Die zärtlichen Schwestern - 4

Total number of words is 4385
Total number of unique words is 1030
49.0 of words are in the 2000 most common words
63.7 of words are in the 5000 most common words
68.8 of words are in the 8000 most common words
Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
Cleon. Aber Lottchen hat Sie so lieb, lieber als mich. Und ich
dächte, es wäre unbillig, daß Sie sie vergäßen. Ich kann mir nicht
einbilden, daß meine Tochter so unbeständig sein sollte. Ich habe sie
selber vielmal für Sie beten hören, daß es Ihnen der Himmel möchte
wohlgehen und Sie ihr zum Vergnügen leben lassen, wenn es sein Wille
wäre. Sollte sie denn so leichtsinnig sein? Nein. Sie irren sich
wohl.
Siegmund. Eben deswegen wollen wir die Sache noch geheimhalten. Ich
liebe Lottchen wie meine Seele, und ich werde sie auf alle Art zu
erhalten suchen.
Cleon. Wir wollen heute zusehn. Wir wollen genau auf alles achtgeben.
Ich denke gewiß, es soll bei der ersten Einrichtung bleiben. Ich
will Ihnen Lottchen mit einer guten Art herschicken. Sagen Sie ihr
nur recht viel Zärtliches vor. Sie hört es gern. Julchen will ich
selber noch einmal ausforschen; aber ganz schlau. Ich habe mich lange
aufgehalten und den Herrn Simon alleine gelassen. Wenn es nur der
rechtschaffene Mann nicht übelnimmt.

Siebenzehnter Auftritt
Siegmund allein.

Das geht gut. Julchen wird noch meine... Sie ist schön, reich und
wohlgesittet, aufrichtig, edelgesinnt... Aber, Himmel, wenn Lottchen
mein Vorhaben erfahren sollte! Würde sie mein Herz nicht verfluchen?..
. Doch nein. Sie ist sicher. Sie liebt mich... Aber was quält
mich? Sind es die Schwüre, die ich ihr...? Unkräftige Schwüre der
Treue, euch hört der Himmel nicht... O Julchen, wie reizend bist du!
Dich zu besitzen, ist dies kein gerechter Wunsch?

Achtzehnter Auftritt
Siegmund. Lottchen.

Lottchen. Itzt kommen sie beide. Nun wollen wir's ihnen entdecken.
Wie wird sich Julchen erfreuen, o wie wird sie sich erfreuen! Und Sie,
mein Freund, Sie haben mich doch noch lieb? Vergeben Sie mir diese
überflüssige Frage.
Siegmund. Ja, meine Schöne, ich liebe Sie ewig und bin durch Ihre
Liebe für meine Treue unendlich belohnet. O könnte ich Sie doch
vollkommen glücklich machen! (Er küßt sie.) Um dies Vergnügen muß
mich ein Prinz beneiden. Hier kommen sie. Erlauben Sie, meine Schöne,
der Papa wartet schon lange mit dem Kaffee auf mich. Er möchte
ungehalten werden.

Neunzehnter Auftritt
Lottchen. Julchen. Damis.

Lottchen (zu Damis). Ich wollte Ihnen ein schönes, junges,
liebenswürdiges Frauenzimmer mit einem Rittergute anbieten, wenn Sie
Julchen wollen fahren lassen.
Julchen. Ist das die Neuigkeit?
Damis. Und wenn Ihr Frauenzimmer zehn Rittergüter hätte: so würde mir
Julchen auch in einer Schäferhütte besser gefallen.
Julchen. Was reden Sie? Hören Sie doch Lottchen an. Wer weiß, wie
glücklich Sie werden! Ich gönne es Ihnen und der andern Person.
Lottchen, wer ist sie denn?
Lottchen. Es ist ein artiges Kind. Sie hat ein Rittergut für
funfzigtausend Reichstaler. Sie ist wohlerzogen.
Julchen. So? Aber, wo... Wie heißt sie denn?
Lottchen. Sie ist fast so schön wie du.
Julchen. Das mag ich ja nicht wissen. Wenn ich schön bin: so wird
mir's der Spiegel sagen. So muß keine Schwester mit der andern reden.
Sage es dem Herrn Damis allein. Ich werde wohl nicht dabei nötig
sein. (Sie will gehn.)
Damis. Ach, liebe Mamsell, gehn Sie noch nicht. Ich gehe mit Ihnen.
Julchen. Das wird sich nicht schicken. Das Frauenzimmer mit dem
Rittergute, das sich in Sie verliebt hat, würde es sehr übelnehmen.
Es ist gut, daß Sie sich bei mir in den Liebeserklärungen geübt haben.
Nunmehr werden sie Ihnen wenig Mühe machen.
Lottchen. Höre nur, meine Schwester. Es kömmt erst darauf an, ob das
Frauenzimmer dem Herrn Damis gefallen wird. Sie hat freilich schöne
große blaue Augen, fast wie du; eine gefällige Bildung und eine recht
erobernde Miene; kleine volle runde Hände. (Julchen sieht ihre Hände
an.) Sie ist dem Herrn Damis gut; aber sie liebt auch die Freiheit.
Julchen. O ich weiß gar nicht, was du haben willst? Kurz, wie heißt
denn das Frauenzimmer, die den Herrn Damis liebt?
Lottchen. Sie heißt ebenfalls, wie du, Julchen.
Julchen. Oh! du willst mich zum Kinde machen.
Lottchen. Nein, Julchen, ich kündige hiermit dir und deinem Liebhaber
ein ansehnliches Glück an. Die selige Frau Muhme hat dir in ihrem
Testamente ihr ganzes Rittergut vermacht. Herr Simon hat uns die
Nachricht nur itzt gegeben, und ich habe ihn gebeten, daß er mir die
Freude gönnen möchte, sie euch beiden zuerst zu hinterbringen. Meine
liebe Schwester, ich wünsche dir tausend Glück zu deiner Erbschaft,
und Ihnen, mein Freund, wünsche ich meine Schwester. Wie glücklich
bin ich heute!
Julchen. Was? Das ganze Rittergut? Und dir nichts? Hätte sie es
denn nicht teilen können? Ist es denn auch gewiß? Kann es nicht ein
Mißverstand sein? Warum hat sie denn dir nichts vermacht?
Lottchen. Wenn sie dich nun lieber gehabt hat als mich. Genug, die
Erbschaft ist deine und für dich bestimmt gewesen. Ich habe genug,
wenn ich künftig ohne Kummer mit meinem Geliebten leben kann. Ach,
Julchen, ich weiß, daß dem Papa ein jeder Augenblick zu lang wird, bis
er dir seinen Glückwunsch abstatten kann. Ich habe ihn gebeten, dich
nichts merken zu lassen, bis ich mit dir geredt hätte.
Damis. Ich erstaune ganz. Vielleicht wäre es ein Glück für mich,
wenn kein Testament wäre. Ach, mein liebes Julchen, soll ich Sie
verlieren?
Julchen. Lottchen, ich teile das Gut mit dir und dem Papa. Nein,
ganz wünsche ich mir es nicht. Ich verdiene es auch nicht. Traurige
Erbschaft!... Ich war unruhig vor dieser Nachricht, und ich bin noch
nicht vergnügt. (Sie sieht den Damis an.) Und Sie, mein Herr...?
Damis. Und Sie, meine Schöne...?
Lottchen. Kommt, sonst geht die traurige Szene wieder an. Ich weiß,
daß der Papa schon ein wenig geschmälet haben wird.

Zwanzigster Auftritt
Die Vorigen. Cleon.

Cleon. Ihr losen Kinder, wo bleibt ihr denn? Soll sich der Kaffee
selber einschenken?
Lottchen. Schmälen Sie nicht, lieber Papa. Ihre Töchter sind in
guten Händen. Wir waren gleich im Begriffe, zu Ihnen zu kommen.
Julchen. Ach, lieber Papa...
Cleon. Nun, was willst du? Soll ich dir zu deinem Glücke
gratulieren? Ich habe vor Freuden schon darüber geweint. Hast du
auch Gott für die reiche Erbschaft gedankt? Du gutes Kind. Ach
Lottchen, geh doch und schenke dem Herrn Simon noch eine Tasse Kaffee
ein. Er will alsdann gehn und sich um die Abschrift des Testaments
bemühn. Sie, Herr Damis, sollen so gütig sein und ihm Gesellschaft
leisten.
Damis. Von Herzen gern.
(Er geht mit Lottchen und Julchen, und der Vater winkt Julchen.)

Einundzwanzigster Auftritt
Cleon. Julchen.

Cleon. Nun, meine Tochter, wie steht es mit deinem Herzen? Es muß
dir doch lieb sein, daß du ein Rittergut hast.
Julchen. Ja, deswegen, damit ich's Ihnen und meiner Schwester
anbieten kann.
Cleon. Du gutes Kind! Behalte, was dein ist. Willst du deiner
Schwester etwas geben; wohl gut. Ich werde schon, solange ich lebe,
Brot in meinem kleinen Hause haben. Aber, was spricht Herr Damis?
Hat auch der eine Freude über deine Erbschaft?
Julchen. Meine Erbschaft scheint ihm sehr gleichgültig zu sein.
Cleon. Ja, ja, er hat freilich selber genug Vermögen. Aber du mußt
auch bedenken, daß er dich gewählt hat, da du noch ein armes Mädchen
warest. Ach, wenn du wissen solltest, wieviel Gutes mir der Herr
Vormund itzt von ihm erzählet hat, du würdest ihn gewiß lieben! Ich
habe immer gedacht, er wäre nicht gar zu gelehrt, weil er nicht so
hoch redt wie mein Bruder, der Magister; allein, sein Vormund hat mich
versichert, daß er ein rechter scharfsinniger Mensch wäre und mehr
gute Bücher gelesen hätte, als Stunden im Jahre wären. Wer hätte das
denken sollen?
Julchen. Daß er gelehrt ist, habe ich lange gewußt; allein daß ich's
nicht bin, weiß ich leider auch. Vielleicht sucht er die
Gelehrsamkeit bei einem Frauenzimmer und nicht ein Rittergut.
Cleon. Du redst artig. Da werden die Töchter studieren können wie
die Söhne. Du kannst ja auf der Laute spielen. Du kannst schön
singen. Du kannst dein bißchen Französisch. Du schreibst einen
feinen Brief und eine gute Hand. Du kannst gut tanzen, verstehst die
Wirtschaft und siehst ganz fein aus, bist ehrlicher Geburt, gesittet
und fromm und nunmehr auch ziemlich reich. Was will denn ein Mann
mehr haben? Herr Damis liebt dich gewiß. Mache, daß ich ihn bald
Herr Sohn und dich Braut heißen kann.
Julchen. Braut? Das weiß ich nicht. Sollte er mich lieben? Papa,
Sie haben mich wohl zu sehr gelobt. Meine Schwester kann ja
ebensoviel und noch mehr als ich.
Cleon. Es ist itzt die Rede nicht von deiner Schwester. Sie hat
ihren Herrn Siegmund und verlangt kein großes Glück. Gib ihr etwas
von deinem Vermögen: so wird sie vollkommen zufrieden sein. Und so
will ich sie gleich heute verloben. Oder möchtest du Herrn Siegmunden
lieber zum Manne haben?
Julchen. Ich, Papa? Herrn Siegmunden? Wie kommen Sie auf die
Gedanken? Wenn ich lieben wollte: warum sollte ich nicht den Herrn
Damis lieben? Hat er nicht vielleicht noch mehr Verdienste als jener?
Und wenn auch dieser liebenswürdiger wäre, da er es doch nicht ist,
wie könnte ich ohne Verbrechen an ihn denken, da ihn meine Schwester
und er sie so zärtlich liebt?
Cleon. So gefällst du mir. Ich bin ein rechter glücklicher Vater.
(Er klopft sie auf die Backen.) Meine liebe schöne Tochter, bleibe
bei den Gedanken. Du wirst wohl dabei fahren. Nicht wahr, du hast
den Herrn Damis viel lieber als Herrn Siegmunden? Dieser scheint mir
zuweilen ein bißchen leichtsinnig zu sein oder doch lose. Ich habe
alleweile mit dem Herrn Simon von ihm gesprochen und allerhand...
Julchen. Papa, wenn ich mich zur Liebe entschließe: so gebe ich Ihnen
mein Wort, daß ich einen Mann wähle, wie Herr Damis ist. Wenn ich nur
nicht meine Freiheit dabei verlöre! Wenn ich nur wüßte, ob ich ihn
etwan schon gar liebte! Nein, Papa, ich liebe ihn noch nicht. Ich
habe eine so reiche Erbschaft getan, und gleichwohl bin ich nicht
zufriedner. Ob ich etwan gar krank werde?
Cleon. Ja, wohl kann man vor Liebe krank werden. Aber die Gegenliebe
macht wieder gesund. Ich spräche ja, wenn ich wie du wäre, damit ich
der Krankheit zuvorkäme.
Julchen. Ach! Papa.
Cleon. Ach! Du sollst nicht »Ach«, du sollst »Ja« sprechen. Du
gefällst ihm ganz ausnehmend. Er wird dich wie sein Kind lieben.
Julchen. Aber werde ich ihm stets gefallen?
Cleon. Das kannst du denken. Woran stößt sich denn dein Herz noch?
Befürchtest du denn gar, daß er dir künftig untreu werden möchte?
Nimmermehr! Der Herr Vormund hat mir gesagt, daß dein Liebster sehr
viel Religion hätte und oft zu sagen pflegte, daß er kein Mensch sein
möchte, wenn er nicht zugleich ein Christ sein sollte. Er wird dich
gewiß zeitlebens für gut halten. Er wird seine Schwüre nicht brechen.
Julchen. Ich höre keine Schwüre von ihm. Würde er seine Liebe nicht
beteuern, wenn er mich...?
Cleon. Das ist schön, daß er nicht schwört. Um desto mehr kannst du
auf sein Wort bauen. Das öffentliche Versprechen ist eben der Schwur
in der Liebe. Und diesen Schwur will er heute tun, wenn du ihn
zugleich tun willst.
Julchen. Papa, ich bin unentschlossen und ungeschickt, die Sache
recht zu überlegen. Lassen Sie mir noch Zeit.
Cleon. Bis auf den Abend bei Tische sollst du Zeit haben. Alsdann
sprich »Ja« oder »Nein«. Die Sache ist ernstlich gemeint. Ich habe
dir mein Herz entdeckt. Du hast meine Einwilligung. Mache es, wie du
willst. Komm, dein Liebster wird sich schon recht nach dir umgesehen
haben. Die beiden schwarzen Pflästerchen lassen recht hübsch zu
deinem Gesichte. Bist du denn etwan ausgefahren?
Julchen. Ja, ich habe zu Mittage ein Glas Wein getrunken.
Cleon. Nun, nun, es wird schon wieder vergehen, ehe du mir einen
Gevatterbrief schickst. Komm und führe mich bei der Hand. Ich möchte
gern einmal von einer Braut geführet werden.
(Ende des zweiten Aufzugs.)


Dritter Aufzug

Erster Auftritt
Siegmund. Julchen.

Julchen. Was sagen Sie mir? Das glaube ich in Ewigkeit nicht.
Siegmund. Ich aber glaube es.
Julchen (bestürzt). Hat er es Ihnen denn selbst gesagt? Ich
Unglückliche!
Siegmund. Er hat mir's nicht mit deutlichen Worten gesagt: aber es
ist gewiß, daß er Ihnen Lottchen weit vorzieht. Ich wollte ihm diese
Beleidigung, so groß sie auch ist, gern vergeben, wenn er nur Sie
nicht zugleich beleidigte. Ich bedaure Sie, mein Engel. Ich weiß,
Sie meinen es aufrichtig und werden meine Redlichkeit dadurch belohnen,
daß Sie dem Unbeständigen wenigstens meinen Namen verschweigen.
Julchen. War dies die Ursache seiner Traurigkeit? Der Treulose! Was
hat er für Vorteil davon, ein unerfahrnes Herz zu betrügen? Wenn er
mir aus Rache das Leben hätte nehmen wollen: so würde ich ihn noch
nicht hassen. Aber daß er mich unter der Maske der Liebe und
Aufrichtigkeit hintergeht, ist die schandbarste Tat.
Siegmund. Er wird es leugnen, denken Sie an mich.
Julchen. Der Verräter! Ja, er soll es leugnen. Ich mag dieses
Verbrechen nie aus seinem Munde erfahren. Ich will ihn nicht
bestrafen. Nein! Sein Gewissen wird mich rächen... Wie? Er? dem
ich heute mein Herz schenken... doch nein, ich habe ihn nicht geliebt.
Aber hat er nicht tausendmal gesagt, daß er mich liebte? Hält man
sein Wort unter den Männern nicht besser?
Siegmund. O meine Freundin, lassen Sie das Verbrechen eines einzigen
nicht auf unser ganzes Geschlecht fallen. Sollten Sie mein Herz sehen!
Ja... auch der Zorn macht Sie noch liebenswürdiger.
Julchen. Verlassen Sie mich, liebster Freund. Ich will... Und du,
meine Schwester, du schweigst? Und alles dies tust du, o Liebe, du
Pest der Menschen!... Verlassen Sie mich. Ich verspreche Ihnen bei
meiner Ehre, Ihren Namen nicht zu entdecken und Ihre Aufrichtigkeit
zeitlebens zu belohnen. Aber kommen Sie bald wieder hieher.
Siegmund. Sobald, als ich glaube, daß sich Ihre Hitze etwas gelegt
haben wird.

Zweiter Auftritt
Julchen. Damis.

Julchen (die ihn in der Hitze nicht kommen sieht). Eben zu der Zeit,
da er mir die teuresten Versicherungen der Liebe gibt, wird er auch
untreu...? Und ich, ich kann ihn noch nicht hassen? Bin ich
bezaubert?
Damis. Allerliebstes Kind, sehen Sie mich denn nicht? Mit wem reden
Sie?
Julchen. Mit einem Betrüger, den ich geliebt haben würde, wenn ich
weniger von ihm erfahren hätte. (Gelinder.) Ist es Ihnen möglich
gewesen, mich zu hintergehn? Mich? die ich schon anfing, Sie im
Herzen allen Personen Ihres Geschlechts vorzuziehn? Warum handeln Sie
so grausam und erwecken eine Neigung in mir, die ich verabscheuen muß,
nachdem ich sie gefühlt habe? Doch um Ihnen zu zeigen, was Sie für
ein Herz hintergangen haben: so sage ich Ihnen, daß ich Sie niemals
hassen, daß ich mich vielmehr bemühen werde, Ihren Fehler vor mir
selbst zu verbergen.
Damis. Ich Unglücklicher! Ist der Betrüger der Name, den ich
verdiene? Ich entschuldige mich nicht einen Augenblick, erzürnte
Freundin. Ich sage Ihnen vielmehr mit dem Stolze eines guten
Gewissens, daß mein Herz gar keines Betrugs fähig ist. Ich verlange
es auch nicht zu wissen, wer Ihnen die übele Meinung beigebracht hat.
Die Zeit wird mich schon rechtfertigen.
Julchen. Und Sie sprechen noch mit so vielem Stolze?

Dritter Auftritt
Die Vorigen. Lottchen.

Damis (zu Lottchen). Kommen Sie, meine Freundin, und fangen Sie an,
mich zu hassen. Ich soll meine Juliane hintergangen haben.
Lottchen. Haben Sie sich beide schon ein wenig gezankt? Vermutlich
über die ersten Küsse.
Damis (zu Julchen). Verklagen Sie mich doch bei Ihrer Jungfer
Schwester. Sagen Sie ihr doch mein Verbrechen.
Julchen. Vielleicht fände ich da die wenigste Hülfe.
Lottchen. Ach, Julchen, wenn die selige Frau Muhme es hätte wissen
sollen, daß du dich an dem Tage deiner Verlobung mit deinem Bräutigam
zanken würdest: sie hätte dir nicht einen Ziegel von ihrem Rittergute
vermacht. Ich habe die gute Hoffnung, daß der Krieg nicht lange
dauern wird. Dein Herz ist von Natur friedfertig, wenngleich die
Liebe etwas zänkisch ist.
Julchen. O scherze nicht.
Lottchen (zu Damis). Sehn Sie nur Ihre liebe Braut recht an. Haben
Sie sie durch eine kleine Liebkosung erbittert gemacht: so wollte ich
Ihnen den Rat geben, sie durch zwo neue zu besänftigen. Julchen, rede
wenigstens mit mir, wenn es Herr Damis nicht verdient. Oder wenn er
dich ja beleidiget hat: so laß dir den Kuß wiedergeben: so seid ihr
geschiedene Leute. Was habt ihr denn miteinander?
Julchen. Was wir miteinander haben? Das werde ich in deiner
Gegenwart nicht sagen können. Ich glaube zwar gar nicht, daß du ihm
Gelegenheit gegeben hast. Und was kann er dafür, daß du
liebenswürdiger bist als ich? Auch sein Vergehn ist noch ein
Verdienst. Er würde dich nicht lieben, wenn er nicht die größten
Vorzüge zu lieben gewohnt wäre. Ich entschuldige ihn selbst.
Lottchen. Du gutes Kind! Also bin ich deine Nebenbuhlerin! Du
dauerst mich in Wahrheit. Ich will dir das ganze Geheimnis eröffnen.
Kommen nicht die Beschuldigungen wider deinen Liebhaber von Herrn
Siegmunden her? Ich kann mir's leicht einbilden. Er hat sich in dich
verliebt stellen sollen, um dich zu überführen, daß du vielleicht
schon liebtest. Er wird also die List gebraucht und dich beredt haben,
daß Herr Damis mich liebte. Vergib ihm diesen Scherz. Er hat seine
Rolle gar zu gut gespielt.
Julchen. Er tat sehr ernstlich und...
Damis (zu Julchen). Sehn Sie, was ich für ein betrügerisches Herz
habe?
Julchen. Aber...
Damis. Sie können noch ein Mißtrauen in mich setzen? Wie wenig
müssen Sie mich kennen!
Julchen. Ich? mein Herr...
Damis. Ist das der Lohn für meine Liebe?
Julchen. Der Lohn? Hassen Sie mich denn? Würde ich eifersüchtig
geworden sein, wenn ich nicht... Also haben Sie mich nicht
hintergangen? Ja, mein ganzes Herz hat für Sie gesprochen.
Lottchen. Du hast dich fangen lassen, meine gute Schwester. Und ich
merke, daß es dir schon weh tut, daß du deinen Geliebten wegen deiner
Hitze noch nicht um Vergebung gebeten hast. Ich will es an deiner
Stelle tun. (Zum Damis.) Mein Herr, sein Sie so gütig und vergeben
Sie es Julchen, daß Sie zärtlicher von ihr geliebt werden, als Sie
gedacht haben.
Julchen. Nein, wenn ich mich geirrt habe: so bitte ich Ihnen meinen
Fehler freiwillig ab.
Damis. Aber lieben Sie mich denn auch?
Julchen. Ja. Nunmehr weiß ich's gewiß, daß ich Sie liebe. Und
nunmehr bin ich bereit, dieses Bekenntnis vor meinem Vater und Ihrem
Herrn Vormunde zu wiederholen, wenn Ihre Wünsche dadurch befriediget
werden.
Damis. Meine Juliane! Ich bin zu glücklich.
Julchen. Wenn ich Ihr Herz noch nicht hätte: so würde ich nunmehr
selbst darum bitten, so hoch schätze ich's.
Damis. Vortreffliche Juliane! Ich bin... Doch es ist mir kein
Gedanke anständig genug für Sie. Dieses ist es alles, was ich Ihnen
in der Entzückung antworten kann.
Lottchen. Meine liebe Schwester (sie umarmt Julchen), deine Liebe sei
ewig glücklich! Sei mir ein Beispiel der Zärtlichkeit und der
Zufriedenheit. (Zum Damis.) Und Sie, mein lieber Herr Bruder, sollen
so glücklich sein, als ich meine Schwester zu sehn wünsche. Bleiben
Sie ein Freund meines Freundes, und befördern Sie unsere Ruhe durch
Ihre Aufrichtigkeit. Kommen Sie, wir wollen zu unserm ehrlichen Vater
gehn. Wie froh wird der fromme Alte nicht sein, wenn er Julchens
Entschluß hört! Doch ich sehe den Herrn Vormund kommen. Gehn Sie,
ich will das Vergnügen haben, diesem rechtschaffenen Mann, der mir
heute eine freudige Post gebracht hat, auch die erste Nachricht von
der Gewißheit Ihrer beiderseitigen Liebe zu geben.
(Julchen und Damis gehn ab.)

Vierter Auftritt
Lottchen. Simon.

Simon. Endlich habe ich die Ehre, Ihnen die Abschrift von dem
Testamente zu bringen. Ich habe sie selbst geholet. Wollen Sie
unbeschwert diesen Punkt lesen? (Er reicht ihr die Abschrift.)
Lottchen (sie liest). Wie? Ich bin die Erbin des Ritterguts? Ich?
Simon. Ja, Sie sind es, Mamsell, und nicht Ihre Jungfer Schwester.
Der Herr Hofrat, der mir die erste Nachricht gegeben, muß sich
entweder geirret oder diese kleine Verwirrung mit Fleiß angerichtet
haben, um seiner Jungfer Pate eine desto größere Freude zu machen.
Genug, es ist nunmehr gewiß, daß Sie die Erbin des Ritterguts sind,
und kein Mensch kann Ihnen dieses Glück aufrichtiger gönnen, als ich
tue. Sie verdienen noch weit mehr.
Lottchen. O das ist ein trauriges Glück! Wird nicht meine liebe
Schwester darüber betrübt werden? Wird nicht Ihr Herr Mündel...?
Simon. Waren Sie doch viel zufriedner, da ich Ihnen die erste und
nunmehr falsche Nachricht brachte. Lesen Sie doch nur weiter. Sie
sind die Erbin des Ritterguts, aber Sie sollen Jungfer Julchen
zehntausend Taler abgeben, sobald sie heiraten wird.
Lottchen. Nun bin ich zufrieden. Sie soll noch mehr haben als
zehntausend Taler, wenn sie sich nur nicht über ihren Verlust kränkt.
O was für Bewegungen fühle ich in meiner Seele! Und was werde ich
erst da empfinden, wenn ich meinen Geliebten vor Freuden über mein
Glück erschrecken sehe? O wie schön wird er erschrecken! Gott, wie
glücklich bin ich! Wenn nur meine liebe Schwester nicht unruhig wird.

Fünfter Auftritt
Die Vorigen. Siegmund.

Siegmund. Jungfer Julchen hat, wie ich gleich gehört, endlich ihr Ja
von sich gegeben? Ist es gewiß? Das ist mir sehr angenehm.
Lottchen (zu Simon). Ja, sie hat sich nach dem Wunsche Ihres Herrn
Mündels erklärt und wird die Ehre haben, Sie um einen Bräutigam zu
bitten, der unter Ihren Händen so liebenswürdig geworden ist. Aber,
mein Liebster, hier ist die Abschrift von dem Testamente. Geht es
Ihnen nicht ein wenig nahe, daß die Frau Muhme uns beide vergessen hat?
Siegmund. Nein, nicht einen Augenblick. Sie sind mir mehr als ein
reiches Testament.
Lottchen. Aber wenn uns Julchen etwas von ihrer Erbschaft anbieten
sollte, wollen wir's annehmen?
Siegmund. Da sie nicht mehr über ihr Herz zu gebieten hat: so hat sie
auch nicht über ihr Vermögen zu befehlen.
Simon. O mein Herr, Sie können versichert sein, daß ihr mein Mündel
die völlige Freiheit lassen wird, freigebig und erkenntlich zu sein.
Er sucht seinen Reichtum nicht in dem Überflusse, sondern in dem
Gebrauche desselben. Er würde Julchen gewählt haben, wenn sie auch
keine Erbschaft getan hätte. Und vielleicht wäre es ihm gar lieber,
wenn er ihr Glück durch sich allein hätte machen können. Wir wollen
wünschen, daß alle Liebhaber so edel gesinnt sein mögen als er.
Lottchen. Hören Sie, Herr Siegmund, was wir für einen großmütigen
Bruder bekommen haben?
Siegmund. Er macht seinem Herrn Vormunde und uns die größte Ehre.
Simon. Ja, ich bin in der Tat stolz auf ihn. Er ist von seinem
zehnten Jahre an in meinem Hause gewesen und hat bis auf diese Stunde
alle meine Sorgfalt für ihn so reichlich belohnet und mir so vieles
Vergnügen gemacht, daß ich nicht weiß, wer dem andern mehr Dank
schuldig ist.
Lottchen. Dieses ist ein Lobspruch, den ich niemanden als dem
Bräutigam meiner Schwester gönne. Und wenn mein Papa sterben sollte:
so würde ich Ihr Mündel sein, um ebendieses Lob zu verdienen. O was
ist der Umgang mit großen Herzen für eine Wollust! Aber, Herr Simon,
darf ich in Ihrer Gegenwart eine Freiheit begehen, die die Liebe
gebeut und rechtfertiget? Ja, Sie sind es würdig, die Regungen meiner
Seele ohne Decke zu sehen. (Sie geht auf Siegmund zu und umarmet ihn.
) Endlich, mein Freund, bin ich so glücklich, Ihren Umgang und Ihre
Treue gegen mich durch ein unvermutetes Schicksal zu belohnen. Sie
haben mich als ein armes Frauenzimmer geliebt. Die Vorsicht hat mich
heute mit einer Erbschaft beschenkt, die ich nicht rühmlicher
anzuwenden weiß, als wenn ich sie in Ihre Hände bringe. Ich weiß, Sie
werden es mir und der Tugend davon wohlgehen lassen. Hier ist eine
Abschrift des Testaments, worin ich zur Erbin erkläret bin, anstatt
daß es meine liebe Schwester nach unserer Meinung war. Kurz, die
Erbschaft ist Ihre, und ein Teil von zehntausend Talern gehört Julchen.
Fragen Sie nunmehr Ihr Herz, was Sie mit mir anfangen wollen.
Siegmund. Ohne Ihre Liebe ist mir Ihr Geschenke sehr gleichgültig.
Lottchen. Eben deswegen verdienen Sie's. Fehlt zu Ihrem Glücke
nichts als meine Liebe: so können Sie nie glücklicher werden.
Siegmund. Ach, meine Schöne, wie erschrecke ich! Sie machen, daß man
die Liebe und das Glück erst hochschätzt. O warum kann nicht die
ganze Welt Ihrer Großmut zusehen! Sie würden auch den
niederträchtigsten Seelen liebenswürdig vorkommen und ihnen bei aller
Verachtung der Tugend den Wunsch auspressen, daß sie Ihnen gleichen
möchten. Ich danke es der Schickung ewig, daß sie mir Ihren Besitz
zugedacht hat. Und ich eile mit Ihrer Erlaubnis zu Ihrem Herrn Vater,
um ihn nunmehr...

Sechster Auftritt
Die Vorigen. Ein Bedienter.

Der Bediente (zu Lottchen). Hier ist ein Brief an Sie, Mamsell. Er
kömmt von der Post.
Lottchen. Ein Brief von der Post?
Siegmund. Ja, ich habe den Briefträger selbst auf dem Saale stehen
sehen, ehe ich hereingekommen bin.
Lottchen. Wollen Sie erlauben, meine Herren, daß ich den Brief in
Ihrer Gegenwart erbrechen darf?
Simon. Ich will indessen meinem lieben Mündel meinen Glückwunsch
abstatten.

Siebenter Auftritt
Lottchen. Siegmund.

Lottchen (indem sie den Brief für sich gelesen hat). O mein Freund,
man will mir mein Glück sauermachen. Man beneidet mich, sonst würde
man Sie nicht verkleinern. Es ist ein boshafter Streich; er ist mir
aber lieb, weil ich Ihnen einen neuen Beweis meines Vertrauens und
meiner Liebe geben kann. Ich will Ihnen den Brief lesen. Er besteht,
wie Sie sehen, nur aus zwo Zeilen. (Sie liest.) »Mamsell, trauen Sie
Ihrem Liebhaber, dem Herrn Siegmund, nicht. Er ist ein Betrüger. N.
N.«
Siegmund. Was? Ich ein Betrüger?
Lottchen (sie nimmt ihn bei der Hand). Ich weiß, daß Sie groß genug
sind, dieses hassenswürdige Wort mit Gelassenheit anzuhören. Es ist
ein Lobspruch für Sie. Ich verlange einen solchen Betrüger, als Sie
sind, mein Freund.
Siegmund. Aber wer muß mir diesen boshaften Streich an dem heutigen
Tage spielen? Wie? Sollte es auch Herr Simon selbst sein? Liebt er
Sie vielleicht? Macht ihn Ihre Erbschaft boshaft? Warum ging er, da
der Brief kam? Soll ich ihm dieses Laster vergeben? Wenn er mir
meinen Verstand, meinen Witz abgesprochen hätte: so würde ich ihm für
diese Demütigung danken; aber daß er mir die Ehre eines guten Herzens
rauben will, das ist ärger, als wenn er mir Gift hätte geben wollen.
Ich?... Ich, ein Betrüger? Himmel, bringe es an den Tag, wer ein
Betrüger ist, ich oder der, der diesen Brief geschrieben hat! Ist das
der edelgesinnte Vormund?
Lottchen. Ich bitte Sie bei Ihrer Liebe gegen mich, beruhigen Sie
sich. Verschonen Sie den Herrn Vormund mit Ihrem Verdachte. Es ist
nicht möglich, daß er eine solche Niederträchtigkeit begehen sollte.
Sein Charakter ist edel. Wer weiß, was Sie sonst für einen Feind
haben, der von unserer Liebe und von meiner Erbschaft heute Nachricht
bekommen hat.
Siegmund. Sie entschuldigen den Vormund noch? Hörten Sie nicht den
boshaften Ausdruck: Wir wollen wünschen, daß alle Liebhaber so edel
gesinnt sein mögen als mein Mündel? Ist dieses nicht eine
unverschämte Anklage wider mich?
Lottchen. Ich sage Ihnen, daß Sie mich beleidigen, wenn Sie ihn noch
einen Augenblick in Verdacht haben. So, wie ich ihn kenne und wie mir
You have read 1 text from German literature.
Next - Die zärtlichen Schwestern - 5
  • Parts
  • Die zärtlichen Schwestern - 1
    Total number of words is 4481
    Total number of unique words is 1060
    49.2 of words are in the 2000 most common words
    63.2 of words are in the 5000 most common words
    68.4 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Die zärtlichen Schwestern - 2
    Total number of words is 4494
    Total number of unique words is 1078
    48.5 of words are in the 2000 most common words
    61.5 of words are in the 5000 most common words
    66.8 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Die zärtlichen Schwestern - 3
    Total number of words is 4330
    Total number of unique words is 1025
    48.8 of words are in the 2000 most common words
    61.3 of words are in the 5000 most common words
    66.9 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Die zärtlichen Schwestern - 4
    Total number of words is 4385
    Total number of unique words is 1030
    49.0 of words are in the 2000 most common words
    63.7 of words are in the 5000 most common words
    68.8 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Die zärtlichen Schwestern - 5
    Total number of words is 4418
    Total number of unique words is 1016
    46.5 of words are in the 2000 most common words
    61.2 of words are in the 5000 most common words
    66.3 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Die zärtlichen Schwestern - 6
    Total number of words is 1107
    Total number of unique words is 419
    59.3 of words are in the 2000 most common words
    69.6 of words are in the 5000 most common words
    74.4 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.