Die Regentrude - 1

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Die Regentrude
Theodor Storm


Einen so heißen Sommer, wie nun vor hundert Jahren, hat es seitdem nicht
wieder gegeben. Kein Grün fast war zu sehen; zahmes und wildes Getier lag
verschmachtet auf den Feldern.
Es war an einem Vormittag. Die Dorfstraßen standen leer; wer nur konnte,
war ins Innerste der Häuser geflüchtet; selbst die Dorfkläffer hatten sich
verkrochen. Nur der dicke Wiesenbauer stand breitspurig in der Torfahrt
seines stattlichen Hauses und rauchte im Schweiße seines Angesichts aus
seinem großen Meerschaumkopfe. Dabei schaute er schmunzelnd einem
mächtigen Fuder Heu entgegen, das eben von seinen Knechten in die Diele
gefahren wurde.--Er hatte vor Jahren eine bedeutende Fläche sumpfigen
Wiesenlandes um einen geringen Preis erworben, und die letzten dürren
Jahre, welche auf den Feldern seiner Nachbarn das Gras versengten, hatten
ihm die Scheuern mit duftendem Heu und den Kasten mit blanken Krontalern
gefüllt.
So stand er auch jetzt und rechnete, was bei den immer steigenden Preisen
der Überschuß der Ernte für ihn einbringen könne. "Sie kriegen alles
nichts", murmelte er, indem er die Augen mit der Hand beschattete und
zwischen den Nachbarsgehöften hindurch in die flimmernde Ferne schaute;
"es gibt gar keinen Regen mehr in der Welt." Dann ging er an den Wagen,
der eben abgeladen wurde; er zupfte eine Handvoll Heu heraus, führte es an
seine breite Nase und lächelte so verschmitzt, als wenn er aus dem
kräftigen Duft noch einige Krontaler mehr herausriechen könne.
In demselben Augenblicke war eine etwa fünfzigjährige Frau ins Haus
getreten. Sie sah blaß und leidend aus, und bei dem schwarzseidenen Tuche,
das sie um den Hals gesteckt trug, trat der bekümmerte Ausdruck ihres
Gesichtes nur noch mehr hervor. "Guten Tag, Nachbar", sagte sie, indem
sie dem Wiesenbauer die Hand reichte, "ist das eine Glut; die Haare
brennen einem auf dem Kopfe!"
"Laß brennen, Mutter Stine, laß brennen", erwiderte er, "seht nur das
Fuder Heu an! Mir kann's nicht zu schlimm werden!"
"Ja, ja, Wiesenbauer, Ihr könnt schon lachen; aber was soll aus uns andern
werden, wenn das so fortgeht!"
Der Bauer drückte mit dem Daumen die Asche in seinen Pfeifenkopf und stieß
ein paar mächtige Dampfwolken in die Luft. "Seht Ihr", sagte er, "das
kommt von der Überklugheit. Ich hab's ihm immer gesagt; aber Euer Seliger
hat's allweg besser verstehen wollen. Warum mußte er all sein Tiefland
vertauschen! Nun sitzt Ihr da mit den hohen Feldern, wo Eure Saat
verdorrt und Euer Vieh verschmachtet."

Die Frau seufzte.
Der dicke Mann wurde plötzlich herablassend. "Aber, Mutter Stine", sagte
er, "ich merke schon, Ihr seid nicht von ungefähr hergekommen; schießt nur
immer los, was Ihr auf dem Herzen habt!"
Die Witwe blickte zu Boden. "Ihr wißt wohl", sagte sie, "die fünfzig
Taler, die Ihr mir geliehen, ich soll sie auf Johanni zurückzahlen, und
der Termin ist vor der Tür."
Der Bauer legte seine fleischige Hand auf ihre Schulter. "Nun macht Euch
keine Sorge, Frau! Ich brauche das Geld nicht; ich bin nicht der Mann,
der aus der Hand in den Mund lebt. Ihr könnt mir Eure Grundstücke dafür
zum Pfand einsetzen; sie sind zwar nicht von den besten, aber mir sollen
sie diesmal gut genug sein. Auf den Sonnabend könnt Ihr mit mir zum
Gerichtshalter fahren."
Die bekümmerte Frau atmete auf. "Es macht zwar wieder Kosten", sagte sie,
"aber ich danke Euch doch dafür."
Der Wiesenbauer hatte seine kleinen klugen Augen nicht von ihr gelassen.
"Und", fuhr er fort, "weil wir hier einmal beisammen sind, so will ich
Euch auch sagen, der Andrees, Euer Junge, geht nach meiner Tochter!"
"Du lieber Gott, Nachbar, die Kinder sind ja miteinander aufgewachsen!"
"Das mag sein, Frau; wenn aber der Bursche meint, er könne sich hier in
die volle Wirtschaft einfreien, so hat er seine Rechnung ohne mich
gemacht!"
Die schwache Frau richtete sich ein wenig auf und sah ihn mit fast
zürnenden Augen an. "Was habt Ihr denn an meinem Andrees auszusetzen?"
fragte sie.
"Ich an Eurem Andrees, Frau Stine?--Auf der Welt gar nichts! Aber"--und
er strich sich mit der Hand über die silbernen Knöpfe seiner roten
Weste--"meine Tochter ist eben meine Tochter, und des Wiesenbauers Tochter
kann es besser belaufen."
"Trotzt nicht zu sehr, Wiesenbauer", sagte die Frau milde, "ehe die heißen
Jahre kamen--!"
"Aber sie sind gekommen und sind noch immer da, und auch für dies Jahr ist
keine Aussicht, daß Ihr eine Ernte in die Scheuer bekommt. Und so geht's
mit Eurer Wirtschaft immer weiter rückwärts."
Die Frau war in tiefes Sinnen versunken; sie schien die letzten Worte kaum
gehört zu haben. "Ja", sagte sie, "Ihr mögt leider recht behalten, die
Regentrude muß eingeschlafen sein; aber--sie kann geweckt werden!"
"Die Regentrude?" wiederholte der Bauer hart. "Glaubt Ihr auch an das
Gefasel?"
"Kein Gefasel, Nachbar!" erwiderte sie geheimnisvoll. "Meine Urahne, da
sie jung gewesen, hat sie selber einmal aufgeweckt. Sie wußte auch das
Sprüchlein noch und hat es mir öfters vorgesagt, aber ich habe es seither
längst vergessen."
Der dicke Mann lachte, daß ihm die silbernen Knöpfe auf seinem Bauche
tanzten. "Nun, Mutter Stine, so setzt Euch hin und besinnt Euch auf Euer
Sprüchlein. Ich verlasse mich auf mein Wetterglas, und das steht seit
acht Wochen auf beständig Schön!"
"Das Wetterglas ist ein totes Ding, Nachbar; das kann doch nicht das
Wetter machen!"
"Und Eure Regentrude ist ein Spukeding, ein Hirngespinst, ein Garnichts!"
"Nun, Wiesenbauer", sagte die Frau schüchtern, "Ihr seit einmal einer von
den Neugläubigen!"
Aber der Mann wurde immer eifriger. "Neu- oder altgläubig!" rief er,
"geht hin und sucht Eure Regenfrau und sprecht Euer Sprüchlein, wenn Ihr's
noch beisammenkriegt! Und wenn Ihr binnen heut und vierundzwanzig Stunden
Regen schafft, dann--!" Er hielt inne und paffte ein paar dicke
Rauchwolken vor sich hin.
"Was dann, Nachbar?" fragte die Frau.
"Dann--dann--zum Teufel, ja, dann soll Euer Andrees meine Maren freien!"
In diesem Augenblicke öffnete sich die Tür des Wohnzimmers, und ein
schönes schlankes Mädchen mit rehbraunen Augen tret zu ihm auf die
Durchfahrt hinaus. "Topp, Vater", rief sie aus, "das soll gelten!" Und zu
einem ältlichen Manne gewandt, der eben von der Straße her ins Haus trat,
fügte sie hinzu: "Ihr habt's gehört, Vetter Schulze!"
"Nun, nun, Maren", sagte der Wiesenbauer, "du brauchst keine Zeugen gegen
deinen Vater aufzurufen; von meinem Wort da beißt dir keine Maus auch nur
ein Titelchen ab."
Der Schulze schaute indes, auf seinen langen Stock gestützt, eine Weile in
den freien Tag hinaus; und hatte nun sein schärferes Auge in der Tiefe des
glühenden Himmels ein weißes Pünktchen schwimmen sehen, oder wünschte er
es nur und glaubte es deshalb gesehen zu haben, aber er lächelte
hinterhältig und sagte: "Mög's Euch bekommen, Vetter Wiesenbauer, der
Andrees ist allewege ein tüchtiger Bursch!"

Bald darauf, während der Wiesenbauer und der Schulze in dem Wohnzimmer des
erstern über allerlei Rechnungen beisammensaßen, trat Maren an der andern
Seite der Dorfstraße mit Mutter Stine in deren Stübchen.
"Aber Kind", sagte die Witwe, indem sie ihr Spinnrad aus der Ecke holte,
"weißt du denn das Sprüchlein für die Regenfrau?"
"Ich?" fragte das Mädchen, indem sie erstaunt den Kopf zurückwarf.
"Nun, ich dachte nur, weil du so keck dem Vater vor die Füße tratst."
"Nicht doch, Mutter Stine, mir war nur so ums Herz, und ich dachte auch,
Ihr selber würdet's wohl noch beisammen bekommen. Räumt nur ein bissel
auf in Eurem Kopfe; es muß ja noch irgendwo verkramet liegen!"
Frau Stine schüttelte den Kopf. "Die Urahn ist mir früh gestorben. Das
aber weiß ich wohl noch, wenn wir damals große Dürre hatten, wie eben
jetzt, und uns dabei mit der Saat oder dem Viehzeug Unheil zuschlug, dann
pflegte sie wohl ganz heimlich zu sagen: 'Das tut der Feuermann uns zum
Schabernack, weil ich einmal die Regenfrau geweckt habe!"
"Der Feuermann?" fragte das Mädchen, "wer ist denn das nun wieder?" Aber
ehe sie noch eine Antwort erhalten konnte, war sie schon ans Fenster
gesprungen und rief: "Um Gott, Mutter, da kommt der Andrees; seht nur, wie
verstürzt er aussieht!"
Die Witwe erhob sich von ihrem Spinnrade: "Freilich, Kind", sagte sie
niedergeschlagen, "siehst du denn nicht, was er auf dem Rücken trägt? Da
ist schon wieder eins von den Schafen verdurstet."
Bald darauf trat der junge Bauer ins Zimmer und legte das tote Tier vor
den Frauen auf den Estrich. "Da habt ihr's!" sagte er finster, indem er
sich mit der Hand den Schweiß von der heißen Stirn strich.
Die Frauen sahen mehr in sein Gesicht als auf die tote Kreatur. "Nimm
dir's nicht so zu Herzen, Andrees!" sagte Maren. "Wir wollen die
Regenfrau wecken, und dann wird alles wieder gut werden."
"Die Regenfrau!" wiederholte er tonlos. "Ja, Maren, wer die wecken könnte!
--Es ist aber auch nicht wegen dem allein; es ist mir etwas widerfahren
draußen."-Die Mutter faßte zärtlich seine Hand. "So sag es von dir",
ermahnte sie, "damit es dich nicht siech machte!"
"So hört denn!" erwiderte er.--"Ich wollte nach unsern Schafen sehen und
ob das Wasser, das ich gestern abend für sie hinaufgetragen, noch nicht
verdunstet sei. Als ich aber auf den Weideplatz kam, sah ich sogleich,
daß es dort nicht seine Richtigkeit habe; der Wasserzuber war nicht mehr,
wo ich ihn hingestellt, und auch die Schafe waren nicht zu sehen. Um sie
zu suchen, ging ich den Rain hinab bis an den Riesenhügel. Als ich auf
die andre Seite kam, da sah ich sie alle liegen, keuchend, die Hälse lang
auf die Erde gestreckt; die arme Kreatur hier war schon krepiert. Daneben
lag der Zuber umgestürzt und schon gänzlich ausgetrocknet. Die Tiere
konnten das nicht getan haben; hier mußte eine böswillige Hand im Spiele
sein."
"Kind, Kind", unterbrach ihn die Mutter, "wer sollte einer armen Witwe
Leides zufügen!"
"Hört nur zu, Mutter, es kommt noch weiter. Ich stieg auf den Hügel und
sah nach allen Seiten über die Ebene hin; aber kein Mensch war zu sehen,
die sengende Glut lag wie alle Tage lautlos über den Feldern. Nur neben
mit auf einem der großen Steine, zwischen denen das Zwergenloch in den
Hügeln hinabgeht, saß ein dicker Molch und sonnte seinen häßlichen Leib.
Als ich noch so halb ratlos, halb ingrimmig um mich her starrte, hörte ich
auf einmal hinter mir von der andern Seite des Hügels her ein Gemurmel,
wie wenn einer eifrig mit sich selber redet, und als ich mich umwende,
sehe ich ein knorpsiges Männlein im feuerroten Rock und roter Zipfelmütze
unten zwischen dem Heidekraut auf und ab stapfen.--Ich erschrak mich, denn
wo war es plötzlich hergekommen!--Auch sah es gar so arg und mißgeschaffen
aus. Die großen braunroten Hände hatte es auf dem Rücken gefaltet, und
dabei spielten die krummen Finger wie Spinnenbeine in der Luft. Ich war
hinter den Dornbusch getreten, der neben den Steinen aus dem Hügel wächst,
und konnte von hier aus alles sehen, ohne selbst bemerkt zu werden. Das
Unding drunten war noch immer in Bewegung; es bückte sich und riß ein
Bündel versengten Grases aus dem Boden, daß ich glaubte, es müsse mit
seinem Kürbiskopf vornüber schießen; aber es stand schon wieder auf seinen
Spindelbeinen, und indem es das dürre Kraut zwischen seinen großen Fäusten
zu Pulver rieb, begann es so entsetzlich zu lachen, daß auf der andern
Seite des Hügels die halbtoten Schafe aufsprangen und in wilder Flucht an
dem Rain hinunterjagten. Das Männlein aber lachte noch gellender, und
dabei begann es von einem Bein auf das andre zu springen, daß ich
fürchtete, die dünnen Stäbchen müßten unter seinem klumpigen Leibe
zusammenbrechen. Es war grauenvoll anzusehen, denn es funkelte ihm dabei
ordentlich aus seinem kleinen schwarzen Augen."
Die Witwe hatte leise des Mädchens Hand gefaßt.
"Weißt du nun, wer der Feuermann ist?" sagte sie. Maren nickte.
"Das allergrausenhafteste aber", fuhr Andrees fort, "war seine Stimme.
'Wenn sie es wüßten, wenn sie es wüßten!' schrie er, 'die Flegel, die
Bauerntölpel!' Und dann sang er mit seiner schnarrenden, quäkenden Stimme
ein seltsames Sprüchlein; immer von vorn nach hinten, als könne er sich
gar daran nicht ersättigen. Wartet nur, ich bekomm's wohl noch beisammen!"
Und nach einigen Augenblicken fuhr er fort:
"Dunst ist die Welle,
Staub ist die Quelle!"

Die Mutter ließ plötzlich ihr Spinnrad stehen, das sie während der
Erzählung eifrig gedreht hatte, und sah ihren Sohn mit gespannten Augen an.
Der aber schwieg wieder und schien sich zu besinnen.
"Weiter!" sagte sie leise.
"Ich weiß nicht weiter, Mutter; es ist fort, und ich hab's mir unterwegs
doch wohl hundertmal vorgesagt."
Als aber Frau Stine mit unsicherer Stimme selbst fortfuhr:
"Stumm sind die Wälder,
Feuermann tanzet über die Felder!"
da setzte er rasch hinzu:
"Nimm dich in acht!
Eh du erwacht,
Holt dich die Mutter
Heim in die Nacht!"
"Das ist das Sprüchlein der Regentrude!" rief Frau Stine; "und nun rasch
noch einmal! Und du, Maren, merk wohl auf, damit es nicht wiederum
verlorengeht!"
Und nun sprachen Mutter und Sohn noch einmal zusammen und ohne Anstoß:
"Dunst ist die Welle,
Staub ist die Quelle!
Stumm sind die Wälder,
Feuermann tanzet über die Felder!
Nimm dich in acht!
Eh du erwacht,
Holt dich die Mutter
Heim in die Nacht!"
"Nun hat alle Not ein Ende!" rief Maren; "nun wecken wir die Regentrude;
morgen sind alle Felder wieder grün, und übermorgen gibt's Hochzeit!" Und
mit fliegenden Worten und glänzenden Augen erzählte sie dem Andrees,
welches Versprechen sie dem Vater abgewonnen habe.
"Kind", sagte die Witwe wieder, "weißt du denn auch den Weg zur
Regentrude?"
"Nein, Mutter Stine; wißt Ihr denn auch den Weg nicht mehr?"
"Aber, Maren, es war ja die Urahne, die bei der Regentrude war; von dem
Wege hat sie mir niemals was erzählt."
"Nun, Andrees", sagte Maren und faßte den Arm des jungen Bauern, der
währenddes mit gerunzelter Stirn vor sich hin gestarrt hatte, "so sprich
du! Du weißt ja sonst doch immer Rat!"
"Vielleicht weiß ich auch jetzt wieder einen", entgegnete er bedächtig.
"Ich muß heute mittag den Schafen noch Wasser hinauftragen. Vielleicht,
daß ich den Feuermann noch einmal hinter dem Dornbusch belauschen kann!
Hat er das Sprüchlein verraten, wird er auch noch den Weg verraten; denn
sein dicker Kopf scheint überzulaufen von diesen Dingen."
Und bei diesem Entschluß blieb es. Soviel sie auch hin und wieder redeten,
sie wußten keinen bessern aufzufinden.

Bald darauf befand sich Andrees mit seiner Wassertracht droben auf dem
Weideplatze. Als er in die Nähe des Riesenhügels kam, sah er den Kobold
schon von weitem auf einem der Steine am Zwergenloch sitzen. Er strählte
sich mit seinen fünf ausgespreizten Fingern den roten Bart; und jedesmal,
wenn er die Hand herauszog, löste sich ein Häufchen feuriger Flocken ab
und schwebte in dem grellen Sonnenschein über die Felder dahin.
Da bist du zu spät gekommen, dachte Andrees, heute wirst du nichts
erfahren, und wollte seitwärts, als habe er gar nichts gesehen, nach der
Stelle abbiegen, wo noch immer der umgestürzte Zuber lag. Aber er wurde
angerufen. "Ich dachte, du hättst mit mir zu reden!" hörte er die
Quäkstimme des Kobolds hinter sich.
Andrees kehrte sich um und trat ein paar Schritte zurück. "Was hätte ich
mit Euch zu reden", erwiderte er; ich kenne Euch ja nicht."
"Aber du möchtest den Weg zur Regentrude wissen?"
"Wer hat Euch denn das gesagt?"
"Mein kleiner Finger, und der ist klüger als mancher großer Kerl."
Andrees nahm all seinen Mut zusammen und trat noch ein paar Schritte näher
zu dem Unding an den Hügel hinauf. "Euer kleiner Finger mag schon klug
sein", sagte er, "aber den Weg zur Regentrude wird er doch nicht wissen,
denn den wissen auch die allerklügsten Menschen nicht."
Der Kobold blähte sich wie eine Kröte und fuhr ein paarmal mit seiner
Klaue durch den Feuerbart, daß Andrees vor der herausströmenden Glut einen
Schritt zurücktaumelte. Plötzlich aber den jungen Bauer mit dem Ausdrucke
eines überlegenen Hohns aus seinen bösen kleinen Augen anstarrend,
schnarrte er ihn an: "Du bist zu einfältig, Andrees; wenn ich dir auch
sagte, daß die Regentrude hinter dem großen Walde wohnt, wo würdest du
doch nicht wissen, daß hinter dem Walde eine hohle Weide steht."
Hier gilt's, den Dummen spielen, dachte Andrees; denn obschon er sonst ein
ehrlicher Bauer war, so hatte er doch auch seine gute Portion
Bauernschlauheit mit auf die Welt bekommen. "Da habt Ihr recht", sagte er
und riß den Mund auf, "das würde ich freilich nicht wissen!"
"Und", fuhr der Kobold fort, "wenn ich dir auch sagte, daß hinter dem Wald
die hohle Weide steht, so würdest du doch nicht wissen, daß in dem Baum
eine Treppe zum Garten der Regenfrau hinabführt."
"Wie man sich doch verrechnen kann!" rief Andrees. "Ich dachte, man
könnte nur so geradeswegs hineinspazieren."
"Und wenn du auch geradeswegs hineinspazieren könntest", sagte der Kobold,
"so würdest du immer noch nicht wissen, daß dir Regentrude nur von einer
reinen Jungfrau geweckt werden kann."
"Nun freilich", meinte Andrees, "da hilft's mir nichts; da will ich mich
nur gleich wieder auf den Heimweg machen."
Ein arglistiges Lächeln verzog den breiten Mund des Kobolds. "Willst du
nicht erst dein Wasser in den Zuber gießen?" fragte er; "das schöne
Viehzeug ist ja schier verschmachtet."
"Da habt Ihr zum vierten Male recht!" erwiderte der Bursche und ging mit
seinen Eimern um den Hügel herum. Als er aber das Wasser in den heißen
Zuber goß, schlug es zischend empor und verprasselte in weißen Dampfwolken
in der Luft. Auch gut, dachte er, meine Schafe treibe ich mit mir heim,
und morgen mit dem frühesten geleite ich Maren zu der Regentrude. Die
soll sie schon erwecken!
Auf der andern Seite des Hügels aber war der Kobold von seinen Steinen
aufgesprungen. Er warf seine rote Mütze in die Luft und kollerte sich mit
wieherndem Gelächter den Berg hinab. Dann sprang er wieder auf seine
dürren Spindelbeine, tanzte wie toll umher und schrie dabei mit seiner
Quäkstimme einmal übers andre: "Der Kindskopf, der Bauernlümmel! dachte
mich zu übertölpeln und weiß noch nicht, daß die Trude sich nur durch das
rechte Sprüchlein wecken läßt. Und das Sprüchlein weiß keiner als
Eckeneckepenn, und Eckeneckepenn, das bin ich!"-Der böse Kobold wußte
nicht, daß er am Vormittag das Sprüchlein selbst verraten hatte.

Auf die Sonnenblumen, die vor Marens Kammer im Garten standen, fiel eben
der erste Morgenstrahl, als sie schon das Fenster aufstieß und ihren Kopf
in die frische Luft hinausstreckte. Der Wiesenbauer, welcher nebenan im
Alkoven des Wohnzimmers schlief, mußte davon erwacht sein; denn sein
Schnarchen, das noch eben durch alle Wände drang, hatte plötzlich
aufgehört. "Was treibst du, Maren?" rief er mit schläfriger Stimme.
"Fehlt's dir denn wo?"
Das Mädchen fuhr sich mit dem Finger an die Lippen; denn sie wußte wohl,
daß der Vater, wenn er ihr Vorhaben erführe, sie nicht aus dem Hause
lassen würde. Aber sie faßte sich schnell. "Ich habe nicht schlafen
können, Vater", rief sie zurück, "ich will mit den Leuten auf die Wiese;
es ist so hübsch frisch heute morgen."
"Hast das nicht nötig, Maren", erwiderte der Bauer, "meine Tochter ist
kein Dienstbot." Und nach einer Weile fügte er hinzu: "Na, wenn's dir
Pläsier macht! Aber sei zur rechten Zeit wieder heim, eh die große Hitze
kommt. Und vergiß mein Warmbier nicht!" Damit warf er sich auf die andre
Seite, daß die Bettstelle krachte, und gleich darauf hörte auch das
Mädchen wieder das wohlbekannte abgemessene Schnarchen.
Behutsam drückte sie ihre Kammertür auf. Als sie durch die Torfahrt ins
Freie ging, hörte sie eben den Knecht die beiden Mägde wecken. Es ist
doch schnöd, dachte sie, daß du so hast lügen müssen, aber--und sie
seufzte dabei ein wenig--was tut man nicht um seinen Schatz!
Drüben in seinem Sonntagsstaat stand schon Andrees ihrer wartend. "Weißt
du dein Sprüchlein noch?" rief er ihr entgegen.
"Ja, Andrees! Und weißt du noch den Weg?"
Er nickte nur. "So laß uns gehen!"
Aber eben kam noch Mutter Stine aus dem Hause und steckte ihrem Sohne ein
mit Met gefülltes Fläschchen in die Tasche. "Der ist noch von der Urahne",
sagte sie, "sie tat allezeit sehr geheim und kostbar damit, der wird euch
gut tun in der Hitze!"
Dann gingen sie im Morgenschein die stille Dorfstraße hinab, und die Witwe
stand noch lange und schaute nach der Richtung, wo die jungen kräftigen
Gestalten verschwunden waren.
Der Weg der beiden führte hinter der Dorfmark über eine weite Heide.
Danach kamen sie in den großen Wald. Aber die Blätter des Waldes lagen
meist verdorrt am Boden, so daß die Sonne überall hindurchblitzte; sie
wurden fast geblendet von den wechselnden Lichtern.--Als sie eine geraume
Zeit zwischen den hohen Stämmen der Eichen und Buchen fortgeschritten
waren, faßte das Mädchen die Hand des jungen Mannes.
"Was hast du, Maren?" fragte er.
"Ich hörte unsre Dorfuhr schlagen, Andrees."
"Ja, mir war es auch so."
"Es muß sechs Uhr sein!" sagte sie wieder. "Wer kocht denn dem Vater nur
sein Warmbier? Die Mägde sind alle auf dem Felde."
"Ich weiß nicht, Maren, aber das hilft nun doch weiter nicht!"
"Nein", sagte sie, "das hilft nun weiter nicht. Aber weißt du denn auch
noch unser Sprüchlein?"
"Freilich, Maren!
"Dunst ist die Welle,
Staub ist die Quelle!"
Und als er einen Augenblick zögerte, sagte sie rasch:
"Stumm sind die Wälder,
Feuermann tanzet über die Felder!"
"Oh", rief sie, "wie brannte die Sonne!"
"Ja", sagte Andrees und rieb sich die Wange, "es hat auch mir ordentlich
einen Stich gegeben."
Endlich kamen sie aus dem Walde, und dort, ein paar Schritte vor ihnen,
stand auch schon der alte Weidenbaum. Der mächtige Stamm war ganz gehöhlt,
und das Dunkel, das darin herrschte, schien tief in den Abgrund der Erde
zu führen. Andrees stieg zuerst allein hinab, währen Maren sich auf die
Höhlung des Baumes lehnte und ihm nachzublicken suchte. Aber bald sah sie
nichts mehr von ihm, nur das Geräusch des Hinabsteigens schlug noch an ihr
Ohr. Ihr begann angst zu werden, oben um sie her war es so einsam, und
von unten hörte sie endlich auch keinen Laut mehr. Sie steckte den Kopf
tief in die Höhlung und rief: "Andrees, Andrees!" Aber es blieb alles
still, und noch einmal rief sie: "Andrees!"--Da nach einiger Zeit war es
ihr, als höre sie es von unten wieder heraufkommen, und allmählich
erkannte sie auch die Stimme des jungen Mannes, der ihren Namen rief, und
faßte seine Hand, die er ihr entgegenstreckte. "Es führt eine Treppe
hinab", sagte er, "aber sie ist steil und ausgebröckelt, und wer weiß, wie
tief nach unten zu der Abgrund ist!"
Maren erschrak. "Fürchte dich nicht", sagte er, "ich trage dich; ich habe
einen sichern Fuß." Dann hob er das schlanke Mädchen auf seine breite
Schulter; und als sie die Arme fest um seinen Hals gelegt hatte, stieg er
behutsam mit ihr in die Tiefe. Dichte Finsternis umgab sie; aber Maren
atmete doch auf, während sie so Stufe um Stufe wie in einem gewundenen
Schneckengange hinabgetragen wurde; denn es war kühl hier im Innern der
Erde. Kein Laut von oben drang zu ihnen herab; nur einmal hörten sie
dumpf aus der Ferne die unterirdischen Wasser brausen, die vergeblich zum
Lichte emporarbeiteten.
"Was war das?" flüsterte das Mädchen.
"Ich weiß nicht, Maren."
"Aber hat's denn noch kein Ende?"
"Es scheint fast nicht."
"Wenn dich der Kobold nur nicht betrogen hat!"
"Ich denke nicht, Maren."
So stiegen sie tiefer und tiefer. Endlich spürten sie wieder den Schimmer
des Sonnenlichts unter sich, das mit jedem Tritt leuchtender wurde;
zugleich aber drang auch eine erstickende Hitze zu ihnen herauf.
Als sie von der untersten Stufe ins Freie traten, sahen sie eine gänzlich
unbekannte Gegend vor sich. Maren sah befremdet umher. "Die Sonne
scheint aber doch dieselbe zu sein!" sagte sie endlich.
"Kälter ist sie wenigstens nicht", meinte Andrees, indem er das Mädchen
zur Erde hob.
Von dem Platze, wo sie sich befanden, auf einem breiten Steindamm, lief
eine Allee von alten Weiden in die Ferne hinaus. Sie bedachten sich nicht
lange, sondern gingen, als sei ihnen der Weg gewiesen, zwischen den Reihen
der Bäume entlang. Wenn sie nach der einen oder andern Seite blickten, so
sahen sie in ein ödes, unabsehbares Tiefland, das so von aller Art von
Rinnen und Vertiefungen zerrissen war, als bestehe es nur aus einem
endlosen Gewirre verlassener See- und Strombetten. Dies schien auch
dadurch bestätigt zu werden, daß ein beklemmender Dunst, wie von
vertrocknetem Schilf, die Luft erfüllte. Dabei lagerte zwischen den
Schatten der einzeln stehenden Bäume eine solche Glut, daß es den beiden
Wanderern war, als sähen sie kleine weiße Flammen über den staubigen Weg
dahinfliegen. Andrees mußte an die Flocken aus dem Feuerbarte des Kobolds
denken. Einmal war es ihm sogar, als sähe er zwei dunkle Augenringe in
dem grellen Sonnenschein; dann wieder glaubte er deutlich neben sich das
tolle Springen der kleinen Spindelbeine zu hören. Bald war es links, bald
rechts an seiner Seite. Wenn er sich aber wandte, vermochte er nichts zu
sehen; nur die glutheiße Luft zitterte flirrend und blendend vor seinen
Augen. Ja, dachte er, indem er des Mädchens Hand erfaßte und beide mühsam
vorwärts schritten, sauer machst du's uns, aber recht behältst du heute
nicht!
Weiter und weiter gingen sie, der eine nur auf das immer schwerere Atmen
des andern hörend. Der einförmige Weg schien kein Ende zu nehmen; neben
ihnen unaufhörlich die grauen, halb entblätterten Weiden, seitwärts hüben
und drüben unter ihnen die unheimlich dunstende Niederung.
Plötzlich blieb Maren stehen und lehnte sich mit geschlossenen Augen an
den Stamm einer Weide. "Ich kann nicht weiter", murmelte sie; "die Luft
ist lauter Feuer."
Da gedachte Andrees des Metfläschchens, das sie bis dahin unberührt
gelassen hatten.--Als er den Stöpsel abgezogen, verbreitete sich ein Duft,
als seien die Tausende von Blumen noch einmal zur Blüte auferstanden, aus
deren Kelchen vor vielleicht mehr als hundert Jahren die Bienen den Honig
zu diesem Tranke zusammengetragen hatten. Kaum hatten die Lippen des
Mädchens den Rand der Flasche berührt, so schlug sie schon die Augen auf.
"Oh", rief sie, "auf welcher schönen Wiese sind wir denn?"
"Auf keiner Wiese, Maren; aber trink nur, es wird dich stärken!"
Als sie getrunken hatte, richtete sie sich auf und schaute mit hellen
Augen um sich her. "Trink auch einmal, Andrees", sagte sie; "ein
Frauenzimmer ist doch nur ein elendiglich Geschöpf!"
"Aber das ist ein echter Tropfen!" rief Andrees, nachdem er auch gekostet
hatte. "Mag der Himmel wissen, woraus die Uhrahne den gebraut hat!"
Dann gingen sie gestärkt und lustig plaudernd weiter. Nach einer Weile
aber blieb das Mädchen wieder stehen. "Was hast du, Maren?" fragte
Andrees.
"Oh, nichts, ich dachte nur--"
"Was denn, Maren?"
"Siehst du, Andrees! Mein Vater hat noch sein halbes Heu draußen auf den
Wiesen; und ich gehe da aus und will Regen machen!"
"Dein Vater ist ein reicher Mann, Maren; aber wir andern haben unser
Fetzchen Heu schon längst in der Scheuer und unsre Frucht noch alle auf
den dürren Halmen."
"Ja, ja, Andrees, du hast wohl recht; man muß auch an die andern denken!"
Im stillen bei sich selber aber setzte sie später hinzu: Maren, Maren,
mach dir keine Flausen vor; du tust ja doch alles nur von wegen deinem
Schatz!
So waren sie wieder eine Zeitlang fortgegangen, als das Mädchen plötzlich
rief: "Was ist denn das? Wo sind wir denn? Das ist ja ein großer,
ungeheurer Garten!"
Und wirklich waren sie, ohne zu wissen wie, aus der einförmigen
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