Ein Ring - 2

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Gleich nachdem die anderen fortgefahren waren--ich lag auf dem Sofa
und zählte die Minuten--, da klopft's. Ich fahre auf und denke:
Sollt' er's schon sein?--Ich hatte meiner Kammerjungfer gesagt, ich
sei für niemand zu Hause, bloß wenn der Vicomte käme, der verreise,
und ich hätte ihm noch Briefe mitzugeben.--Aber wie ich Herein! rufe
und die Tür sich öffnet, wer tritt über die Schwelle? Der Ebi.
Sie haben mir erlaubt, Madame Herz, wenn ich mit dem Trauerspiel
fertig wär', sollt' ich kommen und's Ihnen vorlesen. Da Sie heute
bleiben zu Haus, hab' ich mir gedacht-Ich nickte bloß, und er kam
herein. Ich fand nicht gleich einen Vorwand, ihn fortzuschicken, und
dann dacht ich: Laß ihn nur lesen, das hilft mir über die Pein der
Erwartung hinweg, und wenn Gaston dann kommt, wird er von selbst
wieder aufbrechen. Er bleibt ja nie, wenn ich Besuch habe. Also
setzte er sich auf ein Fauteuil neben dem Sofa, schlug sein großes
Heft auf und fing an zu lesen, wobei seine Stimme vor Aufregung
zitterte und auch die Hände, die die Blätter umschlugen. Er las mit
einer eintönigen, leisen Stimme, und zuweilen geriet er in einen
singenden Ton, wie die Vorbeter im Tempel, die ich als Kind gehört
hatte. Denn seit meiner Verheiratung war ich nicht mehr in die
Synagoge gekommen.
Was er las, wußte ich nicht, auch nicht, ob es Verse waren oder
überhaupt Sinn und Verstand hatte. Nur so viel wurde mir allmählich
klar, daß es eine Liebesgeschichte war, die er zu der biblischen
Historie hinzuerfunden hatte. Ein junger Ammoniter, der unter den
Gefangenen mit Jephtha nach Hause gekommen war, hatte sich in die
unglückliche Tochter verliebt, die nach dem übereilten Gelübde des
Vaters sterben sollte, weil sie die erste gewesen war, die dem
heimkehrenden Sieger aus seinem Hause entgegengekommen war. Auch das
Mädchen hatte zu dem Jüngling eine Neigung gefaßt, obwohl er aus dem
Stamm der Feinde ihres Volkes war und nicht zu dem Gott ihrer Väter
betete. Als er aber in sie drang, während der Todesfrist von zwei
Monaten, die sie auf dem Berge zubrachte, um ihr verlorenes Leben zu
beweinen, sich zu retten und mit ihm zu entfliehen, widerstand sie
ihrem Herzen und blieb beharrlich dabei, sich zu opfern, da ihr Vater
"seinen Mund aufgetan habe gegen den Herrn", und sie sein Gelübde
heilig halten müsse.
Das Beste an der Dichtung schien nur, soviel ich davon begriff, daß
sie kurz war und viele Psalmenstellen und fromme Sprüche aus der
Schrift enthielt, und so kam der Vorleser fast bis ans Ende, zu dem
schwärmerischen Lobgesange der Jungfrau kurz vor ihrem Tode, als es
wieder an die Tür klopfte. Und diesmal war er's.
Seine schönen Augen verfinsterten sich, als er den Alten bei mir fand.
Auch brachte er nicht seine paar deutschen Redensarten vor, mit denen
er mich sonst begrüßte, sondern sagte: "Bon soir, Madame! Vous allez
bien? Mais vous n'êtes pas seule. Si je vous dérange--"
Ich faßte mich so gut ich konnte, stellte die Herren vor, wobei Gaston
dem armen Ebi einen Blick zuwarf, wie einem todeswürdigen Verbrecher,
und sagte, unser alter Hausgenosse habe mir ein selbstverfaßtes Drama
vorgelesen, wir seien eben zum Schlusse gelangt.
Ich dachte nicht anders, als daß der Alte nun gehen würde. Er sprach
auch nicht Französisch, obwohl er es verstand. Er machte aber keine
Miene, aufzubrechen, nur daß er seinen Platz mit einem anderen Sitz
etwas weiter vertauschte.
Sie lesen mir den Schluß wohl ein andermal, Ebi, sagte ich. Das Stück
ist sehr schön. Vielleicht kann es sogar aufgeführt werden.
Auch das half nicht. Er antwortete mit einer stummen Verbeugung,
blieb dann aber stocksteif sitzen, das Heft auf den Knien, die Augen
gegen das Teppichmuster gerichtet.
Ich dachte, er würde doch endlich merken, daß er zuviel sei, wenn ich
gar keine Notiz mehr von ihm nähme und die Konversation französisch
weiterginge. Also bat ich den Vicomte, Platz zu nehmen, fragte, wann
er reiten würde--diese Nacht noch um Mitternacht--, ob er auch mit
warmen Decken versorgt wäre--eine von mir müsse er durchaus
mitnehmen--und sprach dann von den Briefen an die Wiener Damen, das
gleichgültigste Geplauder von der Welt, während mir das Herz klopfte,
als ob es aus der Brust springen wollte.
Und der Alte dabei immer regungslos wie eine Bildsäule!
Noch jetzt weiß ich nicht, warum ich's nicht über die Lippen brachte,
zu sagen: Lassen Sie uns allein, Ebi. Ich habe dem Herrn Vicomte noch
etwas unter vier Augen zu sagen. Aber ich wußte, bei den Worten würde
ich rot werden, wie ein ertapptes Schulkind, und er würde mir meine
sündhafte Leidenschaft am Gesicht ablesen.
So quälte ich mich, den Faden des Gesprächs fortzuspinnen, wobei
Gaston mir wenig half. Denn er war dermaßen verzweifelt über sein
Unglück, mich zum letztenmal nicht ohne Zeugen sehen zu können, daß
ihn alle Geistesgegenwart verließ und er die sonderbarsten Antworten
auf meine Fragen gab. Zuweilen sprang er auf, tat ein paar hastige
Schritte durchs Zimmer, blieb vor der Uhr auf dem Kaminsims stehen und
warf sich dann wieder in den Sessel, mit einem Seufzer, der einen
Stein hätte erweichen können, an dem alten Cerberus aber ohne jeden
Eindruck abglitt.
Je länger es dauerte, je mehr sank mir der Mut, je länger wurden auch
die Pausen in unsrer Konversation. Endlich schlug die Uhr zehn. Da
stand er auf, er konnte sich kaum auf den Knien halten. Es ist Zeit,
stammelte er. Der Graf erwartet mich. Oh Madame...
Die Stimme versagte ihm. Auch ich hatte mich erhoben, obwohl ich mich
nur mit Mühe aufrecht erhielt. Ich begleite Sie noch hinaus, sagte
ich, Herr Ebi wird mich einen Augenblick entschuldigen.
So ging ich ihm voran nach der Tür. Ah, Madame, j'ai la la mort au
coeur. Vous quitter, sans vous dire.--Oh si vous saviez--!
Je sais tout, mon ami, flüsterte ich, et croyez--moi, si vous
souffrez--moi aussi, j'ai le coeur si plein--je suis au désespoir!
Damit öffnete ich die Tür und dachte, draußen--wenn auch nur auf kurze
Minuten--würd' ich mich ihm an die Brust werfen und ihm sagen, was ich
um ihn gelitten. Als ich aber hinaustrat, sah ich eine andere Feindin
meines letzten schmerzlichen Glücks bei einer Lampe am
Pfeilertischchen sitzen, eine Näharbeit in den Händen--Mamsell Zipora!
Ich habe nachher erfahren, meine Kammerjungfer hatte der tückischen
Person, ohne sich was dabei zu denken, erzählt, ich erwartete heute
abend den Vicomte, der Abschied zu nehmen komme. Das hatte die sich
zunutze gemacht, um es dem Ebi, den sie immer noch zu fangen hoffte,
schadenfroh beizubringen, die Frau, die er heimlich vergötterte, sei
auch nicht besser als alle anderen, um sich und ihre Tugend dadurch in
ein vorteilhaftes Licht zu setzen. Und der unselige Mensch hatte sich
von einer Eifersucht, die er sich selbst vielleicht nicht eingestand,
verleiten lassen, den Wächter zu machen und den Rivalen aus dem Felde
zu schlagen.
Sie war von der Erinnerung an diese schmerzlichste Stunde ihres Lebens
so erschüttert, daß sie lange nicht fortfahren konnte, sondern immer
sich mit dem Kölnischen Wasser die Stirn benetzte und mit
geschlossenen Augen dalag.
Endlich sagte sie: Wie ich den Weg in mein Zimmer zurückfand und bis
zu dem Sofa gehen konnte, ist mir ein Rätsel. Ich fühlte mich wie
vernichtet, was jetzt noch werden konnte, war mir unfaßbar, ich sank
auf das Polster nieder, drückte mein Tuch gegen die Augen, und brach
in krankhaftes Schluchzen aus.
Daß Ebi im Zimmer war, hatte ich völlig vergessen.
Da hörte ich plötzlich seine Stimme, in dem feierlich singenden Tone,
wie bei den Psalmenversen seines Trauerspieles: Madame Herz, ich habe
Sie immer verehrt, heute bewundere ich Sie. Der Sieg, den Sie über
sich selbst davongetragen, ist größer als der von Jephthas Tochter.
Sagen Sie nicht, daß ich Ihnen dabei geholfen hab'. Wenn Sie nur
gesagt hätten ein einzig Wort: Ebi, verlassen Sie mich,--so wahr Gott
lebt--ich wäre gegangen, so sehr es mich hätt' geschmerzt, aber Sie
wissen, ich bin ihrem Wort gehorsam, wie ein Hündlein seinem Herrn.
Daß Sie nicht gesagt haben das eine Wort, das macht Ihnen mehr Ehre
als einem König, der große Länder erobert, oder einem gewappneten Mann,
der allein ein ganzes Heer besiegt. Denn wie es im Prediger
Salomonis heißt: Lieblich und schön sein ist nichts, aber ein Weib,
das den Herrn fürchtet, das soll man loben, und in Jesus Sirach: Ein
schönes Weib, das fromm bleibt, ist wie die helle Lampe auf dem
heiligen Leuchter. Erlauben Sie, Madame Herz, daß ich den Saum küsse
an Ihrem Gewande.
Ich fühlte dunkel, wie er es tat, und hörte, wie er dann das Zimmer
verließ. Da brach es erst recht bei mir aus, und ich weinte und
weinte--bis eine Ohnmacht sich meines armen gefolterten Herzens
erbarmte.
Am folgenden Tage und auch den nächsten darauf konnte ich das Bett
nicht verlassen. Es war keine Krankheit, meinte der Arzt, aber eine
Erschöpfung all meiner Lebenskraft. Als ich wieder aufstehen konnte,
dauerte es noch Wochen, bis ich den Anblick von Menschen wieder
ertragen konnte. Ebi und Mamsell Zipora durften mir nicht vor Augen
kommen.
Dann erhielt ich von Konstantinopel aus seinen Ring und einen Brief
dabei, voll schmerzlichster Geständnisse. Ich zeigte beides meinem
Manne, ohne ein Wort dabei zu sagen, und er gab es mir ebenso
schweigend zurück. Ich wußte, daß er ein zu kluger Kenner des
weiblichen Herzens war, um es als eine Sünde anzusehen, wenn meines
gegen das liebenswürdigste, was die Erde trug, schwach gewesen war.
Daß ich einen ganz ähnlichen Ring machen ließ mit der Inschrift: "Pour
toujours", sagte ich Herz nicht. Er hätte die Devise, die zweideutig
war und ewige Liebe oder ewige Trennung bedeuten konnte, doch
vielleicht in dem ersten Sinne verstanden. Zugleich schrieb ich ein
paar Zeilen, die die Bitte enthielten, mir nicht wieder zu schreiben.
Er erfüllte diesen Wunsch. Ich hörte nur selten einmal durch Dritte
von ihm. Schon nach fünf Jahren kam die Nachricht von seinem Tode.
Das ist die Geschichte von diesem Ringe, die du hast wissen wollen,
lieb Kind. Daß ich sie dir erzählt hab', mag dir beweisen, wie lieb
du mir bist. Nicht einmal deine Mutter weiß das Genauere davon. Du
magst es ihr einmal wiedererzählen.-Ich war sehr ergriffen von dieser
rührenden Geschichte und wußte nicht, was ich sagen sollte, meinen
Anteil auszudrücken. Als der naive Jüngling, der ich war, sagte ich
endlich das Ungeschickteste: So schmerzlich es dir sein muß, Tante, so
oft du den Ring betrachtest, du kannst es wenigstens ohne Reue tun.
Sie sah still vor sich hin. O Kind, sagte sie leise, du bist noch
jung. Du hast noch nicht erfahren, daß es manchmal am bittersten
schmerzt, wenn man bereut, daß man nichts zu bereuen hat. Das sag
aber nicht weiter!
Am folgenden Tage setzte ich meine Reise fort. Als ich einen Monat
später wieder nach Frankfurt kam, fand ich die geliebte Tante nicht
mehr unter den Lebenden. Der Onkel händigte mir eine kleine Schachtel
ein, die sie ihm für mich übergeben hatte, und deren Inhalt er nicht
kannte. Der Ring lag darin und ein zärtliches Segenswort, das sie mit
zitternder Hand noch auf ihrem Sterbebette geschrieben hatte.
Seitdem ist dies teure Andenken nicht von meiner Hand gekommen. Die
Emailbuchstaben sind ausgewaschen, der Goldreif ist brüchig geworden,
die kleine Hand, an der ich das Kleinod zuerst gesehen, ist längst
vermodert, doch was mir der sanfte Mund vertraut, lebt unvergeßlich in
meiner Erinnerung fort.
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