Die fünf Waldstädte: Ein Buch für Menschen, die jung sind - 8

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auf die Erde.
»Aber anstrengend ist es, meine Herren, sehr
anstrengend! Ihr glaubt gar nicht, wie müde ich
bin! Siebzehn Kammerdiener und achtundfünfzig
Soldaten habe ich erst entfernen müssen, ehe ich
mit Se. Majestät unter vier Augen reden konnte.
Gebt mir doch mal die Flasche aus der Satteltasche.
Es ist alter Malvasier drin. Und füllt eure hohlen
Hände dort am Brünnlein, und dann wollen wir
mal auf meine Gesundheit trinken.«
Es geschah alles, wie Wolfsklaue es wünschte.
Die drei armen Hascher füllten ihre Hände an
der Quelle, und dann mußten sie mit der Hand
an Wolfsklaues goldenem Becher anstoßen und
»Zur Gesundheit!« sagen.
»Ah, das schmeckt? Nicht wahr?« fragte Wolfsklaue,
als sie getrunken hatten. »Ein bißchen
schwer ist der Trank; aber wie Feuer geht er
durch die Adern. Nun, lassen wir es uns wohl
sein! Einen Sieg, wie den meinen, muß man
feiern. Ich denke, wir trinken noch ein Schöpplein!«
Wieder mußten die drei armen Hascher ihre
hohlen Hände an der Quelle füllen und mit
Wolfsklaue anstoßen.
»Wohl bekomm es!« sagte Wolfsklaue; »es geht
nichts über einen guten Trunk. Man wird so
fröhlich dabei.«
Der Hutmacher hustete sehr laut und sagte, er
habe sich verschluckt.
»Immer hübsch langsam trinken,« mahnte
Wolfsklaue; »immer alles mit Maßen! Ich
möchte wohl noch einen dritten Becher; aber ich
sehe, ihr habt schon genug, und ich bin auch müde.
Ich will ein wenig schlafen. Ihr drei möget
Wache stehen und mich wecken, wenn der Morgen
graut. So hat jeder sein Vergnügen. Gute
Nacht!«
Er schlief ein. Die Krone rutschte ihm tief in
die Stirn herab, er legte das himbeersamtne
Hosenbein über das bernsteingelbe, faltete die
Hände auf seinem dicken, ordengeschmückten Bauche
und schnarchte bald laut und tief.
Die drei anderen Räuber schauten sich an.
Der Schneider wischte sich den Mund ab; der
Schuster klagte, das kalte Wasser sei ihm in seine
hohlen Zähne gekommen; der Hutmacher sah
finster vor sich hin. Auch das Roß hatte sich gelegt,
sich mit den Zähnen die schwere persische Seidendecke
zurechtgezupft, so daß es nicht frieren konnte
und schlief auch ein. Die große dänische Dogge
verschwand im Walde, um zu wildern.
Die Nacht brach herein; der Mond verbarg sich
hinter den Wolken. Da runzelte der Hutmacher
die Stirn, blitzte die beiden anderen mit den
Augen an und sagte leise:
»Jetzt, jetzt ist's Zeit!«
Bei diesen Worten krümmte sich der Schneider
zusammen, sagte, es käme ihm in den Leib, und
verschwand im Gebüsch. Der Schuster hielt den
linken Fuß vorgesetzt, um zur Flucht bereit zu
sein, der Hutmacher aber warf sich heulend auf
Wolfsklaue, packte ihn am Halse und schrie:
»Gib alles her! Gib alles her!«
»Was -- was ist -- was ist los --«
Wolfsklaue rieb sich die Augen. Er sah den
Hutmacher über sich knien und schrie plötzlich
ganz jämmerlich:
»O weh! O weh! Ich bin überfallen! Ich habe
keine Waffen! Ich bin verloren! Wehe mir!
Wehe mir!«
Pardauz, lag auch der Schuster über ihm her
und rief dem Hutmacher zu:
»Mach Platz! Mach Platz! Ich will ihn auch
würgen!«
Und nun traute sich auch der Schneider aus dem
Gebüsch, kam vorsichtig näher und hielt den Pantoffel
in der Hand, den Wolfsklaue, weil er mit
den Beinen um sich schlug, verloren hatte.
So wurde Wolfsklaue besiegt. Stück um Stück
nahmen ihm die drei Räuber ab, zogen ihn aus
bis aufs Hemd. Dann zwangen sie ihn, an der
Quelle seine hohle Hand zu füllen, mit ihnen anzustoßen,
die nun der Reihe nach den Becher
leerten, sich hinzulegen und von jedem zehn
Stockhiebe aufzählen zu lassen. Am Schluß gaben
sie ihm aus Gnade den schäbigen, geflickten Mantel
des Schneiders um; er mußte gegen alle vier
Himmelsrichtungen hin eine Verneigung machen
und zu der Räuber Gaudium laut schreien: »Ich
bin ein großer Esel«, und dann wurde er in die
finstere Nacht hinausgejagt.
* * * * *
»Nun wollen wir die Beute teilen,« sagte
der Hutmacher. »Ich für meinen Teil begehre
nur die Hälfte all dieser Sachen; die andere Hälfte
ist für euch beide.«
»Was?« höhnte der Schuster; »wenn drei
teilen, wird wohl ein jeder ein Drittel bekommen.«
Der Hutmacher schüttelte den Kopf.
»Seit Wolfsklaue besiegt ist,« sagte er würdig,
»bin ich euer Hauptmann.«
Die beiden anderen brachen in ein schallendes
Gelächter aus.
»Lacht nicht!« begehrte der Hutmacher auf.
»Wer hat den Gedanken gehabt, Wolfsklaue zu
überfallen? Ich! Wer hat ihn tatsächlich überfallen?
Ich!«
»Ich auch!« rief der Schuster, »und außerdem
hatte er mir sein Schwert übergeben; ich hatte
euch alle in meiner Gewalt.«
»Ja, wenn ich nicht die Pistole gehabt hätte,«
meinte der Schneider; »eine Pistole ist flinker
als ein Schwert.«
»Wenn du schießen könntest, du Tolpatsch!«
höhnte der Schuster.
»Kannst du etwa fechten, du Dämlack?« zischte
der Schneider.
Da fuhren sie sich in die Haare und prügelten
sich. Der Hutmacher setzte sich indessen die Königskrone
auf und zählte die Dukaten, die sie Wolfsklaue
abgenommen hatten. Als das die beiden
Kampfhähne sahen, ließen sie ab von einander
und fragten: »Was tust du da?«
»Ich zähle mir die Hälfte der Beute ab,« sagte
der Hutmacher in Gemütsruhe, »Daran werdet
ihr zwei Dummköpfe nichts ändern.«
Da sahen sich der Schuster und der Schneider
mit einem bedeutungsvollen Blicke an, und
plötzlich stürzten sie sich auf den Hutmacher und
überwältigten ihn. Sie drohten, ihn zu töten,
wenn er ihnen nicht gänzlich gehorsam sei. Darauf
prügelten sie ihn durch, zwangen ihn, seine hohle
Hand an der Quelle zu füllen und mit ihnen am
goldenen Becher anzustoßen, und jagten ihn dann
in die Nacht hinaus. -- --
»Jetzt wollen wir zwei die Beute teilen,«
meinte darauf der Schneider, »und es soll jeder
seine Hälfte bekommen.«
»Jawohl,« sagte der Schuster; »aber da ich
zuerst den Gedanken hatte, den Hutmacher zu
überfallen, gebührt mir die größere Hälfte. Ich
werde sie mir auswählen, und was übrig bleibt,
sollst du erhalten.«
Damit bückte er sich zu den Schätzen nieder.
Der Schneider aber griff blitzschnell nach der
Pistole und dem Degen und rief:
»Laß alles liegen oder du bist ein Kind des
Todes!«
Da erschrak der Schuster, und da der Schneider
alles Ernstes drohte, ihn zu erschießen, entfloh er
schreiend in den Wald.
So kam es, daß der Schneider, der größte Feigling
unter allen, zuletzt ganz allein in dem Besitz
der geraubten Reichtümer des Polenkönigs war.
* * * * *
Der Hutmacher und der Schuster waren sich im
Walde begegnet und saßen sich grollend gegenüber.
Plötzlich sahen sie Wolfsklaue daherkommen.
Er ritt auf einem starken Ziegenbock
und hatte einen Stecken in der Hand. Zuerst
schien es, als ob er entfliehen wolle, aber dann
kam er näher, grüßte demütig und sagte:
»Ich hoffe, edle Herren, daß ihr mir nichts
mehr anhaben werdet. Denn sehet, ich bin ein
geschlagener Mann. All mein Hab und Gut habe
ich verloren; ich sitze jetzt auf einem Ziegenbock
und habe einen Stecken als Waffe; ich muß also,
da ich in meinem Räubergewerbe pleite geworden
bin, ganz klein wieder von vorn anfangen.«
Da erzählten ihm die beiden, der Schneider sei
eine Bestie, er habe sie beraubt und betrogen,
und sie seien nun ebenso arm wie er.
»Man hätte es dem Schneider nicht angesehen,
daß er ein so großer Held ist,« meinte Wolfsklaue
nachdenklich. »Da er nun alles Geld und alle
Waffen hat, ist es am besten, wir gehen hin und
wählen ihn zu unserem Hauptmann.«
»Ich will lieber deinen Ziegenbock zu meinem
Hauptmann wählen als den Schneider,« knirschte
der Hutmacher.
»Nun, einen Hauptmann müssen wir haben,«
lächelte Wolfsklaue, »und mein Ziegenbock wird
die Wahl nicht annehmen. Er ist ein sehr gescheites
Tier. Wählen wir also den Schuster!«
»Den Schuster?« schrie der Hutmacher. »Noch
eher wählte ich den Schneider als den Schuster.«
Da saß ihm der Schuster auch schon an der
Gurgel, und sie prügelten sich. Wolfsklaue aber
setzte sich an den Wegrand, streichelte seinen Ziegenbock
und sang mit fröhlicher Stimme:
»Im holden Waldesfrieden
Da wird der Wandrer froh,
Nichts Schönres gibt's hienieden,
Trara, trara, hallo!«
Während er noch so fröhlich sang und die beiden
anderen rauften, trat etwas Seltsames in Erscheinung.
Das Araberroß kam daher; ganz langsam
hob es die Beine wie in zierlichem Tanz und
wandte den Kopf schelmisch bald hin, bald her.
In den Zähnen aber trug es ein zappelndes
Bündel von Purpur, himbeerfarbenem Samt und
bernsteingelber Seide, auch fiel bei jedem Schritt
ein kostbarer Orden klirrend auf den Waldboden.
Neben dem Roß trabte die dänische Dogge, die
trug das Schwert im Maule.
Als Roß und Hund bei Wolfsklaue ankamen,
legten sie ihre Bürde vor ihm nieder. Da wickelte
sich aus dem zappelnden Bündel erst eine Königskrone
heraus, aus der unten nur die Stumpfnase
und der Ziegenbart des Schneiders hervorschauten;
dann kam der ganze Schneider zum Vorschein,
und eine meckernde Stimme rief um Gnade.
»Nun also!« rief Wolfsklaue und nahm das
Schwert an sich, »so sind wir ja alle wieder beieinander.
O, tut das Scheiden noch so weh,
Ich weiß, daß ich dich wiederseh.«
Er blitzte mit den Augen.
Der Schneider, der Schuster und der Hutmacher
warfen sich nun vor Wolfsklaue nieder und baten
und wimmerten um Verzeihung.
Wolfsklaue sagte gar nichts. Er band den Schuster
an den Halftergurt und den Schneider an
den Schweif seines Rosses, legte den königlichen
Schmuck wieder an, schwang sich auf das Roß und
befahl dem Hutmacher, sich auf den Ziegenbock zu
setzen, denn er verdiene eine Auszeichnung.
Dann ritt Wolfsklaue zwei Tage und zwei
Nächte lang ohne zu rasten über das ganze Riesengebirge
weg und kam mit seinen Gefährten in
das Land Böhmen.
* * * * *
Diese Reise war für die drei, die nicht auf dem
Pferde saßen, äußerst beschwerlich. Der Schuster
mußte so rasch traben, daß ihm oft der Atem ausging,
der Hutmacher saß auf dem Ziegenbock wie
auf einem schlingernden Schiff, das in schwerem
Sturm hin- und herstößt, bald hoch, bald niedrig
geht und seinem Passagier sehr übel am Magen
mitspielt, und der arme Schneider am Pferdeschwanze
verlebte erst recht keine gute Zeit. Das
Roß nahm in keinerlei Weise Rücksicht auf ihn.
Das Schlimmste aber geschah, wenn sich dem
Hengst eine Fliege in die Flanke setzte. Dann
hob er den mächtigen Schweif und hieb ihn samt
dem Schneider nach der Fliege, daß dem armen
Kerl, der so durch die Luft sauste, Hören und
Sehen verging.

Wolfsklaue aber pries die Annehmlichkeiten der
Reise und die Schönheit des Gebirges und sang
fröhliche Wald- und Wanderlieder.
Als sie nun nach Böhmen kamen, wurde endlich
Rast gehalten. Die drei armen Hascher fielen
wie tot auf das grüne Moos und schliefen drei
Tage und drei Nächte lang. Dann weckte sie
Wolfsklaue und sagte, plötzlich wieder sehr
freundlich:
»Liebe Kameraden, es tut mir leid, euch in
eurem kurzen Schlummer stören zu müssen; aber
wir müssen nun endlich ausführen, was wir uns
vorgenommen haben; wir müssen auf Taten ausgehen.«
»Herr,« meinte der Hutmacher, »ich bitte euch,
gebt mir Urlaub. Ich will mein Räuberleben
beenden. Ich kann ein wenig singen und Gitarre
spielen; da will ich sehen, wie ich mich hierzulande
durchschlagen kann.«
»Wäre noch schöner,« rief Wolfsklaue, »in
Böhmen betteln und singen zu gehen, ist das
Dümmste von der Welt; denn die Hälfte aller
Böhmaken sind selbst Bettler oder Musikanten.«
»Ich,« sagte der Schneider, »möchte mich als
Bauernknecht vermieten.«
»Und ich,« sagte der Schuster, »will wieder
Stiefel machen.«
»Mensch, willst du wieder ein Verbrecher werden?«
fuhr ihn Wolfsklaue an. »Willst du, daß
die Menschheit erlahmt und lauter Hinker durchs
Leben schreiten? Nein, nein, es wäre jammerschade
um drei so verwegene Gesellen wie ihr seid.
Ihr, die ihr sogar Wolfsklaue besiegt habt!«
Da schlugen die drei die Augen nieder. Wolfsklaue
aber machte ihnen mit gedämpfter Stimme
Mitteilung von einem großen Plan, durch dessen
Ausführung sie alle zu unerhörtem Reichtum gelangen
würden, und der außerdem sehr lustig und
unterhaltsam sei.
Weiter drin in Böhmen sei ein herrliches Schloß,
das berge so große Reichtümer, daß sich der Kaiser
aus Wien daselbst fast alles Geld borge, dessen
er bedürfe. Und das wolle etwas heißen! Sich
zum Herrn dieses Schlosses zu machen, sei nun
Wolfsklaues Ziel. Er vermöge das aber nicht
allein, sondern bedürfe dazu der Hilfe seiner drei
guten, lieben Freunde.
Die drei »guten lieben Freunde« schlugen wieder
schamhaft die Augen nieder; aber Wolfsklaue
klopfte sie vertraulich auf die Schultern und sagte
in herzlichem Tone:
»Brüder, denkt nicht mehr an die alten Tage.
Es waren Zeiten der Trübsal und der Prüfung.
Sie sind nun vorüber, und eine bessere Zeit bricht
für uns alle an. Kommt ein bißchen tiefer mit
mir in den Wald hinein und seht, was ich mich
herbeizuschaffen bemüht habe, indes ihr euch nach
der langen beschwerlichen Reise ausruhtet.«
Da gingen sie mit ihm tiefer in den Wald und
kamen in eine Räuberhöhle, von der man nichts
anderes sagen kann, als daß sie höchst luxuriös
war. Während der Fußboden mit echten und
unechten Bärenfellen belegt war, hingen an den
Wänden gerahmte und ungerahmte Bilder, die
alle große Räuber- und Heldentaten darstellten
und prachtvolle rote und grüne Farben hatten.
Flinten, Schwerter und Spieße hingen an den
Wänden, die ganz mit Edelsteinen besetzt waren,
die kleineren stammten aus dem siebenjährigen,
die größeren und wertvolleren aber aus dem
dreißigjährigen Kriege. Der Raum wurde taghell
beleuchtet von sieben Spitzbubenlaternen, die rubinrote
Scheiben hatten, und in der Mitte der Höhle
stand eine Tafel, da perlte in kristallenen Flaschen
der köstlichste Branntwein, und auf goldenen
und silbernen Tellern lagen Pökelfleisch und
Sauerkraut.
Den drei Räubern liefen vor Rührung Tränen
im Auge und das Wasser im Munde zusammen.
»Ach,« seufzte der Schuster, »ach, wenn wir
bloß nicht wieder aus einer Wasserquelle trinken
müssen!«
Diesmal aber kam's anders. Die Räuber aßen
so reichlich und tranken so viel, daß sie nach der
Mahlzeit auf den Bärenfellen einen Schlaf taten,
der fünf Tage und fünf Nächte lang war, worauf
sie sich lächelnd und gestärkt von ihrem Lager
erhoben.
»Nun,« sagte Wolfsklaue, »wollen wir unsere
große Tat vorbereiten. Das Schloß ist so wohl
bewacht, daß es nur durch äußerste Klugheit und
Tapferkeit gelingen wird, uns zu seinem Herrn
zu machen. Mein Plan ist der, daß ich euch drei
zunächst als meine geheimen Boten nach dem
Schlosse absende.«
Alle drei Räuber machten abwehrende Handbewegungen
und schüttelten heftig die Köpfe.
Wolfsklaue lächelte.
»Ich schicke euch natürlich nicht so, wie ihr hier
vor mir steht, sondern in einer geschickten Verkleidung,
so daß euch sicher niemand erkennen
wird, zumal ich euch eure Rollen gut einstudieren
werde. Du, Hutmacher, hast eine schöne Stimme
und spielst die Gitarre. Ich werde dir ein schönes
Gewand besorgen, und du wirst als Minnesänger
nach dem Schlosse ziehen. Dir, Schuster, schaut
Tapferkeit und ritterlicher Mut aus den Augen;
ich werde dich in der Kunst des Kämpfens unterweisen
und dich ausstatten wie einen Ritter aus
dem Morgenlande. Du, Schneider, bist ein pfiffiger
und gewandter Geist, du wirst als handelnder
Jude in das Schloß eindringen.«
Da versanken die drei in tiefes Nachdenken,
bis schließlich einer fragte:
»Und du -- was wirst _du_ tun?«
»Ich komme nach euch, wenn ihr den Weg für
mich geebnet habt. Alsdann erscheine ich als
Prinz von Czernagora. Der Minnesänger muß
den Rittern und Edelfrauen sehr viel von den
Tugenden und der Schönheit dieses Prinzen vorsingen;
der Ritter muß sich nach großen Heldentaten
als den geringsten unter den Mannen jenes
Prinzen bezeichnen; der Jude muß erzählen, daß
der Prinz reich genug ist, ihm alljährlich für viele
Millionen Edelsteine abzukaufen, und wenn dann
der Prinz einzieht, das heißt, wenn ich komme,
werden alle Herzen schon so in Achtung und Liebe
für mich entbrannt sein, daß es mir ein leichtes
sein wird, mich eines Tages als den Herrn und
Gebieter der Burg ausrufen zu lassen.«
»Und was wird dann aus uns?« fragte der
Hutmacher.
»Euch drei erhebe ich dann in den Adelstand
und statte euch aus mit großen Gütern.«
Einen ganzen Tag und eine ganze Nacht lang
mußte Wolfsklaue noch reden, ehe er den dreien
ihre vielerlei Bedenken aus dem Kopf geschlagen
hatte und sie sich bereit erklärten, die ihnen zugedachten
Rollen zu übernehmen.
Dann begann der Unterricht.
Der Schuster lernte reiten und kämpfen; der
Hutmacher saß den ganzen Tag im Walde, klimperte
auf einer Gitarre und sang zärtliche oder
lobpreisende Lieder dazu; der Schneider ging mit
einem Hausiererkasten von einem Baum zum
anderen und bot ihnen mit artigen Bücklingen und
überzeugenden Handbewegungen seine Waren an.
Wolfsklaue war der Lehrmeister, gab alles an,
überwachte alles, lobte oder tadelte und sorgte
für alles, was die drei brauchten.
* * * * *
Eines Tages sagte Wolfsklaue zu dem Schuster:
»Jetzt reite aus. Glaube mir, daß dir kein
Ritter im Morgen- und Abendland gleicht. Du
bist ganz einzig in deiner Art. Reite dahin und
verkündige den Ruhm des kommenden Prinzen
von Czernagora.«
Der Schuster trug eine blitzende Rüstung, hatte
eine Lanze in der Hand, die neun Ellen lang war,
und saß auf einem prachtvollen Roß. Sein strohgelber
Schädel war von einer schwarzen Perücke
wohltuend überdeckt, und selbst sein Auge hatte
etwas Kühnes bekommen.
So ritt er dahin. Wolfsklaue in der bescheidenen
Tracht eines Dieners zeigte ihm den Weg. Er
gab ihm noch einmal viel gute Lehren, sagte ihm,
er solle mit tapferen Rittern sich im Turnierkampf
messen und, wenn er gesiegt habe, ja nicht
vergessen, zu sagen, daß er nur der bescheidenste
aller Mannen des czernagorischen Prinzen sei.
Der Schuster sagte zu allem »Ja!« Im Innern
aber dachte er:
»Daß ich ein Esel wäre, wenn ich gesiegt habe,
mich als einen geringen Mann zu bezeichnen.
Dann werde ich mich schon in anderem Lichte
zeigen, und wer weiß, ob sie nicht mich selbst zum
Herrn der Burg ausrufen.«
So kamen sie auf eine waldige Berghalde und
sahen in der Ferne die leuchtenden Zinnen der
Burg. Sie lag im hellen Sonnenlicht; dreizehn
Türme und viele Erker schmückten sie gar herrlich;
eine starke Mauer umgürtete ihre vielen Gebäude
und Höfe, und vier Wallgräben zogen sich um sie
her, davon war der erste mit Wasser, der zweite
mit Tinte, der dritte mit Schwefelsäure, der
vierte mit glühendem Blei gefüllt, so daß es
für alle Feinde sehr mühsam war, die vier Gräben
zu durchschwimmen.

Als der Schuster die Burg sah, wurde ihm übel.
Aber Wolfsklaue gab ihm aus einem Fläschchen
zu trinken, das einen ungeheuren Mut in die
Adern des Schusters ergoß, und so zog er wohlgemut
dahin, nachdem Wolfsklaue ihm glückliche
Reise gewünscht hatte und umgekehrt war.
Von den dreizehn Türmen des Schlosses
klangen die Hornsignale der Wächter, daß ein
Fremder daherziehe. Der Schuster dachte: die
blasen so niederträchtig laut, daß mir noch mein
Roß scheu werden wird. Da sah er auch schon,
wie sich auf den Söllern und Mauern der Burg
hunderte von edlen Rittern, wunderschönen Edeldamen
und allerhand Kriegsvolk ansammelte, um
nach dem nahenden Fremdling auszuschauen. Der
Schuster hob seine neun Ellen lange Lanze zum
Gruß, und der Federbusch auf seinem Helm
spielte im Winde. Er kam sich ganz herrlich vor,
und alle Angst war verschwunden.
Da begegnete ihm auf einem Kreuzweg ein
Reiter.
»Hallo,« dachte der Schuster, »das ist der rechte
Mann, einen Waffengang mit ihm zu wagen und
vor allem Volk auf der Burg meine Tapferkeit
und Geschicklichkeit zu erweisen.« Er nahm also
seinen Helm ab, machte eine Verneigung und
sagte: »Entschuldigt, edler Herr, beliebt es vielleicht,
Euch im ritterlichen Kampfe mit mir zu messen?«
Ein Gelächter erscholl von der Burg, und der
Reiter lachte auch. Da faßte den Schuster ein
wilder Zorn, er trieb sein Roß an, stürmte gegen
den Reiter, hob die Lanze und bohrte sie tief --
in die Luft neben dem Reiter. Er selbst verlor
ob des Anpralls das Gleichgewicht und purzelte
in den Straßengraben.
Nun rasselte die Zugbrücke der Burg; Ritter
und Damen eilten herbei, und die Ritter lachten
so tief und schauerlich, daß es klang, wie wenn alte
Wagen mit eisernen Rädern über spitze Steine
fahren, oder wie wenn man mit klobigen Hämmern
auf leere Fässer schlägt, und die Damen
girrten und zwitscherten wie silberne Tauben in
der Luft oder wie blaue Schwalben am Dachsims.
Das verdroß den Schuster; er arbeitete sich
aus dem Graben heraus, verlor dabei seinen Helm
und seine schwarze Perücke, stand mit seinem
strohgelben Schädel da, machte ein dummes Gesicht
und schrie:
»Ich bin der beste Ritter des Prinzen von
Czernagora.«
O, wie rollten die Wagen, wie dröhnten die
Fässer, wie girrten die Tauben, wie zwitscherten
die Schwalben!
»Mit einem Knecht, mit einem waffenlosen,
ganz gewöhnlichen Roßknecht hat er angebunden,
und ist von ihm besiegt worden! Welch ein Spott,
welch ein Spott!«
So lachte und höhnte es von allen Seiten.
Nun trat ein hoher Herr in königlichem Schmuck
aus der Menge. Es war der Burgherr. Der
sprach:
»Der Prinz von Czernagora ist mein Todfeind.
Wenn dieser Mann zu seinen Rittern gehört und
er sich von meinem Knechte hat werfen lassen, so
nehmt ihn und bringt ihn ins Verließ. Wir
werden Gericht über ihn halten.«
Schwapp -- lag der Schuster auf den Knien.
Er warf seine Lanze von sich, hob bittend beide
Hände auf und flehte:
»Seid gnädig, Herr, und glaubt ja nicht, daß
ich ein tapferer Ritter sei. Nein, ich bin nur ein
Schuster, ein Schuster aus Hirschberg, und wenn
Ihr das nicht glauben wollt, so will ich Euch
augenblicklich ein Paar Stiefel fertigen.«
»Das verhüte Gott,« sagte der Burgherr mit
Ernst. »Nehmt ihn und führt ihn ins Verließ!«
So geschah es. Und als der Tag vergangen war
und der Mond über die Waldberge wanderte,
schien er auch durch eine winzige Mauerlucke in
das bleiche Gesicht des Schusters, der in seinem
feuchten Verließe saß und um den die Ratten und
Mäuse tanzten, wie es nun einmal in den Burgverließen
traurigerweise Mode ist.
* * * * *
Drei Tage darauf sagte Wolfsklaue zu dem
Hutmacher:
»Nun singst du über alle Maßen schön und lieblich.
Du kannst den Text, die Melodie und die Begleitung;
also bist du über alle Nachtigallen des
Waldes, die nur die Melodie können. Reite aus,
edler Sänger, und verkünde auf der Burg die
Schönheit und die Macht des Prinzen von Czernagora.«
Der Hutmacher stimmte seine Gitarre, setzte sich
auf den zahmen Schimmel, den ihm Wolfsklaue
besorgt hatte und zog gen die Burg. Als er ihrer
ansichtig wurde, stimmte er die Gitarre aufs neue
und sang ein schönes Weihnachtslied. Die Julisonne
brannte ihm dabei auf den Rücken, und
nach einiger Zeit dachte er sich: Die Leute werden
meinen Gesang nicht hören, denn die Burg ist
wohl noch gut eine Meile entfernt. Also ritt er
auf seinem zahmen Schimmel noch etwa zwei
Stunden lang vorwärts, und da er dadurch der
Burg sichtlich näher gekommen war, stimmte er
seine Gitarre und sang ein neues Lied:
»Ich bin ein Minnesänger
Und komm aus Morgenland,
Die schönsten Saitenklänger
Rühr ich mit meiner Hand.«
Trara! Trara! fingen die Wächter auf den
dreizehn Türmen an zu blasen, so laut und dröhnend,
daß die nächsten dreizehn Strophen des
Minnesängerliedes nicht einmal von dem zahmen
Schimmel gehört werden konnten. So brach der
Hutmacher schon nach der zwölften ab und fragte
sich, ob er sich als Sänger über solch schmetternden
Empfang eigentlich freuen oder ärgern solle.
Zunächst ärgerte er sich. Aber bald leuchteten
seine Augen auf. Das Burgtor öffnete sich, und an
die dreißig schöne Jungfrauen traten heraus. Sie
waren alle weißgekleidet, trugen goldene Gürtel
um die Hüften, grüne Kränze im Haar und lichtblaue
Schleier darüber. In den Händen hielten
sie Rosen und bunte Blumen.
Der Hutmacher stieg von seinem Roß und machte
dreißig Verneigungen. Darob lächelten die holden
Mädchen; dann stellten sie sich im Halbkreise auf
und begannen mit glockenhellen Stimmen zu
singen:
»Gegrüßt sei mit Blumen und Rosen,
Du Ritter im Sängerkleid,
Viel Frauenaugen sie kosen
Die Stirne dir, von Musen geweiht.
Da schläft wie in heiligen Schächten
Der edlen Gedanken Gold,
Da blüh'n wie in Wundernächten
Die Märchenblumen so hold,
Da ist das tiefe Verstehen,
Das tiefste Erbarmen zu Haus,
Da wohnt das geistige Sehen
In Weiten und Zeiten hinaus,
Da hat seine heimlichen Bronnen
Der Schönheit gewaltiger Strom,
Da hat sich der Herrgott ersonnen
Der Menschheit heiligen Dom.«
O, war das noch ein Klang? War das noch eine
Melodie? War das nicht wie ein Silberrieseln,
das vom blauen Himmel heruntertaute? Die
Mädchen standen in ihrer großen Schönheit wie
Engel im reinen Licht, als sie das sangen.
Und der Hutmacher fiel mit dem Gesicht auf die
Erde, bohrte seine Stirn tief in den Rasen und
weinte bitterlich. Als die holden Mädchen erschreckt
näher kamen, rief er:
»Ich schäme mich! Ich schäme mich! Schaut
meine Stirn nicht an!«
»Ei warum denn nicht, du fremder Sänger?«
»Ich bin kein Sänger -- ich habe euch betrügen
wollen -- ich bin nur ein Hutmacher und ein
Räuber!«
Erschreckt standen die Jungfrauen zur Seite.
Da kam der Burgherr und fragte strenge:
»Wer hat dich gesandt?«
»Der Prinz von Czernagora!« gestand der
wimmernde Mann.
»Führt ihn in das Verließ!« befahl der Burgherr.
Das geschah, und es nutzte gar nichts, daß
sich die Mädchen bemühten, für den armen Tropf
Fürsprache einzulegen.
* * * * *
Der Schneider übte sich gerade in der Hausiererkunst,
indem er einem alten Tannenbaum durchaus
ein Paar Hosenträger aufschwatzen wollte, als
Wolfsklaue an ihn herantrat und sprach:
»Nun ist's Zeit, lieber Freund, daß du dir andere
Kundschaft aussuchst. Ziehe hin nach dem
Schloß, mache dich angenehm durch dein Benehmen
und deine Waren, und erzähle vom Reichtum
des Prinzen von Czernagora.«
»Sie werden mer derkennen,« sagte der Schneider
in seinem jüdischen Dialekt.
»Nein, se werden der nich erkennen,« beschwichtigte
ihn Wolfsklaue. »Ich sage dir, Schneider,
du bist ein Itzig, wie er sein soll.«
In der Tat sah der Schneider aus wie ein
jüdischer Händler. Wochenlang hatte er sein Gesicht
den Sonnenstrahlen aussetzen müssen und
sich nicht mehr waschen dürfen, so daß er eine
schöne dunkle Hautfarbe hatte; Wolfsklaue hatte
ihm eine Perücke mit langen schwarzen Locken
verschafft, ihn auch sonst ganz richtig ausstaffiert,
ihm sogar den leutselig verschmitzten Blick solcher
Händler einstudiert.

Nun übergab ihm Wolfsklaue zwei Kästen. In
dem oberen waren allerhand billige, aber bunte
und schön anzuschauende Gebrauchsgegenstände
für das Dienstvolk; in dem unteren lagen prachtvolle
Goldgeschmeide und herrliche Edelsteine in
allen Farben und Größen für Ritter und Edelfrauen.
Der Schneider nahm Abschied und machte sich
auf den Weg. Als er allein im Walde war, öffnete
er den unteren Kasten, betrachtete die Kostbarkeiten
und dachte bei sich:
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