Die Harzreise - 5

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Trikot gekleidet, tanzten ein antejustinianeisches Ballet und bekränzten
mit Blumen die zwölf Tafeln; unter Donner und Blitz stieg aus der Erde
der beleidigte Geist der römischen Gesetzgebung; hierauf Posaunen,
Tamtam, Feuerregen, _cum omni causa_.
Aus diesem Lärmen zog mich der Brockenwirt, indem er mich weckte, um den
Sonnenaufgang anzusehen. Auf dem Turm fand ich schon einige Harrende,
die sich die frierenden Hände rieben, andere, noch den Schlaf in den
Augen, taumelten herauf; endlich stand die stille Gemeinde von gestern
Abend wieder ganz versammelt, und schweigend sahen wir, wie am Horizonte
die kleine carmoisinrote Kugel empor stieg, eine winterlich dämmernde
Beleuchtung sich verbreitete, die Berge wie in einem weißwallenden Meere
schwammen, und bloß die Spitzen derselben sichtbar hervor traten, so daß
man auf einem kleinen Hügel zu stehen glaubte, mitten auf einer
überschwemmten Ebene, wo nur hier und da eine trockene Erdscholle
hervortritt. Um das Gesehene und Empfundene in Worten fest zu halten,
zeichnete ich folgendes Gedicht:
Heller wird es schon im Osten
Durch der Sonne kleines Glimmen,
Weit und breit die Bergesgipfel
In dem Nebelmeere schwimmen.
Hätt' ich Siebenmeilenstiefel,
Lief' ich mit der Hast des Windes
Über jene Bergesgipfel,
Nach dem Haus des lieben Kindes.
Von dem Bettchen, wo sie schlummert,
Zög' ich leise die Gardinen,
Leise küßt ich ihre Stirne,
Leise ihres Munds Rubinen.
Und noch leiser wollt' ich flüstern
In die kleinen Lilienohren:
Denk' im Traum, daß wir uns lieben,
Und daß wir uns nie verloren!
Indessen, meine Sehnsucht nach einem Frühstück war ebenfalls groß, und
nachdem ich meinen Damen einige Höflichkeiten gesagt, eilte ich hinab,
um in der warmen Stube Kaffee zu trinken. Es that not; in meinem Magen
sah es so nüchtern aus, wie in der Goslarschen Stephanskirche. Aber mit
dem arabischen Trunk rieselte mir auch der warme Orient durch die
Glieder, östliche Rosen umdufteten mich, süße Bülbüllieder erklangen,
die Studenten verwandelten sich in Kameele, die Brockenhausmädchen mit
ihren Congreve'schen Blicken wurden zu Houris, die Philisternasen wurden
Minarets u. s. w.
Das Buch, das neben mir lag, war aber nicht der Koran. Unsinn enthielt
es freilich genug. Es war das sogenannte Brockenbuch, worin alle
Reisende, die den Berg ersteigen, ihre Namen schreiben, und die meisten
noch einige Gedanken und, in Ermangelung derselben, ihre Gefühle hinzu
notieren. Viele drücken sich sogar in Versen aus. In diesem Buche sieht
man, welche Greuel entstehen, wenn der große Philistertroß bei
gebräuchlichen Gelegenheiten, wie hier auf dem Brocken, sich vorgenommen
hat, poetisch zu werden. Der Palast des Prinzen von Pallagonia enthält
keine so große Abgeschmacktheiten, wie dieses Buch, wo besonders
hervorglänzen die Herren Acciseeinnehmer mit ihren verschimmelten
Hochgefühlen, die Komptoirjünglinge mit ihren pathetischen
Seelenergüssen, die altdeutschen Revolutionsdilettanten mit ihren
Turngemeinplätzen, die Berliner Schullehrer mit ihren verunglückten
Entzückungsphrasen u. s. w. Herr Johannes Hagel will sich auch mal als
Schriftsteller zeigen. Hier wird des Sonnenaufgangs majestätische Pracht
beschrieben; dort wird geklagt über schlechtes Wetter, über getäuschte
Erwartungen, über den Nebel, der alle Aussicht versperrt. »Benebelt
heraufgekommen und benebelt hinuntergegangen!« ist ein stehender Witz,
der hier von Hunderten nachgerissen wird. Eine Karolina schreibt, daß
sie bei der Ersteigung des Berges nasse Füße bekommen. Ein naives
Hannchen hat diese Klage im Sinne, und schreibt lakonisch: Auch ich bin
bei der Geschichte naß geworden. Das ganze Buch riecht nach Käse, Bier
und Tabak; man glaubt einen Roman von Clauren zu lesen.
Während ich nun besagtermaßen Kaffee trank und im Brockenbuche
blätterte, trat der Schweizer mit hochroten Wangen herein, und voller
Begeisterung erzählte er von dem erhabenen Anblick, den er oben auf dem
Turme genossen, als das reine, ruhige Licht der Sonne, Sinnbild der
Wahrheit, mit den nächtlichen Nebelmassen gekämpft, daß es ausgesehen
habe wie eine Geisterschlacht, wo zürnende Riesen ihre langen Schwerter
ausstrecken, geharnischte Ritter auf bäumenden Rossen einher jagen,
Streitwagen, flatternde Banner, abenteuerliche Tierbildungen aus dem
wildesten Gewühle hervortauchen, bis endlich alles in den wahnsinnigsten
Verzerrungen zusammen kräuselt, blasser und blasser zerrinnt, und
spurlos verschwindet. Diese demagogische Naturerscheinung hatte ich
versäumt, und ich kann, wenn es zur Untersuchung kommt, eidlich
versichern, daß ich von nichts weiß, als vom Geschmack des guten
braunen Kaffee's. Ach, dieser war sogar schuld, daß ich meine schöne
Dame vergessen, und jetzt stand sie vor der Thür mit Mutter und
Begleiter, im Begriff den Wagen zu besteigen. Kaum hatte ich noch Zeit,
hin zu eilen und ihr zu versichern, daß es kalt sei. Sie schien
unwillig, daß ich nicht früher gekommen; doch ich glättete bald die
mißmütigen Falten ihrer schönen Stirn, indem ich ihr eine wunderliche
Blume schenkte, die ich den Tag vorher mit halsbrechender Gefahr von
einer steilen Felsenwand gepflückt hatte. Die Mutter verlangte den Namen
der Blume zu wissen, gleichsam als ob sie es unschicklich fände, daß
ihre Tochter eine fremde, unbekannte Blume vor die Brust stecke -- denn
wirklich, die Blume erhielt diesen beneidenswerten Platz, was sie sich
gewiß gestern auf ihrer einsamen Höhe nicht träumen ließ. Der
schweigsame Begleiter öffnete jetzt auf einmal den Mund, zählte die
Staubfäden der Blume, und sagte ganz trocken: Sie gehört zur achten
Klasse.
Es ärgert mich jedesmal, wenn ich sehe, daß man auch Gottes liebe
Blumen, ebenso wie uns, in Kasten eingeteilt hat, und nach ähnlichen
Äußerlichkeiten, nämlich nach Staubfäden-Verschiedenheit. Soll doch mal
eine Einteilung stattfinden, so folge man dem Vorschlage Theophrasts,
der die Blumen mehr nach dem Geiste, nämlich nach ihrem Geruch,
einteilen wollte. Was mich betrifft, so habe ich in der
Naturwissenschaft mein eigenes System, und demnach teile ich alles ein:
in dasjenige, was man essen kann, und in dasjenige, was man nicht essen
kann.
Jedoch der ältern Dame war die geheimnisvolle Natur der Blumen nichts
weniger als verschlossen, und unwillkürlich äußerte sie, daß sie von den
Blumen, wenn sie noch im Garten oder im Topfe wachsen, recht erfreut
werde, daß hingegen ein leises Schmerzgefühl traumhaft beängstigend ihre
Brust durchzittere, wenn sie eine abgebrochene Blume sehe -- da eine
solche doch eigentlich eine Leiche sei, und so eine gebrochene, zarte
Blumenleiche ihr welkes Köpfchen recht traurig herabhängen lasse, wie
ein totes Kind. Die Dame war fast erschrocken über den trüben
Wiederschein ihrer Bemerkung, und es war meine Pflicht, denselben mit
einigen Voltaire'schen Versen zu verscheuchen. Wie doch ein paar
französische Worte uns gleich in die gehörige Konvenienzstimmung
zurückversetzen können! Wir lachten, Hände wurden geküßt, huldreich
wurde gelächelt, die Pferde wieherten, und der Wagen holperte langsam
und beschwerlich den Berg hinunter.
Nun machten auch die Studenten Anstalt zum Abreisen, die Ranzen wurden
geschnürt, die Rechnungen, die über alle Erwartung billig ausfielen,
berichtigt; die empfänglichen Hausmädchen, auf deren Gesichtern die
Spuren glücklicher Liebe, brachten, wie gebräuchlich ist, die
Brockensträußchen, halfen solche auf die Mützen befestigen, wurden dafür
mit einigen Küssen oder Groschen honoriert, und so stiegen wir alle den
Berg hinab, indem die einen, wobei der Schweizer und Greifswalder, den
Weg nach Schierke einschlugen, und die andern, ungefähr zwanzig Mann,
wobei auch meine Landsleute und ich, angeführt von einem Wegweiser,
durch die sogenannten Schneelöcher hinab zogen nach Ilsenburg.
Das ging über Hals und Kopf. Halle'sche Studenten marschieren schneller
als die österreichische Landwehr. Ehe ich mich dessen versah, war die
kahle Partie des Berges mit den darauf zerstreuten Steingruppen schon
hinter uns, und wir kamen durch einen Tannenwald, wie ich ihn den Tag
vorher gesehen. Die Sonne goß schon ihre festlichen Strahlen herab und
beleuchtete die humoristisch buntgekleideten Burschen, die so munter
durch das Dickicht drängen, hier verschwanden, dort wieder zum
Vorschein kamen, bei Sumpfstellen über die quergelegten Baumstämme
liefen, bei abschüssigen Tiefen an den rankenden Wurzeln kletterten, in
den ergötzlichsten Tonarten empor johlten, und ebenso lustige Antwort
zurück erhielten von den zwitschernden Waldvögeln, von den rauschenden
Tannen, von den unsichtbar plätschernden Quellen und von dem schallenden
Echo. Wenn frohe Jugend und schöne Natur zusammen kommen, so freuen sie
sich wechselseitig.
Je tiefer wir hinabstiegen, desto lieblicher rauschte das unterirdische
Gewässer, nur hier und da, unter Gestein und Gestrüppe, blinkte es
hervor, und schien heimlich zu lauschen, ob es ans Licht treten dürfe,
und endlich kam eine kleine Welle entschlossen hervorgesprungen. Nun
zeigt sich die gewöhnliche Erscheinung: ein Kühner macht den Anfang, und
der große Troß der Zagenden wird plötzlich, zu seinem eigenen Erstaunen,
von Mut ergriffen, und eilt, sich mit jenem ersten zu vereinigen. Eine
Menge anderer Quellen hüpften jetzt hastig aus ihrem Versteck, verbanden
sich mit der zuerst hervorgesprungenen, und bald bildeten sie zusammen
ein schon bedeutendes Bächlein, das in unzähligen Wasserfällen und in
wunderlichen Windungen das Bergthal hinabrauscht. Das ist nun die Ilse,
die liebliche, süße Ilse. Sie zieht sich durch das gesegnete Ilsethal,
an dessen beiden Seiten sich die Berge allmählich höher erheben, und
diese sind bis zu ihrem Fuße meistens mit Buchen, Eichen und
gewöhnlichem Blattgesträuche bewachsen, nicht mehr mit Tannen und anderm
Nadelholz. Denn jene Blätterholzart wächst vorherrschend auf dem
»Unterharze«, wie man die Ostseite des Brockens nennt, im Gegensatz zur
Westseite desselben, die der »Oberharz« heißt, und wirklich viel höher
ist, also auch viel geeigneter zum Gedeihen der Nadelhölzer.
Es ist unbeschreibbar, mit welcher Fröhlichkeit, Naivetät und Anmut die
Ilse sich hinunter stürzt über die abenteuerlich gebildeten Felsstücke,
die sie in ihrem Laufe findet, so daß das Wasser hier wild empor zischt
oder schäumend überläuft, dort aus allerlei Steinspalten, wie aus vollen
Gießkannen, in reinen Bögen sich ergießt, und unten wieder über die
kleinen Steine hintrippelt, wie ein munteres Mädchen. Ja, die Sage ist
wahr, die Ilse ist eine Prinzessin, die lachend und blühend den Berg
hinabläuft. Wie blinkt im Sonnenschein ihr weißes Schaumgewand! Wie
flattern im Winde ihre silbernen Busenbänder! Wie funkeln und blitzen
ihre Diamanten! Die hohen Buchen stehen dabei gleich ernsten Vätern, die
verstohlen lächelnd dem Mutwillen des lieblichen Kindes zusehen; die
weißen Birken bewegen sich tantenhaft vergnügt, und doch zugleich
ängstlich über die gewagten Sprünge; der stolze Eichbaum schaut drein
wie ein verdrießlicher Oheim, der das schöne Wetter bezahlen soll; die
Vöglein in den Lüften jubeln ihren Beifall, die Blumen am Ufer flüstern
zärtlich: O, nimm uns mit, nimm uns mit, lieb' Schwesterchen! -- aber
das lustige Mädchen springt unaufhaltsam weiter, und plötzlich ergreift
sie den träumenden Dichter, und es strömt auf mich herab ein Blumenregen
von klingenden Strahlen und strahlenden Klängen, und die Sinne vergehen
mir vor lauter Herrlichkeit, und ich höre nur noch die flötensüße
Stimme:
Ich bin die Prinzessin Ilse,
Und wohne im Ilsenstein;
Komm mit nach meinem Schlosse,
Wir wollen selig sein.
Dein Haupt will ich benetzen
Mit meiner klaren Well',
Du sollst deine Schmerzen vergessen,
Du sorgenkranker Gesell!
In meinen weißen Armen,
An meiner weißen Brust,
Da sollst du liegen und träumen
Von alter Märchenlust.
Ich will dich küssen und herzen,
Wie ich geherzt und geküßt
Den lieben Kaiser Heinrich,
Der nun gestorben ist.
Es bleiben tot die Toten,
Und nur der Lebendige lebt;
Und ich bin schön und blühend,
Mein lachendes Herze bebt.
Und bleibt mein Herz dort unten,
So klingt mein krystallenes Schloß,
Es tanzen die Fräulein und Ritter,
Es jubelt der Knappentroß.
Es rauschen die seidenen Schleppen,
Es klirren die Eisensporn,
Die Zwerge trompeten und pauken
Und fiedeln und blasen das Horn.
Doch dich soll mein Arm umschlingen,
Wie er Kaiser Heinrich umschlang;
Ich hielt ihm zu die Ohren,
Wenn die Trompet' erklang.
Unendlich selig ist das Gefühl, wenn die Erscheinungswelt mit unserer
Gemütswelt zusammenrinnt, und grüne Bäume, Gedanken, Vögelgesang,
Wehmut, Himmelsbläue, Erinnerung und Kräuterduft sich in süßen Arabesken
verschlingen. Die Frauen kennen am besten dieses Gefühl, und darum mag
auch ein so holdselig ungläubiges Lächeln um ihre Lippen schweben, wenn
wir mit Schulstolz unsere logischen Thaten rühmen, wie wir alles so
hübsch eingeteilt in objektiv und subjektiv, wie wir unsere Köpfe
apothekenartig mit tausend Schubladen versehen, wo in der einen
Vernunft, in der andern Verstand, in der dritten Witz, in der vierten
schlechter Witz, und in der fünften gar nichts, nämlich die Idee,
enthalten ist.
Wie im Traume fortwandelnd, hatte ich fast nicht bemerkt, daß wir die
Tiefe des Ilsethales verlassen und wieder bergauf stiegen. Dies ging
sehr steil und mühsam, und mancher von uns kam außer Atem. Doch wie
unser seliger Vetter, der zu Mölln begraben liegt, dachten wir im voraus
ans Bergabsteigen, und waren um so vergnügter. Endlich gelangten wir auf
den Ilsenstein.
Das ist ein ungeheurer Granitfelsen, der sich lang und keck aus der
Tiefe erhebt. Von drei Seiten umschließen ihn die hohen, waldbedeckten
Berge, aber die vierte, die Nordseite, ist frei, und hier schaut man
über das unten liegende Ilsenburg und die Ilse weit hinab ins niedere
Land. Auf der turmartigen Spitze des Felsens steht ein großes, eisernes
Kreuz, und zur Not ist da noch Platz für vier Menschenfüße.
Wie nun die Natur durch Stellung und Form den Ilsenstein mit
phantastischen Reizen geschmückt, so hat auch die Sage ihren Rosenschein
darüber ausgegossen. Gottschalk berichtet: »Man erzählt, hier habe ein
verwünschtes Schloß gestanden, in welchem die reiche schöne Prinzessin
Ilse gewohnt, die sich noch jetzt jeden Morgen in der Ilse bade; und wer
so glücklich ist, den rechten Zeitpunkt zu treffen, werde von ihr in den
Felsen, wo ihr Schloß sei, geführt und königlich belohnt.« Andere
erzählen von der Liebe des Fräulein Ilse und des Ritters von Westenberg
eine hübsche Geschichte, die einer unserer bekanntesten Dichter
romantisch in der »Abendzeitung« besungen hat. Andere wieder erzählen
anders: Es soll der altsächsische Kaiser Heinrich gewesen sein, der mit
Ilse, der schönen Wasserfee, in ihrer verzauberten Felsenburg die
kaiserlichsten Stunden genossen. Ein neuerer Schriftsteller, Herr
Niemann, Wohlgeb., der ein Harzreisebuch geschrieben, worin er die
Gebirgshöhen, Abweichungen der Magnetnadel, Schulden der Städte und
dergleichen mit löblichem Fleiße und genauen Zahlen angegeben, behauptet
indes: »Was man von der schönen Prinzessin Ilse erzählt, gehört dem
Fabelreiche an.« So sprechen alle diese Leute, denen eine solche
Prinzessin niemals erschienen ist, wir aber, die wir von schönen Damen
besonders begünstigt werden, wissen das besser. Auch Kaiser Heinrich
wußte es. Nicht umsonst hingen die altsächsischen Kaiser so sehr an
ihrem heimischen Harze. Man blättere nur in der hübschen Lüneburger
Chronik, wo die guten, alten Herren in wunderlich treuherzigen
Holzschnitten abkonterfeit sind, wohlgeharnischt, hoch auf ihrem
gewappneten Schlachtroß, die heilige Kaiserkrone auf dem teuren Haupte,
Scepter und Schwert in festen Händen; und auf den lieben, knebelbärtigen
Gesichtern kann man deutlich lesen, wie oft sie sich nach den süßen
Herzen ihrer Harzprinzessinnen und dem traulichen Rauschen der
Harzwälder zurücksehnten, wenn sie in der Fremde weilten, wohl gar in
dem citronen- und giftreichen Welschland, wohin sie und ihre Nachfolger
so oft verlockt wurden von dem Wunsche, römische Kaiser zu heißen,
einer echtdeutschen Titelsucht, woran Kaiser und Reich zu Grunde gingen.
Ich rate aber jedem, der auf der Spitze des Ilsensteins steht, weder an
Kaiser und Reich, noch an die schöne Ilse, sondern bloß an seine Füße zu
denken. Denn als ich dort stand, in Gedanken verloren, hörte ich
plötzlich die unterirdische Musik des Zauberschlosses, und ich sah, wie
sich die Berge ringsum auf die Köpfe stellten, und die roten
Ziegeldächer zu Ilsenburg anfingen zu tanzen, und die grünen Bäume in
der blauen Luft herum flogen, daß es mir blau und grün vor den Augen
wurde, und ich sicher, vom Schwindel erfaßt, in den Abgrund gestürzt
wäre, wenn ich mich nicht in meiner Seelennot ans eiserne Kreuz
festgeklammert hätte. Daß ich, in so mißlicher Stellung, dieses letztere
gethan habe, wird mir gewiß niemand verdenken.
* * * * *
Die »Harzreise« ist und bleibt Fragment, und die bunten Fäden, die so
hübsch hineingesponnen sind, um sich im Ganzen harmonisch zu
verschlingen, werden plötzlich, wie von der Schere der unerbittlichen
Parze, abgeschnitten. Vielleicht verwebe ich sie weiter in künftigen
Liedern, und was jetzt kärglich verschwiegen ist, wird alsdann vollauf
gesagt. Am Ende kommt es auch auf eins heraus, wann und wo man etwas
ausgesprochen hat, wenn man es nur überhaupt einmal ausspricht. Mögen
die einzelnen Werke immerhin Fragmente bleiben, wenn sie nur in ihrer
Vereinigung ein Ganzes bilden. Durch solche Vereinigung mag hier und da
das Mangelhafte ergänzt, das Schroffe ausgeglichen und das Allzuherbe
gemildert werden. Dieses würde vielleicht schon bei den ersten Blättern
der Harzreise der Fall sein, und sie könnten wohl einen minder sauern
Eindruck hervorbringen, wenn man anderweitig erführe, daß der Unmut, den
ich gegen Göttingen im Allgemeinen hege, obschon er noch größer ist, als
ich ihn ausgesprochen, doch lange nicht so groß ist wie die Verehrung,
die ich für einige Individuen dort empfinde. Und warum sollte ich es
verschweigen, ich meine hier ganz besonders jenen viel teueren Mann, der
schon in frühern Zeilen sich so freundlich meiner annahm, mir schon
damals eine innige Liebe für das Studium der Geschichte einflößte, mich
späterhin in dem Eifer für dasselbe bestärkte, und dadurch meinen Geist
auf ruhigere Bahnen führte, meinem Lebensmute heilsamere Richtungen
anwies, und nur überhaupt jene historischen Tröstungen bereitete, ohne
welche ich die qualvollen Erscheinungen des Tages nimmermehr ertragen
würde. Ich spreche von Georg Sartorius, dem großen Geschichtsforscher
und Menschen, dessen Auge ein klarer Stern ist in unserer dunkeln Zeit,
und dessen gastliches Herz offen steht für alle fremden Leiden und
Freuden, für die Besorgnisse des Bettlers und des Königs, und für die
letzten Seufzer untergehender Völker und ihrer Götter.
Ich kann nicht umhin, hier ebenfalls anzudeuten, daß der Oberharz, jener
Teil des Harzes, den ich bis zum Anfang des Ilsethals beschrieben habe,
bei weitem keinen so erfreulichen Anblick wie der romantisch malerische
Unterharz gewährt, und in seiner wildschroffen, tannendüstern Schönheit
gar sehr mit demselben kontrastiert; sowie ebenfalls die drei, von der
Ilse, von der Bode und von der Selke gebildeten Thäler des Unterharzes
gar anmutig unter einander kontrastieren, wenn man den Charakter jedes
Thales zu personificieren weiß. Es sind drei Frauengestalten, wovon man
nicht so leicht zu unterscheiden vermag, welche die Schönste sei.
Von der lieben, süßen Ilse, und wie süß und lieblich sie mich
empfangen, habe ich schon gesagt und gesungen. Die düstere Schöne, die
Bode empfing mich nicht so gnädig, und als ich sie im schmiededunkeln
Rübeland zuerst erblickte, schien sie gar mürrisch, und verhüllte sich
in einen silbergrauen Regenschleier: aber mit rascher Liebe warf sie ihn
ab, als ich auf die Höhe der Roßtrappe gelangte, ihr Antlitz leuchtete
mir entgegen in sonnigster Pracht, aus allen Zügen hauchte eine
kolossale Zärtlichkeit, und aus der bezwungenen Felsenbrust drang es
hervor wie Sehnsuchtseufzer und schmelzende Laute der Wehmut. Minder
zärtlich, aber fröhlicher zeigte sich mir die schöne Selke, die schöne,
liebenswürdige Dame, deren edle Einfalt und heitere Ruhe alle
sentimentale Familiarität entfernt hält, die aber doch durch ein
halbverstecktes Lächeln ihren neckenden Sinn verrät; und diesem möchte
ich es wohl zuschreiben, daß mich im Selkethal gar mancherlei kleines
Ungemach heimsuchte, daß ich, indem ich über das Wasser springen wollte,
just in die Mitte hineinplumpste, daß nachher, als ich das nasse Fußzeug
mit Pantoffeln vertauscht hatte, einer derselben mir abhanden, oder
vielmehr abfüßen kam, daß mir ein Windstoß die Mütze entführte, daß mir
Walddornen die Beine zerfetzten, und leider so weiter. Doch all dieses
Ungemach verzeihe ich gern der schönen Dame, denn sie ist schön. Und
jetzt steht sie vor meiner Einbildung mit all ihrem stillen Liebreiz,
und scheint zu sagen: Wenn ich auch lache, so meine ich es doch gut mit
Ihnen, und ich bitte Sie, besingen sie mich! Die herzliche Bode tritt
ebenfalls hervor in meiner Erinnerung, und ihr dunkles Auge spricht: »Du
gleichst mir im Stolze und im Schmerze, und ich will, daß du mich
liebst.« Auch die schöne Ilse kommt herangesprungen, zierlich und
bezaubernd in Miene, Gestalt und Bewegung; sie gleicht ganz dem holden
Wesen, das meine Träume beseligt, und ganz, wie Sie, schaut sie mich
an, mit unwiderstehlicher Gleichgiltigkeit und doch zugleich so innig,
so ewig, so durchsichtig wahr. -- Nun, ich bin Paris, die drei Göttinnen
stehen vor mir, und den Apfel gebe ich der schönen Ilse.
Es ist heute der erste Mai, wie ein Meer des Lebens ergießt sich der
Frühling über die Erde, der weiße Blütenschaum bleibt an den Bäumen
hängen, ein weiter, warmer Nebelglanz verbreitet sich überall, in der
Stadt blitzen freudig die Fensterscheiben der Häuser, an den Dächern
bauen die Spatzen wieder ihre Nestchen, auf der Straße wandeln die
Leute, und wundern sich, daß die Lust so angreifend, und ihnen selbst so
wunderlich zu Mute ist, die bunten Vierländerinnen bringen
Veilchensträußer, die Waisenkinder mit ihren blauen Jäckchen und ihren
lieben, unehelichen Gesichtchen ziehen über den Jungfernstieg und freuen
sich, als sollten sie heute einen Vater wiederfinden, der Bettler an der
Brücke schaut so vergnügt, als hätte er das große Los gewonnen, sogar
den schwarzen, noch ungehenkten Makler, der dort mit seinem
spitzbübischen Manufakturwarengesicht einherläuft, bescheint die Sonne
mit ihren tolerantesten Strahlen, -- ich will hinauswandern vor das
Thor.
Es ist der erste Mai, und ich denke deiner, du schöne Ilse -- oder soll
ich dich »Agnes« nennen, weil mir dieser Name am besten gefällt? -- ich
denke deiner, und ich möchte wieder zusehen, wie du leuchtend den Berg
hinabläufst. Am liebsten aber möchte ich unten im Thale stehen und dich
auffangen in meine Arme. -- Es ist ein schöner Tag! -- Überall sehe ich
die grüne Farbe, die Farbe der Hoffnung. Überall, wie holde Wunder,
blühen hervor die Blumen, und auch mein Herz will wieder blühen. Dieses
Herz ist auch eine Blume, eine gar wunderliche. Es ist kein bescheidenes
Veilchen, keine lachende Rose, keine reine Lilie, oder sonstiges
Blümchen, das mit artiger Lieblichkeit den Mädchensinn erfreut, und sich
hübsch vor den hübschen Busen stecken läßt, und heute welkt und morgen
wieder blüht. Dieses Herz gleicht mehr jener schweren, abenteuerlichen
Blume aus den Wäldern Brasiliens, die der Sage nach alle hundert Jahre
nur einmal blüht. Ich erinnere mich, daß ich als Knabe eine solche Blume
gesehen. Wir hörten in der Nacht einen Schuß wie von einer Pistole, und
am folgenden Morgen erzählten mir die Nachbarskinder, daß es ihre »Aloe«
gewesen, die mit solchem Knalle plötzlich aufgeblüht sei. Sie führten
mich in ihren Garten, und da sah ich zu meiner Verwunderung, daß das
niedrige, harte Gewächs mit den närrisch breiten, scharfgezackten
Blättern, woran man sich leicht verletzen konnte, jetzt ganz in die Höhe
geschossen war, und oben, wie eine goldene Krone, die herrlichste Blüte
trug. Wir Kinder konnten nicht mal so hoch hinaufsehen, und der alte,
schmunzelnde Christian, der uns lieb hatte, baute eine hölzerne Treppe
um die Blume herum, und da kletterten wir hinauf wie die Katzen, und
schauten neugierig in den offenen Blumenkelch, woraus die gelben
Strahlenfäden und wildfremden Düfte mit unerhörter Pracht hervordrangen.
Ja, Agnes, oft und leicht kommt dieses Herz nicht zum Blühen; so viel
ich mich erinnere, hat es nur ein einziges Mal geblüht, und das mag
schon lange her sein, gewiß schon hundert Jahr. Ich glaube, so herrlich
auch damals seine Blüte sich entfaltete, so mußte sie doch aus Mangel an
Sonnenschein und Wärme elendiglich verkümmern, wenn sie nicht gar von
einem dunkeln Wintersturme gewaltsam zerstört worden. Jetzt aber regt
und drängt es sich wieder in meiner Brust, und hörst du plötzlich den
Schuß -- Mädchen, erschrick nicht! ich hab' mich nicht totgeschossen,
sondern meine Liebe sprengt ihre Knospe, und schießt empor in
strahlenden Liedern, in ewigen Dithyramben, in freudigster Sangesfülle.
Ist dir aber diese hohe Liebe zu hoch, Mädchen, so mach' es dir bequem,
und besteige die hölzerne Treppe, und schaue von dieser hinab in mein
blühendes Herz.
Es ist noch früh am Tage, die Sonne hat kaum die Hälfte ihres Weges
zurückgelegt, und mein Herz duftet schon so stark, daß es mir betäubend
zu Kopfe steigt, und ich nicht mehr weiß, wo die Ironie aufhört und der
Himmel anfängt, daß ich die Luft mit meinen Seufzern bevölkere, und daß
ich selbst wieder zerrinnen möchte in süße Atome, in die unerschaffene
Gottheit; -- wie soll das erst gehen, wenn es Nacht wird, und die Sterne
am Himmel erscheinen, »die unglücksel'gen Sterne, die dir sagen
können -- --«
Es ist der erste Mai, der lumpigste Ladenschwengel hat heute das Recht,
sentimental zu werden, und dem Dichter wolltest du es verwehren?

Ende.
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