Die Einsamen - 2
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sehe sie noch immer, den Bruder am Steuer, Nino am Ruder; sein Haar
flammte in der Abendsonne, und er hatte die Augen auf unser Haus
gerichtet; immer steht mir der Blick vor der Seele. Und die Sonne war
kaum hinunter, da hör' ich Ruderschlag und springe unter die Tür, um
sie zu grüßen--aber Tommaso war allein im Kahn und ruderte wie ein
Rasender und schrie mir zu: Guten Abend, Teresa; ich soll dich grüßen
von Nino, er schläft schon, unten am Meeresgrund--! Und mehr hört'
ich nicht.
Entsetzlich! die schöne hoffnungsvolle Jugend! Wie war es nur möglich,
das Unglück, da sie zu zweien waren und den Kahn hatten?
Das schwere Netz zog ihn hinab. Der Pflock, an dem es im Kahne
festhing, wich plötzlich aus der Fuge und schoß über Bord, und er, mit
den Armen übergebeugt, das Netz zu fassen, verstrickte sich in den
Maschen, und der Kahn schlug um, und wie Tommaso wieder auftaucht,
sieht er den leeren Kahn ruhig in der Abendröte schwimmen und von Nino
nur den Strohhut mit dem Bande, das ich ihm Tags vorher daran geheftet
hatte.-Armer Nino!
Beklagt Ihr ihn? Er ging geradewegs in das Paradies ein und singt vor
dem Thron der Madonna mit seiner goldenen Stimme. Beklagt meinen
Bruder, Herr; dem liegt sein Frieden unten im Meer versunken, und kein
Taucher bringt ihn herauf. Seit jenem Tag hat er nicht mehr gelacht,
mein armer Tommaso. Und ehe er ins Gebirge ging, verbrannte er seinen
Kahn und seine Netze, und die Leute standen am Ufer und sagten: Er hat
recht, der Arme! denn man wußte, daß sie wie Brüder gewesen waren.
Sie schwieg und sah in die Schlucht hinunter, die Hände still in den
Schoß gelegt. Er aber hielt die Blätter müßig auf den Knien und
versenkte seine Gedanken in das wundersame Schicksal, das auf ihrem
Gesicht zu lesen war. Alle Bitterkeit des Erlebten schien
verschwunden zu sein und nur das reine Bild des Jünglings ihr vor der
Seele zu stehen und die "goldne Stimme" sie zu umklingen.
Um so heftiger erschrak der Fremde, als er diese edlen Züge plötzlich
sich in wilder Leidenschaft verfinstern sah. Wie ein Schwan, der eine
Schlange sieht, fuhr sie mit einem kurzen zischenden Tone auf vom Sitz,
zitternd am ganzen Leibe, die Brust arbeitete, die Lippen erblaßten
und öffneten sich krampfhaft. Was ist Euch, Teresa, um des Himmels
willen? rief er. Sie versuchte vergebens, ein Wort zu sprechen. Da
folgte sein Blick der Richtung des ihrigen, der fest auf einen Punkt
am Ende der Schlucht geheftet war. Aber was er sah, steigerte nur
sein Erstaunen; denn durchaus nichts Furchtbares war's, was langsam
dort unten den überschwemmten Weg heraufkam, vielmehr eine Gestalt, in
ihrer Art nicht minder anziehend, als ihm vorher Teresa erschienen war.
Ein blondes junges Weib, ganz in Schwarz gekleidet, erstieg,
behutsam durch das Wasser watend, den Weg zur Mühle. Die Schuh und
Strümpfe trug sie in der Linken, mit der Rechten hatte sie den
faltigen Rock hoch zusammengeschürzt, freilich mit etwas mehr
Dreistigkeit, als vorher Teresa getan. Ein Strohhut, von dem breite
schwarze Bänder flatterten, saß ihr, wie vom Winde zurückgeweht, tief
im Nacken und ließ das blühende Gesicht völlig sehen, dessen
leuchtendes Weiß und Rot schon aus der Ferne heraufschimmerte. Die
Augen aber hatte sie auf den Weg gesenkt.
Wer ist diese Frau, Teresa? fragte der Deutsche, und warum verwandelt
Ihr Euch so bei ihrem Anblick?
Was wird er sagen, murmelte sie vor sich hin, ohne auf die Frage zu
achten. Sie ist noch schöner geworden, noch schlimmer. Was soll das
Schwarz? Wenn der Alte gestorben wäre--! Heilige Madonna!
Eine wilde Jagd von Gedanken schien an ihr vorüberzuziehn. Sie komme
nur! sagte sie endlich, sie komme nur! Wir fürchten sie nicht, wir
kennen sie. Dann, sich erinnernd, daß sie nicht allein war, sprach
sie hastig: Ihr müßt dort hinein, in die Mühlenkammer. Sie darf Euch
hier nicht finden, sie haßt mich, und wer weiß, was sie mir nachredete,
wenn sie einen Fremden hier getroffen hätte. Steht auf, Herr, und um
Jesu willen, haltet Euch ruhig, daß sie Euch nicht hört. Ich denke,
es währt nicht lange.
Wenn ich Euch im Wege bin, Teresa, so will ich dort hinaus auf der
anderen Seite der Schlucht.
Ihr findet Euch nicht hinaus auf jener Seite, und hinunter dürft Ihr
nicht, an der Hexe vorbei.
Überlegt Ihr's auch wohl, Teresa? Und wenn Euer Bruder in die
Mühlenkammer träte und einen Fremden dort versteckt sähe?-Mein Bruder
kennt mich, sagte sie stolz. Fort!
Nur ein Wort noch. Wer ist sie? was fürchtet Ihr von diesem Weibe?
Alles; aber ich kenne Tommaso. Sie ist die Frau von Ninos Onkel. Als
man den Toten fand, bei Puzzuoli ans Ufer gespült, da blieb ihr Auge
allein trocken; Gott verzeihe ihr's, ich nicht! denn sie haßte mich,
weil mich viele schöner fanden als sie. Nun will sie mir meinen
Bruder rauben, die Listige. Tommaso aber kennt sie; er und ich--ich
und er, wer will uns scheiden?--Tretet in die Kammer, Herr, und haltet
Euch still. Hernach sag' ich's meinem Bruder, warum ich es getan.
Sie drängte ihn hinein und zog die Tür hinter ihm fest an; dann hörte
er, wie sie eilig durch die Hintertür auf die Wiese ging. Er aber,
allein gelassen in seinem Gefängnis, konnte sich zuerst einer starken
Aufregung und Beklommenheit nicht erwehren. Bald jedoch gewann der
Reiz des Abenteuers die Oberhand, und er überlegte, wie er sich in
allen möglichen Fällen zu benehmen haben würde. Währenddem sah er
sich unter den mancherlei fremdartigen Dingen um; das einfache Radwerk
musterte er, die großen Siebe und Bütten, die Mühlsteine der
verschiedensten Größe, die an der Wand lehnten. Dort im Winkel war
Tommasos Bett aufgeschlagen, ein Gebetbuch lag auf der Decke, ein
Weihkessel hing zu Häupten an der Wand. Alles Licht, was in die
Kammer fiel, drang von der Seite des Mühlenrades durch große Öffnungen
herein, durch die man in die Speichen sah und auf das jenseitige
Felsenufer der Schlucht. Aber auch in der Wand, die den Mühlenraum
von dem mittleren Gemach schied, entdeckte er bald eine Öffnung, die
ihn den größten Teil desselben überschauen ließ. Hier faßte er Posto
und wartete mit wachsender Spannung der Dinge, die kommen würden.
Nicht lange, so traten von der Wiese her die Geschwister ins Haus. Er
sah Tommasos Gesicht unter einer Fülle schwarzer Lockenhaare, von
einer zwillingshaften Ähnlichkeit mit den Zügen der Schwester. Eine
tief zurückgehaltene Bewegung belebte jeden Muskel und glänzte
unheimlich aus den finstern Augen. Die Jacke glitt ihm von der
Schulter, ohne daß er es bemerkte; lange stand er mit gekreuzten Armen
am Tisch und nickte zuweilen mit der hohen Stirn, als hörte er der
Schwester aufmerksam zu, die seinen Arm gefaßt hatte und mit heftigem
Flüstern, für den Deutschen unvernehmbar, zu ihm redete. Aber seine
Gedanken schienen abwesend zu sein. Zuweilen zuckte seine volle
Unterlippe; doch schwieg er während der ganzen Zeit. Er konnte nicht
über dreißig Jahre alt sein; eine herrlichere Männergestalt entsann
sich der Späher in der Mühlkammer nie gesehen zu haben.
Da klopfte es an der äußeren Tür. Im Nu flog Teresa von des Bruders
Seite fort auf einen Sessel am Herd, an den der Spinnrocken gelehnt
stand. Als Tommaso, der seine Stellung nicht verließ, herein! rief
und die Tür sich auftat, schwang Teresa den Rocken und schien schon
eine Stunde so gesessen zu haben. Auch ihr Gesicht war kalt und
gelassen.
Mit einigem Zögern trat die blonde Frau herein und machte sich,
während sie den ersten Gruß sagte, mit ihrer Kleidung zu schaffen,
offenbar um ihre Erregung zu verbergen. Sie schüttelte vom Saum ihres
Rockes die Tropfen ab, warf die Schuhe nieder und zog sie leicht an
die nackten Füße. Jede Bewegung war weich, anmutig, halb bewußt, halb
natürlich reizvoll. Das Gesicht, erhitzt vom Wege, glühte über und
über, und die schwarze Kleidung ließ die Zartheit ihrer Farben und das
matte Blond des Haars in diesem südlichen Lande um so wundersamer
erscheinen. Sie war kleiner als Teresa, voller und schmiegsamer,
rascher, wenn sie sich bewegte. Aber die braunen Augen trugen alles
Feuer des neapolitanischen Himmels in sich.
Guten Abend, Teresa! Wie geht's, Tommaso? sagte sie.
Ihr seid's, Lucia? erwiderte das Mädchen. Was führt Euch von Neapel
herüber in unsere Einsamkeit?
Nehmt Platz, Lucia, und seid willkommen, sagte der Bruder, ohne sich
ihr irgend zu nähern.
Sie folgte der Aufforderung und setzte sich ans Fenster, immer noch
mit ihrer Kleidung beschäftigt. Ich hatte in Carotta zu tun, fing sie
wieder an, indem sie den Strohhut abnahm und ihr Haar aus der Stirn
strich. Da dacht' ich, ehe ich wieder heimfuhr, Euch zu besuchen,
Teresa. Der Weg hier herauf ist schlecht; wir hatten böses Wetter.
Für die Mühle war es gut, sagte Teresa kurz.
Lucia ließ ihre Augen im Gemach herumgehen und leicht über Tommasos
Gesicht gleiten, der in scheinbarer Gleichgültigkeit mit einem Stück
Kreide, das auf dem Tisch gelegen, einen Strich neben den andern malte.
Die drei Menschen wußten, daß entscheidende Worte fallen sollten,
und jeder wollte dem andern den Eingang dazu überlassen.
Bring doch ein Glas Wein für Lucia! sagte Tommaso jetzt, ohne die
Schwester anzublicken.--Teresa spann eifrig fort. Die Fremde sprach
nach einigem Zaudern: Lasset den Wein; ich habe nicht lange Zeit zu
bleiben. Der Abend sinkt herein und mein Boot wartet auf mich an der
Marina von Carotta; denn ich will auf die Nacht nach Neapel zurück.
Wie lange haben wir uns nicht gesehen! Warum kommt Ihr nie nach
Neapel herüber, Teresa? Der Winter muß hart sein hier in der Schlucht.
Keine Zeit ist mir hart mit meinem Bruder zusammen, entgegnete das
Mädchen. Und was hab' ich in Neapel zu suchen? Es zieht mich zu
niemand dort, zu niemand.
Wieder schwiegen sie alle. Endlich wandte der Mann sich nach der
Schwester und sagte ruhig: Hast du dem Tier den Stall gemacht für die
Nacht, Teresa!
Sie zuckte zusammen, denn sie verstand den Wink. Aber wie sie aufsah,
erkannte sie an seinem festen Blick, daß es des Bruders Wille war; sie
stellte rasch den Spinnrocken weg, verließ das Gemach, und man hörte
sie draußen absichtlich laut an der Gittertür des Stalles sich zu tun
machen, um jeden Verdacht, als ob sie horche, abzuschneiden.
Dem Deutschen auf seinem Lauerposten schlug das Herz, als er die
beiden nun allein einander gegenüber sah. Obwohl die Vergangenheit
dieser Menschen ihm nur zur Hälfte offen lag, wußte er doch genug, um
eine Szene der seltsamsten Art vorauszufühlen. Er sah bald den Mann,
bald die schöne Frau am Fenster an, und seine eigene Lage wurde immer
peinlicher, wenn er sich sagte, daß die Worte, die auf beider Lippen
schwebten, für keines andern Menschen Ohr bestimmt sein konnten.
Einen Moment dachte er daran, sich in die entfernteste Ecke der
Mühlenkammer zurückzuziehen. Aber jeder Schritt konnte ihn verraten,
und so mußte er stehen bleiben, wo er stand.
Das Schweigen drinnen dauerte noch eine kurze Zeit. Dann sagte Lucia:
Eure Schwester haßt mich, Tommaso; was habe ich ihr zuleide getan?
Der Bruder zuckte die Achseln.
Seht, fuhr sie fort, es hat mir oft keine Ruhe gelassen, wenn ich
dachte, daß sie es vielleicht allein ist, die Euch so fern von uns
gehalten hat. Sie gönnt es keinem, daß Ihr nur ein Wort an ihn
richtet. Sie allein will Euch haben.
Ihr irrt, sagte er trocken. Ich hatte meine Gründe, daß ich aus
Neapel fortging.
Ich weiß, Tomà, ich weiß. Es begreift es ein Kind, daß ihr damals die
Lust am Meere verlort, nach jenem Unglück. Aber sie wäre schon
wiedergekommen, wenn Teresa Euch nicht zugeredet hätte, Euch hier in
der Wildnis und Öde einzuschließen. Erleben wir nicht alle unsere
Schicksale und müssen doch aushalten unter den Menschen? Kommt das
Unglück nicht vom Himmel? Und darf es uns so versteinern, daß wir die
Menschen hassen, die doch nichts dafür können?
Nichts dafür können? Das ist die Frage.
Sie sah ihn durchdringend an. Ich versteh' Euch nicht, Tomà. Ich
verstehe vieles nicht mehr, seit Ihr fort seid. Warum habt Ihr mir
auf die Briefe nicht geantwortet, die ich Euch durch Angelo, den
Bauern, geschickt habe? Er sagte mir doch, er habe sie Euch allein
übergeben, beide; sonst könnte ich denken, Teresa habe Euch das
Antworten verwehrt.
Die Briefe? Ich habe sie verbrannt.
Und was antwortet Ihr jetzt darauf?
Lucia, ich habe kein Wort gelesen, das darin stand.
Sie zuckte zusammen. Er aber fuhr fort: Euer Mann ist gestorben, wie
mir Angelo sagte; er tut mir leid, er war ein Galantuomo, und das
Unrecht, das ich gegen ihn auf dem Herzen habe, brennt mich noch heut.
Ihr seid jung und schön, Lucia; Ihr werdet bald einen andern finden,
einen jüngeren. Seid glücklich mit ihm!
Damit warf er das Stück Kreide fort und ging, die Hände auf den Rücken
gelegt, durch das Zimmer. Sie folgte seinen Bewegungen mit
ängstlicher Spannung. Endlich sagte sie: Weiß Teresa, daß ich Witwe
geworden?
Sie erfuhr es erst eben aus Eurem schwarzen Kleid. Wir haben die vier
Jahre her Euren Namen zwischen uns nicht genannt.
Wenn Ihr die Briefe nicht gelesen habt, so wißt Ihr auch nicht, daß
mein Mann Euch dreihundert Piaster vermacht hat; Ihr müßt aber selbst
nach Neapel kommen, sie beim Gericht abzuholen, wo sie für Euch
niedergelegt sind.
Sie können dort liegen bleiben bis an den jüngsten Tag, sagte er ohne
sich zu besinnen, wenn Ihr nicht vorzieht, sie den Armen zu geben.
Ich hole sie nicht, auch wenn ich sie nötiger brauchte, als gottlob
der Fall ist. Geld von Eurem Manne, Lucia! Lieber verhungern!
Wie redet Ihr? sprach sie leise, mit einer Stimme, die von Bestürzung
zitterte. Wie soll ich dieses alles deuten? Es war sonst anders
zwischen uns, Tommaso!
Um so schlimmer, daß es anders war!
Sie stand von ihrem Sitz auf, tat einige Schritte auf ihn zu und
suchte mit scheuen Augen die seinigen. Die aber bohrten sich fest in
die Platte des Tisches, hinter den er wieder getreten war, als suche
er etwas Fremdes zwischen sich und das schöne Weib zu bringen, zum
Schutz gegen ihre Reize. Sie hatte die rechte Hand fest unter die
volle Brust gelegt; der Deutsche sah durch die Wandspalte die blauen
Adern auf dem runden Arm und wie die schmalen Finger bebten an dem
klopfenden Herzen.
Was habe ich Euch getan, Tomà? sprach sie kaum hörbar. Hat man mich
verleumdet bei Euch, so sagt es mir, alles, und ich will meine Finger
auf die Hostie legen und schwören, daß ich mir keiner Schuld bewußt
bin. Wie eine Begrabene hab' ich gelebt mit meinem Manne, seit Ihr
fortgegangen, und niemand kann aufstehen und sagen, daß die Wirtin der
Sirena ihm einen Blick oder ein Lächeln gegönnt hat.
Das ist Eure Sache und war die Sache des Toten. Warum kommt Ihr her
und sagt das mir?
Große Tränen traten ihr ins Auge, als sie die harten Worte hörte, und
er fühlte es wohl, wie tief der Schlag getroffen hatte, obwohl er sie
noch immer nicht ansah. Dann sagte er nach einer Weile: Was hilft es,
daß wir durch die Maske sprechen, und unsere Stimmen verstellen?
Gerade heraus, Lucia: du bist gekommen, um mir zu sagen, daß du nun
frei seiest und niemand mehr im Wege stehe zwischen uns beiden. Aber
ich sage dir, es steht doch einer zwischen uns, und wir sind verdammt,
für unsere Sünden ewige Flammen zu fühlen und ewig getrennt zu sein.
So entschieden er sprach, so lebte doch die Hoffnung wieder auf in ihr.
Für unsere Sünden? sagte sie rasch. Was haben wir uns vorzuwerfen?
Hat es mir je eine andere Frucht getragen, daß wir uns liebten, als
Seufzen und Weinen aus der Ferne? Wenn ich jetzt an deinen Hals
stürzen dürfte, wäre es nicht unser erster Kuß? Aber wohl weiß ich,
wer zwischen uns steht, Tommaso:--deine Schwester.
Er schüttelte heftig den Kopf. Nein! nicht sie! Aber frage mich
nicht, und denke nicht, daß du ihn jemals aus dem Wege räumen kannst,
unsern Feind; er ist keiner von den Lebenden. Geh nach Neapel zurück,
Lucia, und komm nie wieder herauf nach der Mühle. Ich will, ich darf
dich nicht wiedersehen.
Sie trat dicht an den Tisch heran, ihm gegenüber, daß ihn die heftige
Bewegung selbst erschütterte und er plötzlich aufsah. Alle Schrecken
einer verzweifelten Leidenschaft standen ihr im Gesicht. Ich gehe
nicht, sagte sie mit gewaltsamer Festigkeit, oder ich muß alles wissen.
Tommaso, mein Mann ist tot, Nino schläft lange in seinem Grab, deine
Schwester soll in meinem Hause sein wie die Herrin und ich wie die
Magd; bei dem ersten bösen Wort von mir zu ihr magst du mich ausstoßen,
als hätt' ich Feuer unter dein Dach gelegt; und du sagst--und ich
seh' es--, daß dein Herz noch nicht verwandelt ist: wer steht noch
zwischen uns, Tommaso?
Der Tisch zitterte, auf den der junge Mann sich stützte. Ich will es
dir sagen, keuchte er dumpf heraus; aber dann geh und frage nicht
weiter. Nino steht zwischen uns!
Du betrügst mich, antwortete sie. Du willst meine Gedanken von Teresa
ablenken, damit ich es ihr nicht eines Tages vergelte, was sie mir
angetan. Du wirst es noch einmal bereuen, daß du mit mir Ärmsten
gespielt hast, und mich dann weggeworfen. Und auch sie, auch sie soll
die Unnatur büßen, dich hier vor der Sonne versteckt zu halten, wie
der Geizige seinen Schatz. Ich gehe.
Bei Christi Blut, Lucia, ich betrüge dich nicht. Es ist wahr, meine
Schwester hat dir eine Sache nie verziehen. Aber das ist es
nicht--und du weißt nicht, wie ich es meine, wenn ich sage: Nino steht
zwischen uns! Niemand weiß es, Teresa am wenigsten. Sie stürbe, wenn
sie es wüßte.
Und wenn ich es wüßte?
So würden dir alle Gedanken an den elenden Tommaso vergehen, und du
würdest den Weg zur Mühle nicht wiederfinden.
Er bedeckte sein Gesicht mit den Händen.
Du irrst, sagte sie, das kann nie geschehen. Es ist ein Wahn, was
zwischen uns liegt, und ich werde ihn wie einen Rauch wegblasen, wenn
du ihn mir zeigst. Wo nicht, so finde ich keine Ruhe Tag und Nacht,
und übers Jahr hörst du, daß du mich ins Grab gestürzt hast.
Er schauderte in sich zusammen und schien einen letzten Kampf zu
kämpfen. Dann sah er sie trostlos, glühend, starr und lange an und
sprach: Es muß aus werden, ich will die verzehrende Qual, dich zu
sehen und dir zu entsagen, nicht zum zweiten Male zu überstehen haben.
Schwöre mir bei deiner Seligkeit, Lucia, daß du niemand sagen willst,
was noch niemand von mir gehört hat und was du nun hören sollst. Auch
in der Beichte und im Sterben komme das Wort nicht über deine Lippen.
Es ist nicht, weil es mir selbst zum Verderben wäre, wenn die Menschen
es wüßten; aber Teresa überstünde es nicht. Schwöre, Lucia!
Sie erhob die Hand. Bei unserer Seligkeit schwöre ich dir's zu,
Tommaso, niemand soll es wissen außer mir und dir.
Er seufzte tief auf und warf sich in einen Stuhl, die Arme auf die
Knie stützend und den Boden zu seinen Füßen anstarrend. Lucia, sprach
er halblaut, ich habe die Wahrheit gesagt, Nino steht zwischen uns,
jetzt im Tode, wie damals im Leben. Er war rein und unschuldig wie
Abel, und auch ihm zur Seite stand ein Kain. Kain floh in die Wildnis;
begreifst du's nun.
Sie schwieg.
Du hast recht, fuhr er fort. Wer kann es begreifen? Aber es kommen
Stunden, wo die Hölle Macht hat über uns, daß es ist, als säße ein
fremder Geist in unserer Brust und knebelte alle rechtschaffenen
Gedanken, und nur die teuflischen ließe er frei, zu tun, was sie
wollten. Haben wir's dann getan, was hernach das Ende davon ist?--Das
soll mir einmal ein Pfaffe auslegen, das weiß keiner!
Wie ich den Jungen geliebt habe! Ermordet hätt' ich den Wahnwitzigen,
der mir ins Gesicht nur mit einem Hauche schlecht von ihm gesprochen
hätte! Wenn ich ihn singen hörte, vergaß ich alle Sorgen; wenn er in
mein Haus kam, wurde es helle darin. Einem eigenen Sohn oder Bruder
kann man nicht mehr anhängen. Stolz war ich auf ihn. Als Neapel von
seiner Stimme zu reden anfing, sagt' ich wie ein Narr zu den Leuten:
das ist unser Nino, mein alter Spielkamerad! Und wußte mir was damit,
als hätte ich ihm die Stimme aus dem Meer gefischt und geschenkt. Und
wie war er zu mir! Da er schon berühmt war und bei Prinzen und Grafen
sang und die stolzen Damen sich um einen seiner Blicke beneideten,--er
kam nach wie vor in unser Haus am Strande und war am liebsten mit uns,
und manches Mal, wenn ich ihm auf dem Toledo begegnete, mein Netz über
der Schulter, ließ er einen andern Bekannten stehn und faßte meinen
Arm und ging eine Strecke mit mir. Niemand war so holdselig; kein
Falsch in ihm, kein Sündhaftes. Er hätte alle Weiber in Neapel haben
können, aber er gab keine Feige dafür. Ich habe ihn oft darum
ausgelacht; ich wußte damals noch nicht, wer ihm das Herumlieben
verleidete.
Nur ein Böses hat er mir getan, daß er mich zu seinem Onkel ins Haus
führte, als der brave Alte von Capua nach Neapel zog und die Sirena
kaufte. Kam er nicht vor allem, um sich an Ninos Glück zu freuen, das
sein Werk war? Warum mußte er kommen und Euch mitbringen, Lucia!
Seit der Stunde schon verlor ich Nino, der Himmel weiß, nicht durch
seine Schuld. Aber wer konnte ihm darum gram werden, außer mir und
Euch, daß er die Ehre seines Wohltäters bewachte?
Es war ihm nie eingefallen sonst, mir Vorwürfe zu machen über meine
Liebeshändel, obwohl er auch keinen sonderlichen Gefallen daran hatte,
wenn ich ihm von der oder jener Frau sprach, die mich gerade im Netz
hatte. Er war unschuldig wie der Erzengel Raphael; aber er kannte
auch die Welt und wußte, daß nicht alle waren wie er, und war fern
davon, die Menschen ändern zu wollen. Auch als er bald merkte, wie es
um uns stand, Lucia,--nie kam ein Wort über seine Lippen. Ihr aber
wißt wohl, daß er es allein war, der all unsere Listen und Anschläge
vereitelte. Ich schäumte in mir; hundertmal schwor ich mir, sobald
ich ihn wiedersähe, ihm alle Freundschaft aufzukündigen, wenn er
ferner Eure Schwelle bewachte, eifersüchtiger als der Onkel selbst,
als ein Bruder, oder ein Verliebter. Denn er liebte Euch nicht, und
kein Neid auf mich war mit im Spiel. Sah ich ihn dann, so zerbiß ich
mir die Lippen, aber sagte kein Wort, und fast wurde die Raserei nach
Euch gelinder in mir, wenn ich seine Stimme hörte.
Es schien, er las mir alle meine Gedanken in der Brust. Vielmals
redete er mit mir vom Onkel, wie gut er sei, wie harmlos, und wie viel
der Alte an ihm getan habe. Er sah mich dann zutraulich an, als
wollte er sagen: Nein, Tomà, es ist nicht möglich, daß du einen Mann
betrübst, dem dein Freund alles zu danken hat. Und ist er nicht auch
gegen dich die Güte, das Vertrauen selbst?
Ich verstand ihn wohl; aber wenn ich Euch dann begegnete, verschlang
mir die Wut der Liebe alle Vorsätze, alle Bedenken. Mein Gewissen
verdorrte wie ein Baum neben der fließenden Lava. Und ein Jahr lang
so herumzugehen, ich, der nie über eine Frist von vierzehn Tagen
hinaus sich zu gedulden gelernt hatte! Schon einmal, als der Onkel
nach Ischia gefahren war, Ihr entsinnt Euch, und wir aufatmeten, er
aber sich ein Zimmer in der Sirena ausbat, um Noten abzuschreiben,
weil der Lärm in seiner eigenen Wohnung ihn störe--schon damals hatt'
ich finstre Gedanken. Ich wollt' ihm was unter den Wein mischen, was
mir ein Bekannter gegeben; es sollte einen Menschen vierundzwanzig
Stunden lang in Schlaf bringen. Dann aber entsetzte ich mich. Wenn
es ein Gift wäre? Oder es schadete ihm an seiner Stimme? Ich tat es
nicht, aber es blieb ein Stachel in mir zurück gegen ihn, und von
Stund an wich ich ihm aus, denn sein Anblick verdroß mich, als wenn er
mir nach dem Leben gestanden hätte.
So kam der Tag näher, wo er zum ersten Mal in der Oper singen sollte.
Was wir für jenen Abend abgeredet hatten, Lucia, Ihr wißt es wohl.
Hätte ich Euch nicht gekannt,--mein Haus hätte indessen abbrennen
können, und ich wäre vor dem letzten Ton, der Ninos Triumph sein
sollte, nicht von meinem Platz im Theater gewichen. Nun war all mein
Sinnen nur darauf gerichtet, was mich erwartete, wenn ich nach dem
ersten Akt mich fortschliche in die Sirena, wo Ihr die Kranke spielen
wolltet, um nicht mit dem Onkel in die Oper zu müssen.
Da kam er am Abend vorher, wie Ihr wißt, und beredete mich, ihn mit
aufs Meer zu nehmen. Welcher Engel oder Teufel hatte ihm unser
Geheimnis zugeraunt? Denn er wußte es, und kaum daß wir allein auf
der See zusammen waren, sagte er mir's ins Gesicht, das erste Mal, daß
er mich offen zur Rede stellte. Ich leugnete alles. Tomà, sagte er,
wenn du mir nicht versprichst bei unserer alten Freundschaft, davon
abzustehen, so ist es mein Unglück. Ich werde singen wie ein Rabe,
sie werden mich auszischen, und alles, was ich je gehofft habe, wird
für immer dahin sein. Mein Bruder, sagte er, ich fordere es von dir!
Ich könnte ja hingehen und den Onkel warnen. Aber er wüßte dann,
welche Frau er hat, und wenn ich auch deinen Namen nicht nennte, wären
wir doch ewig geschieden, du und ich. Versprich mir's also; das eine
Opfer kann ich dir wohl wert sein.--Ich schwieg hartnäckig und sah
nach den Netzen, und hörte zuletzt gar nicht mehr, was er redete, denn
Euer Bild stand vor mir, Lucia, und das Blut tobte mir in den Schläfen.
Eine Stunde nachher kam ich allein im Boot nach der Küste zurück.-Die
letzten Worte verhallten dunkel und tonlos, und die beiden Gestalten,
er auf seinem Sitz, das Gesicht immer tiefer zwischen den Knien
herabgesunken, die Frau bleich wie eine Tote, verharrten so wie Bilder,
während es dunkler im Zimmer ward und draußen durch das Rauschen des
Bachs Teresas Stimme erklang, die ein Ritornell anstimmte, wie um den
Bruder zu erinnern, daß er ihr die Pein des Wartens nicht ohne Not
verlängern solle. Und in der Tat weckte die Stimme den versunkenen
Mann. Er erhob sich vom Sessel und neigte sich über den Tisch dichter
zu dem regungslosen Weibe. Nein, Lucia, sagte er heiser, ich habe
damals nicht gelogen. Das Netz zog ihn in die Tiefe, seine Füße
verstrickten sich, nicht ich habe den Kahn umgestoßen; aber das ist
nicht alles. Ich saß noch am Steuer, als er schon hinuntergestürzt
war. Eisig war mein Gebein, meine Augen stierten auf den Strudel
neben mir, der sich über seinem Haupt geschlossen hatte, ich sah die
Blasen aufsteigen, als wollten sie mir zurufen: er atmet noch da unten!
Und jetzt, jetzt tauchte eine seiner Hände über den Wellen auf und
haschte nach einer festen Hand seines Freundes, eine Bootslänge nur
sah ich sie von mir entfernt--ein silberner Ring glänzte am kleinen
Finger in der Sonne--nur das Ruder hätt' ich hinzustrecken brauchen
und er war gerettet, Lucia! Wollte ich ihn denn nicht retten? Mußte
ich es nicht wollen? hielt ich nicht das Ruder auf den Knien, und nur
ein Ruck des Armes und die Hand mit dem Ring hätte sich darum
festgeklammert? Aber da saß der Dämon in meiner Brust und lähmte mir
jede Faser und verstockte mir jeden Blutstropfen; wie vom Schlage
gerührt saß ich fest, mir schwindelte, zu schreien versucht' ich--und
immer stierte ich auf die Hand--und die Hand sank, jetzt bis an den
Ring, jetzt bis an die Fingerspitzen, und jetzt--war sie versunken.
Erst da ließ mich die Hölle los; ich schrie wie ein Toller, ich sprang
über Bord, daß der Kahn umschlug, und tauchte hinab, und wieder auf,
und wieder hinab, und fand ihn nicht, obwohl ich sonst hundertmal eine
kleine Münze vom Meeresgrund heraufgeholt habe, und schwamm endlich
wieder zu meinem Boote zurück, die Verzweiflung im Herzen. Aber das
Maß war noch nicht voll. Wie ich nach Hause kam ohne ihn, brach meine
Schwester am Herd zusammen wie eine verlöschende Flamme; der Ring am
Finger jener Hand, die aus den Wellen gestarrt hatte, war ihr Ring.
Tags zuvor hatte sie ihn mit dem seinigen getauscht, ohne daß ich es
wußte.
Er warf sich wieder in den Stuhl zurück und kehrte das Gesicht mit
geschlossenen Augen gegen die Decke. Der Lauscher in der Mühlenkammer
hörte ihn lange wie einen schwer Schlafenden röcheln aus der gepreßten
Brust, während das unglückliche junge Weib sich mehrmals mit der Hand
über die Stirne fuhr, die kalten Tropfen wegzuwischen. Das Furchtbare,
das sie vernommen, hatte ihre Züge, die weich und sinnlich waren,
flammte in der Abendsonne, und er hatte die Augen auf unser Haus
gerichtet; immer steht mir der Blick vor der Seele. Und die Sonne war
kaum hinunter, da hör' ich Ruderschlag und springe unter die Tür, um
sie zu grüßen--aber Tommaso war allein im Kahn und ruderte wie ein
Rasender und schrie mir zu: Guten Abend, Teresa; ich soll dich grüßen
von Nino, er schläft schon, unten am Meeresgrund--! Und mehr hört'
ich nicht.
Entsetzlich! die schöne hoffnungsvolle Jugend! Wie war es nur möglich,
das Unglück, da sie zu zweien waren und den Kahn hatten?
Das schwere Netz zog ihn hinab. Der Pflock, an dem es im Kahne
festhing, wich plötzlich aus der Fuge und schoß über Bord, und er, mit
den Armen übergebeugt, das Netz zu fassen, verstrickte sich in den
Maschen, und der Kahn schlug um, und wie Tommaso wieder auftaucht,
sieht er den leeren Kahn ruhig in der Abendröte schwimmen und von Nino
nur den Strohhut mit dem Bande, das ich ihm Tags vorher daran geheftet
hatte.-Armer Nino!
Beklagt Ihr ihn? Er ging geradewegs in das Paradies ein und singt vor
dem Thron der Madonna mit seiner goldenen Stimme. Beklagt meinen
Bruder, Herr; dem liegt sein Frieden unten im Meer versunken, und kein
Taucher bringt ihn herauf. Seit jenem Tag hat er nicht mehr gelacht,
mein armer Tommaso. Und ehe er ins Gebirge ging, verbrannte er seinen
Kahn und seine Netze, und die Leute standen am Ufer und sagten: Er hat
recht, der Arme! denn man wußte, daß sie wie Brüder gewesen waren.
Sie schwieg und sah in die Schlucht hinunter, die Hände still in den
Schoß gelegt. Er aber hielt die Blätter müßig auf den Knien und
versenkte seine Gedanken in das wundersame Schicksal, das auf ihrem
Gesicht zu lesen war. Alle Bitterkeit des Erlebten schien
verschwunden zu sein und nur das reine Bild des Jünglings ihr vor der
Seele zu stehen und die "goldne Stimme" sie zu umklingen.
Um so heftiger erschrak der Fremde, als er diese edlen Züge plötzlich
sich in wilder Leidenschaft verfinstern sah. Wie ein Schwan, der eine
Schlange sieht, fuhr sie mit einem kurzen zischenden Tone auf vom Sitz,
zitternd am ganzen Leibe, die Brust arbeitete, die Lippen erblaßten
und öffneten sich krampfhaft. Was ist Euch, Teresa, um des Himmels
willen? rief er. Sie versuchte vergebens, ein Wort zu sprechen. Da
folgte sein Blick der Richtung des ihrigen, der fest auf einen Punkt
am Ende der Schlucht geheftet war. Aber was er sah, steigerte nur
sein Erstaunen; denn durchaus nichts Furchtbares war's, was langsam
dort unten den überschwemmten Weg heraufkam, vielmehr eine Gestalt, in
ihrer Art nicht minder anziehend, als ihm vorher Teresa erschienen war.
Ein blondes junges Weib, ganz in Schwarz gekleidet, erstieg,
behutsam durch das Wasser watend, den Weg zur Mühle. Die Schuh und
Strümpfe trug sie in der Linken, mit der Rechten hatte sie den
faltigen Rock hoch zusammengeschürzt, freilich mit etwas mehr
Dreistigkeit, als vorher Teresa getan. Ein Strohhut, von dem breite
schwarze Bänder flatterten, saß ihr, wie vom Winde zurückgeweht, tief
im Nacken und ließ das blühende Gesicht völlig sehen, dessen
leuchtendes Weiß und Rot schon aus der Ferne heraufschimmerte. Die
Augen aber hatte sie auf den Weg gesenkt.
Wer ist diese Frau, Teresa? fragte der Deutsche, und warum verwandelt
Ihr Euch so bei ihrem Anblick?
Was wird er sagen, murmelte sie vor sich hin, ohne auf die Frage zu
achten. Sie ist noch schöner geworden, noch schlimmer. Was soll das
Schwarz? Wenn der Alte gestorben wäre--! Heilige Madonna!
Eine wilde Jagd von Gedanken schien an ihr vorüberzuziehn. Sie komme
nur! sagte sie endlich, sie komme nur! Wir fürchten sie nicht, wir
kennen sie. Dann, sich erinnernd, daß sie nicht allein war, sprach
sie hastig: Ihr müßt dort hinein, in die Mühlenkammer. Sie darf Euch
hier nicht finden, sie haßt mich, und wer weiß, was sie mir nachredete,
wenn sie einen Fremden hier getroffen hätte. Steht auf, Herr, und um
Jesu willen, haltet Euch ruhig, daß sie Euch nicht hört. Ich denke,
es währt nicht lange.
Wenn ich Euch im Wege bin, Teresa, so will ich dort hinaus auf der
anderen Seite der Schlucht.
Ihr findet Euch nicht hinaus auf jener Seite, und hinunter dürft Ihr
nicht, an der Hexe vorbei.
Überlegt Ihr's auch wohl, Teresa? Und wenn Euer Bruder in die
Mühlenkammer träte und einen Fremden dort versteckt sähe?-Mein Bruder
kennt mich, sagte sie stolz. Fort!
Nur ein Wort noch. Wer ist sie? was fürchtet Ihr von diesem Weibe?
Alles; aber ich kenne Tommaso. Sie ist die Frau von Ninos Onkel. Als
man den Toten fand, bei Puzzuoli ans Ufer gespült, da blieb ihr Auge
allein trocken; Gott verzeihe ihr's, ich nicht! denn sie haßte mich,
weil mich viele schöner fanden als sie. Nun will sie mir meinen
Bruder rauben, die Listige. Tommaso aber kennt sie; er und ich--ich
und er, wer will uns scheiden?--Tretet in die Kammer, Herr, und haltet
Euch still. Hernach sag' ich's meinem Bruder, warum ich es getan.
Sie drängte ihn hinein und zog die Tür hinter ihm fest an; dann hörte
er, wie sie eilig durch die Hintertür auf die Wiese ging. Er aber,
allein gelassen in seinem Gefängnis, konnte sich zuerst einer starken
Aufregung und Beklommenheit nicht erwehren. Bald jedoch gewann der
Reiz des Abenteuers die Oberhand, und er überlegte, wie er sich in
allen möglichen Fällen zu benehmen haben würde. Währenddem sah er
sich unter den mancherlei fremdartigen Dingen um; das einfache Radwerk
musterte er, die großen Siebe und Bütten, die Mühlsteine der
verschiedensten Größe, die an der Wand lehnten. Dort im Winkel war
Tommasos Bett aufgeschlagen, ein Gebetbuch lag auf der Decke, ein
Weihkessel hing zu Häupten an der Wand. Alles Licht, was in die
Kammer fiel, drang von der Seite des Mühlenrades durch große Öffnungen
herein, durch die man in die Speichen sah und auf das jenseitige
Felsenufer der Schlucht. Aber auch in der Wand, die den Mühlenraum
von dem mittleren Gemach schied, entdeckte er bald eine Öffnung, die
ihn den größten Teil desselben überschauen ließ. Hier faßte er Posto
und wartete mit wachsender Spannung der Dinge, die kommen würden.
Nicht lange, so traten von der Wiese her die Geschwister ins Haus. Er
sah Tommasos Gesicht unter einer Fülle schwarzer Lockenhaare, von
einer zwillingshaften Ähnlichkeit mit den Zügen der Schwester. Eine
tief zurückgehaltene Bewegung belebte jeden Muskel und glänzte
unheimlich aus den finstern Augen. Die Jacke glitt ihm von der
Schulter, ohne daß er es bemerkte; lange stand er mit gekreuzten Armen
am Tisch und nickte zuweilen mit der hohen Stirn, als hörte er der
Schwester aufmerksam zu, die seinen Arm gefaßt hatte und mit heftigem
Flüstern, für den Deutschen unvernehmbar, zu ihm redete. Aber seine
Gedanken schienen abwesend zu sein. Zuweilen zuckte seine volle
Unterlippe; doch schwieg er während der ganzen Zeit. Er konnte nicht
über dreißig Jahre alt sein; eine herrlichere Männergestalt entsann
sich der Späher in der Mühlkammer nie gesehen zu haben.
Da klopfte es an der äußeren Tür. Im Nu flog Teresa von des Bruders
Seite fort auf einen Sessel am Herd, an den der Spinnrocken gelehnt
stand. Als Tommaso, der seine Stellung nicht verließ, herein! rief
und die Tür sich auftat, schwang Teresa den Rocken und schien schon
eine Stunde so gesessen zu haben. Auch ihr Gesicht war kalt und
gelassen.
Mit einigem Zögern trat die blonde Frau herein und machte sich,
während sie den ersten Gruß sagte, mit ihrer Kleidung zu schaffen,
offenbar um ihre Erregung zu verbergen. Sie schüttelte vom Saum ihres
Rockes die Tropfen ab, warf die Schuhe nieder und zog sie leicht an
die nackten Füße. Jede Bewegung war weich, anmutig, halb bewußt, halb
natürlich reizvoll. Das Gesicht, erhitzt vom Wege, glühte über und
über, und die schwarze Kleidung ließ die Zartheit ihrer Farben und das
matte Blond des Haars in diesem südlichen Lande um so wundersamer
erscheinen. Sie war kleiner als Teresa, voller und schmiegsamer,
rascher, wenn sie sich bewegte. Aber die braunen Augen trugen alles
Feuer des neapolitanischen Himmels in sich.
Guten Abend, Teresa! Wie geht's, Tommaso? sagte sie.
Ihr seid's, Lucia? erwiderte das Mädchen. Was führt Euch von Neapel
herüber in unsere Einsamkeit?
Nehmt Platz, Lucia, und seid willkommen, sagte der Bruder, ohne sich
ihr irgend zu nähern.
Sie folgte der Aufforderung und setzte sich ans Fenster, immer noch
mit ihrer Kleidung beschäftigt. Ich hatte in Carotta zu tun, fing sie
wieder an, indem sie den Strohhut abnahm und ihr Haar aus der Stirn
strich. Da dacht' ich, ehe ich wieder heimfuhr, Euch zu besuchen,
Teresa. Der Weg hier herauf ist schlecht; wir hatten böses Wetter.
Für die Mühle war es gut, sagte Teresa kurz.
Lucia ließ ihre Augen im Gemach herumgehen und leicht über Tommasos
Gesicht gleiten, der in scheinbarer Gleichgültigkeit mit einem Stück
Kreide, das auf dem Tisch gelegen, einen Strich neben den andern malte.
Die drei Menschen wußten, daß entscheidende Worte fallen sollten,
und jeder wollte dem andern den Eingang dazu überlassen.
Bring doch ein Glas Wein für Lucia! sagte Tommaso jetzt, ohne die
Schwester anzublicken.--Teresa spann eifrig fort. Die Fremde sprach
nach einigem Zaudern: Lasset den Wein; ich habe nicht lange Zeit zu
bleiben. Der Abend sinkt herein und mein Boot wartet auf mich an der
Marina von Carotta; denn ich will auf die Nacht nach Neapel zurück.
Wie lange haben wir uns nicht gesehen! Warum kommt Ihr nie nach
Neapel herüber, Teresa? Der Winter muß hart sein hier in der Schlucht.
Keine Zeit ist mir hart mit meinem Bruder zusammen, entgegnete das
Mädchen. Und was hab' ich in Neapel zu suchen? Es zieht mich zu
niemand dort, zu niemand.
Wieder schwiegen sie alle. Endlich wandte der Mann sich nach der
Schwester und sagte ruhig: Hast du dem Tier den Stall gemacht für die
Nacht, Teresa!
Sie zuckte zusammen, denn sie verstand den Wink. Aber wie sie aufsah,
erkannte sie an seinem festen Blick, daß es des Bruders Wille war; sie
stellte rasch den Spinnrocken weg, verließ das Gemach, und man hörte
sie draußen absichtlich laut an der Gittertür des Stalles sich zu tun
machen, um jeden Verdacht, als ob sie horche, abzuschneiden.
Dem Deutschen auf seinem Lauerposten schlug das Herz, als er die
beiden nun allein einander gegenüber sah. Obwohl die Vergangenheit
dieser Menschen ihm nur zur Hälfte offen lag, wußte er doch genug, um
eine Szene der seltsamsten Art vorauszufühlen. Er sah bald den Mann,
bald die schöne Frau am Fenster an, und seine eigene Lage wurde immer
peinlicher, wenn er sich sagte, daß die Worte, die auf beider Lippen
schwebten, für keines andern Menschen Ohr bestimmt sein konnten.
Einen Moment dachte er daran, sich in die entfernteste Ecke der
Mühlenkammer zurückzuziehen. Aber jeder Schritt konnte ihn verraten,
und so mußte er stehen bleiben, wo er stand.
Das Schweigen drinnen dauerte noch eine kurze Zeit. Dann sagte Lucia:
Eure Schwester haßt mich, Tommaso; was habe ich ihr zuleide getan?
Der Bruder zuckte die Achseln.
Seht, fuhr sie fort, es hat mir oft keine Ruhe gelassen, wenn ich
dachte, daß sie es vielleicht allein ist, die Euch so fern von uns
gehalten hat. Sie gönnt es keinem, daß Ihr nur ein Wort an ihn
richtet. Sie allein will Euch haben.
Ihr irrt, sagte er trocken. Ich hatte meine Gründe, daß ich aus
Neapel fortging.
Ich weiß, Tomà, ich weiß. Es begreift es ein Kind, daß ihr damals die
Lust am Meere verlort, nach jenem Unglück. Aber sie wäre schon
wiedergekommen, wenn Teresa Euch nicht zugeredet hätte, Euch hier in
der Wildnis und Öde einzuschließen. Erleben wir nicht alle unsere
Schicksale und müssen doch aushalten unter den Menschen? Kommt das
Unglück nicht vom Himmel? Und darf es uns so versteinern, daß wir die
Menschen hassen, die doch nichts dafür können?
Nichts dafür können? Das ist die Frage.
Sie sah ihn durchdringend an. Ich versteh' Euch nicht, Tomà. Ich
verstehe vieles nicht mehr, seit Ihr fort seid. Warum habt Ihr mir
auf die Briefe nicht geantwortet, die ich Euch durch Angelo, den
Bauern, geschickt habe? Er sagte mir doch, er habe sie Euch allein
übergeben, beide; sonst könnte ich denken, Teresa habe Euch das
Antworten verwehrt.
Die Briefe? Ich habe sie verbrannt.
Und was antwortet Ihr jetzt darauf?
Lucia, ich habe kein Wort gelesen, das darin stand.
Sie zuckte zusammen. Er aber fuhr fort: Euer Mann ist gestorben, wie
mir Angelo sagte; er tut mir leid, er war ein Galantuomo, und das
Unrecht, das ich gegen ihn auf dem Herzen habe, brennt mich noch heut.
Ihr seid jung und schön, Lucia; Ihr werdet bald einen andern finden,
einen jüngeren. Seid glücklich mit ihm!
Damit warf er das Stück Kreide fort und ging, die Hände auf den Rücken
gelegt, durch das Zimmer. Sie folgte seinen Bewegungen mit
ängstlicher Spannung. Endlich sagte sie: Weiß Teresa, daß ich Witwe
geworden?
Sie erfuhr es erst eben aus Eurem schwarzen Kleid. Wir haben die vier
Jahre her Euren Namen zwischen uns nicht genannt.
Wenn Ihr die Briefe nicht gelesen habt, so wißt Ihr auch nicht, daß
mein Mann Euch dreihundert Piaster vermacht hat; Ihr müßt aber selbst
nach Neapel kommen, sie beim Gericht abzuholen, wo sie für Euch
niedergelegt sind.
Sie können dort liegen bleiben bis an den jüngsten Tag, sagte er ohne
sich zu besinnen, wenn Ihr nicht vorzieht, sie den Armen zu geben.
Ich hole sie nicht, auch wenn ich sie nötiger brauchte, als gottlob
der Fall ist. Geld von Eurem Manne, Lucia! Lieber verhungern!
Wie redet Ihr? sprach sie leise, mit einer Stimme, die von Bestürzung
zitterte. Wie soll ich dieses alles deuten? Es war sonst anders
zwischen uns, Tommaso!
Um so schlimmer, daß es anders war!
Sie stand von ihrem Sitz auf, tat einige Schritte auf ihn zu und
suchte mit scheuen Augen die seinigen. Die aber bohrten sich fest in
die Platte des Tisches, hinter den er wieder getreten war, als suche
er etwas Fremdes zwischen sich und das schöne Weib zu bringen, zum
Schutz gegen ihre Reize. Sie hatte die rechte Hand fest unter die
volle Brust gelegt; der Deutsche sah durch die Wandspalte die blauen
Adern auf dem runden Arm und wie die schmalen Finger bebten an dem
klopfenden Herzen.
Was habe ich Euch getan, Tomà? sprach sie kaum hörbar. Hat man mich
verleumdet bei Euch, so sagt es mir, alles, und ich will meine Finger
auf die Hostie legen und schwören, daß ich mir keiner Schuld bewußt
bin. Wie eine Begrabene hab' ich gelebt mit meinem Manne, seit Ihr
fortgegangen, und niemand kann aufstehen und sagen, daß die Wirtin der
Sirena ihm einen Blick oder ein Lächeln gegönnt hat.
Das ist Eure Sache und war die Sache des Toten. Warum kommt Ihr her
und sagt das mir?
Große Tränen traten ihr ins Auge, als sie die harten Worte hörte, und
er fühlte es wohl, wie tief der Schlag getroffen hatte, obwohl er sie
noch immer nicht ansah. Dann sagte er nach einer Weile: Was hilft es,
daß wir durch die Maske sprechen, und unsere Stimmen verstellen?
Gerade heraus, Lucia: du bist gekommen, um mir zu sagen, daß du nun
frei seiest und niemand mehr im Wege stehe zwischen uns beiden. Aber
ich sage dir, es steht doch einer zwischen uns, und wir sind verdammt,
für unsere Sünden ewige Flammen zu fühlen und ewig getrennt zu sein.
So entschieden er sprach, so lebte doch die Hoffnung wieder auf in ihr.
Für unsere Sünden? sagte sie rasch. Was haben wir uns vorzuwerfen?
Hat es mir je eine andere Frucht getragen, daß wir uns liebten, als
Seufzen und Weinen aus der Ferne? Wenn ich jetzt an deinen Hals
stürzen dürfte, wäre es nicht unser erster Kuß? Aber wohl weiß ich,
wer zwischen uns steht, Tommaso:--deine Schwester.
Er schüttelte heftig den Kopf. Nein! nicht sie! Aber frage mich
nicht, und denke nicht, daß du ihn jemals aus dem Wege räumen kannst,
unsern Feind; er ist keiner von den Lebenden. Geh nach Neapel zurück,
Lucia, und komm nie wieder herauf nach der Mühle. Ich will, ich darf
dich nicht wiedersehen.
Sie trat dicht an den Tisch heran, ihm gegenüber, daß ihn die heftige
Bewegung selbst erschütterte und er plötzlich aufsah. Alle Schrecken
einer verzweifelten Leidenschaft standen ihr im Gesicht. Ich gehe
nicht, sagte sie mit gewaltsamer Festigkeit, oder ich muß alles wissen.
Tommaso, mein Mann ist tot, Nino schläft lange in seinem Grab, deine
Schwester soll in meinem Hause sein wie die Herrin und ich wie die
Magd; bei dem ersten bösen Wort von mir zu ihr magst du mich ausstoßen,
als hätt' ich Feuer unter dein Dach gelegt; und du sagst--und ich
seh' es--, daß dein Herz noch nicht verwandelt ist: wer steht noch
zwischen uns, Tommaso?
Der Tisch zitterte, auf den der junge Mann sich stützte. Ich will es
dir sagen, keuchte er dumpf heraus; aber dann geh und frage nicht
weiter. Nino steht zwischen uns!
Du betrügst mich, antwortete sie. Du willst meine Gedanken von Teresa
ablenken, damit ich es ihr nicht eines Tages vergelte, was sie mir
angetan. Du wirst es noch einmal bereuen, daß du mit mir Ärmsten
gespielt hast, und mich dann weggeworfen. Und auch sie, auch sie soll
die Unnatur büßen, dich hier vor der Sonne versteckt zu halten, wie
der Geizige seinen Schatz. Ich gehe.
Bei Christi Blut, Lucia, ich betrüge dich nicht. Es ist wahr, meine
Schwester hat dir eine Sache nie verziehen. Aber das ist es
nicht--und du weißt nicht, wie ich es meine, wenn ich sage: Nino steht
zwischen uns! Niemand weiß es, Teresa am wenigsten. Sie stürbe, wenn
sie es wüßte.
Und wenn ich es wüßte?
So würden dir alle Gedanken an den elenden Tommaso vergehen, und du
würdest den Weg zur Mühle nicht wiederfinden.
Er bedeckte sein Gesicht mit den Händen.
Du irrst, sagte sie, das kann nie geschehen. Es ist ein Wahn, was
zwischen uns liegt, und ich werde ihn wie einen Rauch wegblasen, wenn
du ihn mir zeigst. Wo nicht, so finde ich keine Ruhe Tag und Nacht,
und übers Jahr hörst du, daß du mich ins Grab gestürzt hast.
Er schauderte in sich zusammen und schien einen letzten Kampf zu
kämpfen. Dann sah er sie trostlos, glühend, starr und lange an und
sprach: Es muß aus werden, ich will die verzehrende Qual, dich zu
sehen und dir zu entsagen, nicht zum zweiten Male zu überstehen haben.
Schwöre mir bei deiner Seligkeit, Lucia, daß du niemand sagen willst,
was noch niemand von mir gehört hat und was du nun hören sollst. Auch
in der Beichte und im Sterben komme das Wort nicht über deine Lippen.
Es ist nicht, weil es mir selbst zum Verderben wäre, wenn die Menschen
es wüßten; aber Teresa überstünde es nicht. Schwöre, Lucia!
Sie erhob die Hand. Bei unserer Seligkeit schwöre ich dir's zu,
Tommaso, niemand soll es wissen außer mir und dir.
Er seufzte tief auf und warf sich in einen Stuhl, die Arme auf die
Knie stützend und den Boden zu seinen Füßen anstarrend. Lucia, sprach
er halblaut, ich habe die Wahrheit gesagt, Nino steht zwischen uns,
jetzt im Tode, wie damals im Leben. Er war rein und unschuldig wie
Abel, und auch ihm zur Seite stand ein Kain. Kain floh in die Wildnis;
begreifst du's nun.
Sie schwieg.
Du hast recht, fuhr er fort. Wer kann es begreifen? Aber es kommen
Stunden, wo die Hölle Macht hat über uns, daß es ist, als säße ein
fremder Geist in unserer Brust und knebelte alle rechtschaffenen
Gedanken, und nur die teuflischen ließe er frei, zu tun, was sie
wollten. Haben wir's dann getan, was hernach das Ende davon ist?--Das
soll mir einmal ein Pfaffe auslegen, das weiß keiner!
Wie ich den Jungen geliebt habe! Ermordet hätt' ich den Wahnwitzigen,
der mir ins Gesicht nur mit einem Hauche schlecht von ihm gesprochen
hätte! Wenn ich ihn singen hörte, vergaß ich alle Sorgen; wenn er in
mein Haus kam, wurde es helle darin. Einem eigenen Sohn oder Bruder
kann man nicht mehr anhängen. Stolz war ich auf ihn. Als Neapel von
seiner Stimme zu reden anfing, sagt' ich wie ein Narr zu den Leuten:
das ist unser Nino, mein alter Spielkamerad! Und wußte mir was damit,
als hätte ich ihm die Stimme aus dem Meer gefischt und geschenkt. Und
wie war er zu mir! Da er schon berühmt war und bei Prinzen und Grafen
sang und die stolzen Damen sich um einen seiner Blicke beneideten,--er
kam nach wie vor in unser Haus am Strande und war am liebsten mit uns,
und manches Mal, wenn ich ihm auf dem Toledo begegnete, mein Netz über
der Schulter, ließ er einen andern Bekannten stehn und faßte meinen
Arm und ging eine Strecke mit mir. Niemand war so holdselig; kein
Falsch in ihm, kein Sündhaftes. Er hätte alle Weiber in Neapel haben
können, aber er gab keine Feige dafür. Ich habe ihn oft darum
ausgelacht; ich wußte damals noch nicht, wer ihm das Herumlieben
verleidete.
Nur ein Böses hat er mir getan, daß er mich zu seinem Onkel ins Haus
führte, als der brave Alte von Capua nach Neapel zog und die Sirena
kaufte. Kam er nicht vor allem, um sich an Ninos Glück zu freuen, das
sein Werk war? Warum mußte er kommen und Euch mitbringen, Lucia!
Seit der Stunde schon verlor ich Nino, der Himmel weiß, nicht durch
seine Schuld. Aber wer konnte ihm darum gram werden, außer mir und
Euch, daß er die Ehre seines Wohltäters bewachte?
Es war ihm nie eingefallen sonst, mir Vorwürfe zu machen über meine
Liebeshändel, obwohl er auch keinen sonderlichen Gefallen daran hatte,
wenn ich ihm von der oder jener Frau sprach, die mich gerade im Netz
hatte. Er war unschuldig wie der Erzengel Raphael; aber er kannte
auch die Welt und wußte, daß nicht alle waren wie er, und war fern
davon, die Menschen ändern zu wollen. Auch als er bald merkte, wie es
um uns stand, Lucia,--nie kam ein Wort über seine Lippen. Ihr aber
wißt wohl, daß er es allein war, der all unsere Listen und Anschläge
vereitelte. Ich schäumte in mir; hundertmal schwor ich mir, sobald
ich ihn wiedersähe, ihm alle Freundschaft aufzukündigen, wenn er
ferner Eure Schwelle bewachte, eifersüchtiger als der Onkel selbst,
als ein Bruder, oder ein Verliebter. Denn er liebte Euch nicht, und
kein Neid auf mich war mit im Spiel. Sah ich ihn dann, so zerbiß ich
mir die Lippen, aber sagte kein Wort, und fast wurde die Raserei nach
Euch gelinder in mir, wenn ich seine Stimme hörte.
Es schien, er las mir alle meine Gedanken in der Brust. Vielmals
redete er mit mir vom Onkel, wie gut er sei, wie harmlos, und wie viel
der Alte an ihm getan habe. Er sah mich dann zutraulich an, als
wollte er sagen: Nein, Tomà, es ist nicht möglich, daß du einen Mann
betrübst, dem dein Freund alles zu danken hat. Und ist er nicht auch
gegen dich die Güte, das Vertrauen selbst?
Ich verstand ihn wohl; aber wenn ich Euch dann begegnete, verschlang
mir die Wut der Liebe alle Vorsätze, alle Bedenken. Mein Gewissen
verdorrte wie ein Baum neben der fließenden Lava. Und ein Jahr lang
so herumzugehen, ich, der nie über eine Frist von vierzehn Tagen
hinaus sich zu gedulden gelernt hatte! Schon einmal, als der Onkel
nach Ischia gefahren war, Ihr entsinnt Euch, und wir aufatmeten, er
aber sich ein Zimmer in der Sirena ausbat, um Noten abzuschreiben,
weil der Lärm in seiner eigenen Wohnung ihn störe--schon damals hatt'
ich finstre Gedanken. Ich wollt' ihm was unter den Wein mischen, was
mir ein Bekannter gegeben; es sollte einen Menschen vierundzwanzig
Stunden lang in Schlaf bringen. Dann aber entsetzte ich mich. Wenn
es ein Gift wäre? Oder es schadete ihm an seiner Stimme? Ich tat es
nicht, aber es blieb ein Stachel in mir zurück gegen ihn, und von
Stund an wich ich ihm aus, denn sein Anblick verdroß mich, als wenn er
mir nach dem Leben gestanden hätte.
So kam der Tag näher, wo er zum ersten Mal in der Oper singen sollte.
Was wir für jenen Abend abgeredet hatten, Lucia, Ihr wißt es wohl.
Hätte ich Euch nicht gekannt,--mein Haus hätte indessen abbrennen
können, und ich wäre vor dem letzten Ton, der Ninos Triumph sein
sollte, nicht von meinem Platz im Theater gewichen. Nun war all mein
Sinnen nur darauf gerichtet, was mich erwartete, wenn ich nach dem
ersten Akt mich fortschliche in die Sirena, wo Ihr die Kranke spielen
wolltet, um nicht mit dem Onkel in die Oper zu müssen.
Da kam er am Abend vorher, wie Ihr wißt, und beredete mich, ihn mit
aufs Meer zu nehmen. Welcher Engel oder Teufel hatte ihm unser
Geheimnis zugeraunt? Denn er wußte es, und kaum daß wir allein auf
der See zusammen waren, sagte er mir's ins Gesicht, das erste Mal, daß
er mich offen zur Rede stellte. Ich leugnete alles. Tomà, sagte er,
wenn du mir nicht versprichst bei unserer alten Freundschaft, davon
abzustehen, so ist es mein Unglück. Ich werde singen wie ein Rabe,
sie werden mich auszischen, und alles, was ich je gehofft habe, wird
für immer dahin sein. Mein Bruder, sagte er, ich fordere es von dir!
Ich könnte ja hingehen und den Onkel warnen. Aber er wüßte dann,
welche Frau er hat, und wenn ich auch deinen Namen nicht nennte, wären
wir doch ewig geschieden, du und ich. Versprich mir's also; das eine
Opfer kann ich dir wohl wert sein.--Ich schwieg hartnäckig und sah
nach den Netzen, und hörte zuletzt gar nicht mehr, was er redete, denn
Euer Bild stand vor mir, Lucia, und das Blut tobte mir in den Schläfen.
Eine Stunde nachher kam ich allein im Boot nach der Küste zurück.-Die
letzten Worte verhallten dunkel und tonlos, und die beiden Gestalten,
er auf seinem Sitz, das Gesicht immer tiefer zwischen den Knien
herabgesunken, die Frau bleich wie eine Tote, verharrten so wie Bilder,
während es dunkler im Zimmer ward und draußen durch das Rauschen des
Bachs Teresas Stimme erklang, die ein Ritornell anstimmte, wie um den
Bruder zu erinnern, daß er ihr die Pein des Wartens nicht ohne Not
verlängern solle. Und in der Tat weckte die Stimme den versunkenen
Mann. Er erhob sich vom Sessel und neigte sich über den Tisch dichter
zu dem regungslosen Weibe. Nein, Lucia, sagte er heiser, ich habe
damals nicht gelogen. Das Netz zog ihn in die Tiefe, seine Füße
verstrickten sich, nicht ich habe den Kahn umgestoßen; aber das ist
nicht alles. Ich saß noch am Steuer, als er schon hinuntergestürzt
war. Eisig war mein Gebein, meine Augen stierten auf den Strudel
neben mir, der sich über seinem Haupt geschlossen hatte, ich sah die
Blasen aufsteigen, als wollten sie mir zurufen: er atmet noch da unten!
Und jetzt, jetzt tauchte eine seiner Hände über den Wellen auf und
haschte nach einer festen Hand seines Freundes, eine Bootslänge nur
sah ich sie von mir entfernt--ein silberner Ring glänzte am kleinen
Finger in der Sonne--nur das Ruder hätt' ich hinzustrecken brauchen
und er war gerettet, Lucia! Wollte ich ihn denn nicht retten? Mußte
ich es nicht wollen? hielt ich nicht das Ruder auf den Knien, und nur
ein Ruck des Armes und die Hand mit dem Ring hätte sich darum
festgeklammert? Aber da saß der Dämon in meiner Brust und lähmte mir
jede Faser und verstockte mir jeden Blutstropfen; wie vom Schlage
gerührt saß ich fest, mir schwindelte, zu schreien versucht' ich--und
immer stierte ich auf die Hand--und die Hand sank, jetzt bis an den
Ring, jetzt bis an die Fingerspitzen, und jetzt--war sie versunken.
Erst da ließ mich die Hölle los; ich schrie wie ein Toller, ich sprang
über Bord, daß der Kahn umschlug, und tauchte hinab, und wieder auf,
und wieder hinab, und fand ihn nicht, obwohl ich sonst hundertmal eine
kleine Münze vom Meeresgrund heraufgeholt habe, und schwamm endlich
wieder zu meinem Boote zurück, die Verzweiflung im Herzen. Aber das
Maß war noch nicht voll. Wie ich nach Hause kam ohne ihn, brach meine
Schwester am Herd zusammen wie eine verlöschende Flamme; der Ring am
Finger jener Hand, die aus den Wellen gestarrt hatte, war ihr Ring.
Tags zuvor hatte sie ihn mit dem seinigen getauscht, ohne daß ich es
wußte.
Er warf sich wieder in den Stuhl zurück und kehrte das Gesicht mit
geschlossenen Augen gegen die Decke. Der Lauscher in der Mühlenkammer
hörte ihn lange wie einen schwer Schlafenden röcheln aus der gepreßten
Brust, während das unglückliche junge Weib sich mehrmals mit der Hand
über die Stirne fuhr, die kalten Tropfen wegzuwischen. Das Furchtbare,
das sie vernommen, hatte ihre Züge, die weich und sinnlich waren,
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