Die Aufgeregten - 3

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Gräfin los, und die Sache kommt so weit, dass dem Magister
aufgekündigt wird. Der Baron verschlimmert das Übel, und er bedient
sich, da der Lärm immer stärker wird, der Gelegenheit, mehr in
Karolinen zu dringen und sie zu einer heimlichen Zusammenkunft für die
Nacht zu bereden. Bei allem diesen zeigt sich die junge Gräfin
entschieden heftig, parteiisch auf ihren Stand, hartnäckig auf ihren
besitz, welche Härte jedoch durch ein unbefangenes, rein natürliches
und im tiefsten Grunde rechtliches weibliches Wesen bis zur
Leibenswürdigkeit gemildert wird. Und so lässt sich einsehen, dass
der Akt ziemlich tumultuarisch und, insofern es der bedenkliche
Gegenstand erlaubt, für das Gefühl nicht ganz unerträglich geendigt
wird. Vielleicht bedauert man, dass der Verfasser die Schwierigkeiten
einer solchen Szene nicht zur rechten Zeit zu überwinden bemüht war.)


Vierter Aufzug

Erster Auftritt
(Bremens Wohnung.)
Breme. Martin. Albert.
Breme.
Sind eure Leute alle an ihren Posten? Habt ihr sie wohl unterrichtet?
Sind sie gutes Muts?
Martin.
Sobald Ihr mit der Glocke stürmt, werden sie alle da sein.
Breme.
So ist's recht! Wenn im Schlosse die Lichter alle aus sind, wenn es
Mitternacht ist, soll es gleich angehen. Unser Glück ist's, dass der
Hofrat fortgeht. Ich fürchte sehr, er möchte bleiben und uns den
ganzen Spaß verderben.
Albert.
Ich fürchte so noch immer, es geht nicht gut ab. Es ist mir schon zum
voraus bange, die Glocke zu hören.
Breme.
Seid nur ruhig. Habt ihr nicht heute selbst gehört, wie übel es jetzt
mit den vornehmen Leuten steht? Habt ihr gehört, was wir der Gräfin
alles unters Gesicht gesagt haben?
Martin.
Es war ja aber nur zum Spaß.
Albert.
Es war schon zum Spaße grob genug.
Breme.
Habt ihr gehört, wie ich eure Sache zu verfechten weiß? Wenn's Ernst
gilt, will ich so vor den Kaiser treten. Und was sagt ihr zum Herrn
Magister, hat sich der nicht auch wacker gehalten?
Albert.
Sie haben's Euch aber auch brav abgegeben. Ich dachte zuletzt, es
würde Schläge setzen; und unsere gnädige Kontess--war's doch, als wenn
ihr seliger Herr Vater leibhaftig dastünde.
Breme.
Lasst mir das gnädige weg, es wird sich bald nichts mehr zu gnädigen
haben. Seht, hier hab' ich die Briefe schon fertig, die schick' ich
in die benachbarten Gerichtsdörfer. Sobald's hier losgeht, sollen die
auch stürmen und rebellieren und auch ihre Nachbarn auffordern.
Martin.
Das kann was werden.
Breme.
Freilich! Und alsdann Ehre, dem Ehre gebührt! Euch, meine leiben
Kinder. Ihr werdet als die Befreier des Landes angesehn.
Martin.
Ihr, Herr Breme, werdet das größte Lob davontragen.
Breme.
Nein, das gehört sich nicht; es muss jetzt alles gemein sein.
Martin.
Indessen habt Ihr's doch angefangen.
Breme.
Gebt mir die Hände, brave Männer! So standen einst die drei großen
Schweizer, Wilhelm Tell, Walther Staubbach, Fürst von Uri, die standen
auf dem Grütliberg beisammen und schwuren den Tyrannen ew'gen Hass und
ihren mitgenossen ewige Freiheit. Wie oft hat man diese wackern
Helden gemalt und in Kupfer gestochen! Auch uns wird diese Ehre
widerfahren. In dieser Positur werden wir auf die Nachwelt kommen.
Martin.
Wie Ihr Euch das alles so denken könnt.
Albert.
Ich fürchte nur, dass wir im Karrn eine böse Figur machen können.
Horcht! Es klingelt jemand. Mir zittert das Herz im Leibe, wenn sich
nur was bewegt.
Breme.
Schämt Euch! Ich will aufziehen. Es wird der Magister sein; ich habe
ihn herüber bestellt. Die Gräfin hat ihm den Dienst aufgesagt; die
Kontess hat ihn sehr beleidigt. Wir werden ihn leicht in unsere
Partei ziehen. Wenn wir einen Geistlichen unter uns haben, sind wir
unserer Sache desto gewisser.
Martin.
Einen Geistlichen und Gelehrten.
Breme.
Was die Gelehrsamkeit betrifft, geb' ich ihm nichts nach, und
besonders hat er weit weniger politische Lektüre als ich. Alle die
Chroniken, die ich von meinem seligen Großvater geerbt habe, waren in
meiner Jugend schon durchgelesen, und das Theatrum Europaeum kenn' ich
in- und auswendig. Wer recht versteht, was geschehen ist, der weiß
auch, was geschieht und geschehen wird. Es ist immer einerlei; es
passiert in der Welt nichts Neues. Der Magister kommt. Halt! Wir
müssen ihn feierlich empfangen. Er muss Respekt vor uns kriegen. Wir
stellen jetzt die Repräsentanten der ganzen Nation gleichsam in Nuce
vor. Setzt euch.
(Er setzt drei Stühle auf die eine Seite des Theaters, auf die andere
einen Stuhl. Die beiden Schulzen setzen sich, und wie der Magister
herein tritt, setzt sich Breme geschwind in ihre Mitte und nimmt ein
gravitätisches Wesen an.)

Zweiter Auftritt
Die Vorigen. Der Magister.
Magister.
Guten Morgen, Herr Breme. Was gibt's Neues? Sie wollen mir etwas
Wichtiges vertrauen, sagten Sie.
Breme.
Etwas sehr Wichtiges, gewiss! Setzen Sie sich. (Magister will den
einzelnen Stuhl nehmen und zu ihnen rücken.) Nein, bleiben Sie dort,
sitzen Sie dort nieder! Wir wissen noch nicht, ob Sie an unserer
Seite nieder sitzen wollen.
Magister.
Eine wunderbare Vorbereitung.
Breme.
Sie sind ein Mann, ein freigeborner, ein freidenkender, ein
geistlicher, ein ehrwürdiger Mann. Sie sind ehrwürdig, weil Sie
geistlich sind, und noch ehrwürdiger, weil Sie frei sind. Sie sind
frei, weil Sie edel sind, und sind schätzbar, weil Sie frei sind. Und
nun! Was haben wir erleben müssen! Wir sahen Sie verachtet, wir
sahen Sie beleidigt; aber wir haben zugleich Ihren edlen Zorn gesehen,
einen edlen Zorn, aber ohne Wirkung. Glauben Sie, dass wir Ihre
Freunde sind, so glauben Sie auch, dass sich unser Herz im Busen
umkehrt, wenn wir Sie verkehrt behandelt sehen. Ein edler Mann und
verhöhnt; ein freier Mann und bedroht; ein geistlicher Mann und
verachtet; ein treuer Diener und verstoßen! Zwar verhöhnt von Leuten,
die selbst Hohn verdienen; verachtet von Menschen, die keiner Achtung
wert sind; verstoßen von Undankbaren, deren Wohltaten man nicht
genießen möchte; bedroht von einem Kinde, von einem Mädchen--das
scheint freilich nicht viel zu bedeuten; aber wenn Ihr bedenkt, dass
dieses Mädchen kein Mädchen, sondern ein eingefleischter Satan ist,
dass man sie Legion nennen sollte--denn es sind viele tausend
aristokratische Geister in sie gefahren--so seht Ihr deutlich, was uns
von allen Aristokraten bevorsteht, Ihr seht es, und wenn Ihr klug seid,
so nehmt Ihr Eure Maßregeln.
Magister.
Wozu soll diese sonderbare Rede? Wohin wird Euch der seltsame Eingang
führen? Sagt Ihr das, um meinen Zorn gegen diese verdammte Brut noch
mehr zu erhitzen, um meine aufs äußerste getriebene Empfindlichkeit
noch mehr zu reizen? Schweigt stille! Wahrhaftig, ich wüsste nicht,
wozu mein gekränktes Herz jetzt nicht alles fähig wäre. Was! Nach so
vielen Diensten, nach so vielen Aufopferungen mir so zu begegnen, mich
vor die Türe zu setzen! Und warum? Wegen einer elenden Beule, wegen
einer gequetschten Nase, mit der so viele hundert Kinder auf und davon
springen. Aber es kommt eben recht, eben recht! Sie wissen nicht,
die Großen, wen sie in uns beleidigen, die wir Zungen, die wir Federn
haben.
Breme.
Dieser edle Zorn ergötzt mich, und so frage ich Euch denn im Namen
aller edlen, frei gebornen, der Freiheit werten Menschen, ob Ihr diese
Zunge, diese Feder von nun an dem Dienste der Freiheit völlig widmen
wollt?
Magister.
O ja, ich will, ich werde!
Breme.
Dass Ihr keine Gelegenheit versäumen wollt, zu dem edlen Zwecke
mitzuwirken, nach dem jetzt die ganze Menschheit emporstrebt?
Magister.
Ich gebe Euch mein Wort.
Breme.
So gebt mir Eure Hand, mir und diesen Männern.
Magister.
Einem jedem; aber was haben diese armen Leute, die wie Sklaven
behandelt werden, mit der Freiheit zu tun?
Breme.
Sie sind nur noch eine Spanne davon, nur so breit, als die Schwelle
des Gefängnisses ist, an dessen eröffneter Türe sie stehen.
Magister.
Wie?
Breme.
Euer Ehrenwort, dass Ihr schweigen werdet!
Magister.
Ich gebe es.
Breme.
Der Augenblick ist nahe, die Gemeinden sind versammelt, in einer
Stunde sind sie hier. Wir überfallen das Schloss, nötigen die Gräfin
zur Unterschrift des Rezesses und zu einer eidlichen Versicherung,
dass künftighin alle drückenden Lasten aufgehoben sein sollen.
Magister.
Ich erstaune!
Breme.
Da habe ich nur noch ein Bedenken wegen des Eids. Die vornehmen Leute
glauben nichts mehr. Sie wird einen Eid schwören und sich davon
entbinden lassen. Man wird ihr beweisen, dass ein gezwungener Eid
nichts gelte.
Magister.
Dafür will ich Rat schaffen. Diese Menschen, die sich über alles
wegsetzen, ihresgleichen behandeln wie das Vieh, ohne Liebe, ohne
Mitleid, ohne Furcht frech in den Tag hinein leben, solange sie mit
Menschen zu tun haben, die sie nicht schätzen, solange sie von einem
Gott sprechen, den sie nicht erkennen: Dieses übermütige Geschlecht
kann sich doch von dem geheimen Schauer nicht losmachen, der alle
lebendigen Kräfte der Natur durchschwebt, kann die Verbindung sich
nicht leugnen, in der Worte und Wirkung, Tat und Folge ewig
miteinander bleiben. Lasst sie einen feierlichen Eid tun.
Martin.
Sie soll in der Kirche schwören.
Breme.
Nein, unter freiem Himmel.
Magister.
Das ist nichts. Diese feierlichen Szenen rühren nur die
Einbildungskraft. Ich will es euch anders lehren. Umgebt sie, lasst
sie in eurer Mitte die Hand auf ihres Sohnes Haupt legen, bei diesem
geliebten Haupte ihr Versprechen beteuern und alles Übel, was einen
Menschen betreffen kann, auf diese kleine Gefäß herab rufen, wenn sie
unter irgendeinem Vorwande ihr Versprechen zurücknähme oder zugäbe,
dass es vereitelt würde.
Breme.
Herrlich!
Martin.
Schrecklich!
Albert.
Entsetzlich!
Magister.
Glaubt mir, sie ist auf ewig gebunden.
Breme.
Ihr sollt zu ihr in den Kreis treten und ihr das Gewissen schärfen.
Magister.
An allem, was ihr tun wollt, nehm' ich Anteil; nur sagt mir, wie wird
man es in der Residenz ansehen? Wenn sie euch Dragoner schicken, so
seid ihr alle gleich verloren.
Martin.
Da weiß Herr Breme schon Rat.
Albert.
Ja, was das für ein Kopf ist!
Magister.
Klärt mich auf.
Breme.
Ja, ja, das ist's nun eben, was man hinter Hermann Breme dem Zweiten
nicht sucht. Er hat Konnexionen, Verbindungen da, wo man glaubt, er
habe nur Kunden. So viel kann ich euch nur sagen, und es wissen's
diese Leute, dass der Fürst selbst eine Revolution wünscht.
Magister.
Der Fürst?
Breme.
Er hat die Gesinnungen Friedrichs und Josephs, der beiden Monarchen,
welche alle wahre Demokraten als ihre Heiligen anbeten sollten. Er
ist erzürnt, zu sehen, wie der Bürger- und Bauernstand unterm Druck
des Adels seufzt, und leider kann er selbst nicht wirken, da er von
lauter Aristokraten umgeben ist. Haben wir uns nur aber erst
legitimiert, dann setzt er sich an unsere Spitze, und seine Truppen
sind zu unsern Diensten, und Breme und alle brave Männer sind an
seiner Seite.
Magister.
Wie habt Ihr das alles erforscht und getan und habt Euch nichts merken
lassen?
Breme.
Man muss im stillen viel tun, um die Welt zu überraschen. (Er geht
ans Fenster.) Wenn nur erst der Hofrat fort wäre, dann solltet ihr
Wunder sehen.
Martin (auf Bremen deutend).
Nicht wahr, das ist ein Mann!
Albert.
Er kann einem recht Herz machen.
Breme.
Und, lieber Magister, die Verdienste, die Ihr Euch diese Nacht erwerbt,
dürfen nicht unbelohnt bleiben. Wir arbeiten heute fürs ganze
Vaterland. Von unserm Dorfe wird die Sonne der Freiheit aufgehen.
Wer hätte das gedacht!
Magister.
Befürchtet Ihr keinen Widerstand?
Breme.
Dafür ist schon gesorgt. Der Amtmann und die Gerichtsdiener werden
gleich gefangen genommen. Der Hofrat geht weg, die paar Bedienten
wollen nichts sagen, und der Baron ist nur der einzige Mann im
Schlosse; den locke ich durch meine Tochter herüber ins Haus und
sperre ihn ein, bis alles vorbei ist.
Martin.
Wohl ausgedacht.
Magister.
Ich verwundere mich über Eure Klugheit.
Breme.
Nu, nu! Wenn es Gelegenheit gibt, sie zu zeigen, sollt Ihr noch mehr
sehen, besonders was die auswärtigen Angelegenheiten betrifft. Glaubt
mir, es geht nichts über einen guten Chirurgus, besonders wenn er
dabei ein geschickter Barbier ist. Das unverständige Volk spricht
viel von Bartkratzern und bedenkt nicht, wie viel dazu gehört,
jemanden zu barbieren, eben dass es nicht kratze. Glaubt mir nur, es
wird zu nichts mehr Politik erfordert, als den Leuten den Bart zu
putzen, ihnen diese garstigen barbarischen Exkremente der Natur, diese
Barthaare, womit sie das männliche Kinn täglich verunreinigt, hinweg
zu nehmen und den Mann dadurch an Gestalt und Sitten einer
glattwangigen Frau, einem zarten liebenswürdigen Jüngling ähnlich zu
machen. Komme ich dereinst dazu, mein Leben und Meinungen aufzusetzen,
so soll man über die Theorie der Barbierkunst erstaunen, aus der ich
zugleich alle Lebens- und Klugheitsregeln herleiten will.
Magister.
Ihr seid ein originaler Kopf!
Breme.
Ja, ja, das weiß ich wohl, und deswegen habe ich auch den Leuten
verziehen, wenn sie mich oft nicht begreifen konnten, und wenn sie,
albern genug, glaubten mich zum Besten zu haben. Aber ich will ihnen
zeigen, dass, wer einen rechten Seifenschaum zu schlagen weiß, wer mit
Leichtigkeit, Bequemlichkeit und Gewandtheit der Finger einzuseifen,
den sprödesten Bart zahm zu machen versteht; wer da weiß, dass ein
frisch abgezognes Messer ebenso gut rauft als ein stumpfes, wer mit
dem Strich oder wider den Strich die Haare wegnimmt, als wären sie gar
nicht dagewesen; wer dem warmen Wasser zum Abwaschen die gehörige
Temperatur verleiht und selbst das Abtrocknen mit Gefälligkeit
verrichtet und in seinem ganzen Benehmen etwas Zierliches darstellt--
das ist kein gemeiner Mensch, sondern er muss alle Eigenschaften
besitzen, die einem Minister Ehre machen.
Albert.
Ja, ja, es ist ein Unterschied zwischen Barbier und Barbier.
Martin.
Und Herr Breme besonders, das ist dir eine ordentliche Lust.
Breme.
Nu, nu, es wird sich zeigen. Es ist bei der ganzen Kunst nichts
Unbedeutendes. Die Art, den Schersack aus- und einzukramen, die Art,
die Gerätschaften zu halten, ihn unterm Arm zu tragen--ihr sollt
Wunder hören und sehen. Nun wird's aber Zeit, dass ich meine Tochter
vorkriege. Ihr Leute, geht an eure Posten! Herr Magister, halten Sie
sich in der Nähe.
Magister.
Ich gehe in den Gasthof, wohin ich gleich meine Sachen habe bringen
lassen, als man mir im Schlosse übel begegnete.
Breme.
Wenn Sie stürmen hören, so soll's Ihnen frei stehen, sich zu uns zu
schlagen oder abzuwarten, ob es uns glückt, woran ich gar nicht
zweifele.
Magister.
Ich werde nicht fehlen.
Breme.
So lebt denn wohl und gebt aufs Zeichen Acht!

Dritter Auftritt
Breme allein.
Wie würde mein sel'ger Großvater sich freuen, wenn er sehen könnte,
wie gut ich mich in das neue Handwerk schicke. Glaubt doch der
Magister schon, dass ich große Konnexionen bei Hofe habe. Da sieht
man, was es tut, wenn man sich Kredit zu machen weiß. Nun muss
Karoline kommen. Sie hat das Kind so lange gewartet, ihre Schwester
wird sie ablösen. Da ist sie.

Vierter Auftritt
Breme. Karoline.
Breme.
Wie befindet sich der junge Graf?
Karoline.
Recht leidlich. Ich habe ihm Märchen erzählt, bis er eingeschlafen
ist.
Breme.
Was gibt's sonst im Schlosse?
Karoline.
Nichts Merkwürdiges.
Breme.
Der Hofrat ist noch nicht weg?
Karoline.
Er scheint Anstalt zu machen. Sie binden eben den Mantelsack auf.
Breme.
Hast du den Baron nicht gesehen?
Karoline.
Nein, mein Vater.
Breme.
Er hat dir heute in der Nationalversammlung allerlei in die Ohren
geraunt?
Karoline.
Ja, mein Vater.
Breme.
Das eben nicht die ganze Nation, sondern meine Tochter Karoline
betraf?
Karoline.
Freilich, mein Vater.
Breme.
Du hast dich doch klug gegen ihn zu benehmen gewusst?
Karoline.
O gewiss.
Breme.
Er hat wohl wieder stark in dich gedrungen?
Karoline.
Wie Sie denken können.
Breme.
Und du hast ihn abgewiesen?
Karoline.
Wie sich's ziemt.
Breme.
Wie ich es von meiner trefflichen Tochter erwarten darf, die ich aber
auch mit Ehre und Glück überhäuft und für ihre Tugend reichlich
belohnt sehen werde.
Karoline.
Wenn Sie nur nicht vergebens hoffen.
Breme.
Nein, meine Tochter, ich bin eben im Begriff, einen großen Anschlag
auszuführen, wozu ich deine Hilfe brauche.
Karoline.
Was meinen Sie, mein Vater?
Breme.
Es ist dieser verwegenen Menschenrasse der Untergang gedroht.
Karoline.
Was sagen Sie?
Breme.
Setze dich nieder und schreib.
Karoline.
Was?
Breme.
Ein Billett an den Baron, dass er kommen soll.
Karoline.
Aber wozu?
Breme.
Das will ich dir schon sagen. Es soll ihm kein Leids widerfahren, ich
sperre ihn nur ein.
Karoline.
O Himmel!
Breme.
Was gibt's?
Karoline.
Soll ich mich einer solchen Verräterei schuldig machen?
Breme.
Nur geschwind.
Karoline.
Wer soll es denn hinüberbringen?
Breme.
Dafür lass mich sorgen.
Karoline.
Ich kann nicht.
Breme.
Zuerst eine Kriegslist. (Er zündet eine Blendlaterne an und löscht
das Licht aus.) Geschwind, nun schreib, ich will dir leuchten.
Karoline (für sich).
Wie soll das werden? Der Baron wird sehen, dass das Licht ausgelöscht
ist; er wird auf das Zeichen kommen.
Breme (zwingt sie zum Sitzen).
Schreib! "Luise bleibt im Schlosse, mein Vater schläft. Ich lösche
das Licht aus, kommen Sie!"
Karoline (widerstrebend).
Ich schreibe nicht.

Fünfter Auftritt
Die Vorigen. Der Baron am Fenster.
Baron.
Karoline!
Breme.
Was ist das? (Er schiebt die Blendlaterne zu und hält Karoline fest,
die aufstehen will.)
Baron (wie oben).
Karoline! Sind Sie nicht hier? (Er steigt herein.) Stille! Wo bin
ich? Dass ich nicht fehlgehe. Gleich dem Fenster gegenüber ist des
Vaters Schlafzimmer, und hier rechts an der Wand die Türe in der
Mädchen Kammer. (Er tappt an der Seite hin und trifft die Tür.) Hier
ist sie, nur angelehnt. O, wie gut sich der blinde Kupido im Dunkeln
zu finden weiß! (Er geht hinein.)
Breme.
In die Falle! (Er schiebt die Blendlaterne auf, eilt nach der
Kammertüre und stößt den Riegel vor.) So recht, und das Vorlegeschloss
ist auch schon in Bereitschaft. (Er legt ein Schloss vor.) Und du,
Nichtswürdige! So verrätst du mich?
Karoline.
Mein Vater!
Breme.
So heuchelst du mir Vertrauen vor?
Baron (inwendig).
Karoline! Was heißt das?
Karoline.
Ich bin das unglücklichste Mädchen unter der Sonne.
Breme (laut an der Türe).
Das heißt: Dass Sie hier schlafen werden, aber allein.
Baron (inwendig).
Nichtswürdiger! Machen Sie auf, Herr Breme, der Spaß wird Ihnen teuer
zu stehen kommen.
Breme (laut).
Es ist mehr als Spaß, es ist bitterer Ernst.
Karoline (an der Türe).
Ich bin unschuldig an dem Verrat!
Breme.
Unschuldig? Verrat?
Karoline (an der Türe kniend).
O, wenn du sehen könntest, mein Geliebter, wie ich hier vor dieser
Schwelle liege, wie ich untröstlich meine Hände ringe, wie ich meinen
grausamen Vater bitte!--Machen Sie auf, mein Vater!--Er hört nicht, er
sieht mich nicht an.--O, mein Geliebter, habe mich nicht im Verdacht,
ich bin unschuldig!
Breme.
Du unschuldig? Niederträchtige feile Dirne! Schande deines Vaters!
Ewiger schändender Flecken in dem Ehrenkleid, das er eben in diesem
Augenblicke angezogen hat. Steh auf, hör' auf zu weinen, dass ich
dich nicht an den Haaren von der Schwelle wegziehe, die du, ohne zu
erröten, nicht wieder betreten solltest. Wie! In dem Augenblick, da
Breme sich den größten Männern des Erdbodens gleichsetzt, erniedrigt
sich seine Tochter so sehr!
Karoline.
Verstoßt mich nicht, verwerft mich nicht, mein Vater! Er tat mir die
heiligsten Versprechungen.
Breme.
Rede mir nicht davon, ich bin außer mir. Was! Ein Mädchen, das sich
wie eine Prinzessin, wie eine Königin aufführen sollte, vergisst sich
so ganz und gar? Ich halte mich kaum, dass ich dich nicht mit Fäusten
schlage, nicht mit Füßen trete. Hier hinein! (Er stößt sie in sein
Schlafzimmer.) Dies französische Schloss wird dich wohl verwahren.
Von welcher Wut fühl' ich mich hingerissen! Das wäre die rechte
Stimmung, um die Glocke zu ziehen.--Doch nein, fasse dich, Breme!--
Bedenke, dass die größten Menschen in ihrer Familie manchen Verdruss
gehabt haben. Schäme dich nicht einer frechen Tochter und bedenke,
dass Kaiser Augustus in ebendem Augenblick mit Verstand und Macht die
Welt regierte, da er über die Vergehungen seiner Julie bittere Tränen
vergoss. Schäme dich nicht, zu weinen, dass eine solche Tochter dich
hintergangen hat; aber bedenke auch zugleich, dass der Endzweck
erreicht ist, dass der Widersacher eingesperrt verzweifelt, und dass
deiner Unternehmung ein glückliches Ende bevorsteht.

Sechster Auftritt
(Saal im Schlosse, erleuchtet.)
Friederike mit einer gezogenen Büchse. Jakob mit einer Flinte.
Friederike.
So ist's recht, Jakob, du bist ein braver Bursche. Wenn du mir die
Flinte zurecht bringst, dass mir der Schulfuchs nicht gleich einfällt,
wenn ich sie ansehe, sollst du ein gut Trinkgeld haben.
Jakob.
Ich nehme sie mit, gnädige Gräfin, und will mein Bestes tun. Ein
Trinkgeld braucht's nicht, ich bin Ihr Diener für ewig.
Friederike.
Du willst in der Nacht noch fort? Es ist dunkle und regnicht; bleibe
noch beim Jäger.
Jakob.
Ich weiß nicht, wie mir ist; es treibt mich etwas fort. Ich habe eine
Art von Ahnung.
Friederike.
Du siehst doch sonst nicht Gespenster.
Jakob.
Es ist auch nicht Ahnung, es ist Vermutung. Mehrere Bauern sind beim
Chirurgus in der Nacht zusammengekommen; sie hatten mich auch
eingeladen, ich ging aber nicht hin; ich will keine Händel mit der
gräflichen Familie. Und jetzt wollt' ich doch, ich wäre hingegangen,
damit ich wüsste, was sie vorhaben.
Friederike.
Nun was wird's sein? Es ist die alte Prozessgeschichte.
Jakob.
Nein, nein, es ist mehr! Lassen Sie mir meine Grille; es ist für Sie,
es ist für die Ihrigen, dass ich besorgt bin. (Ab.)

Siebenter Auftritt
Friederike, nachher die Gräfin und der Hofrat.
Friederike.
Die Büchse ist noch, wie ich sie verlassen habe; die hat mir der Jäger
recht gut versorgt. Ja, das ist auch ein Jäger, und über die geht
nichts. Ich will sie gleich laden und morgen früh bei guter Tageszeit
einen Hirsch schießen. (Sie beschäftigt sich an einem Tische, worauf
ein Armleuchter steht, mit Pulverhorn, Lademaß, Pflaster, Kugel,
Hammer und lädt die Büchse ganz langsam und methodisch.)
Gräfin.
Da hast du schon wieder das Pulverhorn beim Licht; wie leicht kann
eine Schnuppe herunterfallen. Sei doch vernünftig, du kannst dich
unglücklich machen!
Friedericke.
Lassen Sie mich, liebe Mutter, ich bin schon vorsichtig. Wer sich vor
dem Pulver fürchtet, muss nicht mit Pulver umgehen.
Gräfin.
Sagen Sie mir, lieber Hofrat, ich habe es recht auf dem Herzen:
Könnten wir nicht einen Schritt tun, wenigstens bis Sie zurückkommen?
Hofrat.
Ich verehre in Ihnen diese Heftigkeit, das Gute zu wirken und nicht
einen Augenblick zu zaudern.
Gräfin.
Was ich einmal für Echt erkenne, möchte' ich auch gleich getan sehn.
Das Leben ist so kurz, und das Gute wirkt so langsam.
Hofrat.
Wie meinen Sie denn?
Gräfin.
Sie sind moralisch überzeugt, dass der Amtmann in dem Kriege das
Dokument beiseite gebracht hat--
Friederike (heftig).
Sind Sie's?
Hofrat.
Nach allen Anzeigen kann ich wohl sagen, es ist mehr als Vermutung.
Gräfin.
Sie glauben, dass er es noch zu irgendeiner Absicht verwahre?
Friederike (wie oben).
Glauben Sie?
Hofrat.
Bei der Verworrenheit seiner Rechnungen, bei der Unordnung des
Archives, bei der ganzen Art, wie er diesen Rechtshandel benutzt hat,
kann ich vermuten, dass er sich einen Rückzug vorbehält, dass er
vielleicht, wenn man ihn von dieser Seite drängt, sich auf die andere
zu retten und das Dokument dem Gegenteile für eine ansehnliche Summe
zu verhandeln denkt.
Gräfin.
Wie wär' es, man suchte ihn durch Gewinst zu locken? Er wünscht,
seinen Neffen substituiert zu haben; wie wär' es, wir versprächen
diesem jungen Menschen eine Belohnung, wenn er zur Probe das Archiv in
Ordnung brächte, besonders eine ansehnliche, wenn er das Dokument
ausfindig machte? Man gäbe ihm Hoffnung zur Substitution. Sprechen
Sie ihn noch, ehe Sie fortgehen; indes, bis Sie wiederkommen, richtet
sich's ein.
Hofrat.
Es ist zu spät, der Mann ist gewiss schon zu Bette.
Gräfin.
Glauben Sie das nicht. So alt er ist, passt er Ihnen auf, bis Sie in
den Wagen steigen. Er macht Ihnen noch in völliger Kleidung seinen
Scharrfuss und versäumt gewiss nicht, sich Ihnen zu empfehlen. Lassen
wir ihn rufen.
Friederike.
Lassen Sie ihn rufen, man muss doch sehen, wie er sich gebärdet.
Hofrat.
Ich bin's zufrieden.
Friederike (klingelt und sagt zum Bedienten, der hereinkommt).
Der Amtmann möchte doch noch einen Augenblick herüberkommen!
Gräfin.
Die Augenblicke sind kostbar. Wollen Sie nicht indes noch einen Blick
auf die Papiere werfen, die sich auf diese Sache beziehen? (Zusammen
ab.)

Achter Auftritt
Friederike allein, nachher der Amtmann.
Friederike.
Das will mir nicht gefallen. Sie sind überzeugt, dass er ein Schelm
ist, und wollen ihm nicht zu Leibe. Sie sind überzeugt, dass er sie
betrogen, ihnen geschadet hat, und wollen ihn belohnen. Das taugt nun
ganz und gar nichts. Es wäre besser, dass man ein Exempel statuierte.
--Da kommt er eben recht.
Amtmann.
Ich höre, dass des Herrn Hofrats Wohlgeboren noch vor ihrer Abreise
mir etwas zu sagen haben. Ich komme, dessen Befehle zu vernehmen.
Friederike (indem sie die Büchse nimmt).
Verziehen Sie einen Augenblick, er wird gleich wieder hier sein. (Sie
schüttet Pulver auf die Pfanne.)
Amtmann.
Was machen Sie da, gnädige Gräfin?
Friederike.
Ich habe die Büchse auf morgen früh geladen, da soll ein alter Hirsch
fallen.
Amtmann.
Ei, ei! Schon heute geladen und Pulver auf die Pfanne, das ist
verwegen! Wie leicht kann da ein Unglück geschehen.
Friederike.
Ei was! Ich bin gern fix und fertig. (Sie hebt das Gewehr auf und
hält es, gleichsam zufällig, gegen ihn.)
Amtmann.
Ei, gnädige Gräfin, kein geladen Gewehr jemals auf einen Menschen
halten! Da kann der Böse sein Spiel haben.
Friederike (in de vorigen Stellung).
Hören Sie, Herr Amtmann, ich muss Ihnen ein Wort im Vertrauen sagen:
--Das Sie ein erzinfamer Spitzbube sind.
Amtmann.
Welche Ausdrücke, meine Gnädige!--Tun Sie die Büchse weg.
Friedericke.
Rühre dich nicht vom Platz, verdammter Kerl! Siehst du, ich spanne,
siehst du, ich lege an! Du hast ein Dokument gestohlen--
Amtmann.
Ein Dokument? Ich weiß von keinem Dokumente.
Friederike.
Siehst du, ich steche, es geht alles in der Ordnung, und wenn du nicht
auf der Stelle das Dokument herausgibst oder mir anzeigst, wo es sich
befindet, oder was mit ihm vorgefallen, so rühr' ich diese kleine
Nadel, und du bist auf der Stelle mausetot.
Amtmann.
Um Gottes willen!
Friederike.
Wo ist das Dokument?
Amtmann.
Ich weiß nicht--Tun Sie die Büchse weg--Sie könnten aus Versehen--
Friederike (wie oben).
Aus Versehen oder mit Willen bist du tot. Rede, wo ist das Dokument?
Amtmann.
Es ist--verschlossen.

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