Die Verschwörung des Fiesco zu Genua: Ein republikanisches Trauerspiel - 4

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streifte den blutenden Arm auf, das Volk schlug sich um die fallenden
Tropfen, wie um Reliquien. Der Mohr wurde seiner Willkür übergeben,
und Fiesco--ein Herzstoß für uns--Fiesco begnadigte ihn. Jetzt raste
die Stille des Volks in einen brüllenden Laut aus, jeder Odem
zernichtete einen Doria, Fiesco wurde auf tausendstimmigem Vivat nach
Hause getragen.
Gianettino (mit einem dumpfen Gelächter). Der Aufruhr schwelle mir
an die Gurgel!--Kaiser Karl! Mit dieser einzigen Silbe will ich sie
niederwerfen, daß in ganz Genua auch keine Glocke mehr summen soll.
Lomellin. Böhmen liegt weit von Italien--Wenn Karl sich beeilt, kann
er noch zeitig genug zu Ihrem Leichenschmaus kommen.
Gianettino (zieht einen Brief mit großem Siegel hervor). Glück genug
also, daß er schon hier ist!--Verwundert sich Lomellin? Glaubte er
mich tolldreist genug, wüthige Republikaner zu reizen, wenn sie nicht
schon verkauft und verrathen wären?
Lomellin (betreten). Ich weiß nicht, was ich denke.
Gianettino. Ich denke Etwas, das du nicht weißt. Der Schluß ist
gefaßt. Übermorgen fallen zwölf Senatoren. Doria wird Monarch, und
Kaiser Karl wird ihn schützen--Du trittst zurück?
Lomellin. Zwölf Senatoren! Mein Herz ist nicht weit genug, eine
Blutschuld zwölfmal zu fassen.
Gianettino. Närrchen, am Thron wirft man sie nieder. Siehst du, ich
überlegte mit Karls Ministern, daß Frankreich in Genua noch starke
Parteien hätte, die es ihm zum zweiten Mal in die Hände spielen
könnten, wenn man sie nicht mit der Wurzel vertilgte. Das wurmte
beim alten Karl. Er unterschrieb meinen Anschlag--und du schreibst,
was ich dictiere.
Lomellin. Noch weiß ich nicht-Gianettino. Setze dich! Schreib!
Lomellin. Was schreib' ich aber? (Setzt sich.)
Gianettino. Die Namen der zwölf Candidaten--Franz Zenturione.
Lomellin (schreibt). Zum Dank für sein Votum führt er den Leichenzug.
Gianettino. Cornelio Calva.
Lomellin. Calva.
Gianettino. Michael Zibo.
Lomellin. Eine Abkühlung auf die Procuratur.
Gianettino. Thomas Asserato mit drei Brüdern (Lomellin hält inne.)
Gianettino (nachdrücklich). Mit drei Brüdern.
Lomellin (schreibt). Weiter.
Gianettino. Fiesco von Lavagna.
Lomellin. Geben Sie Acht! geben Sie Acht! Sie werden über diesem
schwarzen Stein noch den Hals brechen.
Gianettino. Scipio Bourgognino.
Lomellin. Der mag anderswo Hochzeit halten.
Gianettino. Wo ich Brautführer bin--Raphael Sacco.
Lomellin. Dem sollt' ich Pardon auswirken, bis er mir meine
fünftausend Scudi bezahlt hat. (Schreibt.) Der Tod macht quitt.
Gianettino. Vincent Calcagno.
Lomellin. Calcagno--den Zwölften schreib' ich auf meine Gefahr, oder
unser Todfeind ist vergessen.
Gianettino. Ende gut, Alles gut. Joseph Verrina.
Lomellin. Das war der Kopf des Wurms. (Steht auf, streut Sand,
fliegt die Schrift durch, reicht sie dem Prinzen.) Der Tod gibt
übermorgen prächtige Gala und hat zwölf genuesische Fürsten geladen.
Gianettino (tritt zum Tisch, unterzeichnet). Es ist geschehen--In
zwei Tagen ist Dogewahl. Wenn die Signoria versammelt ist, werden
die Zwölf auf das Signal eines Schnupftuchs mit einem plötzlichen
Schuß gestreckt, wenn zugleich meine zweihundert Deutsche das
Rathhaus mit Sturm besetzen. Ist das vorbei, tritt Gianettino Doria
in den Saal und läßt sich huldigen. (Klingelt.)
Lomellin. Und Andreas?
Gianettino (verächtlich). Ist ein alter Mann. (Ein Bedienter.) Wenn
der Herzog fragt, ich bin in der Messe. (Bedienter ab.) Der Teufel,
der in mir steckt, kann nur in Heiligenmaske incognito bleiben.
Lomellin. Aber das Blatt, Prinz?
Gianettino. Nimmst du, lässest es durch unsre Partei circulieren.
Dieser Brief muß mir Extrapost nach Levanto. Er unterrichtet den
Spinola von Allem und heißt ihn früh acht Uhr in der Hauptstadt hier
eintreffen. (Will fort.)
Lomellin. Ein Loch im Faß, Prinz! Fiesco besucht keinen Senat mehr.
Gianettino (zurückrufend). Doch noch einen Meuter wird Genua
haben?--Ich sorge dafür. (Ab in ein Seitenzimmer, Lomellin fort
durch ein anderes.)

Fünfzehnter Auftritt

Vorzimmer bei Fiesco.
Fiesco mit Briefen und Wechseln. Mohr.
Fiesco. Also vier Galeeren sind eingelaufen.
Mohr. Liegen glücklich in der Darsena vor Anker.
Fiesco. Das kommt erwünscht. Woher die Expressen?
Mohr. Von Rom, Piacenza und Frankreich.
Fiesco (bricht die Briefe auf, fliegt sie durch). Willkommen,
willkommen in Genua! (Sehr aufgeräumt.) Die Kuriere werden fürstlich
bewirthet.
Mohr. Hum! (Will gehen.)
Fiesco. Halt! Halt! Hier kommt Arbeit für dich die Fülle.
Mohr. Was steht zu Befehl? Die Nase des Spürers oder der Stachel
des Skorpions?
Fiesco. Für jetzt des Lockvogels Schlag. Morgen früh werden
zweitausend Mann verkappt zur Stadt hereinschleichen, Dienste bei mir
zu nehmen. Vertheile du deine Handlanger an den Thoren herum, mit
der Ordre, auf die eintretenden Passagiers ein wachsames Auge zu
haben. Einige werden als ein Trupp Pilgrime kommen, die nach Loretto
wallfahrten gehen, andre als Ordensbrüder, oder Savoyarden, oder
Komödianten, wieder andre als Krämer, oder als ein Trupp Musikanten,
die meisten als abgedankte Soldaten, die genuesisches Brod essen
wollen. Jeder Fremde wird ausgefragt, wo er einstellet; antwortet er:
zur goldenen Schlange, so muß man ihn freundlich grüßen und meine
Wohnung bedeuten. Höre, Kerl! aber ich baue auf deine Klugheit.
Mohr. Herr! wie auf meine Bosheit. Entwischt mir ein Lock Haare, so
sollt Ihr meine zwei Augen in eine Windbüchse laden und Sperlinge
damit schießen. (Will fort.)
Fiesco. Halt! noch eine Arbeit. Die Galeeren werden der Nation
scharf in die Augen stechen. Merke auf, was davon die Rede wird.
Fragt dich Jemand, so hast du von Weitem murmeln gehört, daß dein
Herr damit Jagd auf die Türken mache. Verstehst du?
Mohr. Verstehe. Die Bärte der Beschnittenen liegen oben drauf. Was
im Korb ist, weiß der Teufel. (Will fort.)
Fiesco. Gemach. Noch eine Vorsicht. Gianettino hat neuen Grund,
mich zu hassen und mir Fallen zu stellen. Geh, beobachte deine
Kameraden, ob du nicht irgendwo einen Meuchelmord witterst. Doria
besucht die verdächtigen Häuser. Hänge dich an die Töchter der
Freude. Die Geheimnisse des Cabinets stecken sich gern in die Falten
eines Weiberrocks; versprich ihnen goldspeiende Kunden--versprich
deinen Herrn. Nichts kann zu ehrwürdig sein, das du nicht in diesen
Morast untertauchen sollst, bis du den festen Boden fühlst.
Mohr. Halt! Holla! Ich habe Eingang bei einer gewissen Diana
Bononi und bin gegen fünf Vierteljahr ihr Zuführer gewesen.
Vorgestern sah ich den Procurator Lomellino aus ihrem Hause kommen.
Fiesco. Wie gerufen. Eben der Lomellino ist der Hauptschlüssel zu
allen Tollheiten Dorias. Gleich morgen früh mußt du hingehen.
Vielleicht ist er heute Nacht dieser keuschen Luna Endymion.
Mohr. Noch ein Umstand, gnädiger Herr. Wenn mich die Genueser
fragen--und ich bin des Teufels! das werden sie--wenn sie mich jetzt
fragen: was denkt Fiesco zu Genua?--Werdet Ihr Eure Maske noch länger
tragen, oder was soll ich antworten?
Fiesco. Antworten! Wart! Die Frucht ist ja zeitig. Wehen
verkündigen die Geburt--Genua liege auf dem Block, sollst du
antworten, und dein Herr heiße Johann Ludwig Fiesco.
Mohr (sich froh streckend). Was ich anbringen will, daß sich's
gewaschen haben soll, bei meiner hundsföttischen Ehre!--Aber nun hell
auf, Freund Hassan! In ein Weinhaus zuerst! Meine Füße haben alle
Hände voll zu thun--und muß meinen Magen caressieren, daß er mir bei
meinen Beinen das Wort redt. (Eilt ab, kommt aber schnell zurück.) A
propos! Bald hätt' ich das verplaudert. Was zwischen Eurer Frau und
Calcagno vorging, habt Ihr gern wissen mögen!--Ein Korb ging vor,
Herr, und Das war Alles. (Läuft davon.)

Sechzehnter Auftritt

Fiesco bei sich.
Ich bedaure, Calcagno--Meinten Sie etwa, ich würden den empfindlichen
Artikel meines Ehebetts Preis geben, wenn mir meines Weibes Tugend
und mein eigener Werth nicht Handschrift genug ausgestellt hätten?
Doch willkommen mit dieser Schwägerschaft. Du bist ein guter Soldat.
Das soll mir deinen Arm zu Dorias Untergang kuppeln!--(Mit starkem
Schritt auf und nieder.) Jetzt, Doria, mit mir auf den Kampfplatz!
Alle Maschinen des großen Wagestücks sind im Gang. Zum schaudernden
Concert alle Instrumente gestimmt. Nichts fehlt, als die Larve
herabzureißen und Genuas Patrioten den Fiesco zu zeigen. (Man hört
kommen.) Ein Besuch! Wer mag mich jetzt stören?

Siebzehnter Auftritt

Voriger. Verrina. Romano mit einem Tableau. Sacco. Bourgognino.
Calcagno. Alle verneigen sich.
Fiesco (ihnen entgegen, voll Heiterkeit). Willkommen, meine würdigen
Freunde! Welche wichtige Angelegenheit führt Sie so vollzählig zu
mir--Du auch da, theurer Bruder Verrina? Ich würde bald verlernt
haben, dich zu kennen, wären meine Gedanken nicht fleißiger um dich,
als meine Augen. War's nicht seit dem letzten Ball, daß ich meinen
Verrina entbehrte?
Verrina. Zähl' ihm nicht nach, Fiesco. Schwere Lasten haben indeß
sein graues Haar gebeugt. Doch genug hievon.
Fiesco. Nicht genug für die wißbegierige Liebe. Du wirst mir mehr
sagen müssen, wenn wir allein sind. (Zu Bourgognino.) Willkommen,
junger Held! Unsre Bekanntschaft ist noch grün, aber meine
Freundschaft ist zeitig. Haben Sie Ihre Meinung von mir verbessert?
Bourgognino. Ich bin auf dem Wege.
Fiesco. Verrina, man sagt mir, daß dieser junge Cavalier dein
Tochtermann werden soll. Nimm meinen ganzen Beifall zu dieser Wahl.
Ich hab' ihn nur einmal gesprochen, und doch würd' ich stolz sein,
wenn er der meinige wäre.
Verrina. Dieses Urtheil macht mich eitel auf meine Tochter.
Fiesco (zu den Andern). Sacco? Calcagno?--Lauter seltne
Erscheinungen in meinen Zimmern. Beinahe möchte ich mich meiner
Dienstfertigkeit schämen, wenn Genuas edelste Zierden sie
vorübergehen--Und hier begrüße ich einen fünften Gast, mir zwar fremd,
doch empfohlen genug durch diesen würdigen Zirkel.
Romano. Es ist ein Maler schlechtweg, gnädiger Herr, Romano mit
Namen, der sich vom Diebstahl an der Natur ernährt, kein Wappen hat,
als seinen Pinsel, und nun gegenwärtig ist, (mit einer tiefen
Verbeugung) die große Linie zu einem Brutuskopfe zu finden.
Fiesco. Ihre Hand, Romano. Ihre Meisterin ist eine Verwandte meines
Hauses. Ich liebe sie brüderlich. Kunst ist die rechte Hand der
Natur. Diese hat nur Geschöpfe, jene hat Menschen gemacht. Was
malen Sie aber, Romano?
Romano. Scenen aus dem nervigten Alterthum. Zu Florenz steht mein
sterbender Hercules, meine Kleopatra zu Venedig, der wüthende Ajax zu
Rom, wo die Helden der Vorwelt--im Vatican wieder auferstehen.
Fiesco. Und was ist wirklich Ihres Pinsels Beschäftigung?
Romano. Er ist weggeworfen, gnädiger Herr. Das Licht des Genies
bekam weniger Fett, als das Licht des Lebens. Über einen gewissen
Punkt hinaus brennt nur die papierne Krone. Hier ist meine letzte
Arbeit.
Fiesco (aufgeräumt). Sie könnte nicht erwünschter gekommen sein.
Ich bin heute ganz ungewöhnlich heiter, mein ganzes Wesen feiert eine
gewisse heroische Ruhe, ganz offen für die schöne Natur. Stellen Sie
Ihr Tableau auf. Ich will mir ein rechtes Fest daraus bereiten.
Tretet herum, meine Freunde. Wir wollen uns ganz dem Künstler
schenken. Stellen Sie Ihr Tableau auf.
Verrina (winkt den Andern). Nun merket auf, Genueser!
Romano (stellt das Gemälde zurecht). Das Licht muß von der Seite
spielen. Ziehen Sie jenen Vorhang auf. Diesen lassen Sie fallen.
Gut. (Er tritt auf die Seite.) Es ist die Geschichte der Virginia
und des Appius Claudius.
(Lange ausdrucksvolle Pause, worin alle die Malerei betrachten.)
Verrina (in Begeisterung). Spritz zu, eisgrauer Vater!--Zuckst du,
Tyrann?--Wie so bleich steht ihr Klötze Römer--ihm nach, Römer--das
Schlachtmesser blinkt--Mir nach, Klötze Genueser--Nieder mit Doria!
Nieder! nieder! (Er haut gegen das Gemälde.)
Fiesco (lächelnd zum Maler.) Fordern Sie mehr Beifall? Ihre Kunst
macht diesen alten Mann zum bartlosen Träumer.
Verrina (erschöpft). Wo bin ich? Wo sind sie hingekommen? Weg, wie
Blasen? Du hier, Fiesco? Der Tyrann lebt noch, Fiesco?
Fiesco. Siehst du? Über vielem Sehen hast du die Augen vergessen.
Diesen Römerkopf findest du bewundernswerth? Weg mit ihm! Hier das
Mädchen blick' an! Dieser Ausdruck, wie weich, wie weiblich! Welche
Anmuth auch aus den welkenden Lippen? Welche Wollust im
verlöschenden Blick?--Unnachahmlich! göttlich, Romano!--Und noch die
weiße, blendende Brust, wie angenehm noch von des Athems letzten
Wellen gehoben! Mehr solche Nymphen, Romano, so will ich vor Ihren
Phantasieen knieen und der Natur einen Scheidebrief schreiben.
Bourgognino. Verrina, ist das deine gehoffte herrliche Wirkung?
Verrina. Fasse Muth, Sohn. Gott verwarf den Arm des Fiesco, er muß
auf den unsrigen rechnen.
Fiesco (zum Maler). Ja, es ist Ihre letzte Arbeit, Romano. Ihr
Markt ist erschöpft. Sie rühren keinen Pinsel mehr an. Doch über
des Künstlers Bewunderung vergess' ich das Werk zu verschlingen. Ich
könnte hier stehen und hingaffen und ein Erdbeben überhören. Nehmen
Sie Ihr Gemälde weg. Sollt' ich Ihnen diesen Virginiakopf bezahlen,
müßt' ich Genua in Versatz geben. Nehmen Sie weg.
Romano. Mit Ehre bezahlt sich der Künstler. Ich schenke es Ihnen.
(Er will hinaus.)
Fiesco. Eine kleine Geduld, Romano. (Er geht mit majestätischem
Schritt im Zimmer und scheint über etwas Großes zu denken. Zuweilen
betrachtet er die Andern fliegend und scharf, endlich nimmt er den
Maler bei der Hand, führt ihn vor das Gemälde.) Tritt her, Maler!
(Äußerst stolz und mit Würde.) So trotzig stehst du da, weil du
Leben auf todten Tüchern heuchelst und große Thaten mit kleinem
Aufwand verewigst. Du prahlst mit Poetenhitze, der Phantasie
marklosem Marionettenspiel, ohne Herz, ohne thatenerwärmende Kraft;
stürzest Tyrannen auf Leinwand;--bist selbst ein elender Sklave?
Machst Republiken mit einem Pinsel frei;--kannst deine eignen Ketten
nicht brechen? (Voll und befehlend.) Geh! Deine Arbeit ist
Gaukelwerk--der Schein weiche der That--(Mit Größe, indem er das
Tableau umwirft.) Ich habe gethan, was du--nur maltest. (Alle
erschüttert. Romano trägt sein Tableau mit Bestürzung fort.)

Achtzehnter Auftritt

Fiesco. Verrina. Bourgognino. Sacco. Calcagno.
Fiesco (unterbricht eine Pause des Erstaunens). Dachtet ihr, der
Löwe schliefe, weil er nicht brüllte? Waret ihr eitel genug, euch zu
überreden, daß ihr die Einzigen wäret, die Genuas Ketten fühlten? die
Einzigen, die sie zu zerreißen wünschten? Eh ihr sie nur fern
rasseln hörtet, hatte sie schon Fiesco zerbrochen. (Er öffnet die
Schatulle, nimmt ein Paket Briefe heraus, die er alle über die Tafel
spreitet.) Hier Soldaten von Parma--hier französisches Geld--hier
vier Galeeren vom Papst. Was fehlt noch, einen Tyrannen in seinem
Nest aufzujagen? Was wißt ihr noch zu erinnern? (Da sie alle
erstarrt schweigen, tritt er von der Tafel mit Selbstgefühl.)
Republikaner, ihr seid geschickter, Tyrannen zu verfluchen, als sie
in die Luft zu sprengen. (Alle, außer Verrina, werfen sich sprachlos
Fiesco zu Füßen.)
Verrina. Fiesco!--Mein Geist neigt sich vor dem deinigen--mein Knie
kann es nicht--Du bist ein großer Mensch!--aber--Steht auf, Genueser.
Fiesco. Ganz Genua ärgerte sich an dem Weichling Fiesco. Ganz Genua
fluchte über den verbuhlten Schurken Fiesco. Genueser! Genueser!
Meine Buhlerei hat den arglistigen Despoten betrogen, meine Tollheit
hat eurem Fürwitz meine gefährliche Weisheit verhüllt. In den
Windeln der Üppigkeit lag das erstaunliche Werk der Verschwörung
gewickelt. Genug. Genua kennt ich in euch. Mein ungeheuerster
Wunsch ist befriedigt.
Bourgognino (wirft sich unmuthig in einen Sessel). Bin ich denn gar
nichts mehr?
Fiesco. Aber laßt uns schleunig von Gedanken zu Thaten gehn. Alle
Maschinen sind gerichtet. Ich kann die Stadt von Land und Wasser
bestürmen. Rom, Frankreich und Parma bedecken mich. Der Adel ist
schwierig. Des Pöbels Herzen sind mein. Die Tyrannen hab' ich in
Schlummer gesungen. Die Republik ist zu einem Umgusse zeitig. Mit
dem Glück sind wir fertig. Nichts fehlt--Aber Verrina ist
nachdenkend?
Bourgognino. Geduld. Ich hab' ein Wörtchen, das ihn rascher
aufschrecken soll, als des jüngsten Tages Posaunenruf. (Er tritt zu
Verrina, ruft ihm bedeutend zu.) Vater, wach' auf! Deine Bertha
verzweifelt.
Verrina. Wer sprach das?--Zum Werk, Genueser!
Fiesco. Überlegt den Entwurf zur Vollstreckung. Über dem ernsten
Gespräch hat uns die Nacht überrascht. Genua liegt schlafen. Der
Tyrann fällt erschöpft von den Sünden des Tages nieder. Wachet für
beide!
Bourgognino. Eh wir scheiden, laßt uns den heldenmüthigen Bund durch
eine Umarmung beschwören. (Sie schließen mit verschränkten Armen
einen Kreis.) Hier wachsen Genuas fünf größte Herzen zusammen, Genuas
größtes Loos zu entscheiden. (Drücken sich inniger.) Wenn der Welten
Bau auseinander fällt und der Spruch des Gerichts auch die Bande des
Bluts, auch der Liebe zerschneidet, bleibt dieses fünffache
Heldenblatt ganz! (Treten auseinander.)
Verrina. Wann versammeln wir uns wieder?
Fiesco. Morgen Mittag will ich eure Meinungen sammeln.
Verrina. Morgen Mittag denn. Gute Nacht, Fiesco! Bourgognino, komm!
Du wirst etwas Seltsames hören. (Beide ab.)
Fiesco (zu den Andern). Geht ihr zu den Hinterthoren hinaus, daß
Dorias Spionen nichts merken. (Alle entfernen sich.)

Neunzehnter Auftritt

Fiesco, der nachdenkend auf und nieder geht.
Welch ein Aufruhr in meiner Brust! welche heimliche Flucht der
Gedanken--Gleich verdächtigen Brüdern, die auf eine schwarze That
ausgehen, auf den Zehen schleichen und ihr flammroth Gesicht
furchtsam zu Boden schlagen, stehlen sich die üppigen Phantome an
meiner Seele vorbei--Haltet! haltet! Laßt mich euch ins Angesicht
leuchten--ein guter Gedanke stählet des Mannes Herz und zeigt sich
heldenmäßig dem Tage.--Ha! ich kenne euch!--das ist die Liverei des
ewigen Lügners--verschwindet! (Wieder Pause, darauf lebhafter.)
Republikaner Fiesco? Herzog Fiesco?--Gemach--Hier ist der gähe
Hinuntersturz, wo die Mark der Tugend sich schließt, sich scheiden
Himmel und Hölle--Eben hier haben Helden gestrauchelt, und Helden
sind gesunken, und die Welt belagert ihren Namen mit Flüchen--Eben
hier haben Helden gezweifelt, und Helden sind still gestanden und
Halbgötter geworden--(Rascher.) Daß sie mein sind, die Herzen von
Genua? Daß von meinen Händen dahin, dorthin sich gängeln läßt das
furchtbare Genua?--O über die schlaue Sünde, die einen Engel vor
jeden Teufel stellt--Unglückselige Schwungsucht! uralte Buhlerei!
Engel küßten an deinem Halse den Himmel hinweg, und der Tod sprang
aus deinem kreißenden Bauche--(Sich schaudernd schüttelnd.) Engel
fingst du mit Sirenentrillern von Unendlichkeit--Menschen angelst du
mit Gold, Weibern und Kronen! (Nach einer nachdenkenden Pause, fest.)
Ein Diadem erkämpfen ist groß. Es wegwerfen ist göttlich.
(Entschlossen.) Geh unter, Tyrann! Sei frei, Genua, und ich (sanft
geschmolzen) dein glücklichster Bürger!


Dritter Aufzug
Furchtbare Wildniß.

Erster Auftritt

Verrina. Bourgognino kommen durch die Nacht.
Bourgognino (steht still.)A wohin führst du mich, Vater? Der dumpfe
Schmerz, womit du mich abriefst, keucht noch immer aus deinem
arbeitenden Odem. Unterbrich dieses grauenvolle Schweigen. Rede.
Ich folge nicht weiter.
Verrina. Das ist der Ort.
Bourgognino. Der schrecklichste, den du auffinden konntest. Vater,
wenn Das, was du hier vornehmen wirst, dem Orte gleich sieht, Vater,
so werden meine Haarspitzen aufwärts springen.
Verrina. Doch blühet das, gegen die Nacht meiner Seele. Folge mir
dahin, wo die Verwesung Leichname morsch frißt, und der Tod seine
schaudernde Tafel hält--dahin, wo das Gewinsel verlorner Seelen
Teufel belustigt, und des Jammers undankbare Thränen im
durchlöcherten Sieb der Ewigkeit ausrinnen--dahin, mein Sohn, wo die
Welt ihre Losung ändert, und die Gottheit ihr allgütiges Wappen
bricht--dort will ich zu dir durch Verzerrungen sprechen, und mit
Zähneklappern wirst du hören.
Bourgognino. Hören? Was? ich beschwöre dich.
Verrina. Jüngling! ich fürchte--Jüngling, dein Blut ist
rosenroth--dein Fleisch ist milde geschmeidig; dergleichen Naturelle
fühlen menschlich weich; an dieser empfindenden Flamme schmilzt meine
grausame Weisheit. Hätte der Frost des Alters oder der bleierne Gram
den fröhlichen Sprung deiner Geister gestellt--hätte schwarzes,
klumpigtes Blut der leidenden Natur den Weg zum Herzen gesperrt, dann
wärst du geschickt, die Sprache meines Grams zu verstehen und meinen
Entschluß anzustaunen.
Bourgognino. Ich werde ihn hören und mein machen.
Verrina. Nicht darum, mein Sohn--Verrina wird damit dein Herz
verschonen. O Scipio, schwere Lasten liegen auf dieser Brust--ein
Gedanke, grauenvoll, wie die lichtscheue Nacht--ungeheuer genug, eine
Mannsbrust zu sprengen--Siehst du? Allein will ich ihn
vollführen--allein tragen kann ich ihn nicht. Wenn ich stolz wäre,
Scipio, ich könnte sagen, es ist eine Qual, der einzige große Mann zu
sein--Größe ist dem Schöpfer zur Last gefallen, und er hat Geister zu
Vertrauten gemacht--Höre, Scipio-Bourgognino. Meine Seele
verschlingt die deinige.
Verrina. Höre, aber erwiedre nichts. Nichts, junger Mensch! Hörst
du? Kein Wort sollst du drauf sagen--Fiesco muß sterben!
Bourgognino (mit Bestürzung). Sterben? Fiesco?
Verrina. Sterben!--Ich danke dir, Gott! es ist heraus--Fiesco
sterben, Sohn, sterben durch mich!--Nun geh--es gibt Thaten, die sich
keinem Menschen-Urtheil mehr unterwerfen--nur den Himmel zum
Schiedsmann erkennen--Das ist eine davon. Geh. Ich will weder
deinen Tadel, noch deinen Beifall. Ich weiß, was sie mich kostet,
und damit gut. Doch höre--du könntest dich wohl gar wahnsinnig daran
denken--Höre--sahest du ihn gestern in unsrer Bestürzung sich
spiegeln?--Der Mann, dessen Lächeln Italien irre führte, wird er
seines Gleichen in Genua dulden?--Geh. Den Tyrannen wird Fiesco
stürzen, das ist gewiß! Fiesco wird Genuas gefährlichster Tyrann
werden, das ist gewisser! (Er geht schnell ab. Bourgognino blickt
ihm staunend und sprachlos nach, dann folgt er ihm langsam.)

Zweiter Auftritt

Saal bei Fiesco.
In der Mitte des Hintergrunds eine große Glasthüre, die den Prospect
über das Meer und Genua öffnet. Morgendämmerung.--Fiesco vom Fenster.
Was ist das?--der Mond ist unter--Der Morgen kommt feurig aus der
See--Wilde Phantasieen haben meinen Schlaf aufgeschwelgt--mein ganzes
Wesen krampfig um eine Empfindung gewälzt--Ich muß mich im Offenen
dehnen. (Er macht die Glasthüre auf. Stadt und Meer von Morgenroth
überflammt. Fiesco mit starken Schritten im Zimmer.) Daß ich der
größte Mann bin im ganzen Genua? und die kleineren Seelen sollten
sich nicht unter die große versammeln?--Aber ich verletze die Tugend?
(steht still.) Tugend?--Der erhabene Kopf hat andre Versuchungen, als
der gemeine--Sollt' er Tugend mit ihm zu theilen haben?--Der Harnisch,
der des Pygmäen schmächtigen Körper zwingt, sollte der einem
Riesenleib anpassen müssen?
Die Sonne geht auf über Genua.
Diese majestätische Stadt! (Mit offenen Armen dagegen eilend.) Mein!
--und drüber emporzuflammen, gleich dem königlichen Tag--drüber zu
brüten mit Monarchenkraft--all die kochenden Begierden--all die
nimmersatten Wünsche in diesem grundlosen Ocean unterzutauchen?--
Gewiß! Wenn auch des Betrügers Witz den Betrug nicht adelt, so
adelt doch der Preis den Betrüger. Es ist schimpflich, eine Börse
zu leeren--es ist frech, eine Million zu veruntreuen, aber es ist
namenlos groß, eine Krone zu stehlen. Die Schande nimmt ab mit der
wachsenden Sünde. (Pause, dann mit Ausdruck.) Gehorchen!--
Herrschen!--ungeheure schwindlichte Kluft--Legt Alles hinein, was
der Mensch Kostbares hat--eure gewonnenen Schlachten, Eroberer--
Künstler, eure unsterblichen Werke--eure Wollüste, Epikure--eure
Meere und Inseln, ihr Weltumschiffer! Gehorchen und Herrschen!--
Sein und Nichtsein! Wer über den schwindlichten Graben vom letzten
Seraph zum Unendlichen setzt, wird auch diesen Sprung ausmessen.
(Mit erhabenem Spiel.) Zu stehen in jener schrecklich erhabenen
Höhe--niederzuschmollen in der Menschlichkeit reißenden Strudel,
wo das Rad der blinden Betrügerin Schicksale schelmisch wälzt--
den ersten Mund am Becher der Freude--tief unten den geharnischten
Riesen Gesetz am Gängelbande zu lenken--schlagen zu sehen
unvergoltene Wunden, wenn sein kurzarmiger Grimm an das Geländer
der Majestät ohnmächtig poltert--die unbändigen Leidenschaften
des Volks, gleich so viel strampfenden Rossen, mit dem weichen
Spiele des Zügels zu zwingen--den emporstrebenden Stolz der
Vasallen mit einem--einem Athemzug in den Staub zu legen, wenn der
schöpferische Fürstenstab auch die Träume des fürstlichen Fiebers ins
Leben schwingt.--Ha! welche Vorstellung, die den staunenden Geist
über seine Linien wirbelt!--Ein Augenblick Fürst hat das Mark des
ganzen Daseins verschlungen. Nicht der Tummelplatz des Lebens--sein
Gehalt bestimmt seinen Werth. Zerstücke den Donner in seine
einfachen Silben, und du wirst Kinder damit in den Schlummer singen;
schmelze sie zusammen in einen plötzlichen Schall, und der
monarchische Laut wird den ewigen Himmel bewegen--Ich bin
entschlossen! (Heroisch auf und nieder.)

Dritter Auftritt

Voriger. Leonore tritt herein mit merklicher Angst.
Leonore. Vergeben Sie, Graf. Ich fürchte, Ihre Morgenruhe zu stören.
Fiesco (tritt höchst betreten zurück.) Gewiß, gnädige Frau, Sie
überraschen mich seltsam.
Leonore. Das begegnet nur den Liebenden nie.
Fiesco. Schöne Gräfin, Sie verrathen Ihre Schönheit an den
feindlichen Morgenhauch.
Leonore. Auch wüßt' ich nicht, warum ich den wenigen Rest für den
Gram schonen sollte.
Fiesco. Gram, meine Liebe? Stand ich bisher im Wahn, Staaten nicht
umwühlen wollen, hieße Gemüthsruhe?
Leonore. Möglich--Doch fühl' ich, daß meine Weiberbrust unter dieser
Gemüthsruhe bricht. Ich komme, mein Herr, Sie mit einer
nichtsbedeutenden Bitte zu belästigen, wenn Sie Zeit für mich
wegwerfen möchten. Seit sieben Monaten hatt' ich den seltsamen Traum,
Gräfin von Lavagna zu sein. Er ist verflogen. Der Kopf schmerzt
mir davon. Ich werden den ganzen Genuß meiner unschuldigen Kindheit
zurückrufen müssen, meine Geister von diesem lebhaften Phantome zu
heilen. Erlauben Sie darum, daß ich in die Arme meiner guten Mutter
zurückkehre?
Fiesco (äußerst bestürzt). Gräfin?
Leonore. Es ist ein schwaches, verzärteltes Ding, mein Herz, mit dem
Sie Mitleiden haben müssen. Auch die geringsten Andenken des Traums
könnten meiner kranken Einbildung Schaden thun. Ich stelle deßwegen
die letzten überbliebenen Pfänder ihrem rechtmäßigen Besitzer zurück.
(Sie legt einige Galanterieen auf ein Tischchen.) Auch diesen Dolch,
der mein Herz durchfuhr--(seinen Liebesbrief) auch diesen--und (indem
sie sich laut weinend hinausstürzen will) behalte nichts, als die
Wunde!
Fiesco (erschüttert, eilt ihr nach, hält sie auf). Leonore! Welch
ein Auftritt! Um Gotteswillen!
Leonore (fällt matt in seinen Arm). Ihre Gemahlin zu sein, hab' ich
nicht verdient, aber Ihre Gemahlin hätte Achtung verdient--Wie sie
jetzt zischen, die Lästerzungen! Wie sie auf mich herabschielen,
Genuas Damen und Mädchen! »Seht, wie sie wegblüht, die Eitle, die den
Fiesco heirathete.«--Grausame Ahndung meiner weiblichen Hoffart! Ich
hatte mein ganzes Geschlecht verachtet, da mich Fiesco zum Brautaltar
führte.
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