusehen waren, wie ein fabelhaftes Fratzenbild eines
seelenkranken Malers.
In diesem Augenblick loderte das letzte Feuerwerk prachtvoll hinter allen
dunklen Fenstern auf. Das Volk wälzte sich in grossen Haufen vor das still
gewordene Schloss und schmückte mit seinem dankbaren Jubelgeschrei das Fest
des Königs.


Gespräche mit dem Stummen.

Du lächelst? Du wiederholst deine ungesagte Frage? Was soll ich dir sagen!
Dieses dunkle Zimmer, diese ungeschmückten Wände mit den Viereckspuren von
Bildern, die keine Nachfolger fanden, dieses Knisterfeuer im Öflein, dieses
Mondlicht auf unsern Händen und auf dem geöffneten Klavier, diese Stille
und späte Stunde redet verständlicher als mein Mund von dem, was in mir zu
Worte kommen möchte.
Einem Jugendkameraden müsst' ich mich vertrauen, flüsternd und mehr mit
Blicken und Geberden redend, Einem, dem schon der Name eines Hauses oder
Feldes genügte, um eine ganze Geschichte zu verstehen; Einem, der mich oft
mit »Weisst du noch?« und gesummten Liedversen unterbräche.
Was weisst du, wenn ich sage: Meine Mutter? Du siehst dabei nicht ihre
schwarzen Haare und ihr braunes Auge. Was denkst du, wenn ich dir sage: Die
Glockenwiese? Du hörst dabei nicht das Windrauschen in den Kastanienkronen,
und spürst nicht den Duft der Syringenhecke, und siehst nicht die blaue
Fläche der Wiese, welche ganz mit den schwanken Glockenhäuptern der blauen
Kampanula bedeckt ist. Und wenn ich dir den Namen meiner Vaterstadt sage,
dessen Laut mir schon das Blut bewegt, so siehst du nicht die Türme und den
herrlich überbrückten Strom, und siehst nicht den Hintergrund der
Schneeberge und hörst nicht die Volkslieder unsrer Mundart, und hast nicht
selber Lust und Heimweh dabei!
Lieber lass mich dir ein Märchen erzählen. Zwei Geiger hatten eine gute
Freundschaft untereinander, und waren beide bettelarm. Nun geschah's an
einem schwarzen Tag, dass ihnen einfiel in die Wette zu spielen, wer von
beiden der grössere Geiger wäre. Von da an wuchs ihr Ruhm; aber einer
traute dem andern nimmer, denn beide hatten ihre Seelen in Neid und Ehrgeiz
bis in den Grund durchlauscht und alle Tiefen ans Licht ihrer Kunst
gezogen. Da spielte der Eine in einer mondhellen Nacht ein trauriges Lied.
Das war so aus Nacht und Leid gezogen und so voll schwermütigen Andenkens
an die eigene verstörte Freundschaft, dass es tiefer und herzbannender als
irgend sonst ein Lied zu hören war. Dieses Lied vernahm der andere Geiger
voll Neides, drang in die Stube des Freundes und mordete Geiger und Lied.
Von dieser Nacht an ward er der erste Meister seiner Kunst. Er spielte an
Fürstenhöfen und machte die Herzen der Könige zittern, denn seine Weisen
drangen in den Grund der Seele, wo die Engel und Teufel der ungeborenen
Gedanken und Thaten wohnen. Sein Gesicht aber wurde mager, blass und
scharf, sein Herz wurde zu einem Sitz aller Ängste, alles Misstrauens und
aller Bosheit, und sein Spiel bestahl und schändete täglich die
unantastbarsten Innerlichkeiten seiner Seele. Eines Tages nun vermass er
sich vor vielen Hörern jenes letzte Lied seines Freundes zu spielen. Da
stand plötzlich der Ermordete vor ihm, das Messer in der Brust, und spielte
auf seiner Geige mit, noch weher, noch mächtiger, so dass der Meister
schreckblass und stieräugig vor der Menge stand. Diese sah den Ermordeten
nicht und hörte nur mit einem Grausen, dass Zweie geigten. Eine Angst ging
durch den grossen Saal, und als der Spieler zu Ende war, war eine
Totenstille.
Du lächelst? Du wiederholst deine ungefragte Frage? Weiss ich, ob du ein
Messer bei dir trägst? Habe ich nicht, während ich neben dir sitze und
deine Hand halte, einen Schatz bei mir, dessen Wesen und Glanz dir noch
unbekannt ist? Ein Lied, dessen Zauber zum Neid reizt? Einen Schmerz, der
dich beschämen könnte? Und wie dann, wenn ich eines Tages dir ins Auge
blickte und mein Lied mit dir spielte?
* * * * *
Du lächelst? Verzeih mir, Schweigsamer! Du bist das Marmorbild, dem ich
spielend gern meine goldenen Ringe an die Finger lege. Wie aber, wenn du
plötzlich aufhörtest zu lächeln und die steinernen Finger
zusammenkrümmtest? Aber ich weiss noch ein anderes Märchen.
Einen Ritter, welcher einen einzigen Freund besass, lüstete eines Tages in
die Zukunft zu sehen. Er fragte einen Zauberkundigen, den er reich
beschenkte. Der Zauberkundige sah dem Ritter eine Weile ins Auge und sagte
dann: »Diese Nacht, im Traum, wird dir Antwort werden.«
In der Nacht, in einem schwülen Fieberschlaf, sah der Ritter zwei
Lebenslinien, Strömen zu vergleichen, neben einander laufen. Er erkannte
sein Leben und das seines Freundes. Die beiden Linien verschlangen und
wirrten sich, und nach einer kurzen Verknüpfung floss eine, die andere
besiegend und fressend, breit und glänzend lange fort. Auf diesen Traum
hatte der Ritter einen bösen Tag. Darauf beschlich er nächtens die Burg
seines Freundes, ihn zu ermorden. Er kletterte auf den Wall, fiel in den
Graben und brach den Hals. Der Freund betrauerte ihn lang, ward mächtig und
reich und erreichte ein hohes Alter.
* * * * *
Mich wundert oft, welcher von uns das zähere Leben habe. Wenn mich nach
einem grausigen Traum gelüstet, dann denke ich mir, du begännest einmal zu
reden und sagtest mir plötzlich ein Wort von den vielen Worten, die du von
mir gehört hast. Würde nicht die unerhoffte Rückkehr dieses Wortes mich zu
Tode erschrecken? Oder du gingest von mir und trügest die Last meiner
Geständnisse mit dir hinweg. Wäre mir da nicht wie einem Reichen, dessen
Kleinode ein Kind durch die Raubgier einer bevölkerten Strasse trägt? So
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