Die Harzreise - 1

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Die Harzreise

Von
Heinrich Heine

Nach Adolph Strodtmanns Handexemplar
berichtigt und herausgegeben
von
Otto F. Lachmann


Leipzig
Druck und Verlag von Philipp Reclam jun.


Schwarze Röcke, seidne Strümpfe,
Weiße höfliche Manschetten,
Sanfte Reden, Embrassieren --
Ach, wenn sie nur Herzen hätten!
Herzen in der Brust, und Liebe,
Warme Liebe in dem Herzen --
Ach, mich tötet ihr Gesinge
Von erlognen Liebesschmerzen.
Auf die Berge will ich steigen,
Wo die frommen Hütten stehen,
Wo die Brust sich frei erschließet,
Und die freien Lüfte wehen.
Auf die Berge will ich steigen,
Wo die dunkeln Tannen ragen,
Bäche rauschen, Vögel singen,
Und die stolzen Wolken jagen.
Lebet wohl, ihr glatten Säle!
Glatte Herren! glatte Frauen!
Auf die Berge will ich steigen,
Lachend auf euch niederschauen.


Die Stadt Göttingen, berühmt durch ihre Würste und Universität, gehört
dem Könige von Hannover, und enthält 999 Feuerstellen, diverse Kirchen,
eine Entbindungsanstalt, eine Sternwarte, einen Karcer, eine Bibliothek
und einen Ratskeller, wo das Bier sehr gut ist. Der vorbeifließende Bach
heißt »die Leine«, und dient des Sommers zum Baden; das Wasser ist sehr
kalt und an einigen Orten so breit, daß Lüder wirklich einen großen
Anlauf nehmen mußte, als er hinüber sprang. Die Stadt selbst ist schön,
und gefällt einem am besten, wenn man sie mit dem Rücken ansieht. Sie
muß schon sehr lange stehen, denn ich erinnere mich, als ich vor fünf
Jahren dort immatrikuliert und bald darauf konsiliiert wurde, hatte sie
schon dasselbe graue, altkluge Ansehen, und war schon vollständig
eingerichtet mit Schnurren, Pudeln, Dissertationen, Thédansants,
Wäscherinnen, Kompendien, Taubenbraten, Guelfenorden, Promotionskutschen,
Pfeifenköpfen, Hofräten, Justizräten, Relegationsräten, Profaxen und
anderen Faxen. Einige behaupten sogar, die Stadt sei zur Zeit der
Völkerwanderung erbaut worden, jeder deutsche Stamm habe damals ein
ungebundenes Exemplar seiner Mitglieder darin zurückgelassen, und davon
stammten alle die Vandalen, Friesen, Schwaben, Teutonen, Sachsen,
Thüringer u. s. w., die noch heutzutage in Göttingen, hordenweis und
geschieden durch Farben der Mützen und der Pfeifenquäste, über die
Weenderstraße einherziehen, auf den blutigen Wahlstätten der Rasenmühle,
des Ritschenkruges und Bovdens sich ewig unter einander herumschlagen,
in Sitten und Gebräuchen noch immer wie zur Zeit der Völkerwanderung
dahinleben, und teils durch ihre Duces, welche Haupthähne heißen, teils
durch ihr uraltes Gesetzbuch, welches Komment heißt und in den _legibus
barbarorum_ eine Stelle verdient, regiert werden.
Im allgemeinen werden die Bewohner Göttingens eingeteilt in Studenten,
Professoren, Philister und Vieh, welche vier Stände doch nichts weniger
als streng geschieden sind. Der Viehstand ist der bedeutendste. Die
Namen aller Studenten und aller ordentlichen und unordentlichen
Professoren hier herzuzählen, wäre zu weitläuftig; auch sind mir in
diesem Augenblicke nicht alle Studentennamen im Gedächtnisse, und unter
den Professoren sind manche, die noch gar keinen Namen haben. Die Zahl
der Göttinger Philister muß sehr groß sein, wie Sand oder, besser
gesagt, wie Kot am Meer; wahrlich, wenn ich sie des Morgens mit ihren
schmutzigen Gesichtern und weißen Rechnungen vor den Pforten des
akademischen Gerichtes aufgepflanzt sah, so mochte ich kaum begreifen,
wie Gott nur so viel Lumpenpack erschaffen konnte.
Ausführlicheres über die Stadt Göttingen läßt sich sehr bequem nachlesen
in der Topographie derselben von K. F. H. Marx. Obzwar ich gegen den
Verfasser, der mein Arzt war und mir viel Liebes erzeigte, die
heiligsten Verpflichtungen hege, so kann ich doch sein Werk nicht
unbedingt empfehlen, und ich muß tadeln, daß er jener falschen Meinung,
als hätten die Göttingerinnen allzugroße Füße, nicht streng genug
widerspricht. Ja, ich habe mich sogar seit Jahr und Tag mit einer
ernsten Widerlegung dieser Meinung beschäftigt, ich habe deshalb
vergleichende Anatomie gehört, die seltensten Werke aus der Bibliothek
excerpiert, auf der Weenderstraße stundenlang die Füße der
vorübergehenden Damen studiert, und in der grundgelehrten Abhandlung, so
die Resultate dieser Studien enthalten wird, spreche ich 1) von den
Füßen überhaupt, 2) von den Füßen bei den Alten, 3) von den Füßen der
Elefanten, 4) von den Füßen der Göttingerinnen, 5) stelle ich alles
zusammen, was über diese Füße auf Ullrichs Garten schon gesagt worden,
6) betrachte ich diese Füße in ihrem Zusammenhang, und verbreite mich
bei dieser Gelegenheit auch über Waden, Knie u. s. w., und endlich 7),
wenn ich nur so großes Papier auftreiben kann, füge ich noch hinzu
einige Kupfertafeln mit dem Faksimile Göttingischer Damenfüße. --
Es war noch sehr früh, als ich Göttingen verließ, und der gelehrte **
lag gewiß noch im Bette und träumte wie gewöhnlich, er wandle in einem
schönen Garten, auf dessen Beeten lauter weiße mit Citaten beschriebene
Papierchen wachsen, die im Sonnenlichte lieblich glänzen, und von denen
er hie und da mehrere pflückt, und mühsam in ein neues Beet verpflanzt,
während die Nachtigallen mit ihren süßesten Tönen sein altes Herz
erfreuen.
Vor dem Weender Thore begegneten mir zwei eingeborne kleine Schulknaben,
wovon der eine zum andern sagte: »Mit dem Theodor will ich gar nicht
mehr umgehen, er ist ein Lumpenkerl, denn gestern wußte er nicht mal,
wie der Genitiv von _mensa_ heißt.« So unbedeutend diese Worte klingen,
so muß ich sie doch wieder erzählen, ja, ich möchte sie als Stadt-Motto
gleich auf das Thor schreiben lassen; denn die Jungen piepsen, wie die
Alten pfeifen, und jene Worte bezeichnen ganz den engen, trocknen
Notizenstolz der hochgelahrten Georgia Augusta.
Auf der Chaussee wehte frische Morgenluft, und die Vögel sangen gar
freudig, und auch mir wurde allmählich wieder frisch und freudig zu
Mute. Eine solche Erquickung that not. Ich war die letzte Zeit nicht aus
dem Pandektenstall herausgekommen, römische Kasuisten hatten mir den
Geist wie mit einem grauen Spinnweb überzogen, mein Herz war wie
eingeklemmt zwischen den eisernen Paragraphen selbstsüchtiger
Rechtssysteme, beständig klang es mir noch in den Ohren wie »Tribonian,
Justinian, Hermogenian und Dummerjahn«, und ein zärtliches Liebespaar,
das unter einem Baume saß, hielt ich gar für eine Korpusjurisausgabe mit
verschlungenen Händen. Auf der Landstraße fing es schon an lebendig zu
werden. Milchmädchen zogen vorüber; auch Eseltreiber mit ihren grauen
Zöglingen. Hinter Weende begegneten mir der Schäfer und Doris. Dieses
ist nicht das idyllische Paar, wovon Geßner singt, sondern es sind
wohlbestallte Universitätspedelle, die wachsam aufpassen müssen, daß
sich keine Studenten in Bovden duellieren, und daß keine neuen Ideen,
die noch immer einige Decennien vor Göttingen Quarantaine halten müssen,
von einem spekulierenden Privatdocenten eingeschmuggelt werden. Schäfer
grüßte mich sehr kollegialisch; denn er ist ebenfalls Schriftsteller,
und hat meiner in seinen halbjährigen Schriften oft erwähnt; wie er mich
denn auch außerdem oft citiert hat und, wenn er mich nicht zu Hause
fand, immer so gütig war, die Citation mit Kreide auf meine Stubenthür
zu schreiben. Dann und wann rollte auch ein Einspänner vorüber,
wohlbepackt mit Studenten, die für die Ferienzeit oder auch für immer
wegreisten. In solch' einer Universitätsstadt ist ein beständiges Kommen
und Abgehn, alle drei Jahre findet man dort eine neue Studentengeneration.
Das ist ein ewiger Menschenstrom, wo eine Semesterwelle die andere
fortdrängt, und nur die alten Professoren bleiben stehen in dieser
allgemeinen Bewegung, unerschütterlich fest, gleich den Pyramiden
Ägyptens -- nur daß in diesen Universitätspyramiden keine Weisheit
verborgen ist.
Aus den Myrtenlauben bei Rauschenwasser sah ich zwei hoffnungsvolle
Jünglinge hervorreiten. Ein Weibsbild, das dort sein horizontales
Handwerk treibt, gab ihnen bis auf die Landstraße das Geleit,
klätschelte mit geübter Hand die mageren Schenkel der Pferde, lachte
laut auf, als der eine Reiter ihr hinten auf die breite Spontaneität
einige Galanterien mit der Peitsche überlangte, und schob sich alsdann
gen Bovden. Die Jünglinge aber jagten nach Nörten, und johlten gar
geistreich, und sangen gar lieblich das Rossini'sche Lied: »Trink Bier,
liebe, liebe Lise!« Diese Töne hörte ich noch lange in der Ferne; doch
die holden Sänger selbst verlor ich bald völlig aus dem Gesichte,
sintemal sie ihre Pferde, die im Grunde einen deutsch langsamen
Charakter zu haben schienen, gar entsetzlich anspornten und
vorwärtspeitschten. Nirgend wird die Pferdeschinderei stärker getrieben
als in Göttingen, und oft, wenn ich sah, wie solch eine
schweißtriefende, lahme Kracke für das bißchen Lebensfutter von unsern
Rauschenwasserrittern abgequält ward, oder wohl gar einen ganzen Wagen
voll Studenten fortziehen mußte, so dachte ich auch: »O du armes Tier,
gewiß haben deine Voreltern im Paradiese verbotenen Hafer gefressen!«
Im Wirtshause zu Nörten traf ich die beiden Jünglinge wieder. Der eine
verzehrte einen Heringssalat, und der andere unterhielt sich mit der
gelbledernen Magd, Fusia Kanina, auch Trittvogel genannt. Er sagte ihr
einige Anständigkeiten und am Ende wurden sie handgemein. Um meinen
Ranzen zu erleichtern, nahm ich die eingepackten blauen Hosen, die in
geschichtlicher Hinsicht sehr merkwürdig sind, wieder heraus und
schenkte sie dem kleinen Kellner, den man Kolibri nennt. Die Bussenia,
die alte Wirtin, brachte mir unterdessen ein Butterbrot, und beklagte
sich, daß ich sie jetzt so selten besuche, denn sie liebt mich sehr.
Hinter Nörten stand die Sonne hoch und glänzend am Himmel. Sie meinte es
recht ehrlich mit mir und erwärmte mein Haupt, daß alle unreife
Gedanken darin zur Vollreife kamen. Die liebe Wirtshaussonne in Nordheim
ist auch nicht zu verachten; ich kehrte hier ein, und fand das
Mittagessen schon fertig. Alle Gerichte waren schmackhaft zubereitet,
und wollten mir besser behagen, als die abgeschmackten akademischen
Gerichte, die salzlosen, ledernen Stockfische mit ihrem alten Kohl, die
mir in Göttingen vorgesetzt wurden. Nachdem ich meinen Magen etwas
beschwichtigt hatte, bemerkte ich in derselben Wirtsstube einen Herrn
mit zwei Damen, die im Begriff waren abzureisen. Dieser Herr war ganz
grün gekleidet, trug sogar eine grüne Brille, die auf seine rote
Kupfernase einen Schein wie Grünspan warf, und sah aus, wie der König
Nebukadnezar in seinen spätern Jahren ausgesehen hat, als er, der Sage
nach, gleich einem Tiere des Waldes nichts als Salat aß. Der Grüne
wünschte, daß ich ihm ein Hotel in Göttingen empfehlen möchte, und ich
riet ihm, dort von dem ersten besten Studenten das Hotel de Brühbach zu
erfragen. Die eine Dame war die Frau Gemahlin, eine gar große,
weitläuftige Dame, ein rotes Quadratmeilen-Gesicht mit Grübchen in den
Wangen, die wie Spucknäpfe für Liebesgötter aussahen, ein langfleischig
herabhängendes Unterkinn, das eine schlechte Fortsetzung des Gesichtes
zu sein schien, und ein hochaufgestapelter Busen, der mit steifen
Spitzen und vielzackig festonierten Krägen, wie mit Türmchen und
Bastionen, umbaut war und einer Festung glich, die gewiß eben so wenig
wie jene andern Festungen, von denen Philipp von Macedonien spricht,
einem mit Gold beladenen Esel widerstehen würde. Die andere Dame, die
Frau Schwester bildete ganz den Gegensatz der eben beschriebenen.
Stammte jene von Pharao's fetten Kühen, so stammte diese von den magern.
Das Gesicht nur ein Mund zwischen den Ohren, die Brust trostlos öde wie
die Lüneburger Heide; die ganze ausgekochte Gestalt glich einem
Freitisch für arme Theologen. Beide Damen fragten mich zu gleicher Zeit,
ob im Hotel de Brühbach auch ordentliche Leute logierten. Ich bejahte es
mit gutem Gewissen, und als das holde Kleeblatt abfuhr, grüßte ich
nochmals zum Fenster hinaus. Der Sonnenwirt lächelte gar schlau und
mochte wohl wissen, daß der Karcer von den Studenten in Göttingen Hotel
de Brühbach genannt wird.
Hinter Nordheim wird es schon gebirgig, und hier und da treten schöne
Anhöhen hervor. Auf dem Wege traf ich meistens Krämer, die nach der
Braunschweiger Messe zogen, auch ein Schwarm Frauenzimmer, deren jede
ein großes, fast häuserhohes, mit weißem Leinen überzogenes Behältnis
auf dem Rücken trug. Darin saßen allerlei eingefangene Singvögel, die
beständig piepsten und zwitscherten, während ihre Trägerinnen lustig
dahinhüpften und schwatzten. Mir kam es gar närrisch vor, wie so ein
Vogel den andern zu Markte trägt.
In pechdunkler Nacht kam ich an zu Osterode. Es fehlte mir der Appetit
zum Essen, und ich legte mich gleich zu Bette. Ich war müde wie ein Hund
und schlief wie ein Gott. Im Traume kam ich wieder nach Göttingen
zurück, und zwar nach der dortigen Bibliothek. Ich stand in einer Ecke
des juristischen Saals, durchstöberte alte Dissertationen, vertiefte
mich im Lesen, und als ich aufhörte, bemerkte ich zu meiner Bewunderung,
daß es Nacht war, und herabhängende Krystallleuchter den Saal erhellten.
Die nahe Kirchenglocke schlug eben Zwölf, die Saalthüre öffnete sich
langsam, und herein trat eine stolze, gigantische Frau, ehrfurchtsvoll
begleitet von den Mitgliedern und Anhängern der juristischen Fakultät.
Das Riesenweib, obgleich schon bejahrt, trug dennoch im Antlitz die Züge
einer strengen Schönheit, jeder ihrer Blicke verriet die Titanin, die
gewaltige Themis, Schwert und Wage hielt sie nachlässig zusammen in der
einen Hand, in der andern hielt sie eine Pergamentrolle, zwei junge
_Doctores juris_ trugen die Schleppe ihres grau verblichenen Gewandes,
an ihrer rechten Seite sprang windig hin und her der dünne Hofrat
Rustikus, der Lykurg Hannovers, und deklamierte aus seinem neuen
Gesetzentwurf; an ihrer linken Seite humpelte gar galant und wohlgelaunt
ihr _Cavaliere servente_, der geheime Justizrat Cujacius, und riß
beständig juristische Witze, und lachte selbst darüber so herzlich, daß
sogar die ernste Göttin sich mehrmals lächelnd zu ihm herabbeugte, mit
der großen Pergamentrolle ihm auf die Schulter klopfte, und freundlich
flüsterte: »Kleiner, loser Schalk, der die Bäume von oben herab
beschneidet!« Jeder von den übrigen Herren trat jetzt ebenfalls näher
und hatte etwas hin zu bemerken und hinzulächeln, etwa ein neu
ergrübeltes Systemchen oder Hypotheschen oder ähnliches Mißgebürtchen
des eigenen Köpfchens. Durch die geöffnete Saalthür traten auch noch
mehrere fremde Herren herein, die sich als die andern großen Männer des
illustren Ordens kund gaben, meistens eckige, lauernde Gesellen, die mit
breiter Selbstzufriedenheit gleich darauf los definierten und
distinguierten und über jedes Titelchen eines Pandektentitels
disputierten. Und immer kamen noch neue Gestalten herein, alte
Rechtsgelehrte in verschollenen Trachten, mit weißen Allongeperücken und
längst vergessenen Gesichtern, und sehr erstaunt, daß man sie, die
Hochberühmten des verflossenen Jahrhunderts, nicht sonderlich
regardierte; und diese stimmten nun ein, auf ihre Weise, in das
allgemeine Schwatzen und Schrillen und Schreien, das wie Meeresbrandung
immer verwirrter und lauter die hohe Göttin umrauschte, bis diese die
Geduld verlor, und in einem Tone des entsetzlichsten Riesenschmerzes
plötzlich aufschrie: »Schweigt! schweigt! ich höre die Stimme des teuren
Prometheus, die höhnende Kraft und die stumme Gewalt schmieden den
Schuldlosen an den Marterfelsen, und all euer Geschwätz und Gezänke kann
nicht seine Wunden kühlen und seine Fesseln zerbrechen!« So rief die
Göttin, und Thränenbäche stürzten aus ihren Augen, die ganze Versammlung
heulte wie von Todesangst ergriffen, die Decke des Saales krachte, die
Bücher taumelten herab von ihren Brettern, vergebens trat der alte
Münchhausen aus seinem Rahmen hervor, um Ruhe zu gebieten, es tobte und
kreischte immer wilder, -- und fort aus diesem drängenden Tollhauslärm
rettete ich mich in den historischen Saal, nach jener Gnadenstelle, wo
die heiligen Bilder des belvederischen Apolls und der mediceischen Venus
nebeneinander stehen, und ich stürzte zu den Füßen der Schönheitsgöttin,
in ihrem Anblick vergaß ich all das wüste Treiben, dem ich entronnen,
meine Augen tranken entzückt das Ebenmaß und die ewige Lieblichkeit
ihres hochgebenedeiten Leibes, griechische Ruhe zog durch meine Seele,
und über mein Haupt, wie himmlischen Segen, goß seine süßesten
Lyraklänge Phöbus Apollo.
Erwachend hörte ich noch immer ein freundliches Klingen. Die Herden
zogen auf die Weide, und es läuteten ihre Glöckchen. Die liebe, goldene
Sonne schien durch das Fenster und beleuchtete die Schildereien an den
Wänden des Zimmers. Es waren Bilder aus dem Befreiungskriege, worauf
treu dargestellt stand, wie wir alle Helden waren, dann auch
Hinrichtungsscenen aus der Revolutionszeit Ludwig XVI. auf der
Guillotine, und ähnliche Kopfabschneidereien, die man gar nicht ansehen
kann, ohne Gott zu danken, daß man ruhig im Bette liegt und guten Kaffee
trinkt und den Kopf noch so recht komfortabel auf den Schultern sitzen
hat. Auch hingen noch an der Wand Abälard und Heloise, einige
französische Jugenden, nämlich leere Mädchengesichter, worunter sehr
kalligraphisch _la prudence, la timidité, la pitié_ &c. geschrieben
war, und endlich eine Madonna, so schön, so lieblich, so hingebend
fromm, daß ich das Original, das dem Maler dazu gesessen, aufsuchen und
zu meinem Weibe machen möchte. Freilich, so bald ich mal mit dieser
Madonna verheiratet wäre, würde ich sie bitten, allen ferneren Umgang
mit dem heiligen Geiste aufzugeben, indem es mir gar nicht lieb sein
möchte, wenn mein Kopf durch Vermittlung meiner Frau einen
Heiligenschein, oder irgend eine andere Verzierung gewönne.
Nachdem ich Kaffee getrunken, mich angezogen, die Inschriften auf den
Fensterscheiben gelesen, und alles im Wirtshause berichtigt hatte,
verließ ich Osterode.
Diese Stadt hat so und so viel Häuser, verschiedene Einwohner, worunter
auch mehrere Seelen, wie in Gottschalks »Taschenbuch für Harzreisende«
genauer nachzulesen ist. Ehe ich die Landstraße einschlug, bestieg ich
die Trümmer der uralten Osteroder Burg. Sie bestehen nur noch aus der
Hälfte eines großen, dickmaurigen, wie von Krebsschäden angefressenen
Turms. Der Weg nach Klausthal führte mich wieder bergauf, und von einer
der ersten Höhen schaute ich nochmals hinab in das Thal, wo Osterode mit
seinen roten Dächern aus den grünen Tannenwäldern hervorguckt wie eine
Moosrose. Die Sonne gab eine gar liebe, kindliche Beleuchtung. Von der
erhaltenen Turmhälfte erblickt man hier die imponierende Rückseite.
Es liegen noch viele andre Burgruinen in dieser Gegend. Der Hardenberg
bei Nörten ist die schönste. Wenn man auch, wie es sich gebührt, das
Herz auf der linken Seite hat, auf der liberalen, so kann man sich doch
nicht aller elegischen Gefühle erwehren beim Anblick der Felsennester
jener privilegierten Raubvögel, die auf ihre schwächliche Nachbrut bloß
den starken Appetit vererbten. Und so ging es auch mir diesen Morgen.
Mein Gemüt war, je mehr ich mich von Göttingen entfernte, allmählich
aufgethaut, wieder wie sonst wurde mir romantisch zu Sinn, und wandernd
dichtete ich folgendes Lied:
Steiget auf, ihr alten Träume!
Öffne dich, du Herzensthor!
Liederwonne, Wehmutsthränen
Strömen wunderbar hervor.
Durch die Tannen will ich schweifen,
Wo die muntre Quelle springt,
Wo die stolzen Hirsche wandeln,
Wo die liebe Drossel singt.
Auf die Berge will ich steigen,
Auf die schroffen Felsenhöhn,
Wo die grauen Schloßruinen
In dem Morgenlichte stehn.
Dorten setz' ich still mich nieder
Und gedenke alter Zeit,
Alter blühender Geschlechter
Und versunkner Herrlichkeit.
Gras bedeckt jetzt den Turnierplatz,
Wo gekämpft der stolze Mann,
Der die Besten überwunden
Und des Kampfes Preis gewann.
Epheu rankt an dem Balkone,
Wo die schöne Dame stand,
Die den stolzen Überwinder
Mit den Augen überwand.
Ach! den Sieger und die Siegrin
Hat besiegt des Todes Hand --
Jener dürre Sensenritter
Streckt uns alle in den Sand.
Nachdem ich eine Strecke gewandert, traf ich zusammen mit einem
reisenden Handwerksburschen, der von Braunschweig kam und mir als ein
dortiges Gerücht erzählte, der junge Herzog sei auf dem Wege nach dem
gelobten Lande von den Türken gefangen worden, und könne nur gegen ein
großes Lösegeld freikommen. Die große Reise des Herzogs mag diese Sage
veranlaßt haben. Das Volk hat noch immer den traditionell fabelhaften
Ideengang, der sich so lieblich ausspricht in seinem »Herzog Ernst«. Der
Erzähler jener Neuigkeit war ein Schneidergesell, ein niedlicher,
kleiner junger Mensch, so dünn, daß die Sterne durchschimmern konnten,
wie durch Ossians Nebelgeister, und im Ganzen eine volkstümlich barocke
Mischung von Laune und Wehmut. Dieses äußerte sich besonders in der
drollig rührenden Weise, womit er das wunderbare Volkslied sang: »Ein
Käfer auf dem Zaune saß, summ, summ!« Das ist schön bei uns Deutschen:
Keiner ist so verrückt, daß er nicht einen noch Verrückteren fände, der
ihn versteht. Nur ein Deutscher kann jenes Lied nachempfinden, und sich
dabei totlachen und totweinen. Wie tief das Goethe'sche Wort ins Leben
des Volkes gedrungen, bemerkte ich auch hier. Mein dünner Weggenosse
trillerte ebenfalls zuweilen vor sich hin: »Leidvoll und freudvoll,
Gedanken sind frei!« Solche Korruption des Textes ist beim Volke etwas
Gewöhnliches. Er sang auch ein Lied, wo »Lottchen bei dem Grabe ihres
Werthers« trauert. Der Schneider zerfloß vor Sentimentalität bei den
Worten: »Einsam wein' ich an der Rosenstelle, wo uns oft der späte Mond
belauscht! Jammernd irr' ich an der Silberquelle, die uns lieblich Wonne
zugerauscht.« Aber bald darauf ging er in Mutwillen über und erzählte
mir: »Wir haben einen Preußen in der Herberge zu Kassel, der eben solche
Lieder selbst macht; er kann keinen seligen Stich nähen; hat er einen
Groschen in der Tasche, so hat er für zwei Groschen Durst, und wenn er
im Thran ist, hält er den Himmel für ein blaues Kamisol, und weint wie
eine Dachtraufe, und singt ein Lied mit der doppelten Poesie!« Von
letzterem Ausdruck wünschte ich eine Erklärung, aber mein Schneiderlein
mit seinen Ziegenhainer Beinchen hüpfte hin und her und rief beständig:
»Die doppelte Poesie ist die doppelte Poesie!« Endlich brachte ich es
heraus, daß er doppelt gereimte Gedichte, namentlich Stanzen, im Sinne
hatte. -- Unterdes, durch große Bewegung und den konträren Wind, war der
Ritter von der Nadel sehr müde geworden. Er machte freilich noch einige
große Anstalten zum Gehen und bramarbasierte: »Jetzt will ich den Weg
zwischen die Beine nehmen!« Doch bald klagte er, daß er sich Blasen
unter die Füße gegangen, und die Welt viel zu weitläuftig sei; und
endlich bei einem Baumstamme ließ er sich sachte niedersinken, bewegte
sein zartes Häuptlein wie ein betrübtes Lämmerschwänzchen, und wehmütig
lächelnd rief er: »Da bin ich armes Schindluderchen schon wieder
marode!«
Die Berge wurden hier noch steiler, die Tannenwälder wogten unten wie
ein grünes Meer, und am blauen Himmel oben schifften die weißen Wolken.
Die Wildheit der Gegend war durch ihre Einheit und Einfachheit gleichsam
gezähmt. Wie ein guter Dichter liebt die Natur keine schroffen
Übergänge. Die Wolken, so bizarr gestaltet sie auch zuweilen erscheinen,
tragen ein weißes oder doch ein mildes, mit dem blauen Himmel und der
grünen Erde harmonisch korrespondierendes Kolorit, so daß alle Farben
einer Gegend wie leise Musik in einander schmelzen, und jeder
Naturanblick krampfstillend und gemütberuhigend wirkt. -- Der selige
Hoffmann würde die Wolken buntscheckig bemalt haben. -- Eben wie ein
großer Dichter weiß die Natur auch mit den wenigsten Mitteln die größten
Effekte hervor zu bringen. Da sind nur eine Sonne, Bäume, Blumen, Wasser
und Liebe. Freilich, fehlt letztere im Herzen des Beschauers, so mag das
Ganze wohl einen schlechten Anblick gewähren, und die Sonne hat dann
bloß so und so viel Meilen im Durchmesser, und die Bäume sind gut zum
Einheizen, und die Blumen werden nach den Staubfäden klassifiziert, und
das Wasser ist naß.
Ein kleiner Junge, der für seinen kranken Oheim im Walde Reisig suchte,
zeigte mir das Dorf Lerrbach, dessen kleine Hütten mit grauen Dächern
sich über eine halbe Stunde durch das Thal hinziehen. »Dort,« sagte er,
»wohnen dumme Kropfleute und weiße Mohren,« -- mit letzterem Namen
werden die Albinos vom Volke benannt. Der kleine Junge stand mit den
Bäumen in gar eigenem Einverständnis; er grüßte sie wie gute Bekannte,
und sie schienen rauschend seinen Gruß zu erwidern. Er pfiff wie ein
Zeisig, ringsum antworteten zwitschernd die andern Vögel, und ehe ich
mich dessen versah, war er mit seinen nackten Füßchen und seinem Bündel
Reisig ins Walddickicht fortgesprungen. Die Kinder, dacht' ich, sind
jünger als wir, können sich noch erinnern, wie sie ebenfalls Bäume oder
Vögel waren, und sind also noch imstande, dieselben zu verstehen;
unsereins aber ist schon alt und hat zu viel Sorgen, Jurisprudenz und
schlechte Verse im Kopf. Jene Zeit, wo es anders war, trat mir bei
meinem Eintritt in Klausthal wieder recht lebhaft ins Gedächtnis. In
dieses nette Bergstädtchen, welches man nicht früher erblickt, als bis
man davorsteht, gelangte ich, als eben die Glocke Zwölf schlug und die
Kinder jubelnd aus der Schule kamen. Die lieben Knaben, fast alle
rotbäckig, blauäugig und flachshaarig, sprangen und jauchzten, und
weckten in mir die wehmütig heitere Erinnerung wie ich einst selbst als
ein kleines Bübchen in einer dumpfkatholischen Klosterschule zu
Düsseldorf den ganzen lieben Vormittag von der hölzernen Bank nicht
aufstehen durfte, und so viel Latein, Prügel und Geographie ausstehen
mußte, und dann ebenfalls unmäßig jauchzte und jubelte, wenn die alte
Franziskanerglocke endlich Zwölf schlug. Die Kinder sahen an meinem
Ranzen, daß ich ein Fremder sei, und grüßten mich recht gastfreundlich.
Einer der Knaben erzählte mir, sie hätten eben Religionsunterricht
gehabt, und er zeigte mir den königl. hannov. Katechismus, nach welchem
man ihnen das Christentum abfragt. Dieses Büchlein war sehr schlecht
gedruckt, und ich fürchte, die Glaubenslehren machen dadurch schon
gleich einen unerfreulich löschpapierigen Eindruck auf die Gemüter der
Kinder; wie es mir denn auch erschrecklich mißfiel, daß das Einmaleins,
welches doch mit der heiligen Dreiheitslehre bedenklich kollidiert, im
Katechismus selbst, und zwar auf dem letzten Blatte desselben,
abgedruckt ist, und die Kinder dadurch schon frühzeitig zu sündhaften
Zweifeln verleitet werden können. Da sind wir im Preußischen viel
klüger, und bei unserem Eifer zur Bekehrung jener Leute, die sich so gut
aufs Rechnen verstehen, hüten wir uns wohl, das Einmaleins hinter dem
Katechismus abdrucken zu lassen.
In der »Krone« zu Klausthal hielt ich Mittag. Ich bekam frühlingsgrüne
Petersiliensuppe, veilchenblauen Kohl, einen Kalbsbraten, groß wie der
Chimborasso in Miniatur, so wie auch eine Art geräucherter Heringe, die
Bückinge heißen, nach dem Namen ihres Erfinders, Wilhelm Bücking, der
1447 gestorben, und um jener Erfindung willen von Karl V. so verehrt
wurde, daß derselbe anno 1556 von Middelburg nach Bievlied in Zeeland
reiste, bloß um dort das Grab dieses großen Mannes zu sehen. Wie
herrlich schmeckt doch solch ein Gericht, wenn man die historischen
Notizen dazu weiß und es selbst verzehrt. Nur der Kaffee nach Tische
wurde mir verleidet, indem sich ein junger Mensch diskursierend zu mir
setzte und so entsetzlich schwadronierte, daß die Milch auf dem Tische
sauer wurde. Es war ein junger Handlungsbeflissener mit fünfundzwanzig
bunten Westen und eben so viel goldnen Petschaften, Ringen, Brustnadeln
u. s. w. Er sah aus wie ein Affe, der eine rote Jacke angezogen hat und
nun zu sich selber sagt: Kleider machen Leute. Eine ganze Menge Charaden
wußte er auswendig, so wie auch Anekdoten, die er immer da anbrachte, wo
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  • Die Harzreise - 5
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