Die zärtlichen Schwestern - 5

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ihn sein Mündel beschrieben hat: so ist er ein Mann, dem man sein
Leben, seine Ehre und alles vertrauen kann.
Siegmund. Aber sollte er nicht unerlaubte Absichten haben? Ich habe
gemerkt, daß er sehr genau auf Ihr ganzes Bezeigen, bis auf das
geringste Wort Achtung gegeben hat. Es kömmt noch ein merkwürdiger
Umstand dazu. Er hat in dem Billette an Ihren Herrn Vater schon
triumphieret, daß er heute eine erfreuliche Nachricht vom Hofe
erhalten hätte. Und er hat es dem Herrn Vater auch schon entdeckt;
aber mir nicht.
Lottchen. Ich beschwöre Sie bei Ihrer Aufrichtigkeit, lassen Sie
diesen Mann aus dem Verdachte.
Siegmund. Warum hat er mir nicht gesagt, daß man ihm vom Hofe einen
vornehmen Charakter und eine ungewöhnliche Pension gegeben hat? Was
sucht er darunter, wenn er nicht mein Unglück bei Ihnen sucht?
Lottchen. Ich vergebe Ihren Fehler Ihrer zärtlichen Liebe zu mir.
Außerdem würde ich Sie nicht länger anhören. Wir wollen die Sache zu
unserm Vorteile enden. Ihre Feinde mögen sagen, was sie wollen. Sie
sind bestraft genug, daß sie Ihren Wert nicht kennen. Und wir können
uns nicht besser rächen, als daß wir uns nicht die geringste Mühe
geben, sie zu entdecken. Lassen Sie Ihren Zorn hier verfliegen. Ich
komme in der Gesellschaft meines Vaters und der übrigen gleich wieder
zu Ihnen, unser Bündnis in den Augen unserer Feinde sicher zu machen.

Achter Auftritt
Siegmund allein.

Das war ein verfluchter Streich! Aber er macht mich nur mutiger.
Julchen ist verloren... Gut, ist doch Lottchen, ist doch das
Rittergut mein... Ich bin nicht untreu gewesen. Nein! Ich habe es
nur sein wollen; aber ich war zu edel, als daß mich's die Umstände
hätten werden lassen. Aber wo bleibt Lottchen? Hat sie gar meine
Untreue erfahren? Ich will sie sicher machen.

Neunter Auftritt
Julchen. Damis.

Julchen. »Wo bleibt Lottchen? Hat sie gar meine Untreue erfahren?
Ich will sie sicher machen.« Der Boshafte! Hörten Sie sein
Bekenntnis? Wir wollten sehen, wie er sich nach diesem Briefe
aufführen würde. O hätten wir diese unglückselige Entdeckung doch
niemals gemacht! Du arme Schwester! Du verbindest dich mit einem
Menschen, der ein böses Herz bei der Miene der Aufrichtigkeit hat.
Damis. Ja, es ist ein nichtswürdiger Freund, wie ich Ihnen gesagt
habe. Er hat den größten Betrug begangen. Ich bitte ihn heute
Vormittage, wie man einen Bruder bitten kann, daß er mir Ihre Liebe
sollte gewinnen helfen. Und statt dessen bittet er Ihren Herrn Vater,
unsere Verlobung noch acht Tage aufzuschieben, und will ihn bereden,
als ob Sie, meine Braut, ihn selbst liebten. Ist das mein Freund, dem
ich mehr als einmal mein Haus und mein Vermögen angeboten habe?
Julchen. Mich hat er bereden wollen, daß Sie meiner Schwester
gewogener wären als mir. Nunmehro weiß ich gewiß, daß es keine
Verstellung gewesen. Aber meine arme Schwester wird es doch denken,
weil sie ihm diese List aus gutem Herzen aufgetragen hat. Wer soll
ihr ihren Irrtum entdecken? Wird sie uns hören? Und wenn sie es
glaubt, überführen wir sie nicht von dem größten Unglücke! Wie dauret
sie mich!
Damis. Ja. Aber sie muß es doch erfahren, und wenn Sie schweigen, so
rede ich.
Julchen. Ach, bedenken Sie doch das Elend meiner lieben Schwester!
Schweigen Sie. Vielleicht... Vielleicht ist er nicht von Natur
boshaft, vielleicht hat ihn nur meine Erbschaft...
Damis. Es habe ihn, was auch immer wolle, zur Untreue bewogen: so ist
er in meinen Augen doch allemal weniger zu entschuldigen als ein
Mensch, der den andern aus Hunger auf der Straße umbringt. Hat ihn
die ausnehmende Zärtlichkeit, die ganz bezaubernde Unschuld, die
edelste Freundschaft Ihrer Jungfer Schwester nicht treu und tugendhaft
erhalten können: so muß es ihm nunmehr leicht sein, um eines Gewinstes
willen seinen nächsten Blutsfreund umzubringen und die Religion der
geringsten Wollust wegen abzuschwören.
Julchen. Aber ach, meine Schwester... Tun Sie es nicht. Ich zittre..
.
Damis. Meine Braut, Sie sind mir das Kostbarste auf der Welt. Aber
ich sage Ihnen, ehe ich Lottchen so unglücklich werden lasse, sich mit
einem Nichtswürdigen zu verbinden: so will ich mein Vermögen, meine
Ehre und Sie selbst verlieren. Ich gehe und sage ihr alles, und wenn
sie auch ohne Trost sein sollte. Mein Herr Vormund hat das Billett an
Lottchen auf meine Bitte schreiben und auf die Post bringen lassen.
ihr ehrlicher Vater und der Magister, die Siegmund beide für zu
einfältig gehalten, haben seine tückischen Absichten zuerst gemerkt,
und ihr Herr Vater hat sie meinem Vormunde vertraut. Dieser haßt und
sieht die kleinsten Betrügereien.
Julchen. Ist er denn gar nicht zu entschuldigen?
Damis. Nein, sage ich Ihnen. Wir haben alles untersucht. Er ist ein
Betrüger. (Mit Bitterkeit.) Ich habe in meinem Leben noch kein Tier
gern umgebracht; aber diesen Mann, wenn er es leugnen und Lottchen
durch seine Verstellung unglücklich machen sollte, wollte ich mit
Freuden umbringen. Was? Wir Männer wollen durch den häßlichsten
Betrug das Frauenzimmer im Triumph aufführen, das wir durch unsere
Tugend ehren sollten?
Julchen. Was soll aber meine Schwester mit dem Untreuen anfangen?
Damis. Sie soll ihn mit Verachtung bestrafen. Sie soll ihn fühlen
lassen, was es heißt, ein edles Herz hintergehn.
Julchen. Wenn ihm aber meine Schwester verzeihen wollte. Wäre das
nicht auch großmütig?
Damis. Sie braucht ihn nicht zu verfolgen. Sie kann alle Regungen
der Rache ersticken und sich doch seiner ewig entschlagen. Er ist ein
Unmensch.

Zehnter Auftritt
Die Vorigen. Simon.

Simon. Ich stehe die größte Qual aus. Unsere Absicht mit dem Briefe
schlägt leider fehl. Sie liebt ihn nur desto mehr, je mehr sie ihn
für unschuldig hält. Sie dringt in ihren Vater, daß er die Verlobung
beschleunigen soll. Dieser gute Alte liebt seine Tochter und vergißt
vielleicht in der großen Liebe die Vorsichtigkeit und meine
Erinnerungen. Wenn es niemand wagen will, sich dem Sturme
preiszugeben: so will ich's tun.
Damis. Ich tue es auch.
Julchen. Wenn nur meine Schwester käme. Ich wollte... Aber sie
liebt ihn unaussprechlich. Was wird ihr Herz empfinden, wenn es sich
auf einmal von ihm trennen soll?
Simon. Es wird viel empfinden. Sie liebt ihn so sehr, als man nur
lieben kann. Aber sie liebt ihn deswegen so sehr, weil sie ihn der
Liebe wert hält. Sobald sie ihren Irrtum sehen wird: so wird sich die
Vernunft, das Gefühl der Tugend und das Abscheuliche der Untreue wider
ihre Liebe empören und sie verdringen. Der Haß wird sich an die
Stelle der Liebe setzen. Wir müssen alle drei noch einmal mit ihr und
dem Herrn Vater sprechen, ehe er sie um das Ja betrügt.
Julchen. Du redliche Schwester! Könnte ich doch dein Unglück durch
Wehmut mit dir teilen! Wie traurig wird das Ende dieses Tages für
mich!
Simon. Betrüben Sie sich nicht über den Verlust eines solchen Mannes.
Lottchen ist glücklich, wenn sie ihn verliert, und unglücklich, wenn
sie ihn behält. Herr Damis, haben Sie die Güte und sehen Sie, wie Sie
Lottchen einen Augenblick von ihrem Liebhaber entfernen und
hieherbringen können.
Damis. Ja, das ist das letzte Mittel.
Simon (zu Damis). Noch ein Wort. Haben Sie die Abschrift des
Testaments schon gelesen, die ich itzt mitgebracht habe?
Damis. Nein, Herr Vormund.
Simon. Sie auch nicht, Mamsell Julchen?
Julchen. Nein.
Simon. Also wissen Sie beide noch nicht, daß die erste Nachricht
falsch gewesen ist. Mamsell Julchen, erschrecken Sie nicht. Sie sind
nicht die Erbin des Ritterguts.
Julchen. Wie? Ich bin's nicht? Warum haben Sie mir denn eine
falsche Freude gemacht? Das ist betrübt. Geht denn heute alles
unglücklich? Ach, Herr Damis, Sie sagen nichts? Bin ich nicht mehr
Ihre Braut? Geht denn das Unglück gleich mit der Liebe an? Ich
wollte meinen Vater und meine liebe Schwester mit in mein Gut nehmen.
Ich ließ schon die besten Zimmer für sie zurechtemachen. Ach, mein
Herr, was für Freude empfand ich nicht, wenn ich mir vorstellte, daß
ich Sie an meiner Hand durch das ganze Gut, durch alle Felder und
Wiesen führte... ! Also habe ich nichts?
Damis. Sie haben so viel, als ich habe. Vergessen Sie die traurige
Erbschaft. Es wird uns an nichts gebrechen. Mir ist es recht lieb,
daß Sie das Rittergut nicht bekommen haben. Vielleicht hätte die Welt
geglaubt, daß ich bei meiner Liebe mehr auf dieses als auf Ihren
eigenen Wert gesehen hätte. Und dies soll sie nicht glauben. Sie
soll meine Braut aus ebender Ursache hochschätzen, aus der ich sie
verehre und wähle. Führen Sie mich an Ihrer Hand in meinem eigenen
Hause herum: so werden Sie mir ebendas Vergnügen machen. Genug, daß
Sie ein Rittergut verdienen. O wenn ich nur Lottchen aus ihrem Elende
gerissen hätte. Ich werde eher nicht ruhig.
Simon. Jungfer Lottchen ist die Erbin des Ritterguts.
Julchen. Meine Schwester ist es? Meine Schwester? Bald hätte ich
sie beneidet; aber verwünscht sei diese Regung! Nein! Ich gönne ihr
alles. (Zu Damis.) Was könnte ich mir noch wünschen, wenn Sie mit
mir zufrieden sind. Sie soll es haben. Ich gönne ihr alles.
Damis. Auch mich, meine Braut?
Julchen. Ob ich Sie meiner Schwester gönne? Nein, so redlich bin ich
doch nicht. Es ist keine Tugend; aber... Fragen Sie mich nicht mehr.
Damis. Nein. Ich will Mamsell Lottchen suchen. Die Zärtlichkeit
soll der Freundschaft einige Augenblicke nachstehen.

Eilfter Auftritt
Julchen. Simon.

Julchen. Ob ich ihn meiner Schwester gönne? Wie könnte sie das von
mir verlangen? Sie hat ja das Rittergut. Ich liebe sie sehr; aber
wenn ich ihre Ruhe durch den Verlust des Herrn Damis befördern soll:
so fordert sie zu viel. Das ist mir nicht möglich.
Simon. Machen Sie sich keine Sorge. Sie wird es gewiß nicht begehren.
Ich muß Ihnen auch sagen, daß sie Ihnen nach dem Testamente
zehntausend Taler zu Ihrer Heirat abgeben soll.
Julchen. Das ist alles gut. Wenn ich nur meiner Schwester ihren
Liebhaber durch dieses Geld treu machen könnte, wie gern wollte ich's
ihm geben! Der böse Mensch! Kann er nicht machen, daß ich den Herrn
Damis verliere, indem er Lottchen verliert? Aber warum läßt der
Himmel solche Bosheiten zu? Was kann denn ich für seine Untreue? Ich
bin ja unschuldig.
Simon. Mein Mündel kann niemals aufhören, Sie zu lieben. Verlassen
Sie sich auf mein Wort. Jungfer Lottchen ist zu beklagen. Aber
besser ohne Liebe leben, als unglücklich lieben. Wenn sie doch käme!
Julchen. Aber wenn sie nun kömmt? Ich kann ja ihre Ruhe nicht
herstellen. Ich habe sie herzlich lieb. Aber warum soll denn meine
Liebe mit der ihrigen leiden? Nein, so großmütig kann ich nicht sein,
daß ich ihr zuliebe mich und... mich und ihn vergäße. Wenn sie doch
glücklich wäre! Ich werde recht unruhig. Er sagte, er wollte die
Zärtlichkeit der Freundschaft nachsetzen. Was heißt dieses?
Simon. Bleiben Sie ruhig. Mein Mündel ist der Ihrige. Sie verdienen
ihn. Und wenn Sie künftig an seiner Seite die Glückseligkeiten der
Liebe genießen: so verdanken Sie es der Tugend, daß sie uns durch
Liebe und Freundschaft das Leben zur Lust macht.

Zwölfter Auftritt
Die Vorigen. Der Magister.

Der Magister. Herr Simon, ich möchte Ihnen gern ein paar Worte
vertrauen. Wenn ich nicht sehr irre: so habe ich heute eine wichtige
Entdeckung gemacht, was die Reizungen der Reichtümer für Gewalt über
das menschliche Herz haben.
Simon. Ich fürchte, daß mir diese unglückliche Entdeckung schon mehr
als zu bekannt ist.
Der Magister. Ich habe der Sache alleweile auf meiner Studierstube
nachgedacht.
Julchen. Können Sie uns denn sagen, wie ihr zu helfen ist? Tun Sie
es doch, lieber Herr Magister.
Der Magister. Siegmund muß bestraft werden, damit er gebessert werde.
Simon. Er verdient nicht, daß man ihn anders bestrafe als durch
Verachtung.
Der Magister. Aber wie sollen seine Willenstriebe gebessert werden?
Simon. Ist denn die Verachtung kein Mittel, ein Herz zu bessern?
Der Magister. Das will ich itzt nicht ausmachen. Aber sagen Sie mir,
Herr Simon, ob die Stoiker nicht recht haben, wenn sie behaupten, daß
nur ein Laster ist; oder daß, wo ein Laster ist, die andern alle ihrer
Kraft nach zugegen sind? Sehn Sie nur Siegmunden an. Ist er nicht
recht das Exempel zu diesem Paradoxo?
Simon. Ja, Herr Magister. Aber wie werden wir Jungfer Lottchen von
der Liebe zu Siegmunden abbringen? Sie glaubt es ja nicht, daß er
untreu ist.
Der Magister. Das wird sich schon geben. O wie erstaunt man nicht
über die genaue Verwandtschaft, welche ein Laster mit dem andern hat
und welche alle mit einem haben! Siegmund wird bei der Gelegenheit
des Testaments geizig. Ein Laster. Er strebt nach Julchen, damit er
ihre Reichtümer bekomme. Welcher schändliche Eigennutz! Er wird
Lottchen untreu und will Julchen untreu machen. Wieder zwei neue
Verbrechen. Er kann sein erstes Laster nicht ausführen, wenn er nicht
ein Betrüger und Verräter wird. Also hintergeht er seinen Freund,
seinen Schwiegervater, Sie, mich und alle, nachdem er einmal die
Tugend hintergangen hat. Aber alle diese Bosheiten auszuführen, mußte
er ein Lügner und ein Verleumder werden. Und er ward es. Welche
unselige Vertraulichkeit herrscht nicht unter den Lastern? Sollten
also die Stoiker nicht recht haben?
Simon. Wer zweifelt daran? Herr Magister. Ich glaube es, daß Sie
die Sache genauer einsehen als ich und Jungfer Julchen. Sie reden
sehr wahr, sehr gelehrt. Sie haben seine Untreue zuerst mit entdeckt,
und wir danken Ihnen zeitlebens dafür. Aber entdecken Sie nun auch
das Mittel, Lottchen so weit zu bringen, daß sie sich nicht mit dem
untreuen Siegmund verbindet.
Der Magister. Darauf will ich denken. Lottchen ist zu leichtgläubig
gewesen. Aber sie kann bei dieser Gelegenheit lernen, wieviel man
Ursache hat, ein Mißtrauen in das menschliche Herz zu setzen, wenn Man
es genau kennt und die Erzeugung der Begierden recht ausstudiert hat.
Wir haben so viele Vernunftlehren. Eine Willenslehre ist ebenso nötig.
Ist denn der Wille kein so wesentlicher Teil der Seele als der
Verstand? So wie der Verstand Grundsätze hat, die sein Wesen
ausmachen: so hat der Wille gewisse Grundtriebe. Kennt man diese, so
kennt man sein Wesen; und so kennt man auch die Mittel, ihn zu
verbessern. Jungfer Muhme, reden Sie aufrichtig, habe ich's Ihnen
nicht hundertmal gesagt, daß Siegmund nichts Gründliches in der
Philosophie weiß? Dies sind die traurigen Früchte davon.
Julchen. Lieber Herr Magister, wenn Sie so viel bei der betrübten
Sache empfänden als ich, Sie würden diese Frage itzt nicht an mich tun.
Sie haben mich heute eine Fabel gelehrt. Und ich wollte wünschen,
daß Sie an die Fabel von dem Knaben gedächten, der in das Wasser
gefallen war. Anstatt daß Sie uns in der Gefahr beistehen sollen: so
zeigen Sie uns den Ursprung und die Größe derselben. Nehmen Sie meine
Freiheit nicht übel.
Der Magister. Ich kann Ihnen nichts übelnehmen. Zu einer Beleidigung
gehört die gehörige Einsicht in die Natur der Beleidigung. Und da
Ihnen diese mangelt: so sehen Ihre Reden zwar beleidigend aus; aber
sie sind es nicht.
Simon. Aber, was wollen Sie denn bei der Sache tun?
Der Magister. Ich will, ehe die Versprechung vor sich geht, Lottchen
und meinem Bruder kurz und gut sagen, daß ich meine Einwilligung nicht
darein gebe. Alldann muß die Sache ein ander Aussehn gewinnen.
Simon. Gut, das tun Sie.

Dreizehnter Aufzug
Julchen. Simon.
Julchen. Ich will dem Herrn Magister nachgehen. Er möchte sonst gar
zu große Händel anrichten. Entdecken Sie Lottchen, wenn sie kömmt,
die traurige Sache zuerst. Ich will sorgen, daß Sie Siegmund in Ihrer
Unterredung nicht stört und Ihnen, wenn ich glaube, daß es Zeit ist,
mit meinem Bräutigame zu Hülfe kommen.
Simon. Ich will als ein redlicher Mann handeln. Und wenn ich mir
auch den größten Zorn bei Ihrer Jungfer Schwester und die
niederträchtigste Rache von dem Herrn Siegmund zuziehen sollte: so
will ich doch lieber mich als eine gute Absicht vergessen.

Vierzehnter Auftritt
Simon. Lottchen.

Lottchen. Was ist zu Ihrem Befehle? Haben Sie etwa wegen der
zehntausend Taler, die ich meiner Schwester herausgeben soll, etwas zu
erinnern? Tun Sie nur einen Vorschlag. Ich bin zu allem bereit.
Simon. Mamsell, davon wollen wir ein andermal reden. Glauben Sie
wohl, daß mir Ihr Glück lieb ist und daß ich ein ehrlicher Mann bin?
So unhöflich diese beiden Fragen sind: so muß ich sie doch an Sie tun,
weil ich sonst in der Gefahr stehe, daß Sie meinen Antrag nicht
anhören werden.
Lottchen. Mein Herr, womit kann ich Ihnen dienen? Reden Sie frei.
Ich sage es Ihnen, daß ich ebenden Gehorsam gegen Sie trage, den ich
meinem Vater schuldig bin. Ich will Ihnen den größten Dank sagen,
wenn Sie mir eine Gelegenheit geben, Ihnen meine Hochachtung durch die
Tat zu beweisen. Ich bin ebensosehr von Ihrer Aufrichtigkeit
überzeugt als von der Aufrichtigkeit meines Bräutigams. Kann es Ihnen
nunmehr noch schwerfallen, frei mit mir zu reden?
Simon. Meine Bitte gereicht zum Nachteile Ihres Liebhabers.
Lottchen. Will Ihr Herr Mündel etwa das Rittergut gern haben, weil es
so nahe an der Stadt liegt? Nun errate ich's, warum er itzt gegen den
guten Siegmund etwas verdrießlich tat. Warum hat er mir's nicht
gleich gesagt? Er soll es haben und nicht mehr dafür geben, als Sie
selbst für gut befinden werden. Kommen Sie zur Gesellschaft. Ich
habe mich wegen des boshaften Briefs, den ich vorhin erhalten,
entschlossen, in Ihrer Gegenwart dem Herrn Siegmund ohne fernern
Aufschub das Recht über mein Herz abzutreten und seinen Feinden zu
zeigen, daß ich auf keine gemeine Art liebe.
Simon. Aber diesen boshaften Brief habe ich schreiben und auf die
Post bringen helfen.
Lottchen. Ehe wollte ich glauben, daß ihn mein Vater, der mich so
sehr liebt, geschrieben hätte. Sie scherzen.
Simon. Nein, Mamsell, ich bin zu einem Scherze, den mir die
Ehrerbietung gegen Sie untersagt, zu ernsthaft. Erschrecken Sie nur,
und hassen Sie mich. Ich wiederhole es Ihnen, Ihr Liebhaber meint es
nicht aufrichtig mit Ihnen.
Lottchen. Sie wollen gewiß das Vergnügen haben, meine Treue zu
versuchen und mich zu erschrecken, weil Sie wissen, daß ich nicht
erschrecken kann.
Simon. Sie glauben, ich scherze? Ich will also deutlicher reden.
Ihr Liebhaber ist ein Betrüger.
Lottchen (erbittert). Mein Herr, Sie treiben die Sache weit. Wissen
Sie auch, daß ich für die Treue meines Liebhabers stehe und daß Sie
mich in ihm beleidigen? Und wenn er auch der Untreue fähig wäre: so
würde ich doch den, der mich davon überzeugte, ebensosehr hassen als
den, der sie begangen. Aber ich komme gar in Zorn. Nein, mein Herr,
ich kenne ja Ihre Großmut. Es ist nicht Ihr Ernst, so gewiß, als ich
lebe.
Simon. So gewiß, als ich lebe, ist es mein Ernst. Er ist unwürdig,
noch einen Augenblick von Ihnen geliebt zu werden.
Lottchen. Und ich werde ihn ewig lieben.
Simon. Sie kennen ihn nicht.
Lottchen. Besser als Sie, mein Herr.
Simon. Ihre natürliche Neigung zur Aufrichtigkeit, Ihr gutes Zutrauen
macht, daß Sie ihn für aufrichtig halten; aber dadurch wird er's nicht.
Lottchen. Geben Sie mir die Waffen wider Sie nicht in die Hand. Ich
habe Sie und meinen Liebhaber für aufrichtig gehalten. Ich will mich
betrogen haben. Aber wen soll ich zuerst hassen? Ist Ihnen etwas an
meiner Freundschaft gelegen: so schweigen Sie. Sie verändern mein
ganzes Herz. Sie haben mir und meinem Hause viel Wohltaten erwiesen;
aber dadurch haben Sie kein Recht erlangt, mit mir eigennützig zu
handeln. Wäre es Ihrem Charakter nicht gemäßer, mich tugendhaft zu
erhalten, als daß Sie mich niederträchtig machen wollen? Warum reden
Sie denn nur heute so?
Simon. Weil ich's erst heute gewiß erfahren habe. Wenn Sie mir nicht
glauben: so glauben Sie wenigstens Ihrer Jungfer Schwester und meinem
Mündel.
Lottchen. Das ist schrecklich. Haben Sie diese auch auf Ihre Seite
gezogen?
Simon. Ja, sie sind auf meiner Seite sowohl als Ihr Herr Vater. Und
ehe ich zugebe, daß ein Niederträchtiger Ihr Mann wird, ehe will ich
mich der größten Gefahr aussetzen. Sie sind viel zu edel, viel zu
liebenswürdig für ihn.
Lottchen. Wollen Sie mir denn etwa selbst Ihr Herz anbieten? Muß er
nur darum ein Betrüger sein, weil ich in Ihren Augen so liebenswürdig
bin? Und Sie glauben, daß sich ein edles Herz auf diese Art gewinnen
läßt? Nunmehr muß ich entweder nicht tugendhaft sein oder Sie hassen.
Und bald werde ich Sie nicht mehr ansehn können.
Simon. Machen Sie mir noch so viele Vorwürfe. Die größten
Beschuldigungen, die Sie wider mich ausstoßen, sind nichts als Beweise
Ihres aufrichtigen Herzens. Die Meinung, in der Sie stehen,
rechtfertiget sie alle. Und ich würde Sie vielleicht hassen, wenn Sie
mein Anbringen gelassener angehört hätten. Genug...
Lottchen. Das ist ein neuer Kunstgriff. Mein Herr, Ihre List, wenn
es eine ist, und sie ist es, sei verwünscht! Wie? Er, den ich wie
mich liebe?... Sie wollen sich an seine Stelle setzen? Ist es
möglich?
Simon. Dieser Vorwurf ist der bitterste; aber auch den will ich
verschmerzen. Es ist wahr, daß ich Sie ungemein hochachte; aber ich
habe ein sicheres Mittel, Ihnen diesen grausamen Gedanken von meiner
Niederträchtigkeit zu benehmen. Ich will Ihnen versprechen, Ihr Haus
nicht mehr zu betreten, solange ich lebe. Und wenn ich durch diese
Entdeckung Ihre Liebe zu gewinnen suche: so strafe mich der Himmel auf
das entsetzlichste. Nach diesem Schwure schäme ich mich, mehr zu
reden. (Er geht ab.)

Funfzehnter Auftritt
Lottchen allein.

Gott, was ist das?... Er soll mir untreu sein?... Nimmermehr! Nein!
Der Vormund sei ein Betrüger und nicht er. ... Du, redliches Herz!
Du, mein Freund, um dich will man mich bringen? Warum beweist er
deine Untreue nicht?

Sechzehnter Auftritt
Lottchen. Damis.

Lottchen. Kommen Sie mir zu Hülfe. Und wenn sie mein Unglück auch
alle wollen: so sind doch Sie zu großmütig dazu. Was geht mit meinem
Bräutigam vor? Sagen Sie mir's aufrichtig.
Damis. Er ist Ihnen untreu.
Lottchen. Auch Sie sind mein Feind geworden? Hat Sie mein Liebhaber
beleidiget: so handeln Sie doch wenigstens so großmütig und sagen mir
nichts von der Rache, die Sie an ihm nehmen wollen.
Damis. Mein Herz ist viel zu groß zur Rache.
Lottchen. Aber klein genug zur Undankbarkeit? Hat Ihnen mein
Geliebter nicht heute den redlichsten Dienst erwiesen?
Damis. Wollte der Himmel, er hätte mir ihn nicht erwiesen: so würden
Sie glücklicher, und er würde nur ein verborgner Verräter sein.
Lottchen. Betrüger! Verräter! Sind das die Namen meines Freundes,
den ich zwei Jahr kenne und liebe?
Damis. Wenn ich die Aufrichtigkeit weniger liebte: so würde ich mit
mehr Mäßigung vor Ihnen reden. Aber mein Eifer gibt mir für Ihren
Liebhaber keinen andern Namen ein. Sie, meine Schwester, sind Ihres
Herzens wegen würdig, angebetet zu werden, und eben deswegen ist der
Mensch, der bei Ihrer Zärtlichkeit und bei den sichtbarsten Beweisen
der aufrichtigsten Liebe sich noch die Untreue kann einfallen lassen,
eine abscheuliche Seele.
Lottchen. Eine abscheuliche Seele? Wohlan; nun fordere ich Beweise.
(Heftiger.) Doch weder Ihr Vormund noch Sie, noch meine Schwester,
noch mein Vater selbst werden ihm meine Liebe entziehn können. Und
ich nehme keinen Beweis an als sein eigen Geständnis. Ich bin so sehr
von seiner Tugend überzeugt, daß ich weiß, daß er auch den Gedanken
der Untreue nicht in sich würde haben aufsteigen lassen, ohne mir ihn
selbst zu entdecken. Und ich würde ihn wegen seiner gewissenhaften
Zärtlichkeit nur desto mehr lieben, wenn ich ihn anders mehr lieben
könnte.
Damis. Ich sage es Ihnen, wenn Sie mir nicht trauen: so gebe ich
Ihnen das Herz meiner Braut wieder zurück. Ihnen bin ich's schuldig;
aber ich mag nicht die größte Wohltat von Ihnen genießen und zugleich
Ihr Unglück sehn.
Lottchen. Sie müssen mich für sehr wankelmütig halten, wenn Sie
glauben, daß ich durch bloße Beschuldigungen mich in der Liebe irren
lasse. Haben Sie oder ich mehr Gelegenheit gehabt, das Herz meines
Bräutigams zu kennen? Wenn Sie recht haben, warum werfen Sie ihm
seine Untreue abwesend vor? Rufen Sie ihn hieher. Alsdann sagen Sie
mir seine Verbrechen. Er ist edler gesinnet als wir alle. Und ich
will ihn nun lieben.
Damis. Sie haben recht. Ich will ihn selbst suchen.

Siebenzehnter Auftritt
Lottchen. Julchen.

Lottchen. Er geht? Er untersteht sich, ihn zu rufen? Nun fängt mein
Herz an zu zittern. (Sie sieht Julchen. Kläglich.) Meine Schwester,
bist du auch da? Hast du mich noch lieb? (Lottchen umarmt sie.)
Willst du mir die traurigste Nachricht bringen? O nein! Warum
schweigst du? Warum kömmt er nicht selbst?
Julchen. Ich bitte dich, höre auf, einen Menschen zu lieben, der...
Lottchen. Er soll schuldig sein; aber muß er gleich meiner Liebe
unwürdig sein? Nein, meine liebe Schwester. Ach nein, er ist gewiß
zu entschuldigen. Willst du ihn nicht verteidigen? Vergißt du schon,
was er heute zu deiner Ruhe beigetragen hat? Warum sollte er mir
untreu sein, da ich Vermögen habe? Warum ward er's nicht, da ich noch
keines hatte?
Julchen. Er ward es zu der Zeit, da er in den Gedanken stund, daß ich
die Erbin des Testaments wäre. Ach, liebe Schwester, wie glücklich
wollte ich sein, wenn ich dich nicht hintergangen sähe!
Lottchen. So ist es gewiß? (Hart.) Nein! sage ich.
Julchen. Ich habe lange mit mir gestritten. Ich habe ihn in meinem
Herzen, vor meinem Bräutigam, vor seinem Vormunde und vor unserm Vater
entschuldiget. Ich würde sie aus Liebe zu dir noch alle für betrogne
Zeugen halten. Aber es ist nicht mehr möglich. Er selbst hat sich
hier an dieser Stelle angeklagt, als du ihn nach dem empfangenen
Briefe verlassen hattest. Er war allein. Die Unruhe und sein
Verbrechen redten aus ihm. Er hörte mich nicht kommen. O hätt' er
doch ewig geschwiegen!... Ach, meine Schwester!
Lottchen. Meine Schwester, was sagst du mir? Er hat sich selbst
angeklagt? Er ist untreu? Aber wie könnte ich ihn noch lieben, wenn
er's wäre? Nein, ich liebe ihn, und er liebt mich gewiß. Ich habe
ihm ja die größten Beweise der aufrichtigsten Neigung gegeben...
(Zornig.) Aber was quält ihr mich mit dem entsetzlichsten Verdachte?
Was hat er denn getan? Nichts hat er getan.
Julchen. Er hat mich auf eine betrügerische Art der Liebe zu meinem
Bräutigam entreißen und sich an seine Stelle setzen wollen. Er hat
meinen Vater überreden wollen, als ob ich ihn selbst liebte und als
wenn du hingegen den Herrn Damis liebtest. Er hat ihm geraten, die
Verlobung noch acht Tage aufzuschieben. Er hat sogar um mich bei ihm
angehalten.
Lottchen. Wie? Hat er nicht noch vor wenig Augenblicken mich um mein
Herz gebeten? Ihr haßt ihn und mich.
Julchen. Ja, da er gesehen, daß das Testament zu deinem Vorteile
eingerichtet ist.
Lottchen. Also richtet sich sein Herz nach dem Testamente und nicht
nach meiner Liebe? Ich Betrogene! Doch es ist unbillig, ihn zu
verdammen. Ich muß ihn selbst hören. Auch die edelsten Herzen sind
nicht von Fehlern frei, die sie doch bald bereuen. (Kläglich.)
Liebste Schwester, verdient er keine Vergebung? Mach ihn doch
unschuldig. Ich will ihn nicht besitzen. Ich will ihn zu meiner Qual
meiden. Ich will ihm die ganze Erbschaft überlassen, wenn ich nur die
Zufriedenheit habe, daß er ein redliches Herz hat. O Liebe! ist das
der Lohn für die Treue?

Achtzehnter Auftritt
Die Vorigen. Siegmund.

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