Die zärtlichen Schwestern - 3

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ich große Lust, es auch zu sein. Was für ein Geheimnis hat nicht ein
Herz mit dem andern! Ich sehe, daß ich glücklich bin, und sollte
vergnügt sein. Ich sehe, daß mich Julchen liebt, und indem ich dieses
sehe, werde ich traurig, weil sie es ist. Welche neue Entdeckung in
meinem Herzen!
Lottchen. Ich weiß Ihnen keinen bessern Rat zu geben als den, folgen
Sie Ihrer Neigung und vertreiben Sie sich die Traurigkeit nicht, sonst
werden Sie zerstreut werden. Sie wird ihres Platzes von sich selber
müde werden und ihn bald dem Vergnügen von neuem einräumen.
Damis. Ich werde recht furchtsam. Und ich glaube, wenn ich Julchen
wiedersehe, daß ich gar stumm werde.
Lottchen. Das kann leicht kommen. Vielleicht geht es Julchen auch
also. Ich möchte Sie beide itzt beisammen sehen, ohne von Ihnen
bemerkt zu werden. Sie würden beide tiefsinnig tun. Sie würden reden
wollen und statt dessen seufzen. Sie würden die verräterischen
Seufzer durch gleichgültige Mienen entkräften wollen und ihnen nur
mehr Bedeutung geben. Sie würden einander wechselsweise bitten, sich
zu verlassen, und einander Gelegenheit geben, zu bleiben. Und
vielleicht würde Ihre beiderseitige Wehmut zuletzt in etliche mehr als
freundschaftliche Küsse ausbrechen. Aber ich höre meine Schwester
kommen. Ich will Sie nicht stören. (Sie geht und bleibt in der Szene
versteckt stehen.)

Vierter Auftritt
Julchen. Damis.

Julchen. War nicht meine Schwester bei Ihnen? Wo ist sie?
Damis (in tiefen Gedanken). Sie ging und sagte, sie wollte uns nicht
stören.
Julchen. Nicht stören? Was soll das bedeuten?
Damis. Vergeben Sie mir. Ich habe mich übereilet. Ach, Juliane!
Julchen. Sie haben sich übereilet, und woher? Aber... Ja... Ich
will Sie verlassen. Sie sind tiefsinnig.
Damis. Sie wollen mich verlassen? meine Juliane! Mich...?
Julchen. Meine Juliane! so haben Sie mich ja sonst nicht geheißen?
Sie vergessen sich. Ich will Sie verlassen.
Damis. O gehn Sie noch nicht. Ich habe Ihnen recht viel zu sagen.
Ach viel!
Julchen. Und was denn? Sie halten mich wider meinen Willen zurück.
Ist Ihnen etwas begegnet? Was wollen Sie sagen? Reden Sie doch.
Damis (bange). Meine Juliane!
Julchen (mit beweglicher Stimme). Juliane! den Namen höre ich zum
dritten Male. Sie schweigen wieder? Ich muß nur gehn. (Sie geht.
Er sieht ihr traurig nach, und sie sieht sich um.) Wahrhaftig, es muß
Ihnen etwas Großes begegnet sein. Darf ich's nicht wissen?
Damis (er kömmt auf sie zu). Wenn Sie mir's vergeben wollten: so
wollte ich Ihnen sagen; aber nein... Ich würde Ihre Gewogenheit
darüber verlieren und... (Er küßt ihr die Hand und hält sie dabei.)
Nein, ich habe Ihnen nichts zu sagen. Ach, Sie sind verdrießlich,
meine Juliane?
Julchen (ganz betroffen). Nein, ich bin nicht traurig. Aber ich
erschrecke, daß ich Sie so bestürzt sehe. Ja... Ich bin nicht
traurig. Ich bin ganz gelassen, und ich wollte, daß Sie auch so wären.
Halten Sie mich nicht bei der Hand. Ich will Sie verlassen. Ich
wollte meine Schwester suchen und ihr sagen...
Damis. Was wollten Sie ihr denn sagen? mein schönes Kind!
Julchen. Ich wollte ihr sagen... daß der Papa nach ihr gefragt hätte
und...
Damis. Der Papa? mein Engel!
Julchen. Nein, ich irre mich. Herr Siegmund hat nach ihr gefragt und
meine Schwester sprechen wollen und mich gebeten... (Sie sieht ihn an.
) In Wahrheit, Sie sehen so traurig aus, daß man sich des Mitleidens..
. (Sie wendet das Gesichte beiseite.)
Damis. Meine Juliane! Ihr Mitleiden... Sie bringen mich zur
äußersten Wehmut.
Julchen. Und Sie machen mich auch traurig. Warum hielten Sie mich
zurück? Warum weinen Sie denn? (Sie will ihre Tränen verbergen.)
Was fehlt Ihnen? Verlassen Sie mich, wenn ich bitten darf.
Damis. Ja.
Julchen (für sich). Er geht?
Damis (indem er wieder zurückkehrt). Aber darf ich nicht wissen,
meine Schöne, was Ihnen begegnet ist? Sie waren ja Vormittage nicht
so traurig.
Julchen. Ich weiß es nicht. Sie wollten ja gehn. Ist Ihnen meine
Unruhe beschwerlich? Sagen Sie mir nur, warum Sie... Sie reden ja
nicht.
Damis. Ich?
Julchen. Ja.
Damis. O wie verschönert die Wehmut Ihre Wangen! Ach, Juliane!
Julchen. Was seufzen Sie? Sie vergessen sich. Wenn doch Lottchen
wiederkäme! Bedenken Sie, wenn sie Sie so betrübt sähe und mich...
Was würde sie sagen? (Lottchen tritt aus der Szene hervor.)

Fünfter Auftritt
Die Vorigen. Lottchen.

Lottchen. Ich würde sagen, daß man einander durch bekümmerte Fragen
und Tränen die stärkste Liebeserklärung machen kann, ohne das Wort
Liebe zu nennen. Mehr würde ich nicht sagen.
Julchen. O wie spöttisch! Ich muß nur gehn.
Lottchen. O ich habe es wohl eher gesehn, daß du hast gehn wollen,
und doch...
Julchen. Das wüßte ich in der Tat nicht. (Sie geht ab.)

Sechster Auftritt
Damis. Lottchen.

Lottchen. Es dauert mich in der Tat, daß ich Sie beide gestöret habe.
Ich hätte es nicht tun sollen: Aber ich konnte mich vor Freuden nicht
länger halten. Kann wohl ein schönerer Anblick sein, als wenn man
zwei Zärtliche sieht, die es vor Liebe nicht wagen wollen, einander
die Liebe zu gestehen? Mein lieber Herr Damis, habe ich den Plan
Ihres zärtlichen Schicksals nicht gut entworfen gehabt? Hätte ich
mich noch einige Augenblicke halten können: so würde Ihre
beiderseitige Wehmut gewiß noch bis zu etlichen vertraulichen
Liebkosungen gestiegen sein.
Damis. Daran zweifele ich sehr. Ich war in Wahrheit recht traurig,
und ich bin's noch.
Lottchen. Ja, ich sehe es. Und es wird Ihnen sehr sauer werden, mit
mir allein zu reden. Holen Sie unmaßgeblich Ihre betrübte Freundin
wieder zurück. Ich will Sie miteinander aufrichten.
Damis. Ja, das will ich tun.

Siebenter Auftritt
Lottchen. Simon.

Simon. Ich bitte Sie um Vergebung, Mamsell, daß ich unangemeldet
hereintrete. Das Vergnügen macht mich unhöflich. Sind Sie nicht die
liebenswürdige Braut meines Herrn Mündels?
Lottchen. Und wenn ich nun seine Braut wäre, was...
Simon. So habe ich die Ehre, Ihnen zu sagen, daß Ihnen Ihre selige
Frau Muhme in ihrem Testamente ihr ganzes Rittergut vermacht hat. Sie
werden die Gewißheit davon noch heute vom Rathause erhalten. Das
Testament ist geöffnet, und Ihr Herr Pate, der Herr Hofrat, der bei
der Eröffnung zugegen gewesen, hat mir aufgetragen, Ihrem Herrn Vater
diese angenehme Zeitung zum voraus zu hinterbringen, ehe er noch die
gerichtliche Insinuation erhält.
Lottchen. Ist das möglich? Die Frau Muhme hat ihr Versprechen
zehnfach erfüllt. Wie glücklich ist meine Schwester! Sie verdient es
in der Tat. Das ist eine sonderbare Schickung. Mein Herr, Sie setzen
mich in das empfindlichste Vergnügen. Ich bin nicht die Braut Ihres
Herrn Mündels. Aber die Nachricht würde mich kaum so sehr erfreuen,
wenn sie mich selbst anginge.
Simon. Kurz, Mamsell, ich weiß nicht, welche von Ihnen meinen Mündel
glücklich machen will. Allein genug, die jüngste Tochter des Herrn
Cleon ist die Erbin des ganzen Ritterguts und also eines Vermögens von
mehr als funfzigtausend Talern.
Lottchen. Das ist meine Schwester. Wie erfreue ich mich!
Simon. Es tut mir leid, daß ich Ihnen nicht ebendiese Nachricht
bringen kann. Ich wollte es mit tausend Freuden tun. Wo ist Ihr
lieber Herr Vater? Wird er nicht eine Freude haben!
Lottchen. Ich habe gleich die Ehre, Sie zu ihm zu führen. Aber ich
will Sie erst um etwas bitten. Gönnen Sie mir doch das Vergnügen, daß
ich meiner Schwester und Ihrem Herrn Mündel die erste Nachricht von
dieser glücklichen Erbschaft bringen darf. Es ist meine größte
Wollust, die Regungen des Vergnügens bei andern ausbrechen zu sehen.
Und wenn ich viel hätte, ich glaube, ich verschenkte alles, nur um die
Welt froh zu sehen. Lassen Sie mir immer das Glück, meiner Schwester
das ihrige anzukündigen.
Simon. Von Herzen gern. Eine so edle Liebe habe ich nicht leicht
unter zwo Schwestern gefunden. Ich erstaune ganz. Ich wußte wohl,
Mamsell, daß Sie die Braut meines Mündels nicht waren; allein, ich
wollte mir meinen Antrag durch eine verstellte Ungewißheit leichter
machen. Ich glaubte, Sie würden erschrecken und über die Vorteile
Ihrer Jungfer Schwester unruhig werden. Aber ich sehe das Gegenteil
und fange an zu wünschen, daß Sie selbst die Braut meines lieben
Mündels und die glückliche Erbin der Frau Stephan sein möchten.
Lottchen. Wenn man Ihren Beifall dadurch gewinnen kann, daß man frei
vom Neide und zur Menschenliebe geneigt ist: so hoffe ich mir Ihr
Wohlwollen zeitlebens zu erhalten. Also wollen Sie Julchen und dem
Herrn Damis nichts von der Erbschaft sagen, sondern es mir überlassen?
Sie sind sehr gütig.
Simon. Ich will sogar dem Herrn Vater nichts davon sagen, wenn Sie es
ihm selber hinterbringen wollen. Hier kömmt er.

Achter Auftritt
Die Vorigen. Herr Cleon. Herr Siegmund.

Cleon. Mein wertester Herr, ich habe Sie mit dem Herrn Siegmund schon
im Garten gesucht. Ich sahe Sie in das Haus hereintreten, und ich
glaubte, Sie würden den Kaffee im Garten trinken wollen. Ich erfreue
mich über die Ehre Ihrer Gegenwart. Ich erfreue mich recht von Herzen.
Simon. Und ich erfreue mich, Sie wohl zu sehen und heute einen Zeugen
von Ihrem Vergnügen abzugeben.
Lottchen. Ach, lieber Papa! Ach, lieber Herr Siegmund! Soll ich's
sagen? Herr Simon!
Simon. Wenn Sie es erzählen, wird mir's so neu klingen, als ob ich's
selbst noch nicht wüßte.
Cleon. Nun, was ist es denn? meine Tochter! Wem willst du es erst
sagen, mir oder meinem lieben Nachbar? Welcher ist dir lieber, du
loses Kind?
Lottchen. Wenn ich die Liebe der Ehrfurcht frage: so sind Sie's. Und
wenn ich die Liebe der Freundschaft höre: so ist es Ihr lieber Nachbar.
Ich will's Ihnen beiden zugleich sagen, was mir Herr Simon itzt
erzählt hat. Die selige Frau Muhme hat Julchen in ihrem Testamente
ihr ganzes Rittergut vermacht. Das Testament ist geöffnet, und mein
Herr Pate, der Herr Hofrat, läßt Ihnen durch den Herrn Simon diese
Nachricht bringen.
Cleon. Dafür sei Gott gedankt. Das Gut ist doch Weiberlehn? Ja!
Ich erschrecke ganz vor Freuden. Das hätte ich nimmermehr gedacht. O
sie war dem Mädchen sehr gut! Gott vergelte es ihr in der frohen
Ewigkeit. Das ganze Rittergut?
Siegmund. Das ist vortrefflich. Die rechtschaffene Frau!
Simon (zu Cleon). Ich habe mir in Ihrem Namen die Abschrift von dem
Testamente schon ausgebeten, und ich hoffe sie gegen Abend zu erhalten.
Sie werden auch bald eine gerichtliche Verordnung bekommen.
Cleon. Das ist ja ganz was Außerordentliches. Ich will's die Armen
gewiß genießen lassen. Aber du, meine liebe Tochter, du kömmst dabei
zu kurz.
Lottchen. Ich? Papa. Nein. Wenn ich das Glück tragen könnte: so
würde mir der Himmel gewiß auch welches geben. Ich habe schon Glück
genug. Nicht wahr? Herr Siegmund! Was meinen Sie?
Siegmund. Daß Sie es ebenso würdig sind als Ihre Jungfer Schwester.
Cleon. Herr Simon, Sie haben mir ja in Ihrem Billette gemeldet, daß
auch Sie eine erfreuliche Nachricht erhalten hätten. Kommen Sie doch
mit mir in den Garten und vertrauen Sie mir's. Diese beiden
feindseligen Gemüter werden sich schon hier allein vertragen oder uns
nachkommen.

Neunter Auftritt
Lottchen. Siegmund.

Lottchen. Wenn ich Ihre Größe nicht kennte: so würde ich gezittert
haben, Ihnen die Nachricht von dem großen Glücke meiner Schwester zu
hinterbringen. Aber ich weiß, Sie schätzen mich deswegen nicht einen
Augenblick geringer. Unser Schicksal steht in den Händen der Vorsicht.
Diese teilen allemal weise aus, und sie werden sich auch noch zu
unserm Vorteile öffnen, wenngleich nicht in dem Augenblicke, da wir es
wünschen.
Siegmund. Mein liebes Lottchen, es wird mir sehr leicht, über Ihrem
Herzen das Glück zu vergessen. Wir wollen hoffen. Vergeben Sie mir
nur, daß ich noch immer den Zerstreuten vorstelle. Ich habe lange mit
Ihrem Papa gesprochen, und ich weiß in Wahrheit nicht was.
Lottchen. Wenn Sie mich so lieben, wie ich Sie: so wundert mich's
nicht, daß Ihnen ein Tag, wie der heutige ist, wo solche Anstalten
gemacht werden, einige Wünsche und Unruhen abnötiget. Trauen Sie doch
der Vorsehung. Es ist eben heute ein Jahr, da Sie durch den
unglücklichen Prozeß Ihres seligen Herrn Vaters Ihr Vermögen verloren.
Vielleicht beunruhiget Sie dieser Gedanke; aber vielleicht haben Sie
auch alles heute über ein Jahr wieder. Haben Sie mit Julchen
gesprochen und dem Herrn Damis zum besten sich etwas zärtlich gestellt?
Siegmund. Nein, weil ich so zerstreut bin, so...
Lottchen. Gut. Sie werden diese kleine Mühe fast ersparen können.
Ihr Herz scheint keinen großen Antrieb mehr nötig zu haben. Aber
sagen Sie ihr noch nichts von der Erbschaft. Ich will sie holen und
es ihr in Ihrer Gegenwart entdecken und ihrem Geliebten zugleich.

Zehnter Auftritt
Siegmund allein.

Welche entsetzliche Nachricht!... Julchen!... Ein ganzes Rittergut!
Julchen... die so viel Reizungen, so viel Schönheit und Anmut besitzt!
... Kennte ich Lottchens Wert nicht: so würde Julchen.... Aber ist
Julchen nicht auch tugendhaft... großmütig... klug... unschuldig...
? Ist sie nicht die Sittsamkeit selbst? Ist Lottchen so schamhaft?
oder... Himmel, wo bin ich? Verdammte Liebe, wie quälst du mich!
Muß man auch wider seinen Willen untreu werden?... Warum konnte jene
nicht die reiche Erbschaft bekommen? Sahe die Muhme auch, daß die
jüngste mehr Verdienste hatte?... Ich Elender! Ich bin ohne meine
Schuld um das größte Vermögen gekommen... Aber habe ich weniger
Vorzüge als Damis? Julchen widersteht ja seiner Liebe... Ist es ein
Verbrechen?... Was kann ich dafür, daß sie mich rührt? Sind meine
Wünsche verdammlich, wenn sie mit Julchens Wünschen vielleicht gar
übereinstimmen? O Himmel! Sie kömmt allein.

Eilfter Auftritt
Siegmund. Julchen.

Julchen. Meine Schwester hat gesagt, ich soll sie hier in Ihrer
Gesellschaft erwarten. Sie sucht den Herrn Damis und will alsdann
hieherkommen und uns etwas Angenehmes erzählen.
Siegmund. Wird Ihnen unterdessen die Zeit in meiner Gesellschaft
nicht verdrießlich werden?
Julchen. Mir? Bei Ihnen? Gewiß nicht. Sie sind heute am
freundschaftlichsten mit mir umgegangen. Und es wird Ihnen auch wohl
kein Geheimnis sein, daß ich ihnen gut bin, wenngleich nicht so wie
meine Schwester.
Siegmund (er küßt ihr die Hand). Sie sagen mir vieles Schönes,
angenehme Braut.
Julchen. Bin ich denn eine Braut? Das hat mir noch kein Mensch
gesagt. Nein, mein Herr, heißen Sie mich nicht so. Es kann sein, daß
ich dem Herrn Damis gewogen bin; aber muß ich darum seine Braut sein?
Nein, er ist so gütig und sagt mir fast gar nichts mehr von der Liebe.
Siegmund. Aber, wenn ich Ihnen etwas von der Liebe sagte, würden Sie
auch zürnen? Sie wissen es wohl nicht, wie hoch ich Sie... doch...
Julchen. Bei Ihnen bin ich sehr sicher. Solange ein Lottchen in der
Welt ist, werden Ihre Liebeserklärungen nicht viel zu bedeuten haben.
Sie wollen mich vielleicht ausforschen; aber Sie werden nichts
erfahren.
Siegmund. Meine Schöne, ich wollte wünschen, daß ich aus Verstellung
redte; aber ach nein! Denken Sie denn, daß man...
Julchen. Und was?
Siegmund. Daß man Sie sehn und doch unempfindlich bleiben kann?
Julchen. Sie spielen die Rolle des Herrn Damis, wie ich sehe.
Siegmund. So werde ich sehr unglücklich sein, weil Sie mit seiner
Rolle nicht zufrieden sind.
Julchen. Was verlieren denn Sie und meine Schwester, wenn ich seine
Wünsche nicht erfülle?
Siegmund. Vielleicht gewönne ich. Vielleicht würden Sie die
Absichten des aufrichtigsten Herzens sehn. Ich verehre Sie; doch...
wie kann ich Ihnen das sagen, was ich empfinde!
Julchen. Sie können eine fremde Person vortrefflich annehmen. Aber
auch die Liebe im Scherze beunruhigt mich. Ich weiß nicht, wo meine
Schwester bleibt. Ich möchte doch wissen, was sie mir zu sagen hätte;
sie küßte mich vor Freuden. Es muß etwas Wichtiges sein. Ich muß sie
nur suchen.. Verziehn Sie einen Augenblick.

Zwölfter Auftritt
Siegmund allein.

Ich Abscheu! Was habe ich getan? Ich werde der redlichsten Seele
untreu, die mich mit Entzückung liebt? Ich...? Aber wie schön, wie
reizend ist Julchen! Sie liebt ihn noch nicht... Und mir, mir ist
sie gewogen? Aber die Vernunft...? Sie soll schweigen... Mein Herz
mag die Sache ausführen.... Mißlingt mir meine Absicht: so bleibt mir
Lottchen noch gewiß. ... Hat sie mir nicht selbst befohlen, mich
verliebt in Julchen zu stellen? Werde ich ihr darum untreu? Wie?
Sie kömmt noch einmal? Sucht sie mich mit Fleiß?

Dreizehnter Auftritt
Siegmund. Julchen. Der Magister.

Julchen (zu Siegmund). Lottchen will mir nichts eher sagen, bis Herr
Damis wiederkömmt. Er ist eine halbe Stunde nach Hause gegangen, und
Sie sollen so gütig sein und zu dem Papa kommen. Er wartet mit dem
Kaffee auf Sie.
Siegmund. Nach Ihrem Befehle. Aber darf ich hoffen?
Julchen. Weil Sie in der Sprache der Liebhaber reden: so muß ich
Ihnen in der Sprache der Schönen antworten: Sie müssen mit meinem Papa
davon sprechen.
Der Magister. Ja, Herr Siegmund, mein Bruder wartet auf Sie, und ich
möchte gern ein Wort mit Jungfer Julchen allein sprechen.

Vierzehnter Auftritt
Julchen. Der Magister.

Julchen. Herr Magister, wollen Sie mir etwa sagen, was mir Lottchen
Neues erzählen will?
Der Magister. Nein, ich habe sie gar nicht gesehn. Ich komme aus
meiner Studierstube und habe zum Zeitvertreibe in einem deutschen
Fabelbuche gelesen. Wenn Sie mir zuhören wollten: so wollte ich Ihnen
eine Fabel daraus vorlesen, die mir ganz artig geschienen hat. Ich
weiß, Sie hören gerne witzige Sachen.
Julchen. Ja, aber nur heute nicht, weil ich gar zu unruhig bin. Sie
lesen mir ja sonst keine Fabeln vor. Wie kommen Sie denn heute auf
diesen Einfall? Ja, ich weiß wohl eher, daß Sie mir eine ziemliche
finstere Miene gemalt haben, wenn Sie mich in des Fontaine oder
Hagedorns Fabeln haben lesen sehen.
Der Magister. Sie haben recht. Ich halte mehr auf gründliche
Schriften. Und das Solide ist für die Welt allemal besser als das
Witzige. Aber wie man den Verstand nicht immer anstrengen kann: so
ist es auch erlaubt, zuweilen etwas Seichtes zu lesen. Wollen Sie die
Fabel hören? Sie heißt Die Sonne.
Julchen. O ich habe schon viele Fabeln von der Sonne gelesen! Ich
will es Ihnen auf Ihr Wort glauben, daß sie artig ist. Lesen Sie mir
sie nur nicht vor.
Der Magister. Jungfer Muhme, ich weiß nicht, was Sie heute für eine
verdrießliche Gemütsart haben. Ihnen zu gefallen, verderbe ich mir
etliche kostbare Stunden. Ich arbeite für Ihr Glück, für Ihre
Beruhigung. Und Sie sind so unerkenntlich und beleidigen mich alle
Augenblicke dafür? Bin ich Ihnen denn so geringe? Verdienen meine
Absichten nicht wenigstens Ihre Aufmerksamkeit? Sind denn Ihre
Pflichten gegen mich durch die Blutsverwandtschaft nicht deutlich
genug bestimmt? Warum widersprechen Sie mir denn? Kann ich etwas
dafür, daß Sie nach der Vernunft verbunden sind, zu heiraten? Habe
ich den Gehorsam, den Sie Ihrem Herrn Vater und mir schuldig sind,
etwa erdacht? Ist er nicht in dem ewigen Gesetze der Vernunft
enthalten?
Julchen. Sie schmälen auf mich, Herr Magister; aber Sie schmälen doch
gelehrt, und deswegen will ich mich zufriedengeben. Darf ich bitten:
so lesen Sie mir die Fabel vor, damit ich wieder zu meiner Schwester
gehn kann. Sie wissen nicht, wie hoch ich Sie schätze.
Der Magister. Warum sollte ich's nicht wissen? Wenn Sie gleich nicht
den schärfsten Verstand haben, so haben Sie doch ein gutes Herz. Und
ich wollte wetten, wenn Sie statt der Bremischen Beiträge und anderer
solchen leichten Schriften eine systematische Moralphilosophie läsen,
daß Sie bald anders sollten denken lernen. Wenn Sie die Triebe des
Willens und ihre Natur philosophisch kennen sollten: so würden Sie
sehen, daß der Trieb der Liebe ein Grundtrieb wäre, und also...
Julchen. Sie reden mir so viel von der Liebe vor. Haben Sie denn in
Ihrer Jugend auch geliebt? Kennen Sie denn die Liebe recht genau?
Was ist sie denn? Ein Rätsel, das niemand auflösen kann.
Der Magister. Als der Verstand genug hat, in die Natur der Dinge zu
dringen. Die Liebe ist eine Übereinstimmung zweener Willen zu
gleichen Zwecken. Mich deucht, dies ist sehr adäquat. Oder soll ich
Ihnen eine andere Beschreibung geben?
Julchen. Nein, ich habe mit dieser genug zu tun. Sagen Sie mir
lieber die Fabel. Ich muß zu meiner Schwester.
Der Magister. Ja, ja, die Fabel ist freilich nicht so schwer zu
verstehen als eine Kausaldefinition. Sie ist kurz, und sie scheint
mir mehr eine Allegorie als eine Fabel zu sein. Sie klingt also: Die
Sonne verliebte sich, wie man erzählt, einsmals in den Mond. Sie
entdeckte ihm ihre Wünsche auf das zärtlichste; allein der Mond blieb
seiner Natur nach kalt und unempfindlich. Er verlachte alle die
Gründe, womit ihn einige benachbarte Planeten zur Zärtlichkeit gegen
die Sonne bewegen wollten. Ein heimlicher Stolz hieß ihn spröde tun,
ob ihm die Liebe der Sonne gleich angenehm war. Er trotzte auf sein
schönes und reines Gesicht, bis es eine Gottheit auf das Bitten der
Sonne mit Flecken verunstaltete. Und dies sind die Flecken, die wir
noch heutzutage in dem Gesichte des Monden finden. Dies ist die Fabel.
Was empfinden Sie dabei?
Julchen. Ich empfinde, daß sie mir nicht gefällt und daß der
Verfasser ihrer noch viel machen wird. Ich will doch nicht hoffen,
daß Sie diese Erzählung im Ernste für artig halten.
Der Magister. Freilich kann der Verstand bei witzigen Sachen seine
Stärke nicht sehen lassen. Aber wie? wenn ich die Fabel selbst
gemacht hätte?
Julchen. So würde ich glauben müssen, daß die Schuld an mir läge,
warum sie mir nicht schön vorkömmt.
Der Magister. Sie wissen sich gut herauszuwickeln. Ich will es Ihnen
gestehen. Es ist meine Arbeit. Ich will mich eben nicht groß damit
machen, denn Witz kann auch ein Ungelehrter haben. Aber wollten Sie
diese Fabel wohl auflösen? Was soll die Moral sein?
Julchen. Das werden Sie mir am besten sagen können.
Der Magister. Die Moral soll etwan diese sein: Ein schönes
Frauenzimmer, die gegen den Liebhaber gar zu lange spröde tut, steht
in der Gefahr, daß das Alter ihr schönes Gesicht endlich verwüstet.
Julchen. Sie sind heute recht sinnreich, Herr Magister. Ich merke,
die Fabel geht auf mich. Ich bin der Mond. Herr Damis wird die Sonne
sein, und die Planeten werden auf Sie und meine Schwester zielen.
Habe ich nicht alles erraten?
Der Magister. Ich sehe wohl, wenn man Ihnen seine Gedanken unter
Bildern vorträgt: so machen sie einen großen Eindruck bei Ihnen.
Jungfer Muhme, denken Sie unmaßgeblich an die Fabel und widerstehen
Sie der Liebe des Herrn Damis nicht länger. Was soll ich Ihrem Papa
für eine Antwort bringen?
Julchen. Sagen Sie ihm nur, daß ich über Ihre Fabel hätte lachen
müssen: so verdrießlich ich auch gewesen wäre. Ich habe die Ehre,
mich Ihnen zu empfehlen.

Funfzehnter Auftritt
Der Magister. Cleon. Siegmund.

Cleon. Nun, mein lieber Magister, was spricht Julchen? Ich denke,
sie wird sich wohl ohne deine Fabel zur Liebe entschlossen haben.
Der Magister. Sie bleibt unbeweglich. Ich weiß nicht, warum ich mir
des eigensinnigen Mädchens wegen so viel Mühe gebe. Wer weder durch
philosophische noch durch sinnliche Beweise zu bewegen ist, den muß
man seinem Wahne zur Strafe überlassen. Ich sage ihr kein Wort mehr.
So geht es, wenn man seinen Kindern nicht beizeiten ein gründliches
Erkenntnis von der Moral beibringen läßt. Ich habe mich zehnmal
erboten, deine Töchter denken zu lehren und ihnen die Grundursachen
der Dinge zu zeigen. Aber nein, sie sollten witzig und nicht
vernünftig werden.
Siegmund. Mein Herr, dies war ein verwegner Ausspruch. Ist Julchen
nicht vernünftig genug?
Der Magister. Warum denn nur Julchen? Ich verstehe Sie. Ich habe
ein andermal die Ehre, Ihnen zu antworten. Itzt warten meine Zuhörer
auf mich.

Sechzehnter Auftritt
Cleon. Siegmund.

Cleon. Ich weiß nicht, wem ich glauben soll, ob dem Magister oder
Lottchen? Diese spricht, Julchen liebt den Herrn Damis, und jener
spricht: nein. Er hat ja Verstand. Sollte er denn die Sache nicht
einsehen? Sagen Sie mir doch Ihre aufrichtige Meinung, Herr Siegmund.
Siegmund. Ich komme fast selbst auf die Gedanken, daß Julchen den
Herrn Damis nicht wohl leiden kann.
Cleon. Aber was soll denn daraus werden? Wenn sie schon etwas von
der Erbschaft wüßte: so dächte ich, das Rittergut machte sie stolz.
Herr Damis ist so redlich gewesen und hat sie zur Frau verlangt, da
sie arm war. Nun soll sie ihn, da sie reich ist, zur Dankbarkeit
heiraten. Sie wird sich wohl noch geben.
Siegmund. Aber Sie wissen wohl, daß der Zwang in der Ehe üble Früchte
bringt.
Cleon. Es wird schon gehen. Ich verlasse mich auf die Fügung. Und
ich wollte wohl wünschen, Herr Siegmund, wenn Sie anders noch willens
sind, meine Tochter Lottchen zu ehelichen, daß ich heute ein doppeltes
Verlöbnis ausrichten könnte.
Siegmund. Ja, wenn nur meine Umstände... Ich habe einige hundert
Taler Schulden...
Cleon. Gut. Julchen soll Ihre Schulden von ihrer Erbschaft bezahlen
und Ihnen auch noch tausend Taler zum Anfange in der Ehe geben.
Siegmund. Das ist sehr schön; aber...
Cleon. Sie kriegen an Lottchen gewiß eine verständige Frau. Das
Mädchen hat fast gar keinen Fehler, und ihr Gesichte ist auch nicht
schlecht. Ich darf's ihr nur nicht sagen, aber sie sieht eine Sache
manchmal besser ein als ich. Wenn doch die Abschrift von dem
Testamente bald käme! Also, wollen Sie Lottchen haben?
Siegmund. Ja, ich wünsche mir Lottchen. Ich gehorche Ihnen als
meinem Vater. Aber darf ich Ihnen sagen, daß es scheint, daß mir
Julchen gewogener ist als dem Herrn Damis; und daß Lottchen hingegen
mit diesem sehr zufrieden zu sein scheinet. Darf ich Ihnen wohl sagen,
daß mir Julchen nur itzt noch befohlen hat, bei Ihnen um sie
anzuhalten und...
Cleon. Was höre ich? Nun errate ich, warum das Mädchen sich so
geweigert hat. Lieber Herr Siegmund, ich beschwöre Sie, sagen Sie mir,
was bei der Sache anzufangen ist. Ich vergehe, ich... Ja doch.
Julchen kann Ihnen gewogen sein, aber Lottchen ist Ihnen noch
gewogener.
Siegmund. Sie haben vollkommen recht, lieber Papa.
Cleon. Also will Lottchen zwei Männer und Herr Damis zwo Weiber
haben? Das ist ja unsinnig.
Siegmund. Es ist eine verwirrte Sache, bei der ich eine sehr
ungewisse Person spiele. Das beste wird sein, daß Sie alles so
geheimhalten, als es möglich ist, und die Verlobung mit dem Herrn
Damis etwan noch acht Tage anstehen lassen. Vielleicht besinnt sich
Julchen anders.
Cleon. Lieber Gott, zu wem wollte ich davon reden als zu Ihnen? Ich
müßte mich ja schämen.
Siegmund. Wenn Lottchen den Herrn Damis freiwillig wählen sollte: so
bin ich viel zu redlich, als daß ich ihr einen Mann mit so großem
Vermögen entziehen will.
Cleon. Sie sind die Großmut selbst. Ich kann alles zufrieden sein.
Ich wollte Ihnen Julchens Vermögen ebensowohl gönnen als dem Herrn
Damis. Freilich wäre die Einteilung nicht uneben. Lottchen wäre
durch Herrn Damis' Vermögen und Ihnen durch Julchens Erbschaft
geholfen. Ich weiß nicht, was ich anfangen soll.
Siegmund. Also wollten Sie mir, wenn es so weit kommen sollte,
Julchen versprechen?
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