Friedrich Schiller Georg Wilhelm Friedrich Hegel
Die Verschwörung des Fiesco zu Genua: Ein republikanisches Trauerspiel
Die Verschwörung des Fiesco zu Genua: Ein republikanisches Trauerspiel - 2
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Ich fühle die Schönheit Ihres Unwillens, aber ich schlage mich nicht.
Bourgognino (einen Schritt zurück). Der Graf von Lavagna wäre zu
feig, sich gegen die Erstlinge meines Schwertes zu wagen?
Fiesco. Bourgognino! gegen die ganze Macht Frankreichs, aber nicht
gegen Sie! Ich ehre dieses liebe Feuer für einen lieberen Gegenstand.
Einen Lorbeer verdient der Wille, aber die That wäre kindisch.
Bourgognino (erregt). Kindisch! Graf? Das Frauenzimmer kann über
Mißhandlung nur weinen--wofür ist der Mann da?
Fiesco. Ungemein gut gesagt, aber ich schlage mich nicht.
Bourgognino (dreht ihm den Rücken, will gehen). Ich werde Sie
verachten.
Fiesco (lebhaft). Bei Gott, Jüngling! das wirst du nie, und wenn die
Tugend im Preis fallen sollte. (Faßt ihn bedächtlich bei der Hand.)
haben Sie jemals etwas gegen mich gefühlt, das man--wie soll ich
sagen?--Ehrfurcht nennt?
Bourgognino. Wär' ich einem Mann gewichen, den ich nicht für den
ersten der Menschen erklärte?
Fiesco. Also, mein Freund! einen Mann, der einst meine Ehrfurcht
verdiente, würde ich--etwas langsam verachten lernen. Ich dächte doch,
das Gewebe eines Meisters sollte künstlicher sein, als dem flüchtigen
Anfänger so geradezu in die Augen zu springen--Gehen Sie heim,
Bourgognino, und nehmen Sie sich Zeit, zu überlegen, warum Fiesco so
und nicht anders handelt. (Bourgognino geht stillschweigend ab.) Fahr
hin, edler Jüngling! Wenn diese Flammen ins Vaterland schlagen, mögen
die Doria fest stehen.
Neunter Auftritt
Fiesco. Der Mohr tritt schüchtern herein und sieht sich überall
sorgfältig um.
Fiesco (faßt ihn scharf und lang ins Auge). Was willst du, und wer
bist du?
Mohr (wie oben). Ein Sklave der Republik.
Fiesco. Sklaverei ist ein elendes Handwerk. (Immer ein scharfes Aug
auf ihn.) Was suchst du?
Mohr. Herr, ich bin ein ehrlicher Mann.
Fiesco. Häng' immer diesen Schild vor dein Gesicht hinaus, das wird
nicht überflüssig sein--aber was suchst du?
Mohr (sucht ihm näher zu kommen, Fiesco weicht aus). Herr, ich bin
kein Spitzbube.
Fiesco. Es ist gut, daß du das beifügst, und--doch wieder nicht gut.
(Ungeduldig.) Aber was suchst du?
Mohr (rückt wieder näher). Seid Ihr der Graf Lavagna?
Fiesco (stolz). Die Blinden in Genua kennen meinen Tritt.--Was soll
dir der Graf?
Mohr. Seid auf Eurer Hut, Lavagna. (Hart an ihn.)
Fiesco (springt auf die andere Seite). Das bin ich wirklich.
Mohr (wie oben). Man hat nichts Guts gegen Euch vor, Lavagna.
Fiesco (retiriert sich wieder). Das seh' ich.
Mohr. Hütet Euch vor dem Doria.
Fiesco (tritt ihm vertraut näher). Freund! sollt' ich dir doch wohl
Unrecht getan haben? Diesen Namen fürchte ich wirklich.
Mohr. So flieht vor dem Mann. Könnt Ihr lesen?
Fiesco. Eine kurzweilige Frage. Du bist bei manchem Cavalier
herumgekommen. Hast du was Schriftliches?
Mohr. Euren Namen bei armen Sündern. (Er reicht ihm einen Zettel
und nistet sich hart an ihn. Fiesco tritt vor einen Spiegel und
schielt über das Papier. Der Mohr geht lauernd um ihn herum, endlich
zieht er den Dolch und will stoßen.)
Fiesco (dreht sich geschickt und fährt nach dem Arm des Mohren).
Sachte, Canaille! (Entreißt ihm den Dolch.)
Mohr (stampft wild auf den Boden). Teufel--Bitt' um Vergebung.
(Will sich abführen.)
Fiesco (packt ihn, mit starker Stimme). Stephano! Drullo! Antonio!
(Den Mohren an der Gurgel.) Bleib, guter Freund! Höllische Büberei!
(Bediente.) Bleib und antworte! Du hast schlechte Arbeit gemacht;
an wen hast du dein Taglohn zu fordern?
Mohr (nach vielen vergeblichen Versuchen, sich wegzustehlen,
entschlossen). Man kann mich nicht höher hängen, als der Galgen ist.
Fiesco. Nein, tröste dich! Nicht an die Hörner des Monds, aber doch
hoch genug, daß du den Galgen für einen Zahnstocher ansehen sollst.
Doch deine Wahl war zu staatsklug, als daß ich sie deinem Mutterwitz
zutrauen sollte. Sprich also, wer hat dich gedungen?
Mohr. Herr, einen Schurken könnt ihr mich schimpfen, aber den
Dummkopf verbitt' ich.
Fiesco. Ist die Bestie stolz. Bestie, sprich, wer hat dich gedungen?
Mohr (nachdenkend). Hum! so wär' ich doch nicht allein der Narr!
--wer mich gedungen hat?--und waren's doch nur hundert magre Zechinen!
--Wer mich gedungen hat?--Prinz Gianettino.
Fiesco (erbittert auf und nieder). Hundert Zechinen und nicht mehr
für des Fiesco Kopf. (Hämisch.) Schäme dich, Kronprinz von Genua.
(Noch einer Schatulle eilend.) Hier, Bursche, sind tausend, und sag
deinem Herrn--er sei ein knickiger Mörder!
(Mohr betrachtet ihn vom Fuß bis zum Wirbel.)
Fiesco. Du besinnst dich, Bursche?
Mohr (nimmt das Geld, setzt es nieder, nimmt es wieder und besieht
ihn mit immer steigendem Erstaunen).
Fiesco. Was machst, Bursche?
Mohr (wirft das Geld entschlossen auf den Tisch). Herr--das Geld
hab' ich nicht verdient.
Fiesco. Schafskopf von einem Jauner! den Galgen hast du verdient.
Der entrüstete Elephant zertritt Menschen, aber nicht Würmer. Dich
würd' ich hängen lassen, wenn es mich nur so viel mehr als zwei Worte
kostete.
Mohr (mit einer frohen Verbeugung). Der Herr sind gar zu gütig.
Fiesco. Behüte Gott! nicht gegen dich. Es gefällt mir nun eben, daß
meine Laune einen Schurken, wie du bist, zu etwas und nichts machen
kann, und darum gehst du frei aus. Begreife mich recht. Dein
Ungeschick ist mir ein Unterpfand des Himmels, daß ich zu etwas
Großem aufgehoben bin, und darum bin ich gnädig, und du gehst frei
aus.
Mohr (treuherzig). Schlagt ein, Lavagna! Eine Ehre ist der andern
werth. Wenn Jemand auf dieser Halbinsel eine Gurgel für Euch
überzählig hat, befehlt! und ich schneide sie ab, unentgeldlich.
Fiesco. Eine höfliche Bestie! Sie will sich mit fremder Leute
Gurgeln bedanken.
Mohr. Wir lassen uns nichts schenken, Herr! Unser eins hat auch
Ehre im Leibe.
Fiesco. Die Ehre der Gurgelschneider?
Mohr. Ist wohl feuerfester als Eurer ehrlichen Leute: sie brechen
ihre Schwüre dem lieben Herrgott; wir halten sie pünktlich dem Teufel.
Fiesco. Du bist ein drolligter Jauner.
Mohr. Freut mich, daß Ihr Geschmack an mir findet. Setzt mich erst
auf die Probe, Ihr werdet einen Mann kennen lernen, der sein
Exercitium aus dem Stegreif macht. Fordert mich auf. Ich kann Euch
von jeder Spitzbubenzunft ein Testimonium aufweisen, von der
untersten bis zur höchsten.
Fiesco. Was ich nicht höre! (Indem er sich niedersetzt.) Also auch
Schelmen erkennen Gesetzt und Rangordnung? Laß mich doch von der
untersten hören.
Mohr. Pfui, gnädiger Herr! das ist das verächtliche Heer der langen
Finger. Ein elend Gewerb, das keinen großen Mann ausbrütet, arbeitet
nur auf Karbatsche und Raspelhaus und führt--höchstens zum Galgen.
Fiesco. Ein reizendes Ziel. Ich bin auf die beßre begierig.
Mohr. Das sind die Spionen und Maschinen. Bedeutende Herren, denen
die Großen ein Ohr leihen, wo sie ihre Allwissenheit holen; die sich
wie Blutigel in Seelen einbeißen, das Gift aus dem Herzen schlürfen
und an die Behörde speien.
Fiesco. Ich kenne das--fort!
Mohr. Der Rang trifft nunmehr die Meuter, Giftmischer und Alle, die
ihren Mann lang hinhalten und aus dem Hinterhalt fassen. Feige
Memmen sind's oft, aber doch Kerls, die dem Teufel das Schulgeld mit
ihrer armen Seele bezahlen. Hier thut die Gerechtigkeit schon etwas
Übriges, strickt ihre Knöchel aufs Rad und pflanzt ihre Schlauköpfe
auf Spieße. Das ist die dritte Zunft.
Fiesco. Aber, sprich doch, wann wird die deinige kommen?
Mohr. Blitz, gnädiger Herr! das ist eben der Pfiff. Ich bin durch
diese alle gewandert. Mein Genie geilte frühzeitig über jedes Gehege.
Gestern Abend macht' ich mein Meisterstück in der dritten, vor
einer Stunde war ich--ein Stümper in der vierten.
Fiesco. Diese wäre also?
Mohr (lebhaft). Das sind Männer, (in Hitze) die ihren Mann zwischen
vier Mauern aufsuchen, durch die Gefahr eine Bahn sich hauen, ihm
gerade zu Leib gehen, mit dem ersten Gruß ihm den Großdank für den
zweiten ersparen. Unter uns! man nennt sie nur die Extrapost der
Hölle. Wenn Mephistopheles einen Gelust bekommt, braucht's nur einen
Wink, und er hat den Braten noch warm.
Fiesco. Du bist ein hartgesottener Sünder. Einen solchen vermißte
ich längst. Gib mir deine Hand. Ich will dich bei mir behalten.
Mohr. Ernst oder Spaß?
Fiesco. Mein völliger Ernst, und gebe dir tausend Zechinen des Jahrs.
Mohr. Topp, Lavagna! Ich bin Euer, und zum Henker fahre das
Privatleben. Braucht mich, wozu Ihr wollt. Zu Eurem Spürhund, zu
Eurem Parforce-Hund, zu Eurem Fuchs, zu Eurer Schlange, zu Eurem
Kuppler und Henkersknecht. Herr, zu allen Commissionen, nur bei
Leibe! zu keiner ehrlichen--dabei benehm' ich mich plump wie Holz.
Fiesco. Sei unbesorgt! Wem ich ein Lamm schenken will, lass' ich's
durch keinen Wolf überliefern. Geh also gleich morgen durch Genua
und suche die Witterung des Staats. Lege dich wohl auf Kundschaft,
wie man von der Regierung denkt und vom Haus Doria flüstert, sondiere
daneben, was meine Mitbürger von meinem Schlaraffenleben und meinem
Liebesroman halten. Überschwemme ihre Gehirne mit Wein, bis ihre
Herzensmeinungen überlaufen. Hier hast du Geld. Spende davon unter
den Seidenhändlern aus.
Mohr (sieht ihn nachdenklich an). Herr-Fiesco. Angst darf dir nicht
werden. Es ist nichts Ehrliches--Geh! rufe deine ganze Bande zu
Hilfe. Morgen will ich deine Zeitungen hören. (Er geht ab.)
Mohr (ihm nach). Verlaßt Euch auf mich. Jetzt ist's früh vier Uhr.
Morgen um Acht habt Ihr so viel Neues erfahren, als in zweimal
siebenzig Ohren geht. (Ab.)
Zehnter Auftritt
Zimmer bei Verrina.
Bertha rücklings in einem Sopha, den Kopf in die Hand geworfen.
Verrina düster hereintretend.
Bertha (erschrickt, springt auf). Himmel! da ist er!
Verrina (steht still, besieht sie befremdet). An ihrem Vater
erschrickt meine Tochter?
Bertha. Fliehen Sie! Lassen Sie mich fliehen! Sie sind schrecklich,
mein Vater.
Verrina. Meinem einzigen Kinde?
Bertha (mit einem schweren Blick auf ihn). Nein! Sie müssen noch
eine Tochter haben.
Verrina. Drückt dich meine Zärtlichkeit zu schwer?
Bertha. Zu Boden, Vater.
Verrina. Wie? welcher Empfang, meine Tochter? Sonst, wenn ich nach
Hause kam, Berge auf meinem Herzen, hüpfte mir meine Bertha entgegen,
und meine Bertha lachte sie weg. Komm, umarme mich, Tochter. An
dieser glühenden Brust soll mein Herz wieder erwarmen, das am
Todtenbett des Vaterlands einfriert. O mein Kind! Ich habe heute
Abrechnung gehalten mit allen Freuden der Natur, und (äußerst schwer)
nur du bist mir geblieben.
Bertha (mißt ihn mit einem langen Blick). Unglücklicher Vater!
Verrina (umarmt sie beklemmt). Bertha! mein einziges Kind! Bertha!
meine letzte übrige Hoffnung!--Genuas Freiheit ist dahin--Fiesco
hin--(indem er sie heftiger drückt, durch die Zähne) Werde du eine
Hure-Bertha (reißt sich aus seinen Armen). Heiliger Gott! Sie
wissen?-Verrina (steht bebend still). Was?
Bertha. Meine jungfräuliche Ehre-Verrina (wüthend). Was?
Bertha. Diese Nacht-Verrina (wie ein Rasender). Was?
Bertha. Gewalt! (Sinkt am Sopha nieder.)
Verrina (nach einer langen schreckhaften Pause mit dumpfer Stimme).
Noch ein Athemzug, Tochter--den letzten! (Mit hohlem gebrochnem Ton.)
Wer?
Bertha. Weh mir, nicht diesen todtenfarben Zorn! Helfe mir Gott! er
stammelt und zittert.
Verrina. Ich wüßte doch nicht--meine Tochter! Wer?
Bertha. Ruhig! ruhig! mein bester, mein theurer Vater.
Verrina. Um Gotteswillen--Wer? (will vor ihr niederfallen.)
Bertha. Eine Maske.
Verrina (tritt zurück, nach einem stürmischen Nachdenken). Nein! das
kann nicht sein! Den Gedanken sendet mir Gott nicht. (Lacht graß
auf.) Alter Geck! als wenn alles Gift nur aus einer und eben der
Kröte spritzte? (Zu Bertha gefaßter.) Die Person, wie die meinige,
oder kleiner?
Bertha. Größer.
Verrina (rasch). Die Haare schwarz? kraus?
Bertha. Kohlschwarz und kraus.
Verrina (taumelt von ihr hinweg). Gott! mein Kopf! mein Kopf--die
Stimme?
Bertha. Rauh, eine Baßstimme.
Verrina (heftig). Von welcher Farbe? Nein! ich will nicht mehr
hören!--der Mantel--von welcher Farbe?
Bertha. Der Mantel grün, wie mich däuchte.
Verrina (hält beide Hände vors Gesicht und wankt in den Sopha). Sei
ruhig. Es ist nur ein Schwindel, meine Tochter. (Läßt die Hände
sinken; ein Todtengesicht.)
Bertha (die Hände ringend). Barmherziger Himmel! das ist mein Vater
nicht mehr.
Verrina (nach einer Pause mit bitterm Gelächter). Recht so! recht so!
Memme Verrina!--daß der Bube in das Heiligthum der Gesetze
griff--diese Aufforderung war dir zu matt--der Bube mußte noch ins
Heiligthum deines Bluts greifen--(Springt auf.) Geschwind! rufe den
Nicolo--Blei und Pulver--oder halt! halt! ich besinne mich eben
anders--besser--Hole mein Schwert herbei, bet' ein Vaterunser. (Die
Hand vor die Stirne.) Was will ich aber?
Bertha. Mir ist sehr bange, mein Vater.
Verrina. Komm, setzt dich zu mir. (Bedeutend.) Bertha, erzähle
mir--Bertha, was that jener eisgraue Römer, als man seine Tochter
auch so--wie nenn ich's nun--auch so artig fand, seine Tochter? Höre
Bertha, was sagte Virginius zu seiner verstümmelten Tochter?
Bertha (mit Schaudern). Ich weiß nicht, was er sagte.
Verrina. Närrisches Ding--Nichts sagte er. (Plötzlich auf, faßt ein
Schwert.) Nach einem Schlachtmesser griff er-Bertha (stürzt ihm
erschrocken in die Arme). Großer Gott! was wollen Sie thun?
Verrina (wirft das Schwert ins Zimmer). Nein! noch ist Gerechtigkeit
in Genua!
Eilfter Auftritt
Sacco. Calcagno. Vorige.
Calcagno. Verrina, geschwind! Mache dich fertig. Heute hebt die
Wahlwoche der Republik an. Wir wollen früh in die Signoria, die
neuen Senatoren wählen. Die Gassen wimmeln von Volk. Der ganze Adel
strömt nach dem Rathhaus. Du begleitest uns doch, (spöttisch) den
Triumph unsrer Freiheit zu sehen.
Sacco. Ein Schwert liegt im Saal. Verrina schaut wild. Bertha hat
rothe Augen.
Calcagno. Bei Gott! das nehm' ich nun auch gewahr--Sacco, hier ist
ein Unglück geschehen.
Verrina (stellt zwei Sessel hin). Setzt euch.
Sacco. Freund, du erschreckst uns.
Calcagno. So sah ich dich nie, Freund. Hätte nicht Bertha geweint,
ich würde fragen: geht Genua unter?
Verrina (fürchterlich). Unter! Sitzt nieder!
Calcagno (erschrocken, indem sich Beide setzen). Mann! Ich
beschwöre dich!
Verrina. Höret!
Calcagno. Was ahnet mir, Sacco?
Verrina. Genueser--ihr Beide kennt das Alterthum meines Namens.
Eure Ahnen haben den meinigen die Schleppe getragen. Meine Väter
fochten die Schlachten des Staats. Meine Mütter waren Muster der
Genueserinnen. Ehre war unser einziges Capital und erbte vom Vater
zum Sohn--oder wer weiß es anders?
Sacco. Niemand.
Calcagno. So wahr Gott lebt, Niemand.
Verrina. Ich bin der letzte meines Geschlechts. Mein Weib liegt
begraben. Diese Tochter ist ihr einziges Vermächtniß. Genueser, ihr
seid Zeugen, wie ich sie erzog. Wird Jemand auftreten und Klage
führen, daß ich meine Bertha verwahrloste?
Calcagno. Deine Tochter ist ein Muster im Lande.
Verrina. Freunde! ich bin ein alter Mann. Verliere ich diese, darf
ich keine mehr hoffen. Mein Gedächtniß löscht aus. (Mit einer
schrecklichen Wendung.) Ich habe sie verloren. Infam ist mein Stamm.
Beide. (in Bewegung). Das wolle Gott verhüten! (Bertha wälzt sich
jammernd im Sopha.)
Verrina. Nein! Verzweifle nicht, Tochter. Diese Männer sind tapfer
und gut. Beweinen dich diese, wird's irgendwo bluten.--Seht nicht so
betroffen aus, Männer. (Langsam, mit Gewicht.) Wer Genua unterjocht,
kann doch wohl ein Mädchen bezwingen?
Beide (fahren auf, werfen die Sessel zurück). Gianettino Doria!
Bertha (mit einem Schrei). Stürzt über mich, Mauern! mein Scipio!
Zwölfter Auftritt
Bourgognino. Vorige.
Bourgognino (erhitzt). Springe hoch, Mädchen! Eine Freudenpost!
--Edler Verrina, ich komme, meinen Himmel auf Ihre Zunge zu setzen.
Schon längst liebte ich Ihre Tochter, und nie durft' ich es wagen, um
ihre Hand zu bitten, weil mein ganzes Vermögen auf falschen Brettern
von Coromandel schwamm. Eben jetzt fliegt meine Fortuna wohlbehalten
in die Rhede und führt, wie sie sagen, unermeßliche Schätze mit. Ich
bin ein reicher Mann. Schenken Sie mir Bertha, ich mache sie
glücklich. (Bertha verhüllt sich, große Pause.)
Verrina (bedächtlich zu Bourgognino). Haben Sie Lust, junger Mensch,
Ihr Herz in eine Pfütze zu werfen?
Bourgognino (greift nach dem Schwert, zieht aber plötzlich die Hand
zurück). Das sprach der Vater-Verrina. Das spricht jeder Schurk' in
Italien. Nehmen Sie mit dem Abtrag von anderer Leute Gastung vorlieb?
Bourgognino. Mach mich nicht wahnwitzig, Graukopf!
Calcagno. Bourgognino, wahr spricht der Graukopf.
Bourgognino (auffahrend, gegen Bertha stürzend). Wahr spricht er?
Mich hätte eine Dirne genarrt?
Calcagno. Bourgognino, nicht da hinaus. Das Mädchen ist engelrein.
Bourgognino (steht erstaunt still). Nun! so wahr ich selig werden
will. Rein und entehrt. Ich habe keinen Sinn für das.--Sie sehen
sich an und sind stumm. Irgend ein Unhold von Missethat zuckt auf
ihren bebenden Zungen. Ich beschwöre euch! Schiebt meine Vernunft
nicht im Kurzweil herum. Rein wäre sie? Wer sagte rein?
Verrina. Mein Kind ist nicht schuldig.
Bourgognino. Also Gewalt! (Faßt das Schwert von dem Boden.)
Genueser! bei allen Sünden unter dem Mond! Wo--wo find' ich den
Räuber?
Verrina. Eben dort, wo du den Dieb Genuas findest.--(Bourgognino
erstarrt. Verrina geht gedankenvoll auf und nieder, dann steht er
still.)
Verrina. Wenn ich deinen Wink verstehe, ewige Vorsicht, so willst du
Genua durch meine Bertha erlösen! (Er tritt zu ihr, indem er den
Trauerflor langsam von seinem Arme wickelt, darauf feierlich.) Eh das
Herzblut eines Doria diesen häßlichen Flecken aus deiner Ehre wäscht,
soll kein Strahl des Tages auf diese Wangen fallen. Bis dahin--(er
wirft den Flor über sie) verblinde! (Pause. Die Übrigen sehen ihn
schweigend, betreten an.)
Verrina (feierlicher, seine Hand auf Berthas Haupt gelegt).
Verflucht sei die Luft, die dich fächelt! Verflucht der Schlaf, der
dich erquickt! Verflucht jede menschliche Spur, die deinem Elend
willkommen ist! Geh hinab in das unterste Gewölb meines Hauses.
Winsle, heule, lähme die Zeit mit deinem Gram. (Unterbrochen von
Schauern fährt er fort.) Dein Leben sei das gichterische Wälzen des
sterbenden Wurms--der hartnäckige, zermalmende Kampf zwischen Sein
und Vergehen.--Dieser Fluch hafte auf dir, bis Gianettino den letzten
Odem verröchelt hat.--Wo nicht, so magst du ihn nachschleppen längs
der Ewigkeit, bis man ausfindig macht, wo die zwei Enden ihres Rings
in einander greifen.
(Großes Schweigen. Auf allen Gesichtern Entsetzen. Verrina blickt
Jeden fest und durchdringend an.)
Bourgognino. Rabenvater! was hast du gemacht? Diesen ungeheuren,
gräßlichen Fluch deiner armen, schuldlosen Tochter?
Verrina. Nicht wahr--das ist schrecklich, mein zärtlicher
Bräutigam?--(Höchst bedeutend.) Wer von euch wird nun auftreten und
jetzt noch von kaltem Blut und Aufschube schwatzen? Genuas Loos ist
auf meine Bertha geworfen, mein Vaterherz meiner Bürgerpflicht
überantwortet. Wer von uns ist nun Memme genug, Genuas Erlösung zu
verzögern, wenn er weiß, daß dieses schuldlose Lamm seine Feigheit
mit unendlichem Gram bezahlt?--Bei Gott! das war nicht das Gewäsch
eines Narren--Ich hab' einen Eid gethan und werde mich meines Kindes
nicht erbarmen, bis ein Doria am Boden zuckt, und sollt' ich auf
Martern raffinieren, wie ein Henkersknecht, und sollt' ich dieses
unschuldige Lamm auf kannibalischer Folterbank zerknirschen--Sie
zittern--Blaß wie Geister schwindeln sie mich an.--Noch einmal,
Scipio! Ich verwahre sie zum Geisel deines Tyrannenmords. An diesem
theuren Faden halt' ich deine, meine, eure Pflichten fest. Genuas
Despot muß fallen, oder das Mädchen verzweifelt. Ich widerrufe nicht.
Bourgognino (wirft sich der Bertha zu Füßen). Und fallen soll
er--fallen für Genua, wie ein Opferstier. So gewiß ich dies Schwert
im Herzen Dorias umkehre, so gewiß will ich den Bräutigamskuß auf
deine Lippen drücken. (Steht auf.)
Verrina. Das erste Paar, das die Furien einsegnen. Gebt euch die
Hände. In Dorias Herzen wirst du dein Schwert umkehren?--Nimm sie,
sie ist dein!
Calcagno (kniet nieder). Hier kniet noch ein Genueser und legt
seinen furchtbaren Stahl zu den Füßen der Unschuld. So gewiß möge
Calcagno den Weg zum Himmel ausfindig machen, als dieses sein Schwert
die Straße zu Dorias Leben. (Steht auf.)
Sacco. Zuletzt, doch nicht minder entschlossen, kniet Raphael Sacco.
Wenn dies mein blankes Eisen Berthas Gefängniß nicht aufschließt, so
schließe sich das Ohr des Erhörers meinem letzten Gebet zu. (Steht
auf.)
Verrina (erheitert). Genua dankt euch in mir, meine Freunde. Gehe
nun, Tochter. Freue dich, des Vaterlands großes Opfer zu sein.
Bourgognino (umarmt sie im Abgehen). Geh! Traue auf Gott und
Bourgognino. An einem und eben dem Tag werden Bertha und Genua frei
sein. (Bertha entfernt sich.)
Dreizehnter Auftritt
Vorige ohne Bertha.
Calcagno. Eh wir weiter gehn, noch ein Wort, Genueser!
Verrina. Ich errath' es.
Calcagno. Werden vier Patrioten genug sein, Tyrannei, die mächtige
Hyder, zu stürzen? Werden wir nicht den Pöbel aufrühren, nicht den
Adel zu unsrer Partei ziehen müssen?
Verrina. Ich verstehe. Höret also, ich habe längst einen Maler im
Solde, der seine ganze Kunst verschwendet, den Sturz des Appius
Claudius fresco zu malen. Fiesco ist ein Anbeter der Kunst, erhitzt
sich gern an erhabenen Scenen. Wir werden die Malerei nach seinem
Palast bringen und zugegen sein, wenn er sie betrachtet. Vielleicht,
daß der Anblick seinen Genius wieder aufweckt--Vielleicht-Bourgognino.
Weg mit ihm! Verdopple die Gefahr, spricht der Held, nicht die
Helfer. Ich habe schon längst ein Etwas in meiner Brust gefühlt, das
sich von nichts wollte ersättigen lassen--Was es war, weiß ich jetzt
plötzlich (indem er heroisch aufspringt). Ich hab' einen Tyrannen!
(Der Vorhang fällt.)
Zweiter Aufzug
Vorzimmer in Fiescos Palast.
Erster Auftritt
Leonore. Arabella.
Arabella. Nein, sag' ich. Sie sahen falsch. Die Eifersucht lieh
Ihnen die häßlichen Augen.
Leonore. Es war Julia lebendig. Rede mir nichts ein. Meine
Silhouette hing an einem himmelblauen Band, dies war feuerfarb und
geflammt. Mein Loos ist entschieden.
Zweiter Auftritt
Vorige. Julia.
Julia (affectiert hereintretend). Der Graf bot mir sein Palais an,
den Zug nach dem Rathhaus zu sehen. Die Zeit wird mir lang werden.
Eh die Chocolade gemacht ist, Madame, unterhalten Sie mich. (Bella
entfernt sich, kommt sogleich wieder.)
Leonore. Befehlen Sie, daß ich Gesellschaft hieher bitte?
Julia. Abgeschmackt. Als wenn ich die hier suchen müßte? Sie
werden mich zerstreuen, Madame. (Auf und ab, sich den Hof machend.)
Wenn Sie das können, Madame--denn ich habe nichts zu versäumen.
Arabella (boshaft). Desto mehr dieser kostbare Mohr, Signora. Wie
grausam, bedenken Sie! die Perspectivchen der jungen Stutzer um diese
schöne Prise zu bringen? Ah! und das blitzende Spiel der Perlen, das
Einem die Augen bald wund brennt.--Beim großmächtigen Gott! haben Sie
nicht das ganze Meer ausgeplündert?
Julia (vor einem Spiegel). Das ist Ihr wohl eine Seltenheit,
Mamsell? Aber höre Sie, Mamsell, hat Sie Ihrer Herrschaft auch die
Zunge verdingt? Scharmant, Madame! Ihre Gäste durch Domestiken
becomplimentieren zu lassen.
Leonore. Es ist mein Unglück, Signora, daß meine Laune mir das
Vergnügen Ihrer Gegenwart schmälert.
Julia. Eine gräßliche Unart ist das, die Sie schwerfällig und albern
macht. Rasch! lebhaft und witzig! Das ist der Weg nicht, Ihren Mann
anzufesseln.
Leonore. Ich weiß nur einen, Gräfin. Lassen Sie den Ihrigen immer
ein sympathetisches Mittel bleiben.
Julia (ohne darauf achten zu wollen). Und, wie Sie sich tragen,
Madame! Pfui doch! Auch auf Ihren Körper wenden Sie mehr. Nehmen
Sie zur Kunst Ihre Zuflucht, wo die Natur an Ihnen Stiefmutter war.
Einen Firniß auf diese Wangen, woraus die mißfärbige Leidenschaft
kränkelt. Armes Geschöpf! So wird Ihr Gesichtchen nie einen Käufer
finden.
Leonore (munter zu Bella). Wünsche mir Glück, Mädchen. Unmöglich
hab' ich meinen Fiesco verloren, oder ich habe nichts an ihm verloren.
(Man bringt Chocolade, Bella gießt ein.)
Julia. Von Verlieren murmeln Sie etwas? Aber mein Gott! wie kam
Ihnen auch der tragische Einfall, den Fiesco zu nehmen?--Warum auf
diese Höhe, mein Kind, wo Sie nothwendig gesehen werden müssen?
verglichen werden müssen?--Auf Ehre, mein Schatz, das war ein Schelm
oder ein Dummkopf, der Sie dem Fiesco kuppelte. (Mitleidig ihre Hand
ergreifend.) Gutes Thierchen, der Mann, der in den Assembleen des
guten Tons gelitten wird, konnte nie deine Partie sein. (Sie nimmt
eine Tasse.)
Leonore (lächelnd auf Arabellen). Oder er würde in diesen Häusern
des guten Tons nicht gelitten sein wollen.
Julia. Der Graf hat Person--Welt--Geschmack. Der Graf war so
glücklich, Connaissancen von Rang zu machen. Der Graf hat
Temperament, Feuer. Nun reißt er sich warm aus dem delicatesten
Zirkel. Er kommt nach Hause. Die Ehfrau bewillkommt ihn mit einer
Werkeltagszärtlichkeit, löscht seine Gluth in einem feuchten,
frostigen Kuß, schneidet ihm ihre Caressen wirthschaftlich, wie einem
Kostgänger, vor. Der arme Ehmann! Dort lacht ihm ein blühendes
Ideal--hier ekelt ihn eine grämliche Empfindsamkeit an. Signora, um
Gotteswillen! wird er nicht den Verstand verlieren, oder was wird er
wählen?
Leonore (bringt ihr eine Tasse). Sie, Madame, wenn er ihn verloren
hat.
Julia. Gut. Dieser Biß sei in dein eigenes Herz gegangen. Zittre
um diesen Spott, aber eh du zitterst, erröthe.
Leonore. Kennen Sie das Ding auch, Signora? Doch warum nicht? Es
ist ja ein Toilettenpfiff.
Julia. Man sehe doch! Erzürnen muß man das Würmchen, will man ihm
ein Fünkchen Mutterwitz abjagen. Gut für jetzt. Es war Scherz,
Madame. Geben Sie mir Ihre Hand zur Versöhnung.
Leonore (gibt ihr die Hand mit vielsagendem Blick). Imperiali!--vor
meinem Zorn haben Sie Ruhe.
Julia. Großmüthig, allerdings! Doch sollt' ich's nicht auch sein
können, Gräfin? (Langsam und lauernd.) Wenn ich den Schatten einer
Person bei mir führe, muß es nicht folgen, daß das Original mir werth
ist? Oder was meinen Sie?
Leonore (roth und verwirrt). Was sagen Sie? Ich hoffe, dieser
Schluß ist zu rasch.
Julia. Das denk' ich selbst. Das Herz ruft nie die Sinne zu Hilfe.
Wahre Empfindung wird sich nie hinter Schmuckwerk verschanzen.
Leonore. Großer Gott! Wie kommen Sie zu dieser Wahrheit?
Julia. Mitleid, bloßes Mitleid--Denn sehen Sie, so ist es auch
umgekehrt wahr--und Sie haben Ihren Fiesco noch. (Sie gibt ihr ihre
Silhouette und lacht boshaft auf.)
Leonore (mit auffahrender Erbitterung). Mein Schattenriß? Ihnen?
(Wirft sich schmerzvoll in einen Sessel.) O der heillose Mann!
Julia (frohlockend). Hab' ich vergolten? hab' ich? Nun, Madame,
keinen Nadelstich mehr in Bereitschaft? (Laut in die Scene.) Den
Wagen vor! Mein Gewerb ist bestellt. (Zu Leonoren, der sie das Kinn
streicht.) Trösten Sie sich, mein Kind. Er gab mir die Silhouette im
Wahnwitz. (Ab.)
Bourgognino (einen Schritt zurück). Der Graf von Lavagna wäre zu
feig, sich gegen die Erstlinge meines Schwertes zu wagen?
Fiesco. Bourgognino! gegen die ganze Macht Frankreichs, aber nicht
gegen Sie! Ich ehre dieses liebe Feuer für einen lieberen Gegenstand.
Einen Lorbeer verdient der Wille, aber die That wäre kindisch.
Bourgognino (erregt). Kindisch! Graf? Das Frauenzimmer kann über
Mißhandlung nur weinen--wofür ist der Mann da?
Fiesco. Ungemein gut gesagt, aber ich schlage mich nicht.
Bourgognino (dreht ihm den Rücken, will gehen). Ich werde Sie
verachten.
Fiesco (lebhaft). Bei Gott, Jüngling! das wirst du nie, und wenn die
Tugend im Preis fallen sollte. (Faßt ihn bedächtlich bei der Hand.)
haben Sie jemals etwas gegen mich gefühlt, das man--wie soll ich
sagen?--Ehrfurcht nennt?
Bourgognino. Wär' ich einem Mann gewichen, den ich nicht für den
ersten der Menschen erklärte?
Fiesco. Also, mein Freund! einen Mann, der einst meine Ehrfurcht
verdiente, würde ich--etwas langsam verachten lernen. Ich dächte doch,
das Gewebe eines Meisters sollte künstlicher sein, als dem flüchtigen
Anfänger so geradezu in die Augen zu springen--Gehen Sie heim,
Bourgognino, und nehmen Sie sich Zeit, zu überlegen, warum Fiesco so
und nicht anders handelt. (Bourgognino geht stillschweigend ab.) Fahr
hin, edler Jüngling! Wenn diese Flammen ins Vaterland schlagen, mögen
die Doria fest stehen.
Neunter Auftritt
Fiesco. Der Mohr tritt schüchtern herein und sieht sich überall
sorgfältig um.
Fiesco (faßt ihn scharf und lang ins Auge). Was willst du, und wer
bist du?
Mohr (wie oben). Ein Sklave der Republik.
Fiesco. Sklaverei ist ein elendes Handwerk. (Immer ein scharfes Aug
auf ihn.) Was suchst du?
Mohr. Herr, ich bin ein ehrlicher Mann.
Fiesco. Häng' immer diesen Schild vor dein Gesicht hinaus, das wird
nicht überflüssig sein--aber was suchst du?
Mohr (sucht ihm näher zu kommen, Fiesco weicht aus). Herr, ich bin
kein Spitzbube.
Fiesco. Es ist gut, daß du das beifügst, und--doch wieder nicht gut.
(Ungeduldig.) Aber was suchst du?
Mohr (rückt wieder näher). Seid Ihr der Graf Lavagna?
Fiesco (stolz). Die Blinden in Genua kennen meinen Tritt.--Was soll
dir der Graf?
Mohr. Seid auf Eurer Hut, Lavagna. (Hart an ihn.)
Fiesco (springt auf die andere Seite). Das bin ich wirklich.
Mohr (wie oben). Man hat nichts Guts gegen Euch vor, Lavagna.
Fiesco (retiriert sich wieder). Das seh' ich.
Mohr. Hütet Euch vor dem Doria.
Fiesco (tritt ihm vertraut näher). Freund! sollt' ich dir doch wohl
Unrecht getan haben? Diesen Namen fürchte ich wirklich.
Mohr. So flieht vor dem Mann. Könnt Ihr lesen?
Fiesco. Eine kurzweilige Frage. Du bist bei manchem Cavalier
herumgekommen. Hast du was Schriftliches?
Mohr. Euren Namen bei armen Sündern. (Er reicht ihm einen Zettel
und nistet sich hart an ihn. Fiesco tritt vor einen Spiegel und
schielt über das Papier. Der Mohr geht lauernd um ihn herum, endlich
zieht er den Dolch und will stoßen.)
Fiesco (dreht sich geschickt und fährt nach dem Arm des Mohren).
Sachte, Canaille! (Entreißt ihm den Dolch.)
Mohr (stampft wild auf den Boden). Teufel--Bitt' um Vergebung.
(Will sich abführen.)
Fiesco (packt ihn, mit starker Stimme). Stephano! Drullo! Antonio!
(Den Mohren an der Gurgel.) Bleib, guter Freund! Höllische Büberei!
(Bediente.) Bleib und antworte! Du hast schlechte Arbeit gemacht;
an wen hast du dein Taglohn zu fordern?
Mohr (nach vielen vergeblichen Versuchen, sich wegzustehlen,
entschlossen). Man kann mich nicht höher hängen, als der Galgen ist.
Fiesco. Nein, tröste dich! Nicht an die Hörner des Monds, aber doch
hoch genug, daß du den Galgen für einen Zahnstocher ansehen sollst.
Doch deine Wahl war zu staatsklug, als daß ich sie deinem Mutterwitz
zutrauen sollte. Sprich also, wer hat dich gedungen?
Mohr. Herr, einen Schurken könnt ihr mich schimpfen, aber den
Dummkopf verbitt' ich.
Fiesco. Ist die Bestie stolz. Bestie, sprich, wer hat dich gedungen?
Mohr (nachdenkend). Hum! so wär' ich doch nicht allein der Narr!
--wer mich gedungen hat?--und waren's doch nur hundert magre Zechinen!
--Wer mich gedungen hat?--Prinz Gianettino.
Fiesco (erbittert auf und nieder). Hundert Zechinen und nicht mehr
für des Fiesco Kopf. (Hämisch.) Schäme dich, Kronprinz von Genua.
(Noch einer Schatulle eilend.) Hier, Bursche, sind tausend, und sag
deinem Herrn--er sei ein knickiger Mörder!
(Mohr betrachtet ihn vom Fuß bis zum Wirbel.)
Fiesco. Du besinnst dich, Bursche?
Mohr (nimmt das Geld, setzt es nieder, nimmt es wieder und besieht
ihn mit immer steigendem Erstaunen).
Fiesco. Was machst, Bursche?
Mohr (wirft das Geld entschlossen auf den Tisch). Herr--das Geld
hab' ich nicht verdient.
Fiesco. Schafskopf von einem Jauner! den Galgen hast du verdient.
Der entrüstete Elephant zertritt Menschen, aber nicht Würmer. Dich
würd' ich hängen lassen, wenn es mich nur so viel mehr als zwei Worte
kostete.
Mohr (mit einer frohen Verbeugung). Der Herr sind gar zu gütig.
Fiesco. Behüte Gott! nicht gegen dich. Es gefällt mir nun eben, daß
meine Laune einen Schurken, wie du bist, zu etwas und nichts machen
kann, und darum gehst du frei aus. Begreife mich recht. Dein
Ungeschick ist mir ein Unterpfand des Himmels, daß ich zu etwas
Großem aufgehoben bin, und darum bin ich gnädig, und du gehst frei
aus.
Mohr (treuherzig). Schlagt ein, Lavagna! Eine Ehre ist der andern
werth. Wenn Jemand auf dieser Halbinsel eine Gurgel für Euch
überzählig hat, befehlt! und ich schneide sie ab, unentgeldlich.
Fiesco. Eine höfliche Bestie! Sie will sich mit fremder Leute
Gurgeln bedanken.
Mohr. Wir lassen uns nichts schenken, Herr! Unser eins hat auch
Ehre im Leibe.
Fiesco. Die Ehre der Gurgelschneider?
Mohr. Ist wohl feuerfester als Eurer ehrlichen Leute: sie brechen
ihre Schwüre dem lieben Herrgott; wir halten sie pünktlich dem Teufel.
Fiesco. Du bist ein drolligter Jauner.
Mohr. Freut mich, daß Ihr Geschmack an mir findet. Setzt mich erst
auf die Probe, Ihr werdet einen Mann kennen lernen, der sein
Exercitium aus dem Stegreif macht. Fordert mich auf. Ich kann Euch
von jeder Spitzbubenzunft ein Testimonium aufweisen, von der
untersten bis zur höchsten.
Fiesco. Was ich nicht höre! (Indem er sich niedersetzt.) Also auch
Schelmen erkennen Gesetzt und Rangordnung? Laß mich doch von der
untersten hören.
Mohr. Pfui, gnädiger Herr! das ist das verächtliche Heer der langen
Finger. Ein elend Gewerb, das keinen großen Mann ausbrütet, arbeitet
nur auf Karbatsche und Raspelhaus und führt--höchstens zum Galgen.
Fiesco. Ein reizendes Ziel. Ich bin auf die beßre begierig.
Mohr. Das sind die Spionen und Maschinen. Bedeutende Herren, denen
die Großen ein Ohr leihen, wo sie ihre Allwissenheit holen; die sich
wie Blutigel in Seelen einbeißen, das Gift aus dem Herzen schlürfen
und an die Behörde speien.
Fiesco. Ich kenne das--fort!
Mohr. Der Rang trifft nunmehr die Meuter, Giftmischer und Alle, die
ihren Mann lang hinhalten und aus dem Hinterhalt fassen. Feige
Memmen sind's oft, aber doch Kerls, die dem Teufel das Schulgeld mit
ihrer armen Seele bezahlen. Hier thut die Gerechtigkeit schon etwas
Übriges, strickt ihre Knöchel aufs Rad und pflanzt ihre Schlauköpfe
auf Spieße. Das ist die dritte Zunft.
Fiesco. Aber, sprich doch, wann wird die deinige kommen?
Mohr. Blitz, gnädiger Herr! das ist eben der Pfiff. Ich bin durch
diese alle gewandert. Mein Genie geilte frühzeitig über jedes Gehege.
Gestern Abend macht' ich mein Meisterstück in der dritten, vor
einer Stunde war ich--ein Stümper in der vierten.
Fiesco. Diese wäre also?
Mohr (lebhaft). Das sind Männer, (in Hitze) die ihren Mann zwischen
vier Mauern aufsuchen, durch die Gefahr eine Bahn sich hauen, ihm
gerade zu Leib gehen, mit dem ersten Gruß ihm den Großdank für den
zweiten ersparen. Unter uns! man nennt sie nur die Extrapost der
Hölle. Wenn Mephistopheles einen Gelust bekommt, braucht's nur einen
Wink, und er hat den Braten noch warm.
Fiesco. Du bist ein hartgesottener Sünder. Einen solchen vermißte
ich längst. Gib mir deine Hand. Ich will dich bei mir behalten.
Mohr. Ernst oder Spaß?
Fiesco. Mein völliger Ernst, und gebe dir tausend Zechinen des Jahrs.
Mohr. Topp, Lavagna! Ich bin Euer, und zum Henker fahre das
Privatleben. Braucht mich, wozu Ihr wollt. Zu Eurem Spürhund, zu
Eurem Parforce-Hund, zu Eurem Fuchs, zu Eurer Schlange, zu Eurem
Kuppler und Henkersknecht. Herr, zu allen Commissionen, nur bei
Leibe! zu keiner ehrlichen--dabei benehm' ich mich plump wie Holz.
Fiesco. Sei unbesorgt! Wem ich ein Lamm schenken will, lass' ich's
durch keinen Wolf überliefern. Geh also gleich morgen durch Genua
und suche die Witterung des Staats. Lege dich wohl auf Kundschaft,
wie man von der Regierung denkt und vom Haus Doria flüstert, sondiere
daneben, was meine Mitbürger von meinem Schlaraffenleben und meinem
Liebesroman halten. Überschwemme ihre Gehirne mit Wein, bis ihre
Herzensmeinungen überlaufen. Hier hast du Geld. Spende davon unter
den Seidenhändlern aus.
Mohr (sieht ihn nachdenklich an). Herr-Fiesco. Angst darf dir nicht
werden. Es ist nichts Ehrliches--Geh! rufe deine ganze Bande zu
Hilfe. Morgen will ich deine Zeitungen hören. (Er geht ab.)
Mohr (ihm nach). Verlaßt Euch auf mich. Jetzt ist's früh vier Uhr.
Morgen um Acht habt Ihr so viel Neues erfahren, als in zweimal
siebenzig Ohren geht. (Ab.)
Zehnter Auftritt
Zimmer bei Verrina.
Bertha rücklings in einem Sopha, den Kopf in die Hand geworfen.
Verrina düster hereintretend.
Bertha (erschrickt, springt auf). Himmel! da ist er!
Verrina (steht still, besieht sie befremdet). An ihrem Vater
erschrickt meine Tochter?
Bertha. Fliehen Sie! Lassen Sie mich fliehen! Sie sind schrecklich,
mein Vater.
Verrina. Meinem einzigen Kinde?
Bertha (mit einem schweren Blick auf ihn). Nein! Sie müssen noch
eine Tochter haben.
Verrina. Drückt dich meine Zärtlichkeit zu schwer?
Bertha. Zu Boden, Vater.
Verrina. Wie? welcher Empfang, meine Tochter? Sonst, wenn ich nach
Hause kam, Berge auf meinem Herzen, hüpfte mir meine Bertha entgegen,
und meine Bertha lachte sie weg. Komm, umarme mich, Tochter. An
dieser glühenden Brust soll mein Herz wieder erwarmen, das am
Todtenbett des Vaterlands einfriert. O mein Kind! Ich habe heute
Abrechnung gehalten mit allen Freuden der Natur, und (äußerst schwer)
nur du bist mir geblieben.
Bertha (mißt ihn mit einem langen Blick). Unglücklicher Vater!
Verrina (umarmt sie beklemmt). Bertha! mein einziges Kind! Bertha!
meine letzte übrige Hoffnung!--Genuas Freiheit ist dahin--Fiesco
hin--(indem er sie heftiger drückt, durch die Zähne) Werde du eine
Hure-Bertha (reißt sich aus seinen Armen). Heiliger Gott! Sie
wissen?-Verrina (steht bebend still). Was?
Bertha. Meine jungfräuliche Ehre-Verrina (wüthend). Was?
Bertha. Diese Nacht-Verrina (wie ein Rasender). Was?
Bertha. Gewalt! (Sinkt am Sopha nieder.)
Verrina (nach einer langen schreckhaften Pause mit dumpfer Stimme).
Noch ein Athemzug, Tochter--den letzten! (Mit hohlem gebrochnem Ton.)
Wer?
Bertha. Weh mir, nicht diesen todtenfarben Zorn! Helfe mir Gott! er
stammelt und zittert.
Verrina. Ich wüßte doch nicht--meine Tochter! Wer?
Bertha. Ruhig! ruhig! mein bester, mein theurer Vater.
Verrina. Um Gotteswillen--Wer? (will vor ihr niederfallen.)
Bertha. Eine Maske.
Verrina (tritt zurück, nach einem stürmischen Nachdenken). Nein! das
kann nicht sein! Den Gedanken sendet mir Gott nicht. (Lacht graß
auf.) Alter Geck! als wenn alles Gift nur aus einer und eben der
Kröte spritzte? (Zu Bertha gefaßter.) Die Person, wie die meinige,
oder kleiner?
Bertha. Größer.
Verrina (rasch). Die Haare schwarz? kraus?
Bertha. Kohlschwarz und kraus.
Verrina (taumelt von ihr hinweg). Gott! mein Kopf! mein Kopf--die
Stimme?
Bertha. Rauh, eine Baßstimme.
Verrina (heftig). Von welcher Farbe? Nein! ich will nicht mehr
hören!--der Mantel--von welcher Farbe?
Bertha. Der Mantel grün, wie mich däuchte.
Verrina (hält beide Hände vors Gesicht und wankt in den Sopha). Sei
ruhig. Es ist nur ein Schwindel, meine Tochter. (Läßt die Hände
sinken; ein Todtengesicht.)
Bertha (die Hände ringend). Barmherziger Himmel! das ist mein Vater
nicht mehr.
Verrina (nach einer Pause mit bitterm Gelächter). Recht so! recht so!
Memme Verrina!--daß der Bube in das Heiligthum der Gesetze
griff--diese Aufforderung war dir zu matt--der Bube mußte noch ins
Heiligthum deines Bluts greifen--(Springt auf.) Geschwind! rufe den
Nicolo--Blei und Pulver--oder halt! halt! ich besinne mich eben
anders--besser--Hole mein Schwert herbei, bet' ein Vaterunser. (Die
Hand vor die Stirne.) Was will ich aber?
Bertha. Mir ist sehr bange, mein Vater.
Verrina. Komm, setzt dich zu mir. (Bedeutend.) Bertha, erzähle
mir--Bertha, was that jener eisgraue Römer, als man seine Tochter
auch so--wie nenn ich's nun--auch so artig fand, seine Tochter? Höre
Bertha, was sagte Virginius zu seiner verstümmelten Tochter?
Bertha (mit Schaudern). Ich weiß nicht, was er sagte.
Verrina. Närrisches Ding--Nichts sagte er. (Plötzlich auf, faßt ein
Schwert.) Nach einem Schlachtmesser griff er-Bertha (stürzt ihm
erschrocken in die Arme). Großer Gott! was wollen Sie thun?
Verrina (wirft das Schwert ins Zimmer). Nein! noch ist Gerechtigkeit
in Genua!
Eilfter Auftritt
Sacco. Calcagno. Vorige.
Calcagno. Verrina, geschwind! Mache dich fertig. Heute hebt die
Wahlwoche der Republik an. Wir wollen früh in die Signoria, die
neuen Senatoren wählen. Die Gassen wimmeln von Volk. Der ganze Adel
strömt nach dem Rathhaus. Du begleitest uns doch, (spöttisch) den
Triumph unsrer Freiheit zu sehen.
Sacco. Ein Schwert liegt im Saal. Verrina schaut wild. Bertha hat
rothe Augen.
Calcagno. Bei Gott! das nehm' ich nun auch gewahr--Sacco, hier ist
ein Unglück geschehen.
Verrina (stellt zwei Sessel hin). Setzt euch.
Sacco. Freund, du erschreckst uns.
Calcagno. So sah ich dich nie, Freund. Hätte nicht Bertha geweint,
ich würde fragen: geht Genua unter?
Verrina (fürchterlich). Unter! Sitzt nieder!
Calcagno (erschrocken, indem sich Beide setzen). Mann! Ich
beschwöre dich!
Verrina. Höret!
Calcagno. Was ahnet mir, Sacco?
Verrina. Genueser--ihr Beide kennt das Alterthum meines Namens.
Eure Ahnen haben den meinigen die Schleppe getragen. Meine Väter
fochten die Schlachten des Staats. Meine Mütter waren Muster der
Genueserinnen. Ehre war unser einziges Capital und erbte vom Vater
zum Sohn--oder wer weiß es anders?
Sacco. Niemand.
Calcagno. So wahr Gott lebt, Niemand.
Verrina. Ich bin der letzte meines Geschlechts. Mein Weib liegt
begraben. Diese Tochter ist ihr einziges Vermächtniß. Genueser, ihr
seid Zeugen, wie ich sie erzog. Wird Jemand auftreten und Klage
führen, daß ich meine Bertha verwahrloste?
Calcagno. Deine Tochter ist ein Muster im Lande.
Verrina. Freunde! ich bin ein alter Mann. Verliere ich diese, darf
ich keine mehr hoffen. Mein Gedächtniß löscht aus. (Mit einer
schrecklichen Wendung.) Ich habe sie verloren. Infam ist mein Stamm.
Beide. (in Bewegung). Das wolle Gott verhüten! (Bertha wälzt sich
jammernd im Sopha.)
Verrina. Nein! Verzweifle nicht, Tochter. Diese Männer sind tapfer
und gut. Beweinen dich diese, wird's irgendwo bluten.--Seht nicht so
betroffen aus, Männer. (Langsam, mit Gewicht.) Wer Genua unterjocht,
kann doch wohl ein Mädchen bezwingen?
Beide (fahren auf, werfen die Sessel zurück). Gianettino Doria!
Bertha (mit einem Schrei). Stürzt über mich, Mauern! mein Scipio!
Zwölfter Auftritt
Bourgognino. Vorige.
Bourgognino (erhitzt). Springe hoch, Mädchen! Eine Freudenpost!
--Edler Verrina, ich komme, meinen Himmel auf Ihre Zunge zu setzen.
Schon längst liebte ich Ihre Tochter, und nie durft' ich es wagen, um
ihre Hand zu bitten, weil mein ganzes Vermögen auf falschen Brettern
von Coromandel schwamm. Eben jetzt fliegt meine Fortuna wohlbehalten
in die Rhede und führt, wie sie sagen, unermeßliche Schätze mit. Ich
bin ein reicher Mann. Schenken Sie mir Bertha, ich mache sie
glücklich. (Bertha verhüllt sich, große Pause.)
Verrina (bedächtlich zu Bourgognino). Haben Sie Lust, junger Mensch,
Ihr Herz in eine Pfütze zu werfen?
Bourgognino (greift nach dem Schwert, zieht aber plötzlich die Hand
zurück). Das sprach der Vater-Verrina. Das spricht jeder Schurk' in
Italien. Nehmen Sie mit dem Abtrag von anderer Leute Gastung vorlieb?
Bourgognino. Mach mich nicht wahnwitzig, Graukopf!
Calcagno. Bourgognino, wahr spricht der Graukopf.
Bourgognino (auffahrend, gegen Bertha stürzend). Wahr spricht er?
Mich hätte eine Dirne genarrt?
Calcagno. Bourgognino, nicht da hinaus. Das Mädchen ist engelrein.
Bourgognino (steht erstaunt still). Nun! so wahr ich selig werden
will. Rein und entehrt. Ich habe keinen Sinn für das.--Sie sehen
sich an und sind stumm. Irgend ein Unhold von Missethat zuckt auf
ihren bebenden Zungen. Ich beschwöre euch! Schiebt meine Vernunft
nicht im Kurzweil herum. Rein wäre sie? Wer sagte rein?
Verrina. Mein Kind ist nicht schuldig.
Bourgognino. Also Gewalt! (Faßt das Schwert von dem Boden.)
Genueser! bei allen Sünden unter dem Mond! Wo--wo find' ich den
Räuber?
Verrina. Eben dort, wo du den Dieb Genuas findest.--(Bourgognino
erstarrt. Verrina geht gedankenvoll auf und nieder, dann steht er
still.)
Verrina. Wenn ich deinen Wink verstehe, ewige Vorsicht, so willst du
Genua durch meine Bertha erlösen! (Er tritt zu ihr, indem er den
Trauerflor langsam von seinem Arme wickelt, darauf feierlich.) Eh das
Herzblut eines Doria diesen häßlichen Flecken aus deiner Ehre wäscht,
soll kein Strahl des Tages auf diese Wangen fallen. Bis dahin--(er
wirft den Flor über sie) verblinde! (Pause. Die Übrigen sehen ihn
schweigend, betreten an.)
Verrina (feierlicher, seine Hand auf Berthas Haupt gelegt).
Verflucht sei die Luft, die dich fächelt! Verflucht der Schlaf, der
dich erquickt! Verflucht jede menschliche Spur, die deinem Elend
willkommen ist! Geh hinab in das unterste Gewölb meines Hauses.
Winsle, heule, lähme die Zeit mit deinem Gram. (Unterbrochen von
Schauern fährt er fort.) Dein Leben sei das gichterische Wälzen des
sterbenden Wurms--der hartnäckige, zermalmende Kampf zwischen Sein
und Vergehen.--Dieser Fluch hafte auf dir, bis Gianettino den letzten
Odem verröchelt hat.--Wo nicht, so magst du ihn nachschleppen längs
der Ewigkeit, bis man ausfindig macht, wo die zwei Enden ihres Rings
in einander greifen.
(Großes Schweigen. Auf allen Gesichtern Entsetzen. Verrina blickt
Jeden fest und durchdringend an.)
Bourgognino. Rabenvater! was hast du gemacht? Diesen ungeheuren,
gräßlichen Fluch deiner armen, schuldlosen Tochter?
Verrina. Nicht wahr--das ist schrecklich, mein zärtlicher
Bräutigam?--(Höchst bedeutend.) Wer von euch wird nun auftreten und
jetzt noch von kaltem Blut und Aufschube schwatzen? Genuas Loos ist
auf meine Bertha geworfen, mein Vaterherz meiner Bürgerpflicht
überantwortet. Wer von uns ist nun Memme genug, Genuas Erlösung zu
verzögern, wenn er weiß, daß dieses schuldlose Lamm seine Feigheit
mit unendlichem Gram bezahlt?--Bei Gott! das war nicht das Gewäsch
eines Narren--Ich hab' einen Eid gethan und werde mich meines Kindes
nicht erbarmen, bis ein Doria am Boden zuckt, und sollt' ich auf
Martern raffinieren, wie ein Henkersknecht, und sollt' ich dieses
unschuldige Lamm auf kannibalischer Folterbank zerknirschen--Sie
zittern--Blaß wie Geister schwindeln sie mich an.--Noch einmal,
Scipio! Ich verwahre sie zum Geisel deines Tyrannenmords. An diesem
theuren Faden halt' ich deine, meine, eure Pflichten fest. Genuas
Despot muß fallen, oder das Mädchen verzweifelt. Ich widerrufe nicht.
Bourgognino (wirft sich der Bertha zu Füßen). Und fallen soll
er--fallen für Genua, wie ein Opferstier. So gewiß ich dies Schwert
im Herzen Dorias umkehre, so gewiß will ich den Bräutigamskuß auf
deine Lippen drücken. (Steht auf.)
Verrina. Das erste Paar, das die Furien einsegnen. Gebt euch die
Hände. In Dorias Herzen wirst du dein Schwert umkehren?--Nimm sie,
sie ist dein!
Calcagno (kniet nieder). Hier kniet noch ein Genueser und legt
seinen furchtbaren Stahl zu den Füßen der Unschuld. So gewiß möge
Calcagno den Weg zum Himmel ausfindig machen, als dieses sein Schwert
die Straße zu Dorias Leben. (Steht auf.)
Sacco. Zuletzt, doch nicht minder entschlossen, kniet Raphael Sacco.
Wenn dies mein blankes Eisen Berthas Gefängniß nicht aufschließt, so
schließe sich das Ohr des Erhörers meinem letzten Gebet zu. (Steht
auf.)
Verrina (erheitert). Genua dankt euch in mir, meine Freunde. Gehe
nun, Tochter. Freue dich, des Vaterlands großes Opfer zu sein.
Bourgognino (umarmt sie im Abgehen). Geh! Traue auf Gott und
Bourgognino. An einem und eben dem Tag werden Bertha und Genua frei
sein. (Bertha entfernt sich.)
Dreizehnter Auftritt
Vorige ohne Bertha.
Calcagno. Eh wir weiter gehn, noch ein Wort, Genueser!
Verrina. Ich errath' es.
Calcagno. Werden vier Patrioten genug sein, Tyrannei, die mächtige
Hyder, zu stürzen? Werden wir nicht den Pöbel aufrühren, nicht den
Adel zu unsrer Partei ziehen müssen?
Verrina. Ich verstehe. Höret also, ich habe längst einen Maler im
Solde, der seine ganze Kunst verschwendet, den Sturz des Appius
Claudius fresco zu malen. Fiesco ist ein Anbeter der Kunst, erhitzt
sich gern an erhabenen Scenen. Wir werden die Malerei nach seinem
Palast bringen und zugegen sein, wenn er sie betrachtet. Vielleicht,
daß der Anblick seinen Genius wieder aufweckt--Vielleicht-Bourgognino.
Weg mit ihm! Verdopple die Gefahr, spricht der Held, nicht die
Helfer. Ich habe schon längst ein Etwas in meiner Brust gefühlt, das
sich von nichts wollte ersättigen lassen--Was es war, weiß ich jetzt
plötzlich (indem er heroisch aufspringt). Ich hab' einen Tyrannen!
(Der Vorhang fällt.)
Zweiter Aufzug
Vorzimmer in Fiescos Palast.
Erster Auftritt
Leonore. Arabella.
Arabella. Nein, sag' ich. Sie sahen falsch. Die Eifersucht lieh
Ihnen die häßlichen Augen.
Leonore. Es war Julia lebendig. Rede mir nichts ein. Meine
Silhouette hing an einem himmelblauen Band, dies war feuerfarb und
geflammt. Mein Loos ist entschieden.
Zweiter Auftritt
Vorige. Julia.
Julia (affectiert hereintretend). Der Graf bot mir sein Palais an,
den Zug nach dem Rathhaus zu sehen. Die Zeit wird mir lang werden.
Eh die Chocolade gemacht ist, Madame, unterhalten Sie mich. (Bella
entfernt sich, kommt sogleich wieder.)
Leonore. Befehlen Sie, daß ich Gesellschaft hieher bitte?
Julia. Abgeschmackt. Als wenn ich die hier suchen müßte? Sie
werden mich zerstreuen, Madame. (Auf und ab, sich den Hof machend.)
Wenn Sie das können, Madame--denn ich habe nichts zu versäumen.
Arabella (boshaft). Desto mehr dieser kostbare Mohr, Signora. Wie
grausam, bedenken Sie! die Perspectivchen der jungen Stutzer um diese
schöne Prise zu bringen? Ah! und das blitzende Spiel der Perlen, das
Einem die Augen bald wund brennt.--Beim großmächtigen Gott! haben Sie
nicht das ganze Meer ausgeplündert?
Julia (vor einem Spiegel). Das ist Ihr wohl eine Seltenheit,
Mamsell? Aber höre Sie, Mamsell, hat Sie Ihrer Herrschaft auch die
Zunge verdingt? Scharmant, Madame! Ihre Gäste durch Domestiken
becomplimentieren zu lassen.
Leonore. Es ist mein Unglück, Signora, daß meine Laune mir das
Vergnügen Ihrer Gegenwart schmälert.
Julia. Eine gräßliche Unart ist das, die Sie schwerfällig und albern
macht. Rasch! lebhaft und witzig! Das ist der Weg nicht, Ihren Mann
anzufesseln.
Leonore. Ich weiß nur einen, Gräfin. Lassen Sie den Ihrigen immer
ein sympathetisches Mittel bleiben.
Julia (ohne darauf achten zu wollen). Und, wie Sie sich tragen,
Madame! Pfui doch! Auch auf Ihren Körper wenden Sie mehr. Nehmen
Sie zur Kunst Ihre Zuflucht, wo die Natur an Ihnen Stiefmutter war.
Einen Firniß auf diese Wangen, woraus die mißfärbige Leidenschaft
kränkelt. Armes Geschöpf! So wird Ihr Gesichtchen nie einen Käufer
finden.
Leonore (munter zu Bella). Wünsche mir Glück, Mädchen. Unmöglich
hab' ich meinen Fiesco verloren, oder ich habe nichts an ihm verloren.
(Man bringt Chocolade, Bella gießt ein.)
Julia. Von Verlieren murmeln Sie etwas? Aber mein Gott! wie kam
Ihnen auch der tragische Einfall, den Fiesco zu nehmen?--Warum auf
diese Höhe, mein Kind, wo Sie nothwendig gesehen werden müssen?
verglichen werden müssen?--Auf Ehre, mein Schatz, das war ein Schelm
oder ein Dummkopf, der Sie dem Fiesco kuppelte. (Mitleidig ihre Hand
ergreifend.) Gutes Thierchen, der Mann, der in den Assembleen des
guten Tons gelitten wird, konnte nie deine Partie sein. (Sie nimmt
eine Tasse.)
Leonore (lächelnd auf Arabellen). Oder er würde in diesen Häusern
des guten Tons nicht gelitten sein wollen.
Julia. Der Graf hat Person--Welt--Geschmack. Der Graf war so
glücklich, Connaissancen von Rang zu machen. Der Graf hat
Temperament, Feuer. Nun reißt er sich warm aus dem delicatesten
Zirkel. Er kommt nach Hause. Die Ehfrau bewillkommt ihn mit einer
Werkeltagszärtlichkeit, löscht seine Gluth in einem feuchten,
frostigen Kuß, schneidet ihm ihre Caressen wirthschaftlich, wie einem
Kostgänger, vor. Der arme Ehmann! Dort lacht ihm ein blühendes
Ideal--hier ekelt ihn eine grämliche Empfindsamkeit an. Signora, um
Gotteswillen! wird er nicht den Verstand verlieren, oder was wird er
wählen?
Leonore (bringt ihr eine Tasse). Sie, Madame, wenn er ihn verloren
hat.
Julia. Gut. Dieser Biß sei in dein eigenes Herz gegangen. Zittre
um diesen Spott, aber eh du zitterst, erröthe.
Leonore. Kennen Sie das Ding auch, Signora? Doch warum nicht? Es
ist ja ein Toilettenpfiff.
Julia. Man sehe doch! Erzürnen muß man das Würmchen, will man ihm
ein Fünkchen Mutterwitz abjagen. Gut für jetzt. Es war Scherz,
Madame. Geben Sie mir Ihre Hand zur Versöhnung.
Leonore (gibt ihr die Hand mit vielsagendem Blick). Imperiali!--vor
meinem Zorn haben Sie Ruhe.
Julia. Großmüthig, allerdings! Doch sollt' ich's nicht auch sein
können, Gräfin? (Langsam und lauernd.) Wenn ich den Schatten einer
Person bei mir führe, muß es nicht folgen, daß das Original mir werth
ist? Oder was meinen Sie?
Leonore (roth und verwirrt). Was sagen Sie? Ich hoffe, dieser
Schluß ist zu rasch.
Julia. Das denk' ich selbst. Das Herz ruft nie die Sinne zu Hilfe.
Wahre Empfindung wird sich nie hinter Schmuckwerk verschanzen.
Leonore. Großer Gott! Wie kommen Sie zu dieser Wahrheit?
Julia. Mitleid, bloßes Mitleid--Denn sehen Sie, so ist es auch
umgekehrt wahr--und Sie haben Ihren Fiesco noch. (Sie gibt ihr ihre
Silhouette und lacht boshaft auf.)
Leonore (mit auffahrender Erbitterung). Mein Schattenriß? Ihnen?
(Wirft sich schmerzvoll in einen Sessel.) O der heillose Mann!
Julia (frohlockend). Hab' ich vergolten? hab' ich? Nun, Madame,
keinen Nadelstich mehr in Bereitschaft? (Laut in die Scene.) Den
Wagen vor! Mein Gewerb ist bestellt. (Zu Leonoren, der sie das Kinn
streicht.) Trösten Sie sich, mein Kind. Er gab mir die Silhouette im
Wahnwitz. (Ab.)
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- Die Verschwörung des Fiesco zu Genua: Ein republikanisches Trauerspiel - 5Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.Total number of words is 4011Total number of unique words is 153535.8 of words are in the 2000 most common words47.6 of words are in the 5000 most common words53.1 of words are in the 8000 most common words
- Die Verschwörung des Fiesco zu Genua: Ein republikanisches Trauerspiel - 6Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.Total number of words is 3966Total number of unique words is 147037.5 of words are in the 2000 most common words51.1 of words are in the 5000 most common words56.9 of words are in the 8000 most common words
- Die Verschwörung des Fiesco zu Genua: Ein republikanisches Trauerspiel - 7Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.Total number of words is 3928Total number of unique words is 161532.5 of words are in the 2000 most common words44.9 of words are in the 5000 most common words51.2 of words are in the 8000 most common words
- Die Verschwörung des Fiesco zu Genua: Ein republikanisches Trauerspiel - 8Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.Total number of words is 1849Total number of unique words is 89838.4 of words are in the 2000 most common words49.2 of words are in the 5000 most common words55.5 of words are in the 8000 most common words