Die Juden - 1

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DIE JUDEN
von GOTTHOLD EPHRAIM LESSING
Ein Lustspiel in einem Aufzuge
Verfertiget im Jahre 1749.

Personen:
Michel Stich
Martin Krumm
Ein Reisender
Christoph, dessen Bedienter
Der Baron
Ein junges Fräulein, dessen Tochter
Lisette


Erster Auftritt
Michel Stich. Martin Krumm.

Martin Krumm. Du dummer Michel Stich!
Michel Stich. Du dummer Martin Krumm!
Martin Krumm. Wir wollen's nur gestehen, wir sind beide erzdumm
gewesen. Es wäre ja auf einen nicht angekommen, den wir mehr
totgeschlagen hätten!
Michel Stich. Wie hätten wir es aber klüger können anfangen? Waren
wir nicht gut vermummt? war nicht der Kutscher auf unsrer Seite?
konnten wir was dafür, daß uns das Glück so einen Querstrich machte?
Habe ich doch vielhundertmal gesagt: das verdammte Glücke! ohne das
kann man nicht einmal ein guter Spitzbube sein.
Martin Krumm. Je nu, wenn ich's beim Lichte besehe, so sind wir kaum
dadurch auf ein paar Tage länger dem Stricke entgangen.
Michel Stich. Ah, es hat sich was mit dem Stricke! Wenn alle Diebe
gehangen würden, die Galgen müßten dichter stehn. Man sieht ja kaum
aller zwei Meilen einen; und wo auch einer steht, steht er meist leer.
Ich glaube, die Herren Richter werden, aus Höflichkeit, die Dinger
gar eingehen lassen. Zu was sind sie auch nütze? Zu nichts, als aufs
höchste, daß unsereiner, wenn er vorbeigeht, die Augen zublinzt.
Martin Krumm. Oh! das tu ich nicht einmal. Mein Vater und mein
Großvater sind daran gestorben, was will ich's besser verlangen? Ich
schäme mich meiner Eltern nicht.
Michel Stich. Aber die ehrlichen Leute werden sich deiner schämen.
Du hast noch lange nicht so viel getan, daß man dich für ihren rechten
und echten Sohn halten kann.
Martin Krumm. Oh! denkst du denn, daß es deswegen unserm Herrn soll
geschenkt sein? Und an dem verzweifelten Fremden, der uns so einen
fetten Bissen aus dem Munde gerissen hat, will ich mich gewiß auch
rächen. Seine Uhr soll er so richtig müssen dalassen--Ha! sieh, da
kömmt er gleich. Hurtig geh fort! ich will mein Meisterstück machen.
Michel Stich. Aber halbpart! halbpart!

Zweiter Auftritt
Martin Krumm. Der Reisende.

Martin Krumm. Ich will mich dumm stellen.--Ganz dienstwilliger Diener,
mein Herr,--ich werde Martin Krumm heißen, und werde, auf diesem Gute
hier, wohlbestallter Vogt sein.
Der Reisende. Das glaube ich Euch, mein Freund. Aber habt Ihr nicht
meinen Bedienten gesehen?
Martin Krumm. Ihnen zu dienen, nein; aber ich habe wohl von Dero
preiswürdigen Person sehr viel Gutes zu hören die Ehre gehabt. Und es
erfreut mich also, daß ich die Ehre habe, die Ehre Ihrer Bekanntschaft
zu genießen. Man sagt, daß Sie unsern Herrn gestern abends, auf der
Reise, aus einer sehr gefährlichen Gefahr sollen gerissen haben. Wie
ich nun nicht anders kann, als mich des Glücks meines Herrn zu
erfreuen, so erfreu ich mich--
Der Reisende. Ich errate, was Ihr wollt;
Ihr wollt Euch bei mir bedanken, daß ich Eurem Herrn beigestanden
habe--
Martin Krumm. Ja, ganz recht; eben das!
Der Reisende. Ihr seid ein ehrlicher Mann--
Martin Krumm. Das bin ich! Und mit der Ehrlichkeit kömmt man immer
auch am weitesten.
Der Reisende. Es ist mir kein geringes Vergnügen, daß ich mir, durch
eine so kleine Gefälligkeit, so viel rechtschaffne Leute verbindlich
gemacht habe. Ihre Erkenntlichkeit ist eine überflüssige Belohnung
dessen, was ich getan habe. Die allgemeine Menschenliebe verband mich
darzu. Es war meine Schuldigkeit; und ich müßte zufrieden sein, wenn
man es auch für nichts anders, als dafür, angesehen hätte. Ihr seid
allzu gütig, ihr lieben Leute, daß ihr euch dafür bei mir bedanket,
was ihr mir, ohne Zweifel, mit ebenso vielem Eifer würdet erwiesen
haben, wenn ich mich in ähnlicher Gefahr befunden hätte. Kann ich
Euch sonst worin dienen, mein Freund?
Martin Krumm. Oh! mit dem Dienen, mein Herr, will ich Sie nicht
beschweren. Ich habe meinen Knecht, der mich bedienen muß, wann's
nötig ist. Aber--wissen möcht ich wohl gern, wie es doch dabei
zugegangen wäre? Wo war's denn? Waren's viel Spitzbuben? Wollten
sie unsern guten Herrn gar ums Leben bringen, oder wollten sie ihm nur
sein Geld abnehmen? Es wäre doch wohl eins besser gewesen, als das
andre.
Der Reisende. Ich will Euch mit wenigem den ganzen Verlauf erzählen.
Es mag ohngefähr eine Stunde von hier sein, wo die Räuber Euren Herrn,
in einem hohlen Wege, angefallen hatten. Ich reisete eben diesen Weg,
und sein ängstliches Schreien um Hülfe bewog mich, daß ich nebst
meinem Bedienten eilends herzuritt.
Martin Krumm. Ei! ei!
Der Reisende. Ich fand ihn in einem offnen Wagen--
Martin Krumm. Ei! ei!
Der Reisende. Zwei vermummte Kerle--
Martin Krumm. Vermummte? ei! ei!
Der Reisende. Ja! machten sich schon über ihn her.
Martin Krumm. Ei! ei!
Der Reisende. Ob sie ihn umbringen, oder ob sie ihn nur binden
wollten, ihn alsdann desto sichrer zu plündern, weiß ich nicht.
Martin Krumm. Ei! ei! Ach freilich werden sie ihn wohl haben
umbringen wollen: die gottlosen Leute!
Der Reisende. Das will ich eben nicht behaupten, aus Furcht ihnen
zuviel zu tun.
Martin Krumm. Ja, ja, glauben Sie mir nur, sie haben ihn umbringen
wollen. Ich weiß, ich weiß ganz gewiß--
Der Reisende. Woher könnt Ihr
das wissen? Doch es sei. Sobald mich die Räuber ansichtig wurden,
verließen sie ihre Beute, und liefen über Macht dem nahen Gebüsche zu.
Ich lösete das Pistol auf einen. Doch es war schon zu dunkel, und er
schon zu weit entfernt, daß ich also zweifeln muß, ob ich ihn
getroffen habe.
Martin Krumm. Nein, getroffen haben Sie ihn nicht;--
Der Reisende. Wißt Ihr es?
Martin Krumm. Ich meine nur so, weil's doch schon finster gewesen ist:
und im Finstern soll man, hör ich, nicht gut zielen können.
Der Reisende. Ich kann Euch nicht beschreiben, wie erkenntlich sich
Euer Herr gegen mich bezeugte. Er nannte mich hundertmal seinen
Erretter und nötigte mich, mit ihm auf sein Gut zurückzukehren. Ich
wollte wünschen, daß es meine Umstände zuließen, länger um diesen
angenehmen Mann zu sein; so aber muß ich mich noch heute wieder auf
den Weg machen--Und eben deswegen suche ich meinen Bedienten.
Martin Krumm. Oh! lassen Sie sich doch die Zeit bei mir nicht so lang
werden. Verziehen Sie noch ein wenig--Ja! was wollte ich denn noch
fragen? Die Räuber,--sagen Sie mir doch--wie sahen sie denn aus? Wie
gingen sie denn? Sie hatten sich verkleidet; aber wie?
Der Reisende. Euer Herr will durchaus behaupten, es wären Juden
gewesen. Bärte hatten sie, das ist wahr; aber ihre Sprache war die
ordentliche hiesige Baurensprache. Wenn sie vermummt waren, wie ich
gewiß glaube, so ist ihnen die Dämmerung sehr wohl zustatten gekommen.
Denn ich begreife nicht, wie Juden die Straßen sollten können
unsicher machen, da doch in diesem Lande so wenige geduldet werden.
Martin Krumm. Ja, ja, das glaub ich ganz gewiß auch, daß es Juden
gewesen sind. Sie mögen das gottlose Gesindel noch nicht so kennen.
So viel als ihrer sind, keinen ausgenommen, sind Betrüger, Diebe und
Straßenräuber. Darum ist es auch ein Volk, das der liebe Gott
verflucht hat. Ich dürfte nicht König sein: ich ließ' keinen, keinen
einzigen am Leben. Ach! Gott behüte alle rechtschaffne Christen vor
diesen Leuten! Wenn sie der liebe Gott nicht selber haßte, weswegen
wären denn nur vor kurzem, bei dem Unglücke in Breslau, ihrer bald
noch einmal soviel als Christen geblieben? Unser Herr Pfarr erinnerte
das sehr weislich in der letzten Predigt. Es ist, als wenn sie
zugehört hätten, daß sie sich gleich deswegen an unserm guten Herrn
haben rächen wollen. Ach! mein lieber Herr, wenn Sie wollen Glück und
Segen in der Welt haben, so hüten Sie sich vor den Juden ärger als vor
der Pest.
Der Reisende. Wollte Gott, daß das nur die Sprache des Pöbels wäre!
Martin Krumm. Mein Herr, zum Exempel: Ich bin einmal auf der Messe
gewesen--ja! wenn ich an die Messe gedenke, so möchte ich gleich die
verdammten Juden alle auf einmal mit Gift vergeben, wenn ich nur
könnte. Dem einen hatten sie im Gedränge das Schnupftuch, dem andern
die Tobaksdose, dem dritten die Uhr, und ich weiß nicht was sonst mehr,
wegstibitzt. Geschwind sind sie, ochsenmäßig geschwind, wenn es aufs
Stehlen ankömmt. So behende, als unser Schulmeister nimmermehr auf
der Orgel ist. Zum Exempel, mein Herr: Erstlich drängen sie sich an
einen heran, so wie ich mich ungefähr jetzt an Sie--
Der Reisende. Nur ein wenig höflicher, mein Freund!--
Martin Krumm. Oh! lassen Sie sich's doch nur weisen. Wenn sie nun so
stehen,--sehen Sie,--wie der Blitz sind sie mit der Hand nach der
Uhrtasche. (Er fährt mit der Hand, anstatt nach der Uhr, in die
Rocktasche, und nimmt ihm seine Tobaksdose heraus.) Das können sie nun
aber alles so geschickt machen, daß man schwören sollte, sie führen
mit der Hand dahin, wenn sie dorthin fahren. Wenn sie von der
Tobaksdose reden, so zielen sie gewiß nach der Uhr, und wenn sie von
der Uhr reden, so haben sie gewiß die Tobaksdose zu stehlen im Sinne.
(Er will ganz sauber nach der Uhr greifen, wird aber ertappt.)
Der Reisende. Sachte! sachte! Was hat Eure Hand hier zu suchen?
Martin Krumm. Da können Sie sehn, mein Herr, was ich für ein
ungeschickter Spitzbube sein würde. Wenn ein Jude schon so einen
Griff getan hätte, so wäre es gewiß um die gute Uhr geschehn
gewesen--Doch weil ich sehe, daß ich Ihnen beschwerlich falle, so
nehme ich mir die Freiheit, mich Ihnen bestens zu empfehlen, und
verbleibe zeitlebens für Dero erwiesene Wohltaten, meines
hochzuehrenden Herrn gehorsamster Diener, Martin Krumm, wohlbestallter
Vogt auf diesem hochadeligen Rittergute.
Der Reisende. Geht nur, geht.
Martin Krumm. Erinnern Sie sich ja, was ich Ihnen von den Juden
gesagt habe. Es ist lauter gottloses diebisches Volk.

Dritter Auftritt
Der Reisende.

Der Reisende. Vielleicht ist dieser Kerl, so dumm er ist, oder sich
stellt, ein boshafterer Schelm, als je einer unter den Juden gewesen
ist. Wenn ein Jude betrügt, so hat ihn, unter neun Malen, der Christ
vielleicht siebenmal dazu genötiget. Ich zweifle, ob viel Christen
sich rühmen können, mit einem Juden aufrichtig verfahren zu sein: und
sie wundern sich, wenn er ihnen Gleiches mit Gleichem zu vergelten
sucht? Sollen Treu' und Redlichkeit unter zwei Völkerschaften
herrschen, so müssen beide gleich viel dazu beitragen. Wie aber, wenn
es bei der einen ein Religionspunkt und beinahe ein verdienstliches
Werk wäre, die andre zu verfolgen? Doch--

Vierter Auftritt
Der Reisende. Christoph.

Der Reisende. Daß man Euch doch allezeit eine Stunde suchen muß, wenn
man Euch haben will.
Christoph. Sie scherzen, mein Herr. Nicht wahr, ich kann nicht mehr,
als an einem Orte zugleich sein? Ist es also meine Schuld, daß Sie
sich nicht an diesen Ort begeben? Gewiß Sie finden mich allezeit da,
wo ich bin.
Der Reisende. So? und Ihr taumelt gar? Nun begreif ich, warum Ihr so
sinnreich seid. Müßt Ihr Euch denn schon frühmorgens besaufen?
Christoph. Sie reden von Besaufen, und ich habe kaum zu trinken
angefangen. Ein paar Flaschen guten Landwein, ein paar Gläser
Branntwein, und eine Mundsemmel ausgenommen, habe ich, so wahr ich ein
ehrlicher Mann bin, nicht das geringste zu mir genommen. Ich bin noch
ganz nüchtern.
Der Reisende. Oh! das sieht man Euch an. Und ich rate Euch, als ein
Freund, die Portion zu verdoppeln.
Christoph. Vortrefflicher Rat! Ich werde nicht unterlassen, ihn,
nach meiner Schuldigkeit, als einen Befehl anzusehen. Ich gehe, und
Sie sollen sehen, wie gehorsam ich zu sein weiß.
Der Reisende. Seid klug! Ihr könnt dafür gehn, und die Pferde
satteln und aufpacken. Ich will noch diesen Vormittag fort.
Christoph. Wenn Sie mir im Scherze geraten haben, ein doppeltes
Frühstück zu nehmen, wie kann ich mir einbilden, daß Sie jetzt im
Ernste reden? Sie scheinen sich heute mit mir erlustigen zu wollen.
Macht Sie etwa das junge Fräulein so aufgeräumt? Oh! es ist ein
allerliebstes Kind.--Nur noch ein wenig älter, ein klein wenig älter
sollte sie sein. Nicht wahr, mein Herr? wenn das Frauenzimmer nicht
zu einer gewissen Reife gelangt ist,--
Der Reisende. Geht, und tut, was ich Euch befohlen habe.
Christoph. Sie werden ernsthaft. Nichtsdestoweniger werde ich warten,
bis Sie mir es das drittemal befehlen. Der Punkt ist zu wichtig!
Sie könnten sich übereilt haben. Und ich bin allezeit gewohnt gewesen,
meinen Herren Bedenkzeit zu gönnen. Überlegen Sie es wohl, einen
Ort, wo wir fast auf den Händen getragen werden, so zeitig wieder zu
verlassen? Gestern sind wir erst gekommen. Wir haben uns um den
Herrn unendlich verdient gemacht, und gleichwohl bei ihm kaum eine
Abendmahlzeit und ein Frühstück genossen.
Der Reisende. Eure Grobheit ist unerträglich. Wenn man sich zu
dienen entschließt, sollte man sich gewöhnen, weniger Umstände zu
machen.
Christoph. Gut, mein Herr! Sie fangen an zu moralisieren, das ist:
Sie werden zornig. Mäßigen Sie sich; ich gehe schon--
Der Reisende. Ihr müßt wenig Überlegungen zu machen gewohnt sein.
Das, was wir diesem Herrn erwiesen haben, verlieret den Namen einer
Wohltat, sobald wir die geringste Erkenntlichkeit dafür zu erwarten
scheinen. Ich hätte mich nicht einmal sollen mit hieher nötigen
lassen. Das Vergnügen, einem Unbekannten ohne Absicht beigestanden zu
haben, ist schon vor sich so groß! Und er selbst würde uns mehr Segen
nachgewünscht haben, als er uns jetzt übertriebene Danksagung hält.
Wen man in die Verbindlichkeit setzt, sich weitläuftig, und mit dabei
verknüpften Kosten zu bedanken, der erweiset uns einen Gegendienst,
der ihm vielleicht saurer wird, als uns unsere Wohltat geworden. Die
meisten Menschen sind zu verderbt, als daß ihnen die Anwesenheit eines
Wohltäters nicht höchst beschwerlich sein sollte. Sie scheint ihren
Stolz zu erniedrigen;--
Christoph. Ihre Philosophie, mein Herr, bringt Sie um den Atem. Gut!
Sie sollen sehen, daß ich ebenso großmütig bin, als Sie. Ich gehe;
in einer Viertelstunde sollen Sie sich aufsetzen können.

Fünfter Auftritt
Der Reisende. Das Fräulein.

Der Reisende. So wenig ich mich mit diesem Menschen gemein gemacht
habe, so gemein macht er sich mit mir.
Das Fräulein. Warum verlassen Sie uns, mein Herr? Warum sind Sie
hier so allein? Ist Ihnen unser Umgang schon die wenigen Stunden, die
Sie bei uns sind, zuwider geworden? Es sollte mir leid tun. Ich
suche aller Welt zu gefallen; und Ihnen möchte ich, vor allen andern,
nicht gern mißfallen.
Der Reisende. Verzeihen Sie mir, Fräulein. Ich habe nur meinem
Bedienten befehlen wollen, alles zur Abreise fertig zu halten.
Das Fräulein. Wovon reden Sie? von Ihrer Abreise? Wenn war denn Ihre
Ankunft? Es sei noch, wenn Sie über Jahr und Tag eine melancholische
Stunde auf diesen Einfall brächte. Aber wie, nicht einmal einen
völligen Tag aushalten wollen? Das ist zu arg. Ich sage es ihnen,
ich werde böse, wenn Sie noch einmal daran gedenken.
Der Reisende. Sie könnten mir nichts Empfindlichers drohen.
Das Fräulein. Nein? im Ernst? ist es wahr, würden Sie empfindlich
sein, wenn ich böse auf Sie würde?
Der Reisende. Wem sollte der Zorn eines liebenswürdigen Frauenzimmers
gleichgültig sein können?
Das Fräulein. Was Sie sagen, klingt zwar beinahe, als wenn Sie
spotten wollten, doch ich will es für Ernst aufnehmen; gesetzt, ich
irrte mich auch. Also, mein Herr,--ich bin ein wenig liebenswürdig,
wie man mir gesagt hat,--und ich sage Ihnen noch einmal, ich werde
entsetzlich, entsetzlich zornig werden, wenn Sie, binnen hier und dem
neuen Jahr, wieder an Ihre Abreise gedenken.
Der Reisende. Der Termin ist sehr liebreich bestimmt. Alsdann
wollten Sie mir, mitten im Winter, die Türe weisen; und bei dem
unbequemsten Wetter-Das Fräulein. Ei! wer sagt das? Ich sage nur,
daß Sie alsdann, des Wohlstands halber, etwa einmal an die Abreise
denken können. Wir werden Sie deswegen nicht fortlassen; wir wollen
Sie schon bitten--
Der Reisende. Vielleicht auch des Wohlstands halber?
Das Fräulein. Ei! seht, man sollte nicht glauben, daß ein so
ehrliches Gesicht auch spotten könnte.--Ah! da kömmt der Papa. Ich
muß fort! Sagen Sie ja nicht, daß ich bei Ihnen gewesen bin. Er
wirft mir so oft genug vor, daß ich gern um Mannspersonen wäre.

Sechster Auftritt
Der Baron. Der Reisende.

Der Baron. War nicht meine Tochter bei Ihnen? Warum läuft denn das
wilde Ding?
Der Reisende. Das Glück ist unschätzbar, eine so angenehme und muntre
Tochter zu haben. Sie bezaubert durch ihre Reden, in welchen die
liebenswürdigste Unschuld, der ungekünsteltste Witz herrschst.
Der Baron. Sie urteilen zu gütig von ihr. Sie ist wenig unter
ihresgleichen gewesen, und besitzt die Kunst zu gefallen, die man
schwerlich auf dem Lande erlernen kann, und die doch oft mehr, als die
Schönheit selbst vermag, in einem sehr geringen Grade. Es ist alles
bei ihr noch die sich selbst gelaßne Natur.
Der Reisende. Und diese ist desto einnehmender, je weniger man sie in
den Städten antrifft. Alles ist da verstellt, gezwungen und erlernt.
Ja man ist schon so weit darin gekommen, daß man Dummheit, Grobheit
und Natur für gleich viel bedeutende Wörter hält.
Der Baron. Was könnte mir angenehmer sein, als daß ich sehe, wie
unsre Gedanken und Urteile so sehr übereinstimmen? Oh! daß ich nicht
längst einen Freund Ihresgleichen gehabt habe!
Der Reisende. Sie werden ungerecht gegen Ihre übrigen Freunde.
Der Baron. Gegen meine übrigen Freunde, sagen Sie? Ich bin funfzig
Jahr alt.--Bekannte habe ich gehabt, aber noch keinen Freund. Und
niemals ist mir die Freundschaft so reizend vorgekommen, als seit den
wenigen Stunden, da ich nach der Ihrigen strebe. Wodurch kann ich sie
verdienen?
Der Reisende. Meine Freundschaft bedeutet so wenig; daß das bloße
Verlangen darnach ein genugsames Verdienst ist, sie zu erhalten. Ihre
Bitte ist weit mehr wert, als das, was Sie bitten.
Der Baron. Oh, mein Herr, die Freundschaft eines Wohltäters-Der
Reisende. Erlauben Sie,--ist keine Freundschaft. Wenn Sie mich unter
dieser falschen Gestalt betrachten, so kann ich Ihr Freund nicht sein.
Gesetzt einen Augenblick, ich wäre Ihr Wohltäter: würde ich nicht zu
befürchten haben, daß Ihre Freundschaft nichts, als eine wirksame
Dankbarkeit wäre?
Der Baron. Sollte sich beides nicht verbinden lassen?
Der Reisende. Sehr schwer! Diese hält ein edles Gemüt für seine
Pflicht; jene erfodert lauter willkürliche Bewegungen der Seele.
Der Baron. Aber wie sollte ich--Ihr allzu zärtlicher Geschmack macht
mich ganz verwirrt.--
Der Reisende. Schätzen Sie mich nur nicht höher, als ich es verdiene.
Aufs höchste bin ich ein Mensch, der seine Schuldigkeit mit Vergnügen
getan hat. Die Schuldigkeit an sich selbst ist keiner Dankbarkeit
wert. Daß ich sie aber mit Vergnügen getan habe, dafür bin ich
genugsam durch Ihre Freundschaft belohnt.
Der Baron. Diese Großmut verwirrt mich nur noch mehr.--Aber ich bin
vielleicht zu verwegen.--Ich habe mich noch nicht unterstehen wollen,
nach Ihrem Namen, nach Ihrem Stande zu fragen.--Vielleicht biete ich
meine Freundschaft einem an, der--der sie zu verachten--
Der Reisende. Verzeihen Sie, mein Herr!--Sie--Sie machen sich--Sie
haben allzu große Gedanken von mir.
Der Baron (beiseite). Soll ich ihn wohl fragen? Er kann meine
Neugierde übelnehmen.
Der Reisende (beiseite). Wenn er mich fragt, was werde ich ihm
antworten?
Der Baron (beiseite). Frage ich ihn nicht, so kann er es als eine
Grobheit auslegen.
Der Reisende (beiseite). Soll ich ihm die Wahrheit sagen?
Der Baron (beiseite). Doch ich will den sichersten Weg gehen. Ich
will erst seinen Bedienten ausfragen lassen.
Der Reisende (beiseite). Könnte ich doch dieser Verwirrung überhoben
sein!--
Der Baron. Warum so nachdenkend?
Der Reisende. Ich war gleich bereit, diese Frage an Sie zu tun, mein
Herr--
Der Baron. Ich weiß es, man vergißt sich dann und wann. Lassen Sie
uns von etwas andern reden--Sehen Sie, daß es wirkliche Juden gewesen
sind, die mich angefallen haben? Nur jetzt hat mir mein Schulze
gesagt, daß er vor einigen Tagen ihrer drei auf der Landstraße
angetroffen. Wie er sie mir beschreibt, haben sie Spitzbuben
ähnlicher, als ehrlichen Leuten, gesehen. Und warum sollte ich auch
daran zweifeln? Ein Volk, das auf den Gewinst so erpicht ist, fragt
wenig darnach, ob es ihn mit Recht oder Unrecht, mit List oder
Gewaltsamkeit erhält.--Es scheinet auch zur Handelschaft, oder deutsch
zu reden, zur Betrügerei gemacht zu sein. Höflich, frei, unternehmend,
verschwiegen, sind Eigenschaften, die es schätzbar machen würden,
wenn es sie nicht allzusehr zu unserm Unglück anwendete--(Er hält
etwas inne.)--Die Juden haben mir sonst schon nicht wenig Schaden und
Verdruß gemacht. Als ich noch in Kriegsdiensten war, ließ ich mich
bereden, einen Wechsel für einen meiner Bekannten mit zu
unterschreiben; und der Jude, an den er ausgestellet war, brachte mich
nicht allein dahin, daß ich ihn bezahlen, sondern, daß ich ihn sogar
zweimal bezahlen mußte.--Oh! es sind die allerboshaftesten,
niederträchtigsten Leute.--Was sagen sie dazu? Sie scheinen ganz
niedergeschlagen.
Der Reisende. Was soll ich sagen? Ich muß sagen, daß ich diese Klage
sehr oft gehört habe--
Der Baron. Und ist es nicht wahr, ihre Gesichtsbildung hat gleich
etwas, das uns wider sie einnimmt? Das Tückische, das Ungewissenhafte,
das Eigennützige, Betrug und Meineid, sollte man sehr deutlich aus
ihren Augen zu lesen glauben.--Aber, warum kehren Sie sich von mir?
Der Reisende. Wie ich höre, mein Herr, so sind Sie ein großer Kenner
der Physiognomie, und ich besorge, daß die meinige--
Der Baron. Oh! Sie kränken mich. Wie können Sie auf dergleichen
Verdacht kommen? Ohne ein Kenner der Physiognomie zu sein, muß ich
Ihnen sagen, daß ich nie eine so aufrichtige, großmütige und gefällige
Miene gefunden habe, als die Ihrige.
Der Reisende. Ihnen die Wahrheit zu gestehn: ich bin kein Freund
allgemeiner Urteile über ganze Völker--Sie werden meine Freiheit nicht
übelnehmen.--Ich sollte glauben, daß es unter allen Nationen gute und
böse Seelen geben könne. Und unter den Juden--

Siebenter Auftritt
Das Fräulein. Der Reisende. Der Baron.

Das Fräulein. Ach! Papa--
Der Baron. Nu, nu! fein wild, fein wild! Vorhin liefst du vor mir:
was sollte das bedeuten?-Das Fräulein. Vor Ihnen bin ich nicht
gelaufen, Papa: sondern nur vor Ihrem Verweise.
Der Baron. Der Unterscheid ist sehr subtil. Aber was war es denn,
das meinen Verweis verdiente?
Das Fräulein. Oh! Sie werden es schon wissen. Sie sahen es ja! Ich
war bei dem Herrn--
Der Baron. Nun? und-Das Fräulein. Und der Herr ist eine Mannsperson,
und mit den Mannspersonen, haben Sie befohlen, mir nicht allzuviel zu
tun zu machen.--
Der Baron. Daß dieser Herr eine Ausnahme sei, hättest du wohl merken
sollen. Ich wollte wünschen, daß er dich leiden könnte--Ich werde es
mit Vergnügen sehen, wenn du auch beständig um ihn bist.
Das Fräulein. Ach!--es wird wohl das erste- und letztemal gewesen
sein. Sein Diener packt schon auf--Und das wollte ich Ihnen eben
sagen.
Der Baron. Was? wer? sein Diener?
Der Reisende. Ja, mein Herr, ich hab es ihm befohlen. Meine
Verrichtungen und die Besorgnis, Ihnen beschwerlich zu fallen-Der
Baron. Was soll ich ewig davon denken? Soll ich das Glück nicht
haben, Ihnen näher zu zeigen, daß Sie sich ein erkenntliches Herz
verbindlich gemacht haben? Oh! ich bitte Sie, fügen Sie zu Ihrer
Wohltat noch die andre hinzu, die mir ebenso schätzbar, als die
Erhaltung meines Lebens, sein wird; bleiben Sie einige Zeit
--wenigstens einige Tage bei mir; ich würde mir es ewig vorzuwerfen
haben, daß ich einen Mann, wie Sie, ungekannt, ungeehrt, unbelohnt,
wenn es anders in meinem Vermögen steht, von mir gelassen hätte.
Ich habe einige meiner Anverwandten auf heute einladen lassen, mein
Vergnügen mit ihnen zu teilen, und ihnen das Glück zu verschaffen,
meinen Schutzengel kennenzulernen.
Der Reisende. Mein Herr, ich muß notwendig-Das Fräulein. Dableiben,
mein Herr, dableiben! Ich laufe, Ihrem Bedienten zu sagen, daß er
wieder abpacken soll. Doch da ist er schon.

Achter Auftritt
Christoph (in Stiefeln und Sporen, und zwei Mantelsäcke unter den
Armen). Die Vorigen.

Christoph. Nun! mein Herr, es ist alles fertig. Fort! kürzen Sie
Ihre Abschiedsformeln ein wenig ab. Was soll das viele Reden, wenn
wir nicht dableiben können?
Der Baron. Was hindert euch denn, hierzubleiben?
Christoph. Gewisse Betrachtungen, mein Herr Baron, die den Eigensinn
meines Herrn zum Grunde, und seine Großmut zum Vorwande haben.
Der Reisende. Mein Diener ist öfters nicht klug: verzeihen Sie ihm.
Ich sehe, daß Ihre Bitten in der Tat mehr als Komplimente sind. Ich
ergebe mich; damit ich nicht aus Furcht grob zu sein, eine Grobheit
begehen möge.
Der Baron. Oh! was für Dank bin ich Ihnen schuldig!
Der Reisende. Ihr könnt nur gehen, und wieder abpacken! Wir wollen
erst morgen fort.
Das Fräulein. Nu! hört Er nicht? Was steht Er denn da? Er soll gehn,
und wieder abpacken.
Christoph. Von Rechts wegen sollte ich böse werden. Es ist mir auch
beinahe, als ob mein Zorn erwachen wollte; doch weil nichts Schlimmers
daraus erfolgt, als daß wir hier bleiben, und zu essen und zu trinken
bekommen, und wohl gepflegt werden, so mag es sein! Sonst laß ich mir
nicht gern unnötige Mühe machen: wissen Sie das?
Der Reisende. Schweigt! Ihr seid zu unverschämt.
Christoph. Denn ich sage die Wahrheit.
Das Fräulein. Oh! das ist vortrefflich, daß Sie bei uns bleiben. Nun
bin ich Ihnen noch einmal so gut. Kommen Sie, ich will Ihnen unsern
Garten zeigen; er wird Ihnen gefallen.
Der Reisende. Wenn er Ihnen gefällt, Fräulein, so ist es schon so gut,
als gewiß.
Das Fräulein. Kommen Sie nur;--unterdessen wird es Essenszeit. Papa,
Sie erlauben es doch?
Der Baron. Ich werde euch sogar begleiten.
Das Fräulein. Nein, nein, das wollen wir Ihnen nicht zumuten. Sie
werden zu tun haben.
Der Baron. Ich habe jetzt nichts Wichtigers zu tun, als meinen Gast
zu vergnügen.
Das Fräulein. Er wird es Ihnen nicht übelnehmen: nicht wahr, mein
Herr? (Sachte zu ihm.) Sprechen Sie doch Nein. Ich möchte gern mit
Ihnen allein gehen.
Der Reisende. Es wird mich gereuen, daß ich mich so leicht habe
bewegen lassen, hierzubleiben, sobald ich sehe, daß ich Ihnen im
geringsten verhinderlich bin. Ich bitte also--
Der Baron. Oh! warum kehren Sie sich an des Kindes Rede?
Das Fräulein. Kind?--Papa!--beschämen Sie mich doch nicht so!--Der
Herr wird denken, wie jung ich bin!--Lassen Sie es gut sein; ich bin
alt genug, mit Ihnen spazieren zu gehen.--Kommen Sie!--Aber sehen Sie
einmal: Ihr Diener steht noch da, und hat die Mantelsäcke unter den
Armen.
Christoph. Ich dächte, das ginge nur den an, dem es sauer wird?
Der Reisende. Schweigt! Man erzeigt Euch zuviel Ehre--

Neunter Auftritt
Lisette. Die Vorigen.

Der Baron (indem er Lisetten kommen sieht). Mein Herr, ich werde
Ihnen gleich nachfolgen, wann es Ihnen gefällig ist, meine Tochter in
den Garten zu begleiten.
Das Fräulein. Oh! bleiben Sie so lange, als es Ihnen gefällt. Wir
wollen uns schon die Zeit vertreiben. Kommen Sie!
(Das Fräulein und der Reisende gehen ab.)
Der Baron. Lisette, dir habe ich etwas zu sagen!--
Lisette. Nu?
Der Baron (sachte zu ihr). Ich weiß noch nicht, wer unser Gast ist.
Gewisser Ursachen wegen mag ich ihn auch nicht fragen. Könntest du
nicht von seinem Diener--
Lisette. Ich weiß, was Sie wollen. Dazu trieb mich meine
Neugierigkeit von selbst, und deswegen kam ich hieher.--
Der Baron. Bemühe dich also,--und gib mir Nachricht davon. Du wirst
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