Die Harzreise - 3

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Dünste. Die Luft wird in Deutschland zu dick und auch zu heiß, und oft
fürchte ich zu ersticken, oder von meinen geliebten Mitmystikern in
ihrer Liebeshitze erwürgt zu werden. Drum will ich auch den guten
Rationalisten nichts weniger als böse sein, wenn sie die Luft etwas gar
zu sehr abkühlen. Im Grunde hat ja die Natur selbst dem Rationalismus
seine Grenze gesteckt; unter der Luftpumpe und am Nordpol kann der
Mensch es nicht aushalten.
In jener Nacht, die ich in Goslar zubrachte, ist mir etwas höchst
Seltsames begegnet. Noch immer kann ich nicht ohne Angst daran
zurückdenken. Ich bin von Natur nicht ängstlich, und Gott weiß, daß ich
niemals eine sonderliche Beklemmung empfunden habe, wenn z. B. eine
blanke Klinge mit meiner Nase Bekanntschaft zu machen suchte, oder wenn
ich mich Nachts in einem verrufenen Walde verirrte, oder wenn mich im
Konzert ein gähnender Lieutenant zu verschlingen drohte -- aber vor
Geistern fürchte ich mich fast eben so sehr wie der österreichische
Beobachter. Was ist Furcht? Kommt sie aus dem Verstande oder aus dem
Gemüt? Über diese Frage disputierte ich so oft mit dem Doktor Saul
Ascher, wenn wir in Berlin im Café Royal, wo ich lange Zeit meinen
Mittagstisch hatte, zufällig zusammentrafen. Er behauptete immer, wir
fürchten etwas, weil wir es durch Vernunftschlüsse für furchtbar
erkennen. Nur die Vernunft sei eine Kraft, nicht das Gemüt. Während ich
gut aß und gut trank, demonstrierte er mir fortwährend die Vorzüge der
Vernunft. Gegen das Ende seiner Demonstration pflegte er nach seiner Uhr
zu sehen, und immer schloß er damit: »Die Vernunft ist das höchste
Prinzip!« -- Vernunft. Wenn ich jetzt dieses Wort höre, so sehe ich noch
immer den Doktor Saul Ascher mit seinen abstrakten Beinen, mit seinem
engen, transcendentalgrauen Leibrock, und mit seinem schroffen, frierend
kalten Gesichte, das einem Lehrbuche der Geometrie als Kupfertafel
dienen konnte. Dieser Mann, tief in den Fünfzigen, war eine
personificierte grade Linie. In seinem Streben nach dem Positiven hatte
der arme Mann sich alles Herrliche aus dem Leben heraus philosophiert,
alle Sonnenstrahlen, allen Glauben und alle Blumen, und es blieb ihm
nichts übrig, als das kalte positive Grab. Auf den Apoll von Belvedere
und auf das Christentum hatte er eine spezielle Malice. Gegen letzteres
schrieb er sogar eine Broschüre, worin er dessen Unvernünftigkeit und
Unhaltbarkeit bewies. Er hat überhaupt eine ganze Menge Bücher
geschrieben, worin immer die Vernunft von ihrer eigenen Vortrefflichkeit
renommiert, und wobei es der arme Doktor gewiß ernsthaft genug meinte,
und also in dieser Hinsicht alle Achtung verdiente. Darin aber bestand
ja eben der Hauptspaß, daß er ein so ernsthaft närrisches Gesicht
schnitt, wenn er dasjenige nicht begreifen konnte, was jedes Kind
begreift, eben weil es ein Kind ist. Einigemal besuchte ich auch den
Vernunftdoktor in seinem eigenen Hause, wo ich schöne Mädchen bei ihm
fand; denn die Vernunft verbietet nicht die Sinnlichkeit. Als ich ihn
einst ebenfalls besuchen wollte, sagte mir sein Bedienter: »Der Herr
Doktor ist eben gestorben.« Ich fühlte nicht viel mehr dabei, als wenn
er gesagt hätte: Der Herr Doktor ist ausgezogen.
Doch zurück nach Goslar. »Das höchste Prinzip ist die Vernunft!« sagte
ich beschwichtigend zu mir selbst, als ich ins Bett stieg. Indessen, es
half nicht. Ich hatte eben in Varnhagen von Ense's »Deutsche
Erzählungen«, die ich von Klausthal mitgenommen hatte, jene entsetzliche
Geschichte gelesen, wie der Sohn, den sein eigener Vater ermorden
wollte, in der Nacht von dem Geiste seiner toten Mutter gewarnt wird.
Die wunderbare Darstellung dieser Geschichte bewirkte, daß mich während
des Lesens ein inneres Grauen durchfröstelte. Auch erregen
Gespenstererzählungen ein noch schauerlicheres Gefühl, wenn man sie auf
der Reise liest, und zumal des Nachts, in einer Stadt, in einem Hause,
in einem Zimmer, wo man noch nie gewesen. Wie viel Gräßliches mag sich
schon zugetragen haben auf diesem Flecke, wo du eben liegst? so denkt
man unwillkürlich. Überdies schien der Mond so zweideutig ins Zimmer
herein, an der Wand bewegten sich allerlei unberufene Schatten, und als
ich mich im Bett aufrichtete, um hin zu sehen, erblickte ich --
Es giebt nichts Unheimlicheres, als wenn man bei Mondschein das eigene
Gesicht zufällig im Spiegel sieht. In demselben Augenblicke schlug eine
schwerfällige, gähnende Glocke, und zwar so lang und langsam, daß ich
nach dem zwölften Glockenschlage sicher glaubte, es seien unterdessen
volle zwölf Stunden verflossen, und es müßte wieder von vorn anfangen,
Zwölf zu schlagen. Zwischen dem vorletzten und letzten Glockenschlage
schlug noch eine andere Uhr, sehr rasch, fast keifend gell, und
vielleicht ärgerlich über die Langsamkeit ihrer Frau Gevatterin. Als
beide eiserne Zungen schwiegen, und tiefe Totenstille im ganzen Hause
herrschte, war es mir plötzlich, als hörte ich auf dem Korridor vor
meinem Zimmer etwas schlottern und schlappen, wie der unsichere Gang
eines alten Mannes. Endlich öffnete sich meine Thür, und langsam trat
herein der verstorbene Doktor Saul Ascher. Ein kaltes Fieber rieselte
mir durch Mark und Bein, ich zitterte wie Espenlaub, und kaum wagte ich
das Gespenst anzusehen. Er sah aus wie sonst, derselbe transcendentalgraue
Leibrock, dieselben abstrakten Beine, und dasselbe mathematische
Gesicht; nur war dieses etwas gelblicher als sonst, auch der Mund, der
sonst zwei Winkel von 22 1/2 Grad bildete, war zusammengekniffen, und
die Augenkreise hatten einen größeren Radius. Schwankend und wie sonst
sich auf sein spanisches Röhrchen stützend, näherte er sich mir, und in
seinem gewöhnlichen mundfaulen Dialekte sprach er freundlich: »Fürchten
Sie sich nicht und glauben Sie nicht, daß ich ein Gespenst sei. Es ist
Täuschung Ihrer Phantasie, wenn Sie mich als Gespenst zu sehen glauben.
Was ist ein Gespenst? Geben Sie mir eine Definition? Deducieren Sie mir
die Bedingungen der Möglichkeit eines Gespenstes? In welchem
vernünftigen Zusammenhang stände eine solche Erscheinung mit der
Vernunft? Die Vernunft, ich sage die Vernunft.« -- Und nun schritt das
Gespenst zu einer Analyse der Vernunft, citierte Kants »Kritik der
reinen Vernunft«, zweiter Theil, erster Abschnitt, zweites Buch, drittes
Hauptstück, die Unterscheidung von Phänomena und Noumena, konstruierte
alsdann den problematischen Gespensterglauben, setzte einen Syllogismus
auf den andern, und schloß mit dem logischen Beweise, daß es durchaus
keine Gespenster giebt. Mir unterdessen lief der kalte Schweiß über den
Rücken, meine Zähne klapperten wie Kastagnetten, aus Seelenangst nickte
ich unbedingte Zustimmung bei jedem Satz, womit der spukende Doktor die
Absurdität aller Gespensterfurcht bewies, und derselbe demonstrierte so
eifrig, daß er einmal in der Zerstreuung, statt seiner goldnen Uhr, eine
Handvoll Würmer aus der Uhrtasche zog, und, seinen Irrtum bemerkend, mit
possierlich ängstlicher Hastigkeit wieder einsteckte. »Die Vernunft ist
das höchste --« da schlug die Glocke Eins, und das Gespenst verschwand.
Von Goslar ging ich den andern Morgen weiter, halb auf Geratewohl, halb
in der Absicht, den Bruder des Klausthaler Bergmanns aufzusuchen. Wieder
schönes, liebes Sonntagswetter. Ich bestieg Hügel und Berge,
betrachtete, wie die Sonne den Nebel zu verscheuchen suchte, wanderte
freudig durch die schauernden Wälder, und um mein träumendes Haupt
klingelten die Glockenblümchen von Goslar. In ihren weißen Nachtmänteln
standen die Berge, die Tannen rüttelten sich den Schlaf aus den
Gliedern, der frische Morgenwind frisierte ihnen die herabhängenden,
grünen Haare, die Vöglein hielten Betstunde, das Wiesenthal blitzte wie
eine diamantenbesäete Golddecke, und der Hirt schritt darüber hin mit
seiner läutenden Herde. Ich mochte mich wohl eigentlich verirrt haben.
Man schlägt immer Seitenwege und Fußsteige ein, und glaubt dadurch näher
zum Ziele zu gelangen. Wie im Leben überhaupt, geht's uns auch auf dem
Harze. Aber es giebt immer gute Seelen, die uns wieder auf den rechten
Weg bringen; sie thun es gern, und finden noch obendrein ein besonderes
Vergnügen daran, wenn sie uns mit selbstgefälliger Miene und wohlwollend
lauter Stimme bedeuten, welche große Umwege wir gemacht, in welche
Abgründe und Sümpfe wir versinken konnten, und welch ein Glück es sei,
daß wir so wegkundige Leute, wie sie sind, noch zeitig angetroffen.
Einen solchen Berichtiger fand ich unweit der Harzburg. Es war ein
wohlgenährter Bürger von Goslar, ein glänzend wampiges, dummkluges
Gesicht; er sah aus, als habe er die Viehseuche erfunden. Wir gingen
eine Strecke zusammen, und er erzählte mir allerlei Spukgeschichten, die
hübsch klingen konnten, wenn sie nicht alle darauf hinaus liefen, daß es
doch kein wirklicher Spuk gewesen, sondern daß die weiße Gestalt ein
Wilddieb war, und daß die wimmernden Stimmen von den eben geworfenen
Jungen einer Bache (wilden Sau), und das Geräusch auf dem Boden von der
Hauskatze herrührte. Nur wenn der Mensch krank ist, setzte er hinzu,
glaubt er Gespenster zu sehen; was aber seine Wenigkeit anbelange, so
sei er selten krank, nur zuweilen leide er an Hautübeln, und dann
kuriere er sich jedesmal mit nüchternem Speichel. Er machte mich auch
aufmerksam auf die Zweckmäßigkeit und Nützlichkeit in der Natur. Die
Bäume sind grün, weil grün gut für die Augen ist. Ich gab ihm Recht, und
fügte hinzu, daß Gott das Rindvieh erschaffen, weil Fleischsuppen den
Menschen stärken, daß er die Esel erschaffen, damit sie den Menschen zu
Vergleichungen dienen können, und daß er den Menschen selbst erschaffen,
damit er Fleischsuppen essen und kein Esel sein soll. Mein Begleiter war
entzückt, einen Gleichgestimmten gefunden zu haben, sein Antlitz
erglänzte noch freudiger, und bei dem Abschiede war er gerührt.
So lange er neben mir ging, war gleichsam die ganze Natur entzaubert;
sobald er aber fort war, fingen die Bäume wieder an zu sprechen, und die
Sonnenstrahlen erklangen, und die Wiesenblümchen tanzten, und der blaue
Himmel umarmte die grüne Erde. Ja, ich weiß es besser; Gott hat den
Menschen erschaffen, damit er die Herrlichkeit der Welt bewundere. Jeder
Autor, und sei er noch so groß, wünscht, daß sein Werk gelobt werde. Und
in der Bibel, den Memoiren Gottes, steht ausdrücklich, daß er die
Menschen erschaffen zu seinem Ruhm und Preis.
Nach einem langen Hin- und Herwandern gelangte ich nach der Wohnung des
Bruders meines Klausthaler Freundes, übernachtete alldort, und erlebte
folgendes schöne Gedicht:

I.
Auf dem Berge steht die Hütte,
Wo der alte Bergmann wohnt;
Dorten rauscht die grüne Tanne,
Und erglänzt der goldne Mond.
In der Hütte steht ein Lehnstuhl,
Reich geschnitzt und wunderlich,
Der darauf sitzt, der ist glücklich,
Und der Glückliche bin Ich!
Auf dem Schemel sitzt die Kleine,
Stützt den Arm auf meinen Schoß;
Äuglein wie zwei blaue Sterne,
Mündlein wie die Purpurros'.
Und die lieben, blauen Sterne
Schaun mich an so himmelgroß,
Und sie legt den Lilienfinger
Schalkhaft auf die Purpurros'.
Nein, es sieht uns nicht die Mutter,
Denn sie spinnt mit großem Fleiß,
Und der Vater spielt die Zither,
Und er singt die alte Weis'.
Und die Kleine flüstert leise,
Leise, mit gedämpftem Laut;
Manches wichtige Geheimnis
Hat sie mir schon anvertraut.
»Aber seit die Muhme tot ist,
Können wir ja nicht mehr gehn
Nach dem Schützenhof zu Goslar,
Und dort ist es gar zu schön.
»Hier dagegen ist es einsam
Auf der kalten Bergeshöh',
Und des Winters sind wir gänzlich
Wie vergraben in dem Schnee.
»Und ich bin ein banges Mädchen
Und ich fürcht' mich wie ein Kind
Vor den bösen Bergesgeistern,
Die des Nachts geschäftig sind.«
Plötzlich schweigt die liebe Kleine,
Wie vom eignen Wort erschreckt,
Und sie hat mit beiden Händchen
Ihre Äugelein bedeckt.
Lauter rauscht die Tanne draußen,
Und das Spinnrad schnarrt und brummt
Und die Zither klingt dazwischen,
Und die alte Weise summt:
»Fürcht' dich nicht, du liebes Kindchen,
Vor der bösen Geister Macht;
Tag und Nacht, du liebes Kindchen,
Halten Englein bei dir Wacht!«

II.
Tannenbaum mit grünen Fingern
Pocht ans niedre Fensterlein,
Und der Mond, der gelbe Lauscher,
Wirft sein süßes Licht herein.
Vater, Mutter schnarchen leise
In dem nahen Schlafgemach,
Doch wir beide, selig schwatzend,
Halten uns einander wach.
»Daß du gar zu oft gebetet,
Das zu glauben wird mir schwer,
Jenes Zucken deiner Lippen
Kommt wohl nicht vom Beten her.
»Jenes böse, kalte Zucken,
Das erschreckt mich jedesmal,
Doch die dunkle Angst beschwichtigt
Deiner Augen frommer Strahl.
»Auch bezweifl' ich, daß du glaubest
Was so rechter Glaube heißt,
Glaubst wohl nicht an Gott den Vater
An den Sohn und heil'gen Geist?«
Ach, mein Kindchen, schon als Knabe,
Als ich saß auf Mutters Schoß,
Glaubte ich an Gott den Vater,
Der da waltet gut und groß;
Der die schöne Erd' erschaffen,
Und die schönen Menschen drauf,
Der den Sonnen, Monden, Sternen
Vorgezeichnet ihren Lauf.
Als ich größer wurde, Kindchen,
Noch viel mehr begriff ich schon,
Und begriff, und ward vernünftig,
Und ich glaub' auch an den Sohn;
An den lieben Sohn, der liebend
Uns die Liebe offenbart,
Und zum Lohne, wie gebräuchlich,
Von dem Volk gekreuzigt ward.
Jetzo, da ich ausgewachsen,
Viel gelesen, viel gereist,
Schwillt mein Herz, und ganz von Herzen,
Glaub' ich an den heil'gen Geist.
Dieser that die größten Wunder,
Und viel größre thut er noch;
Er zerbrach die Zwingherrnburgen,
Und zerbrach des Knechtes Joch.
Alte Todeswunden heilt er,
Und erneut das alte Recht:
Alle Menschen, gleichgeboren,
Sind ein adliges Geschlecht.
Er verscheucht die bösen Nebel
Und das dunkle Hirngespinnst,
Das uns Lieb' und Lust verleidet,
Tag und Nacht uns angegrinst.
Tausend Ritter, wohlgewappnet,
Hat der heil'ge Geist erwählt,
Seinen Willen zu erfüllen,
Und er hat sie mutbeseelt.
Ihre teuern Schwerter blitzen,
Ihre guten Banner wehn!
Ei, du möchtest wohl, mein Kindchen,
Solche stolze Ritter sehn?
Nun, so schau mich an, mein Kindchen,
Küsse mich und schaue dreist;
Denn ich selber bin ein solcher
Ritter von dem heil'gen Geist.

III.
Still versteckt der Mond sich draußen
Hinterm grünen Tannenbaum,
Und im Zimmer unsre Lampe
Flackert matt und leuchtet kaum.
Aber meine blauen Sterne
Strahlen auf in hellerm Licht,
Und es glüht die Purpurrose,
Und das liebe Mädchen spricht:
»Kleines Völkchen, Wichtelmännchen
Stehlen unser Brot und Speck,
Abends ist es noch im Kasten,
Und des Morgens ist es weg.
»Kleines Völkchen, unsre Sahne
Nascht es von der Milch, und läßt
Unbedeckt die Schüssel stehen,
Und die Katze säuft den Rest.
»Und die Katz' ist eine Hexe,
Denn sie schleicht, bei Nacht und Sturm
Drüben nach dem Geisterberge,
Nach dem altverfallnen Turm.
»Dort hat einst ein Schloß gestanden,
Voller Lust und Waffenglanz;
Blanke Ritter, Fraun und Knappen
Schwangen sich im Fackeltanz.
»Da verwünschte Schloß und Leute
Eine böse Zauberin,
Nur die Trümmer blieben stehen,
Und die Eulen nisten drin.
»Doch die sel'ge Muhme sagte:
Wenn man spricht das rechte Wort
Nächtlich zu der rechten Stunde,
Drüben an dem rechten Ort:
»So verwandeln sich die Trümmer
Wieder in ein helles Schloß,
Und es tanzen wieder lustig
Ritter, Fraun und Knappentroß;
»Und wer jenes Wort gesprochen,
Dem gehören Schloß und Leut',
Pauken und Trompeten huld'gen
Seiner jungen Herrlichkeit.«
Also blühen Märchenbilder
Aus des Mundes Röselein,
Und die Augen gießen drüber
Ihren blauen Sternenschein.
Ihre goldnen Haare wickelt
Mir die Kleine um die Händ',
Giebt den Fingern hübsche Namen,
Lacht und küßt, und schweigt am End'.
Und im stillen Zimmer alles
Blickt mich an so wohlvertraut;
Tisch und Schrank, mir ist als hätt' ich
Sie schon früher mal geschaut.
Freundlich ernsthaft schwatzt die Wanduhr
Und die Zither, hörbar kaum,
Fängt von selber an zu klingen,
Und ich sitze wie im Traum.
Jetzo ist die rechte Stunde,
Und es ist der rechte Ort;
Staunen würdest du, mein Kindchen,
Spräch' ich aus das rechte Wort.
Sprech' ich jenes Wort, so dämmert
Und erbebt die Mitternacht,
Bach und Tannen brausen lauter,
Und der alte Berg erwacht.
Zitherklang und Zwergenlieder
Tönen aus des Berges Spalt,
Und es sprießt, wie'n toller Frühling
Draus hervor ein Blumenwald.
Blumen, kühne Wunderblumen,
Blätter, breit und fabelhaft,
Duftig bunt und hastig regsam,
Wie gedrängt von Leidenschaft.
Rosen, wild wie rote Flammen,
Sprühn aus dem Gewühl hervor;
Lilien, wie krystallne Pfeiler,
Schießen himmelhoch empor.
Und die Sterne, groß wie Sonnen,
Schaun herab mit Sehnsuchtsglut;
In der Lilien Riesenkelche
Strömet ihre Strahlenflut.
Doch wir selber, süßes Kindchen,
Sind verwandelt noch viel mehr;
Fackelglanz und Gold und Seide
Schimmern lustig um uns her.
Du, du wurdest zur Prinzessin,
Diese Hütte ward zum Schloß,
Und da jubeln und da tanzen
Ritter, Fraun und Knappentroß.
Aber ich, ich hab' erworben,
Dich und alles, Schloß und Leut':
Pauken und Trompeten huld'gen
Meiner jungen Herrlichkeit!

Die Sonne ging auf. Die Nebel flohen, wie Gespenster beim dritten
Hahnenschrei. Ich stieg wieder bergauf und bergab, und vor mir schwebte
die schöne Sonne, immer neue Schönheiten beleuchtend. Der Geist des
Gebirges begünstigte mich ganz offenbar; er wußte wohl, daß so ein
Dichtermensch viel Hübsches wiedererzählen kann, und er ließ mich diesen
Morgen seinen Harz sehen, wie ihn gewiß nicht jeder sah. Aber auch mich
sah der Harz, wie mich nur wenige gesehen, in meinen Augenwimpern
flimmerten eben so kostbare Perlen, wie in den Gräsern des Thals.
Morgentau der Liebe feuchtete meine Wangen, die rauschenden Tannen
verstanden mich, ihre Zweige thaten sich von einander, bewegten sich
herauf und herab, gleich stummen Menschen, die mit den Händen ihre
Freude bezeigen, und in der Ferne klang's wunderbar geheimnisvoll, wie
Glockengeläute einer verlornen Waldkirche. Man sagt, das seien die
Herdenglöckchen, die im Harz so lieblich, klar und rein gestimmt sind.
Nach dem Stande der Sonne war es Mittag, als ich auf eine solche Herde
stieß, und der Hirt, ein freundlich blonder junger Mensch, sagte mir,
der große Berg, an dessen Fuß ich stände, sei der alte, weltberühmte
Brocken. Viele Stunden ringsum liegt kein Haus, und ich war froh genug,
daß mich der junge Mensch einlud, mit ihm zu essen. Wir setzten uns
nieder zu einem _Dejeuner dinatoire_, das aus Käse und Brot bestand; die
Schäfchen erhaschten die Krumen, die lieben blanken Kühlein sprangen um
uns herum, und klingelten schelmisch mit ihren Glöckchen, und lachten
uns an mit ihren großen, vergnügten Augen. Wir tafelten recht königlich;
überhaupt schien mir mein Wirt ein echter König, und weil er bis jetzt
der einzige König ist, der mir Brot gegeben hat, so will ich ihn auch
königlich besingen.
König ist der Hirtenknabe,
Grüner Hügel ist sein Thron,
Über seinem Haupt die Sonne
Ist die schwere, goldne Kron'.
Ihm zu Füßen liegen Schafe,
Weiche Schmeichler, rotbekreuzt!
Kavaliere sind die Kälber,
Und sie wandeln stolz gespreizt.
Hofschauspieler sind die Böcklein;
Und die Vögel und die Küh',
Mit den Flöten, mit den Glöcklein,
Sind die Kammermusici.
Und das klingt und singt so lieblich,
Und so lieblich rauschen drein
Wasserfall und Tannenbäume,
Und der König schlummert ein.
Unterdessen muß regieren
Der Minister, jener Hund,
Dessen knurriges Gebelle
Wiederhallet in der Rund'.
Schläfrig lallt der junge König:
»Das Regieren ist so schwer,
Ach, ich wollt', daß ich zu Hause
Schon bei meiner Kön'gin wär'!
»In den Armen meiner Kön'gin
Ruht mein Königshaupt so weich,
Und in ihren lieben Augen
Liegt mein unermeßlich Reich!«
Wir nahmen freundschaftlich Abschied, und fröhlich stieg ich den Berg
hinauf. Bald empfing mich eine Waldung himmelhoher Tannen, für die ich
in jeder Hinsicht Respekt habe. Diesen Bäumen ist nämlich das Wachsen
nicht so ganz leicht gemacht worden, und sie haben es sich in der Jugend
sauer werden lassen. Der Berg ist hier mit vielen großen Granitblöcken
übersäet, und die meisten Bäume mußten mit ihren Wurzeln diese Steine
umranken oder sprengen, und mühsam den Boden suchen, woraus sie Nahrung
schöpfen können. Hier und da liegen die Steine, gleichsam ein Thor
bildend, über einander, und oben darauf stehen die Bäume, die nackten
Wurzeln über jene Steinpforte hinziehend, und erst am Fuße derselben
den Boden erfassend, so daß sie in der freien Luft zu wachsen scheinen.
Und doch haben sie sich zu jener gewaltigen Höhe empor geschwungen, und,
mit den umklammerten Steinen wie zusammengewachsen, stehen sie fester
als ihre bequemen Kollegen im zahmen Forstboden des flachen Landes. So
stehen auch im Leben jene großen Männer, die durch das Überwinden früher
Hemmungen und Hindernisse sich erst recht gestärkt und befestigt haben.
Auf den Zweigen der Tannen kletterten Eichhörnchen und unter denselben
spazierten die gelben Hirsche. Wenn ich solch ein liebes, edles Tier
sehe, so kann ich nicht begreifen, wie gebildete Leute Vergnügen daran
finden, es zu hetzen und zu töten. Solch ein Tier war barmherziger als
die Menschen, und säugte den schmachtenden Schmerzenreich der heiligen
Genovefa.
Allerliebst schossen die goldenen Sonnenlichter durch das dichte
Tannengrün. Eine natürliche Treppe bildeten die Baumwurzeln. Überall
schwellende Moosbänke; denn die Steine sind fußhoch von den schönsten
Moosarten, wie mit hellgrünen Sammetpolstern, bewachsen. Liebliche Kühle
und träumerisches Quellengemurmel. Hier und da sieht man, wie das Wasser
unter den Steinen silberhell hinrieselt und die nackten Baumwurzeln und
Fasern bespült. Wenn man sich nach diesem Treiben hinab beugt, so
belauscht man gleichsam die geheime Bildungsgeschichte der Pflanzen und
das ruhige Herzklopfen des Berges. An manchen Orten sprudelt das Wasser
aus den Steinen und Wurzeln stärker hervor und bildet kleine Kaskaden.
Da läßt sich gut sitzen. Es murmelt und rauscht so wunderbar, die Vögel
singen abgebrochene Sehnsuchtslaute, die Bäume flüstern wie mit tausend
Mädchenzungen, wie mit tausend Mädchenaugen schauen uns an die seltsamen
Bergblumen, sie strecken nach uns aus die wundersam breiten, drollig
gezackten Blätter, spielend flimmern hin und her die lustigen
Sonnenstrahlen, die sinnigen Kräutlein erzählen sich grüne Märchen, es
ist alles wie verzaubert, es wird immer heimlicher und heimlicher, ein
uralter Traum wird lebendig, die Geliebte erscheint -- ach, daß sie so
schnell wieder verschwindet!
Je höher man den Berg hinaufsteigt, desto kürzer, zwerghafter werden die
Tannen, sie scheinen immer mehr und mehr zusammen zu schrumpfen, bis nur
Heidelbeer- und Rotbeersträuche und Bergkräuter übrig bleiben. Da wird
es auch schon fühlbar kälter. Die wunderlichen Gruppen der Granitblöcke
werden hier erst recht sichtbar; diese sind oft von erstaunlicher Größe.
Das mögen wohl die Spielbälle sein, die sich die bösen Geister einander
zuwerfen in der Walpurgisnacht, wenn hier die Hexen auf Besenstielen und
Mistgabeln einhergeritten kommen, und die abenteuerlich verruchte Lust
beginnt, wie die glaubhafte Amme es erzählt, und wie es zu schauen ist
auf den hübschen Faustbildern des Meister Retzsch. Ja, ein junger
Dichter, der auf einer Reise von Berlin nach Göttingen in der ersten
Mainacht am Brocken vorbei ritt, bemerkte sogar, wie einige
belletristische Damen auf einer Bergecke ihre ästhetische
Theegesellschaft hielten, sich gemütlich die »Abendzeitung« vorlasen,
ihre poetischen Ziegenböckchen, die meckernd den Theetisch umhüpften,
als Universalgenies priesen, und über alle Erscheinungen in der
deutschen Litteratur ihr Endurteil fällten; doch als sie auch auf den
»Ratcliff« und »Almansor« gerieten, und dem Verfasser alle Frömmigkeit
und Christlichkeit absprachen, da sträubte sich das Haar des jungen
Mannes, Entsetzen ergriff ihn, -- ich gab dem Pferde die Sporen und
jagte vorüber.
In der That, wenn man die obere Hälfte des Brockens besteigt, kann man
sich nicht erwehren, an die ergötzlichen Blocksberggeschichten zu
denken, und besonders an die große mystische deutsche Nationaltragödie
vom Doktor Faust. Mir war immer, als ob der Pferdefuß neben mir hinauf
klettere, und jemand humoristisch Atem schöpfe. Und ich glaube, auch
Mephisto muß mit Mühe Atem holen, wenn er seinen Lieblingsberg ersteigt;
es ist ein äußerst erschöpfender Weg, und ich war froh, als ich endlich
das langersehnte Brockenhaus zu Gesicht bekam.
Dieses Haus, das, wie durch vielfache Abbildungen bekannt ist, bloß aus
einem Parterre besteht, und auf der Spitze des Berges liegt, wurde erst
1800 vom Grafen Stolberg-Wernigerode erbaut, für dessen Rechnung es auch
als Wirtshaus verwaltet wird. Die Mauern sind erstaunlich dick, wegen
des Windes und der Kälte im Winter; das Dach ist niedrig, in der Mitte
desselben steht eine turmartige Warte, und bei dem Hause liegen noch
zwei kleine Nebengebäude, wovon das eine in frühern Zeiten den
Brockenbesuchern zum Obdach diente.
Der Eintritt in das Brockenhaus erregte bei mir eine etwas
ungewöhnliche, märchenhafte Empfindung. Man ist nach einem langen,
einsamen Umhersteigen durch Tannen und Klippen plötzlich in ein
Wolkenhaus versetzt; Städte, Berge und Wälder blieben unten liegen, und
oben findet man eine wunderlich zusammengesetzte, fremde Gesellschaft,
von welcher man, wie es an dergleichen Orten natürlich ist, fast wie ein
erwarteter Genosse, halb neugierig und halb gleichgiltig, empfangen
wird. Ich fand das Haus voller Gäste, und, wie es einem klugen Manne
geziemt, dachte ich schon an die Nacht, an die Unbehaglichkeit eines
Strohlagers; mit hinsterbender Stimme verlangte ich gleich Thee, und der
Herr Brockenwirt war vernünftig genug, einzusehen, daß ich kranker
Mensch für die Nacht ein ordentliches Bett haben müsse. Dieses
verschaffte er mir in einem engen Zimmerchen, wo schon ein junger
Kaufmann, ein langes Brechpulver in einem braunen Oberrock, sich
etabliert hatte.
In der Wirtsstube fand ich lauter Leben und Bewegung. Studenten von
verschiedenen Universitäten. Die einen sind kurz vorher angekommen und
restaurieren sich, andere bereiten sich zum Abmarsch, schnüren ihre
Ranzen, schreiben ihre Namen ins Gedächtnisbuch, erhalten Brockensträuße
von den Hausmädchen; da wird in die Wangen gekniffen, gesungen,
gesprungen, gejohlt, man fragt, man antwortet, gut Wetter, Fußweg,
Prosit, Adieu. Einige der Abgehenden sind auch etwas angesoffen, und
diese haben von der schönen Aussicht einen doppelten Genuß, da ein
Betrunkener alles doppelt sieht.
Nachdem ich mich ziemlich rekreiert, bestieg ich die Turmwarte, und fand
daselbst einen kleinen Herrn mit zwei Damen, einer jungen und einer
ältlichen. Die junge Dame war sehr schön. Eine herrliche Gestalt, auf
dem lockigen Haupte ein helmartiger, schwarzer Atlashut, mit dessen
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  • Die Harzreise - 5
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