Die Judenbuche - 3

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Der Gerichtsschreiber saß unmutig und verlegen da. Plötzlich fuhr er mit
der Hand hinter sich und brachte etwas Blinkendes vor Friedrichs Auge.
»Wem gehört dies?« -- Friedrich sprang drei Schritt zurück. »Herr Jesus!
ich dachte, Ihr wolltet mir den Schädel einschlagen.« Seine Augen waren
rasch über das tödliche Werkzeug gefahren und schienen momentan auf
einem ausgebrochenen Splitter am Stiele zu haften. »Ich weiß es nicht«,
sagte er fest. -- Es war die Axt, die man in dem Schädel des
Oberförsters eingeklammert gefunden hatte. -- »Sieh sie genau an«, fuhr
der Gerichtsschreiber fort. Friedrich faßte sie mit der Hand, besah sie
oben, unten, wandte sie um. »Es ist eine Axt wie andere«, sagte er dann
und legte sie gleichgültig auf den Tisch. Ein Blutfleck ward sichtbar;
er schien zu schaudern, aber er wiederholte noch einmal sehr bestimmt:
»Ich kenne sie nicht.« Der Gerichtsschreiber seufzte vor Unmut. Er
selbst wußte um nichts mehr und hatte nur einen Versuch zu möglicher
Entdeckung durch Überraschung machen wollen. Es blieb nichts übrig, als
das Verhör zu schließen.
Denjenigen, die vielleicht auf den Ausgang dieser Begebenheit gespannt
sind, muß ich sagen, daß diese Geschichte nie aufgeklärt wurde, obwohl
noch viel dafür geschah und diesem Verhöre mehrere folgten. Den
Blaukitteln schien durch das Aufsehen, das der Vorgang gemacht, und die
darauffolgenden geschärften Maßregeln der Mut genommen; sie waren von
nun an wie verschwunden, und obgleich späterhin noch mancher Holzfrevler
erwischt wurde, fand man doch nie Anlaß, ihn der berüchtigten Bande
zuzuschreiben. Die Axt lag zwanzig Jahre nachher als unnützes
Korpusdelikti im Gerichtsarchiv, wo sie wohl noch jetzt ruhen mag mit
ihren Rostflecken. Es würde in einer erdichteten Geschichte unrecht
sein, die Neugier des Lesers so zu täuschen. Aber dies alles hat sich
wirklich zugetragen; ich kann nichts davon- oder dazutun.
[Illustration]
Am nächsten Sonntage stand Friedrich sehr früh auf, um zur Beichte zu
gehen. Es war Mariä Himmelfahrt und die Pfarrgeistlichen schon vor
Tagesanbruch im Beichtstuhle.
Nachdem er sich im Finstern angekleidet, verließ er so geräuschlos wie
möglich den engen Verschlag, der ihm in Simons Hause eingeräumt war.
In der Küche mußte sein Gebetbuch auf dem Sims liegen, und er hoffte, es
mit Hilfe des schwachen Mondlichts zu finden; es war nicht da. Er warf
die Augen suchend umher und fuhr zusammen; in der Kammertür stand Simon,
fast unbekleidet, seine dürre Gestalt, sein ungekämmtes wirres Haar und
die vom Mondschein verursachte Blässe des Gesichts gaben ihm ein
schauerlich verändertes Ansehen. »Sollte er nachtwandeln?« dachte
Friedrich und verhielt sich ganz still. -- »Friedrich, wohin?« flüsterte
der Alte. -- »Ohm, seid Ihrs? ich will beichten gehen.« -- »Das dacht
ich mir; geh in Gottes Namen, aber beichte wie ein guter Christ.« --
»Das will ich«, sagte Friedrich. -- »Denk an die zehn Gebote: du sollst
kein Zeugnis ablegen gegen deinen Nächsten.« -- »Kein falsches!« --
»Nein, gar keines; du bist schlecht unterrichtet; wer einen andern in
der Beichte anklagt, der empfängt das Sakrament unwürdig.«
Beide schwiegen. -- »Ohm, wie kommt Ihr darauf?« sagte Friedrich dann;
»Eur Gewissen ist nicht rein; Ihr habt mich belogen.« -- »Ich, so?« --
»Wo ist Eure Axt?« -- »Meine Axt? auf der Tenne.« -- »Habt Ihr einen
neuen Stiel hinein gemacht? wo ist der alte?« -- »Den kannst du heute
bei Tag im Holzschuppen finden.«
»Geh,« fuhr er verächtlich fort, »ich dachte, du seist ein Mann; aber du
bist ein altes Weib, das gleich meint, das Haus brennt, wenn ihr
Feuertopf raucht. Sieh,« fuhr er fort, »wenn ich mehr von der Geschichte
weiß als der Türpfosten da, so will ich ewig nicht selig werden. --
Längst war ich zu Haus«, fügte er hinzu. -- Friedrich stand beklemmt und
zweifelnd. Er hätte viel darum gegeben, seines Ohms Gesicht sehen zu
können. Aber während sie flüsterten, hatte der Himmel sich bewölkt.
»Ich habe schwere Schuld,« seufzte Friedrich, »daß ich ihn den unrechten
Weg geschickt -- obgleich -- doch, dies hab ich nicht gedacht, nein,
gewiß nicht. Ohm, ich habe Euch ein schweres Gewissen zu danken.« -- »So
geh, beicht!« flüsterte Simon mit bebender Stimme; »verunehre das
Sakrament durch Angeberei und setze armen Leuten einen Spion auf den
Hals, der schon Wege finden wird, ihnen das Stückchen Brot aus den
Zähnen zu reißen, wenn er gleich nicht reden darf -- geh!« --
Friedrich stand unschlüssig; er hörte ein leises Geräusch; die Wolken
verzogen sich, das Mondlicht fiel wieder auf die Kammertür: sie war
geschlossen. Friedrich ging an diesem Morgen nicht zur Beichte. Der
Eindruck, den dieser Vorfall auf Friedrich gemacht, erlosch leider nur
zu bald. Wer zweifelt daran, daß Simon alles tat, seinen Adoptivsohn
dieselben Wege zu leiten, die er selber ging? Und in Friedrich lagen
Eigenschaften, die dies nur zu sehr erleichterten: Leichtsinn,
Erregbarkeit und vor allem ein grenzenloser Hochmut, der nicht immer den
Schein verschmähte und dann alles daransetzte, durch Wahrmachung des
Usurpierten möglicher Beschämung zu entgehen. Seine Natur war nicht
unedel, aber er gewöhnte sich, die innere Schande der äußern
vorzuziehen. Man darf nur sagen, er gewöhnte sich zu prunken, während
seine Mutter darbte.
Diese unglückliche Wendung seines Charakters war indessen das Werk
mehrerer Jahre, in denen man bemerkte, daß Margret immer stiller über
ihren Sohn ward und allmählich in einen Zustand der Verkommenheit
versank, den man früher bei ihr für unmöglich gehalten hätte. Sie wurde
scheu, saumselig, sogar unordentlich, und manche meinten, ihr Kopf habe
gelitten. Friedrich ward desto lauter; er versäumte keine Kirchweih oder
Hochzeit, und da ein sehr empfindliches Ehrgefühl ihn die geheime
Mißbilligung mancher nicht übersehen ließ, war er gleichsam immer unter
Waffen, der öffentlichen Meinung nicht sowohl Trotz zu bieten, als sie
den Weg zu leiten, der ihm gefiel. Er war äußerlich ordentlich,
nüchtern, anscheinend treuherzig, aber listig, prahlerisch und oft roh,
ein Mensch, an dem niemand Freude haben konnte, am wenigsten seine
Mutter, und der dennoch durch seine gefürchtete Kühnheit und noch mehr
gefürchtete Tücke ein gewisses Übergewicht im Dorfe erlangt hatte, das
um so mehr anerkannt wurde, je mehr man sich bewußt war, ihn nicht zu
kennen und nicht berechnen zu können, wessen er am Ende fähig sei. Nur
ein Bursch im Dorfe, Wilm Hülsmeyer, wagte im Bewußtsein seiner Kraft
und guter Verhältnisse ihm die Spitze zu bieten; und da er gewandter in
Worten war als Friedrich und immer, wenn der Stachel saß, einen Scherz
daraus zu machen wußte, so war dies der einzige mit dem Friedrich ungern
zusammentraf. -- --
[Illustration]
Vier Jahre waren verflossen; es war im Oktober; der milde Herbst von
1760, der alle Scheunen mit Korn und alle Keller mit Wein füllte, hatte
seinen Reichtum auch über diesen Erdwinkel strömen lassen, und man sah
mehr Betrunkene, hörte von mehr Schlägereien und dummen Streichen als
je. Überall gabs Lustbarkeiten: der blaue Montag kam in Aufnahme, und
wer ein paar Taler erübrigt hatte, wollte gleich eine Frau dazu, die ihm
heute essen und morgen hungern helfen könne. Da gab es im Dorfe eine
tüchtige, solide Hochzeit, und die Gäste durften mehr erwarten als eine
verstimmte Geige, ein Glas Branntwein und was sie an guter Laune selber
mitbrachten. Seit früh war alles auf den Beinen; vor jeder Tür wurden
Kleider gelüftet, und B. glich den ganzen Tag einer Trödelbude. Da viele
Auswärtige erwartet wurden, wollte jeder gern die Ehre des Dorfes oben
halten.
Es war sieben Uhr abends und alles in vollem Gange; Jubel und Gelächter
an allen Enden, die niedern Stuben zum Ersticken angefüllt mit blauen,
roten und gelben Gestalten, gleich Pfandställen, in denen eine zu große
Herde eingepfercht ist. Auf der Tenne ward getanzt, das heißt wer zwei
Fuß Raum erobert hatte, drehte sich darauf immer rundum und suchte durch
Jauchzen zu ersetzen, was an Bewegung fehlte. Das Orchester war
glänzend, die erste Geige als anerkannte Künstlerin prädominierend, die
zweite und eine große Baßviole mit drei Saiten von Dilettanten _ad
libitum_ gestrichen; Branntwein und Kaffee im Überfluß, alle Gäste von
Schweiß triefend; kurz, es war ein köstliches Fest.
Friedrich stolzierte umher wie ein Hahn, im neuen himmelblauen Rock, und
machte sein Recht als erster Elegant geltend. Als auch die
Gutsherrschaft anlangte, saß er gerade hinter der Baßgeige und strich
die tiefste Saite mit großer Kraft und vielem Anstand.
»Johannes!« rief er gebieterisch, und heran trat sein Schützling von dem
Tanzplatze, wo er auch seine ungelenken Beine zu schlenkern und eins zu
jauchzen versucht hatte. Friedrich reichte ihm den Bogen, gab durch eine
stolze Kopfbewegung seinen Willen zu erkennen und trat zu den Tanzenden:
»Nun lustig, Musikanten: den Pagen van Istrup!« -- Der beliebte Tanz ward
gespielt, und Friedrich machte Sätze vor den Augen seiner Herrschaft,
daß die Kühe an der Tenne die Hörner zurückzogen und Kettengeklirr und
Gebrumm an ihren Ständern herlief. Fußhoch über die andern tauchte sein
blonder Kopf auf und nieder wie ein Hecht, der sich im Wasser
überschlägt; an allen Enden schrien Mädchen auf, denen er zum Zeichen
der Huldigung mit einer raschen Kopfbewegung sein langes Flachshaar ins
Gesicht schleuderte.
»Jetzt ist es gut!« sagte er endlich und trat schweißtriefend an den
Kredenztisch; »die gnädigen Herrschaften sollen leben und alle die
hochadeligen Prinzen und Prinzessinnen, und wers nicht mittrinkt, den
will ich an die Ohren schlagen, daß er die Engel singen hört!« -- Ein
lautes Vivat beantwortete den galanten Toast. -- Friedrich machte seinen
Bückling. -- »Nichts für ungut, gnädige Herrschaften, wir sind nur
ungelehrte Bauersleute!«
In diesem Augenblick erhob sich ein Getümmel am Ende der Tenne,
Geschrei, Schelten, Gelächter, alles durcheinander. »Butterdieb,
Butterdieb!« riefen ein paar Kinder, und heran drängte sich, oder
vielmehr ward geschoben, Johannes Niemand, den Kopf zwischen die
Schultern ziehend und mit aller Macht nach dem Ausgange strebend. --
»Was ists? was habt ihr mit unserem Johannes?« rief Friedrich
gebieterisch.
»Das sollt Ihr früh genug gewahr werden«, keuchte ein altes Weib mit der
Küchenschürze und einem Wischhader in der Hand. -- Schande! Johannes,
der arme Teufel, dem zu Hause das Schlechteste gut genug sein mußte,
hatte versucht, sich ein halbes Pfündchen Butter für die kommende Dürre
zu sichern, und ohne daran zu denken, daß er es, sauber in sein
Schnupftuch gewickelt, in der Tasche geborgen, war er ans Küchenfeuer
getreten, und nun rann das Fett schmählich die Rockschöße entlang.
[Illustration]
Allgemeiner Aufruhr; die Mädchen sprangen zurück, aus Furcht, sich zu
beschmutzen, oder stießen den Delinquenten vorwärts. Andere machten
Platz, sowohl aus Mitleid als Vorsicht. Aber Friedrich trat vor:
»Lumpenhund!« rief er; ein paar derbe Maulschellen trafen den geduldigen
Schützling; dann stieß er ihn an die Tür und gab ihm einen tüchtigen
Fußtritt mit auf den Weg. Er kehrte niedergeschlagen zurück; seine Würde
war verletzt, das allgemeine Gelächter schnitt ihm durch die Seele, ob
er sich gleich durch einen tapfern Juchheschrei wieder in den Gang zu
bringen suchte -- es wollte nicht mehr recht gehen. Er war im Begriff,
sich wieder hinter die Baßviole zu flüchten; doch zuvor noch ein
Knalleffekt: er zog seine silberne Taschenuhr hervor, zu jener Zeit ein
seltener und kostbarer Schmuck. »Es ist bald zehn«, sagte er. »Jetzt den
Brautmenuett! ich will Musik machen.«
»Eine prächtige Uhr!« sagte der Schweinehirt und schob sein Gesicht in
ehrfurchtsvoller Neugier vor. --
»Was hat sie gekostet?« rief Wilm Hülsmeyer, Friedrichs Nebenbuhler. --
»Willst du sie bezahlen?« fragte Friedrich. -- »Hast =du= sie bezahlt?«
antwortete Wilm. Friedrich warf einen stolzen Blick auf ihn und griff in
schweigender Majestät zum Fidelbogen. -- »Nun, nun,« sagte Hülsmeyer,
»dergleichen hat man schon erlebt. Du weißt wohl, der Franz Ebel hatte
auch eine schöne Uhr, bis der Jude Aaron sie ihm wieder abnahm.« --
Friedrich antwortete nicht, sondern winkte stolz der ersten Violine, und
sie begannen aus Leibeskräften zu streichen.
Die Gutsherrschaft war indessen in die Kammer getreten, wo der Braut von
den Nachbarfrauen das Zeichen ihres neuen Standes, die weiße Stirnbinde,
umgelegt wurde. Das junge Blut weinte sehr, teils weil es die Sitte so
wollte, teils aus wahrer Beklemmung. Sie sollte einem verworrenen
Haushalt vorstehen, unter den Augen eines mürrischen alten Mannes, den
sie noch obendrein lieben sollte. Er stand neben ihr, durchaus nicht wie
der Bräutigam des Hohen Liedes, der »in die Kammer tritt wie die
Morgensonne«. -- »Du hast nun genug geweint,« sagte er verdrießlich;
»bedenk, du bist es nicht, die mich glücklich macht, ich mache dich
glücklich!« -- Sie sah demütig zu ihm auf und schien zu fühlen, daß er
recht habe. -- Das Geschäft war beendigt; die junge Frau hatte ihrem
Manne zugetrunken, junge Spaßvögel hatten durch den Dreifuß geschaut, ob
die Binde gerade sitze, und man drängte sich wieder der Tenne zu, von wo
unauslöschliches Gelächter und Lärm herüberschallte. Friedrich war nicht
mehr dort. Eine große, unerträgliche Schmach hatte ihn getroffen, da der
Jude Aaron, ein Schlächter und gelegentlicher Althändler aus dem
nächsten Städtchen, plötzlich erschienen war und nach einem kurzen,
unbefriedigten Zwiegespräch ihn laut vor allen Leuten um den Betrag von
zehn Talern für eine schon um Ostern gelieferte Uhr gemahnt hatte.
Friedrich war wie vernichtet fortgegangen und der Jude ihm gefolgt,
immer schreiend: »O weh mir! warum hab ich nicht gehört auf vernünftige
Leute! Haben sie mir nicht hundertmal gesagt, Ihr hättet all Eur Gut am
Leibe und kein Brot im Schranke!« -- Die Tenne tobte von Gelächter;
manche hatten sich auf den Hof nachgedrängt. -- »Packt den Juden! wiegt
ihn gegen ein Schwein!« riefen einige; andere waren ernst geworden.
-- »Der Friedrich sah so blaß aus wie ein Tuch«, sagte eine alte Frau,
und die Menge teilte sich, wie der Wagen des Gutsherrn in den Hof
lenkte. Herr von S. war auf dem Heimwege verstimmt, die jedesmalige
Folge, wenn der Wunsch, seine Popularität aufrechtzuerhalten, ihn bewog,
solchen Festen beizuwohnen. Er sah schweigend aus dem Wagen. »Was sind
denn das für ein paar Figuren?« -- Er deutete auf zwei dunkle Gestalten,
die vor dem Wagen rannten wie Strauße. Nun schlüpften sie ins Schloß.
-- »Auch ein paar selige Schweine aus unserm eigenen Stall!« seufzte Herr
von S. Zu Hause angekommen, fand er die Hausflur vom ganzen
Dienstpersonal eingenommen, das zwei Kleinknechte umstand, welche sich
blaß und atemlos auf der Stiege niedergelassen hatten. Sie behaupteten,
von des alten Mergels Geist verfolgt worden zu sein, als sie durchs
Brederholz heimkehrten. Zuerst hatte es über ihnen an der Höhe gerauscht
und geknistert; darauf hoch in der Luft ein Geklapper wie von
aneinandergeschlagenen Stöcken; plötzlich ein gellender Schrei und ganz
deutlich die Worte: »O weh, meine arme Seele!« hoch von oben herab. Der
eine wollte auch glühende Augen durch die Zweige funkeln gesehen haben,
und beide waren gelaufen, was ihre Beine vermochten.
»Dummes Zeug!« sagte der Gutsherr verdrießlich und trat in die Kammer,
sich umzukleiden. Am andern Morgen wollte die Fontäne im Garten nicht
springen, und es fand sich, das jemand eine Röhre verrückt hatte,
augenscheinlich um nach dem Kopfe eines vor vielen Jahren hier
verscharrten Pferdegerippes zu suchen, der für ein bewährtes Mittel
wider allen Hexen- und Geisterspuk gilt. »Hm,« sagte der Gutsherr, »was
die Schelme nicht stehlen, das verderben die Narren.«
Drei Tage später tobte ein furchtbarer Sturm. Es war Mitternacht, aber
alles im Schlosse außer dem Bett. Der Gutsherr stand am Fenster und sah
besorgt ins Dunkle, nach seinen Feldern hinüber. An den Scheiben flogen
Blätter und Zweige her; mitunter fuhr ein Ziegel hinab und schmetterte
auf das Pflaster des Hofes. -- »Furchtbares Wetter!« sagte Herr von S.
Seine Frau sah ängstlich aus. »Ist das Feuer auch gewiß gut verwahrt?«
sagte sie; »Gretchen, sieh noch einmal nach, gieß es lieber ganz aus! --
Kommt, wir wollen das Evangelium Johannis beten.« Alles kniete nieder,
und die Hausfrau begann: »Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei
Gott, und Gott war das Wort.« Ein furchtbarer Donnerschlag. Alle fuhren
zusammen; dann furchtbares Geschrei und Getümmel die Treppe heran. -- »Um
Gottes willen! brennt es?« rief Frau von S. und sank mit dem Gesichte
auf den Stuhl. Die Türe ward aufgerissen, und herein stürzte die Frau
des Juden Aaron, bleich wie der Tod, das Haar wild um den Kopf, von
Regen triefend. Sie warf sich vor dem Gutsherrn auf die Knie.
»Gerechtigkeit!« rief sie, »Gerechtigkeit! mein Mann ist erschlagen!«
und sank ohnmächtig zusammen.
[Illustration]
Es war nur zu wahr, und die nachfolgende Untersuchung bewies, daß der
Jude Aaron durch einen Schlag an die Schläfe mit einem stumpfen
Instrumente, wahrscheinlich einem Stabe, sein Leben verloren hatte,
durch einen einzigen Schlag. An der linken Schläfe war der blaue Fleck,
sonst keine Verletzung zu finden. Die Aussagen der Jüdin und ihres
Knechtes Samuel lauteten so: Aaron war vor drei Tagen am Nachmittage
ausgegangen, um Vieh zu kaufen, und hatte dabei gesagt, er werde wohl
über Nacht ausbleiben, da noch einige böse Schuldner in B. und S. zu
mahnen seien. In diesem Falle werde er in B. beim Schlachter Salomon
übernachten. Als er am folgenden Tage nicht heimkehrte, war seine Frau
sehr besorgt geworden und hatte sich endlich heute um drei nachmittags
in Begleitung ihres Knechtes und des großen Schlächterhundes auf den Weg
gemacht. Beim Juden Salomon wußte man nichts von Aaron; er war gar nicht
dagewesen. Nun waren sie zu allen Bauern gegangen, von denen sie wußten,
daß Aaron einen Handel mit ihnen im Auge hatte.
Nur zwei hatten ihn gesehen, und zwar an demselben Tage, an welchem er
ausgegangen. Es war darüber sehr spät geworden. Die große Angst trieb
das Weib nach Haus, wo sie ihren Mann wiederzufinden eine schwache
Hoffnung nährte. So waren sie im Brederholz vom Gewitter überfallen
worden und hatten unter einer großen, am Berghange stehenden Buche
Schutz gesucht; der Hund hatte unterdessen auf eine auffallende Weise
umhergestöbert und sich endlich, trotz allem Locken, im Walde verlaufen.
Mit einem Male sieht die Frau beim Leuchten des Blitzes etwas Weißes
neben sich im Moose. Es ist der Stab ihres Mannes, und fast im selben
Augenblicke bricht der Hund durchs Gebüsch und trägt etwas im Maule: es
ist der Schuh ihres Mannes. Nicht lange, so ist in einem mit dürrem
Laube gefüllten Graben der Leichnam des Juden gefunden. --
Dies war die Angabe des Knechtes, von der Frau nur im allgemeinen
unterstützt; ihre übergroße Spannung hatte nachgelassen, und sie schien
jetzt halb verwirrt oder vielmehr stumpfsinnig. »Aug um Auge, Zahn um
Zahn!« dies waren die einzigen Worte, die sie zuweilen hervorstieß.
In derselben Nacht noch wurden die Schützen aufgeboten, um Friedrich zu
verhaften. Der Anklage bedurfte es nicht, da Herr von S. selbst Zeuge
eines Auftritts gewesen war, der den dringendsten Verdacht auf ihn
werfen mußte; zudem die Gespenstergeschichte von jenem Abende, das
Aneinanderschlagen der Stäbe im Brederholz, der Schrei aus der Höhe. Da
der Amtsschreiber gerade abwesend war, so betrieb Herr von S. selbst
alles rascher, als sonst geschehen wäre. Dennoch begann die Dämmerung
bereits anzubrechen, bevor die Schützen so geräuschlos wie möglich das
Haus der armen Margret umstellt hatten. Der Gutsherr selber pochte an;
es währte kaum eine Minute, bis geöffnet ward und Margret völlig
gekleidet in der Türe erschien. Herr von S. fuhr zurück; er hatte sie
fast nicht erkannt, so blaß und steinern sah sie aus. »Wo ist
Friedrich?« fragte er mit unsicherer Stimme. --
»Sucht ihn«, antwortete sie und setzte sich auf einen Stuhl. Der
Gutsherr zögerte noch einen Augenblick.
»Herein, herein!« sagte er dann barsch; »worauf warten wir?« Man trat in
Friedrichs Kammer. Er war nicht da, aber das Bett noch warm. Man stieg
auf den Söller, in den Keller, stieß ins Stroh, schaute hinter jedes
Faß, sogar in den Backofen; er war nicht da. Einige gingen in den
Garten, sahen hinter den Zaun und in die Apfelbäume hinauf; er war nicht
zu finden. --
»Entwischt!« sagte der Gutsherr mit sehr gemischten Gefühlen: der
Anblick der alten Frau wirkte gewaltig auf ihn. »Gebt den Schlüssel zu
jenem Koffer.« -- Margret antwortete nicht. -- »Gebt den Schlüssel!«
wiederholte der Gutsherr und merkte jetzt erst, daß der Schlüssel
steckte. Der Inhalt des Koffers kam zum Vorschein: des Entflohenen gute
Sonntagskleider und seiner Mutter ärmlicher Staat; dann zwei
Leichenhemden mit schwarzen Bändern, das eine für einen Mann, das andere
für eine Frau gemacht. Herr von S. war tief erschüttert. Ganz zu unterst
auf dem Boden des Koffers lag die silberne Uhr und einige Schriften von
sehr leserlicher Hand, eine derselben von einem Manne unterzeichnet, den
man in starkem Verdacht der Verbindung mit den Holzfrevlern hatte. Herr
von S. nahm sie mit zur Durchsicht, und man verließ das Haus, ohne daß
Margret ein anderes Lebenszeichen von sich gegeben hätte, als daß sie
unaufhörlich die Lippen nagte und mit den Augen zwinkerte.
[Illustration]
Im Schlosse angelangt, fand der Gutsherr den Amtsschreiber, der schon am
vorigen Abend heimgekommen war und behauptete, die ganze Geschichte
verschlafen zu haben, da der gnädige Herr nicht nach ihm geschickt. --
»Sie kommen immer zu spät«, sagte Herr von S. verdrießlich. »War denn
nicht irgendein altes Weib im Dorfe, das Ihrer Magd die Sache erzählte?
und warum weckte man Sie dann nicht?« -- »Gnädiger Herr,« versetzte
Kapp, »allerdings hat meine Anne-Marie den Handel um eine Stunde früher
erfahren als ich; aber sie wußte, daß Ihre Gnaden die Sache selbst
leiteten, und dann,« fügte er mit klagender Miene hinzu, »daß ich so
todmüde war!« -- »Schöne Polizei!« murmelte der Gutsherr, »jede alte
Schachtel im Dorf weiß Bescheid, wenn es recht geheim zugehen soll.«
Dann fuhr er heftig fort: »Das müßte wahrhaftig ein dummer Teufel von
Delinquenten sein, der sich packen ließe.«
Beide schwiegen eine Weile. -- »Mein Fuhrmann hatte sich in der Nacht
verirrt,« hob der Amtsschreiber wieder an; »über eine Stunde lang
hielten wir im Walde; es war ein Mordwetter; ich dachte, der Wind werde
den Wagen umreißen. Endlich, als der Regen nachließ, fuhren wir in
Gottes Namen darauflos, immer in das Zellerfeld hinein, ohne eine Hand
vor den Augen zu sehen. Da sagte der Kutscher: ›Wenn wir nur nicht den
Steinbrüchen zu nahe kommen!‹ Mir war selbst bange; ich ließ halten und
schlug Feuer, um wenigstens etwas Unterhaltung an meiner Pfeife zu
haben. Mit einem Male hörten wir ganz nah, perpendikulär unter uns die
Glocke schlagen. Euer Gnaden mögen glauben, daß mir fatal zumut wurde.
Ich sprang aus dem Wagen, denn seinen eigenen Beinen kann man trauen,
aber denen der Pferde nicht. So stand ich, in Kot und Regen, ohne mich
zu rühren, bis es gottlob sehr bald anfing zu dämmern. Und wo hielten
wir? dicht an der Heerser Tiefe, und den Turm von Heerse gerade unter
uns. Wären wir noch zwanzig Schritt weiter gefahren, wir wären alle
Kinder des Todes gewesen.« -- »Das war in der Tat kein Spaß«, versetzte
der Gutsherr, halb versöhnt.
Er hatte unterdessen die mitgenommenen Papiere durchgesehen. Es waren
Mahnbriefe um geliehene Gelder, die meisten von Wucherern. -- »Ich hätte
nicht gedacht,« murmelte er, »daß die Mergels so tief drin steckten.« --
»Ja, und daß es so an den Tag kommen muß,« versetzte Kapp; »das wird
kein kleiner Ärger für Frau Margret sein.« -- »Ach Gott, die denkt jetzt
daran nicht!« Mit diesen Worten stand der Gutsherr auf und verließ das
Zimmer, um mit Herrn Kapp die gerichtliche Leichenschau vorzunehmen.
-- Die Untersuchung war kurz, gewaltsamer Tod erwiesen, der vermutliche
Täter entflohen, die Anzeigen gegen ihn zwar gravierend, doch ohne
persönliches Geständnis nicht beweisend, seine Flucht allerdings sehr
verdächtig. So mußte die gerichtliche Verhandlung ohne genügenden Erfolg
geschlossen werden.
Die Juden der Umgegend hatten großen Anteil gezeigt. Das Haus der Witwe
ward nie leer von Jammernden und Ratenden.
[Illustration]
Seit Menschengedenken waren nicht so viel Juden beisammen in L. gesehen
worden.
Durch den Mord ihres Glaubensgenossen aufs äußerste erbittert, hatten
sie weder Mühe noch Geld gespart, dem Täter auf die Spur zu kommen. Man
weiß sogar, daß einer derselben, gemeinhin der Wucherjoel genannt, einem
seiner Kunden, der ihm mehrere Hunderte schuldete und den er für einen
besonders listigen Kerl hielt, Erlaß der ganzen Summe angeboten hatte,
falls er ihm zur Verhaftung des Mergel verhelfen wolle; denn der Glaube
war allgemein unter den Juden, daß der Täter nur mit guter Beihilfe
entwischt und wahrscheinlich noch in der Umgegend sei. Als dennoch alles
nichts half und die gerichtliche Verhandlung für beendet erklärt worden
war, erschien am nächsten Morgen eine Anzahl der angesehensten
Israeliten im Schlosse, um dem gnädigen Herrn einen Handel anzutragen.
Der Gegenstand war die Buche, unter der Aarons Stab gefunden und wo der
Mord wahrscheinlich verübt worden war. -- »Wollt ihr sie fällen? so
mitten im vollen Laube?« fragte der Gutsherr. --
»Nein, Ihro Gnaden, sie muß stehenbleiben im Sommer und Winter, solange
ein Span daran ist.« -- »Aber wenn ich nun den Wald hauen lasse, so
schadet es dem jungen Aufschlag.« -- »Wollen wir sie doch nicht um
gewöhnlichen Preis.« -- Sie boten zweihundert Taler. Der Handel ward
geschlossen und allen Förstern streng eingeschärft, die Judenbuche auf
keine Weise zu schädigen.
Darauf sah man an einem Abende wohl gegen sechzig Juden, ihren Rabbiner
an der Spitze, in das Brederholz ziehen, alle schweigend und mit
gesenkten Augen.
Sie blieben über eine Stunde im Walde und kehrten dann ebenso ernst und
feierlich zurück, durch das Dorf B. bis in das Zellerfeld, wo sie sich
zerstreuten und jeder seines Weges ging. Am nächsten Morgen stand an der
Buche mit dem Beil eingehauen:
אִם תַּעֲמוֹד בַּמָּקוֹם הַזֶּה יִפְגַּע
בָּךְ כַּאֲשֶׁר אַתָּה עָשִׂיתָ לִי
[Illustration]
Und wo war Friedrich? Ohne Zweifel fort, weit genug, um die kurzen Arme
einer so schwachen Polizei nicht mehr fürchten zu dürfen. Er war bald
verschollen, vergessen. Ohm Simon redete selten von ihm, und dann
schlecht; die Judenfrau tröstete sich am Ende und nahm einen andern
Mann. Nur die arme Margret blieb ungetröstet.
Etwa ein halbes Jahr nachher las der Gutsherr einige eben erhaltene
Briefe in Gegenwart des Amtsschreibers. --
»Sonderbar, sonderbar!« sagte er. »Denken Sie sich, Kapp, der Mergel ist
vielleicht unschuldig an dem Morde. Soeben schreibt mir der Präsident
des Gerichtes zu P.: ›_Le vrai n'est pas toujours vraisemblable_; das
erfahre ich oft in meinem Berufe und jetzt neuerdings. Wissen Sie wohl,
daß Ihr lieber Getreuer, Friedrich Mergel, den Juden mag ebensowenig
erschlagen haben als ich oder Sie? Leider fehlen die Beweise, aber die
Wahrscheinlichkeit ist groß. Ein Mitglied der Schlemmingschen Bande (die
wir jetzt, nebenbei gesagt, größtenteils unter Schloß und Riegel haben),
Lumpenmoises genannt, hat im letzten Verhöre ausgesagt, daß ihn nichts
so sehr gereue, als der Mord eines Glaubensgenossen, Aaron, den er im
Walde erschlagen und doch nur sechs Groschen bei ihm gefunden habe.
Leider ward das Verhör durch die Mittagsstunde unterbrochen, und
während wir tafelten, hat sich der Hund von einem Juden an seinem
Strumpfband erhängt. Was sagen Sie dazu? Aaron ist zwar ein verbreiteter
Name usw.‹ -- Was sagen Sie dazu?« wiederholte der Gutsherr; »und weshalb
wäre der Esel von einem Burschen denn gelaufen?« --
Der Amtsschreiber dachte nach. -- »Nun, vielleicht der Holzfrevel wegen,
mit denen wir ja gerade in Untersuchung waren. Heißt es nicht: der Böse
läuft vor seinem eigenen Schatten? Mergels Gewissen war schmutzig genug
auch ohne diesen Flecken.«
Dabei beruhigte man sich. Friedrich war hin, verschwunden, und --
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  • Die Judenbuche - 4
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