Die Jungfrau von Orleans - 4

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JOHANNA. Dir selbst hast du die größte Gunst erzeigt.
Jetzt schimmerst du in segenvollem Licht,
Da du vorhin in blutrotdüsterm Schein
Ein Schreckensmond an diesem Himmel hingst.
(Sich umschauend)
Viel edle Ritter find ich hier versammelt
Und alle Augen glänzen freudenhell,
Nur einem Traurigen hab ich begegnet,
Der sich verbergen muß, wo alles jauchzt.
BURGUND. Und wer ist sich so schwerer Schuld bewußt,
Daß er an unsrer Huld verzweifeln müßte,
JOHANNA. Darf er sich nahn? O sage, daß ers darf?
Mach dein Verdienst vollkommen. Eine Versöhnung
Ist keine, die das Herz nicht ganz befreit.
Ein Tropfe Haß, der in dem Freudenbecher
Zurückbleibt, macht den Segenstrank zum Gift.
--Kein Unrecht sei so blutig, daß Burgund
An diesem Freudentag es nicht vergebe!
BURGUND. Ha, ich verstehe dich!
JOHANNA. Und willst verzeihn?
Du willst es, Herzog?--Komm herein, Du Chatel!
(Sie öffnet die Tür und führt Du Chatel herein, dieser bleibt
in der Entfernung stehen)
Der Herzog ist mit seinen Feinden allen
Versöhnt, er ist es auch mit dir.
(Du Chatel tritt einige Schritte näher und sucht in den Augen
des Herzogs zu lesen)
BURGUND. Was machst du
Aus mir, Johanna? Weißt du, was du foderst?
JOHANNA. Ein gütger Herr tut seine Pforten auf
Für alle Gäste, keinen schließt er aus;
Frei wie das Firmament die Welt umspannt,
So muß die Gnade Freund und Feind umschließen.
Es schickt die Sonne ihre Strahlen gleich
Nach allen Räumen der Unendlichkeit,
Gleichmessend gießt der Himmel seinen Tau
Auf alle durstenden Gewächse aus.
Was irgend gut ist und von oben kommt,
Ist allgemein und ohne Vorbehalt,
Doch in den Falten wohnt die Finsternis!
BURGUND. O sie kann mit mir schalten wie sie will,
Mein Herz ist weiches Wachs in ihrer Hand.
--Umarmt mich, Du Chatel; ich vergeb Euch.
Geist meines Vaters, zürne nicht, wenn ich
Die Hand, die dich getötet, freundlich fasse.
Ihr Todesgötter, rechnet mirs nicht zu,
Daß ich mein schrecklich Rachgelübde breche.
Bei euch dort unten in der ewgen Nacht,
Da schlägt kein Herz mehr, da ist alles ewig,
Steht alles unbeweglich fest--doch anders
Ist es hier oben in der Sonne Licht.
Der Mensch ist, der lebendig fühlende,
Der leichte Raub des mächtgen Augenblicks.
KARL (zu Johanna). Was dank ich dir nicht alles, hohe Jungfrau!
Wie schön hast du dein Wort gelöst!
Wie schnell mein ganzes Schicksal umgewandelt!
Die Freunde hast du mir versöhnt, die Feinde
Mir in den Staub gestürzt, und meine Städte
Dem fremden Joch entrissen--Du allein
Vollbrachtest alles.--Sprich, wie lohn ich dir!
JOHANNA. Sei immer menschlich, Herr, im Glück, wie dus
Im Unglück warst--und auf der Größe Gipfel
Vergiß nicht, was ein Freund wiegt in der Not,
Du hasts in der Erniedrigung erfahren.
Verweigre nicht Gerechtigkeit und Gnade
Dem letzten deines Volks, denn von der Herde
Berief dir Gott die Retterin--du wirst
Ganz Frankreich sammeln unter deinen Szepter,
Der Ahn, und Stammherr großer Fürsten sein,
Die nach dir kommen, werden heller leuchten,
Als die dir auf dem Thron vorangegangen.
Dein Stamm wird blühn, solang er sich die Liebe
Bewahrt im Herzen seines Volks,
Der Hochmut nur kann ihn zum Falle fahren,
Und von den niedern Hütten, wo dir jetzt
Der Retter ausging, droht geheimnisvoll
Den schuldgefleckten Enkeln das Verderben!
BURGUND. Erleuchtet Mädchen, das der Geist beseelt,
Wenn deine Augen in die Zukunft dringen,
So sprich mir auch von meinem Stamm! Wird er
Sich herrlich breiten wie er angefangen?
JOHANNA. Burgund! Hoch bis zu Throneshöhe hast
Du deinen Stuhl gesetzt, und höher strebt
Das stolze Herz, es hebt bis in die Wolken
Den kühnen Bau.--Doch eine Hand von oben
Wird seinem Wachstum schleunig Halt gebieten.
Doch fürchte drum nicht deines Hauses Fall!
In einer Jungfrau lebt es glänzend fort,
Und zeptertragende Monarchen, Hirten
Der Völker werden ihrem Schoß entblühn.
Sie werden herrschen auf zwei großen Thronen,
Gesetze schreiben der bekannten Welt
Und einer neuen, welche Gottes Hand
Noch zudeckt hinter unbeschifften Meeren.
KARL. O sprich, wenn es der Geist dir offenbaret,
Wird dieses Freundesbündnis, das wir jetzt
Erneut, auch noch die späten Enkelsöhne
Vereinigen?
JOHANNA (nach einem Stillschweigen).
Ihr Könige und Herrscher!
Fürchtet die Zwietracht! Wecket nicht den Streit
Aus seiner Höhle, wo er schläft, denn einmal
Erwacht bezähmt er spät sich wieder! Enkel
Erzeugt er sich, ein eisernes Geschlecht,
Fortzündet an dem Brande sich der Brand.
--Verlangt nicht mehr zu wissen! Freuet euch
Der Gegenwart, laßt mich die Zukunft still
Bedecken!
SOREL. Heilig Mädchen, du erforschest
Mein Herz, du weißt, ob es nach Größe eitel strebt.
Auch mir gib ein erfreuliches Orakel.
JOHANNA. Mir zeigt der Geist nur große Weltgeschicke,
Dein Schicksal ruht in deiner eignen Brust!
Dunois. Was aber wird dein eigen Schicksal sein,
Erhabnes Mädchen, das der Himmel liebt!
Dir blüht gewiß das schönste Glück der Erden,
Da du so fromm und heilig bist.
JOHANNA. Das Glück
Wohnt droben in dem Schoß des ewgen Vaters.
KARL. Dein Glück sei fortan deines Königs Sorge!
Denn deinen Namen will ich herrlich machen
In Frankreich, selig preisen sollen dich
Die spätesten Geschlechter--und gleich jetzt
Erfüll ich es.--Knie nieder!
(Er zieht das Schwert und berührt sie mit demselben)
Und steh auf Als eine Edle! Ich erhebe dich,
Dein König, aus dem Staube deiner dunkeln
Geburt--Im Grabe adl ich deine Väter--
Du sollst die Lilie im Wappen tragen,
Den Besten sollst du ebenbürtig sein
In Frankreich, nur das königliche Blut
Von Valois sei edler als das deine!
Der Größte meiner Großen fühle sich
Durch deine Hand geehrt, mein sei die Sorge,
Dich einem edeln Gatten zu vermählen.
DUNOIS (tritt vor). Mein Herz erkor sie, da sie niedrig war,
Die neue Ehre, die ihr Haupt umglänzt,
Erhöht nicht ihr Verdienst, noch meine Liebe.
Hier in dem Angesichte meines Königs
Und dieses heilgen Bischofs reich ich ihr
Die Hand als meiner fürstlichen Gemahlin,
Wenn sie mich würdig hält, sie zu empfangen.
KARL. Unwiderstehlich Mädchen, du häufst Wunder
Auf Wunder! Ja, nun glaub ich, daß dir nichts
Unmöglich ist. Du hast dies stolze Herz
Bezwungen, das der Liebe Allgewalt
Hohn sprach bis jetzt.
LA HIRE (tritt vor). Johannas schönster Schmuck,
Kenn ich sie recht, ist ihr bescheidnes Herz.
Der Huldigung des Größten ist sie wert,
Doch nie wird sie den Wunsch so hoch erheben.
Sie strebt nicht schwindelnd irdscher Hoheit nach,
Die treue Neigung eines redlichen
Gemüts genügt ihr, und das stille Los,
Das ich mit dieser Hand ihr anerbiete.
KARL. Auch du, La Hire? Zwei treffliche Bewerber
An Heldentugend gleich und Kriegesruhm!
--Willst du, die meine Feinde mir versöhnt,
Mein Reich vereinigt, mir die liebsten Freunde
Entzwein? Es kann sie einer nur besitzen,
Und jeden acht ich solches Preises wert.
So rede du, dein Herz muß hier entscheiden.
SOREL (tritt näher). Die edle Jungfrau seh ich überrascht
Und ihre Wangen färbt die züchtge Scham.
Man geb ihr Zeit, ihr Herz zu fragen, sich
Der Freundin zu vertrauen und das Siegel
Zu lösen von der fest verschloßnen Brust.
Jetzt ist der Augenblick gekommen, wo
Auch ich der strengen Jungfrau schwesterlich
Mich nahen, ihr den treu verschwiegnen Busen
Darbieten darf--Man laß uns weiblich erst
Das Weibliche bedenken und erwarte,
Was wir beschließen werden.
KARL (im Begriff zu gehen). Also seis!
JOHANNA. Nicht also, Sire! Was meine Wangen färbte,
War die Verwirrung nicht der blöden Scham.
Ich habe dieser edeln Frau nichts zu vertraun,
Dess' ich vor Männern mich zu schämen hätte.
Hoch ehrt mich dieser edeln Ritter Wahl.
Doch nicht verließ ich meine Schäfertrift,
Um weltlich eitle Hoheit zu erlagen,
Noch mir den Brautkranz in das Haar zu flechten,
Legt ich die ehrne Waffenrüstung an.
Berufen bin ich zu ganz anderm Werk,
Die reine Jungfrau nur kann es vollenden.
Ich bin die Kriegerin des höchsten Gottes,
Und keinem Manne kann ich Gattin sein.
ERZBISCHOF. Dem Mann zur liebenden Gefährtin ist
Das Weib geboren--wenn sie der Natur
Gehorcht, dient sie am würdigsten dem Himmel!
Und hast du dem Befehle deines Gottes,
Der in das Feld dich rief, genuggetan,
So wirst du deine Waffen von dir legen,
Und wiederkehren zu dem sanfteren
Geschlecht, das du verleugnet hast, das nicht
Berufen ist zum blutgen Werk der Waffen.
JOHANNA. Ehrwürdger Herr, ich weiß noch nicht zu sagen,
Was mir der Geist gebieten wird zu tun;
Doch wenn die Zeit kommt, wird mir seine Stimme
Nicht schweigen, und gehorchen werd ich ihr.
Jetzt aber heißt er mich mein Werk vollenden,
Die Stirne meines Herren ist noch nicht
Gekrönt, das heilge Öl hat seine Scheitel
Noch nicht benetzt, noch heißt mein Herr nicht König.
KARL. Wir sind begriffen auf dem Weg nach Reims.
JOHANNA. Laß uns nicht still stehn, denn geschäftig sind
Die Feinde rings, den Weg dir zu verschließen.
Doch mitten durch sie alle führ ich dich!
DUNOIS. Wenn aber alles wird vollendet sein,
Wenn wir zu Reims nun siegend eingezogen,
Wirst du mir dann vergönnen, heilig Mädchen--
JOHANNA. Will es der Himmel, daß ich sieggekrönt
Aus diesem Kampf des Todes wiederkehre,
So ist mein Werk vollendet--und die Hirtin
Hat kein Geschäft mehr in des Königs Hause.
KARL (ihre Hand fassend).
Dich treibt des Geistes Stimme jetzt, es schweigt
Die Liebe in dem gotterfüllten Busen.
Sie wird nicht immer schweigen, glaube mir!
Die Waffen werden ruhn, es führt der Sieg
Den Frieden an der Hand, dann kehrt die Freude
In jeden Busen ein, und sanftere
Gefühle wachen auf in allen Herzen--
Sie werden auch in deiner Brust erwachen,
Und Tränen süßer Sehnsucht wirst du weinen,
Wie sie dein Auge nie vergoß--dies Herz,
Das jetzt der Himmel ganz erfüllt, wird sich
Zu einem irdschen Freunde liebend wenden--
Jetzt hast du rettend Tausende beglückt,
Und einen zu beglücken wirst du enden!
JOHANNA. Dauphin! Bist du der göttlichen Erscheinung
Schon müde, daß du ihr Gefäß zerstören,
Die reine Jungfrau, die dir Gott gesendet,
Herab willst ziehn in den gemeinen Staub,
Ihr blinden Herzen! Ihr Kleingläubigen!
Des Himmels Herrlichkeit umleuchtet euch,
Vor eurem Aug enthüllt er seine Wunder,
Und ihr erblickt in mir nichts als ein Weib.
Darf sich ein Weib mit kriegerischem Erz
Umgeben, in die Männerschlacht sich mischen?
Weh mir, wenn ich das Rachschwert meines Gottes
In Händen führte, und im eiteln Herzen
Die Neigung trüge zu dem irdschen Mann!
Mir wäre besser, ich wär nie geboren!
Kein solches Wort mehr, sag ich euch, wenn ihr
Den Geist in mir nicht zürnend wollt entrüsten!
Der Männer Auge schon, das mich begehrt,
Ist mir ein Grauen und Entheiligung.
KARL. Brecht ab. Es ist umsonst sie zu bewegen.
JOHANNA. Befiehl, daß man die Kriegstrommete blase!
Mich preßt und ängstigt diese Waffenstille,
Es jagt mich auf aus dieser müßgen Ruh,
Und treibt mich fort, daß ich mein Werk erfülle,
Gebietrisch mahnend meinem Schicksal zu.

DRITTER AUFZUG
Fünfter Auftritt
Ein Ritter eilfertig
KARL. Was ists?
RITTER. Der Feind ist über die Marne gegangen,
Und stellt sein Heer zum Treffen.
JOHANNA (begeistert). Schlacht und Kampf!
Jetzt ist die Seele ihrer Banden frei.
Bewaffnet euch, ich ordn indes die Scharen. (Sie eilt hinaus)
KARL. Folgt ihr, La Hire--Sie wollen uns am Tore
Von Reims noch um die Krone kämpfen lassen!
DUNOIS. Sie treibt nicht wahrer Mut. Es ist der letzte
Versuch ohnmächtig wütender Verzweiflung.
KARL. Burgund, Euch sporn ich nicht. Heut ist der Tag,
Um viele böse Tage zu vergüten.
BURGUND. Ihr sollt mit mir zufrieden sein.
KARL. Ich selbst
Will Euch vorangehn auf dem Weg des Ruhms,
Und in dem Angesicht der Krönungsstadt
Die Krone mir erfechten.--Meine Agnes!
Dein Ritter sagt dir Lebewohl!
AGNES (umarmt ihn). Ich weine nicht, ich zittre nicht für dich,
Mein Glaube greift vertrauend in die Wolken!
So viele Pfänder seiner Gnade gab
Der Himmel nicht, daß wir am Ende trauern!
Vom Sieg gekrönt umarm ich meinen Herrn,
Mir sagts das Herz, in Reims' bezwungnen Mauern.
(Trompeten erschallen mit mutigem Ton und gehen, während daß
verwandelt wird, in ein wildes Kriegsgetümmel über, das
Orchester fällt ein bei offener Szene und wird von kriegerischen
Instrumenten hinter der Szene begleitet)
Der Schauplatz verwandelt sich in eine freie Gegend, die von
Bäumen begrenzt wird. Man sieht während der Musik Soldaten über
den Hintergrund schnell wegziehen

DRITTER AUFZUG
Sechster Auftritt
Talbot auf Fastolf gestützt und von Soldaten begleitet. Gleich
darauf Lionel
TALBOT. Hier unter diesen Bäumen setzt mich nieder,
Und ihr begebt euch in die Schlacht zurück,
Ich brauche keines Beistands, um zu sterben.
FASTOLF. O unglückselig jammervoller Tag!
(Lionel tritt auf)
Zu welchem Anblick kommt Ihr, Lionel!
Hier liegt der Feldherr auf den Tod verwundet.
LIONEL. Das wolle Gott nicht! Edler Lord, steht auf!
Jetzt ists nicht Zeit, ermattet hinzusinken.
Weicht nicht dem Tod, gebietet der Natur
Mit Eurem mächtgen Willen, daß sie lebe!
TALBOT. Umsonst! Der Tag des Schicksals ist gekommen,
Der unsern Thron in Frankreich stürzen soll.
Vergebens in verzweiflungsvollem Kampf
Wagt ich das Letzte noch, ihn abzuwenden.
Vom Stahl dahin geschmettert lieg ich hier,
Um nicht mehr aufzustehn.--Reims ist verloren,
So eilt, Paris zu retten!
LIONEL. Paris hat sich vertragen mit dem Dauphin,
Soeben bringt ein Eilbot uns die Nachricht.
TALBOT (reißt den Verband ab).
So strömet hin, ihr Bäche meines Bluts,
Denn überdrüssig bin ich dieser Sonne!
LIONEL. Ich kann nicht bleiben.--Fastolf, bringt den Feldherrn
An einen sichern Ort, wir können uns
Nicht lange mehr auf diesem Posten halten.
Die Unsern fliehen schon von allen Seiten,
Unwiderstehlich dringt das Mädchen vor--
TALBOT. Unsinn, du siegst und ich muß untergehn!
Mit der Dummheit kämpfen Götter selbst vergebens.
Erhabene Vernunft, lichthelle Tochter
Des göttlichen Hauptes, weise Gründerin
Des Weltgebäudes, Führerin der Sterne,
Wer bist du denn, wenn du dem tollen Roß
Des Aberwitzes an den Schweif gebunden,
Ohnmächtig rufend, mit dem Trunkenen
Dich sehend in den Abgrund stürzen mußt!
Verflucht sei, wer sein Leben an das Große
Und Würdge wendet und bedachte Plane
Mit weisem Geist entwirft! Dem Narrenkönig
Gehört die Welt--
LIONEL. Mylord! Ihr habt nur noch
Für wenig Augenblicke Leben--denkt
An Euren Schöpfer!
TALBOT. Wären wir als Tapfre
Durch andre Tapfere besiegt, wir könnten
Uns trösten mit dem allgemeinen Schicksal,
Das immer wechselnd seine Kugel dreht--
Doch solchem groben Gaukelspiel erliegen!
War unser ernstes arbeitvolles Leben
Keines ernsthaftem Ausgangs wert?
LIONEL (reicht ihm die Hand).
Mylord, fahrt wohl! Der Tränen schuldgen Zoll
Will ich Euch redlich nach der Schlacht entrichten,
Wenn ich alsdann noch übrig bin. Jetzt aber
Ruft das Geschick mich fort, das auf dem Schlachtfeld
Noch richtend sitzt und seine Lose schüttelt.
Auf Wiedersehn in einer andern Welt,
Kurz ist der Abschied für die lange Freundschaft. (Geht ab)
TALBOT. Bald ists vorüber und der Erde geb ich,
Der ewgen Sonne die Atome wieder,
Die sich zu Schmerz und Lust in mir gefügt--
Und von dem mächtgen Talbot, der die Welt
Mit seinem Kriegsruhm füllte, bleibt nichts übrig,
Als eine Handvoll leichten Staubs.--So geht
Der Mensch zu Ende--und die einzige
Ausbeute, die wir aus dem Kampf des Lebens
Wegtragen, ist die Einsicht in das Nichts,
Und herzliche Verachtung alles dessen,
Was uns erhaben schien und wünschenswert--

DRITTER AUFZUG
Siebenter Auftritt
Karl. Burgund. Dunois. Du Chatel und Soldaten treten auf
BURGUND. Die Schanze ist erstürmt.
DUNOIS. Der Tag ist unser.
KARL (Talbot bemerkend).
Seht, wer es ist, der dort vom Licht der Sonne
Den unfreiwillig schweren Abschied nimmt?
Die Rüstung zeigt mir keinen schlechten Mann,
Geht, springt ihm bei, wenn ihm noch Hülfe frommt.
(Soldaten aus des Königs Gefolge treten hinzu)
Fastolf. Zurück! Bleibt fern! Habt Achtung vor dem Toten,
Dem ihr im Leben nie zu nahn gewünscht!
BURGUND. Was seh ich! Talbot liegt in seinem Blut!
(Er geht auf ihn zu. Talbot blickt ihn starr an und stirbt)
FASTOLF. Hinweg, Burgund! Den letzten Blick des Helden
Vergifte nicht der Anblick des Verräters!
DUNOIS. Furchtbarer Talbot! Unbezwinglicher!
Nimmst du vorlieb mit so geringem Raum,
Und Frankreichs weite Erde konnte nicht
Dem Streben deines Riesengeistes gnügen.
--Erst jetzo, Sire, begrüß ich Euch als König,
Die Krone zitterte auf Eurem Haupt,
So lang ein Geist in diesem Körper lebte.
KARL (nachdem er den Toten stillschweigend betrachtet).
Ihn hat ein Höherer besiegt, nicht wir!
Er liegt auf Frankreichs Erde, wie der Held
Auf seinem Schild, den er nicht lassen wollte.
Bringt ihn hinweg!
(Soldaten heben den Leichnam auf und tragen ihn fort)
Fried sei mit seinem Staube!
Ihm soll ein ehrenvolles Denkmal werden,
Mitten in Frankreich, wo er seinen Lauf
Als Held geendet, ruhe sein Gebein!
So weit als er, drang noch kein feindlich Schwert,
Seine Grabschrift sei der Ort, wo man ihn findet.
FASTOLF (gibt sein Schwert ab). Herr, ich bin dein Gefangener.
KARL (gibt ihm sein Schwert zurück). Nicht also!
Die fromme Pflicht ehrt auch der rohe Krieg,
Frei sollt Ihr Eurem Herrn zu Grabe folgen.
Jetzt eilt, Du Chatel--Meine Agnes zittert--
Entreißt sie ihrer Angst um uns--Bringt ihr
Die Botschaft, daß wir leben, daß wir siegten,
Und führt sie im Triumph nach Reims!
(Du Chatel geht ab)

DRITTER AUFZUG
Achter Auftritt
La Hire zu den Vorigen
DUNOIS. La Hire!
Wo ist die Jungfrau?
LA HIRE. Wie? Das frag ich Euch.
An Eurer Seite fechtend ließ ich sie.
DUNOlS. Von Eurem Arme glaubt ich sie beschützt,
Als ich dem König beizuspringen eilte.
BURGUND. Im dichtsten Feindeshaufen sah ich noch
Vor kurzem ihre weiße Fahne wehn.
DUNOlS. Weh uns, wo ist sie? Böses ahndet mir!
Kommt, eilen wir sie zu befrein.--Ich fürchte,
Sie hat der kühne Mut zu weit geführt,
Umringt von Feinden kämpft sie ganz allein,
Und hülflos unterliegt sie jetzt der Menge.
KARL. Eilt, rettet sie!
LA HIRE. Ich folg euch, kommt!
BURGUND. Wir alle! (Sie eilen fort)

DRITTER AUFZUG
Eine andre öde Gegend des Schlachtfelds
Man sieht die Türme von Reims in der Ferne, von der Sonne
beleuchtet
Neunter Auftritt
Ein Ritter in ganz schwarzer Rüstung, mit geschloßnem Visier.
Johanna verfolgt ihn bis auf die vordere Bühne, wo er stille
steht und sie erwartet
JOHANNA. Arglistger! Jetzt erkenn ich deine Tücke!
Du hast mich trüglich durch verstellte Flucht
Vom Schlachtfeld weggelockt und Tod und Schicksal
Von vieler Britensöhne Haupt entfernt.
Doch jetzt ereilt dich selber das Verderben.
SCHWARZER RITTER. Warum verfolgst du mich und heftest dich
So wutentbrannt an meine Fersen? Mir
Ist nicht bestimmt, von deiner Hand zu fallen.
JOHANNA. Verhaßt in tiefster Seele bist du mir,
Gleich wie die Nacht, die deine Farbe ist.
Dich weg zu tilgen von dem Licht des Tags
Treibt mich die unbezwingliche Begier.
Wer bist du? Öffne dein Visier.--Hätt ich
Den kriegerischen Talbot in der Schlacht
Nicht fallen sehn, so sagt ich, du wärst Talbot.
SCHWARZER RITTER. Schweigt dir die Stimme des Prophetengeistes?
JOHANNA. Sie redet laut in meiner tiefsten Brust,
Daß mir das Unglück an der Seite steht.
SCHWARZER RITTER. Johanna d'Arc! Bis an die Tore Reims
Bist du gedrungen auf des Sieges Flügeln.
Dir gnüge der erworbne Ruhm. Entlasse
Das Glück, das dir als Sklave hat gedient,
Eh es sich zürnend selbst befreit, es haßt
Die Treu und keinem dient es bis ans Ende.
JOHANNA. Was heißest du in Mitte meines Laufs
Mich stille stehen und mein Werk verlassen?
Ich führ es aus und löse mein Gelübde!
SCHWARZER RITTER. Nichts kann dir, du Gewaltge, widerstehn,
In jedem Kampfe siegst du.--Aber gehe
In keinen Kampf mehr. Höre meine Warnung!
JOHANNA. Nicht aus den Händen leg ich dieses Schwert,
Als bis das stolze England niederliegt.
SCHWARZER RITTER. Schau hin! Dort hebt sich Reims mit seinen Türmen,
Das Ziel und Ende deiner Fahrt--die Kuppel
Der hohen Kathedrale siehst du leuchten,
Dort wirst du einziehn im Triumphgepräng,
Deinen König krönen, dein Gelübde lösen.
--Geh nicht hinein. Kehr um. Hör meine Warnung.
JOHANNA. Wer bist du, doppelzüngig falsches Wesen,
Das mich erschrecken und verwirren will?
Was maßest du dir an, mir falsch Orakel
Betrüglich zu verkündigen?
(Der schwarze Ritter will abgehen, sie tritt ihm in den Weg)
Nein, du stehst
Mir Rede, oder stirbst von meinen Händen!
(Sie will einen Streich auf ihn führen)
SCHWARZER RITTER (berührt sie mit der Hand, sie bleibt
unbeweglich stehen). Töte, was sterblich ist!
(Nacht, Blitz und Donnerschlag. Der Ritter versinkt)
JOHANNA (steht anfangs erstaunt, faßt sich aber bald wieder).
Es war nichts Lebendes.--Ein trüglich Bild
Der Hölle wars, ein widerspenstger Geist,
Heraufgestiegen aus dem Feuerpfuhl,
Mein edles Herz im Busen zu erschüttern.
Wen fürcht ich mit dem Schwerte meines Gottes?
Siegreich vollenden will ich meine Bahn,
Und käm die Hölle selber in die Schranken,
Mir soll der Mut nicht weichen und nicht wanken!
(Sie will abgehen)

DRITTER AUFZUG
Zehnter Auftritt
Lionel. Johanna
LIONEL. Verfluchte, rüste dich zum Kampf--Nicht beide
Verlassen wir lebendig diesen Platz.
Du hast die Besten meines Volks getötet,
Der edle Talbot hat die große Seele
In meinen Busen ausgehaucht.--Ich räche
Den Tapfern oder teile sein Geschick.
Und daß du wissest, wer dir Ruhm verleiht,
Er sterbe oder siege--Ich bin Lionel,
Der letzte von den Fürsten unsers Heers,
Und unbezwungen noch ist dieser Arm.
(Er dringt auf sie ein, nach einem kurzen Gefecht schlägt sie
ihm das Schwert aus der Hand)
Treuloses Glück! (Er ringt mit ihr)
JOHANNA (ergreift ihn von hinten zu am Helmbusch und reißt
ihm den Helm gewaltsam herunter, daß sein Gesicht entblößt
wird, zugleich zückt sie das Schwert mit der Rechten).
Erleide, was du suchtest,
Die heilge Jungfrau opfert dich durch mich!
(In diesem Augenblick sieht sie ihm ins Gesicht, sein Anblick
ergreift sie, sie bleibt unbeweglich stehen und läßt dann
langsam den Arm sinken)
LIONEL. Was zauderst du und hemmst den Todesstreich?
Nimm mir das Leben auch, du nahmst den Ruhm,
Ich bin in deiner Hand, ich will nicht Schonung.
(Sie gibt ihm ein Zeichen mit der Hand, sich zu entfernen)
Entfliehen soll ich? Dir soll ich mein Leben
Verdanken?--Eher sterben!
JOHANNA (mit abgewandtem Gesicht). Rette dich!
Ich will nichts davon wissen, daß dein Leben
In meine Macht gegeben war.
LIONEL. Ich hasse dich und dein Geschenk--Ich will
Nicht Schonung--Töte deinen Feind, der dich
Verabscheut, der dich töten wollte.
JOHANNA. Töte mich
--Und fliehe!
LIONEL Ha! Was ist das?
JOHANNA (verbirgt das Gesicht). Weh mir!
LIONEL (tritt ihr näher). Du tötest, sagt man, alle Engelländer,
Die du im Kampf bezwingst--Warum nur mich
Verschonen?
JOHANNA (erhebt das Schwert mit einer raschen Bewegung gegen ihn,
läßt es aber, wie sie ihn ins Gesicht faßt, schnell wieder sinken).
Heilge Jungfrau!

LIONEL. Warum nennst du
Die Heilge? Sie weiß nichts von dir, der Himmel
Hat keinen Teil an dir.
JOHANNA (in der heftigsten Beängstigung). Was hab ich
Getan! Gebrochen hab ich mein Gelübde!
(Sie ringt verzweifelnd die Hände)
LIONEL (betrachtet sie mit Teilnahme und tritt ihr näher).
Unglücklich Mädchen! Ich beklage dich,
Du rührst mich, du hast Großmut ausgeübt
An mir allein, ich fühle, daß mein Haß
Verschwindet, ich muß Anteil an dir nehmen!
--Wer bist du? Woher kommst du?
JOHANNA. Fort! Entfliehe!
LIONEL. Mich jammert deine Jugend, deine Schönheit!
Dein Anblick dringt mir an das Herz. Ich möchte
Dich gerne retten--Sage mir, wie kann ichs!
Komm! Komm! Entsage dieser gräßlichen
Verbindung--Wirf sie von dir, diese Waffen!
JOHANNA. Ich bin unwürdig, sie zu führen!
LIONEL. Wirf
Sie von dir, schnell, und folge mir!
JOHANNA (mit Entsetzen). Dir folgen!
LIONEL. Du kannst gerettet werden. Folge mir!
Ich will dich retten, aber säume nicht.
Mich faßt ein ungeheurer Schmerz um dich,
Und ein unnennbar Sehnen, dich zu retten--
(Bemächtigt sich ihres Armes)
JOHANNA. Der Bastard naht! Sie sinds! Sie suchen mich!
Wenn sie dich finden--
LIONEL. Ich beschütze dich!
JOHANNA. Ich sterbe, wenn du fällst von ihren Händen!
LIONEL. Bin ich dir teuer?
JOHANNA. Heilige des Himmels!
LIONEL. Werd ich dich wiedersehen? Von dir hören?
JOHANNA. Nie! Niemals!
LIONEL. Dieses Schwert zum Pfand, daß ich
Dich wiedersehe!
(Er entreißt ihr das Schwert)
JOHANNA. Rasender, du wagst es?
LIONEL. Jetzt weich ich der Gewalt, ich seh dich wieder!
(Er geht ab)

DRITTER AUFZUG
Eilfter Auftritt
Dunois und La Hire. Johanna
LA HIRE. Sie lebt! Sie ists!
DUNOIS. Johanna, fürchte nichts!
Die Freunde stehen mächtig dir zur Seite.
LA HIRE. Flieht dort nicht Lionel?
DUNOIS. Laß ihn entfliehn!
Johanna, die gerechte Sache siegt,
Reims öffnet seine Tore, alles Volk
Strömt jauchzend seinem Könige entgegen--
LA HIRE. Was ist der Jungfrau? Sie erbleicht, sie sinkt!
(Johanna schwindelt und will sinken)
DUNOIS. Sie ist verwundet--Reißt den Panzer auf--
Es ist der Arm und leicht ist die Verletzung.
LA HIRE. Ihr Blut fließt.
JOHANNA. Laßt es mit meinem Leben
Hinströmen! (Sie liegt ohnmächtig in La Hires Armen)

VIERTER AUFZUG
Ein festlich ausgeschmückter Saal, die Säulen sind mit Festons
umwunden, hinter der Szene Flöten und Hoboen
Erster Auftritt
JOHANNA. Die Waffen ruhn, des Krieges Stürme schweigen,
Auf blutge Schlachten folgt Gesang und Tanz,
Durch alle Straßen tönt der muntre Reigen,
Altar und Kirche prangt in Festes Glanz,
Und Pforten bauen sich aus grünen Zweigen,
Und um die Säule windet sich der Kranz,
Das weite Reims faßt nicht die Zahl der Gäste,
Die wallend strömen zu dem Völkerfeste.
Und einer Freude Hochgefühl entbrennet,
Und ein Gedanke schlägt in jeder Brust,
Was sich noch jüngst in blutgem Haß getrennet,
Das teilt entzückt die allgemeine Lust,
Wer nur zum Stamm der Franken sich bekennet,
Der ist des Namens stolzer sich bewußt,
Erneuert ist der Glanz der alten Krone,
Und Frankreich huldigt seinem Königssohne.
Doch mich, die all dies Herrliche vollendet,
Mich rührt es nicht, das allgemeine Glück,
Mir ist das Herz verwandelt und gewendet,
Es flieht von dieser Festlichkeit zurück,
Ins britsche Lager ist es hingewendet,
Hinüber zu dem Feinde schweift der Blick,
Und aus der Freude Kreis muß ich mich stehlen,
Die schwere Schuld des Busens zu verhehlen.
Wer? Ich? Ich eines Mannes Bild
In meinem reinen Busen tragen?
Dies Herz, von Himmels Glanz erfüllt,
Darf einer irdschen Liebe schlagen?
Ich meines Landes Retterin,
Des höchsten Gottes Kriegerin,
Für meines Landes Feind entbrennen!
Darf ichs der keuschen Sonne nennen,
Und mich vernichtet nicht die Scham!
(Die Musik hinter der Szene geht in eine weich schmelzende
Melodie über)
Wehe! Weh mir! Welche Töne!
Wie verführen sie mein Ohr!
Jeder ruft mir seine Stimme,
Zaubert mir sein Bild hervor!
Daß der Sturm der Schlacht mich faßte.
Speere sausend mich umtönten
In des heißen Streites Wut!
Wieder fänd ich meinen Mut!
Diese Stimmen, diese Töne,
Wie umstricken sie mein Herz,
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