Die Verschwörung des Fiesco zu Genua: Ein republikanisches Trauerspiel - 1

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Friedrich Schiller

Die Verschwörung des Fiesco zu Genua
Ein republikanisches Trauerspiel.


Nam id facinus inprimis ego memorabile existimo sceleris atque
periculi novitate. Sallust vom Catilina.


Vorrede. Die Geschichte dieser Verschwörung habe ich vorzüglich aus
des Cardinals von Retz Conjuration du Comte Jean Louis de Fiesque,
der Histoire des Conjurations, Histoire de Gènes und Robertsons
Geschichte Karls V.--dem dritten Theil--gezogen. Freiheiten, welche
ich mir mit den Begebenheiten herausnahm, wird der Hamburgische
Dramaturgist entschuldigen, wenn sie mir geglückt sind; sind sie das
nicht, so will ich doch lieber meine Phantasieen als Facta verdorben
haben. Die wahre Katastrophe des Komplotts, worin der Graf durch
einen unglücklichen Zufall am Ziel seiner Wünsche zu Grunde geht,
mußte durchaus verändert werden, denn die Natur des Dramas duldet den
Finger des Ohngefährs oder der unmittelbaren Vorsehung nicht. Es
sollte mich sehr wundern, warum noch kein tragischer Dichter in
diesem Stoffe gearbeitet hat, wenn ich nicht Grund genug in eben
dieser undramatischen Wendung fände. Höhere Geister sehen die zarten
Spinneweben einer That durch die ganze Dehnung des Weltsystems laufen
und vielleicht an die entlegensten Grenzen der Zukunft und
Vergangenheit anhängen--wo der Mensch nichts, als das in freien
Lüften schwebende Factum sieht. Aber der Künstler wählt für das
kurze Gesicht der Menschheit, die er belehren will, nicht für die
scharfsichtige Allmacht, von der er lernt.
Ich habe in meinen Räubern das Opfer einer ausschweifenden Empfindung
zum Vorwurf genommen.--Hier versuche ich das Gegentheil, ein Opfer
der Kunst und Cabale. Aber so merkwürdig sich auch das unglückliche
Project des Fiesco in der Geschichte gemacht hat, so leicht kann es
doch diese Wirkung auf dem Schauplatz verfehlen. Wenn es wahr ist,
daß nur Empfindung Empfindung weckt, so müßte, däucht mich, der
politische Held in eben dem Grade kein Subject für die Bühne sein, in
welchem er den Menschen hintenansetzen muß, um der politische Held zu
sein. Es stand daher nicht bei mir, meiner Fabel jene lebendige
Gluth einzuhauchen, welche durch das lautere Product der Begeisterung
herrscht; aber die kalte, unfruchtbare Staatsaction aus dem
menschlichen Herzen herauszuspinnen und eben dadurch an das
menschliche Herz wieder anzuknüpfen--den Mann durch den staatsklugen
Kopf zu verwickeln--und von der erfindrischen Intrigue Situationen
für die Menschheit zu entlehnen--das stand bei mir. Mein Verhältniß
mit der bürgerlichen Welt machte mich auch mit dem Herzen bekannter,
als dem Kabinet, und vielleicht ist eben diese politische Schwäche zu
einer poetischen Tugend geworden.


Personen des Stücks.
Andreas Doria, Doge von Genua. Ehrwürdiger Greis von 80 Jahren.
Spuren von Feuer. Ein Hauptzug: Gewicht und strenge befehlende Kürze.
Gianettino Doria, Neffe des Vorigen. Prätendent. Mann von 26 Jahren.
Rauh und anstößig in Sprache, Gang und Manieren. Bäurisch-stolz.
Die Bildung zerrissen.
(Beide Doria tragen Scharlach)
Fiesco, Graf von Lavagna. Haupt der Verschwörung. Junger, schlanker,
blühend-schöner Mann von 23 Jahren--stolz mit Anstand--freundlich
mit Majestät--höflich-geschmeidig und eben so tückisch.
(Alle Nobili gehen schwarz. Die Tracht ist durchaus altdeutsch.)
Verrina, verschworner Republikaner. Mann von 60 Jahren. Schwer,
ernst und düster. Tiefe Züge.
Bourgognino, Verschworner. Jüngling von 20 Jahren. Edel und
angenehm. Stolz, rasch und natürlich.
Calcagno, Verschworner. Hagrer Wollüstling. 30 Jahre. Bildung
gefällig und unternehmend.
Sacco, Verschworner. Mann von 45 Jahren. Gewöhnlicher Mensch.
Lomellino, Gianettinos Vertrauter. Ein ausgetrockneter Hofmann.
Zenturione, Zibo, Asserato, Mißvergnügte.
Romano, Maler. Frei, einfach und stolz.
Muley Hassan, Mohr von Tunis. Ein confiscirter Mohrenkopf. Die
Physiognomie eine originelle Mischung von Spitzbüberei und Laune.
Deutscher der herzoglichen Leibwache. Ehrliche Einfalt. Handfeste
Tapferkeit.
Drei aufrührerische Bürger.
Leonore, Fiesco's Gemahlin. Dame von 18 Jahren. Blaß und schmächtig.
Fein und empfindsam. Sehr anziehend, aber weniger blendend. Im
Gesicht schwärmerische Melancholie. Schwarze Kleidung.
Julia, Gräfin Wittwe Imperiali, Dorias Schwester. Dame von 25 Jahren.
Groß und voll. Stolze Kokette. Schönheit, verdorben durch
Bizarrerie. Blendend und nicht gefallend. Im Gesicht ein böser
moquanter Charakter. Schwarze Kleidung.
Bertha, Verrinas Tochter. Unschuldiges Mädchen.
Rosa, Arabella, Leonorens Kammermädchen.
Mehrere Nobili, Bürger, Deutsche, Soldaten, Bediente, Diebe.
Der Schauplatz Genua.--Die Zeit 1547.


Erster Aufzug
Saal bei Fiesco
Man hört in der Ferne eine Tanzmusik und den Tumult eines Balls.

Erster Auftritt.

Leonore maskiert, Rosa, Arabella fliehen zerstört auf die Bühne.
Leonore (reißt die Maske ab). Nichts mehr! Kein Wort mehr! Es ist
am Tag. (Sie wirft sich in einen Sessel.) Das wirft mich nieder.
Arabella. Gnädige Frau-Leonore (aufstehend). Vor meinen Augen! eine
stadtkundige Kokette! im Angesicht des ganzen Adels von Genua!
(Wehmütig.) Rosa! Bella! und vor meinen weinenden Augen.
Rosa. Nehmen Sie die Sache für Das, was sie wirklich war--eine
Galanterie-Leonore. Galanterie?--und das emsige Wechselspiel ihrer
Augen? das ängstliche Lauern auf ihre Spuren? der lange verweilende
Kuß auf ihren entblößten Arm, daß noch die Spur seiner Zähne im
flammrothen Fleck zurückblieb? Ha! und die starre tiefe Betäubung,
worein er, gleich dem gemalten Entzücken, versunken saß, als wär' um
ihn her die Welt weggeblasen und er allein mit dieser Julia im ewigen
Leeren? Galanterie?--gutes Ding, das noch nie geliebt hat, streite
mir nicht über Galanterie und Liebe.
Rosa. Desto besser, Madonna. Einen Gemahl verlieren heißt zehen
Cicisbeo Profit machen.
Leonore. Verlieren?--ein kleiner aussetzender Puls der Empfindung
und Fiesco verloren? Geh, giftige Schwätzerin--komm mir nie wieder
vor die Augen!--eine unschuldige Neckerei--vielleicht eine
Galanterie? Ist es nicht so, meine empfindende Bella?
Arabella. O ja! ganz zuverlässig so!
Leonore (in Tiefsinn versunken). Daß sie darum in seinem Herzen sich
wüßte?--daß hinter jedem seiner Gedanken ihr Name im Hinterhalt
läge?--ihn anspräche in jeder Fußtapfe der Natur?--Was ist das? wo
gerath' ich hin? Daß ihm die schöne majestätische Welt nichts wäre,
als der prächtige Demant, worauf nur ihr Bild--nur ihr Bild gestochen
ist?--daß er sie liebte?--Julien! O deinen Arm her--halte mich,
Bella!
(Pause. Die Musik läßt sich von Neuem hören.)
Leonore (aufgefahren). Horch! War das nicht die Stimme Fiescos, die
aus dem Lärme hervordrang? Kann er lachen, wenn seine Leonore im
Einsamen weinet? Nicht doch, mein Kind! Es war Gianettino Dorias
bäurische Stimme.
Arabella. Sie war's, Signora! Aber kommen Sie in ein anderes Zimmer.
Leonore. Du entfärbst dich, Bella! du lügst--ich lese in euren
Augen--in den Gesichtern der Genueser ein Etwas--ein Etwas. (Sich
verhüllend.) O gewiß! diese Genueser wissen mehr, als für das Ohr
einer Gattin taugt.
Rosa. O der Alles vergrößernden Eifersucht!
Leonore. (schwermüthig schwärmend). Da er noch Fiesco war--dahertrat
im Pomeranzenhain, wo wir Mädchen lustwandeln gingen, ein blühender
Apoll, verschmolzen in den männlich-schönen Antinous. Stolz und
herrlich trat er daher, nicht anders, als wenn das durchlauchtige
Genua auf seinen jungen Schultern sich wiegte; unsere Augen schlichen
diebisch ihm nach und zuckten zurück, wie auf dem Kirchenraub
ergriffen, wenn sein wetterleuchtender Blick sie traf. Ach, Bella!
wie verschlangen wir seine Blicke! wie parteiisch zählte sie der
ängstliche Neid der Nachbarin zu! Sie fielen unter uns wie der
Goldapfel des Zanks, zärtliche Augen brannten wilder, sanfte Busen
pochten stürmischer, Eifersucht hatte unsere Eintracht zerrissen.
Arabella. Ich besinne mich. Das ganze weibliche Genua kam in
Aufruhr um diese schöne Eroberung.
Leonore (begeistert). Und nun mein ihn zu nennen! verwegenes,
entsetzliches Glück! Mein Genuas größten Mann, (mit Anmuth) der
vollendet sprach aus dem Meißel der unerschöpflichen Künstlerin, alle
Größen seines Geschlechts im lieblichsten Schmelze verband--Höret,
Mädchen! kann ich's nun doch nicht mehr verschweigen!--Höret, Mädchen,
ich vertraue euch etwas, (geheimnißvoll) einen Gedanken--als ich am
Altar stand neben Fiesco--seine Hand in meine Hand gelegt--hatt' ich
den Gedanken, den zu denken dem Weibe verboten ist--dieser Fiesco,
dessen Hand jetzt in der deinigen liegt--dein Fiesco--aber still! daß
kein Mann uns belausche, wie hoch wir uns mit dem Abfall seiner
Vortrefflichkeit brüsten--dieser dein Fiesco--Weh euch, wenn das
Gefühl euch nicht höher wirft!--wird--uns Genua von seinen Tyrannen
erlösen!
Arabella (erstaunt). Und diese Vorstellung kam einem Frauenzimmer am
Brauttag?
Leonore. Erstaune, Bella! Der Braut in der Wonne des Brauttags!
(Lebhafter.) Ich bin ein Weib--aber ich fühle den Adel meines Bluts,
kann es nicht dulden, daß dieses Haus Doria über unsre Ahnen
hinauswachsen will. Jener sanftmüthige Andreas--es ist eine Wollust,
ihm gut zu sein--mag immer Herzog von Genua heißen, aber Gianettino
ist sein Neffe--sein Erbe--und Gianettino hat ein freches,
hochmüthiges Herz. Genua zittert vor ihm, und Fiesco, (in Wehmuth
hinabgefallen) Fiesco--weinet um mich--liebt seine Schwester.
Arabella. Arme, unglückliche Frau-Leonore. Geht jetzt und sehet
diesen Halbgott der Genueser im schamlosen Kreis der Schwelger und
Buhldirnen setzen, ihre Ohren mit unartigem Witze kitzeln, ihnen
Märchen von verwünschten Prinzessinnen erzählen--das ist Fiesco!--Ach,
Mädchen! nicht Genua allein verlor seinen Helden--auch ich meinen
Gemahl!
Rosa. Reden Sie leiser. Man kömmt durch die Galerie.
Leonore (zusammenschreckend). Fiesco kommt. Flieht! flieht! Mein
Anblick könnte ihm einen trüben Augenblick machen. (Sie entspringt
in ein Seitenzimmer. Die Mädchen ihr nach.)

Zweiter Auftritt

Gianettino Doria maskiert im grünen Mantel. Ein Mohr. Beide im
Gespräch.
Gianettino. Du hast mich verstanden.
Mohr. Wohl.
Gianettino. Die weiße Maske.
Mohr. Wohl.
Gianettino. Ich sage--die weiße Maske!
Mohr. Wohl! wohl! wohl!
Gianettino. Hörst du? Du kannst sie nur (auf seine Brust deutend)
hieher verfehlen.
Mohr. Seid unbekümmert.
Gianettino. Und einen tüchtigen Stoß!
Mohr. Er soll zufrieden sein.
Gianettino (hämisch). Daß der arme Graf nicht
Mohr. Um Vergebung--wie schwer möchte ungefähr sein Kopf ins Gewicht
fallen?
Gianettino. Hundert Zechinen schwer.
Mohr (bläst durch die Finger). Puh! Federleicht!
Gianettino. Was brummst du da?
Mohr. Ich sag' es ist eine leichte Arbeit.
Gianettino. Das ist deine Sorge. Dieser Mensch ist ein Magnet.
Alle unruhigen Köpfe fliegen gegen seine Pole. Höre, Kerl! fasse ihn
ja recht.
Mohr. Aber, Herr--ich muß flugs auf die That nach Venedig.
Gianettino. So nimm deinen Dank voraus. (wirft ihm einen Wechsel zu.)
In höchstens drei Tagen muß er kalt sein. (Ab.)
Mohr (indem er den Wechsel vom Boden nimmt). Das nenn' ich Credit!
Der Herr traut meiner Jaunerparole ohne Handschrift. (Ab.)

Dritter Auftritt

Calcagno, hinter ihm Sacco. Beide in schwarzen Mänteln.
Calcagno. Ich werde gewahr, daß du alle meine Schritte belauerst.
Sacco. Und ich beobachte, daß die mir alle verbirgst. Höre,
Calcagno, seit einigen Wochen arbeitet etwas auf deinem Gesichte, das
nicht geradezu just dem Vaterland gilt.--Ich dächte, Bruder, wir
Beide könnten schon Geheimniß gegen Geheimniß tauschen, und am Ende
hätte Keiner beim Schleichhandel verloren--Wirst du aufrichtig sein?
Calcagno. So sehr, daß, wenn deine Ohren nicht Lust haben, in meine
Brust hinunter zu steigen, mein Herz dir halbwegs auf meiner Zunge
entgegen kommen soll--Ich liebe die Gräfin Fiesco.
Sacco (tritt verwundernd zurück). Wenigstens das hätt' ich nicht
entziffert, hätte ich alle Möglichkeiten Revue passieren
lassen--Deine Wahl spannt meinen Witz auf die Folter, aber es ist um
ihn geschehen, wenn sie glückt.
Calcagno. Man sagt, sie sei ein Beispiel der strengsten Tugend.
Sacco. Man lügt. Sie ist das ganze Buch über den abgeschmackten
Text. Eins von beiden, Calcagno, gib dein Gewerb oder dein Herz
auf-Calcagno. Der Graf ist ihr ungetreu. Eifersucht ist die
abgefeimteste Kupplerin. Ein Anschlag gegen die Doria muß den Grafen
in Athem halten und mir im Palaste zu schaffen geben. Während er nun
den Wolf aus der Hürde scheucht, soll der Marder in seinen
Hühnerstall fallen.
Sacco. Unverbesserlich, Bruder! Habe Dank. Auch mich hast du
plötzlich des Rothwerdens überhoben. Was ich mich zu denken geschämt
habe, kann ich jetzt laut vor dir sagen. Ich bin ein Bettler, wenn
die jetzige Verfassung nicht übern Haufen fällt.
Calcagno. Sind deine Schulden so groß?
Sacco. So ungeheuer, daß mein Lebensfaden, achtfach genommen, am
ersten Zehentheil abschnellen muß. Eine Staatsveränderung soll mir
Luft machen, hoff' ich. Wenn sie mir auch nicht zum Bezahlen hilft,
soll sie doch meinen Gläubigern das Fordern entleiden.
Calcagno. Ich verstehe--und am Ende, wenn Genua bei der Gelegenheit
frei wird, läßt sich Sacco Vater des Vaterlands taufen. Wärme mir
Einer das verdroschene Märchen von Redlichkeit auf, wenn der
Bankerott eines Taugenichts und die Brunst eines Wollüstlings das
Glück eines Staats entscheiden. Bei Gott, Sacco! ich bewundre in uns
Beiden die feine Speculation des Himmels, der das Herz des Körpers
durch die Eiterbeulen der Gliedmaßen rettet--Weiß Verrina um deinen
Anschlag?
Sacco. So weit der Patriot darum wissen darf. Genua, weißt du
selbst, ist die Spindel, um welche sich alle seine Gedanken mit einer
eisernen Treue drehen. An dem Fiesco hängt jetzt sein Falkenaug.
Auch dich hofft er halbwegs zu einem kühnen Komplott.
Calcagno. Er hat eine treffliche Nase. Komm, laß uns ihn aufsuchen
und seinen Freiheitssinn mit dem unsrigen schüren. (Gehen ab.)

Vierter Auftritt

Julia erhitzt. Fiesco, der einen weißen Mantel trägt, eilt ihr nach.
Julia. Lakaien! Läufer!
Fiesco. Gräfin, wohin? Was beschließen Sie?
Julia. Nichts, im mindesten nichts. (Bediente.) Mein Wagen soll
vorfahren.
Fiesco. Sie erlauben--er soll nicht. Hier ist eine Beleidigung.
Julia. Pah! doch wohl das nicht--Weg! Sie zerren mir ja die
Garnierung in Stücken--Beleidigung? Wer ist hier, der beleidigen
kann? So gehen Sie doch.
Fiesco (auf einem Knie.) Nicht, bis Sie mir den Verwegenen sagen.
-Julia (steht still mit angestemmten Armen). Ah, schön! schön!
sehenswürdig! Rufe doch Jemand die Gräfin von Lavagna zu diesem
reizenden Schauspiel!--Wie, Graf? wo bleibt der Gemahl? Diese
Stellung taugte ausnehmend in das Schlafgemach Ihrer Frau, wenn sie
im Kalender ihrer Liebkosungen blättert und einen Bruch in der
Rechnung findet. Stehen Sie doch auf. Gehen Sie zu Damen, wo Sie
wohlfeiler markten. So stehen Sie doch auf. Oder wollen Sie die
Impertinenzen Ihrer Frau mit Ihren Galanterieen abbüßen?
Fiesco (springt auf). Impertinenzen? Ihnen?
Julia. Aufzubrechen--den Sessel zurückzustoßen--der Tafel den Rücken
zu kehren--der Tafel, Graf! an der ich sitze.
Fiesco. Es ist nicht zu entschuldigen.
Julia. Und mehr ist es nicht?--Über die Fratze! und ist es denn
meine Schuld, (sich belächelnd) daß der Graf seine Augen hat?
Fiesco. Das Verbrechen Ihrer Schönheit, Madonna, daß er sie nicht
überall hat.
Julia. Keine Delicatesse, Graf, wo die Ehre das Wort führt. Ich
fordre Genugthuung. Finde ich sie bei Ihnen? oder hinter den Donnern
des Herzogs?
Fiesco. In den Armen der Liebe, die Ihnen den Mißtritt der
Eifersucht abbittet.
Julia. Eifersucht? Eifersucht? Was will denn das Köpfchen? (Vor
einem Spiegel gesticulierend.) Ob sie wohl eine bessere Fürsprache
für ihren Geschmack zu erwarten hat, als wenn ich ihn für den
meinigen erkläre? (Stolz.) Doria und Fiesco?--ob sich die Gräfin von
Lavagna nicht geehrt fühlen muß, wenn die Nichte des Herzogs ihre
Wahl beneidenswürdig findet? (Freundlich, indem sie dem Grafen ihre
Hand zum Küssen reicht.) Ich setze den Fall, Graf, daß ich sie so
fände.
Fiesco (lebhaft). Grausamste, und mich dennoch zu quälen!--Ich weiß
es, göttliche Julia, daß ich nur Ehrfurcht gegen Sie fühlen sollte.
Meine Vernunft heißt mich das Knie des Unterthans vor dem Blut Dorias
beugen, aber mein Herz betet die schöne Julia an. Eine Verbrecherin
ist meine Liebe, aber eine Heldin zugleich, die kühn genug ist, die
Ringmauer des Rangs durchzubrechen und gegen die verzehrende Sonne
der Majestät anzufliegen.
Julia. Eine große, große, gräfliche Lüge, die auf Stelzen
heranhinkt--Seine Zunge vergöttert mich, sein Herz hüpft unter dem
Schattenriß einer Andern.
Fiesco. Oder besser, Signora, es schlägt unwillig dagegen und will
ihn hinwegdrücken. (Indem er die Silhouette Leonorens, die an einem
himmelblauen Bande hängt, herabnimmt und sie der Julia überliefert.)
Stellen Sie Ihr Bild an diesem Altar auf, so können Sie diesen Götzen
zerstören.
Julia (steckt das Bild hastig zu sich, vergnügt). Ein großes Opfer,
bei meiner Ehre, das meinen Dank verdient. (Sie hängt ihm die ihrige
um.) So, Sklave! trage die Farbe deines Herrn. (Sie geht ab.)
Fiesco (mit Feuer). Julia liebt mich! Julia! Ich beneide keinen
Gott. (Frohlockend im Saal.) Diese Nacht sei eine Festnacht der
Götter, die Freude soll ihr Meisterstück machen. Holla! holla!
(Menge Bediente.) Der Boden meiner Zimmer lecke cyprischen Nektar,
Musik lärme die Mitternacht aus ihrem bleiernen Schlummer auf,
tausend brennende Lampen spotten die Morgensonne hinweg--Allgemein
sei die Lust, der bacchantische Tanz stampfe das Todtenreich in
polternde Trümmer!
(Er eilt ab. Rauschendes Allegro, unter welchem der Mittelvorhang
aufgezogen wird und einen großen illuminierten Saal eröffnet, worin
viele Masken tanzen. Zur Seite Schenk--und Spieltische von Gästen
besetzt.)

Fünfter Auftritt

Gianettino halb betrunken. Lomellin. Zibo. Zenturione. Verrina.
Sacco. Calcagno. Alle maskiert. Mehrere Damen und Nobili.
Gianettino (lärmend). Bravo! Bravo! Diese Weine glitschen herrlich,
unsre Tänzerinnen springen à merveille. Geh Einer von euch, streu'
es in Genua aus, ich sei heitern Humors, man könne sich gütlich
thun--Bei meiner Geburt! sie werden den Tag roth im Kalender zeichnen
und drunter schreiben: Heute war Prinz Doria lustig.
Gäste (setzen die Gläser an). Die Republik! (Trompetenstoß.)
Gianettino (wirft das Glas mit Macht auf die Erde). Hier liegen die
Scherben. (Drei schwarze Masken fahren auf, versammeln sich um
Gianettino.)
Lomellin (führt den Prinzen vor). Gnädiger Herr, Sie sagten mir
neulich von einem Frauenzimmer, das Ihnen in der Lorenzokirche
begegnete?
Gianettino. Das hab' ich auch, Bursche, und muß ihre Bekanntschaft
haben.
Lomellin. Die kann ich Eurer Gnaden verschaffen.
Gianettino (rasch). Kannst du? Kannst du? Lomellin, du hast dich
neulich zur Procuratorwürde gemeldet. Du sollst sie erhalten.
Lomellin. Gnädiger Prinz, es ist die zweite im Staat, mehr denn
sechzig Edelleute bewerben sich darum, alle reicher und angesehener,
als Euer Gnaden unterthäniger Diener.
Gianettino (schnaubt ihn trotzig an). Donner und Doria! Du sollst
Procurator werden. (Die drei Masken kommen vorwärts.) Adel in Genua?
Laß sie all ihre Ahnen und Wappen zumal in die Wagschale schmeißen,
was braucht es mehr, als ein Haar aus dem weißen Bart meines Onkels,
Genuas ganze Adelschaft in alle Lüfte zu schnellen? Ich will, du
sollst Procurator sein, das ist so viel als alle Stimmen der Signoria.
Lomellin (leiser). Das Mädchen ist die einzige Tochter eines
gewissen Verrina.
Gianettino. Das Mädchen ist hübsch, und trutz allen Teufeln! muß ich
sie brauchen.
Lomellin. Gnädiger Herr! das einzige Kind des starrköpfigsten
Republikaners!
Gianettino. Geh in die Hölle mit deinem Republikaner! Der Zorn eines
Vasallen und meine Leidenschaft! Das heißt, der Leuchtthurm muß
einstürzen, wenn Buben mit Muscheln darnach werfen. (Drei schwarze
Masken treten mit großen Bewegungen näher.) Hat darum Herzog Andreas
seine Narben geholt in den Schlachten dieser Lumpenrepublikaner, daß
sein Neffe die Gunst ihrer Kinder und Bräute erbetteln soll? Donner
und Doria! diesen Gelust müssen sie niederschlucken, oder ich will
über den Gebeinen meines Oheims einen Galgen aufpflanzen, an dem sich
ihre genuesische Freiheit zu Tod zappeln soll. (Die drei Masken treten
zurück.)
Lomellin. Das Mädchen ist eben jetzt allein. Ihr Vater ist hier und
eine von den drei Masken.
Gianettino. Erwünscht, Lomellin. Gleich bringe mich zu ihr.
Lomellin. Aber Sie werden eine Buhlerin suchen und eine Empfindlerin
finden.
Gianettino. Gewalt ist die beste Beredsamkeit. Führe mich alsobald
hin; den republikanischen Hund will ich sehen, der am Bären Doria
hinaufspringt. (Fiesco begegnet ihm an der Thür.) Wo ist die Gräfin?

Sechster Auftritt

Vorige. Fiesco.
Fiesco. Ich habe sie in den Wagen gehoben. (Er faßt Gianettinos
Hand und hält sie gegen seine Brust.) Prinz, ich bin jetzt doppelt in
Ihren Banden. Gianettino herrscht über meinen Kopf und Genua; über
mein Herz Ihre liebenswürdige Schwester.
Lomellin. Fiesco ist ganz Epikuräer worden. Die große Welt hat viel
an Ihnen verloren.
Fiesco. Aber Fiesco nichts an der großen Welt. Leben heißt träumen;
weise sein, Lomellin, heißt angenehm träumen. Kann man das besser
unter den Donnern des Throns, wo die Räder der Regierung ewig ins
gellende Ohr krachen, als am Busen eines schmachtenden Weibs?
Gianettino Doria mag über Genua herrschen. Fiesco wird lieben.
Gianettino. Brich auf, Lomellin! Es wird Mitternacht. Die Zeit
rückt heran. Lavagna, wir danken für deine Bewirtung. Ich war
zufrieden.
Fiesco. Das ist alles, was ich wünschen kann, Prinz.
Gianettino. Also gute Nacht. Morgen ist Spiel bei Doria, und Fiesco
ist eingeladen. Komm, Procurator.
Fiesco. Musik! Lichter!
Gianettino (trotzig durch die drei Masken). Platz dem Namen des
Herzogs.
Eine von den drei Masken (murmelt unwillig). In der Hölle! Niemals
in Genua!
Gäste (in Bewegung). Der Prinz bricht auf. Gute Nacht, Lavagna!
(Taumeln hinaus.)

Siebenter Auftritt

Die drei schwarzen Masken. Fiesco. Pause.
Fiesco. Ich werde hier Gäste gewahr, die die Freuden meines Festes
nicht theilen.
Masken (murmeln verdrießlich durcheinander). Nicht Einer.
Fiesco (verbindlich). Sollte mein guter Wille einen Genueser
mißvergnügt weglassen? Hurtig, Lakaien! man soll den Ball erneuern
und die großen Pokale füllen. Ich wollte nicht, daß Jemand hier
Langeweile hätte. Darf ich Ihre Augen mit Feuerwerken ergötzen?
Wollen Sie die Künste meines Harlekins hören? Vielleicht finden Sie
bei meinem Frauenzimmer Zerstreuung? Oder wollen wir uns zum Pharao
setzen und die Zeit mit Spielen betrügen?
Eine Maske. Wir sind gewohnt, die mit Thaten zu bezahlen!
Fiesco. Eine männliche Antwort, und--das ist Verrina.
Verrina (nimmt die Maske ab). Fiesco findet seine Freunde
geschwinder in ihren Masken, als sie ihn in der seinigen.
Fiesco. Ich verstehe das nicht. Aber was soll der Trauerflor an
deinem Arm? Sollte Verrina Jemand begraben haben und Fiesco nichts
darum wissen?
Verrina. Trauerpost taugt nicht für Fiescos lustige Feste.
Fiesco. Doch, wenn ein Freund ihn auffordert. (Drückt seine Hand
mit Wärme.) Freund meiner Seele! wer ist uns Beiden gestorben?
Verrina. Beiden! Beiden! O allzuwahr!--Aber nicht alle Söhne
trauern um ihre Mutter.
Fiesco. Deine Mutter ist lange vermodert.
Verrina (bedeutend). Ich besinne mich, daß Fiesco mich Bruder nannte,
weil ich der Sohn seines Vaterlands war.
Fiesco (scherzhaft). Ah! ist es das? Also auf einen Spaß war es
abgezielt? Trauerkleider um Genua! und es ist wahr, Genua liegt
wirklich in letzten Zügen. Der Gedanke ist einzig und neu. Unser
Vetter fängt an, ein witziger Kopf zu werden!
Calcagno. Er hat es ernsthaft gesagt, Fiesco!
Fiesco. Freilich! freilich! Das war's eben. So trocken weg und so
weinerlich. Der Spaß verliert Alles, wenn der Spaßmacher selber
lacht. Mit einer wahren Leichenbittersmiene! Hätt' ich's je gedacht,
daß der finstre Verrina in seinen alten Tagen noch ein so lustiger
Vogel würde!
Sacco. Verrina, komm! Er ist nimmermehr unser.
Fiesco. Aber lustig weg, Landsmann. Laß uns aussehen wie listige
Erben, die heulend hinter der Bahre gehen und desto lauter ins
Schnupftuch lachen. Doch dürften wir dafür eine harte Stiefmutter
kriegen. Sei's drum, wir lassen sie keifen, und schmausen.
Verrina (heftig bewegt). Himmel und Erde! und thun nichts?--Wo bist
du hingekommen, Fiesco? Wo soll ich den großen Tyrannenhasser
erfragen? Ich weiß eine Zeit, wo du beim Anblick einer Krone Gichter
bekommen hättest.--Gesunkener Sohn der Republik! du wirst's
verantworten, daß ich keinen Heller um meine Unsterblichkeit gebe,
wenn die Zeit auch Geister abnützen kann.
Fiesco. Du bist der ewige Grillenfänger. Mag er Genua in die Tasche
stecken und einem Kaper von Tunis verschachern, was kümmert's uns?
Wir trinken Cyprier und küssen schöne Mädchen.
Verrina (blickt ihn ernst an). Ist das deine wahre, ernstliche
Meinung?
Fiesco. Warum nicht, Freund? Ist es denn eine Wollust, der Fuß des
trägen, vielbeinigen Thiers Republik zu sein? Dank' es Dem, der ihm
Flügel gibt und die Füße ihrer Ämter entsetzt. Gianettino Doria
wird Herzog. Staatsgeschäfte werden uns keine grauen Haare mehr
machen.
Verrina. Fiesco?--ist das deine wahre, ernstliche Meinung?
Fiesco. Andreas erklärt seinen Neffen zum Sohn und Erben seiner
Güter, wer wird der Thor sein, ihm das Erbe seiner Macht abzustreiten?
Verrina (mit äußerstem Unmut). So kommt, Genueser! (Er verläßt den
Fiesco schnell, die Andern folgen.)
Fiesco. Verrina!--Verrina!--dieser Republikaner ist hart wie Stahl!--

Achter Auftritt

Fiesco. Eine unbekannte Maske.
Maske. Haben Sie eine Minute übrig, Lavagna?
Fiesco (zuvorkommend). Für Sie eine Stunde!
Maske. So haben Sie die Gnade, einen Gang mit mir vor die Stadt zu
thun.
Fiesco. Es ist funfzig Minuten auf Mitternacht.
Maske. Sie haben die Gnade, Graf.
Fiesco. Ich werde anspannen lassen.
Maske. Das ist nicht nöthig. Ich schicke ein Pferd voraus. Mehr
braucht es nicht, denn ich hoffe, es soll nur Einer zurückkommen.
Fiesco (betreten). Und?
Maske. Man wird Ihnen auf eine gewisse Thräne eine blutige Antwort
abfordern.
Fiesco. Diese Thräne?
Maske. Einer gewissen Gräfin von Lavagna. Ich kenne diese Dame sehr
gut und will wissen, womit sie verdient hat, das Opfer einer Närrin
zu werden?
Fiesco. Jetzt verstehe ich Sie. Darf ich den Namen dieses seltsamen
Aufforderers wissen?
Maske. Es ist der nämliche, der das Fräulein von Zibo einst anbetete
und vor dem Bräutigam Fiesco zurück trat.
Fiesco. Scipio Bourgognino!
Bourgognino (nimmt die Maske ab). Und der jetzt da ist, seine Ehre
zu lösen, die einem Nebenbuhler wich, der klein genug denkt, die
Sanftmuth zu quälen.
Fiesco (umarmt ihn mit Feuer). Edler junger Mann! Gedankt sei's dem
Leiden meiner Gemahlin, das mir eine so werthe Bekanntschaft macht.
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