Die fünf Waldstädte: Ein Buch für Menschen, die jung sind - 9

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»Was nutzt es mir, wenn ich diese schönen
Dinge auf der Burg verkaufe? Der Prinz von
Czernagora wird kommen und mir den Erlös abnehmen.
Höchstens werde ich einen kleinen Profit
behalten. Besser ist es, ich wandere nach Prag,
verkaufe dort meine Waren und freue mich dessen,
was ich dafür erhalte.«
Also machte sich der Schneider nicht auf den
Weg nach der Burg, sondern marschierte auf der
Landstraße gen Prag. Als er aber einen halben
Tag gewandert war, kam ihm plötzlich Wolfsklaue
entgegen. Der Schneider erschrak des Todes.
Wolfsklaue aber lächelte und sagte:
»Schneider, du verläufst dich! Hier geht es
nach Prag. Die Burg liegt dir genau im Rücken.
Sei also so freundlich und kehre um. Ich werde
dich begleiten, bis du durch die Burgpforte hineingegangen
bist, damit du dich nicht noch einmal
verirrst.«
Der Schneider knirschte innerlich vor Wut über
diese Begegnung; äußerlich aber mußte er tun,
als freue er sich sehr, daß er vom unrechten Weg
abgebracht worden war, und mußte sich Wolfsklauens
Begleitung gefallen lassen, der mit ihm
ging, bis die Burg in Sicht war, und sich dann
unter einem Baum auf die Lauer setzte.
So wanderte der Schneider den Talweg entlang
der Burg zu. Auf einer Wiese sah er ein Mädchen
stehen. Es war eine Gänsehirtin. An die ging
er heran, lüftete seine Kappe und sagte:
»Scheens Freilein, woll'n Se vielleicht kaufen
ä Paar hochfaine Strumpfbänder?«
Das Mädchen lachte mit seinem kirschroten
Mund, daß man alle ihre schönen weißen Zähne
sah, und sagte:
»Ich habe noch nie Strümpfe gehabt; ich gehe
immer barfuß. Und ich habe noch nie einen
Pfennig Geld in der Hand gehabt.«
»Dumme Gans!« brummte der Schneider und
klappte den Kasten zu.
Da kam des Wegs eine Edeldame geritten.
Sie war prächtig aufgeputzt, trug einen Falken
auf dem Finger, und hinter ihr ritt ein Forstmann.
Als sie den Schneider sah, hielt sie ihr Roß an
und rief:
»Heda, Hebräer, was hast du Schönes in deinem
Kasten?«
Der Schneider stürzte herbei, machte eine Verneigung,
sah der Dame ins Gesicht und stotterte:
»Ich könnte Euch geben, gnädigste Frau Ferstin,
ä sehr ä gutes Mittel gegen rote Nase.«
»Pfui!« schrie die Dame und sprengte davon.
Der Forstmann aber hieb dem Schneider mit der
Reitpeitsche den Buckel ganz jämmerlich voll und
sagte:
»Ich werde dich lehren, du schmutziger Kerl,
unsere Frau Burggräfin zu beleidigen. Ich schlag
dich auf der Stelle tot!«
Der Unmensch hätte es vielleicht auch getan,
wenn nicht die Burggräfin zurückgekommen
wäre.
»Laß ihn am Leben,« rief sie, »laß ihn vorläufig
am Leben! Er soll mir erst sagen, ob er
meine Nase wirklich für rot hält.«
»Gnädigste Burggräfin,« wimmerte der Schneider,
»Eure allerdurchlauchtigste Nase ist so weiß
und stattlich wie die Schneekoppe im Winter.«
Das besänftigte die Dame.
»Ich will ihm Gnade widerfahren lassen,«
sagte sie milde, »weil er seinen Irrtum eingesehen
und ihn so poetisch widerrufen hat. Zeige er, was
er im Kasten hat.«
Da öffnete der Schneider den unteren Kasten,
und wie die Sonne hineinschien, blitzte und gleißte
es von Diamanten, Rubinen, Saphiren und
Opalen. Die Burggräfin sprang entzückt vom
Pferde.
»Das ist das Schönste, was ich gesehen habe,
das Allerherrlichste, das Allerwundervollste! Was
soll dieser Stein kosten?«
Sie griff mit zitternder Hand nach einem Diamanten,
der so groß war wie ein Gänseei.
»Gnädigste Burggräfin,« sagte der Jude; »den
Stein habe ich abgekauft dem Kaiser von Persien
selbst um die zehntausend Golddukaten. Er hatte
gehabt gerade Ausverkauf, sonst hätt' ich ja beileibe
den Stein nich gekriegt so spottbillig. Er
is unter Brüdern wert ä Königreich. Aber da
mer is mei Läben noch mehr wert als ä Königreich,
und da mer hat geschenkt die Frau Burggräfin
mei Läben, so schenk ich der Frau Burggräfin
den Stein.«
Das Gesicht der Burggräfin wurde glühend rot
wie die Sonnenscheibe. Aber dann machte sie
eine hoheitsvolle Miene und sagte:
»Braver Mann, Ihr meint's gut. Aber als
Burggräfin kann ich kein Geschenk von Euch annehmen;
ich kann Euch den Stein nur abkaufen.
Nehmt also diese fünf Gulden als Kaufpreis.«
»Auch recht,« sagte der Jude und steckte die
fünf Gulden ein.
»Und nun,« sagte die Gräfin, »kommt mit auf
die Burg. Wir wollen sehen, was Ihr sonst noch
Schönes im Kasten habt.«
Sie übergab dem Forstmann ihren Falken,
sagte, die Jagd sei für heute aus, und ritt langsam
den Burgweg hinan, während der Schneider zehn
Schritte weit hinter ihr herging. Als sie aber in
einen dunklen Torweg kamen, winkte die Gräfin
den Händler heran und raunte ihm mit hastiger
Stimme zu:
»Habt Ihr wirklich ein gutes Mittel gegen --
gegen --«
Hier blieb sie stecken.
»Gegen was?« fragte der Schneider und tat unbefangen.
»Gegen -- gegen Nasenröte!« brachte sie mühsam
heraus.
»Hier, Frau Burggräfin,« sagte der Jude wohlwollend
und drückte ihr ein Büchslein Salbe in
die Hand. »Ich verrat nix!« -- -- --
Auf der Burg wurde der Schneider von den
Damen mit aufgeregtem Gezwitscher, von den
Herren mit freundlichem Gebrumm und Gegrunz
aufgenommen. Alle wollten die prachtvollen
Steine sehen, jedes wollte wenigstens eines der
köstlichen Stücke, die der Jude um ein Spottgeld
abgab, für sich kaufen. Selbst der Burgherr kam
und erstand einen funkelnden Rubin, der so groß
wie ein Apfel war und einen prachtvollen Schmuck
für einen Degengriff abgeben mußte.
In dieser Burg lebte aber wie in allen Burgen
ein Alchimist. Dieser berühmte und gelehrte
Mann hatte versprochen, aus Kupfer Gold zu
machen und ein Lebenselixier zu brauen, das ewige
Jugend verlieh. Er hatte zwar sein Versprechen
noch niemals eingelöst, aber man konnte
nicht wissen, ob er es nicht am ersten besten
Tage tun werde. Er stand darum in hohem
Ansehen.
Der Alchimist zog sich nun in seine Hexenküche
zurück, kam nach einiger Zeit wieder und verkündete:
»Alles Geschmeide, das der Jude verkauft hat,
und alle seine Steine sind unecht und ohne Wert.«
Da schrien die Männer, da schrien die Frauen
vor Wut.
Der Schneider aber stand lächelnd da und sagte:
»Dieser Gelehrte ist ein Dummkopf. Meine
Steine und mein Gold sind echt. Und wenn ihr
mir nicht glaubt, so wartet, bis mein Herr, der
Prinz von Czernagora, kommt, der wird es euch
bezeugen.«
Kaum hatte der Jude den Namen des Prinzen
von Czernagora ausgesprochen, so wurde er auch
schon gepackt und flog ins Verließ. Die Goldgeschmeide
und die Steine aber wurden in den
Brunnen geworfen, wo sie liegen bis auf den
heutigen Tag.
Nur der Burggraf behielt seinen Rubin, und
die Burggräfin behielt das Büchslein mit der
Nasensalbe.
* * * * *
So saßen die drei armen Hascher gefangen beieinander
und waren in großer Betrübnis.
»Wenn ich mir's recht überlege,« sagte der
Schneider, »so haben wir eigentlich in unserem
Räuberberufe Pech gehabt.«
»Ein Hundeleben ist es,« knirschte der Hutmacher,
»und wenn dieser Wolfsklaue nicht ein
großer Schelm und Betrüger ist, so will ich mich
hängen lassen.«
»Gehängt werden wir so wie so!« meinte der
Schuster schwermütig.
Da kratzten sich alle drei am Halse, als ob sie
etwas jucke.
Gegen Mitternacht begann ein Glöcklein zu
läuten. Bang und schaurig gingen seine Klänge
durch die stillen Hallen und Gänge der Burg
und drangen bis ins Verließ. Da wußten die
drei armen Hascher, daß ihr letztes Stündlein gekommen
sei.
»Brüder,« sagte der Hutmacher, »wir müssen
Abschied nehmen vom Leben. Wir wollen uns
also in Liebe miteinander versöhnen und uns alles
verzeihen, was wir einander angetan haben, damit
auch Gott uns verzeihe.«
Sie fielen einander um den Hals, und ihre
Tränen rannen heiß und schwer.
Da kamen auch schon die Schergen und schleppten
sie hinauf in den Burghof. Dort stand unter
einer großen Linde der Richtertisch. Ein Totenkopf
lag darauf und ein Schwert. Der Burgherr
saß auf dem hohen Richterstuhl, und um ihn
herum im Halbkreis saßen sieben schwarz vermummte
Männer. Der Nachtwind rauschte in
dem Gezweig des großen Baumes, und die rotbrennenden
Fackeln flackerten und warfen blutige
Lichter über den Hof und das graue Gemäuer.
Der Burgherr erhob sich und sagte:
»Diese drei Schelme haben als Verräter und
Betrüger in meine Burg eindringen wollen; sie
sind gekommen als die Abgesandten meines Todfeindes,
des Prinzen von Czernagora. Was
dünkt euch, ihr ehrenwerten Richter, daß mit
ihnen geschehen soll?«
»Sie sollen des Todes sterben!« sagten die
Richter.
Da schlug der Burgherr mit dem Richtschwert
dreimal auf den Tisch und bestätigte das Urteil:
»Sie sollen des Todes sterben!«
Darauf wurden die drei armen Hascher aus
der Burg hinausgeführt in die dunkle Nacht.
Das Glöcklein läutete, und eine Trommel schlug
die dumpfe, einförmige Todesmusik. Bis zum
Galgenberge ging es, da ragten drei Richtgerüste
gegen den Nachthimmel auf. Die drei Räuber
wurden gehängt, und der ganze Troß von der
Burg kehrte augenblicklich um.
Nun zappelten die drei armen Hascher. Der
kalte Angstschweiß rann von ihren Stirnen, und
ihre Züge verzerrten sich. Noch läutete das
Glöcklein. Ein Schwarm schwarzer Raben
flatterte zu Häupten der Gehängten, und drei
Eulen saßen am Boden, die glühten sie an mit
unheimlich funkelnden Augen.
Plötzlich brach ein Roß aus dem Gebüsch.
Wolfsklaue saß darauf. Er stieß ein höhnisches,
teuflisches Gelächter aus, blökte den dreien die
Zunge heraus und jagte davon.
Dann kam ein Zug von Männern. Der Müller
mit seinen Knechten war es, den die Räuber einmal
hatten überfallen wollen. Die Männer
lachten verächtlich und zogen vorbei.
Der Polenkönig kam geritten mit siebzehn
Kammerdienern und achtundfünfzig Soldaten,
und er trug die Krone und den Mantel und hatte
die himbeersamtne und bernsteingelbe Hose an.
Zuletzt kam ein alter Mann. Er hinkte, hatte
ein närrisch kleines Hütlein auf dem weißhaarigen
Kopf und zwei Buckel auf seinem Rücken. Er
blickte die drei Gehängten an und sagte:
»Ehe ihr sterbt, will ich euch noch einmal
danken dafür, daß ihr mich so schön ausstaffieret
habt. Sehet die Stiefel, den Rock und den Hut,
die ihr mir für gutes Geld gemacht habt!«

Da hoben die drei armen Hascher in ihrer
schweren Todesnot mit der letzten Kraft bittend
die Hände zu ihm hin. Er aber sagte:
»Würdet ihr brave und geschickte Handwerker
werden, wenn ich euch von da oben herunterhelfen
würde?«
Sie nickten, und es war schrecklich anzusehen,
wie eifrig sie nickten.
Da besann sich der alte Mann noch ein wenig,
dann zog er sich ächzend die Stiefel aus, legte
umständlich den Rock ab und nahm langsam den
Hut vom Kopf. Die drei Gehängten sahen ihm
mit stieren, angsterfüllten Augen zu.
Endlich kletterte der Alte an dem Galgen hoch,
löste die drei Ärmsten und ließ sie schwer ins
Gras hinunterfallen. Dort lagen sie lange, halb
bewußtlos und schwer röchelnd. Der Alte flößte
ihnen ein wenig Wein ein, und als sie sich erholt
hatten, gebot er ihnen, mitzukommen. Mit
schwankenden Schritten und leise weinend gingen
sie hinter ihm her. Sie wanderten lange und
kamen ums Morgengrauen an einen Scheideweg.
Drei Straßen führten dort hinaus ins Land. Da
machte der Alte halt und sprach in großem Ernst:
»Ein neuer Lebensweg liegt nun vor einem
jeden von euch. Wenn ihr auf diesen drei Straßen
wandert, so wird jeder zu einem tüchtigen Handwerksmeister
kommen. Bei diesem mag er in die
Lehre treten. Er mag sich ja nimmer einbilden,
je ein Meister gewesen zu sein, sondern demütig
und treu ein Lehrling sein, der auch dann nicht
murrt, wenn es einmal mehr Püffe und harte
Worte gibt als gute Kost und faule Zeit. Drei
Jahre beträgt die Lehrzeit. Haltet ihr sie aus,
so ist euch geholfen; lauft ihr fort oder seid faul
und frech, so werdet ihr, ehe die Sonne dreimal
untergegangen ist, wieder am Galgen hängen.
Geht in Frieden!«
Da wanderten die drei ein jeder seinen Weg,
und der Alte stand da und sah ihnen nach, bis
die Sonne aufging und sein ehrwürdiges Haupt
verklärte.
* * * * *
Drei Jahre waren vergangen. Vor der Stadt
Hirschberg lag ein kleiner Platz, darauf mündeten
drei Wege. Von Osten her kam ein Mann, der
trug sieben Paar Stiefel und Schuhe über der
Achsel; von Süden her kam einer, der hatte auf
einem Karren eine ganze Menge Kleider geladen;
von Westen kam singend einer dahergeeilt, der
führte in Beuteln und Schachteln sieben Hüte
mit sich.
Und als sie alle drei auf den kleinen Platz
kamen, blieben sie erst erschrocken stehen, fielen
sich dann um den Hals und fingen an zu lachen
und zu weinen vor lauter Freude.
»Hutmacher!« »Schneider!« »Schuster!«
»Freund!« »Bruder!« »Kamerad!« so ging es
in hellem Jubel durcheinander. --
»Nun, wie ist es euch inzwischen ergangen?«
fragte endlich einer.
Da machten sie alle betroffene Gesichter und
kratzten sich hinter den Ohren. Sie erzählten sich
weiter nichts; es dachte sich jeder schon von selbst,
wie es dem anderen ergangen war.
Aber gelernt hatten sie etwas, und die letzten
Waren, die sie gefertigt hatten, durften sie nun als
ihr Eigentum auf dem Markt von Hirschberg
verkaufen, um einen Grund zu legen für ein
neues Geschäft.
So zogen die drei fröhlich in Hirschberg ein und
schlugen ihre Verkaufsplätze dicht nebeneinander
auf. Sie waren voll der besten Hoffnung. Plötzlich
aber erbleichten sie. Der Müller, den sie einmal
hatten ausrauben wollen, kam auf sie zu und
neben ihm ging der Ratspolizist.
»Es ist aus,« sagte der Schuster.
»Ja!« hauchte der Schneider.
Helden waren sie immer noch nicht geworden.
Der Müller aber kam ganz freundlich näher,
kaufte einen Anzug, ein paar Stiefel und einen
Hut, bezahlte alles reichlich und pries laut die
Ware. Der Ratspolizist nickte und sagte: ja, die
drei seien berühmte Kaufleute aus Breslau, die
kenne er schon lange. Der gutmütige Mann war
leider inzwischen noch kurzsichtiger geworden.
Wie nun den dreien das Geld in der Tasche
klang und der Müller ruhig von dannen ging,
wurden sie wieder vergnügt, und es stand ihnen
bald ein neues Glück bevor. Der Bürgermeister
ging über den Markt, schimpfte, daß die Handwerker
nichts Rechtes mehr leisteten und man kaum
einen vernünftigen Stiefel oder Rock bekommen
könne, und stieß plötzlich auf die drei, die ihm
bescheiden ihre Waren anboten.
O, was machte da die Stadtobrigkeit für erstaunte
und glückliche Augen!
Ja, rief der Bürgermeister, das sei noch echte
Handwerkskunst. So etwas gäbe es weder zu
Augsburg, zu Venedig, zu Nürnberg oder zu
Lübeck, so etwas gäbe es nur in Hirschberg!
Und er kaufte Anzug, Stiefel und Hut und bezahlte
die Hälfte des Preises, während er die
andere schuldig blieb.
Nun zog ein Rittersmann auf edlem Roß langsam
über den Markt. Die drei Handwerker erkannten
mit Schrecken, daß es jener starke Reiter
war, den sie einmal überfallen, der ihnen aber
den Speck abgenommen und ihnen die Haut gegerbt
hatte. Der Ritter kam heran und summte
leise vor sich hin:
»Es ist so schön der Morgen
Im frohen Sonnenlicht,
Kein Kummer und keine Sorgen
Drücken mein Herze nicht!«
Da glaubten sich die drei schon sicher erkannt;
aber der Ritter machte seinen Einkauf, bezahlte
gut und ritt davon, indem er laut sagte:
»Solch treffliches Handwerk soll man sich in
der Welt suchen.«
Nun aber begann ein Sturm auf die Verkaufsstände
der drei. Jeder wollte bei ihnen einen
Anzug, ein paar Stiefel, einen Hut kaufen.
Da entstand ein Tumult auf der anderen Seite
des Marktes. Der König von Polen zog in die
Stadt ein. Er hatte siebzehn Kammerdiener und
achtundfünfzig Soldaten bei sich. Aber er sah
etwas schäbig aus. Die Krone und die Edelsteine
hatte er aus Geldnot versetzen müssen, und die
himbeersamtne und bernsteingelbe Hose war im
Laufe der Jahre ein wenig fadenscheinig geworden.
Trotzdem wurde er mit großer Ehrerbietung
bewillkommnet. Er hörte aber kaum
auf die Begrüßungsworte des Bürgermeisters
und beachtete nicht die Bücklinge des Ratsdieners,
welcher ihn für den Grafen Schaffgotsch hielt,
sondern steuerte auf den Verkaufsstand der drei
Freunde zu und wählte einen Federhut, einen
Seidenmantel und ein Paar hirschlederne Stiefel.
Er bezahlte zwar nicht, aber er stellte einen langen
Schuldschein aus.
Nun schien das Glück der drei Handwerker gemacht
zu sein. Aber noch einmal faßte sie ein
tödlicher Schrecken. Der Burgherr, der sie einmal
hatte hängen lassen, kam mit einem Troß
reisiger Knechte daher. Da duckten sich die drei
armen Hascher tief über ihre Tische, und jeder
von ihnen preßte beide Hände vor die Kehle.
Der Burgherr aber erkannte sie nicht. Er pries
ihre Ware, kaufte den ganzen Rest und sagte
zuletzt:
»Bares Geld habe ich nicht bei mir; aber ich
gebe euch diesen Rubin, der so groß ist wie ein
Apfel. Verkaufet den kostbaren Stein und teilt
euch in den Erlös.«
Dann ritt er von dannen. Die drei Handwerker
seufzten tief und erleichtert auf. Der
Schneider aber sagte leise:
»Brüder, den Stein kenne ich. Er ist leider
falsch. Aber es genügt uns, wenn uns das Leben
und die Freiheit bleibt.«
Wie erstaunten sie aber, als bald darauf ein
Frankfurter Jude zu ihnen kam, ihnen den Rubin
für einen hohen Preis abkaufte und auf des
Schneiders ehrliche Einwendung sagte: nur ein
Dummkopf könne den Rubin für unecht halten;
es sei der schönste Stein, den es je gegeben.
Glückselig saßen endlich die drei in der Herberge
und teilten friedlich miteinander den Gewinn
des Tages. Es war so viel, daß jeder von
ihnen ein Handwerksgeschäft gründen konnte, das
alle Sorge zeitlebens von ihnen nahm.
Wie sie noch so dasaßen, kam zur Tür der alte
Mann herein, der ihnen einst vom Galgen geholfen
und sie auf den neuen Weg geleitet hatte.
Er trug noch das winzige Hütlein, die schlechten
engen Stiefel und den buckligen Rock; aber er
war freundlich und sagte:
»Ich freue mich über euch. Nun folgt mir und
kommt mit.«
Da gingen sie verwundert hinter ihm her. Er
führte sie zur Stadt hinaus gegen die Berge hin
und ging plötzlich so schnell, daß sie ihm nicht zu
folgen vermochten. Aber sie sahen, daß er sich
auf einen Straßenstein setzte.
Als sie aber nun näher kamen, saß nicht der
alte Mann auf dem Straßenstein, sondern der
Burgherr. Der lächelte ihnen zu, schwang sich
auf ein Roß, das am Wegrande weidete, und
sprengte eine Strecke weit davon. Dann machte
er halt, drehte sich um und winkte ihnen mit der
Hand.
Wie nun die drei herbeieilten, saß nicht mehr
der Burgherr auf dem Roß; sondern der Ritter,
an dem sie zuerst ihre Räuberkunst probiert hatten.
Auch der Ritter sprengte schnell davon und verschwand
hinter der nahen Wegbiegung.

Dort aber fanden ihn die drei nicht wieder,
sondern der Müller trat ihnen entgegen, reichte
ihnen die Hand und lachte.
Auch der Müller blieb nicht lange stehen,
sondern verschwand in einem Wäldchen, aus dem
gleich darauf auf einem prächtigen Araberrosse
Wolfsklaue hervorritt.
»Kennt ihr mich nun?« fragte er, und seine
Augen flammten schön und herrlich auf. Dann
ritt er mit Windeseile gegen die Berge hin, verschwand
im Wald und wurde wieder sichtbar, als
er langsam und in feierlicher Größe den Kamm
des Riesengebirges entlang ritt, der im roten
Schimmer der untergehenden Sonne lag.
Da erkannten ihn die drei; da wußten sie, wer
die Gestalten waren, die ihren seltsamen Lebenspfad
gekreuzt, da wußten sie, daß es der Berggeist
Rübezahl war, der gesunde Naturgeist, der alles
Schlechte vernichtet und allem Guten aufhilft.
Und so war es und so ist es noch heute und wird
es immer sein. Und darum muß auch zu allen
Zeiten vom Rübezahl erzählt werden.


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»Paul Keller ... einer der feinsinnigsten Poeten, die unser Vaterland
sein eigen nennt ...«
(Literarisches Echo, Berlin.)


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