Die Jungfrau von Orleans - 2

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Zur Flucht, und Wehr und Waben von sich werdend
Entschart das ganze Heer sich im Gefilde,
Da hilft kein Machtwort, keines Führers Ruf,
Vor Schrecken sinnlos, ohne rückzuschaun,
Stürzt Mann und Roß sich in des Flusses Bette,
Und läßt sich würgen ohne Widerstand,
Ein Schlachten wars, nicht eine Schlacht zu nennen!
Zweitausend Feinde deckten das Gefild,
Die nicht gerechnet, die der Fluß verschlang,
Und von den Unsern ward kein Mann vermißt.
KARL. Seltsam bei Gott! höchst wunderbar und seltsam!
SOREL. Und eine Jungfrau wirkte dieses Wunder?
Wo kam sie her? Wer ist sie?
RAOUL. Wer sie sei,
Will sie allein dem König offenbaren.
Sie nennt sich eine Seherin und Gotts
Gesendete Prophetin, und verspricht
Orleans zu retten, eh der Mond noch wechselt.
Ihr glaubt das Volk und dürstet nach Gefechten.
Sie folgt dem Heer, gleich wird sie selbst hiersein.
(Man hört Glocken und Geklirr von Waffen, die aneinandergeschlagen
werden)
Hört ihr den Auflauf? Das Geläut der Glocken?
Sie ists, das Volk begrüßt die Gottgesandte.
KARL (zu Du Chatel). Führt sie herein--
(zum Erzbischof) Was soll ich davon denken!
Ein Mädchen bringt mir Sieg und eben jetzt,
Da nur ein Götterarm mich retten kann!
Das ist nicht in dem Laufe der Natur,
Und darf ich--Bischof, darf ich Wunder glauben?
VIELE STIMMEN (hinter der Szene).
Heil, Heil der Jungfrau, der Erretterin!
KARL. Sie kommt!
(Zu Dunois) Nehmt meinen Platz ein, Dunois!
Wir wollen dieses Wundermädchen prüfen,
Ist sie begeistert und von Gott gesandt,
Wird sie den König zu entdecken wissen.
(Dunois setzt sich, der König steht zu seiner Rechten, neben ihm
Agnes Sorel, der Erzbischof mit den übrigen gegenüber, daß der
mittlere Raum leer bleibt)

ERSTER AUFZUG
Zehnter Auftritt
Die Vorigen. Johanna begleitet von den Ratsherren und vielen
Rittern, welche den Hintergrund der Szene anfüllen; mit edelm
Anstand tritt sie vorwärts, und schaut die Umstehenden der
Reihe nach an
DUNOIS (nach einer tiefen feierlichen Stille).
Bist du es, wunderbares Mädchen--
JOHANNA (unterbricht ihn, mit Klarheit und Hoheit ihn anschauend).
Bastard von Orleans! Du willst Gott versuchen!
Steh auf von diesem Platz, der dir nicht ziemt,
An diesen Größeren bin ich gesendet.
(Sie geht mit entschiedenem Schritt auf den König zu, beugt ein
Knie vor ihm und steht sogleich wieder auf, zurücktretend. Alle
Anwesenden drücken ihr Erstaunen aus. Dunois verläßt seinen Sitz
und es wird Raum vor dem König)
KARL. Du siehst mein Antlitz heut zum erstenmal,
Von wannen kommt dir diese Wissenschaft?
JOHANNA. Ich sah dich, wo dich niemand sah als Gott.
(Sie nähert sich dem König und spricht geheimnisvoll)
In jüngst verwichner Nacht, besinne dich!
Als alles um dich her in tiefem Schlaf
Begraben lag, da standst du auf von deinem Lager,
Und tatst ein brünstiges Gebet zu Gott.
Laß die hinausgehn und ich nenne dir
Den Inhalt des Gebets.
KARL. Was ich dem Himmel
Vertraut, brauch ich vor Menschen nicht zu bergen.
Entdecke mir den Inhalt meines Flehns,
So zweifl ich nicht mehr, daß dich Gott begeistert.
JOHANNA. Es waren drei Gebete, die du tatst,
Gib wohl acht, Dauphin, ob ich dir sie nenne!
Zum ersten flehtest du den Himmel an,
Wenn unrecht Gut an dieser Krone hafte,
Wenn eine andre schwere Schuld, noch nicht
Gebüßt, von deiner Väter Zeiten her,
Diesen tränenvollen Krieg herbeigerufen,
Dich zum Opfer anzunehmen für dein Volk,
Und auszugießen auf dein einzig Haupt
Die ganze Schale seines Zorns.
KARL (tritt mit Schrecken zurück).
Wer bist du, mächtig Wesen?
Woher kommst du?
(Alle zeigen ihr Erstaunen)
JOHANNA. Du tatst dem Himmel diese zweite Bitte.
Wenn es sein hoher Schluß und Wille sei,
Das Szepter deinem Stamme zu entwinden,
Dir alles zu entziehn, was deine Väter,
Die Könige in diesem Reich besaßen,
Drei einzge Güter flehtest du ihn an
Dir zu bewahren, die zufriedne Brust,
Des Freundes Herz und deiner Agnes Liebe.
(König verbirgt das Gesicht heftig weinend, große Bewegung des
Erstaunens unter den Anwesenden. Nach einer Pause)
Soll ich dein dritt Gebet dir nun noch nennen?
KARL. Genug! Ich glaube dir! Soviel vermag
Kein Mensch! Dich hat der höchste Gott gesendet.
ERZBISCHOF. Wer bist du heilig wunderbares Mädchen!
Welch glücklich Land gebar dich? Sprich! Wer sind
Die gottgeliebten Eltern, die dich zeugten?
JOHANNA. Ehrwürdger Herr, Johanna nennt man mich,
Ich bin nur eines Hirten niedre Tochter
Aus meines Königs Flecken Dom Remi,
Der in dem Kirchensprengel liegt von Tour
Und hütete die Schafe meines Vaters
Von Kind auf--Und ich hörte viel und oft
Erzählen von dem fremden Inselvolk,
Das über Meer gekommen, uns zu Knechten
Zu machen, und den fremdgebornen Herrn
Uns aufzuzwingen, der das Volk nicht liebt,
Und daß sie schon die große Stadt Paris
Innhätten und des Reiches sich ermächtigt.
Da rief ich flehend Gottes Mutter an,
Von uns zu wenden fremder Ketten Schmach,
Uns den einheimschen König zu bewahren.
Und vor dem Dorf, wo ich geboren, steht
Ein uralt Muttergottesbild, zu dem
Der frommen Pilgerfahrten viel geschahn,
Und eine heilge Eiche steht darneben,
Durch vieler Wunder Segenskraft berühmt.
Und in der Eiche Schatten saß ich gern,
Die Herde weidend, denn mich zog das Herz.
Und ging ein Lamm mir in den wüsten Bergen
Verloren, immer zeigte mirs der Traum,
Wenn ich im Schatten dieser Eiche schlief.
--Und einsmals als ich eine lange Nacht
In frommer Andacht unter diesem Baum
Gesessen und dem Schlafe widerstand,
Da trat die Heilige zu mir, ein Schwert
Und Fahne tragend, aber sonst wie ich
Als Schäferin gekleidet, und sie sprach zu mir:
"Ich bins. Steh auf, Johanna. Laß die Herde.
Dich ruft der Herr zu einem anderen Geschäft!
Nimm diese Fahne! Dieses Schwert umgürte dir!
Damit vertilge meines Volkes Feinde,
Und führe deines Herren Sohn nach Reims,
Und krön ihn mit der königlichen Krone!"
Ich aber sprach: "Wie kann ich solcher Tat
Mich unterwinden, eine zarte Magd,
Unkundig des verderblichen Gefechts!"
Und sie versetzte: "Eine reine Jungfrau
Vollbringt jedwedes Herrliche auf Erden,
Wenn sie der irdschen Liebe widersteht.
Sich mich an! Eine keusche Magd wie du
Hab ich den Herrn, den göttlichen, geboren,
Und göttlich bin ich selbst!"--Und sie berührte
Mein Augenlid, und als ich aufwärts sah,
Da war der Himmel voll von Engelknaben,
Die trugen weiße Lilien in der Hand,
Und süßer Ton verschwebte in den Lüften.
--Und so drei Nächte nacheinander ließ
Die Heilige sich sehn, und rief: "Steh auf, Johanna,
Dich ruft der Herr zu einem anderen Geschäft."
Und als sie in der dritten Nacht erschien,
Da zürnte sie und scheltend sprach sie dieses Wort:
Gehorsam ist des Weibes Pflicht auf Erden,
Das harte Dulden ist ihr schweres Los,
Durch strengen Dienst muß sie geläutert werden,
Die hier gedienet, ist dort oben groß."
Und also sprechend ließ sie das Gewand
Der Hirtin fallen und als Königin
Der Himmel stand sie da im Glanz der Sonnen,
Und goldne Wolken trugen sie hinauf
Langsam verschwindend in das Land der Wonnen.
(Alle sind gerührt. Agnes Sorel heftig weinend verbirgt ihr
Gesicht an des Königs Brust)
ERZBISCHOF (nach einem langen Stillschweigen).
Vor solcher göttlicher Beglaubigung
Muß jeder Zweifel irdscher Klugheit schweigen.
Die Tat bewährt es, daß sie Wahrheit spricht,
Nur Gott allein kann solche Wunder wirken.
DUNOIS. Nicht ihren Wundern, ihrem Auge glaub ich,
Der reinen Unschuld ihres Angesichts.
KARL. Und bin ich Sündger solcher Gnade wert!
Untrüglich allerforschend Aug, du siehst
Mein Innerstes und kennest meine Demut!
JOHANNA. Der Hohen Demut leuchtet hell dort oben,
Du beugtest dich, drum hat er dich erhoben.
KARL. So werd ich meinen Feinden widerstehn?
JOHANNA. Bezwungen leg ich Frankreich dir zu Füßen!
KARL. Und Orleans sagst du, wird nicht übergehn?
JOHANNA. Eh siehest du die Loire zurückefließen.
KARL. Werd ich nach Reims als Überwinder ziehn?
JOHANNA. Durch tausend Feinde führ ich dich dahin.
(Alle anwesende Ritter erregen ein Getöse mit ihren Lanzen und
Schilden, und geben Zeichen des Muts)
DUNOIS. Stell uns die Jungfrau an des Heeres Spitze,
Wir folgen blind, wohin die Göttliche
Uns führt! Ihr Seherauge soll uns leiten,
Und schützen soll sie dieses tapfre Schwert!
LA HIRE. Nicht eine Welt in Waffen fürchten wir,
Wenn sie einher vor unsern Scharen zieht.
Der Gott des Sieges wandelt ihr zur Seite,
Sie führ uns an, die Mächtige, im Streite!
(Die Ritter erregen ein großes Waffengetös und treten vorwärts)
KARL. Ja heilig Mädchen, führe du mein Heer,
Und seine Fürsten sollen. dir gehorchen.
Dies Schwert der höchsten Kriegsgewalt, das uns
Der Kronfeldherr im Zorn zurückgesendet,
Hat eine würdigere Hand gefunden.
Empfange du es, heilige Prophetin,
Und sei fortan--
JOHANNA. Nicht also, edler Dauphin!
Nicht durch dies Werkzeug irdischer Gewalt
Ist meinem Herrn der Sieg verliehn. Ich weiß
Ein ander Schwert, durch das ich siegen werde.
Ich will es dir bezeichnen, wie's der Geist
Mich lehrte, sende hin und laß es holen.
KARL. Nenn es, Johanna.
JOHANNA. Sende nach der alten Stadt
Fierboys, dort, auf Sankt Kathrinens Kirchhof
Ist ein Gewölb, wo vieles Eisen liegt,
Von alter Siegesbeute aufgehäuft.
Das Schwert ist drunter, das mir dienen soll.
An dreien goldnen Lilien ists zu kennen,
Die auf der Klinge eingeschlagen sind,
Dies Schwert laß holen, denn durch dieses wirst du siegen.
KARL. Man sende hin und tue, wie sie sagt.
JOHANNA. Und eine weiße Fahne laß mich tragen,
Mit einem Saum von Purpur eingefaßt.
Auf dieser Fahne sei die Himmelskönigin
Zu sehen mit dem schönen Jesusknaben,
Die über einer Erdenkugel schwebt,
Denn also zeigte mirs die heilge Mutter.
KARL. Es sei so, wie du sagst.
JOHANNA (zum Erzbischof). Ehrwürdger Bischof,
Legt Eure priesterliche Hand auf mich,
Und sprecht den Segen über Eure Tochter!
(Kniet nieder)
ERZBISCHOF. Du bist gekommen, Segen auszuteilen,
Nicht zu empfangen--Geh mit Gottes Kraft!
Wir aber sind Unwürdige und Sünder!
(Sie steht auf)
EDELKNECHT. Ein Herold kommt vom engelländschen Feldherrn.
JOHANNA. Laß ihn eintreten, denn ihn sendet Gott!
(Der König winkt den Edelknecht, der hinausgeht)

ERSTER AUFZUG
Eilfter Auftritt
Der Herold zu den Vorigen
KARL. Was bringst du, Herold? Sage deinen Auftrag.
HEROLD. Wer ist es, der für Karin von Valois,
Den Grafen von Ponthieu das Wort hier führt?
DUNOIS. Nichtswürdger Herold! Niederträchtger Bube!
Erfrechst du dich, den König der Franzosen
Auf seinem eignen Boden zu verleugnen.
Dich schützt dein Wappenrock, sonst solltest du--
HEROLD. Frankreich erkennt nur einen einzgen König,
Und dieser lebt im engelländischen Lager.
KARL. Seid ruhig, Vetter! Deinen Auftrag, Herold!
HEROLD. Mein edler Feldherr, den des Blutes jammert,
Das schon genossen und noch Lieben soll,
Hält seiner Krieger Schwert noch in der Scheide,
Und ehe Orleans im Sturme fällt,
Läßt er noch gütlichen Vergleich dir bieten.
KARL. Laß hören!
JOHANNA (tritt hervor). Sire! Laß mich an deiner Statt
Mit diesem Herold reden.
KARL. Tu das, Mädchen!
Entscheide du, ob Krieg sei oder Friede.
JOHANNA (zum Herold).
Wer sendet dich und spricht durch deinen Mund?
HEROLD. Der Briten Feldherr, Graf von Salisbury.
JOHANNA. Herold, du lügst! Der Lord spricht nicht durch dich.
Nur die Lebendgen sprechen, nicht die Toten.
HEROLD. Mein Feldherr lebt in Fülle der Gesundheit
Und Kraft, und lebt euch allen zum Verderben.
JOHANNA. Er lebte, da du abgingst. Diesen Morgen
Streckt' ihn ein Schuß aus Orleans zu Boden,
Als er von Turm La Tournelle niedersaß.
--Du lachst, weil ich Entferntes dir verkünde?
Nicht meiner Rede, deinen Augen glaube!
Begegnen wird dir seiner Leiche Zug,
Wenn deine Füße dich zurücketragen!
Jetzt Herold, sprich und sage deinen Auftrag.
HEROLD. Wenn du Verborgnes zu enthüllen weißt,
So kennst du ihn, noch eh ich dir ihn sage.
JOHANNA. Ich brauch ihn nicht zu wissen, aber du
Vernimm den meinen jetzt! und diese Worte
Verkündige den Fürsten, die dich sandten!
--König von England, und ihr, Herzoge
Bedford und Gloster, die das Reich verwesen!
Gebt Rechenschaft dem Könige des Himmels
Von wegen des vergoßnen Blutes! Gebt
Heraus die Schlüssel alle von den Städten,
Die ihr bezwungen wider göttlich Recht,
Die Jungfrau kommt vom Könige des Himmels,
Euch Frieden zu bieten oder blutgen Krieg.
Wählt! Denn das sag ich euch, damit ihre wisset,
Euch ist das schöne Frankreich nicht beschieden
Vom Sohne der Maria--sondern Karl
Mein Herr und Dauphin, dem es Gott gegeben,
Wird königlich einziehen zu Paris,
Von allen Großen seines Reichs begleitet.
--Jetzt Herold, geh und mach dich eilends fort,
Denn eh du noch das Lager magst erreichen,
Und Botschaft bringen, ist die Jungfrau dort,
Und pflanzt in Orleans das Siegeszeichen.
(Sie geht, alles setzt sich in Bewegung, der Vorhang fällt)

ZWEITER AUFZUG
Gegend von Felsen begrenzt
Erster Auftritt
Talbot und Lionel, englische Heerführer. Philipp Herzog von
Burgund. Ritter Fastolf und Chatillon mit Soldaten und Fahnen
TALBOT. Hier unter diesen Felsen lasset uns
Haltmachen und ein festes Lager schlagen,
Ob wir vielleicht die tüchtgen Völker wieder sammeln,
Die in dem ersten Schrecken sich zerstreut.
Stellt gute Wachen aus, besetzt die Höhn!
Zwar sichert uns die Nacht vor der Verfolgung,
Und wenn der Gegner nicht auch Flügel hat,
So fürcht ich keinen Überfall.--Dennoch
Bedarfs der Vorsicht, denn wir haben es
Mit einem kecken Feind und sind geschlagen.
(Ritter Fastolf geht ab mit den Soldaten)
LIONEL. Geschlagen! Feldherr, nennt das Wort nicht mehr.
Ich darf es mir nicht denken, daß der Franke
Des Engelländers Rücken heut gesehn.
--O Orleans! Orleans! Grab unsers Ruhms!
Auf deinen Feldern liegt die Ehre Englands.
Beschimpfend lächerliche Niederlage!
Wer wird es glauben in der künftgen Zeit!
Die Sieger bei Poitiers, Crequi
Und Azincourt gejagt von einem Weibe!
BURGUND. Das muß uns trösten. Wir sind nicht von Menschen
Besiegt, wir sind vom Teufel überwunden.
TALBOT. Vom Teufel unsrer Narrheit--Wie, Burgund?
Schreckt dies Gespenst des Pöbels auch die Fürsten?
Der Aberglaube ist ein schlechter Mantel
Für Eure Feigheit--Eure Völker Hohn zuerst.
BURGUND. Niemand hielt stand. Das Fliehn war allgemein.
TALBOT. Nein, Herr! Auf Eurem Flügel fing es an.
Ihr stürztet Euch in unser Lager, schreiend:
"Die Höll ist los, der Satan kämpft für Frankreich!"
Und brachtet so die Unsern in Verwirrung.
LIONEL. Ihr könnts nicht leugnen. Euer Flügel wich zuerst.
BURGUND. Weil dort der erste Angriff war.
TALBOT. Das Mädchen kannte unsers Lagers Blöße,
Sie wußte, wo die Furcht zu finden war.
BURGUND. Wie? Soll Burgund die Schuld des Unglücks tragen?
LIONEL. Wir Engelländer, waren wir allein,
Bei Gott! Wir hätten Orleans nicht verloren!
BURGUND. Nein--denn ihr hättet Orleans nie gesehn!
Wer bahnte euch den Weg in dieses Reich,
Reicht' euch die treue Freundeshand, als ihr
An diese feindlich fremde Küste stieget?
Wer krönte euren Heinrich zu Paris,
Und unterwarf ihm der Franzosen Herzen?
Bei Gott! Wenn dieser starke Arm euch nicht
Hereingeführt, ihr sahet nie den Rauch
Von einem Fränkischen Kamine steigen!
LIONEL. Wenn es die großen Worte täten, Herzog,
So hättet Ihr allein Frankreich erobert.
BURGUND. Ihr seid unlustig, weil euch Orleans
Entging, und laßt nun eures Zornes Galle
An mir, dem Bundsfreund, aus. Warum entging
Uns Orleans, als eurer Habsucht wegen?
Es war bereit, sich mir zu übergeben,
Ihr, euer Neid allein hat es verhindert.
TALBOT. Nicht Eurentwegen haben wirs belagert.
BURGUND. Wie stünds um euch, zög ich mein Heer zurück?
Lionel. Nicht schlimmer, glaubt mir, als bei Azincourt,
Wo wir mit Euch und mit ganz Frankreich fertig wurden.
BURGUND. Doch tats euch sehr um unsre Freundschaft not,
Und teuer kaufte sie der Reichsverweser.
TALBOT. Ja teuer, teuer haben wir sie heut
Vor Orleans bezahlt mit unsrer Ehre.
BURGUND. Treibt es nicht weiter, Lord, es könnt Euch reuen!
Verließ ich meines Herrn gerechte Fahnen,
Lud auf mein Haupt den Namen des Verräters,
Um von dem Fremdling solches zu ertragen?
Was tu ich hier und fechte gegen Frankreich?
Wenn ich dem Undankbaren dienen soll,
So will ichs meinem angebornen König.
TALBOT. Ihr steht in Unterhandlung mit dem Dauphin,
Wir Wissens, doch wir werden Mittel finden,
Uns vor Verrat zu schützen.
BURGUND. Tod und Hölle!
Begegnet man mir so?--Chatillon!
Laß meine Völker sich zum Aufbruch rüsten,
Wir gehn in unser Land zurück.
(Chatillon geht ab)
LIONEL. Glück auf den Weg!
Nie war der Ruhm des Briten glänzender,
Als da er seinem guten Schwert allein
Vertrauend ohne Helfershelfer focht.
Es kämpfe jeder seine Schlacht allein,
Denn ewig bleibt es wahr! Französisch Blut
Und englisch kann sich redlich nie vermischen.

ZWEITER AUFZUG
Zweiter Auftritt
Königin Isabella von einen Pagen begleitet zu den Vorigen
ISABEAU. Was muß ich hören, Feldherrn! Haltet ein!
Was für ein hirnverrückender Planet
Verwirrt euch also die gesunden Sinne?
Jetzt, da euch Eintracht nur erhalten kann,
Wollt ihr in Haß euch trennen und euch selbst
Befehdend euren Untergang bereiten?
--Ich bitt Euch, edler Herzog.
Ruft den raschen Befehl zurück.--Und Ihr, ruhmvoller Talbot,
Besänftiget den aufgebrachten Freund!
Kommt, Lionel, helft mir die stolzen Geister
Zufriedensprechen und Versöhnung stiften.
LIONEL. Ich nicht, Mylady. Mir ist alles gleich.
Ich denke so: was nicht zusammen kann
Bestehen, tut am besten sich zu lösen.
ISABEAU. Wie? Wirkt der Hölle Gaukelkunst, die uns
Im Treffen so verderblich war, auch hier
Noch fort uns sinnverwirrend zu betören?
Wer fing den Zank an? Redet!--Edler Lord!
(Zu Talbot) Seid Ihrs, der seines Vorteils so vergaß,
Den werten Bundsgenossen zu verletzen?
Was wollt Ihr schaffen ohne diesen Arm?
Er baute Eurem König seinen Thron,
Er hält ihn noch und stürzt ihn, wenn er will,
Sein Heer verstärkt Euch und noch mehr sein Name.
Ganz England, strömt' es alle seine Bürger
Auf unsre Küsten aus, vermöchte nicht
Dies Reich zu zwingen, wenn es einig ist,
Nur Frankreich konnte Frankreich überwinden.
TALBOT. Wir wissen den getreuen Freund zu ehren.
Dem falschen wehren ist der Klugheit Pflicht.
BURGUND. Wer treulos sich des Dankes will entschlagen,
Dem fehlt des Lügners freche Stirne nicht.
ISABEAU. Wie, edler Herzog, Könntet Ihr so sehr
Der Scham absagen und der Fürstenehre,
In jene Hand, die Euren Vater mordete,
Die Eurige zu legen? Wärt Ihr rasend
Genug, an eine redliche Versöhnung
Zu glauben mit dem Dauphin, den Ihr selbst
An des Verderbens Rand geschleudert habt?
So nah dem Falle wolltet Ihr ihn halten,
Und Euer Werk wahnsinnig selbst zerstören?
Hier stehen Eure Freunde. Euer Heil
Ruht in dem festen Bunde nur mit England.
BURGUND. Fern ist mein Sinn vom Frieden mit dem Dauphin,
Doch die Verachtung und den Übermut
Des stolzen Englands kann ich nicht ertragen.
ISABEAU. Kommt! Haltet ihm ein rasches Wort zugut.
Schwer ist der Kummer, der den Feldherrn drückt,
Und ungerecht, Ihr wißt es, macht das Unglück.
Kommt! Kommt! Umarmt euch, laßt mich diesen Riß
Schnell heilend schließen, eh er ewig wird.
TALBOT. Was dünket Euch, Burgund? Ein edles Herz
Bekennt sich gern von der Vernunft besiegt.
Die Königin hat ein kluges Wort geredet,
Laßt diesen Händedruck die Wunde heilen,
Die meine Zunge übereilend schlug.
BURGUND. Madame sprach ein verständig Wort, und mein
Gerechter Zorn weicht der Notwendigkeit.
ISABEAU. Wohl! So besiegelt den erneuten Bund
Mit einem brüderlichen Kuß und mögen
Die Winde das Gesprochene verwehen.
(Burgund und Talbot umarmen sich)
LIONEL (betrachtet die Gruppe, für sich).
Glück zu dem Frieden, den die Furie stiftet!
ISABEAU. Wir haben eine Schlacht verloren, Feldherrn,
Das Glück war uns zuwider, darum aber
Entsink euch nicht der edle Mut. Der Dauphin
Verzweifelt an des Himmels Schutz und ruft
Des Satans Kunst zu Hülfe, doch er habe
Umsonst sich der Verdammnis übergeben,
Und seine Hölle selbst errett ihn nicht.
Ein sieghaft Mädchen führt des Feindes Heer,
Ich will das eure führen, ich will euch
Statt einer Jungfrau und Prophetin sein.
LIONEL.. Madame, geht nach Paris zurück. Wir wollen
Mit guten Waffen, nicht mit Weibern siegen.
TALBOT. Geht! Geht! Seit Ihr im Lager seid, geht alles
Zurück, kein Segen ist mehr in unsern Waffen.
BURGUND. Geht! Eure Gegenwart schafft hier nichts Gutes,
Der Krieger nimmt ein Ärgernis an Euch.
ISABEAU (sieht einen um den andern erstaunt an).
Ihr auch, Burgund? Ihr nehmet wider mich
Partei mit diesen undankbaren Lords?
BURGUND. Geht! Der Soldat verliert den guten Mut,
Wenn er für Eure Sache glaubt zu fechten.
ISABEAU. Ich hab kaum Frieden zwischen euch gestiftet,
So macht ihr schon ein Bündnis wider mich?
TALBOT. Geht, geht mit Gott, Madame. Wir fürchten uns
Vor keinem Teufel mehr, sobald Ihr wegseid.
ISABEAU. Bin ich nicht eure treue Bundsgenossin?
Ist eure Sache nicht die meinige?
TALBOT. Doch Eure nicht die unsrige. Wir sind
In einem ehrlich guten Streit begriffen.
BURGUND. Ich räche eines Vaters blutgen Mord,
Die fromme Sohnspflicht heiligt meine Waffen.
TALBOT. Doch gradheraus! Was Ihr am Dauphin tut,
Ist weder menschlich gut, noch göttlich recht.
ISABEAU. Fluch soll ihn treffen bis ins zehnte Glied!
Er hat gefrevelt an dem Haupt der Mutter.
BURGUND. Er rächte einen Vater und Gemahl.
ISABEAU. Er warf sich auf zum Richter meiner Sitten!
LIONEL. Das war unehrerbietig von dem Sohn!
ISABEAU. In die Verbannung hat er mich geschickt.
TALBOT. Die öffentliche Stimme zu vollziehn.
ISABEAU. Fluch treffe mich, wenn ich ihm je vergebe!
Und eh er herrscht in seines Vaters Reich--
TALBOT. Eh opfert Ihr die Ehre seiner Mutter!
ISABEAU. Ihr wißt nicht, schwache Seelen,
Was ein beleidigt Mutterherz vermag.
Ich liebe, wer mir Gutes tut, und hasse,
Wer mich verletzt, und ists der eigne Sohn,
Den ich geboren, desto hassenswerter.
Dem ich das Dasein gab, will ich es rauben,
Wenn er mit ruchlos frechem Übermut
Den eignen Schoß verletzt, der ihn getragen.
Ihr die ihr Krieg führt gegen meinen Sohn,
Ihr habt nicht Recht, noch Grund ihn zu berauben.
Was hat der Dauphin Schweres gegen euch
Verschuldet? Welche Pflichten brach er euch?
Euch treibt die Ehrsucht, der gemeine Neid,
Ich darf ihn hassen, ich hab ihn geboren.
TALBOT. Wohl, an der Rache fühlt er seine Mutter!
ISABEAU. Armselge Gleisner, wie veracht ich euch,
Die ihr euch selbst so wie die Welt belügt!
Ihr Engelländer streckt die Räuberhände
Nach diesem Frankreich aus, wo ihr nicht Recht
Noch gültgen Anspruch habt auf so viel Erde,
Als eines Pferdes Huf bedeckt.--Und dieser Herzog,
Der sich den Guten schelten läßt, verkauft
Sein Vaterland, das Erbreich seiner Ahnen
Dem Reichsfeind und dem fremden Herrn.--Gleichwohl
Ist euch das dritte Wort Gerechtigkeit.
--Die Heuchelei veracht ich. Wie ich bin,
So sehe mich das Aug der Welt.
BURGUND. Wahr ists!
Den Ruhm habt Ihr mit starkem Geist behauptet.
ISABEAU. Ich habe Leidenschaften, warmes Blut
Wie eine andre, und ich kam als Königin
In dieses Land, zu leben, nicht zu scheinen.
Sollt ich der Freud absterben, weil der Fluch
Des Schicksals meine lebensfrohe Jugend
Zu dem wahnsinngen Gatten hat gesellt?
Mehr als das Leben lieb ich meine Freiheit,
Und wer mich hier verwundet--Doch warum
Mit euch mich streiten über meine Rechte?
Schwer fließt das dicke Blut in euren Adern,
Ihr kennt nicht das Vergnügen, nur die Wut!
Und dieser Herzog, der sein Lebenlang
Geschwankt hat zwischen Bös und Gut, kann nicht
Von Herzen hassen noch von Herzen lieben.
--Ich geh nach Melun. Gebt mir diesen da,
(auf Lionel zeigend) Der mir gefällt, zur Kurzweil und Gesellschaft,
Und dann macht, was ihr wollt! Ich frage nichts
Nach den Burgundern noch den Engelländern.
(Sie winkt ihrem Pagen und will gehen)
LIONEL. Verlaßt Euch drauf. Die schönsten Frankenknaben,
Die wir erbeuten, schicken wir nach Melun.
ISABEAU (zurückkommend).
Wohl taugt ihr, mit dem Schwerte dreinzuschlagen,
Der Franke nur weiß Zierliches zu sagen. (Sie geht ab)

ZWEITER AUFZUG
Dritter Auftritt
Talbot. Burgund. Lionel
TALBOT. Was für ein Weib!
LIONEL. Nun eure Meinung, Feldherrn!
Fliehn wir noch weiter oder wenden uns
Zurück, durch einen schnellen kühnen Streich
Den Schimpf des heutgen Tages auszulöschen?
BURGUND. Wir sind zu schwach, die Völker sind zerstreut,
Zu neu ist noch der Schrecken in dem Heer.
TALBOT. Ein blinder Schrecken nur hat uns besiegt,
Der schnelle Eindruck eines Augenblicks.
Dies Furchtbild der erschreckten Einbildung
Wird, näher angesehn, in nichts verschwinden.
Drum ist mein Rat, wir führen die Armee
Mit Tagesanbruch über den Strom zurück,
Dem Feind entgegen.
BURGUND. Überlegt--
LIONEL. Mit Eurer
Erlaubnis. Hier ist nichts zu überlegen.
Wir müssen das Verlorne schleunig wieder
Gewinnen oder sind beschimpft auf ewig.
TALBOT. Es ist beschlossen. Morgen schlagen wir.
Und dies Phantom des Schreckens zu zerstören,
Das unsre Völker blendet und entmannt,
Laßt uns mit diesem jungfräulichen Teufel
Uns messen in persönlichem Gefecht.
Stellt sie sich unserm tapfern Schwert, nun dann,
So hat sie uns zum letztenmal geschadet,
Stellt sie sich nicht, und seid gewiß, sie meidet
Den ernsten Kampf, so ist das Heer entzaubert.
LIONEL. So seis! Und mir, mein Feldherr, überlasset
Dies leichte Kampfspiel, wo kein Blut soll fließen.
Denn lebend denk ich das Gespenst zu fangen,
Und vor des Bastards Augen, ihres Buhlen,
Trag ich auf diesen Armen sie herüber
Zur Lust des Heers, in das britannsche Lager.
BURGUND. Versprechet nicht zu viel.
TALBOT. Erreich ich sie,
Ich denke sie so sanft nicht zu umarmen.
Kommt jetzo, die ermüdete Natur
Durch einen leichten Schlummer zu erquicken,
Und dann zum Aufbruch mit der Morgenröte. (Sie gehen ab)

ZWEITER AUFZUG
Vierter Auftritt
Johanna mit der Fahne, in Helm und Brustharnisch, sonst aber
weiblich gekleidet, Dunois, La Hire, Ritter und Soldaten zeigen
sich oben auf dem Felsenweg, ziehen still darüber hinweg, und
erscheinen gleich darauf auf der Szene
JOHANNA (zu den Rittern, die sie umgeben, indem der Zug oben
immer noch fortwährt). Erstiegen ist der Wall, wir sind im Lager!
Jetzt werft die Hülle der verschwiegner Nacht
Von euch, die euren stillen Zug verhehlte,
Und macht dem Feinde eure Schreckensnähe
Durch lauten Schlachtruf kund--Gott und die Jungfrau!
ALLE (rufen laut unter wildem Waffengetös).
Gott und die Jungfrau! (Trommeln und Trompeten)
SCHILDWACHE (hinter der Szene). Feinde! Feinde! Feinde!
JOHANNA. Jetzt Fackeln her! Werft Feuer in die Zelte!
Der Flammen Wut vermehre das Entsetzen,
Und drohend rings umfange sie der Tod!
(Soldaten eilen fort, sie will folgen)
DUNOIS (hält sie zurück). Du hast das Deine nun erfüllt, Johanna!
Mitten ins Lager hast du uns geführt,
Den Feind hast du in unsre Hand gegeben.
Jetzt aber bleibe von dem Kampf zurück,
Uns überlaß die blutige Entscheidung.
LA HIRE. Den Weg des Siegs bezeichne du dem Heer,
Die Fahne trag uns vor in reiner Hand,
Doch nimm das Schwert, das tödliche, nicht selbst,
Versuche nicht den falschen Gott der Schlachten,
Denn blind und ohne Schonung waltet er.
JOHANNA. Wer darf mir Halt gebieten? Wer dem Geist
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