Die Verwandlung - 5

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wenig in Gregor hinein, und erst als sie ihn ohne jeden Widerstand von
seinem Platze geschoben hatte, wurde sie aufmerksam. Als sie bald den
wahren Sachverhalt erkannte, machte sie große Augen, pfiff vor sich hin,
hielt sich aber nicht lange auf, sondern riß die Tür des Schlafzimmers
auf und rief mit lauter Stimme in das Dunkel hinein: »Sehen Sie nur mal
an, es ist krepiert; da liegt es, ganz und gar krepiert!«
Das Ehepaar Samsa saß im Ehebett aufrecht da und hatte zu tun, den
Schrecken über die Bedienerin zu verwinden, ehe es dazu kam, ihre
Meldung aufzufassen. Dann aber stiegen Herr und Frau Samsa, jeder auf
seiner Seite, eiligst aus dem Bett, Herr Samsa warf die Decke über seine
Schultern, Frau Samsa kam nur im Nachthemd hervor; so traten sie in
Gregors Zimmer. Inzwischen hatte sich auch die Tür des Wohnzimmers
geöffnet, in dem Grete seit dem Einzug der Zimmerherren schlief; sie war
völlig angezogen, als hätte sie gar nicht geschlafen, auch ihr bleiches
Gesicht schien das zu beweisen. »Tot?« sagte Frau Samsa und sah fragend
zur Bedienerin auf, trotzdem sie doch alles selbst prüfen und sogar ohne
Prüfung erkennen konnte. »Das will ich meinen,« sagte die Bedienerin und
stieß zum Beweis Gregors Leiche mit dem Besen noch ein großes Stück
seitwärts. Frau Samsa machte eine Bewegung, als wolle sie den Besen
zurückhalten, tat es aber nicht. »Nun,« sagte Herr Samsa, »jetzt können
wir Gott danken.« Er bekreuzte sich, und die drei Frauen folgten seinem
Beispiel. Grete, die kein Auge von der Leiche wendete, sagte: »Seht
nur, wie mager er war. Er hat ja auch schon so lange Zeit nichts
gegessen. So wie die Speisen hereinkamen, sind sie wieder
hinausgekommen.« Tatsächlich war Gregors Körper vollständig flach und
trocken, man erkannte das eigentlich erst jetzt, da er nicht mehr von
den Beinchen gehoben war und auch sonst nichts den Blick ablenkte.
»Komm, Grete, auf ein Weilchen zu uns herein,« sagte Frau Samsa mit
einem wehmütigen Lächeln, und Grete ging, nicht ohne nach der Leiche
zurückzusehen, hinter den Eltern in das Schlafzimmer. Die Bedienerin
schloß die Tür und öffnete gänzlich das Fenster. Trotz des frühen
Morgens war der frischen Luft schon etwas Lauigkeit beigemischt. Es war
eben schon Ende März.
Aus ihrem Zimmer traten die drei Zimmerherren und sahen sich erstaunt
nach ihrem Frühstück um; man hatte sie vergessen. »Wo ist das
Frühstück?« fragte der mittlere der Herren mürrisch die Bedienerin.
Diese aber legte den Finger an den Mund und winkte dann hastig und
schweigend den Herren zu, sie möchten in Gregors Zimmer kommen. Sie
kamen auch und standen dann, die Hände in den Taschen ihrer etwas
abgenützten Röckchen, in dem nun schon ganz hellen Zimmer um Gregors
Leiche herum.
Da öffnete sich die Tür des Schlafzimmers, und Herr Samsa erschien in
seiner Livree, an einem Arm seine Frau, am anderen seine Tochter. Alle
waren ein wenig verweint; Grete drückte bisweilen ihr Gesicht an den Arm
des Vaters.
»Verlassen Sie sofort meine Wohnung!« sagte Herr Samsa und zeigte auf
die Tür, ohne die Frauen von sich zu lassen. »Wie meinen Sie das?« sagte
der mittlere der Herren etwas bestürzt und lächelte süßlich. Die zwei
anderen hielten die Hände auf dem Rücken und rieben sie ununterbrochen
aneinander, wie in freudiger Erwartung eines großen Streites, der aber
für sie günstig ausfallen mußte. »Ich meine es genau so, wie ich es
sage,« antwortete Herr Samsa und ging in einer Linie mit seinen zwei
Begleiterinnen auf den Zimmerherrn zu. Dieser stand zuerst still da und
sah zu Boden, als ob sich die Dinge in seinem Kopf zu einer neuen
Ordnung zusammenstellten. »Dann gehen wir also,« sagte er dann und sah
zu Herrn Samsa auf, als verlange er in einer plötzlich ihn überkommenden
Demut sogar für diesen Entschluß eine neue Genehmigung. Herr Samsa
nickte ihm bloß mehrmals kurz mit großen Augen zu. Daraufhin ging der
Herr tatsächlich sofort mit langen Schritten ins Vorzimmer; seine beiden
Freunde hatten schon ein Weilchen lang mit ganz ruhigen Händen
aufgehorcht und hüpften ihm jetzt geradezu nach, wie in Angst, Herr
Samsa könnte vor ihnen ins Vorzimmer eintreten und die Verbindung mit
ihrem Führer stören. Im Vorzimmer nahmen alle drei die Hüte vom
Kleiderrechen, zogen ihre Stöcke aus dem Stockbehälter, verbeugten sich
stumm und verließen die Wohnung. In einem, wie sich zeigte, gänzlich
unbegründeten Mißtrauen trat Herr Samsa mit den zwei Frauen auf den
Vorplatz hinaus; an das Geländer gelehnt, sahen sie zu, wie die drei
Herren zwar langsam, aber ständig die lange Treppe hinunterstiegen, in
jedem Stockwerk in einer bestimmten Biegung des Treppenhauses
verschwanden und nach ein paar Augenblicken wieder hervorkamen; je
tiefer sie gelangten, desto mehr verlor sich das Interesse der Familie
Samsa für sie, und als ihnen entgegen und dann hoch über sie hinweg ein
Fleischergeselle mit der Trage auf dem Kopf in stolzer Haltung
heraufstieg, verließ bald Herr Samsa mit den Frauen das Geländer, und
alle kehrten, wie erleichtert, in ihre Wohnung zurück.
Sie beschlossen, den heutigen Tag zum Ausruhen und Spazierengehen zu
verwenden; sie hatten diese Arbeitsunterbrechung nicht nur verdient, sie
brauchten sie sogar unbedingt. Und so setzten sie sich zum Tisch und
schrieben drei Entschuldigungsbriefe, Herr Samsa an seine Direktion,
Frau Samsa an ihren Auftraggeber, und Grete an ihren Prinzipal. Während
des Schreibens kam die Bedienerin herein, um zu sagen, daß sie fortgehe,
denn ihre Morgenarbeit war beendet. Die drei Schreibenden nickten zuerst
bloß, ohne aufzuschauen, erst als die Bedienerin sich immer noch nicht
entfernen wollte, sah man ärgerlich auf. »Nun?« fragte Herr Samsa. Die
Bedienerin stand lächelnd in der Tür, als habe sie der Familie ein
großes Glück zu melden, werde es aber nur dann tun, wenn sie gründlich
ausgefragt werde. Die fast aufrechte kleine Straußfeder auf ihrem Hut,
über die sich Herr Samsa schon während ihrer ganzen Dienstzeit ärgerte,
schwankte leicht nach allen Richtungen. »Also was wollen Sie
eigentlich?« fragte Frau Samsa, vor welcher die Bedienerin noch am
meisten Respekt hatte. »Ja,« antwortete die Bedienerin und konnte vor
freundlichem Lachen nicht gleich weiter reden, »also darüber, wie das
Zeug von nebenan weggeschafft werden soll, müssen Sie sich keine Sorge
machen. Es ist schon in Ordnung.« Frau Samsa und Grete beugten sich zu
ihren Briefen nieder, als wollten sie weiterschreiben; Herr Samsa,
welcher merkte, daß die Bedienerin nun alles ausführlich zu beschreiben
anfangen wollte, wehrte dies mit ausgestreckter Hand entschieden ab. Da
sie aber nicht erzählen durfte, erinnerte sie sich an die große Eile,
die sie hatte, rief offenbar beleidigt: »Adjes allseits,« drehte sich
wild um und verließ unter fürchterlichem Türezuschlagen die Wohnung.
»Abends wird sie entlassen,« sagte Herr Samsa, bekam aber weder von
seiner Frau noch von seiner Tochter eine Antwort, denn die Bedienerin
schien ihre kaum gewonnene Ruhe wieder gestört zu haben. Sie erhoben
sich, gingen zum Fenster und blieben dort, sich umschlungen haltend.
Herr Samsa drehte sich in seinem Sessel nach ihnen um und beobachtete
sie still ein Weilchen. Dann rief er: »Also kommt doch her. Laßt schon
endlich die alten Sachen. Und nehmt auch ein wenig Rücksicht auf mich.«
Gleich folgten ihm die Frauen, eilten zu ihm, liebkosten ihn und
beendeten rasch ihre Briefe.
Dann verließen alle drei gemeinschaftlich die Wohnung, was sie schon
seit Monaten nicht getan hatten, und fuhren mit der Elektrischen ins
Freie vor die Stadt. Der Wagen, in dem sie allein saßen, war ganz von
warmer Sonne durchschienen. Sie besprachen, bequem auf ihren Sitzen
zurückgelehnt, die Aussichten für die Zukunft, und es fand sich, daß
diese bei näherer Betrachtung durchaus nicht schlecht waren, denn aller
drei Anstellungen waren, worüber sie einander eigentlich noch gar nicht
ausgefragt hatten, überaus günstig und besonders für später
vielversprechend. Die größte augenblickliche Besserung der Lage mußte
sich natürlich leicht durch einen Wohnungswechsel ergeben; sie wollten
nun eine kleinere und billigere, aber besser gelegene und überhaupt
praktischere Wohnung nehmen, als es die jetzige, noch von Gregor
ausgesuchte war. Während sie sich so unterhielten, fiel es Herrn und
Frau Samsa im Anblick ihrer immer lebhafter werdenden Tochter fast
gleichzeitig ein, wie sie in der letzten Zeit trotz aller Pflege, die
ihre Wangen bleich gemacht hatte, zu einem schönen und üppigen Mädchen
aufgeblüht war. Stiller werdend und fast unbewußt durch Blicke sich
verständigend, dachten sie daran, daß es nun Zeit sein werde, auch einen
braven Mann für sie zu suchen. Und es war ihnen wie eine Bestätigung
ihrer neuen Träume und guten Absichten, als am Ziele ihrer Fahrt die
Tochter als erste sich erhob und ihren jungen Körper dehnte.
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